Carl Olof Rosenius

Gerecht in Jesus -

Freigesprochen von aller Sünde

 

Drei Dinge müssen wir bedenken, ehe wir dieses Thema betrachten. Wer Luther gelesen hat, wird wissen, dass auch er gerade diese Dinge hervorhebt:

1.      Dieses Thema ist das größte und das wichtigste unserer christlichen Lehre.

2.      Es ist auch das schwerste, wenn es gilt, es recht zu fassen und täglich an sich selber anzuwenden.

3.      Es wird dennoch von den meisten als das leichteste angesehen. Die geistlich toten und wenig erfahrenen Menschen fühlen sich davon überzeugt, man werde baldigst mit diesem Thema fertig werden.

 

Die Vergebung der Sünden – das Wichtigste von allem

Dieser Artikel der Glaubenslehre, der sich mit Gottes Gnade und der Vergebung der Sünden wie auch mit unserer ewigen Gerechtigkeit in Christus befasst, ist also der größte und wichtigste von allen. Es ist das Wort von der Vergebung der Sünden, das uns zu Christen macht.

Es möge mit der übrigen christlichen Erkenntnis eines Menschen stehen wie es wolle. Ist aber das Wort von der Vergebung der Sünden eine lebendige Wirklichkeit für sein Herz geworden, dann ist er bereits ein Christ. Dann hat er bereits Gottes Geist empfangen, der ihn glücklich, froh und selig wie auch willig und geschickt zu allen guten Werken macht.

            Wenn ein Mensch dagegen alles andere weiß und kann, in diesem Punkt indessen im Unklaren ist, dann ist er noch nicht ein Christ. Er mag religiös und fromm sein, aber ein Christ ist er nicht, er ist nicht von neuem geboren. Er mag viele Vorsätze fassen und beten und kämpfen, um sie zu erfüllen. Doch alles hat ein Gepräge von Unlust und Trägheit, solange das Wort von der Vergebung der Sünden nicht in seinem Herzen lebendig geworden ist.

            Doch siehe auf den, der die Vergebung der Sünden besitzt! Wie froh und demütig und willig ist derjenige, der die Gewissheit der Vergebung seiner Sünden hat.

            Ein Prediger mag brennend in heiligem Eifer sein. Er mag predigen und ermahnen. Ja, er kann mit den heißesten Flammen der Hölle seine Zuhörer treiben. Hat er aber nicht Christus und die Versöhnungsgnade zur Hauptsache seiner Predigten gemacht, dann ist alles vergeblich. Die Zuhörer mögen ein ganzes Stück gelernt haben. Sie können in einem gewissen Sinn erweckt sein. Aber ihr Herz ist unverändert, die Sünde behält ihren Griff. Es herrscht Tod, Trägheit und Ungeistlichkeit. Die Arbeit war fruchtlos. Das Herz ähnelt einem Acker, wo man zwar gepflügt und geeggt hat. Aber die Saat ist nicht ausgestreut, und der Regen und die Sonne sind nicht dort hingelangt.

            Wendet der Prediger aber das Blatt um und verkündigt Christus den Gekreuzigten denen, die noch unter ihrer Sünde unglücklich daniederliegen, dann fängt es an, sich zu regen. Dann beginnt es zu grünen und zu knospen, und harte Herzen zerschmelzen. Sie werden weich, demütig und froh. Liebe erfüllt ihr Herz, und sie werden tauglich zu allem Guten.

            Ja, es ist gerade dies – und nichts anderes – was uns selig macht. Habe ich die Vergebung meiner Sünden, dann bin ich Gottes Kind. Kann ich etwas Größeres werden oder mir etwas Besseres hier im Leben wünschen? Habe ich aber nicht die Vergebung der Sünden, was nützt mir dann alles andere!

            Wie unglücklich ist der Mensch, der die Vergebung seiner Sünden nicht hat! Er ist immer unter dem Zorn und dem Fluch Gottes: bei seinem Eingang und Ausgang, im Hause und bei seiner Tätigkeit, in der Freude und in der Sorge, bei der Arbeit und in der Ruhe, im Leben und im Tode, ja, in aller Ewigkeit.

 

Die Vergebung der Sünden – schwer zu verstehen und zu glauben

Diesen Artikel aber recht zu verstehen ist der Christen aller schwerste Kunst. Gleichermaßen schwer ist es, jeden Tag heran festzuhalten und zu glauben, dass die Sünden wirklich vergeben sind. Wie oft sich ein Christ auch in diesem Stück übt – durch Lesen, Hören und Reden von Christus und von der Gnade, die er in ihm hat – so verbleibt er doch stets ein schwacher Schüler.

            Das rührt daher, dass ein Christ täglich seine Sünde fühlt und seine Gebrechen sieht. Er erkennt den großen Mangel in seinem Christentum. Hingegen die Gnade und die Gerechtigkeit, die er in Christus hat, die sieht und fühlt er nicht. Und sein Herz – das früher so selbstsicher, getrost und stark war – ist jetzt zerschlagen, weich und schwach. Jetzt wohnt der Geist, der den Herrn fürchtet, in ihm. Und da sein Glaube jetzt in Wahrheit ein aufrichtiger und selig machender Glaube ist, so ist dieser Glaube den unausgesetzten Angriffen des Teufels ausgesetzt.

            Aus alledem kommt es, dass kein wahrer Christ im Glauben so erleuchtet ist, dass er nicht zuweilen an Furcht und Besorgnissen um den Zustand seiner Seele leidet. Sogar diejenigen, die mit Engelszungen vom ewigen Wert des Blutes Christi geredet haben, sind selber oft schwach, angefochten und besorgt gewesen und haben nur mit Mühe glauben können. David, Paulus und Luther u.a.m. sind redende Beispiele hierfür.

 

Die Vergebung der Sünden – dies zu glauben erscheint manchen leicht

Doch dies können die meisten Menschen nicht begreifen. Nichts erscheint ihnen leichter zu glauben als gerade das Wort von der Gnade Gottes und der Vergebung der Sünden. Diesen Punkt haben sie ausgelernt, sobald sie eine deutliche und schöne Abhandlung darüber gelesen haben. Ja, sie meinen von ihrem eigenen Herzen lernen zu können, wie gnädig Gott ist, so dass sie sich nicht mehr darum zu kümmern brauchen. Jetzt handelt es sich nur darum, wie sie selber leben und tun sollen.

            Von solchen redet Luther, wenn er sagt: „Dieser Artikel von der Vergebung der Sünde ist der rechten Christen allergrößte und schwerste Weisheit und Kunst, die sie ihr ganzes Leben hindurch nicht vollkommen auslernen werden; und widerfährt ihr doch die leidige Plage, dass man (die falschen Christen) keine Kunst so bald ausgelernt hat als diese; sondern wenn es jemand einmal gehört oder gelesen hat, so kann er’s und ist bald Meister und suchet darnach etwas Höheres. Ich (Luther) habe nun selbst so viele Jahre darüber gelernt, mehr denn keiner derer, die sich dünken lassen, sie können es, mit Predigen, Schreiben, Lesen usw., noch kann ich mich keiner Meisterschaft rühmen und muss froh sein, dass ich ein Schüler bleibe mit denen, die erst anfangen zu lernen.“

            Aber was beweist dies, dass viele in diesem Artikel ausgelernt zu haben meinen? Ja, es beweist, dass sie entweder niemals eine wirkliche Sündenerkenntnis, ein zerschlagenes Herz und ein waches Gewissen gehabt haben, oder dass sie in Sicherheit eingeschlafen sind. Sie haben jetzt einen toten Glauben, der keiner Nahrung bedarf, einen falschen Glauben, den der Teufel anzufechten nicht der Mühe wert erachtet.

            Wem das Glauben leicht fällt – der hat allen Grund aufzuwachen. Es steht nicht richtig, wenn mir dieser Artikel wie ein Spiel erscheint, wohingegen andere – auch solche, die sich am meisten im Glauben geübt haben - ihn als die schwerste Kunst erlebt haben. Da muss wahrlich ein Betrug dahinter stecken.

            Doch gehen wir nun an die Betrachtung des Themas in diesem Kapitel, nämlich die Vergebung der Sünden. Das einzig Richtige, das wir tun können, ist zu untersuchen, wie der Herr selber davon redet. Was ein Mensch sagt oder meint, tut nichts zur Sache. Gott ist es, der die Sünde vergibt, und Gott „tut mit dem Seinen was er will.“

            Und wer sollte – wenn es sich um eine so wichtige Sache handelt – einem anderen glauben oder vertrauen als dem eigenen Worte Gottes? Wer sollte es wagen, auf die Versicherung eines Menschen hin zu sterben und von hinnen zu fahren der geheimnisvollen Ewigkeit entgegen? Ja, wer wollte hier in der Zeit ruhig und über die Gnade Gottes froh sein, wenn er kein Wort von Gott selber besäße, an das er sich halten könne?

            Kein Mensch soll uns darum sagen, wie Gott die Sünden vergibt. Das wollen wir aus seinem eigenen Munde hören. Wir wenden uns darum an die Heilige Schrift. Da wird die Vergebung der Sünden in zwei Bedeutungen besprochen: Erstens als erworben und bereits geschehen, zweitens als angenommen von und angewendet auf den einzelnen Menschen.

 

Die Sünden aller Menschen sind bereits vergeben

In der Heiligen Schrift sehen wir etwas, was vielen vielleicht neu und merkwürdig erscheint. Es ist ebenso wunderbar wie herrlich und ist sehr bedenkenswert, nämlich: dass die Sünden aller Menschen schon vergeben, getilgt, gesühnt sind – und das, ehe sie sich bekehrt haben und zum Glauben gekommen sind. Ihre Sünden sind also vergeben, ehe sie die Vergebung der Sünden, die ihnen erworben und angeboten ist, angenommen haben.

            Was will das sagen? Ja, die Schrift sagt, dass der Sinn oder die Bedeutung der Erlösung, so durch Jesus Christus geschehen ist, gerade die Vergebung der Sünden war. Als Christus am Kreuz starb, wurden wir mit Gott versöhnt. Unsere Sünde wurde getilgt, unsere Missetat wurde versöhnt.

Wo steht das geschrieben?

Römer 5, 10 heißt es: „Wir sind mit Gott versöhnt worden durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren.“ Merke: Hier heißt es nicht, dass wir „versöhnt werden“, sondern „versöhnt wurden.“ Hier steht nicht: „Durch unsere Zerknirschung, unsere Reue, unser Gebet, unsere Bekehrung“, sondern „durch den Tod seines Sohnes.“ Es steht nicht: „Als wir seine Freunde wurden“, sondern „da wir noch Feinde waren.“

2. Korinther 5, 19-20 lesen wir: „ Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“

Epheser 1, 7 und Kolosser 1, 14 lesen wir dasselbe: „In Christus haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden.“ Klarer lässt es sich nicht sagen. Die Erlösung durch Christi Tod enthält die Vergebung der Sünden.

Der Prophet Jesaja sagt Kapitel 53, 5-6: „Der Herr warf unser aller Sünde auf Ihn… Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt…“

            So hat der heilige Gott seine Worte aufschreiben lassen. Können wir sie abändern? Seine Worte sind deutlich wie die Sonne und fest wie die Berge. Wir müssen sie nehmen, wie sie lauten. Der Herr will, dass sie bedeuten, was sie wörtlich sagen – nichts mehr und nichts weniger.

            Was sagen sie uns? Ja, sie sagen, dass aller Welt Sünden, auch die der Unbekehrten und Ungläubigsten ein für allemal auf Christus geworfen wurden. Das heißt, dass sie ihm als Sünde zugerechnet wurden. Sie wurden auf seine Rechnung geschrieben und von ihm beglichen und getilgt.

Sind sie aber auf ihn geworfen, so liegen sie ja nicht länger auf den Sündern. Wenn man etwas von einer Stelle wegnimmt und auf eine andere Stelle legt, so liegt es ja nicht mehr auf der ersten Stelle. Wenn man eine Schuld von einer Rechnung auf die eines anderen geschrieben hat, so steht sie ja nicht mehr auf der ersten.

Es ist also wahr, was Luther im zweiten Hauptstück des Kleinen Katechismus sagt, „dass Jesus Christus mich verlorenen und verdammten Menschen erlöst hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen und teuren Blut und seinem unschuldigen Leiden und Sterben …“ Es steht also nicht, dass er erlösen, erwerben und gewinnen wird, sondern dass er es getan hat.

Hieraus folgt, dass kein Mensch nötig hat, wegen seiner Sünden verloren zu gehen. Die Sünde ist getilgt, weggenommen, vergeben. Wer indessen die Vergebung nicht annimmt, wird nicht am Hochzeitsfest teilnehmen, obwohl die Einladung auch ihm galt.

„Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes“ (Johannes 3, 3). Wohl steht die Tür des Reiches Gottes offen, aber er ist weiterhin feindlich gegen Gott gesinnt und kann nicht und will nicht Gemeinschaft mit den wiedergeborenen Kindern haben. Obwohl Christus alle versöhnt und aller Sünden weggenommen hat, so werden dennoch nicht alle selig.

 

Diese Vergebung wird demjenigen gegeben, der seine Sünden bekennt

Hierdurch werden wir auf die zweite Bedeutung der Vergebung der Sünden hingewiesen. Sie ist gewöhnlicher und leichter zu verstehen. Hier handelt es sich darum, wie der einzelne Mensch die Vergebung, die für alle erworben ist, annimmt und ihrer teilhaftig wird.

1. Johannes 1, 9 lesen wir: „Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit.“ Was dieses Bekennen enthält, können wir aus den Worten Davids im 32. Psalm lernen: „Denn als ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Klagen…, aber ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen. Da vergabst du mir die Schuld meiner Sünde.“

Dieses Bekennen geschieht vor dem Herrn. David sagte: Ich will dem Herrn bekennen. Demnach hatte er auch vor dem Herrn seine Sünde verschwiegen. Was will das aber sagen? Wie kann man etwas vor dem Herrn verschweigen? Ist nicht alles vor seinen Augen bloß und offenbar?

Gewiss, aber seine Sünde verschweigen heißt, sich von Gott mit seinem kranken Gewissen fernzuhalten, bis sich das Sündengefühl von selbst abkühlen soll. Erst dann sind wir willig, zum Gnadenthron zu kommen. Erst dann wagen wir es, uns vor Gott zu beugen, zu bekennen und um Vergebung zu bitten. Die ganze tote, unbußfertige Welt verschweigt ihre Sünden vor Gott. Darum ist sie unselig. Sie sieht nicht ihr volles Sündenverderben und kann darum auch nicht bekennen.

Es musste eine schwere Hungersnot in das Land kommen, in dem sich der verlorene Sohn befand. Erst dann dachte er an sein Vaterhaus zurück. Erst dann erkannte er, welche Sünde er begangen hatte, als er seinen Vater verließ und sein Erbe verscherzte. Erst dann sagte er: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße; mache mich zu einem deiner Tagelöhner!“ (Lukas 15, 18-19).

So hat Jesus selber die Worte gesagt, als er das Bild einer wahren Bekehrung geben wollte. Von diesen Worten lernen wir, was ein rechtes Bekenntnis und eine rechte Bekehrung ist. Der verlorene Sohn nannte keine gewisse Sünde, sondern sagte nur: Ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. Er sagte nicht: Die und jene Sünde verdient dein Missfallen. Nein, er sagte: Ich, ich bin unwürdig, hinfort dein Sohn zu heißen.

Was sollen wir daraus lernen?

Ja, es ist keine rechte Bekehrung, wo man die eine oder die andere Sünde erkennt und bekennt, sich aber daneben mit manchen guten Seiten zufrieden gibt. Nein, zu einer wahren Bekehrung gehört, dass man sich ganz und gar der Verdammnis wert fühlt.

Ferner sehen wir, dass der verlorene Sohn nicht im fremden Land verblieb. Er machte sich auf, um zu seinem Vater zu gehen. Solange man in der Sünde verbleiben und sich fern von Gott halten kann, ist die Bekehrung nicht rechter Art.

Doch beachten wir nun, was der Sohn sagte: Mache mich zu einem deiner Tagelöhner. Hier zeigen sich seine Eigengerechtigkeit und sein Unglaube. Er erwartete nicht, dass er aus lauter Gnade sein Kindesrecht wieder erhalten könne. Erst müsse er in seinem Vaterhaus ein Tagelöhner werden. Das trifft noch immer bei denen zu, die Buße tun wollen. Aber der Vater hörte nicht auf die Worte des Sohnes. Es heißt: „Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn.“

O, diese unvergleichliche, göttliche Vergebung! Hätte der Vater nicht mit vollem Recht sagen können: Weiche von mir, du unwürdiger und erniedrigter Sohn! Du hast dein Erbe durchgebracht und dein Kindesrecht verscherzt!

Aber nein! Nicht ein einziges Wort des Vorwurfes wird laut. Auch nicht die geringste Form von Entschädigung wurde gefordert. Dafür wurde dem Sohn sofort das beste Kleid angetan. Er erhielt einen Fingerreif an seine Hand und Schuhe an seine Füße. Und sodann wurde ein großes Freudenfest gehalten.

So hat Christus selber die göttliche Vergebung beschrieben. So will Gott erkannt und angesehen werden. Das Vaterherz war die ganze Zeit milde und voll Vergebung auch unter dem Fernsein und der erschrecklichen Versündigung des gefallenen Sohnes. Der Vater wurde nicht durch seine Rückkehr versöhnt. Das Vaterherz war schon vorher hinreichend milde und voller Vergebung. Aber der Weggegangene hatte keinen Nutzen davon, ehe er zurückkehrte.

Hieraus lernen wir, dass Gott versöhnt ist – auch mit den Gottlosen und Unbekehrten. Christus hat auch ihre Sünden an einem einzigen Tag weggenommen. Auch ihnen ist die Gnade und Vergebung erworben. Auch ihnen gilt die helle Seide der Gerechtigkeit und das beste Kleid und wartet darauf, angenommen zu werden.

Der Bericht vom verlorenen Sohn lehrt uns auch, wann die selige Stunde eintrifft, in der ein Sünder wirklich Teil an der Vergebung und Kindesrecht bei Gott bekommt. Dies geschieht, wenn er mit all seinem Eigenen, seiner Reue, seinem Gebet und all seinen Besserungsbemühungen zu kurz gekommen ist. Das ist die Stunde, in der er zum ersten Mal seinen hilflosen Blick auf den gekreuzigten Christus richtet, wenn er zum ersten Mal sieht, dass alles bereit für ihn durch Jesus liegt und er dort genug, ja mehr als genug hat. Dies hat er niemals früher gesehen. Und wenn er dies wirklich sieht, dann hat er nicht nur „das beste Kleid“, sondern auch den „Fingerreif“, d.h. die Besiegelung dafür, dass er jetzt ein Kind im Hause und nicht nur ein Tagelöhner ist.

Wir empfangen also die Gnade, wenn wir zum ersten Mal unseren Blick auf Jesus wenden, wenn wir zum ersten Mal seinen Namen anrufen. Dies zu wissen ist wichtig. Widrigenfalls geraten wir auf einen Irrweg. Wir beginnen dann mit dem unseligen Warten auf wunderbare Gefühle und andere sichtliche Zeichen – und sodann verachten wir das Wort. Beachte deshalb, was Jesus hier sagt: Der Sohn erreichte nicht das Haus, er sprach nicht ein einziges Gebet, nicht eine einzige Träne weinte er, nicht einen einzigen Dienst erwies er, als sein Vater sich seiner erbarmte, ihm entgegen lief und ihm um den Hals fiel. Jesus sagt von sich selber: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinaus stoßen.“

Dies wird in allen vier Evangelien bestätigt. Es gibt nicht ein einziges Beispiel dafür, dass ein Sünder Jesu zu den Füßen fiel und Gnade begehrte, aber die Antwort erhielt: Nicht jetzt! Gehe hin und bekehre dich, bereue und bete noch einige Tage! Sodann kannst du zurückkommen und um Gnade bitten.

Nein, es heißt: „Wie viele ihn aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden.“ Die Wahrheit ist die, dass du alle Stunden gleich würdig und unwürdig bist. Du kannst mit deinem Gebet und deiner Reue nicht Gott dazu bewegen, sein Herz zu dir zu neigen. Der Endzweck der Bekehrung ist der, dein Herz für ihn zu erweichen, dich zu Christus zu treiben. Du hast genügend Buße und Gebet und Zerknirschung, wenn du in diesen Dingen keinen Trost erhalten kannst, sondern deinen Trost in dem suchen musst, was Jesus für dich getan hat. Seine Reue und seine Schmerzen, sein Gebet und sein Opfer geschahen für dich.

Du denkst aber: Das habe ich wohl aus dem Worte gesehen und gehört. In meinem Elend habe ich mich an den Erlöser gewandt und habe Gnade durch ihn gesucht. Ich habe im Ernst die Gnade erfleht. Ich habe sie aber noch nicht erhalten. Ich fühle sie nicht in meinem Herzen.

Wenn du auf solche Weise denkst, sagst du mit anderen Worten: Wohl ist es wahr, was Gott in der Schrift sagt, nämlich dass alle Sünden auf Christus geworfen wurden. Durch seinen Tod wurde die Sünde weggenommen und in die Tiefe des Meeres versenkt. Deshalb sagt Jesus, dass er den nicht hinaus stoßen wird, der zu ihm kommt. Aber ich glaube nicht, dass die Worte Gottes und Christi zuverlässig sind. Ich kann ihren Worten keine Bedeutung beimessen, solange mein Herz und meine Gefühle nicht das gleiche sagen.

Aber was wäre das für ein „schönes“ Bekenntnis für einen Christen? Gib deshalb auf das Wort acht und mache nicht Gott zum Lügner (1. Johannes 5, 10). Das Wort sagt, dass in dem ersten Augenblick, in dem du in deiner Sündennot und Ratlosigkeit dein Auge auf den Erhöhten richtetest, dein Name in das Buch des Lebens geschrieben wurde. Jetzt ist die Frage nur diese, ob du das glaubst. Bitte nicht öfter um die Gnade, sondern glaube an sie. Jedesmal, wenn du um Gnade um Jesu willen bittest, indessen nicht glaubst, dass du sie bereits hast, dann machst du Gott zum Lügner.

Hier ist auch zu bemerken, dass die Sündenvergebung in einer anderen Beziehung doppelt ist, nämlich: die heimliche und verborgene, aber nicht fühlbare, und zweitens die offenbare und fühlbare. Das Wort gibt dir die Zusicherung der „verborgenen Gnade.“ Sie ist ohne jegliches Gefühl. Diese verborgene Gnade erhältst du, sobald du zu Jesus kommst und nach seiner Gerechtigkeit hungerst und dürstest. Du sagst: Gott, ich komme vor deinen Thron, sieh aber nicht mich an, siehe deinen Sohn an. Bei mir ist nur Gebrechlichkeit. Alle meine Würdigkeit ist in ihm. Dann bist du schon bei Gott von allen deinen Sünden freigesprochen. Gott hat dich dann für gerecht erklärt und dich in das Buch des Lebens eingetragen. Du weißt es nur nicht. So ist die verborgene Gnade. Die „geoffenbarte“ erhältst du dann, wenn Gottes Geist zeugt mit deinem Geist, dass du Gottes Kind bist.

Bei Lukas 7, 37-50 lesen wir von der Sünderin, die im Hause Simons zu den Füßen Jesu lag. Sie hatte bereits die verborgene Vergebung, als Jesus sich an Simon mit den Worten wandte: „Ihr sind viele Sünden vergeben.“ Die offenbare Vergebung erhielt sie, als Jesus sich an sie wandte und sprach: „Dir sind deine Sünden vergeben. Gehe hin mit Frieden!“

 

Die Vergebung der Sünden gilt uns jeden Tag

In dem Vorangehenden haben wir gesehen, dass die Vergebung der Sünden im Tode Christi erworben wurde und durch den Glauben angenommen wird. Wir wollen jetzt eine Sache näher betrachten, die uns große Freude und großen Trost geben kann: Die Vergebung der Sünden ist unser tägliches und ewiges Eigentum. Sie kann nicht erschüttert werden, obgleich die Sünde uns weiterhin anklebt und leider auch ausbricht. Die Gnade ist nicht von unseren Werken abhängig. In uns selber sind wir alle Stunden der Verdammnis gleich würdig. Solange wir uns indessen an Christus halten, sind wir alle Stunden gleich gerecht vor Gott. Wir wollen jetzt sehen, was die Schrift hiervon sagt.

Beim Propheten Jesaja 33 spricht der Herr von dem Gnadenreich, das Christus auf Erden errichten wird. Dort nennt er Zion „die Stadt unseres Stifts“ und sagt, dass „kein Bewohner wird sagen: ‚Ich bin schwach‘; denn das Volk, das darin wohnt, wird Vergebung der Sünden haben.“

Im Psalm 89 spricht der Herr von seinem Bund mit seinem Sohn und sagt: „Wenn aber seine Söhne mein Gesetz verlassen und in meinen Rechten nicht wandeln, wenn sie meine Ordnungen entheiligen und meine Gebote nicht halten, so will ich ihre Sünde mit der Rute heimsuchen und ihre Missetat mit Plagen; aber meine Gnade will ich nicht von ihm wenden und meine Treue nicht brechen. Ich will meinen Bund nicht entheiligen und nicht ändern, was aus meinem Munde gegangen ist“ (Psalm 89, 31-35).

Im Neuen Testament heißt es bei Johannes: „Meine Kinder, dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündiget. Und wenn jemand sündiget, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist. Und er ist die Versöhnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt“ (1. Johannes 2, 1-2).

Wieder und immer wieder spricht die Schrift von diesem Thema. Wir wollen uns aber hiermit genügen und es beim Betrachten der angeführten Worte bewandt sein lassen.

In dem ersten sagt der Herr, dass die Einwohner von „Jerusalem“ sich nicht zu ängstigen brauchen und sagen, sie seien schwach. Sie haben ja die Vergebung der Sünden erhalten. Die Vergebung der Sünden setzt voraus, dass Sünden und Gebrechen da sind. Sonst hieße es nicht: Vergebung der Sünden. Die Worte sagen indessen weiter, dass ihnen Sünde nicht zugerechnet werden soll, denn es heißt Vergebung. Keiner braucht sich zu ängstigen, denn was unter der Vergebung steht, an das braucht nicht mehr gedacht zu werden. Hier ist zu beachten, dass das, was mit dem Wort „Schwachheit“ bezeichnet wird, gleichzeitig auf das hinweist, was Sünde ist. Es gibt aufrichtige Gotteskinder, die sich von der Vergebung ihrer Sünden überzeugt fühlen, aber gleichzeitig erleben sie Schwachheit und Gebrechen in ihrem Leben, was sie beunruhigt. Sie vergessen, dass auch dies Sünden sind, für die sie Vergebung erhalten haben. Denn wo gibt es eine Schwachheit, die nicht gleichzeitig Sünde ist? Das Gesetz fordert den ganzen Menschen – das Herz, die Gedanken und die Gefühle. Deshalb verklagt das Gesetz auch alles, was ein Mensch tut, wenn es wider das Gesetz streitet. Alles wird zusammengefasst unter dem Begriff Sünde. Ist Gleichgültigkeit nicht eine Sünde? Ist es nicht sündlich, Unlust zum Lesen des Wortes Gottes und zum Bekennen seines Namens zu fühlen? Alles aber, was Sünde ist, gehört unter die Vergebung der Sünden. Es steht nicht, dass Christus nur die Sünde der Hand und der Zunge versöhnte, sondern alle Sünden des ganzen Menschen, welchen Namen sie auch haben. Deshalb: Solange du durch den Glauben in Christus bleibst, ist „nichts Verdammliches“ an dir (Römer 8, 1), sondern die Vergebung erstreckt sich über alles, was du bist und hast.

Über dieses Thema sagt Luther in einer Predigt am 19. Sonntag nach Trinitatis: „Man soll diese Lehre wohl fassen, dass man es gänzlich dafür halte, dass unsere Frömmigkeit vor Gott heiße: Vergebung der Sünden. Wenn der Mensch mit Gott handeln will, soll er wissen, dass da weder seine Sünde noch seine Frömmigkeit gelte.“ Es ist gewisslich nicht unwichtig, wie ich lebe und was ich tue und sage oder denke. Sobald es sich aber darum handelt, wie ich vor Gott stehe, ob ich seine Gnade habe oder wie ich sie erhalten soll, dann will ich nichts anderes sein als ein Sünder. Sodann gilt nämlich die Vergebung der Sünden auch mir. Dann will ich frisch im Glauben antworten: Habe ich Sünde, so hat Christus Gerechtigkeit. Seine Frömmigkeit ist meine Frömmigkeit. Ich sitze jetzt auf dem Thron, dahin die Sünde nicht gelangen kann. So ist die glückliche Stadt, von deren Einwohnern es heißt, dass sie Vergebung der Sünden erhalten haben.

Der 89. Psalm spricht auf eine wunderbar herrliche Weise vom Messias und seinem Reich, eigentlich vom Bund des Vaters mit seinem Sohn. Dieser Bund ist eine ewige Gnade, die denen zuteil wird, die der Sohn erlöst, erworben und gewonnen hat.

Bitte um das Licht des Geistes, wenn du diesen Psalm liest! Halte still bei jedem Vers und sieh, ob nicht dort eine teure Perle hervorleuchtet. Beachte die vielen herrlichen Namen, die der Vater seinem Sohn gibt. Der Vater sagt, „ich will ihn zum erstgeborenen Sohn machen, zum Höchsten unter den Königen auf Erden“ (V.28). Der Vater nennt seinen Sohn „meinen Auserwählten“ und „meinen Knecht David“, weil David der menschliche Stammvater des Sohnes und in manchen Beziehungen sein Vorbild war. Er sagt, er ist „ein Held“ und „ein Auserwählter aus dem Volk.“ Mit diesem Sohn hat der Herr einen Bund geschlossen – einen Bund der ewigen Gnade, nicht über ihn selbst, denn er war ja selber „der Allerhöchste“, sondern über die Gefallenen und Verlorenen. Diese Gnade sollte er ihnen, den gefallenen und verlorenen Kindern, am großen Versöhnungstage erkaufen.

Und ferner: „Die Kinder“, die an ihn glauben und in seinem Reich unter ihm bleiben und leben sollten, heißen hier „sein ewiger Same“ (V.5), „die Heiligen, die Gemeinde der Heiligen“ (V. 6,8), „die um ihn sind“ und „seine Kinder“ (V.31).

Von diesen Kindern heißt es V.16 und 17: „Wohl dem Volk, das jauchzen kann! Herr sie werden im Licht deines Antlitzes wandeln; sie werden über deinen Namen täglich fröhlich sein und in deiner Gerechtigkeit herrlich sein.“ Wie tröstlich sind diese Worte. Es heißt nicht: Sie werden in ihrer eigenen Gerechtigkeit herrlich sein, sondern in deiner Gerechtigkeit. Aber was ist das für eine Gerechtigkeit Gottes? Kein Mensch kann gerecht und noch weniger erhöht werden durch die Gerechtigkeit, in der Gott selber recht handelt und urteilt, wenn er uns nach unseren Werken richtet. Hier muss von der Gerechtigkeit die Rede sein, von der Paulus Römer 3, 21-22 spricht: „Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben."

In dieser Gerechtigkeit soll der Gläubige erhöht werden. Denn diese Gerechtigkeit gründet sich nicht auf eigene Werke, sondern auf Christi eigene Gerechtigkeit. Doch nun mag jemand fragen: Wie mag es sein, wenn diejenigen, die die Gerechtigkeit erhalten haben, in Sünde fallen. Verlieren sie dann nicht die ihnen geschenkte Gnade? Wie handelt der Herr mit ihnen?

Hierauf antwortet der himmlische Vater auf folgende bemerkenswerte Weise: „Wenn aber seine Söhne mein Gesetz verlassen und in meinen Rechten nicht wandeln, wenn sie meine Ordnungen entheiligen und meine Gebote nicht halten, so will ich ihre Sünde mit der Rute heimsuchen und ihre Missetat mit Plagen; aber meine Gnade will ich nicht von ihm wenden und meine Treue nicht brechen. Ich will meinen Bund nicht entheiligen und nicht ändern, was aus meinem Mund gegangen ist“ (Psalm 89, 31-35).

Was bedeutet das?

Hier wird davon geredet, dass, wenn die Kinder sündigen und deshalb mit der Rute und mit Plagen heimgesucht werden, die Gnade dennoch nicht von ihm gewendet werden soll. Wer ist dieser „ihm“? Dies ist dem Zusammenhang zu entnehmen. In den Versen 28-30 heißt es: „Ich will ihm ewiglich bewahren meine Gnade, und mein Bund soll ihm seinen Thron erhalten, solange der Himmel währt.“ Die Rede ist also von dem, der im 28. Vers „der erstgeborene Sohn, der Höchste unter den Königen auf Erden“ genannt wird. Aber welcher Zusammenhang besteht zwischen der dem Sohn versprochenen Gnade und der Sünde, der sich seine Kinder schuldig machen?

Antwort: Die Gnade galt eigentlich den Kindern. Es war indessen eine Gnade, die sie durch den Sohn erhalten sollten. Der Bund und der Vertrag über diese Gnade war mit dem Sohn geschlossen. Er ist unser Bürge. Er hat unsere Schuld getilgt und die Forderungen der Gerechtigkeit erfüllt. Deshalb soll die Gnade um seinetwillen unerschütterlich feststehen, auch dann, wenn die Kinder sündigen. Gott wird ihre Sünde mit der Rute heimsuchen, aber seine Gnade wird er nicht von ihnen nehmen. Denn das wäre dasselbe, als sie von ihm zu nehmen, da Gott ja mit ihm seinen Bund geschlossen hat.

Wie Luther sagt: „Wenn Gott mir zu zürnen scheint, als wolle er mich verwerfen, dann will ich antworten: Heiliger Vater! Ehe du mich verwirfst, musst du zuerst deinen geliebten Sohn, Jesus Christus, verwerfen; denn er ist mein Bürge, mein Fürsprecher, ja, mein Lösegeld. Gilt er vor dir, dann muss auch ich frei und behalten sein.“

Dies ist dir gesagt, der du zu Jesus gekommen bist und jetzt sein Kind sein willst. Du hast festgestellt, dass du sündig bist, dass du oft fällst und dich vergehst. Du meinst, Gott müsse dich verlassen und dich in einen verkehrten Sinn gegeben haben. Doch siehe, was er tut: Wohl kann er dich wegen deiner Sünden heimsuchen, zuerst im Gewissen, solange dies genügt, und später auch äußerlich durch Trübsal in mancherlei Anfechtungen. Er kann dich inwendig und äußerlich züchtigen. Aber seine Gnade wird er nicht von dir nehmen. In Bezug auf die Gnade hat er mit dem Sohn und nicht mit dir zu handeln. Seine Gnade ist nicht von deiner Frömmigkeit abhängig und kann folglich nicht von deiner Sünde erschüttert werden. Widrigenfalls wäre es nicht Gnade. Und wenn du die Wahrheit seiner Drohungen erfährst, nämlich Heimsuchungen und Plagen, dann darfst du ebenso gewiss an die Wahrheit seiner Verheißungen glauben. Hast du gesündigt und wirst du mit der Rute und Plagen heimgesucht, darfst du ihn nicht missverstehen. Er zürnt dir nicht. Er hat dir ja im voraus gesagt, er werde dich mit Plagen heimsuchen, ohne jedoch seine Gnade von dir zu nehmen. So ist die Vereinbarung, dass wenngleich Sünden und Plagen sich einfinden, so steht die Gnade dennoch fest.

Es gibt solche, denen die Züchtigung unbekannt ist. Rute und Plagen im Gewissen erfahren sie nicht. Sie leben Tage und Wochen dahin ohne Beschwerde der Sünde. Sie können ohne Bedenken nach Ihrer Natur leben. Aber solche Menschen sind „Ausgestoßene und nicht Kinder“ (Hebräer 12, 8). Solche Menschen sind Heuchler, törichte Jungfrauen, die wohl Lampen mitgebracht haben, indessen kein Öl in denselben haben. Nein, hier reden wir von den „Kindern.“ Ihnen fällt das Glauben oftmals schwer. Sie haben ein furchtsames Gewissen. Sie suchen indessen Zuflucht bei Christus. Deshalb stehen sie unter einer beständigen Gnade, ja, einer ewigen Gnade, solange ihr Mittler Gnade hat und solange ihr Lösegeld gültig ist.

Die dritte Bibelstelle, die wir betrachten wollen, finden wir bei 1. Johannes 2, 1-2. Dort lesen wir: „Meine Kinder, dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt. Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist. Und er ist die Versöhnung für unsere Sünden, nicht aber allein für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt.“

Hier redet der Apostel die Gläubigen an. „Meine Kinder“, nennt er sie. Er ermahnt sie, „damit sie nicht sündigen.“ Aber gleichzeitig setzt er voraus, dass sie dennoch in Sünde fallen können: „Und wenn jemand sündigt…“

Was sagt er von einem solchen Christen? Was soll ein solcher Mensch denken oder tun? Der Apostel sagt, dass in dem Augenblick, in dem ein Gläubiger sündigt, er einen Fürsprecher bei dem Vater hat. Dessen soll er eingedenk sein. „Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist.“

Der Geist der Worte des Apostels scheint zu sein: Gerade ihr, die ihr in Christi Blut gereinigt worden seid und die Vergebung der Sünden erhalten habt, sollt wider alle Sünden wachen. Ihr sollt beten und wider die Sünde streiten. Doch wie viel ihr auch wacht und betet, so werdet ihr nicht immer feststehen können gegen die List des Teufels, der Welt Versuchungen und die Schwachheit des Fleisches. Dies ist beklagenswert. Aber gerade in einer solchen Lage hast du einen Fürsprecher bei dem Vater. Wer nicht sündigt, hat keinen Mittler und Fürsprecher nötig.

Darum: Gott will keineswegs, dass du sündigst. Er will aber noch weniger, dass du verzweifelst und untergehst. Deshalb hat er selber dir einen Fürsprecher gegeben. Ein herrlicher Trost liegt darin, dass Christus unser Fürsprecher ist, dass er sich für uns wider das Gesetz ins Mittel legt und uns vor dem Zorn beschützt. Dies lesen wir an vielen Stellen der Schrift.

Hebräer 9, 24 heißt es: „Christus ist in den Himmel selbst eingegangen, um jetzt für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen.“ Wir haben auch einen Verkläger, der uns verklagt Tag und Nacht vor unserm Gott (Offenbarung 12, 10). Er zählt unsere Sünden auf und fordert ein rechtmäßiges Urteil über sie. Sodann tritt Christus vor und antwortet: Ja, Vater, es ist wahr, dass diese Seele gesündigt hat. Sollten aber ihre Sünden dem Gesetz gemäß bestraft werden, dann muss die Strafe wieder mich treffen. Ich habe ihre Sünden auf mich genommen, und nun verlässt sie sich auf mich. Aber der himmlische Vater wird in Ewigkeit nicht den Tag vergessen, an dem er das Notgeschrei seines Sohnes auf Erden hörte. Niemals wird er dieselbe Schuld zweimal fordern. Somit ist der Sünder frei.

Johannes sagt ferner von Christus, dass er „gerecht“ ist. Was sagt das mir? Ja also: Bin ich sündig, so ist Christus gerecht und heilig. Das darf ich genug sein lassen. Seine Gerechtigkeit ist meine Gerechtigkeit geworden. Und ferner: „Er ist die Versöhnung für unsere Sünden.“ Für welche Sünden? Gewiss für alle Sünden. Sonst wäre Christus von keinem Nutzen für uns. Dann wäre er vergeblich gestorben.

Christus hat durch seinen Tod nicht nur einige Sünden gesühnt, sondern alle Sünden, getilgt. Nicht nur gedachte und erträumte Sünden, sondern wirkliche. Nicht nur geringe, sondern auch große. Nicht nur die Sünden der Hand und der Zunge, sondern auch die des Herzens und die der Gedanken. Nicht nur die vergangenen, sondern auch die gegenwärtigen. Oder wie Luther zu sagen erkühnt:

Nicht nur die überwundenen und getilgten, sondern auch die unüberwundenen und starken, gewaltigen Sünden.

            Aber hier magst du vielleicht einwenden: Ja, Christus ist eine Versöhnung für die Sünden der Heiligen, als des Johannes, Petrus, Paulus und anderer solcher, aber darf ich annehmen, dass auch die meinigen vergeben sind? Hierauf antwortet Johannes mit den Worten: „…Nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt.“ Zur „ganzen Welt“ gehören nicht nur Petrus, Paulus, Johannes und andere Heilige, sondern der Welt gehört alles an, was Mensch heißt. Untersuche nur, ob du ein Mensch bist, dann darfst du dessen gewiss sein, dass auch deine Sünden durch Christi Tod gesühnt und weggenommen sind.

            „Aber“, dürftest du einwenden, „dessen darf ich mich wohl nicht trösten außer wenn ich wirklich fromm gewesen bin und getan habe, was das Wort Gottes fordert? Im Gegenteil, hier sagt der Apostel: Wenn jemand sündigt, dann haben wir einen Fürsprecher beim Vater.

Wir wollen gern die Versöhnungsgnade glauben und hoch schätzen. Doch trösten wir uns der Gnade nur dann, wenn wir ein gelungenes Christentum aufweisen können. Sobald wir indessen gefallen sind und schwere Sünden erkennen müssen, dann lassen wir Christus und seine Versöhnung nichts gelten. Dann ist uns, als sei Christus nur für die Gerechten gekommen. Antwort: Christus kam für die Sünder, und gerade wenn wir gesündigt haben, ist er unser Fürsprecher. Hieraus folgt, dass wir in einer beständigen Gnade sind, die nicht so schwankt und wechselt wie unsere eigene Frömmigkeit.

Dies ist die Lehre von der täglichen und ewigen Vergebung – so wie die Heilige Schrift sie darstellt. Diese Lehre ist so herrlich und tröstlich, dass kein Heuchler oder falscher Christ sie hören sollte. Wenn sie sie hören, führt sie oft zu ihrem Fall. Sie missbrauchen die Freiheit und „ziehen die Gnade unseres Gottes auf Mutwillen.“

Dennoch dürfen wir die Lehre von der Vergebung der Sünden nicht verschweigen. Sie muss zum Trost für alle elenden, schwachen und verzweifelten Herzen verkündet werden. Solche Herzen schöpfen auch aus der überfließenden Gnade nur erneute Lust und Kraft zur Heiligung. Es heißt ja, dass wer von Gott geboren ist, tut nicht Sünde. Er kann sich nicht der Sünde hingeben. Er kann sie nicht entschuldigen und verteidigen. Ihm ist daran gelegen, täglich seine Sünde zu bekennen und somit täglich der Vergebung der Sünde teilhaftig zu werden. Denn „wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit.