Charles Haddon Spurgeon

Guter Rat für allerlei Leute

Reden hinterm Pflug

 

Angeber

 

Die Kunst des Übertreibens ist heutzutage weit verbreitet. Man hört von Stachelbeeren, die doppelt soviel wiegen wie möglich, und Entenschwärme lassen sich nieder, so oft die Zeitungen Saure-Gurkenzeit haben. Wenn ein Wagen vorüberfährt und es rasselt dadurch der Deckel einer Kaffeekanne einer alten Frau, so wird es als ein Erdbeben verzeichnet. Solche hübschen Phantasiebilder sind durchaus nicht selten. Manche Leute schauen immer nach Wundern aus, und wenn sie sie nicht sehen, so erfinden sie welche. In der Nacht sehen sie Kometen und hören alle Tage eine merkwürdige Geschichte. Alle ihre Maulwurfshügel sind Berge. Alle ihre Enten sind Schwäne. Sie haben die Multiplikation der Zahlen gut studiert und machen freien Gebrauch von ihrer Wissenschaft. Haben sie sechs Köter beieinander gesehen, so schwören sie darauf, hundert Jagdhunde gesehen zu haben. Jawohl, und sie werden rot im Gesicht wie ein Puter, wenn irgendjemand ein wenig skeptisch blickt. Bald werden sie überzeugt sein, dass sie zehntausend Löwen erblickt haben. Denn alles wächst bei ihnen so schnell wie die Pilze nach dem Regen und schwillt ihnen zu Bergen an.

Alles um sie her ist wunderbar. Was aber sie selber betrifft, so ist niemand gut genug, ihnen die Stiefel zu putzen. Sie sind die Creme der Schöpfung. Sie sind so stark wie Simson und können tüchtiger ziehen als des Pflügers Hans Gespann, wollen's aber nicht probieren, weil sie sonst die Stricke zerreißen könnten. Ihr Reichtum ist enorm, sie könnten, wenn sie nur wollten, sämtliche Staatsschulden bezahlen, haben indessen gute Gründe, es vorläufig noch nicht zu tun. Wenn sie einen Laden haben, so setzten sie mehrere Millionen im Jahr um und schränken ihr Geschäft nur aus Mitleid mit ihren Nachbarn ein. Sie verkaufen die besten Waren zu den niedrigsten Preisen, faktisch unter dem Kostenpreis. Und niemand im Lande kann es mit ihnen aufnehmen. Wenn sie Landwirtschaft treiben, so tun sie es nur zu ihrem Vergnügen und um den dummen Bauern zu zeigen, wie man die Sache anzufangen hat. Alle ihre Taten sind wahre Wunder! Wie der Zirkus, der neulich in unserem Dorfe war, sind sie eine ganz „einzigartige, originelle und unübertreffliche“ Erscheinung. Und doch sind sie ein ebenso fauler Schwindel, wie es jene Tierschau war: Das beste daran waren die Bilder, die außen an der Bude angebracht waren, und gerade so steht's mit ihnen. Doch ist es erstaunlich, wie sie den Mund aufreißen können. Man höre sie nur reden! Das geht immer mit Großbuchstaben und mit Ausrufungszeichen. „Haben sie je ein so prächtiges Pferd gesehen, mein Herr? Es läuft schneller als der Wind! Diese Kuh da, ich muss Sie bitten, sie recht in Augenschein zu nehmen, denn es gibt keine zweite derartige in dieser Gegend; sehen Sie nur, wie graziös sie mit dem Schwanz wedelt! Und mein Junge da, der hat einen Kopf – weit über seine Jahre! Ein wahres Wunderkind! Sieht seinem Vater ähnlich, sagten Sie? Sehr gütige Bemerkung von Ihnen, aber viel Wahres daran! Denn glauben Sie mir, derjenige muss früh aufstehen, der es mit mir aufnehmen will! Sehen Sie nur mein Feld an! Haben Sie je solche Rüben gesehen? Die Blätter zerfressen? Durchaus nicht, sieht nur so aus. Es ist eine ganz besondere Art von Rüben, mit Ventilationsblättern, die von Natur durchlöchert sind, um die Luft aus- und einzulassen! Zu viele Maulwurfshügel, meinen Sie? Hat eine besondere Bewandtnis damit. Unsere Maulwürfe sind nämlich eine große Seltenheit. Sie werfen größere Hügel auf als irgendwelche anderen im ganzen Land und sind von einer ganz vorzüglichen Sorte, die sonst ausgestorben ist. Haben Sie diese ungeheure Distel bemerkt? Ist es nicht ein Prachtexemplar? Groß genug, dass ein Schotte vor Freuden stürbe, wenn er sie sähe! Das beweist, was es für ein vorzüglicher Boden ist. Darum war auch unser letzter Weizen, den wir gewonnen haben, so erstaunlich schwer, dass wir gar nicht wussten, wie wir ihn einbringen sollten. Die Wagen ächzten förmlich unter der Last. Die halbe Grafschaft kam zusammen, um beim Dreschen zuzusehen, und die ältesten Leute im Kirchspiel sagten, sie hätten so etwas noch nie erlebt. Gut, dass Maschinen erfunden sind, Menschen hätten ihn niemals dreschen können!“

Wenn jemand in diesem Stil zu reden sich angewöhnt hat, so ist es ihm gleich, worauf er loshämmert, es ist immer das Größte, Schönste und Allerwunderbarste im ganzen Land oder aber das Allerschrecklichste, Entsetzlichste und Fürchterlichste in der Welt. Seine Stiefel würden Goliath nicht passen, aber seine Zunge ist viel zu groß für des Riesen Mund. Er malt mit einem Besen. Er bezuckert einen Pfannkuchen mit einem Spaten und legt seine Butter mit der Kelle auf. Sein Pferd, sein Hund, seine Flinte, seine Frau, sein Kind, sein Gesang, seine Pläne sind lauter Hat's-noch-nie-Gegeben. Er ist der Vordermann von allem; er ist Numero Eins, und es dürfte schwer fallen, einen Menschen zu finden, der Numero Zwei nach ihm sein könnte. Das Wasser aus seinem Brunnen ist kräftiger als Wein; es regnet Erbsensuppe in sein Wasserfass; an seinen Johannisbeersträuchern wachsen Trauben; in seinen Kürbissen kann ein Mann aufrecht stehen, und nun erst seine Blumen! … Hat er doch gehört, dass nur noch die Königin eine solche Geranie hatte wie er, obwohl seine besser ist!

Das Merkwürdige ist, dass Menschen dieses Typs nicht sehen, dass sie jedermann auslacht. Sie müssen blind geworden sein von ihrer Prahlerei. Jedermann sieht ihrer Schüssel auf den Grund und doch, hören sie nicht auf, sie einen Ozean zu nennen, als ob es lauter Dummköpfe wären, mit denen sie es zu tun hätten.

Ich habe Menschen kennen gelernt, die ihren Mund aufrissen wie ein Scheunentor, um sich damit zu brüsten, was sie alles tun wollten, wenn sie in den Schuhen eines anderen steckten. Wenn sie im Abgeordnetenhaus säßen, so wollten sie alle Steuern abschaffen, die Armenhäuser in Paläste verwandeln, aus den Brunnen Bier fließen lassen und die Flüsse in Brand stecken. Aber alles dies hängt von einem Wenn ab und dies Wenn ist ein spitzer Gartenzaun, über den sie noch nie hinweg gesprungen sind. Wenn der Himmel herunterfällt, so werden wir Lerchen fangen können. Wenn Hans Angabe nur die Zügel in die Hände bekommt, wird er die Pferde zum Mond hinauffliegen lassen. Wenn ist ein schönes Wort – wenn ihm ein Mensch auf den Rücken springt, wird es ihn in Welten tragen, die nie geschaffen worden sind, und die Wunder schauen lassen, die nie geschehen sind. Mit einem Wenn kann man ganz London in einen Blumentopf tun.

 

Wenn alle Meere flössen in ein Meer nur hinein,

wie groß würd' dieses Meer wohl sein!

Wenn alle Bäume wüchsen in einen Baum hinein,

wie groß würd' dieser Baum wohl sein!

Wenn alle Äxte sich schmiegten in eine Axt hinein,

wie groß würd' diese Axt wohl sein!

Wenn alle Männer gingen in einen Mann hinein,

wie groß würd' dieser Mann wohl sein!

 

Wenn nun die große Axt ergriff der große Mann

und hiebe damit um den großen Baum alsdann

und ließ ihn fallen in das große Meer,

wie spritzte da das Wasser ringsumher!

 

„Lauter Unsinn!“ ruft hier einer aus. Und so denkt der Pflüger Hans auch, und eben darum teilt er es hier mit als ein Beispiel für die Albernheiten, in die Angeber so gern verfallen. Das hier Mitgeteilte ist noch nicht halb so dumm wie neun Zehntel von den ungeheuren Torheiten, die sie zu Tage fördern. Was haben einige von diesen Prahlhänsen nicht alles getan! Soll man's glauben? (Ich sage: „Nein, ich glaube es nicht!“ Sie haben ihr und anderer Leute Glück im Handumdrehen gemacht. Ihr Rat hat manchen Beutel mit Gold bespickt. Ihre Rede übte eine solche Gewalt auf die Versammlung aus, dass die Leute wie angewurzelt auf ihren Plätzen saßen. Sie waren in einen Disput verwickelt, und als ihre Parteigenossen schon beinahe vollständig geschlagen waren, da warfen sie die ganze Opposition mit einem Mal mit solch außerordentlichem Witz und Verstand über den Haufen – König Salomo war dumm im Vergleich zu ihnen. Was das christliche Leben betrifft, so haben sie es zuerst in ihrer Gegend hervorgerufen und durch ihre erstaunlichen Bemühungen alles in Gang gehalten. Sie haben das goldene Ei gelegt. Die Menschen sind leider undankbar, oder sie würden sie beinahe anbeten. Es ist eine Schande, wie sie beiseite gesetzt worden sind und neulich sogar hinausgeworfen wurden von eben denselben Leuten, die durch sie etwas geworden sind. Solange sie noch die Hand im Spiel hatten, ging alles gut mit der Gemeinde. Seitdem sie aber diese verlassen haben, so sagen sie, ist irgendwo etwas nicht mehr in Ordnung und man sollte nur ein wenig warten, so würde man's schon erleben. Wenn sie eine Anwandlung von Bescheidenheit haben, so nehmen sie Davids Wort in den Mund und sprechen: „Das Land zittert, aber ich halte seine Säulen fest.“ Ihr Tod, denkt man, müsste die ganze Welt in ein Trauerhaus verwandeln. Wenn sie nicht mehr Kunde wären, so müsste man eigentlich sofort sein Geschäft schließen, und es ist reine Unverschämtheit, wenn man noch existieren zu können hofft, nachdem man solche Kunden wie sie verloren hat. Fühlen sie aber ein wenig natürlichen Stolz über ihre großen Taten, dann kann man etwas Ordentliches zu hören bekommen: Sie blasen nicht bloß die Trompete ihres eigenen Ruhmes, nein, sie haben ein vollständiges Orchester zur Verfügung, in dem auch die große Trommel und was sonst dazugehört nicht fehlt, und sie lassen dann alle ihre Instrumente ganz prächtig spielen zu ihrem eigenen Preis und Ruhm.

Ich möchte lieber den ganzen Tag lang pflügen und die Nacht mit dem Wagen auf der Straße festliegen, wenn es so kalt ist, dass einem die Nase abfriert als einem dieser Prahlhänse zuhören. Ich möchte lieber fasten, bis ich so schlaff bin wie ein Wischtuch, als den besten Braten essen, der je auf einen Tisch gekommen ist, und mich dabei von einer schrecklichen Großsprecherei betäuben zu lassen. Sie reden in einem so gewaltigen Ton und vergrößern alles so fürchterlich, dass man ihnen auch dann nicht glauben kann, wenn sie das eine oder andere wahre Wort einschalten. Sie sind große Lügner, aber sind sich dessen kaum bewusst, denn sie haben solange geredet, dass sie an ihren eigenen Bombast glauben. Der Frosch meinte, er wäre so groß wie die Kuh, und fing dann an, sich aufzublasen, um es wahr zu machen. So blähen auch die sich auf und werden auch platzen wie er, wenn sie sich nicht vorsehen.

Wir wollen danach streben, die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu reden. Wenn wir ein Huhn ein Rebhuhn nennen, dann werden wir bald ein Murmeltier einen Ochsen nennen. Fängt man erst an zu übertreiben, so lässt sich nicht vorhersagen, wie weit man kommen wird. Man hat einmal die gerade Straße der Wahrheit verlassen, und niemand kann sagen, wohin einen der krumme Weg führen mag. Wer kleine Lügen ausspricht, wird sich bald nichts aus großen machen, denn das Prinzip ist dasselbe. Wo ein Mauseloch ist, wird auch bald ein Rattenloch sein, und wenn die junge Katze kommt, wird auch die alte bald folgen. Wenn es erst regnet, so gießt es auch zumeist; eine kleine Unwahrheit leitet über zu einem wahren Schauer von Lügen.

Selbstruhm ist keine Empfehlung. Eigenlob stinkt, anderer Lob klingt. Steh auf deinen eigenen Füßen, aber singe nicht dein eigenes Lob. Großsprecherei ist Schaumschlägerei. Lange Zunge, kurze Hand. Viel sprechen, wenig tun. Hunde, die bellen, beißen nicht. Das magerste Schwein grunzt am meisten. Die Henne, die am meisten gackert, legt nicht die meisten Eier. Zwischen Sagen und Tun ist ein großer Unterschied. Je mehr die Kuh blökt, desto weniger Milch gibt sie. Der größte Dreschlärm entsteht, wo kein Weizen ist. Viel Geschrei, wenig Wolle. Viel Schaum, wenig Bier. Trommeln klingen laut, weil sie hohl sind. Wahrhaft fromme Menschen kennen sich selber zu gut, um ihr eigenes Lob zu verkündigen. Kähne ohne Ladung ragen auf dem Kanal hoch empor, aber je voller sie sind, desto tiefer sinken sie. Guter Käse verkauft sich ohne Marktschreierei. Guter Wein braucht keine Reklame. Wenn Menschen wirklich tüchtig sind, so merkt man es, ohne dass es einem gesagt zu werden braucht. Am Prahlen erkennt man den Narren. Den Esel erkennt man an seinem Geschrei. Wenn ein Mensch unwissend ist und den Mund hält, so wird ihn niemand verachten; wenn er aber schwätzt mit leerem Schädel und mit einer langen Zunge, so schreibt er seinen N amen mit großen Buchstaben nieder, und zwar mit folgenden vier: NARR. Die Esel erkennt man an den Ohren, an seinem Geschwätz den Toren.