Martin Luther

Predigt zu Lukas 15, 1-10


Dies ist der tröstlichsten Evangelien eines, das im ganzen Jahr sein kann. Denn es ist ja ein schönes, liebliches Bild, daß sich Christus einem Hirten vergleicht, welcher den armen Sündern nachgehen, sie suchen und wieder zurecht bringen will, daß sie dem Wolfe, dem Teufel, nicht zuteil und ewig verdammt werden. So sind es auch über die Maßen süße und tröstliche Worte, da er sagt: Die Engel Gottes im Himmel, die hohen Kreaturen, freuen sich über einen Sünder, der Buße tut.

 

Es sagt aber der Evangelist, daß allerlei Zöllner und Sünder zu Jesus gekommen seien, auf daß sie ihn hörten. Damit zeigt er die Ursache an, weshalb die Zöllner und Sünder zu Christus gekommen seien, und weshalb ihr Kommen dem Herrn Christus so lieb und angenehm gewesen sei, welche Ursache sie ihm auch so lieb und angenehm gemacht habe, nämlich das Hören seines Wortes und Evangeliums, daß sie seine Predigt zu hören herzlich begehrt und sie mit allem Fleiß und Ernst gehört und gelernt haben. Solches taten die Zöllner und Sünder.

 

Die Pharisäer und Schriftgelehrten opferten dagegen aber im Tempel zu Jerusalem, ließen sich und ihre Kinder beschneiden, taten des Gesetzes Werke, beflissen sich, in äußerlicher Frömmigkeit unsträflich zu leben, führten einen guten Wandel und feines äußerlich ehrbares Leben vor den Menschen. Sie meinten, der Messias würde auch so heilig sein wie sie und mit heiligen Leuten umgehen, würde um solcher äußerlichen Heiligkeit und Frömmigkeit willen kommen und sich zu solchen heiligen Leuten halten, wie es die Pharisäer und Schriftgelehrten waren. Und das würde Christi Reich und Amt sein. Da sie nun sahen, daß der Herr Christus sich zu den Zöllnern und Sündern gesellte, sie in Gnaden annahm und sich aufs allerfreundlichste gegen sie stellte, murrten sie und sprachen: »Dieser nimmt die Sünder an und isset mit ihnen.«

 

Und in der Tat konnten die Pharisäer und Schriftgelehrten nicht anders urteilen und folgern. Denn sie wußten nichts von Christi Reich und Amt, daß er auf Erden gekommen wäre, die Sünder selig zu machen, wie große Sünder sie auch seien und wie große und viele Sünden sie begangen haben mögen, wenn sie nur sein Wort und Evangelium hören, Buße tun und an ihn glauben. Davon verstanden sie nichts, wußten von Gottes Wort nicht mehr, als was Mose und das Gesetz lehrt. Das Gesetz aber lehrt allenthalben so (so wie auch alle Vernunft urteilt und nicht anders urteilen kann): Gott wolle denen wohltun, die fromm sind und seine Gebote halten, und umgekehrt die Bösen strafen, die seine Gebote nicht halten (2. Mose 20, 5. 6): »ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich liebhaben und meine Gebote halten.« Darum konnten sie nicht anders folgern als so: Weil der Messias von Gott gesandt würde, wollte ihm nichts anderes gebühren, als mit den Sündern so umzugehen, wie das Gesetz lehrt. Weil nun das Gesetz sagt, daß Gott über die Sünder zürne und sich ihrer nicht annehme, sondern sie strafe, müsse und solle Christus sich auch so verhalten, die Zöllner und Sünder unfreundlich von sich weisen und sie fahren lassen.

 

Denen antwortet der Herr Christus mit diesen zwei Gleichnissen vom Hirten mit dem verlorenen Schaf und vom Weibe mit dem verlorenen Groschen. Doch bildet er mit diesen Gleichnissen nicht allein sein Reich und Amt lieblich und tröstlich ab, sondern zeigt damit auch einen besonderen Gedanken an, welchen er in solcher Sache habe, nämlich, daß er's nicht lassen könne, er müsse um die Sünder sein, sie suchen und alles vornehmen, was zu ihrer Seelen Seligkeit dienstlich ist.

 

Das heißt ja doch unseres Herrn Christus Herz auf das freundlichste und lieblichste abgemalt, daß es unmöglich ist, daß man's holdseliger und freundlicher machen könnte, weil er eine solche Kümmernis, Sorge, Mühe und Arbeit deswegen hat, wie er die armen Sünder wieder zurechtbringen könne. Er führt uns in unser eigenes Herz, daß wir doch daran denken sollen, wie uns zu Sinne sei, wenn wir etwas verlieren, was uns lieb ist. So sagt er, steht mein Herz, so wallet es und ist unruhig, wenn ich sehe, daß der Teufel einen armen Menschen in die Sünde und Irre gebracht hat.

 

Und er setzt dazu, gleichwie er gegen die armen Sünder gesinnet und wie sein Herz beschaffen sei, so sei auch im Himmel Freude über einen Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen. Und er wiederholt denselben Spruch zum zweiten Mal und sagt, daß Freude im Himmel sei vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut. Die lieben Engel und himmlischen Geister haben ein Freudenfest, wenn ein armer Sünder zurechtkommt und sich bekehrt. Wenn nun ein Mensch sich über ein verlorenes Schaf freut, wenn er es wiederfindet, und ein Weib freut sich über einen verlorenen Groschen, wenn sie ihn wiederfindet, und die Engel im Himmel freuen sich über einen Sünder, der wieder umkehrt und Buße tut; warum tadelt und verurteilt ihr Pharisäer und Schriftgelehrten denn mich, will Christus sagen, daß ich Zöllner und Sünder annehme, die sich mir nahen und meine Predigt mit allem Fleiß und Herzenslust hören?

 

Solche lieblichen Gleichnisse und Bilder und solche süßen und tröstlichen Worte sollen wir mit allem Fleiß merken, auf daß wir uns damit wider das böse Gewissen und Sünde trösten und retten lernen. Denn wir Menschen sind allzumal Sünder und ist unser keiner, den der Teufel nicht in die Wüste gescheucht hätte, das heißt, der so gelebt hätte, daß er sich nicht nach der Taufe verirrte wie ein verlorenes Schaf, der nicht aus dem Wege träte und sich an seinem Gott versündigte. Wo aber Sünde ist, da folgt, daß man sich vor Gott fürchtet. Denn der Sünde Art ist, daß sie ein furchtsames und verzagtes Herz macht, das sich vor Ungnade und Strafe sorgt. So kann menschliche Vernunft nicht anders folgern und das Gesetz lehrt es auch nicht anders, als daß Gott den Sündern feind sei. Darum kann ein Herz, das sich schuldig weiß, es von Natur nicht anders, als sich fürchten und sich deshalb selbst alle Gnade absagen und die Strafe erwarten. Da kommt nun alles darauf an, daß wir gegen unser eigenes Herz und Gewissen mit Christus folgern und sagen: Ich bin ein armer Sünder, das kann, ja will ich nicht leugnen. Ich will aber deshalb keineswegs verzweifeln, als wollte Gott mich nicht. Ursache: mein Herr Jesus Christus sagt, es sei mit einem armen Sünder gleichwie mit einem Schäflein, das seinen Hirten verloren hat und in die Irre geraten ist. Solch verirrtes Schäflein will er nicht in die Irre lassen, sondern suchen und zu den anderen Schäflein tragen. Das ist ja ein Beweis dafür, daß er uns der Sünden wegen nicht wegwerfen, sondern allen Fleiß darauf wenden wolle, wie er uns von den Sünden weg und wieder zur Gnade bringen könne. Und er sagt dazu, daß beide, er selbst und die Engel im Himmel droben, alle Lust und Freude daran haben, wenn die Sünder zur Buße kommen und sich bekehren.

 

Es tröstet dieses Evangelium aber nicht allein die armen Sünder, daß Christus solcher Hirte und König sei und solch Reich und Amt habe, daß er die irrenden Schäflein sucht, annimmt und trägt. Sondern es lehrt auch, wie wir uns gegen diesen Hirten verhalten und was wir tun sollen, damit wir wieder in das Reich Christi gebracht und seiner Gnade und Liebe teilhaftig und aus verirrten, verlorenen Schäflein liebe, angenehme Schäflein, aus Gottes Feinden Gottes Freunde werden. Wie diese Zöllner und Sünder tun, sollen wir uns Christus nahen, sein Evangelium fleißig und mit Ernst hören und lernen und uns daraus bessern. Denn das Hören des heiligen Evangeliums, oder wie es Paulus nennt, der Gehorsam des Glaubens, nimmt hinweg und tilgt die Sünde und alles, was auf die Sünde folgt, nämlich Gottes Zorn, den ewigen Tod und Verdammnis, macht, daß ein Sünder nicht mehr ein Sünder, Gottes Feind nicht mehr Gottes Feind, sondern gerecht, Gottes Freund und den lieben Engeln im Himmel eine Freude sei.

 

Damit macht dies Evangelium einen Unterschied zwischen den Sündern und begegnet allen, die sich "Evangelisch" rühmen, welche diese Gnade und lieblichen, tröstlichen Gleichnisse und Beispiele mißbrauchen und sagen: Christus hat die Sünder lieb, die Engel im Himmel freuen sich über einen Sünder, der Buße tut und vergessen doch die Buße, fahren in allerlei Sünden, Trotz und Mutwillen wider Gott und ihren Nächsten fort, ohne alle Furcht und Scheu, in großer schändlicher Sicherheit. Sie sündigen nicht allein frei auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit hin, sondern hassen und verfolgen auch dazu Gottes Wort und die Diener, welche solch Wort predigen, hören die Predigt nicht mit Ernst, haben keine herzliche Reue noch Leid über ihr gottloses Leben und große Sünde und Laster, haben aus dem Evangelium nichts mehr gelernt, als daß sie mit dem Munde sagen können: Unser Herrgott will die Sünder nicht verwerfen, Christus ist um der Sünder willen gekommen usw.

 

Von solchen Sündern redet dieses Evangelium nicht. Sie dürfen sich auch auf diesen Trost nicht berufen, sie wollten sich denn selbst betrügen und zu ihrem eigenen Schaden und Verderben heucheln, auf daß sie je länger je mehr in die Irre geraten und sich so tief in die Sünden vertiefen, bis daß sie dem Teufel ganz und gar ins Garn kommen und sich nicht mehr herausfinden können. Sondern es redet von den Sündern, die sich Christus nahen, damit sie ihn hören, das ist, die das Wort lernen, ihre Sünde bekennen, zu glauben und sich zu bessern anheben. Solche Sünder sind die rechten Schäflein, die vom Irrtum ablassen und sich von ihrem Hirten Christus finden lassen wollen, auch aus der Ursache Gottes Wort hören, daß sie sich daraus zu bessern gedenken. Über solche Sünder macht Christus ein Kreuz und spricht ihnen die tröstliche, fröhliche Absolution. Euch sind alle eure Sünden vergeben; ihr sollt wissen, daß euch Gott gnädig ist, nur daß ihr nicht daran zweifelt, sondern zuversichtlich und fest glaubet, es sei so, wie ich euch predige. Weil ihr mein Wort hört und an mich glaubt, so will ich euch auf meine Achseln nehmen und in die Kirche, ja in das Himmelreich tragen. Ich will, ja ich habe schon für euch genug getan, darum sollt ihr einen gnädigen Gott und Vater im Himmel haben.

 

Das sollen alle armen Sünder, die Gottes Wort gern hören und Christus als ihren Hirten, Heiland und König erkennen, gut erfassen und daraus Trost und Freude schöpfen und ihrer Sünden wegen nicht verzweifeln. Denn unser lieber Herr Jesus Christus nennt sich einen guten getreuen Hirten, und er ist es auch. Denn er hat sein Leben um solcher Sünder willen dahingegeben, auf daß er sie mit allen Freuden ins Himmelreich und ewige Leben trüge und führte.

 

Das heißt ja süß und lieblich gepredigt und Gottes Wort sehr gerühmt und gepriesen, als den einigen Schatz, der die Sünde und allen Jammer wegnimmt, der aus der Sünde folgt, als da ist Tod, Verdammnis, Teufel und die Hölle, daß wir nicht mehr Sünder und Feinde Gottes, sondern den lieben Engeln im Himmel und allen Heiligen auf Erden eine besondere Freude sind. Deshalb sollen wir es in allen Ehren und Würden halten, es gern und von Herzen hören, die, welche es predigen, lieb und wert halten, auf daß wir zu solcher seligen Frucht auch kommen und - aus der Irre und von aller Gefahr des leidigen Teufels frei und los ewig selig werden können. Das verleihe uns allen der liebe und getreue Hirte und Bischof unserer Seelen, unser lieber Herr Christus, durch den Heiligen Geist, Amen.