Christus und sein Friedensreich

Jesaja 11, 1-10

 

 

1 „Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. 2 Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn. 3 Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des Herrn. Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, 4 sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stab seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. 5 Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften. 6 Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. 7 Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. 8 Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter. 9 Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land wird voll Erkenntnis des Herrn sein, wie Wasser das Meer bedeckt. 10 Und es wird geschehen zu der Zeit, dass das Reis aus der Wurzel Isais dasteht als Zeichen für die Völker. Nach ihm werden die Heiden fragen, und die Stätte, da er wohnt, wird herrlich sein.“

 

 

Jesaja ist der erste der großen Propheten. Er erhielt von Gott eine großartige Vision über das, was in der Zukunft geschehen sollte. Das, was er schaute, schrieb er nieder, nicht, wie man das heute vielleicht erwarten würde, in chronologischer Reihenfolge, sondern, auf den ersten Blick gesehen, in wirrem Durcheinander. Es bereitet dem Ausleger deshalb Schwierigkeiten in der Auslegung. Vom Standpunkt des christlichen Betrachters aus gesehen sind viele der Prophetien bereits erfüllt. Andere warten noch auf ihre Erfüllung. Zu ihnen gehören die Weissagungen über das Friedensreich Jesu Christi.

Wenn man beachtet, dass die Propheten oft zwei Bergspitzen wie ein Wanderer aus der Ferne zusammen schauten ohne zu merken, dass dazwischen noch Täler liegen, erklären sich viele Schwierigkeiten. Das, was zunächst wie ein einziges Ereignis aussieht, sind eigentlich zwei zeitlich mitunter weit auseinander liegende Begebenheiten. Um solch eine Zusammenschau zweier Bergspitzen handelt es sich auch bei unserem Abschnitt.

 

Der zeitgeschichtliche Hintergrund des Buches Jesaja

 

Die Wirksamkeit des Propheten Jesaja fällt in die Zeit der Könige Usia, Jotam, Ahas und Hiskia (vgl. Jesaja 1, 1). Seine Berufung erhielt er im Todesjahr des Königs Usia, das laut einigen Fachleuten in das Jahr 739 v. Chr. fällt (vgl. Jesaja 6, 1). Hiskia starb um das Jahr 699 v. Chr. Demnach wirkte Jesaja in der Zeit von etwa 740 bis 701 v. Chr. Andere Historiker dagegen datieren das Todesjahr Usias in die Zeit von 758 und das Ende der Regierungszeit Hiskias auf das Jahr 638, so dass Jesaja in der Zeit von 758 bis 638 v. Chr. gewirkt haben müsste.

Es war eine Zeit großer politischer Spannungen. Ägypten, Assyrien und auch schon Babylon kämpften um die Vorherrschaft im Nahen Osten. Israel war geteilt in das Nordreich mit der Hauptstadt Samaria und das Südreich mit der Hauptstadt Jerusalem. Die Völker um Israel herum befanden sich auf einem moralischen Tiefstand und dienten ihren Götzen. Darin wurden sie Israel zum Vorbild, so dass man zunächst im Nordreich, dann aber auch vermehrt im Südreich anfing, den Fruchtbarkeitsgöttern zu opfern, was mit Tempelprostitution und manchmal sogar mit Kinderopfer verbunden war. Die Weltmacht Assyrien dehnte ihr Territorium ständig aus und unterwarf ein Volk nach dem anderen. Dabei war auch Israel von einer ständigen assyrischen Invasion bedroht. Im Jahre 722 v. Chr. fiel Samaria in die Hände Thiglath-Pilesers. Tausende von Juden wurden in die Verbannung geschickt. Das Nordreich hörte auf zu existieren. Das selbe Schicksal schien Juda zu ereilen, ein Trauma für die Bewohner des Landes. An Grausamkeit tat es ihrer Zeit den Assyrern niemand gleich. Jakob Kroeker bemerkt dazu: „Der Wille zur despotischen Macht beherrschte den König, neben dem man nur Lakaien, Soldaten und Henkersknechte sah. Er war der Gott jeder Welt, die ihm unterlag. Sein Ruhm war der Feind, der geschlagen zu seinen Füßen lag. Ähnliches hatte die alte Welt noch nicht gesehen“ (Jakob Kroeker, Jesaja I, Gießen, Basel: Brunnen-Verlag, 3.Aufl.1976, S.5).

In eine solche düstere Situation hinein erhält Jesaja nun eine Offenbarung, dass Gott die Assyrer als Zuchtrute für die Gottlosigkeit der Völker und Israels benutzen würde. Assyrien sollte aber wegen seiner eigenen Gottlosigkeit selbst auch nicht ungestraft bleiben. Um Israel zu trösten, gibt Gott eine Schau in die Zukunft, die dem Volk zeigen sollte, dass er es nicht endgültig verworfen hat, sondern dass er noch einen wunderbaren Plan mit ihnen hat. Er wolle den Messias schicken, der einst sein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit aufrichten wird. Die Botschaft Jesajas richtet sich sowohl an das Nordreich Israels als auch an das Südreich Juda.

 

Die Herkunft des verheißenen Messias

 

Auf dem Hintergrund des drohenden oder bereits hereingebrochenen Unheils sieht Jesaja den Messias. Er sieht einen Baumstumpf in der Erde, der plötzlich anfängt zu keimen. Ein kleiner dünner Zweig sprießt aus dem alten knorrigen Stumpf, von dem man kein Leben mehr erwartete. Der dünne Zweig wird zu einem kräftigen Reis, voller Leben und Kraft.

Es stellt sich uns die Frage: Wer ist mit dem Baumstumpf gemeint? Die meisten Ausleger der Schrift sind sich darin einig, dass es sich hierbei um das Königshaus Davids handelt. In Vers 1 wird Isai genannt. Isai war der Vater Davids (vgl. 1. Samuel 16, 12-13). Nach der Verwerfung Sauls wurde David zum König über Israel gesalbt und nahm nach dessen Tod den Thron Israels ein. Seit dieser Zeit regierten die Nachkommen Davids von Jerusalem aus, zunächst über das Gesamtreich, später über das Südreich Juda. Juda und das Haus Davids würden später das Gericht erleben, das in voller Wucht in Jahre 586 v. Chr. über Jerusalem hereinbrach. Das zur Weltmacht angewachsene Babylon zerstörte die Stadt Jerusalem und machte Juda zu einem Teil des Reiches. Seit dieser Zeit lag das Königshaus Davids in Trümmern. Zedekia war der letzte Nachkomme Davids, der über ein freies Juda regierte (vgl. 2. Könige 24, 18ff.). Das Königshaus Davids sank mit der Machtübernahme der Babylonier zur Unbedeutsamkeit herab. Der große stolze Baum war damit gefällt. Das Gericht war über ihn gegangen. „Als das Volk erst aufhörte, jene gottgewollte Mission innerhalb der Geschichte zu erfüllen, für die es als eine eigene Schöpfung Gottes in die Völkerwelt gepflanzt worden war, musste es fallen... Ergeht erst das selbe Gericht auch über die stolzen Weltmächte,... dann stürzen sie endgültig zusammen. Nicht aber Israel-Juda. Denn der Stumpf, der trotz seines beraubten Stammes und seiner verbrannten Äste und Zweige doch noch von einer lebendigen Wurzel getragen wird, treibt einen neuen Schössling“ (Ib., S.121-122).

Dass der Baum abgehauen ist und nur noch ein Stumpf da ist, bedeutet also nicht, dass das Königshaus Davids völlig zerstört ist. Der Stumpf in der Erde hat eine lebendige Wurzel. Diese Wurzel ist die Israel auf ewig gegebene Verheißung und das Gesetz Gottes, das nicht gebrochen werden kann. Die zweite Frage, die sich stellt, lautet: Wer ist das in Vers 1 erwähnte Reis? Sind sich die Ausleger im allgemeinen darüber einig, dass der Stamm das davidische Königshaus ist, so gehen die Meinungen darüber, wer der Zweig ist, auseinander. „Wer ist der wunderbare Knabe, der das Heil der Zukunft bringt?“ fragt Hans Schmidt und schreibt dann weiter: „Die erste Antwort, die dieses Gedicht gibt, lautet: Es ist der König David selbst. Denn so muss man doch wohl das Bild von dem Reis, das aus dem Stumpf Isais aufsprießt, verstehen. Wäre, wie man gewöhnlich annimmt, einfach an einen Prinzen aus dem davidischen Haus gedacht, so wäre das Zurückgreifen auf Isai, den Vater Davids, unverständlich“ (Hans Schmidt, Die großen Propheten, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1915, S.117). Dieser Deutung schließen wir uns nicht an! Es gibt nämlich keinen plausiblen Grund, warum Jesaja den König David selbst als den zukünftigen Messias hinstellen sollte. David war längst gestorben und hat wie jeder bereits abgeschiedene Mensch keinen Einfluss mehr auf das Geschehen auf Erden. Das Zurückgreifen auf Isai ist durchaus verständlich, da Isai der Stammvater Davids und damit der Ursprung des davidischen Königshauses ist.

Verfolgt man die Geschichte weiter, so stellt man fest, wer dieser Knabe ist: Es ist der Messias, Christus, der vor nun fast zweitausend Jahren in einem abgelegenen Dorf - Bethlehem - in der römischen Provinz Judäa, als Nachkomme Davids geboren wurde. Jesaja „will andeuten, dass der davidische Stamm auf seine vordavidische Stufe, da er nur der Stamm des obskuren bethlehemitischen Bürgers war, reduziert sein wird. Diese Bedeutung scheint mir richtiger als die andere, nach welcher der Messias als der zweite David bezeichnet werden soll, denn er ist dieses nicht eben, sondern nach und aus dem ersten. Ist ja doch der Messias Sohn Davids“ (Carl Wilhelm Eduard Naegelsbach, Der Prophet Jesaja, Bielefeld, Leipzig: Verlag von Velhagen u. Klasing, 1877, S.146).

Jesus ist der Zweig aus dem Stumpf Isais, „was seine unbekannte Herkunft und seine Niedrigkeit anzeigt, denn das Haus Davids war zur Zeit der Geburt Jesu arm und unbekannt“ (Merrill F. Unger, Die Propheten, Wetzlar: Verlag Hermann Schulte, Band 3, 2.Aufl. 1970, S.30). Die Geschlechtsregister Jesu in Matthäus 1, 1-17 und Lukas 3, 23-38 zeigen klar, dass das, was Jesaja in Vers 1 geweissagt hat, in Jesus Christus erfüllt ist! Somit fällt Vers 1 in die Zeit des ersten Kommens Jesu Christi auf die Erde und ist bereits erfüllt.

 

Die Erfüllung des verheißenen Messias mit dem Heiligen Geist

 

„Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn“ (V.2).

 

Das Ereignis seiner Erfüllung mit dem Heiligen Geist

 

Soeben haben wir festgestellt, dass sich Vers 1 mit dem ersten Kommen Jesu Christi auf die Erde vor nun fast 2000 Jahren erfüllt hat. Vers 2 redet von seiner Erfüllung mit dem Heiligen Geist. Wann aber wurde Jesus mit dem Heiligen Geist erfüllt? Wann begann der Geist des Herrn, auf Jesus zu ruhen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir einen Blick in das Neue Testament werfen. Von der Geburt Jesu an bis zu seinem 30. Lebensjahr ungefähr war es still um Jesus herum. Nichts Besonderes wird uns berichtet. In Stille und Ehrfurcht diente er seinen Eltern und lernte den Beruf des Zimmermanns. Doch dann änderte sich die Lage plötzlich.

Johannes der Täufer trat an einsamen Orten am Jordan auf, gekleidet in Kamelhaar und predigte, die Leute sollten sich bekehren und taufen lassen. Massen von Menschen strömten zu ihm, um ihre Sünden zu bekennen und sich von ihm im Jordan taufen zu lassen. Eines Tages war auch Jesus unter ihnen. Johannes erkannte ihn als den Messias und wollte ihn zunächst nicht taufen, weil er wusste, dass Jesus sündlos war. Jesus aber bestand darauf, von Johannes getauft zu werden. Es heißt dann weiter in Lukas 3, 21-22: „Und es begab sich, als sich alles Volk taufen ließ und Jesus auch getauft war und betete, da tat sich der Himmel auf, und der Heilige Geist fuhr hernieder in leiblicher Gestalt auf ihn wie eine Taube, und eine Stimme kam aus dem Himmel, die sprach: ‚Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.’“ Dies ist der Augenblick, wo Jesus mit dem Geist erfüllt wurde.

 

Das Resultat seiner Erfüllung mit dem Heiligen Geist

 

Die Taufe Jesu im Jordan war das Ereignis, seit dem sich das Leben Jesu in Bezug auf seine Wirksamkeit völlig änderte. Er wurde nicht nur im Wasser, sondern auch im Heiligen Geist getauft. Er war regelrecht eingehüllt in die Kraft des Geistes, der von da an begann, auf ihm zu ruhen und ihn nie wieder zu verlassen. Mit dem Kommen des Geistes verbunden sind auch die Gaben des Heiligen Geistes. Wenn ein Mensch sich zu Jesus bekehrt, erhält er eine oder mehrere Gaben. Aus der „Charis“, der Gnade, fließt das „Charisma“, die Geistesgabe. Bei Jesus dürfte der Fall etwas anders gelagert sein. Da er der Sohn Gottes ist, vereinigte er wohl alle Gaben des Geistes in seiner Person. Die Zahl sieben hat in der Heiligen Schrift die Bedeutung der Vollkommenheit. Martin Luther deutete die Eigenschaften des Geistes, die in Vers 2 genannt werden, als Sinnbild und Symbolik auf die Vollkommenheit der Gaben des Geistes, die Jesus ausübte. Deshalb konnte er in seinem Lied „Komm, Gott Schöpfer, Heilger Geist“ in Strophe 4 singen: „Du bist mit Gaben siebenfach der Fing’r an Gottes rechter Hand“. Ist aber die Beziehung der Siebenfältigkeit zu Vers 2 zulässig? Es werden doch nur sechs Gaben genannt?

„Wenn man unter dem Geist des Herrn mit vielen würdigen Auslegern und mit der Überlieferung der älteren Kirche eine besondere Gabe, die Gabe der Weissagung versteht, so kann man hier sieben Gaben des Heiligen Geistes zusammenstellen, die siebenfältige Gabe... Aber so gewiss sonst die Zahl sieben in der Heiligen Schrift oft als bedeutungsvolle heilige Zahl vorkommt, so ist doch hier die Beziehung erkünstelt. Es sind hier sechs Gaben, die der eine Geist enthält und mitteilt, genannt, oder genauer drei Paare, welche den wahren König des Gottesreiches zum rechten Wissen, Können und Wollen befähigen“ (August Dächsel, Das Alte Testament mit in den Text eingeschalteter Auslegung, Breslau: Verlag von Carl Dülser, Band 3, 1871, S.42).

Wiewohl in Jesus die ganze Fülle des Heiligen Geistes und der Gaben wohnte, ist festzuhalten, dass Jesaja hier wohl nicht so sehr die Vollkommenheit und die Fülle der Gaben betonen will, sondern die Gaben, die von besonderer Wichtigkeit für Jesu Regierungstätigkeit im tausendjährigen Reich sein werden. Jesaja hat ja, wie bereits festgestellt, zwei Bergspitzen zusammen geschaut. Vers 1 erfüllte sich bei Jesu erstem Kommen in die Welt von Weihnachten bis zu seiner Kreuzigung, ebenso Vers 2 teilweise. Von Vers 3 an bis Vers 10 lässt uns Jesaja einen Blick in das tausendjährige Reich tun. Somit weisen die sechs Gaben der Weisheit, des Verstandes, des Rates, der Stärke, der Erkenntnis und der Furcht des Herrn in Richtung tausendjähriges Reich. Es sind dies alles Gaben, die jeder Machthaber dieser Welt für die Regierung und Verwaltung seines Landes dringend braucht. Jesaja zeichnet hier das Bild des Messias-Königs, der mit Recht und Gerechtigkeit über die Welt regieren wird.

 

Das messianische Reich: Die Gerechtigkeit triumphiert!

 

„Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande“ (V.3b-4a).

Mit diesen Versen lässt uns Jesaja einen Blick in den letzten Zeitabschnitt der Menschheitsgeschichte, in das tausendjährige Reich, tun. Auf dem Hintergrund des bisher Gesagten könnte man nun einwenden, dass sich die Verse 3 bis 4 ebenso auf Jesu Erdentage beziehen können. Dies ist teilweise richtig. Da Jesus Gottes Sohn ist und ein sündloses Leben führte, hat er folgerichtig nicht nach dem geurteilt, was er vor Augen sah. Auch das Urteil, das er gesprochen hat, war ein richtiges. Aber ein großer Unterschied besteht zwischen Jesu erstem Kommen in die Welt und seiner Regierungstätigkeit im tausendjährigen Reich. Wir lesen in Johannes 3, 17: „Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.“ Bei seinem ersten Kommen auf die Erde hatte er den Auftrag, die Welt zu retten. Die Verse 3 bis 4 hingegen reden davon, dass Jesus richtet.

Die Richtertätigkeit Jesu beginnt bei seiner Wiederkunft in Macht und Herrlichkeit, wenn er sein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit auf Erden aufrichtet. Dieser Zeit voran geht die schreckliche Trübsals- und Drangsalszeit, in der der Antichrist als das satanische Gegenstück von Christus auf Erden regieren wird. Deshalb sehen viele Ausleger in Vers 4b - „Er wird mit dem Stab seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten“ - das Gericht über den Antichristen: „Gewalttätiger“ und „Gottloser“ „fassen von dem Chaldäer an viele Ausleger nicht bloß im kollektiven Sinn, sondern zugleich (oder sogar ausschließlich, z. B. Delitzsch) im Sinne von 2. Thessalonicher 2, 8 als Bezeichnung einer eschatologischen (d. h. endgeschichtlichen) Person, in welcher die Feindschaft gegen Gott gipfeln wird“ (Naegelsbach, op. cit., S.147) auf. Nach der Vernichtung des Antichristen und der antichristlichen Macht beginnt das tausendjährige Reich. „Das wird Theokratie, Gottesherrschaft auf Erden sein. In dieser findet alsdann auch der Ärmste und Geringste seinen Platz... Auftretende Übeltäter werden sich verurteilt und gerichtet sehen durch den Hauch seines Mundes“ (Kroeker, op. cit., S.125).

Was ist nun mit dem Hauch seines Mundes gemeint? „Der Stab seines Mundes ist das Wort, welches aus seinem Mund geht, und der Hauch seiner Lippen ist dasselbe. Denn sein Wort ist ja eben das, was seine Lippen (Geist) ausatmen“ (Naegelsbach, op. cit., S.147). Die Gerechtigkeit Gottes wird in solch einer Weise triumphieren, dass es in ganz Jerusalem und um den Berg Zion keine Sünde mehr geben wird (vgl. V.9a). Welch ein Kontrast ist das zwischen den politischen Wirren, in denen sich Israel zur Zeit der Niederschrift unseres Abschnittes befand, und dieser grandiosen Schau in die Zukunft Israels und der Welt! Welch eine Botschaft der Hoffnung und der Verheißung für das Volk Gottes!

 

Das messianische Reich: Der Friede in der Tierwelt ist wieder hergestellt

 

Nicht nur, dass Jesaja schaut, wie Jesus mit Gerechtigkeit regiert und alles Unrecht beseitigt, noch mehr: Er sieht, wie der Friede in der Tierwelt wieder hergestellt wird. „Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder, und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter“ (V.6-8).

Paradiesische Zustände werden hier beschrieben. Wie es von Anfang der Schöpfung war, so wird es im tausendjährigen Reich wieder sein. Adam und Eva wurden sündlos geschaffen. Im Paradies gab es nichts Böses, was die Harmonie störte. Kein Tier fraß das andere auf, um zu überleben. Es galt nicht das Sprichwort: „Was des einen Brot, ist des anderen Tod“. Der Schwächere war nicht die Beute des Stärkeren. Die Schöpfung war ursprünglich vegetarisch (vgl. 1. Mose 1, 29-30). Erst nach der Sintflut gab Gott dem Menschen das Recht, Tiere zu schlachten und ihr Fleisch zu essen (vgl. 1. Mose 9, 3-4). Im Gegenzug legte er Furcht und Schrecken vor dem Menschen in die Tierwelt (vgl. 1. Mose 9, 2). Aus diesem Grund kann es auch niemals eine Evolution der Arten gegeben haben, so wie das heute fälschlicherweise weithin gelehrt wird. Gott hat den Menschen nicht in Jahrmillionen aus einem Urzeller über eine lange Kette von Arten, zuletzt dem Affen, entwickelt! Niemals! Es ist ein Zeichen des geistlichen Niedergangs, dass diese dämonische Lehre auch in gläubigen Kreisen angenommen wird. Um eine Evolution zu konstruieren, braucht man den Tod, und den gab es vor dem Sündenfall nicht! Römer 5, 12 lehrt uns das eindeutig: „Deshalb, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und der Tod durch die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben.“ Lehren wie die Evolutionstheorie gehören zu den in 1. Timotheus 4, 1 erwähnten verführerischen Geistern und Lehren der Teufel! Es steht zu befürchten - und wehe dem Gläubigen, auf den dies auch zutrifft -, dass auf unsere Zeit hindeutend vorausgesagt ist, was in 2. Timotheus 4, 2-3 beschrieben wird: „Es wird eine Zeit kommen, da sie die heilsame Lehre nicht ertragen werden; sondern nach ihren eigenen Gelüsten werden sie sich selbst Lehrer aufladen, nach denen ihnen die Ohren jucken, und werden die Ohren von der Wahrheit abwenden und sich den Fabeln zukehren.“

Werden wir doch nur einmal richtig wach: An der Frucht erkennt man den Baum! Und was ist die Frucht der Evolutionstheorie? Es sträubt sich einem fast die Feder, davon zu schreiben! Auf die Evolutionslehre hat ein Joseph Stalin gebaut. Und der Weg des Kommunismus ist gepflastert mit Millionen von Leichen! Hitlers Nationalsozialismus unterlag die Evolution. Das Ergebnis waren allein 6.000.000 ermordete unschuldige Juden! Maos neues China baute auf die gleiche Lehre. Wieder sprachen die Waffen und hinterließen Tote in zweistelliger Millionenhöhe. Und wie ist es heute? In allen deutschen Schulen wird noch immer die gleiche Lehre entgegen den Fakten als wissenschaftlich bewiesene Tatsache verkauft. Wundert es da noch, dass jährlich ca. 300.000 der Wehrlosesten und Unschuldigsten, der ungeborenen Kinder, auf grausame Art und Weise ermordet werden? Weltweit sollen es jährlich 20.000.000 und mehr sein. Wenn sich natürlich alles nur durch Zufall einfach so aus dem Nichts entwickelt hat, dann hat der Mensch wirklich das Recht, so zu handeln, wie er es tut. Dann hat der Schwächere halt Pech gehabt. Dann dient sein Tod dem Fortschritt und der Höherentwicklung des Stärkeren. Dann wird der Mensch auch nicht nach seinem Tod von einem gerechten Gott zur Verantwortung gezogen. Welch eine Verblendung! Welch ein Wahn!

Im Paradies genasen die Menschen den Frieden und die Gemeinschaft mit Gott. Doch dieser Zustand änderte sich, als die beiden ersten Menschen den Versuchungen und Einflüsterungen des Satans nachgaben und von der verbotenen Frucht nahmen. Die Folge war, dass das Paradies verloren ging, geistlich sowohl als auch materiell. Mit Jesu Kommen wird diese Fehlentwicklung wieder rückgängig gemacht. Als er am Kreuz starb, machte er den Weg zum Paradies, geistlich gesehen, wieder frei. Bei seinem zweiten Kommen wird der Weg zum Paradies auch wieder materiell gebahnt werden.

Was kann sich ein Mensch mehr wünschen, als dass Wolf und Lamm, Panther und Bock, beieinander liegen, wie dies im tausendjährigen Reich der Fall sein wird? Da besteht keine Gefahr mehr, sein Leben durch ein wildes Tier zu verlieren. Die ganze Natur wird wieder ausgeglichen sein. Man wird nicht mehr von Umweltverschmutzung reden, von verpesteter Luft, von giftigem Wasser und von Abgasen. Kinder schon werden Tierarten, die sich jetzt spinnefeind sind, zusammen in großen Herden weiden und auf saftigen Auen lagern. Auch Naturkatastrophen, Kriege und Hunger werden aufgehört haben. „Die Schlangen haben keine Giftzähne mehr. Unbesorgt kann eine Mutter das Kind, das sie an der Brust hat, neben dem Schlupfloch einer Otter niederlegen. Ungefährdet greift das Händchen eines kleinen Knaben nach dem Feuerauge eines Basilisken... Aller Kampf ums Dasein ruht“ (Schmidt, op. cit., S.118). Die Zustände, wie sie hier beschrieben werden, sind es, nach denen sich alle Menschen und Völker der Erde bewusst oder unbewusst sehnen. Von allen Seiten hört man den Ruf nach Frieden. Doch was geht in der Welt vor sich? Krieg, Unrecht, Mord und Totschlag, Hass und Streit. So sehr sich die Politiker und Machthaber dieser Erde auch darum bemühen, den Frieden auf die Erde zu bringen, es wird ihnen nicht gelingen, weil sie den nicht kennen, der der Friedefürst ist und der allein der Welt Frieden bringen kann und bringen wird: Jesus Christus. Der Mensch kann nur die Symptome der Sünde bekämpfen, Jesus hat die Wurzel des Übels vernichtet und ist deshalb die einzige Hoffnung für die Welt!

 

Das messianische Reich: Die Erkenntnis Gottes erfüllt die Erde

 

„Das Land wird voll Erkenntnis des Herrn sein, wie Wasser das Meer bedeckt. Und es wird geschehen zu der Zeit, dass das Reis aus der Wurzel Isais dasteht als Zeichen für die Völker. Nach ihm werden die Heiden fragen, und die Stätte, da er wohnt, wird herrlich sein“ (V.9b-10).

Selbst die Menschen, die in diesem Reich leben, haben Frieden untereinander und mit Gott. In Israel wird sich die Erkenntnis des Herrn zuerst durchsetzen, denn mit dem „Land“ dürfte dieser Fleck Erde gemeint sein. Dann wird vom Zentrum, von Israel aus, das Wort hinausgetragen, „denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem“ (Jesaja 2, 3b). Der Berg Zion wird zu der Zeit die höchste Erhebung auf der Erde sein (vgl. Jesaja 2, 2 u. Micha 4, 1). Jerusalem wird die Hauptstadt der Welt sein, und Jesus wird von dort über die Erde regieren. Die im Zeitalter der Gemeinde Jesu Christi gläubig gewordenen Menschen werden als Botschafter an der Regierungstätigkeit Jesu über die Erde Anteil haben. Das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (vgl. Lukas 19, 11-27) wird dann voll in Erfüllung gehen. Der mit zehn Pfund zu Jesus kommt, wird über zehn Städte gesetzt, der mit fünf Pfund kommt, über fünf Städte. Alles wird gerecht zugehen. Die Erkenntnis Gottes wird sich nicht nur in Israel ausbreiten, sondern über die ganze Erde. Der Prophet Habakuk drückt diese Wahrheit in den ihm eigenen Worten aus: „Denn die Erde wird voll werden von Erkenntnis der Ehre des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt“ (Habakuk 2, 14).

In dieser Zeit wird Jesus für die Völker wie ein Zeichen oder Panier dastehen. „Ein Panier pflegte man auf Bergen oder weithin sichtbaren Hügeln aufzurichten, um das Volk aus irgend einer Ursache dahin zu versammeln oder dass die Flüchtlinge sich dort zusammenfanden, oder dass die auf einen Punkt zusammengezogenen Truppen von da aus den Feind angreifen sollten, oder auch um (eine Art Telegraph) eine Nachricht von etwas zu geben“ (Dächsel, op. cit., S.44). In ähnlicher Weise wird Jesus für die Völker fungieren. Er wird derjenige sein, an dem sich alles ausrichtet, der das letzte Wort hat, der die Angelegenheiten der Völker regeln wird und der die absolute Norm gibt. Aufgrund dieser Erkenntnis Gottes werden die Völker aufhören, sich gegenseitig zu bekriegen, denn sie erkennen Gott als oberste Autorität an. Es heißt in Micha 4, 3-4: „Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen Ländern. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Ein Jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und niemand wird sie erschrecken, denn der Mund des Herrn Zebaoth hat’s geredet.“

Als Letztes in unserem Abschnitt schreibt Jesaja noch, dass die Stätte, wo Jesus wohnt, herrlich sein wird. Was ist nun mit dieser Stätte gemeint? Hat Jesus seinen Thron nicht im Himmel? In Offenbarung 21 und 22 wird uns von dem himmlischen Jerusalem berichtet. Es besteht kein Zweifel darüber, dass dieses himmlische Jerusalem nicht mit dem irdischen Jerusalem identisch ist. Viele Ausleger der Schrift sind der Auffassung, dass sich das himmlische Jerusalem mit dem Jerusalem des tausendjährigen Reiches verbinden wird oder irgend wie über ihm stehen wird. Wenn dem so ist, wird der Einfluss des Himmlischen von Jerusalem aus umso direkter sein. Die Trennwand zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt wird dann nur hauchdünn sein und ein ständiger Verkehr zwischen beiden Welten herrschen. Hier werden Dinge angesprochen, die für unser heutiges Verständnis unfassbar sind! Um wie viel größer wird die Herrlichkeit einst sein! Jerusalem und der Thron Jesu Christi werden herrlich und in aller Welt bekannt sein! Das Wort aus Psalm 87, 1-3 wird dadurch nur noch bestätigt: „Sie ist fest gegründet auf den heiligen Bergen. Der Herr liebt die Tore Zions mehr als alle Wohnungen in Jakob. Herrliche Dinge werden in dir gepredigt, du Stadt Gottes.“

 

Was wir aus unserem Bibelabschnitt lernen können

 

Wir haben festgestellt, dass Jesaja das elfte Kapitel seines Buches in einer Zeit politischer Wirren und Zerwürfnisse abgefasst hat. Wie ein Wanderer schaut er aus der Ferne zwei Bergspitzen zusammen. Seine Vision gibt er als Trost an das geplagte Volk Israel weiter. Auf dem Hintergrund politischer Angst malt er das Bild einer herrlichen Zukunft mit Jesus Christus als dem Messias, der von Jerusalem aus über die ganze Welt regiert, der erfüllt vom Heiligen Geist mit Gerechtigkeit herrscht. Die Erkenntnis Gottes wird die Welt wie Wasser das Meer bedecken. Selbst der Friede in der Tierwelt wird wieder hergestellt sein.

Mit diesen Worten tröstet Jesaja nicht nur die Gläubigen des alten, sondern auch die des Neuen Bundes und ermahnt sie beide, in schwerer Zeit das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Auf Jeden, der auf Gottes Seite steht und ihm die Treue hält, wartet noch eine großartige Zukunft! „Nun aufwärts froh den Blick gewandt und vorwärts fest den Schritt! Wir gehn an unsers Meisters Hand, und unser Herr geht mit. Vergesset, was dahinten liegt und euren Weg beschwert; was ewig euer Herz vergnügt, ist wohl des Opfers wert. Und was euch noch gefangen hält - o werft es von euch ab! Begraben sei die ganze Welt für euch in Christi Grab! So steigt ihr frei mit Ihm hinan zu lichten Himmelshöhn. Er uns vorauf, Er bricht die Bahn - wer will ihm widerstehn? Drum aufwärts froh den Blick gewandt und vorwärts fest den Schritt! Wir gehn an unsers Meisters Hand, und unser Herr geht mit“ (August Herrmann Franke, 1853-1891).