Martin
Luther
(1530)
[WA 30, II, 424–427]
Folgende Stücke will D. Martinus Luther, der heiligen Kirche zu Wittenberg
Prediger, mit Gottes Gnade erhalten, wider die ganze Satansschule und alle
Pforten der Höllen:
I. Die christliche Kirche hat keine Macht, irgendeinen Glaubensartikel
festzusetzen, hat’s auch noch nie getan, wird’s auch nimmermehr tun.
II. Die christliche Kirche hat keine Macht, irgendein Gebot guter Werke
aufzustellen, hat’s auch nie getan, wird’s auch nimmermehr tun.
III. Alle Artikel des Glaubens sind genugsam in der heiligen Schrift
festgesetzt, so dass man keinen mehr festzusetzen braucht.
IV. Alle Gebote guter Werke sind genugsam in der heiligen Schrift
aufgestellt, so dass man keine mehr aufzustellen braucht.
V. Die christliche Kirche hat keine Macht, Artikel des Glaubens oder guter
Werke oder die Evangelien und die heilige Schrift zu bestätigen, als ein
Richter oder Oberherr, hat’s auch noch nie getan, wird’s auch nimmermehr tun.
VI. Die christliche Kirche wird aber wohl umgekehrt von dem Evangelium und
von der heiligen Schrift bestätigt, als vom Richter und Oberherrn.
VII. Die christliche Kirche bestätigt das Evangelium und die heilige
Schrift als ein Untertan, bezeugt und bekennet (sie), gleichwie ein Knecht
seines Herrn
Farbe und Wappen.
VIII. Denn das ist gewiss: wer nicht Macht hat, das künftige und
gegenwärtige Leben zu verheißen und zu geben, der hat auch keine Macht, Artikel
des Glaubens (fest) zusetzen.
IX. Die christliche Kirche hat Macht, Gebräuche und Weise aufzustellen, die
man halte: in Fasten, Feiern, Essen, Trinken, Kleidern, Wachen und dergleichen.
X. Doch nicht über andere, ohne ihren Willen, sondern allein über sich
selbst, hat auch nie anders getan, wird auch nicht anders tun.
XI. Auch dass solche Gebräuche nicht den (Glaubens) Artikeln oder den guten
Werken widerstreben, das ist, dem Glauben und der Liebe ohne Gefahr und Schaden
seien.
XII. Auch dass sie die Gewissen nicht verwirren oder beschweren.
XIII. Auch dass sie nicht ewiglich bleiben, sondern alle Stunde aus
(begründeten) Ursachen unterbleiben und geändert werden können.
XIV. Auch dass sie zu halten möglich seien und es in unserer Gewalt stehe,
dem Leibe und Gut ohne Schaden.
XV. Eheloses Leben oder Klosterwesen hat sie keine Macht, auch über sich
selbst nicht, zu gebieten, viel weniger über andere, weil deren keines in ihrer
Gewalt steht.
XVI. Christliche Kirche aber heißt die Zahl oder der Haufen der Getauften
und Gläubigen, die zu einem Pfarrherrn oder Bischof gehören, es sei in einer Stadt
oder in einem ganzen Lande oder in der ganzen Welt.
XVII. Solcher Pfarrherr oder Bischof hat keinerlei Macht, etwas
festzusetzen, denn er ist nicht die Christliche Kirche.
XVIII. Solcher Pfarrherr oder Bischof mag seine Kirche vermahnen, dass sie
etliche Fasten, Beten, Feiern usw. um vorliegender Notwendigkeit willen
bewillige, sie eine Zeitlang halte und danach frei wieder fallen lasse.
XIX. Kein größerer, gröberer Esel ist je gewesen als die Papisten und
Sophisten, die alles ineinander gemengt und aus den (kirchlichen) Gewohnheiten eitel
Artikel des Glaubens gemacht haben.
XX. Keine größere Bosheit ist gewesen, als dass die Sophisten, das Reich
Gottes zu zerstören, dem Endchrist als einzelner Person die Macht gegeben
haben, Artikel des Glaubens, gute Werke und Kirchengebräuche festzusetzen und
zu ändern.
XXI. Der ist kein Ketzer, der wider der Kirche Festsetzung
oder Gebräuche handelt, obwohl er nicht recht tut.
XXII. Der ist kein Ketzer, der mit Werken wider Gottes Gebot handelt, wie
hoch er damit auch sündigt.
XXIII. Der ist kein Ketzer, der etwa einen Artikel nicht gehöret hat und
ihn also nicht glaubt.
XXIV. Der ist ein Ketzer, der halsstarrig in einem Artikel des Glaubens
irret und das bekennet.
XXV. Wie ein Übertreter des Gebotes der Fürsten oder des Kaisers nicht
aufrührerisch ist, obwohl er unrecht tut und zu strafen ist.
XXVI. Sondern wer die Obrigkeit leugnet oder sich wider sie stellt, der ist
ein Aufrührer.
XXVII. Die Papisten sagen selbst, dass ein Dieb, Mörder, Ehebrecher nicht
ein Ketzer sei, ob er wohl wider Gottes Wort sündigt und Tod und Hölle verdienet.
XXVIII. Darum sind’s wirklich grobe Eselsköpfe, dass sie den einen Ketzer
schelten, der wider der Kirche Gebräuche handelt.
XXIX. Denn Esel müssen’s ja sein, die einen
Muttermörder, Vatermörder und Sodomiten nicht für ketzerisch halten und den
Ketzer schelten, der am Freitag
Fleisch isst.
XXX. Des Papstes Kirche, obwohl sie eines Tyrannen Kirche ist, straft sie
dennoch die Priesterehe nicht höher, als mit Absetzen
vom Priesteramt.
XXXI. Daraus folget, dass sie bekennen, die Priesterehe
sei nicht ketzerisch, sondern christlich.
XXXII. Deshalb verdammen sie auch solche ehelichen Priester nicht zur
Hölle, wie man die Ketzer verdammt.
XXXIII. Bekennen auch damit, dass solche Priester nicht zu töten sind,
sondern allein des Amts beraubt sein sollen und christlich leben können.
XXXIV. Damit bekennen sie, dass es keine Todsünde noch wider Gottes Gebot
sei, wenn ein Priester ehelich wird.
XXXV. Bekennen auch damit, dass ein verehelichter Priester auch nicht am
Leibe zu strafen noch in den Kerker zu werfen sei, sondern wenn er das Amt verliert,
ist er (genug) gestraft und ist frei.
XXXVI. Damit bekennen sie, dass ein Priester kein Laster noch Übles tut, so
er ehelich wird.
XXXVII. Bekennen auch damit, dass er nicht an Gut oder Ehre zu strafen sei,
sondern es ist genug, dass er des Amtes entsetzt ist.
XXXVIII. Damit bekennen sie, dass er keine Schande noch Ärgernis mit seiner
Ehe stiftet.
XXXIX. Wer nun über die Entsetzung vom Amt (hinaus) einen verehelichten
Priester an Leib und Seele, an Gut und Ehre straft, ihn dazu einen Ketzer schilt,
der ist ein öffentlicher Mörder, Räuber, Verräter, Lügner und Bösewicht, auch
nach des Papstes eigenem Recht und in seiner Kirche.
XL. Daraus man vernehmen mag, was für eine Kirche des Papstes Kirche
geworden ist, darin solche feinen Leute die größten und klügsten Heiligen sind.