Ich habe nun den Grund gefunden

 

  1. Ich habe nun den Grund gefunden, der meinen Anker ewig hält; wo anders als in Jesu Wunden? Da lag er vor der Zeit der Welt, der Grund, der unbeweglich steht, wenn Erd und Himmel untergeht.

 

  1. Es ist das ewige Erbarmen, das alles Denken übersteigt; es sind die offnen Liebesarme / des, der sich zu dem Sünder neigt, dem allemal das Herze bricht, wir kommen oder kommen nicht.

 

  1. Wir sollen nicht verloren werden, Gott will, uns soll geholfen sein; deswegen kam der Sohn auf Erden / und nahm hernach den Himmel ein; deswegen klopft er für und für / so stark an unsers Herzens Tür.

 

  1. O Abgrund, welcher alle Sünden / durch Christi Tod verschlungen hat! Das heißt die Wunde recht verbinden, da findet kein Verdammen statt, weil Christi Blut beständig schreit: Barmherzigkeit, Barmherzigkeit!

 

  1. Darein will ich mich gläubig senken, dem will ich mich getrost vertraun / und, wenn mich meine Sünden kränken, nur bald nach Gottes Herzen schaun; da findet sich zu aller Zeit / unendliche Barmherzigkeit.

 

  1. Wird alles andre weggerissen, was Seel und Leib erquicken kann, darf ich von keinem Tröste wissen / und scheine völlig ausgetan, ist die Errettung noch so weit: mir bleibet die Barmherzigkeit.

 

  1. Muss ich an meinen besten Werken, darinnen ich gewandelt bin, viel Unvollkommenheit bemerken, so fällt wohl alles Rühmen hin; doch ist auch dieser Trost bereit: ich hoffe auf Barmherzigkeit.

 

  1. Es gehe nur nach dessen Willen, bei dem so viel Erbarmen ist; er wolle selbst mein Herze stillen, damit es das nur nicht vergisst; so stehet es in Lieb und Leid / in, durch und auf Barmherzigkeit.

 

  1. Bei diesem Grunde will ich bleiben, solange mich die Erde trägt; das will ich denken, tun und treiben, solange sich ein Glied bewegt; so sing ich einstens höchst erfreut: O Abgrund der Barmherzigkeit!

 

Text: Johann Andreas Rothe