Die Rechtfertigung allein aus Gnaden und ihre Folgen

(Predigt über Galater 2, 11-21)

 

Gliederung

1. Folgen für den Umgang mit anderen (Galater 2, 11-16)

2. Folgen für den Umgang mit der Sünde (Galater 2, 17-18)

3. Folgen für die neue Lebensausrichtung (Galater 2, 19-21)

 

Einführung

Der Predigtabschnitt stellt gewissermaßen das „Kernstück“ des Galaterbriefs dar. Es geht dabei zentral um die Frage, wie der Mensch (Jude oder Nicht-Jude) vor Gott gerecht werden und ewiges Leben erlangen kann. Was muss jemand vorzeigen, um „echter Christ“ zu sein? Und nach welchem Maßstab beurteilen wir unser geistliches Leben und derjenige der anderen?

Für Paulus geht es darum, dass Jesus Christus das Zentrum unseres Lebens wird und dass wir erkennen, dass wir durch seine Gnade allein Sündenvergebung und ein neues Leben erlangen können. Diese Erkenntnis wird auch meinen Maßstab zur Beurteilung anderer Menschen ändern. Und sie macht frei vom Egoismus – der manchmal auch sehr „geistlich“ geprägt sein kann.

 

1. Folgen für den Umgang mit anderen (Galater 2, 11-16)

Offenbar handelt es sich an dieser Stelle um ein Ereignis nach der ersten Missionsreise des Paulus (ca. 47/8–48/9 n. Chr.), während der Jerusalem-Besuch, den Paulus in Galater 1, 1ff. erwähnt, vor der ersten Missionsreise stattfand und offenbar mit dem Besuch, von dem in Apostelgeschichte 11, 28-30 berichtet wird, identisch ist. Wie Apostelgeschichte 15, 1ff. zeigt, führt der „Zwischenfall“ in Antiochia, von dem in Galater 2, 11ff. die Rede ist, zum „Apostelkonzil“ in Jerusalem (wohl 49 n. Chr.). Dabei ging es (fast am Anfang der missionarischen Reisen des Apostels Paulus) um wesentliche Fragen in Bezug auf die „Heidenmission“. Es ging vor allem um die Frage, wie die Beschneidung in Bezug auf den Glauben an Jesus Christus bewertet wird: Sollen Judenchristen diese von „Heiden“, die zum Glauben an Jesus Christus kommen, verlangen oder nicht? Zudem ging es um die Bewertung der jüdischen Reinheitsvorschriften (z. B. in Bezug auf das Essen). Wie können Juden- und Heidenchristen echte Gemeinschaft haben, und das auch beim gemeinsamen Essen trotz der sehr unterschiedlichen Hintergründe, ohne dass der anderen Seite falsche Erwartungen aufgezwungen werden?

Bevor Petrus bereit gewesen war, ins Haus des römischen Hauptmanns Kornelius in Cäsarea (Maritima) zu gehen (vgl. dazu Apostelgeschichte 10, 1ff.), hatte Gott ihm in einer klargemacht, dass er nicht das, was Gott gereinigt hat, für unrein halten (vgl. Apostelgeschichte 10, 10ff.). Dabei geht es um das Essen von Tieren, die im Alten Testament als „unrein“ bezeichnet werden (vgl. z. B. 3. Mose 7, 21; 11, 23ff.). Wie soll man diesen „Widerspruch“ einordnen? Eine Erklärung dafür finden wir in Markus 7, 1ff. Dabei geht es um jüdische Reinheitsvorschriften in Bezug auf das Essen. Jesus betont in dem Zusammenhang, dass nicht das Essen, das durch den Mund in den Magen kommt, den Menschen verunreinigt, weil es sein Herz nicht verunreinigt (vgl. Markus 7, 18f.). In Markus 7, 19b lesen wir dazu folgenden Kommentar: „… womit er alle Speisen reinigte“ (vgl. auch Apostelgeschichte 10, 15; 11, 19). Im Alten Testament waren gewisse Tiere nicht für den Altar (Opfer) bestimmt und deshalb „unrein“. Unrein sind jedoch nicht die Tiere an und für sich, weil sie alle von Gott geschaffen sind, und alles, was Gott geschaffen hat, ist gut (vgl. auch 1. Timotheus 4, 3-5). Unrein war vielmehr der Zugang des Menschen zu diesen Tieren wegen der Sünden des Menschen. Und weil gewisse Tiere für die Opfer bestimmt waren, war der Zugang des Menschen durch die Vergebung der Sünden auf Grund der Opfer zu diesen Tieren gereinigt. Und weil Jesus Christus das vollkommene Opfer Gottes ist, das die Sünden der Welt auf sich genommen hat, wodurch echte Vergebung möglich ist (vgl. Johannes 1, 29), hat der Mensch, der durch ihn Vergebung seiner Sünden empfangen hat, reinen Zugang zur Schöpfung Gottes und damit auch zu allen Tieren. So schreibt Paulus in Titus 1, 15: „Den Reinen ist alles rein; den Befleckten aber und Ungläubigen ist nichts rein, sondern befleckt ist sowohl ihre Gesinnung als auch ihr Gewissen.“ Und in 1. Timotheus 4, 4-5 ergänzt er: „Denn jedes Geschöpf Gottes ist gut und nichts verwerflich, wenn es mit Danksagung genommen wird; denn es wird geheiligt durch Gottes Wort und durch Gebet.“

In der „rabbinischen“ Tradition, die Jesus als „Überlieferung der Menschen“ bezeichnet (vgl. Markus 7, 8), wurde diese Unterscheidung, wie sie von Jesus und den Aposteln gemacht wird, nicht gesehen. „Es gibt zwei Lehren (thoroth, Plural von thorah), um zu bestätigen, dass Abraham selbst das geringste mündliche Gebot beobachtet hat“ (Midr. Ber. Rab. 64 zu Gen 26, 5). „Sogar die Vermischung der Speisen beobachtete man im Hause Abrahams“ (Midr. Tanch., Ber. 3, 1; vgl. Midr. Tanch., Ber.  3, 14; tJoma 28b). In einer ähnlichen Tradition war Petrus sicher auch aufgewachsen. Inzwischen hatte er aber begriffen, dass die göttlichen Maßstäbe anders sind und dass Gott das Herz anschaut (vgl. auch Apostelgeschichte 15, 8). Doch als Petrus in Antiochia war und einige Personen anscheinend im Auftrag des (Herrenbruders) Jakobus kamen, obwohl Jakobus sie nicht gesandt hatte (vgl. Apostelgeschichte 15, 24), beugte auch ein Apostel Petrus sich und aß nicht länger mit den Heidenchristen zusammen. Darin sah Paulus einen Bruch mit der Wahrheit des Evangeliums (vgl. Galater 2, 14). Wie ist das gemeint?

Auf die Einzigartigkeit dieses Evangeliums (= „Frohe Botschaft“) von Jesus Christus war Paulus bereits in Galater 1, 6-9 eingegangen. Dieses Evangelium besteht darin, dass Jesus Christus auf Grund von einem Kreuzestod und seiner Auferstehung allein die Grundlage des Heils für Juden und Nicht-Juden ist. Juden und Nicht-Juden brauchen durch ihn eine Reinigung des Herzens durch die Vergebung der Sünden (vgl. Epheser 2, 1ff.). Wenn Paulus in gemäß Galater 2, 15 zu Petrus sagt: „Wir [sind] von Natur Juden und nicht Sünder aus [den] Nationen/Heiden“, so will er damit nicht sagen, dass die Juden von Natur aus keine Sünder seien (vgl. dazu u. a. Römer 3, 9.23; 5, 12; Epheser 2, 3). Vielmehr spricht er an dieser Stelle den jüdischen Maßstab zur Beurteilung der Menschen an, und nach diesem Maßstab war Paulus vor seiner Hinwendung zu Jesus Christus sogar „untadelig“ (vgl. Philipper 3, 6), und andererseits kann er betonen, dass er der „erste Sünder“ war (weil er ein Lästerer und Verfolger derer war, die an Jesus Christus glaubten), der Gnade empfangen hat und durch Jesus Christus gerettet wurde (vgl. 1. Tim 1, 13-15). Und Paulus ergänzt in 1. Tim 1, 16: „Aber darum ist mir Barmherzigkeit zuteilgeworden, damit Jesus Christus an mir als dem ersten die ganze Langmut beweise, zum Vorbild für die, welche an ihn glauben werden zum ewigen Leben.“

In Galater 2, 16 betont Paulus Petrus gegenüber:

„Da wir [als Juden] wissen, dass der Mensch nicht aus Gesetzeswerken gerechtfertigt wird, sondern nur durch den Glauben an Christus Jesus, haben wir auch an Christus Jesus geglaubt, damit wir aus Glauben an Christus gerechtfertigt werden und nicht aus Gesetzeswerken, weil aus Gesetzeswerken kein Fleisch gerechtfertigt wird“ (vgl. auch Römer 3, 20).

Damit ist das Bestreben vieler Juden angesprochen, durch das Halten von „Gesetzeswerken“ – wie z. B. der Beschneidung – vor Gott gerecht zu werden (wie das z. B. in Qumran-Texten zum Ausdruck kommt). Paulus ist überzeugt, dass das nie der Sinn der Gesetzgebung durch Mose war. Vielmehr wollte dieses „Gesetz“ von Anfang an auf Jesus Christus hinweisen (vgl. z. B. Römer 3, 28-31; 9, 30f.; Galater 3, 1ff.). Damit wird auch klar, dass die Rechtfertigung ohne „Gesetzeswerken“ nicht nur die „Heiden“ betrifft, sondern auch die Juden (im Gegensatz zur Ansicht mancher Vertreter der „Neuen Paulusperspektive“). Petrus hat Paulus offenbar auch so verstanden, wenn er (kurz nach der Abfassung des Galaterbriefs) am „Apostelkonzil“ von Jerusalem betont:

„Brüder, ihr wisst, dass Gott [mich] von früheren/ursprünglichen Tagen her unter euch auserwählt hat, dass die Nationen (Heiden) durch meinen Mund das Wort des Evangeliums hören und glauben sollten. Und Gott, der Herzenskenner, gab ihnen Zeugnis, indem er ihnen den Heiligen Geist gab wie auch uns; und er machte keinen Unterschied zwischen uns und ihnen, da er durch den Glauben ihre Herzen reinigte. Nun denn, was versucht ihr Gott, ein Joch auf den Hals der Jünger zu legen, das weder unsere Väter noch wir zu tragen vermochten? Vielmehr glauben wir [als Juden], durch die Gnade des Herrn Jesus in derselben Weise errettet zu werden wie auch jene [als Heiden]“ (Apostelgeschichte 15, 7b-11).

Diese Erfahrung der Gnade Gottes führt in die Freiheit (vgl. Galater 2, 4; 4, 22f.; 5, 1.13). Wer sie erfahren hat, muss weder sich selbst noch andere unter einen falschen religiösen Zwang setzen, nur um den Eindruck zu haben, er stehe so vor Gott besser da. In diesem Zusammenhang betont Paulus in 2. Korinther 5, 16, dass „wir von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch“ kennen. Das bedeutet, dass die Mitmenschen nicht nach der äußeren Erscheinung oder Abstammung beurteilt werden. Vielmehr werden die Mitgläubigen als neue Schöpfung Gottes in Jesus Christus betrachtet (vgl. 2. Korinther 5, 17). Wenn diese Grundlage stimmt, dann kann es in einzelnen Punkten durchaus mal unterschiedliche Ansichten und trotzdem eine echte ungeheuchelte Gemeinschaft geben (vgl. auch Philipper 3, 14-16). Echte geistliche Gemeinschaft ist nach Paulus aber in solchen Fällen nicht möglich, wenn Gläubige ihre Glaubensgeschwister im religiösen Eifer nach anderen Maßstäben beurteilen als vom Kreuz Jesu Christi her und damit als solche, die in der Gnade leben. Diese Gesinnung des Kreuzes ist die Gesinnung der Demut (vgl. Philipper 2, 5ff.), die uns ermöglicht, in echter, ungeheuchelter Liebe miteinander umzugehen (vgl. Philipper 2, 1ff.; Römer 12, 9; 2. Korinther 6, 6; 1. Petr 1, 22).

Diese Freiheit in Jesus Christus ist allerdings nicht eine Freiheit, weiterhin in der Sünde zu verharren, wie Paulus in Galater 2, 17f. betont (vgl. auch z. B. Römer 6, 1ff.; vgl. Galater 5, 13). Durch seinen Kreuzestod hat Jesus Christus die Sünde besiegt, und dieser Sieg soll nun auch das Leben der Gläubigen bestimmen. Grundlage dafür ist die Gnade Gottes.

 

2. Folgen für den Umgang mit der Sünde (Galater 2, 17-18)

Es geht in Galater 2, 17f. um die Frage, wie Gläubige mit der Sünde umgehen. In Römer 5, 21 betont Paulus, dass da, wo die Sünde „überfließend“ ist, auch die Gnade Gottes umso größer ist. Je mehr ein Mensch diese Gnade erkennt, desto mehr wird sie auch imstande sein, seine Sünden zu erkennen und zu bekennen. Und wo das geschieht, gibt es Vergebung der Sünden (vgl. 1. Johannes 1, 9). Das könnte aber auch zu der Einstellung führen, dass man als Christ, der die Gnade erfahren hat, weiterhin in der Sünde leben darf/soll, um die Gnade weiterhin zu erfahren. Das lehnt Paulus in Römer 6, 1ff. jedoch deutlich ab, und auch Galater 2, 18 bringt genau diesen Aspekt in Kürze zum Ausdruck.

Christen sollten verstehen, dass Jesus Christus durch seinen Kreuzestod diese Sünde verurteilt und besiegt hat. Wer durch Jesus Christus Vergebung der Sünden empfängt und Kind Gottes wird, wird damit auch aus der Herrschaft der Sünde befreit (vgl. auch Johannes 8, 34.36). Auch wenn die Sünde ihn immer wieder umstricken will, kann er durch Jesus Christus den Sieg davontragen (vgl. Hebräer 12, 1f.). Genau dieser Aspekt ist es, der in Galater 2, 18 betont wird. Jesus Christus hat in mir die Sünde „aufgelöst“, und ich muss ihre Herrschaft in mir nicht mehr aufbauen. Damit mache ich das Werk Jesu in mir zunichte. In Römer 6, 11 schreibt Paulus: „Schlussfolgert also auch ihr [daraus], dass ihr der Sünde gegenüber tot seid und Gott lebt in Christus Jesus.“ Für Tote gibt es keine Gebote, und wenn die Sünde uns „gebietet“, sollen wir uns ebenso verhalten, dass sie uns gar nichts gebieten kann. Jesus Christus ist der neue Gebieter.

Immer wieder wird der Abschnitt aus Johannes 8, 1-11, wo es um die Ehebrecherin geht, die Jesus nicht verurteilt, herangezogen, um ein Leben als Christ in der Sünde zu rechtfertigen. Jesus sagt jedoch ausdrücklich: „Gebe hin und sündige hinfort nicht mehr!“ (Johannes 8, 11). Sünde ist (auch im Leben der Gläubigen) immer „Zielverfehlung“ und kann nicht zu einem erfüllten Leben führen. Deshalb warnt der Hebräerbrief:

„Deshalb lass nun auch uns, da wir eine so große Wolke von Zeugen um uns haben, jede Bürde und die [uns so] leicht umstrickende Sünde ablegen und mit Ausharren laufen den vor uns liegenden Wettlauf, indem wir hinschauen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens, der um der vor ihm liegenden Freude willen die Schande nicht achtete und das Kreuz erduldete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes“ (Hebräer 12, 1-2).

In Galater 5, 13 schreibt Paulus: „Denn ihr seid zur Freiheit berufen worden, Geschwister, nur [gebraucht] nicht die Freiheit als Anlass für das Fleisch [für die Sünde], sondern dient einander durch die Liebe!“ Was das „Fleisch“ verursacht, schreibt der Apostel in Galater 5, 19-21a:

„Offenbar aber sind die Werke des Fleisches; welche sind: Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung [u. a. in sexueller Hinsicht], Götzendienst, Zauberei (farmakeia), Feindschaften, Streit, Eifersucht, Wutausbrüche, Selbstsüchte, Spaltungen, Parteiungen, Neid, Trinkgelage, Schlemmerei und dergleichen.“

Diejenigen, „die so etwas tun, werden das Reich Gottes nicht erben“ (Galater 5, 21b), d. h. sie werden nicht „in den Himmel kommen“ (vgl. dazu auch 1. Korinther 6, 9f.; Epheser 5, 5) – wozu gemäß 1. Korinther 6, 10 auch die Diebe, die Habsüchtigen (vgl. dazu auch Epheser 5, 5), die Lästerer und die Räuber gehören. Deshalb sollen Christen die Sünde ablegen (vgl. auch z. B. Kolosser 3, 5ff.) und sich durch den Geist Gottes führen lassen (vgl. Galater 5, 18), damit „die Frucht des Geistes“ in ihnen entstehen kann (vgl. Galater 5, 22f.).

Wenn wir diese Sünde lieben, sollten wir uns fragen, welche Stellung Jesus Christus in unserem Leben hat. Es geht nicht darum, dass wir in menschlichen Augen „vollkommen“ werden, sondern dass Jesus Christus unsere ganze Lebensausrichtung ist und dass er in allem verherrlicht und geehrt wird.

 

3. Folgen für die neue Lebensausrichtung (Galater 2, 19-21)

Was meint Paulus, wenn er schreibt, dass er „durch das Gesetz dem Gesetz gestorben“ ist? Das „mosaische Gesetz“, die Tora, ist nach Paulus zwar von Gott gegeben und deshalb heilig (vgl. z. B. Römer 7, 12f.), doch kann sie dem Menschen nicht das ewige Leben und die tatsächliche Vergebung der Sünden vermitteln. Weil der Mensch von Natur aus nicht imstande ist, die Gebote Gottes zu erfüllen (vgl. z. B. Römer 7, 14; 8, 6f.), kann das „Gesetz“, das den heiligen Willen Gottes für die Menschen zum Ausdruck bringt, ihn schlussendlich nur verdammen und in dem Sinn „töten“ (vgl. auch z. B. Galater 3, 10f.). Gleichzeitig will es zum Glauben an Jesus Christus führen. In Galater 3, 22-23 schreibt Paulus:

„Aber die Schrift hat alles unter [die] Sünde eingeschlossen, damit die Verheißung aus Glauben an Jesus Christus den Glaubenden gegeben werde. Bevor aber der Glaube kam, wurden wir [als Gefangene] unter [dem] Gesetz verwahrt, eingeschlossen auf den Glauben hin, der geoffenbart werden sollte“ (vgl. auch Galater 4, 22-24; Römer 7, 1-4).

Nun ist Jesus Christus gekommen und hat das getan, was das „Gesetz“ nicht konnte, nämlich die Sünde zu überwinden und wahre Vergebung zu verwirklichen. Wenn Paulus nun schreibt, dass er „dem Gesetz gestorben“ ist, bedeutet das also nicht, dass der Wille Gottes, der in der Tora offenbart worden ist, für ihn nicht mehr gültig sei. Vielmehr ist Paulus überzeugt, dass der Mensch nicht imstande ist, diesen Willen Gottes zu erfüllen, solange er dem Gesetz vertraut statt auf die Gnade Gottes. Er lebt dann sozusagen für das Gesetz statt für Gott, dem Geber des Gesetzes. Das Gegenteil davon ist, dass Paulus nun „mit Christus gekreuzigt“ ist und „für Gott lebt“. Darauf geht Paulus auch in Römer 6, 6-11 ein. Demnach ist „unser alter Mensch“ mit Jesus Christus gekreuzigt worden, „dass wir der Sünde nicht mehr (als Sklaven) dienen“ (Römer 6, 6). Vielmehr soll der Gläubige „Gott leben in Christus Jesus“ (Römer 6, 11).

Gemäß Galater 2, 20 heißt das, dass nicht mehr „ich“ (egō) lebe, „sondern Christus lebt in mir“. Das ist das Geheimnis. Die Quelle des Lebens – auch im Kampf gegen die Sünde – ist nicht mehr das „Ich“, sondern der am Kreuz gestorbene und auferstandene Jesus Christus. In Epheser 2, 10 lesen wir sogar, dass wir sein Werk (seine Schöpfung) sind, „geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen“. Das Geheimnis ist der Wandel in Jesus Christus bzw. im Heiligen Geist (vgl. auch Römer 8, 14; Galater 5, 18).

Auch ein „frommer Eifer“ kann sehr selbstsüchtig und egoistisch sein, wie der 1. Korintherbrief des Paulus an vielen Beispielen zeigt. Mancher beschäftigt sich damit, einen größeren Glauben zu erlangen, um mehr zu erreichen, statt ganz auf die Gnade Gottes zu vertrauen. Manchmal messen wir andere anhand von unseren eigenen „Leistungen“ und setzen sie somit unter Druck, dass davon überzeugt zu sein, dass Gottes Gnade auch in ihrem Leben zum Ziel gelangen wird.

Was prägt mein und dein Leben? Ist es das Bewusstsein, dass Jesus Christus mein ganzes Leben ist? Schaue ich auf ihn und auf seinen Sieg? Oder beschäftige ich mich vor allem mit meinem Versagen und meinen „Unvollkommenheiten“? Vielleicht steht aber auch das eigene „geistliche“ Ansehen im Zentrum, wie offenbar bei Petrus, als er nicht mehr mit den Heidenchristen zusammen essen wollte, weil er sonst vielleicht bei Jakobus nicht mehr im Ansehen stehen würde.

Hören wir deshalb auf, uns zu stark mit uns selbst oder sogar mit unserer „Geistlichkeit“ zu beschäftigen, und fangen wir stattdessen an, primär Jesus Christus und seiner Gemeinde zu dienen. Wer erfasst hat, dass dieser Dienst nicht unser Werk, sondern sein Werk in und durch uns, der bildet sich darauf nichts ein, sondern ist dankbar für diese Gaben Gottes. Diese Dankbarkeit führt zur wahren Freude, welche eine Frucht des Geistes Gottes ist (vgl. Galater 5, 22; vgl. auch Johannes 3, 28-30).

 

Jacob Thiessen, STH Basel (www.sthbasel.ch)