Martin Luther – Von den guten Werken

29. März 1520

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

Von dem guten Werk des ersten Gebotes3. 3

Vom guten Werk des zweiten Gebotes.. 12

Von dem dritten Gebot 22

Das erste Gebot der zweiten Tafel des Mose.. 38

Das vierte Gebot 38

Von dem fünften Gebot 49

Von dem sechsten Gebot 51

Das siebente Gebot 53

Das achte Gebot 55

Zum neunten und zehnten Gebot 57

Anhang.. 58

 

 

 

 

 

 

 

Jesus

 

Dem durchlauchtigen, hochgeborenen Fürsten und Herrn, Herrn Johann, Herzog zu Sachsen, Landgraf zu Thüringen, Markgraf zu Meißen, meinem gnädigen Herrn und Patron!

Durchlauchter, hochgeborener Fürst, gnädiger Herr! Eure Fürstlichen Gnaden seien allezeit meines untertäni­gen Dienstes und armen Gebetes im voraus versichert.

Gnädiger Fürst und Herr! Ich hätte längst gern meine untertänige Dienstpflicht gegen E.F.G. mit einer geistli­chen Gabe1, wie es mir zukommt, erzeigt. Doch habe ich, auf mein Vermögen gesehen, mich immer für zu gering befunden, etwas vorzunehmen, das würdig wäre, E.F.G. zugeeignet zu werden. Weil aber mein gnädigster Herr, Herr Friedrich, des Heiligen Römischen Reiches Erz­marschall, Kurfürst und Vicarius usw., E.F.G. Bruder, mein unzureichendes, S.K.F.G. gewidmetes Büchlein2 nicht verschmäht, sondern gnädig aufgenommen hat, das nun auch im Druck, woran ich nicht dachte, herausge­kommen ist, habe ich Mut geschöpft aus solch gnädigem Exempel und mich erkühnt zu hoffen, wie das fürstliche Geblüt und so auch das fürstliche Gemüt zuvor in gnädi­ger Nachsicht und guter Meinung eines gleichen Sinnes sei, so werde E.F.G. ihrer Art nach auch dies mein armes, untertäniges Anerbieten nicht verschmähen. Denn dies herauszubringen ist mir viel nötiger gewesen als sonst kaum eine von meinen Predigten oder Büchlein, weil die größte Streitfrage sich erhoben hat über die guten Werke, in denen unzählig mehr List und Betrug vorfällt als in irgendeiner anderen Kreatur, und in denen der einfältige Mensch nur zu leicht verführt wird, so dass auch unser Herr Christus uns geboten hat, wir sollten mit Fleiß achtgeben auf die Schafskleider, unter denen sich Wölfe verbergen. Es hat weder Silber, Gold, Edelgestein noch sonst ein kostbares Ding so mannigfache Zusätze und Abbruche erfahren wie die guten Werke, welche allesamt eine einzige, einfältige Güte haben müssen, ohne die sie lauter Schönfärberei, Blendwerk und Betrug sind.

Obwohl ich von vielen weiß und täglich höre, die meine Armut gering achten und sprechen, ich mache nur kleine Traktätchen und deutsche Predigten für die unge­lehrten Laien, lass ich mich davon nicht bewegen. Wollte Gott, ich hätte einem einzigen Laien mein Leben lang mit all meinem Vermögen zur Besserung gedient: Ich wollte mir's genügen lassen, Gott danken und danach gar willig alle meine Büchlein umkommen lassen! Ob große und viele Bücher zu machen eine Kunst und der Christenheit förderlich sei, lass ich andere richten. Ich meine aber, wenn ich Lust hätte, nach ihrer Kunst große Bücher zu machen, es sollte mir mit Gottes Hilfe vielleicht schleu­niger gelingen, als ihnen, nach meiner Art einen kleinen Sermon zu machen. Wenn ihnen Erfolge so leicht wie Verfolgungen fielen, wäre Christus längst wieder vom Himmel geworfen und selbst Gottes Stuhl umgestoßen. Können wir nicht alle dichten, so wollen wir doch alle richten. Ich will einem jeden die Ehre großer Dinge herzlich gern lassen und mich gar nicht schämen, deutsch den ungelehrten Laien zu predigen und zu schreiben, obwohl ich auch dies wenig kann. Doch dünkt mich's, wenn wir bisher und fortan uns mehr dessen beflissen hätten oder dies wollten, sollte der Christenheit daraus kein kleiner Vorteil und mehr an Besserung erwachsen sein als aus den hohen, großen Büchern und Quaestionen, die man an hohen Schulen bloß unter den Gelehrten verhandelt. Überdies habe ich noch nie jemanden ge­zwungen oder gebeten, mich zu hören oder meine Pre­digten zu lesen. Ich habe frei der Allgemeinheit gedient mit dem, was mir Gott gab und wie ich es schuldig bin; wer das nicht mag, der lese und höre andere. Auch ist nicht groß dran gelegen, wenn sie meiner nicht wollen bedürfen. Mir ist's gerade genug und mehr als zuviel, dass etliche Laien, und diese vornehmlich, sich herbeilassen, meine Predigten zu lesen.

Und wenn keine andere Sache mich triebe, soll mir doch die schon übergenug sein, dass ich erfahren habe, wie sehr E.F.G. solche deutschen Büchlein gefielen und sie ganz begierig seien nach Erkenntnis guter Werke und Unterrichtung im Glauben. Es geziemt mir billig, ihr mit möglichstem Fleiß untertänig zu dienen. Deshalb bitte ich in demütiger Untertänigkeit, E.F.G. wollten dies Zeichen meiner Ergebenheit in gnädiger Meinung annehmen, so­lange, bis ich, wenn mir Gott dazu die Zeit geben will, das ganze Glaubensbekenntnis mit einer deutschen Ausle­gung erkläre. Denn für diesmal habe ich nur zeigen wol­len, wie wir den Glauben sollen in allen guten Werken üben, gebrauchen und das vornehmste Werk sein lassen. Gibt Gott mir die Zeit, will ich ein andermal das Glau­bensbekenntnis für sich selber behandeln, so wie wir es täglich beten oder nachsprechen sollen. Will mich hiermit E.F.G. untertänigst befohlen haben. Zu Wittenberg, am 29. Tag im März nach Christi Geburt im tausendfünfhundertzwanzigsten Jahr.

 

E.F.G. untertäniger Kaplan D. Martinus Luther, Augustiner zu Wittenberg.

 

 

 

Von dem guten Werk des ersten Gebotes3

 

Zum ersten ist zu wissen, dass nur das gute Werke sind, was Gott geboten hat, wie auch nur das Sünde ist, was Gott verboten hat. Darum, wer gute Werke wissen und tun will, der braucht nichts anderes als Gottes Gebote zu wissen. So spricht Christus Matthäus 19, 17: »Willst du selig werden, so halte die Gebote!« Und als der Jüngling dort fragte, was er tun sollte, dass er selig würde, hielt ihm Christus nichts anderes vor als die zehn Gebote. Demnach müssen wir die guten Werke nach den Geboten Gottes beurteilen lernen und nicht nach dem Anschein, der Größe oder Menge der Werke an sich selber, auch nicht nach dem Gutdünken der Menschen oder menschlicher Gesetze oder Weisen, wie es, wohin wir auch sehen, gesche­hen ist und noch immer geschieht wegen unserer Blind­heit, unter großer Verachtung der göttlichen Gebote.

 

Zum zweiten: Das erste und höchste, alleredelste gute Werk ist der Glaube an Christus, wie er sagt Johannes 6, 25f., als die Juden ihn fragten: »Was sollen wir tun, dass wir gute, göttliche Werke tun?« Da antwortete er: »Das ist das göttlich gute Werk, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat.« Nun, wenn wir das hören oder predigen, gehen wir rasch drüber weg und halten's für ganz gering und leicht zu tun, wo wir doch hier lange stehen und gut darüber nachdenken sollten. Denn in diesem Werk müssen alle Werke ergehen und das Einströmen ihres Gutseins wie ein Lehen von ihm empfangen. Das müssen wir kräftig her­vorheben, damit sie's begreifen können.

Wir finden viele, die beten, fasten, Stiftungen machen, dies und das tun, ein gutes Leben fuhren vor den Men­schen. Doch wenn du sie fragst, ob sie auch gewiss seien, dass es Gott wohl gefalle, was sie so tun, sprechen sie: Nein. Sie wissen's nicht oder zweifeln daran. Darüber hinaus gibt es auch etliche große Gelehrte, die sie verfuhren und sagen, es sei nicht nötig, dessen gewiss zu sein, die doch sonst nichts anderes tun, als gute Werke zu lehren! Nun sieh, diese Werke gehen alle außerhalb des Glaubens vor sich; darum sind sie nichts und ganz tot. Denn wie ihr Gewissen zu Gott steht und glaubt, so sind auch die Werke, die daraus geschehen. Nun ist da kein Glaube, kein gutes Gewissen zu Gott. Darum ist den Werken der Kopf abgeschlagen und all ihr Leben und Gutsein ist nichts. Daher kommt es, wenn ich den Glauben so sehr hervorhebe und solche ungläubigen Werke verwerfe, beschuldigen sie mich, ich verbiete gute Werke, wo ich doch gern rechte, gute Werke des Glaubens lehren wollte!

 

Zum dritten: Fragst du sie weiter, ob sie das auch als gute Werke erachten, wenn sie arbeiten in ihrem Hand­werk, gehen, stehen, essen, trinken, schlafen und allerlei Werke tun zur Leibesnahrung oder gemeinem Nutzen, und ob sie glauben, dass Gott auch dabei ein Wohlgefallen an ihnen habe, so wirst du wieder finden, dass sie Nein sagen und die guten Werke so eng fassen, dass nur das Beten in der Kirche, das Fasten und Almosengeben übrig bleiben; die ändern halten sie für vergeblich, Gott sei nichts daran gelegen. Und so verkürzen und verringern sie wegen ihres verdammten Unglaubens Gott seine Dienste, dem doch alles dient, was im Glauben geschehen, geredet, gedacht werden kann. So lehrt es der Prediger: »Gehe hin fröhlich, iss und trink und wisse, deine Werke gefallen Gott wohl. Allezeit lass dein Kleid weiß sein und das Öl deinem Haupt nimmer gebrechen. Gebrauche dein Leben mit deinem Weib, das du lieb hast, alle Tage dieser unbeständigen Zeit, die dir gegeben sind.« (Prediger 9, 7ff.) Dass das Kleid allezeit weiß sei, das meint, dass alle unsre Werke gut seien, wie sie genannt werden mögen, ohne allen Unterschied. Aber nur dann sind sie weiß, wenn ich gewiss bin und glaube, sie gefallen Gott. Und so gebricht dem Haupt meiner Seele des Öl eines fröhlichen Gewissens nimmermehr. So sagt auch Christus Johannes 8, 29: »Ich tue allezeit, was ihm wohlgefällt.« Wie tat er das allezeit, wenn er doch aß und trank und schlief zu seiner Zeit? Und Johannes schreibt in Johannes 3, 19ff.: »Dabei können wir erkennen, dass wir in der Wahrheit stehen, wenn wir unser Herz vor seinen Augen getrost machen und ihm ein gutes Vertrauen verschaffen können. Und wenn uns unser Herz straft oder beißt, dann ist Gott größer als unser Herz, und wir haben die Zuversicht, was wir bitten, das werden wir auch empfangen, denn wir halten seine Gebote und tun, was ihm wohlgefällt.« Des­gleichen: »Wer aus Gott geboren ist (das meint: wer glaubt und Gott vertraut), der sündigt nicht und kann nicht sündigen.« (1. Johannes 3, 9) Desgleichen Psalm 34, 23: »De­ren keiner wird sündigen, die ihm vertrauen«. Ja, im zwei­ten Psalm steht: »Selig sind, die auf ihn trauen.« (Psalm 2, 12) Ist das wahr, dann muss alles, was sie tun, gut sein, oder doch bald vergeben sein, was sie Übles tun. Sieh da abermals, warum ich den Glauben so hoch erhebe, alle Werke in ihn hineinziehe und alle Werke verwerfe, die nicht aus ihm herausfließen.

 

Zum vierten: Hier kann nun jeder selbst merken und fühlen, wenn er Gutes und nicht Gutes tut. Denn findet er sein Herz in der Zuversicht, dass es Gott gefalle, dann ist das Werk gut, wenn es auch so gering wäre wie einen Strohhalm aufheben. Ist die Zuversicht nicht da, oder zweifelt er dran, dann ist das Werk nicht gut, selbst wenn's alle Toten aufweckte und der Mensch sich ver­brennen ließe. Das lehrt Paulus Römer 14, 23: »Alles, was nicht aus oder im Glauben geschieht, das ist Sünde.« Von dem Glauben und keinem anderen Werk haben wir den Namen, dass wir Christgläubige heißen, als von dem Hauptwerk. Denn alle anderen Werke kann ein Heide, Jude, Türke, Sünder auch tun. Aber darauf fest zu ver­trauen, dass er Gott wohl gefalle, ist nur einem Christen möglich, den die Gnade erleuchtet und festigt. Dass aber diese Rede seltsam sei und mich etliche einen Ketzer darüber schelten, geschieht deshalb, weil sie der blinden Vernunft und heidnischer Kunst zufolge den Glauben nicht über, sondern neben die anderen Tugendkräfte ge­setzt haben und ihm ein eigenes Werk zuweisen, abgeson­dert von allen Werken der anderen Tugenden, während doch er allein alle anderen Werke gut sein läßt4, sie ange­nehm und würdig macht damit, dass er Gott vertraut und nicht zweifelt, es sei vor ihm alles wohlgetan, was der Mensch tut. Ja, sie haben den Glauben nicht ein Werk bleiben lassen, sondern, wie sie es nennen, einen habitus5 daraus gemacht, wo doch die ganze Schrift nichts andrem den Namen eines göttlichen, guten Werkes gibt als einzig dem Glauben. Darum ist es kein Wunder, dass sie blinde Blindenleiter geworden sind. Und dieser Glaube bringt alsbald mit sich Liebe, Frieden, Freude und Hoffnung. Denn wer auf Gott traut, dem gibt er alsbald seinen heiligen Geist, wie St. Paulus zu den Galatern sagt: »Ihr habt den Geist empfangen nicht aus euren guten Werken, sondern weil ihr dem Wort Gottes geglaubt habt.« (Galater 3, 27)

 

Zum fünften: In diesem Glauben werden alle Werke gleich und ist eins wie das andere; es fällt aller Unterschied der Werke dahin, sie seien groß, klein, kurz, lang, viel oder wenig. Denn nicht ihrer selbst wegen sind die Werke Gott angenehm, sondern des Glaubens wegen, welcher als ein und derselbe in allen und jeglichen Werken ohne Unterschied ist, wirkt und lebt, wie zahlreich und unter­schiedlich sie immer seien: so wie alle Glieder vom Haupt ihr Leben, ihr Wirken und ihren Namen haben und ohne das Haupt kein Glied leben, wirken oder einen Namen haben kann. Daraus folgt dann weiter, dass ein Christen­mensch, in diesem Glauben lebend, keines Lehrers bedarf guter Werke, sondern was ihm vorkommt, das tut er, und ist alles wohl getan. Wie Samuel zu Saul sprach: »Du wirst ein anderer Mensch werden; wenn der Geist in dich kommt, dann tu, was dir vorkommt: Gott ist bei dir!« (1. Samuel 10, 6ff.) Ebenso lesen wir auch von Anna, Samuels Mutter: Weil sie dem Priester EH glaubte, der ihr Gottes Gnade zusagte, ist sie fröhlich und friedlich heim­gegangen und hat sich fortan nicht mehr hier- und dahin um Hilfe gewandt (1. Samuel 1, 17ff.). Das meint: Es hat ihr nun alles einerlei und gleich viel gegolten, was ihr vorge­kommen ist. Auch Paulus sagt: »Wo der Geist Christi ist, da steht alles frei.« (Römer 8, 2) Denn der Glaube lässt sich an kein Werk binden; so lässt er sich auch keines nehmen, sondern, wie der erste Psalm sagt: »Er gibt seine Frucht, wenn es an der Zeit ist« (Psalm 1, 3), das meint: Wie es kommt und geht.

 

Zum sechsten: Das können wir an einem ganz einfachen fleischlichen Beispiel sehen. Wenn ein Mann oder Weib sich zuversichtlich vom anderen Liebe und Wohl­gefallen erhofft und dies fest glaubt, wer lehrt diesen dann, wie er sich einstellen soll, was er tun, lassen, sagen, schweigen, bedenken soll? Einzig die Zuversicht lehrt ihn das alles und mehr, als notwendig ist. Da gibt's für ihn keinen Unterschied in den Werken; er tut das Große, Lange, Viele so gern wie das Kleine, Kurze, Wenige und umgekehrt. Dazu tut er's mit fröhlichem, friedlichem, sicherem Herzen und ist dabei ein ganz freier Geselle. Wo aber ein Zweifel da ist, da sucht man, was wohl am besten sei. Da fängt man an, sich Unterschiede der Werke aus­zumalen, mit denen er Huld erwerben könnte, und er geht dennoch mit schwerem Herzen und mit großer Unlust daran und ist gleich davon gefangen, mehr als halb verzweifelt und wird oft zum Narren darüber.

So auch ein Christenmensch, der in dieser Zuversicht zu Gott lebt, weiß alle Dinge, vermag alle Dinge, greift in allen Dingen kühn an, was zu tun ist, und tut alles fröhlich und frei, nicht um viele gute Verdienste und Werke zu sammeln, sondern weil es ihm eine Lust ist, Gott damit wohlzugefallen, und dient Gott lauter und uneigennützig: Es ist ihm genug, dass es Gott gefällt.

Umgekehrt, wer mit Gott nicht eins ist oder daran zweifelt, der fängt an, sucht und sorgt, wie er doch noch genugtun und Gott mit vielen Werken bewegen wolle. Er läuft nach St.Jakob6, nach Rom, nach Jerusalem, hierhin und dahin, betet die St.-Brigitten-Gebete7 und dies und das, fastet an dem und an diesem Tag, beichtet hier, beichtet da, fragt diesen und jenen und findet doch keine Ruhe und tut das alles unter großer Beschwer, Verzweiflung und Unlust des Herzens, so dass auch die Schrift solche guten Werke auf hebräisch nennt »awehn und amal«, auf deutsch »Mühe und Arbeit«. Dazu sind's keine guten Werke, sondern alle verloren. Schon viele sind darüber toll geworden und vor Angst in allen Jammer gekommen. Von denen steht in der Weisheit 5, 6f.: »Wir sind müde geworden auf dem unrechten Weg und sind schwere, saure Wege gewandelt, aber Gottes Weg haben wir nicht erkannt und die Sonne der Gerechtigkeit ist uns nicht aufgegangen.«

 

Zum siebenten: In den Werken ist der Glaube noch gering und schwach. Lass uns weiter fragen: Wenn es ihnen übel ergeht an Leib, Gut, Ehre, Freunden oder was immer sie haben, ob sie auch dann glauben, dass sie Gott Wohlgefallen und er ihre Leiden und Widerwärtigkeiten, sie seien klein oder groß, ihnen gnädig verordne? Hier ist's eine Kunst, zu einem Gott, der sich zornig stellt nach all unsrem Sinn und Verständnis, gute Zuversicht zu haben und Besseres von ihm zu erhoffen als man's emp­findet. Hier ist er so verborgen, wie die Braut es im Hohen Lied 2, 9 sagt: »Siehe, er steht hinter der Wand und sieht durch die Fenster.« Das meint soviel wie: Unter den Leiden, die uns von ihm scheiden wollen wie eine Wand, ja wie eine Mauer, steht er verborgen und sieht doch auf mich und verlässt mich nicht. Denn er steht und ist immer bereit, in Gnaden zu helfen, und durch die Fenster des dunklen Glaubens lässt er sich sehen. Und in den Klagelie­dern des Jeremia heißt es: Er verwirft wohl die Menschen, aber wo er es tut, ist es nicht seine Herzensmeinung (Jeremia 3, 31ff). Diesen Glauben kennen sie gar nicht und finden sich ab, denken, Gott habe sie verlassen und sei ihnen feind. Ja, sie schreiben solches Übel den Menschen zu und dem Teufel, und so ist da rein keine Zuversicht mehr zu Gott.

Darum ist ihnen ihr Leiden auch allezeit ärgerlich und schädlich, und doch gehen sie hin und tun etliche guten Werke, wie sie meinen, und nehmen solchen Unglauben bei sich gar nicht wahr. Aber die Gott in solchem Leiden vertrauen und eine feste, gute Zuversicht zu ihm behal­ten, dass er ein Wohlgefallen an ihnen habe, denen sind die Leiden und Widerwärtigkeiten nichts als kostbare Verdienste und die edelsten Güter, die niemand hoch genug schätzen kann. Denn der Glaube und die Zuversicht ma­chen alles kostbar vor Gott, was für die ändern aufs allerschädlichste ist, so dass selbst vom Tod in Psalm 116, 15 geschrieben steht: »Der Tod seiner Heiligen ist kostbar geachtet vor Gottes Augen.« Und soviel die Zuversicht und der Glaube in diesem zweiten Grad besser, höher und stärker sind gegenüber dem ersten Grad, um soviel über­treffen die Leiden in diesem Glauben alle Werke im Glauben. Und so ist zwischen solchen Werken und Lei­den ein unermesslicher Unterschied, was die Besserung anlangt, die sie bewirken.

 

Zum achten: Über dies alles geht dann der höchste Grad des Glaubens, wenn Gott nicht mit zeitlichen Lei­den, sondern mit Tod, Hölle und Sünde das Gewissen straft und zugleich Gnade und Barmherzigkeit versagt, als wollte er ewig verdammen und zürnen. Nur wenige Menschen erfahren es so, wie David in Psalm 6, 1 es beklagt: »Herr, strafe mich nicht in deinem Grimm!« Hier zu glauben, dass Gott ein gnädiges Wohlgefallen an uns habe, ist das höchste Werk, das von und in seinen Ge­schöpfen geschehen kann. Davon wissen die Werkheili­gen und Guttäter gar nichts. Denn wie wollten sie hier für sich Gutes und Gnade von Gott erhoffen, wenn sie in ihren eigenen Werken ungewiss sind und schon im ge­ringsten Grad des Glaubens in Zweifel geraten?

Sieh, so hab ich's gesagt, allezeit den Glauben gepriesen und alle Werke, die ohne solchen Glauben geschehen, verworfen, um dadurch die Menschen von den falschen, blendenden, pharisäischen, ungläubigen guten Werken, von denen jetzt alle Klöster, Kirchen, Häuser, niederen und höheren Stände voll sind, weg- und zu den rechten, wahrhaftigen, grundguten gläubigen Werken hinzufüh­ren. Dabei widerstrebt mir auch niemand außer jenen unreinen Tieren, deren Füße nicht gespalten sind (wie es im Gesetz des Mose angedeutet ist, 3. Mose 11, 4), nämlich Menschen, die gar keine Unterscheidung dulden wollen in guten Werken, sondern plump hineintappen: Wenn nur gebetet, gefastet, gestiftet, gebeichtet, genuggetan wird, dann soll dies alles ein gutes Werk sein, auch wenn sie dabei keinen Glauben gehabt haben an die göttliche Gnade und sein Wohlgefallen. Ja, am meisten erachten sie es für gut, wenn es nur viele und große Werke waren und sie diese lange getan haben, auch ohne all solche Zuver­sicht. Und sie wollen allererst nachher Gutes davon erhof­fen, wenn die Werke getan sind, und wollen damit nicht auf das göttliche Wohlgefallen ihre Zuversicht bauen, sondern auf ihre getanen Werke, das heißt auf Sand und auf Wasser, wie Christus Matthäus 7, 26f. sagt. Diesen guten Willen und das Wohlgefallen, auf dem unsre Zuversicht steht, haben die Engel vom Himmel verkündigt, als sie in der Christnacht das Gloria in excelsis Deo sangen: »Ehre sei Gott in der Höhe, Frieden auf Erden, gnädiges Wohl­gefallen den Menschen!« (Lukas 2, 14)

 

Zum neunten: Sieh, das ist das Werk des ersten Gebo­tes, in dem geboten ist: »Du sollst keine anderen Götter haben.« Das heißt soviel wie: Weil ich allein Gott bin, sollst du auf mich allein deine ganze Zuversicht, dein Vertrauen und deinen Glauben setzen und auf niemand andres. Denn das heißt nicht, einen Gott haben, wenn du äußerlich mit dem Munde Gott nennst oder ihn auf den Knieen und mit Gebärden anbetest, sondern wenn du ihm herzlich vertraust und alles Gute, Gnade und Wohl­gefallen von ihm erhoffst, es sei im Wirken oder Lei­den, im Leben oder Sterben, in Lieb oder Leide. Wie der Herr Christus Johannes 4, 24 zu dem heidnischen Weib sagt: »Ich sage dir, wer Gott anbeten will, der muss ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.« Und dieser Glau­be, diese Treue, diese Zuversicht aus Herzensgrund ist die wahrhaftige Erfüllung dieses ersten Gebotes; ohne den gibt es sonst kein Werk, das diesem Gebot genugtun könnte.

Und wie dieses Gebot das allererste, höchste, beste ist, aus dem alle andern entspringen, in dem sie gehen, nach dem sie sich richten und an dem sie ihr Maß finden, so ist auch sein Werk (das meint: der Glaube oder die Zuver­sicht zu Gottes Huld zu aller Zeit) das allererste, höchste, beste, aus dem alle ändern entspringen, in dem sie gehen, bleiben, nach dem sie sich richten und an dem sie ihr Maß finden müssen. Und andere Werke sind demgegenüber gerade so, als wenn die ändern Gebote ohne das erste wären und kein Gott wäre. Deshalb spricht Augustinus zu Recht, des ersten Gebotes Werke seien Glauben, Hoffen und Lieben. Nun ist oben gesagt, dass solcher zuversichtliche Glaube Liebe und Hoffnung mit sich bringt; ja wenn wir's recht ansehen, dann ist die Liebe das erste oder doch zugleich da mit dem Glauben. Denn ich könnte Gott nicht vertrauen, wenn ich nicht dächte, er wolle mir günstig und hold sein; wodurch auch ich ihm wiederum hold und dazu bewegt werde, ihm herzlich zu trauen und alles Gute von ihm zu erhoffen.

 

Zum zehnten: Nun siehst du selbst, dass alle, die nicht auf Gott vertrauen allezeit und nicht seine Gunst, Huld und Wohlgefallen erhoffen in all ihrem Wirken oder Leiden, Leben oder Sterben, sondern bei anderen Dingen oder bei sich selbst solches suchen, dies Gebot nicht halten und wahrhaftig Abgötterei treiben, auch wenn sie die Werke aller anderen Gebote täten, dazu aller Heiligen Gebete, Fasten, Gehorsam, Geduld, Keuschheit, Un­schuld auf einem Haufen hätten. Denn das Hauptwerk ist nicht da, ohne das die ändern alle nichts sind als lauter Blendwerk, Schein und Schönfärberei und nichts dahin­ter. Vor diesen warnt uns Christus Matthäus 7, 15: »Hütet euch vor den falschen Propheten, die zu euch in Schafs­kleidern kommen!« Das sind alle, die durch viele gute Werke (wie sie's nennen) sich Gott wohlgefällig machen und Gott seine Huld gleichsam abkaufen wollen, als wäre er ein Trödler und Tagelöhner, der seine Gnade und Huld nicht umsonst geben wollte. Das sind die verkehrtesten Menschen auf Erden, die nur schwer oder nie zum rechten Weg bekehrt werden. Und ebenso steht es mit allen, die in Widerwärtigkeit hierhin und dahin laufen und überall Rat, Hilfe und Trost suchen, nur nicht bei Gott, bei dem danach zu suchen ihnen aufs höchste geboten ist. Die straft der Prophet Jesaja mit den Worten: »Das unsinnige Volk bekehrt sich nicht zu dem, der es schlägt.« (Jesaja 9, 13) Das meint: Gott schlug sie und fügte ihnen Leiden und allerlei Widerwärtigkeit zu, damit sie zu ihm laufen sollten und ihm vertrauen. Doch laufen sie von ihm weg zu den Menschen, jetzt nach Ägypten, jetzt nach Assyrien, viel­leicht auch zum Teufel; von solcher Abgötterei ist viel in diesem Propheten und in den Büchern der Könige ge­schrieben. So halten es alle scheinheiligen Gleisner auch jetzt noch, wenn ihnen etwas zustößt: Sie laufen dann nicht zu Gott, sondern fliehen von und vor ihm, denken nur noch daran, wie sie durch sich selbst oder durch menschliche Hilfe ihr Anliegen loswerden können, und wollen sich dennoch als fromme Leute achten und achten lassen!

 

Zum elften: Das ist die Meinung Paulus an vielen Stellen, wenn er dem Glauben soviel zuschreibt, dass er sagt: »Iustus ex fide sua vivit - der gerechte Mensch hat sein Leben aus seinem Glauben« (Römer 1, 17), und der Glaube ist das, weswegen er vor Gott als gerecht angese­hen wird. Besteht die Gerechtigkeit somit im Glauben, dann ist es klar, dass er allein alle Gebote erfüllt und alle ihre Werke rechtfertigt, da ja niemand gerechtfertigt ist, er tue denn alle Gottesgebote, und umgekehrt auch die Werke niemanden vor Gott rechtfertigen können ohne den Glauben. Und so ganz offen und vollmundig ver­wirft der heilige Apostel die Werke und preist den Glau­ben, dass etliche an seinen Worten Anstoß nahmen und sprachen: »Ei, so wollen wir kein gutes Werk mehr tun«, die er doch als irrige, unverständige Leute verdammt.

Und so geschieht es noch immer: Wenn wir die großen Werke, die zu unseren Zeiten in besonderem Ansehen stehen, verwerfen, weil sie ganz ohne Glauben getan werden, dann sagen sie, sie sollten wohl nur noch glauben und nichts Gutes mehr tun! Man nennt nämlich als Werke des ersten Gebotes zu dieser Zeit: Singen, Lesen8, Orgel­spiel, Messe halten, Metten, Vespern und andere Tagzei­ten beten, Kirchen, Altäre, Klöster stiften und schmücken mit Glocken, Kleinodien, Messgewändern, Geschmeide; auch Schätze von Verdiensten sammeln, nach Rom, zu den Heiligen laufen. Wenn wir demnach feierlich geklei­det uns bücken, die Kniee beugen, Rosenkranz und Psal­ter beten, und das alles nicht vor einem Abgott, sondern vor dem heiligen Kreuz Gottes oder vor einem Bild seiner Heiligen tun, das nennen wir Gott ehren, anbeten und, nach dem ersten Gebot, keine anderen Götter haben; was doch auch Wucherer, Ehebrecher und allerlei Sünder tun können und täglich tun!

Nun wohlan, geschehen diese Dinge in solchem Glau­ben, dass wir dafür halten, es gefalle Gott alles wohl, dann sind sie löblich, nicht um ihres besonderen Wertes, son­dern um dieses Glaubens willen, dem alle Werke gleich viel gelten, wie gesagt worden ist. Zweifeln wir aber daran oder halten nicht dafür, dass Gott uns hold sei, an uns Gefallen habe, oder maßen uns an, dass wir zuallererst ihm durch Werke und wegen dieser gefallen sollten, dann ist's lauter Betrug: Im Äußeren ehrt man Gott, im Inneren macht man sich selber zum Abgott. Das ist die Ursache, warum ich so oft gegen den Pomp, die Pracht, die Menge solcher Werke geredet und sie verworfen habe. Es hegt hell zutage, dass sie nicht bloß im Zweifel oder ohne solchen Glauben geschehen, sondern dass auch unter tau­send nicht einer ist, der nicht sein Vertrauen auf sie setzte und vermeinte, dadurch Gottes Huld zu erlangen und seiner Gnade zuvorzukommen. So macht man einen Jahrmarkt daraus, was Gott nicht dulden kann. Denn er hat seine Huld umsonst zu schenken versprochen und will, dass man bei dieser anhebe mit seiner Zuversicht und in ihr alle Werke vollbringe, wie sie genannt sein mögen.

 

Zum zwölften: Daraus merke selber, wie weit es aus­einanderliegt, das erste Gebot nur äußerlich, mit Werken, oder aber innerlich, mit Vertrauen, zu erfüllen! Denn dieses macht rechte, lebendige Gotteskinder, jenes nur schlimmere Abgötterei und die schädlichsten Scheinhei­ligen, die auf Erden sind, die unzählig viele Leute mit ihrem großen Ansehen zu ihrer Weise des Gottesdienstes verführen und lassen sie doch ohne Glauben bleiben und damit, jämmerlich verfuhrt, im äußerlichen Geplärr und Hirngespinst stecken. Von denen sagt Christus Matthäus 24, 23: »Hütet euch, wenn sie euch sagen werden: Siehe hier oder da ist Christus!« Desgleichen Johannes 4, 21: »Ich sage dir, dass die Zeit kommen wird, dass ihr weder auf diesem Berg noch zu Jerusalem werdet Gott anbeten, denn geist­liche Anbeter sucht der Vater.«

Diese und ähnliche Sprüche haben mich bewegen und sollen jedermann dazu bewegen, das große Gepränge mit Bullen, Siegeln und Fahnen bei den Ablässen zu verwer­fen, mit dem das arme Volk zu Kirchbauten, Gaben, Stiftungen, Gebeten verleitet wird, während der Glaube ganz verschwiegen, ja sogar unterdrückt wird. Denn weil es für ihn unter den Werken keinen Unterschied gibt, so kann es mit ihm nicht zusammenbestehen, ein Werk vor dem ändern so groß aufzublasen und zu betreiben. Denn er will allein der wahre Gottesdienst sein und die Ehre dieses Namens keinem ändern Werk lassen oder nur, so­viel er ihm davon mitteilt. Das tut er, wo immer das Werk in ihm und aus ihm geschieht. Der obige Unfug ist schon im Alten Testament angedeutet worden, als die Ju­den den Tempel stehen ließen, um an anderen Orten, in grünen Lustgärten und auf den Bergen zu opfern. So hal­ten diese es auch: Sie sind emsig dabei, alle Werke zu tun; aber auf dieses Hauptwerk, den Glauben, achten sie nie.

 

Zum dreizehnten: Wo sind nun die, die da fragen, welche "Werke gut seien, was sie tun sollen, wie sie fromm sein sollen? Ja, wo sind auch die, die da sagen, wenn wir vom Glauben predigen, dass wir dann keine Werke mehr lehren wollten oder tun sollten? Gibt nicht schon einzig dies erste Gebot mehr zu schaffen, als jemand tun kann? Auch wenn's nicht einer allein, sondern tausend oder alle Menschen oder alle Kreaturen wären, so wäre ihm hier dennoch genug auferlegt und mehr als genug, wenn ihm geboten ist, er solle allezeit in Glauben und Zuversicht zu Gott leben und wandeln, ja solchen Glauben auf keinen ändern abstellen und so nur einen, den rechten, und kei­nen anderen Gott haben.

Weil denn das menschliche Wesen seiner Natur nach keinen Augenblick sein kann ohne Tun oder Lassen, Leiden oder Fliehen (denn das Leben ruht nie, wie wir sehen): Wohlan, so fange an, wer fromm sein und voll guter Werke werden will, und übe sich selber in allem Leben und Wirken zu allen Zeiten in diesem Glauben und lerne beständig alles in solcher Zuversicht tun und lassen. Der wird dann finden, wie viel er zu tun hat und dass es in allen Dingen völlig am Glauben hegt und er nie müßig werden kann, weil auch der Müßiggang als ein Werk der Glaubensübung geschehen muss, und kurzum nichts in uns und an uns sein oder uns zufallen kann: Wenn wir glauben (wie wir sollen), es gefalle dies alles Gott, dann muss es gut sein und verdienstlich. So sagt Paulus: »Liebe Brüder, alles, was ihr tut, ihr esset oder trinket, tut es alles in dem Namen Jesu Christi, unsres Herrn.« (1. Korinther 10, 1) Nun kann es nicht in diesem Namen geschehen, wenn es nicht in solchem Glauben geschieht. Und so sagt er auch Römer 8, 28: »Wir wissen, dass alle Dinge den Heiligen Gottes zum besten mitwirken.«

Darum kommt die Redensart, dass etliche sagen, wenn wir allein den Glauben predigen, seien gute Werke ver­boten, auf das gleiche hinaus, wie wenn ich zu einem Kranken spräche: Besäßest du deine Gesundheit, dann hättest du auch alle Glieder in ihrem Gebrauch; ohne sie führt der Gebrauch aller Glieder zu nichts; und er daraus entnehmen wollte, ich hätte den Gebrauch der Glieder verboten; wo ich doch meinte: Die Gesundheit muss zuvor da sein und sich im Gebrauch aller Glieder auswir­ken. Ebenso muss auch der Glaube Werkmeister und Hauptmann sein in allen Werken, oder sie sind zu gar nichts zu gebrauchen.

 

Zum vierzehnten. Sodann könntest du sprechen: Warum gibt es denn so viele geistliche und weltliche Gesetze und viele Zeremonien in Kirchen, Klöstern, Städten, durch welche die Menschen zu guten Werken ge­drängt und angeregt werden sollen, wenn doch der Glaube dem ersten Gebot zufolge alle Dinge tut? Ant­wort: Eben darum, weil wir den Glauben nicht allesamt haben oder achten. Wenn den jedermann hätte, dann bedürften wir keines Gesetzes mehr, sondern ein jeder täte von selbst gute Werke zu aller Zeit, wie es ihn diese Zuversicht sehr wohl lehrte.

Nun gibt es aber viererlei Arten von Menschen. Die ersten, die, wie jetzt gesagt worden ist, keines Gesetzes bedürfen, von denen Paulus 1. Timotheus 1, 9 sagt: »Dem Ge­rechten (das meint dem Glaubenden) ist kein Gesetz auf­erlegt«, sondern solche tun freiwillig, was sie wissen und können, und sehen in fester Zuversicht nur auf das eine, dass Gottes Wohlgefallen und Huld über ihnen schwebe in allen Dingen.

Die zweiten wollen solche Freiheit missbrauchen, sich fälschlich darauf verlassen und faul werden. Von denen sagt Petrus 1. Petrus 2, 16: »Ihr sollt leben als die frei sind und doch diese Freiheit nicht zu einem Deckel der Sünden machen.« Als spräche er: Die Freiheit des Glaubens gibt keinen Freibrief zur Sünde, wird sie auch nicht decken, sondern sie gibt uns den Freibrief, alle möglichen Werke zu tun, wie sie uns vor die Hand kommen, und alles zu

ertragen, damit niemand sich bloß an ein Werk oder an einige wenige Werke gebunden fühle. So sagt St. Paulus auch Galater 5, 13: »Sehet zu, dass ihr diese Freiheit nicht eine Ursache sein lasst zu fleischlichem Leben.« Solche Men­schen muss man antreiben mit dem Gesetz und bewahren mit Lehren und durch Vermahnung.

Die dritten sind böse Menschen, allzeit ganz ungescheut zu Sünden bereit. Die muss man mit Gesetzen, geistlich und weltlich, zwingen wie die wilden Pferde und Hunde, und wenn das nichts helfen will, sie vom Leben tun durchs weltliche Schwert; wie Paulus sagt Römer 13, 3f.: »Die weltliche Gewalt trägt das Schwert und dient Gott damit, nicht den Frommen zur Furcht, sondern den Bösen.«

Die vierten sind die, die noch wohlgemut und wie Kinder sind im Verständnis solchen Glaubens und geistli­chen Lebens. Die muss man, wie die jungen Kinder, herbeilocken und anziehen durch das äußerliche, be­stimmte und verbindliche Zeremoniell: Lesen, Beten, Fa­sten, Singen, Kirchenraum, Kirchenschmuck, Orgeln und was davon in Klöstern und Kirchen fester Brauch und üblich ist, so lange, bis auch sie den Glauben erkennen lernen. Obwohl hier die große Gefahr besteht, dass die Regenten, wie es jetzt leider so geht, diese Zeremonien und sinnlichen Werke betreiben und einbleuen, als wären das die rechten Werke, und den Glauben vernachlässigen, den sie nebenher immer auch lehren sollten, so wie eine Mutter dem Kind neben der Milch auch andere Speisen gibt, bis das Kind die starke Speise selbst essen kann.

 

Zum fünfzehnten: Weil wir denn nicht alle gleich sind, müssen wir diese Menschen dulden und mit ihnen halten und tragen, was sie halten und tragen, und sollen sie nicht verachten, sondern im rechten Weg des Glaubens unter­weisen. So lehrt uns Paulus Römer 14, 1: »Den Schwa­chen im Glauben nehmt an, um ihn zu unterweisen.« So tat er's auch selbst 1. Korinther 9, 20f.: »Ich habe es so gehalten mit denen, die unter dem Gesetz waren, als wäre ich auch darunter, wo ich doch nicht darunter war.« Und Christus, als er den Zinsgroschen geben sollte, wozu er doch nicht verpflichtet war, disputierte er mit Petrus Matthäus 17, 25ff., ob auch die Kinder der Könige Zins zahlen müssten oder nur die anderen Leute, und Petrus ant­wortete: Nur die anderen Leute. Da sprach Christus: »Dann sind also die Kinder der Könige frei! Doch damit wir sie nicht ärgern, so geh ans Meer und wirf die Angel hinein; der erste Fisch, der dann kommt, den nimm, und in seinem Mund wirst du einen Pfennig finden, den gib ihnen für mich und für dich!«

Hier sehen wir, dass alle Werke und Dinge frei sind einem Christen durch seinen Glauben, und er doch, weil die anderen noch nicht glauben, mit ihnen trägt und hält, was nicht seine Schuldigkeit ist. Und das tut er wieder aus Freiheit, denn er ist gewiss, so gefalle es Gott, und tut es gerne, nimmt's auf sich wie ein anderes freies Werk, das ihm ohne eigene Wahl auf die Hand stößt, weil er nicht mehr begehrt und sucht als nur, wie er wirken kann, um Gott zu gefallen mit seinem Glauben.

Weil wir uns aber in diesem Sermon vorgenommen haben, zu lehren, was rechtschaffene, gute Werke seien, und jetzt von dem höchsten Werk reden, ist's offenbar, dass wir nicht von der zweiten, dritten oder vierten Art von Menschen zu reden haben, sondern von den ersten, denen die anderen alle gleich werden und darum von diesen ersten solange geduldet und unterwiesen werden sollen. Darum soll man solche Schwachen im Glauben, die gerne Gutes tun und Besseres lernen möchten, es jedoch noch nicht begreifen können, mit ihren Zeremo­nien nicht verachten, wenn sie so fest daran hängen, als sei's mit ihnen gänzlich verloren. Sondern man muss ihren ungelehrten, blinden Meistern die Schuld geben, die sie nie den Glauben gelehrt und sie so tief in die Werke geführt haben. Nun soll man sie dort wieder heraus- und in den Glauben hineinführen mit Sanftmut, Sorgfalt und in aller Ruhe, wie man mit einem Kranken umgeht, und es zulassen, dass sie etlichen Werken noch eine Zeitlang um ihres Gewissens willen anhangen und sie weiter trei­ben, als wären sie nötig zur Seligkeit, so lange, bis sie den Glauben recht erfassen; damit nicht, wenn wir sie so geschwind herausreißen wollen, ihr schwaches Gewissen ganz scheitert und irre wird und sie weder Glauben noch Werke behalten. Aber die Hartköpfigen, die, in ihren Werken verstockt, es gering schätzen, was man vom Glauben sagt, auch dagegen streiten, die soll man fahren lassen, damit ein Blinder den anderen leite, wie Christus es tat und lehrte (Matthäus 15, 14).

 

Zum sechzehnten. Sprichst du aber: Wie kann ich gewiss darauf hoffen, dass alle meine Werke Gott wohl­gefällig seien, wenn ich doch zuweilen falle, zuviel rede, esse, trinke, schlafe oder wohl auch sonst über die Stränge schlage, was zu vermeiden mir nicht möglich ist? Ant­wort: Diese Frage zeigt an, dass du den Glauben noch wie ein anderes Werk ansiehst und ihn nicht über alle Werke erhebst. Denn eben darum ist er das höchste Werk, weil er bestehen bleibt auch bei diesen täglichen Sünden und sie tilgt, indem er nicht daran zweifelt, Gott sei dir so günstig gesinnt, dass er wegen solch täglichem Fall und all der Gebrechlichkeit durch die Finger sieht. Ja, selbst wenn auch ein tödlicher Fall einträte (was doch denen, die im Glauben und Gottvertrauen leben, nie oder selten wider­fährt), steht der Glaube doch wieder auf und zweifelt nicht, seine Sünde sei schon dahin. Wie 1. Johannes 2, 1f. geschrieben steht: »Das schreibe ich euch, Hebe Kinder, auf dass ihr nicht sündigt; so aber jemand doch fällt, haben wir einen Fürsprecher bei Gott, Jesus Christus, der da ist eine Vergebung für alle unsere Sünden.« Und Weisheit 15, 2: »Und ob wir schon sündigten, so sind wir dennoch die Deinen und erkennen, dass du groß bist.« Und Sprüche 24, 16: »Siebenmal mag ein gerechter Mensch fallen, steht aber ebenso viele Mal wieder auf.« Ja, diese Zuversicht und der Glaube muss so hoch und stark sein, dass der Mensch weiß, dass all sein Leben und Wirken nichts als verdammenswerte Sünde sei vor Gottes Gericht, wie geschrieben steht Psalm 143, 2: »Es wird vor dir kein leben­diger Mensch gerechtfertigt erfunden.« Und so muss er an seinen Werken verzweifeln, weil sie nicht anders gut sein können als durch diesen Glauben, der kein Gericht, son­dern lauter Gnade, Gunst, Huld und Barmherzigkeit von Gott erwartet, wie David Psalm 26, 3 sagt: »Deine Barmher­zigkeit ist mir stets vor meinen Augen, und ich bin guten Mutes gewesen in deiner Wahrheit.« Und Psalm 4, 7: »Die Erleuchtung deines Angesichts schwebt über uns (das meint: die Erkenntnis deiner Gnade durch den Glauben), und damit hast du mein Herz fröhlich gemacht.« Denn so, wie er sich's versieht, es ihm geschieht.

Sieh also, aus Gottes Barmherzigkeit und Gnade, nicht wegen ihrer eigenen Natur sind die Werke ohne Schuld, vergeben und gut, um des Glaubens willen, der auf diese Barmherzigkeit sich verlässt. So müssen wir wegen der Werke uns fürchten, aber wegen der Gnade Gottes uns trösten, wie geschrieben steht Psalm 147, 11: »Gott hat ein gnädiges Wohlgefallen an denen, die sich vor ihm fürch­ten und dennoch auf seine Barmherzigkeit trauen.« So beten wir mit ganzer Zuversicht: »Vater unser« und bitten dennoch: »Vergib uns unsere Schuld«, sind Kinder und dennoch Sünder, sind ihm angenehm und tun doch nicht genug. Das macht alles der Glaube, wenn er in Gottes Huld fest wird.

Zum siebzehnten: Fragst du aber, wo Glaube und Zuversicht gefunden werden und herkommen können, dann ist das freilich das nötigste, was man wissen muss. Zuerst: Er kommt ohne Zweifel nicht aus deinen Wer­ken oder Verdiensten, sondern allein von Jesus Christus, ist uns da umsonst versprochen und gegeben, wie Paulus sagt Römer 5, 8: »Gott macht uns seine Liebe sehr süß und freundlich damit, dass Christus für uns gestor­ben ist, als wir noch Sünder waren.« Als wollte er sagen: Sollte uns das nicht eine starke, unüberwindliche Zuver­sicht machen, dass, ehe wir darum gebeten oder gesorgt haben, ja als wir noch in Sünden für und für wandelten, Christus für unsere Sünden stirbt? Und dort folgt dann: »Wenn denn Christus zu einer Zeit für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren, um wie viel mehr werden wir, wenn wir nun durch sein Blut gerechtfertigt sind, selig werden durch ihn? Und wenn wir mit Gott ver­söhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch seine Feinde waren, wie viel mehr werden wir, wenn wir nun versöhnt sind, durch sein Leben erhalten werden?« (Römer 5, 9f.)

Sieh, so musst du Christus in dich hineinbilden und sehen, wie in ihm Gott dir seine Barmherzigkeit vorhält und anbietet, ohne alle deine zuvorkommenden Verdien­ste. Und aus solchem Bild seiner Gnade musst du den Glauben schöpfen und die Zuversicht zur Vergebung all deiner Sünden. Darum fängt der Glaube nicht mit den Werken an, sie bringen ihn auch nicht hervor, sondern er muss aus dem Blut, den Wunden, dem Sterben Christi quellen und fließen. Wenn du darin siehst, dass dir Gott so hold ist, dass er auch seinen Sohn für dich gibt, muss auch dein Herz freundlich und Gott wieder hold werden und so die Zuversicht aus lauter Gunst und Liebe von Gott gegen dich und von dir gegen Gott erwachsen. So lesen wir, dass noch nie jemandem der heilige Geist gegeben worden sei dann, wenn er Werke getan hat, wohl aber immer dann, wenn sie das Evangelium von Christus und der Barmherzigkeit Gottes gehört haben. Aus diesem Wort muss der Glaube herkommen, auch noch heute und allezeit, und sonst von nirgendwo anders. Denn Christus ist »der Fels, aus dem man Butter und Honig saugt«, wie Mose sagt (5. Mose 32, 13).

 

 

 

Vom guten Werk des zweiten Gebotes

 

Zum achtzehnten: Sieh, bisher haben wir das erste Werk und das erste Gebot behandelt, doch nur in kurzen und groben Zügen, denn es wäre sehr vieles darüber zu sagen. Nun wollen wir den Werken weiter nachgehen anhand der folgenden Gebote.

Das zweite und nächste Werk nach dem Glauben ist das Werk des zweiten Gebots: dass wir Gottes Namen ehren und nicht unnütz gebrauchen sollen, was wie alle anderen Werke nicht ohne den Glauben geschehen  kann; ge­schieht's aber ohne ihn, so ist's lauter Blendwerk und Schein. Nächst dem Glauben können wir nichts Größeres tun, als dass wir Gottes Lob, Ehre und seinen Namen preisen, predigen, singen und auf allerlei Weise erheben und groß machen.

Wohl habe ich oben gesagt, und es ist auch wahr, dass es keinen Unterschied gibt zwischen den Werken, wenn der Glaube da ist und wirkt. Doch ist das dahin zu verste­hen: wenn sie nach dem Glauben und seiner Wirkung beurteilt werden. Aber wenn man sie untereinander ver­gleicht, gibt es einen Unterschied, und eines kann höher sein als das andere. So wie im Leib die Glieder, nach der Gesundheit beurteilt, keinen Unterschied aufweisen und die Gesundheit sich in dem einen gleich auswirkt wie in dem ändern, so sind doch die Tätigkeiten der Glieder verschieden und eines kann höher, edler, nützlicher sein als das andere. So auch hier: Gottes Ehre und Namen zu preisen ist besser als die folgenden Werke der anderen Gebote, und es muss doch in demselben Glauben gesche­hen, in dem alle ändern geschehen.

Ich weiß aber wohl: Dieses Werk wird gering geachtet; dazu ist es unbekannt geworden. Darum wollen wir's ausführlicher ansehen und lassen es jetzt genug gesagt sein, dass solches Werk im Glauben geschehen soll und in der Zuversicht, es gefalle Gott wohl. Ja, es gibt kein anderes Werk, bei dem man die Zuversicht und den Glauben ebenso unmittelbar empfindet und fühlt, wie wenn wir Gottes Namen ehren. Und es hilft sehr, den Glauben zu stärken und zu mehren; obwohl alle anderen Werke auch dazu helfen, wie Petrus sagt 2. Petrus 1, 10: »Liebe Brüder, wendet Fleiß daran, dass ihr durch gute Werke eure Berufung und Erwählung gewiss macht!«

 

Zum neunzehnten: Das erste Gebot verbietet, wir sol­len keine anderen Götter haben, und damit gebietet es, wir sollen nur einen, den rechten, Gott haben, durch einen festen Glauben, durch Vertrauen, Zuversicht, Hoff­nung und Liebe. Nur das sind die Werke, mit denen man einen Gott haben, ehren und behalten kann. Denn mit keinem anderen Werk kann man Gott erlangen oder verlieren als nur mit Glauben oder Unglauben, mit Ver­trauen oder Zweifel; von den anderen Werken reicht keines bis hin zu Gott. Ebenso wird uns im zweiten Gebot verboten, wir sollen seinen Namen nicht unnütz gebrau­chen. Doch will das nicht genug sein, sondern es wird uns damit auch geboten, wir sollen seinen Namen ehren, anrufen, preisen, predigen und loben. Und zwar ist es nicht anders möglich, als dass Gottes Name um seine Ehre gebracht wird, wo immer er nicht in rechter Weise geehrt wird. Denn wenn er auch mit dem Munde, mit Kniebeu­gen, Küssen oder ändern Gebärden geehrt wird: Wo das nicht von Herzen geschieht, in Glauben und Zuversicht zu Gottes Huld, ist es nichts als ein scheinheiliges, schön­gefärbtes Blendwerk.

Nun sieh, wie manche guten Werke ein Mensch unter diesem Gebot zu allen Stunden tun kann und dass er nie ohne gute Werke dieses Gebotes sein muss, wenn er will. So dass er fürwahr nicht in die Ferne wallfahren oder heilige Stätten aufsuchen muss. Denn sag an, welcher Augenblick mag wohl vorübergehen, in dem wir nicht unablässig Gottes Güter empfangen oder aber böse Wi­derwärtigkeiten erleiden? Was sind aber Gottes Güter und die Widerwärtigkeiten andres als ständige Ermah­nungen und Anreize, Gott zu loben, zu ehren und anzu­beten, ihn und seinen Namen anzurufen? Wenn du nun alle anderen Dinge los wärest, hättest du nicht genügend zu tun bloß mit diesem Gebot, dass du Gottes Namen unablässig anbetetest, sängest, lobtest und ehrtest? Und wozu ist die Zunge, Stimme, Sprache und der Mund sonst geschaffen? Wie es in Psalm 51, 16 heißt: »Herr, tue meine Lippen auf, dass mein Mund dein Lob verkündigen möge.« Und ebenda: »Meine Zunge soll erheben deine Barmherzigkeit.« (Ps.51,16) Was gibt es im Himmel für ein Werk außer dem dieses zweiten Gebotes, wie es in Psalm 84, 5 steht: »Selig sind, die da wohnen in deinem Hause; sie werden dich ewiglich loben«? So sagt David auch ps.34,2: »Gottes Lob soll allezeit in meinem Munde sein.« Und Paulus 1. Korinther 10, 31: »Ihr esst oder trinkt oder was ihr sonst tut, tut alles Gott zu Ehren!« Ebenso sagt er Kolosser 3, 17: »Alles, was ihr tut, es sei mit Worten oder mit Werken, tut es in dem Namen unsres Herrn Jesu Christi, Gott, dem Vater, zu Lob und Dank.« Wenn wir diesem Werk nachkämen, dann hätten wir hier auf Erden ein Himmelreich und allezeit genügend zu tun, wie die Seli­gen im Himmel.

 

Zum zwanzigsten: Daher kommt das verwunderliche und rechte Urteil Gottes, dass zuweilen ein armer Mensch, dem niemand viele und große Werke ansehen kann, bei sich selber zu Hause Gott fröhlich lobt, wenn es ihm wohl geht, oder ihn mit ganzer Zuversicht anruft, wenn ihm etwas zustößt, und damit ein größeres und angenehmeres Werk tut als ein anderer, der viel fastet, betet, Kirchen stiftet, auf Wallfahrten geht und sich hier und da mit großen Taten abmüht. Hier geschieht's die­sem Narren, dass er das Maul aufsperrt und nach großen Werken ausschaut, so völlig verblendet, dass er dieses größte Werk nie gewahr wird und dass Gott zu loben in seinen Augen ganz geringfügig ist gegenüber den großen Gebilden seiner selbsterdachten Werke, in denen er viel­leicht sich selber mehr als Gott lobt oder darin mehr an sich selber Gefallen hat als an Gott. Und so stürmt er mit guten Werken gegen das zweite Gebot und seine Werke an, wie schon der Pharisäer im Evangelium und der offenkundige Sünder für dies alles ein Ebenbild abgeben (Lukas 18, 10ff.). Denn der Sünder rief Gott an in seinen Sünden, lobte ihn und traf damit die zwei höchsten Ge­bote: den Glauben und Gottes Ehre. Der Scheinheilige verfehlte sie beide und prangte daher mit anderen guten Werken, durch die er sich selbst und nicht Gott rühmte, mehr auf sich als auf Gott sein Vertrauen setzte. Darum ist er billigerweise verworfen und jener auserwählt worden.

Das kommt alles daher, dass, je höher und besser die Werke sind, sie desto weniger glänzend erscheinen, und dass außerdem jeder meint, sie leicht tun zu können. Indessen sieht man vor Augen, dass niemand sich so sehr den Anschein gibt, Gottes Namen und Ehre zu preisen, wie eben die, die es niemals tun und die, weil das Herz ohne Glauben ist, mit solchem Blendwerk dem kostbaren Werk nur Verachtung eintragen. Der Apostel Paulus sagt es denn auch Römer 2, 23 freimütig heraus, dass die Gottes Namen am meisten lästern, die sich des Gesetzes Gottes rühmen.

Denn Gottes Namen zu nennen und seine Ehre aufs Papier und an die Wände zu schreiben, ist leicht gesche­hen. Ihn aber aus Herzensgrund zu loben und anzubeten für seine Wohltaten und ihn sich zum Trost anzurufen bei allem, was uns zustößt, das sind fürwahr die allerseltensten, höchsten Werke nächst dem Glauben. Wenn wir sehen sollten, wie wenige es davon in der Christenheit gibt, könnten wir vor Jammer verzagen! Und doch ver­mehren sich unterdessen noch immer die hohen, hüb­schen, überaus blendenden Werke, die Menschen erdacht haben und die diesen rechten Werken in ihrer Aufma­chung gleichen, doch im Grund ist das alles ohne Glauben, ohne Vertrauen, und kurzum nichts Gutes dahinter. So straft auch Jesaja das Volk Israel: »Hört ihr, die ihr den Namen habt, als wäret ihr Israel; die ihr schwöret bei dem Namen Gottes und gedenkt seiner weder in Wahrheit noch in Gerechtigkeit!« (Jesaja 48, 1) Das meint, dass sie es nicht mit dem rechten Glauben und der Zuversicht täten, welche die rechte Wahrheit und Gerechtigkeit ist, sondern auf sich selbst, ihre Werke und ihr Vermögen vertrauten und doch Gottes Namen anriefen und lobten: Das passt nicht zusammen!

 

Zum einundzwanzigsten: So ist es nun das erste Werk dieses Gebotes, Gott zu loben in all seinen Wohltaten, die so unermesslich viel sind, dass man auch mit solchem Lob und Dank billigerweise nicht aufhören noch an ein Ende kommen kann. Denn wer vermag ihn vollkommen zu loben für das natürliche Leben, geschweige denn für alle zeitlichen und ewigen Güter? Und so wird der Mensch von diesem einen Stück dieses Gebotes schon überschüttet mit guten, kostbaren Werken. Wenn er diese mit rechtem Glauben ausübt, ist er fürwahr nicht umsonst hier gewe­sen. Und in diesem Stück sündigt niemand so sehr wie die allerscheinheiligsten Heiligen, die sich selber gefallen, sich gerne rühmen oder doch gerne hören ihr Lob, Ehr und Preis vor der Welt.

Darum ist es das zweite Werk dieses Gebotes, dass man sich vor allen zeitlichen Ehren und Lobreden hüte, sie fliehe und meide und nicht danach suche, dass sein Name Aufsehen errege und große Berühmtheit erlange, so dass jedermann von ihm singe und sage. Dies ist eine ganz gefährliche und dennoch die allgemeinste Sünde; doch wird sie leider wenig beachtet. Es will doch jeder in einigem Ansehen stehen und nicht der geringste sein, wie gering er auch immer ist. So tief ist unsre Natur durch ihren Eigendünkel und ihr Vertrauen auf sich selber mit Bosheit durchtränkt9, ganz diesen zwei ersten Geboten zuwider!

Nun hält man dieses greuliche Laster in der Welt für die höchste Tugend. Deswegen ist es überaus gefährlich, heidnische Bücher und Historien zu lesen oder zu hören für diejenigen, die nicht zuvor durch die Gebote Gottes und die Historien in der heiligen Schrift wohl verständig geworden und erfahren sind. Denn alle heidnischen Bü­cher sind von diesem Gift der Lob- und Ehrsuche ganz durchwirkt. Man lernt in ihnen der blinden Vernunft zufolge, das seien keine tätigen oder wertvollen Men­schen und könnten es auch nicht werden, die sich nicht durch Lob und Ehre bewegen lassen. Und die werden dann für die besten gehalten, die Leib und Leben, Freunde und Gut und alles hintanstellen, damit sie Lob und Ehre erjagen. Es haben alle heiligen Väter über dies Laster geklagt und daraus einhellig geschlossen, dass es das am allerletzten zu überwindende Laster sei. Augustinus spricht: Alle anderen Laster geschehen als böse Werke, bloß Ehre und Selbstgefälligkeit kommt mit den guten Werken und durch sie zustande.

Darum, wenn ein Mensch nicht mehr zu tun hätte als dieses zweite Werk dieses Gebotes, hätte er doch sein Leben lang vollauf damit zu schaffen, gegen dieses Laster zu kämpfen, das so allgemein, so listig, so behend und hartnäckig ist, wenn man's austreiben will. Nun lassen wir alle dieses gute Werk hegen und üben uns in vielen anderen, geringeren guten Werken; ja, gerade durch an­dere gute Werke stoßen wir dieses um und vergessen es ganz. So wird denn der heilige Name Gottes für unsern verfluchten Namen, unsre Selbstgefälligkeit und Ehr­sucht unnütz in Gebrauch genommen und um seine Ehre gebracht, während er doch allein geehrt werden sollte. Solche Sünde wiegt schwerer vor Gott als Totschlag und Ehebruch. Aber man sieht diesem Laster seine Bosheit nicht so gut an wie dem Totschlag, seiner Subtilität we­gen; denn diese Sünde wird nicht grob fleischlich, son­dern im Geist vollbracht.

 

Zum zweiundzwanzigsten: Es meinen etliche, dass es gut sei für junge Leute, wenn sie durch Ruhm und Ehre, umgekehrt auch durch Schande und Schmach gereizt und zum Wohltun bewegt würden. Denn es gibt viele, die nur aus Furcht vor der Schande und aus Liebe zur Ehre Gutes tun und Übles lassen, das sie sonst keineswegs täten oder unterließen. Die lass ich's so halten. Aber wir suchen jetzt, wie man in rechter Weise gute Werke tun solle, und die dazu geneigt sind, bedürfen wahrlich nicht, dass sie mit der Furcht vor der Schande und der Liebe zur Ehre angetrieben werden, sondern sie haben einen höheren und viel edleren Antrieb und sollen den haben: Gottes Gebot, Gottes Furcht, Gottes Wohlgefallen und ihren Glauben und ihre Liebe zu Gott. Die diesen Antrieb nicht haben oder nicht achten und sich durch Schande oder Ehre antreiben lassen, die empfangen damit auch schon ihren Lohn, wie es der Herr sagt (Matthäus 6, 2 u. 5). Und wie der Antrieb ist, so ist auch das Werk und der Lohn: Da ist keines gut, oder doch nur in den Augen der Welt.

Nun meine ich, man könnte einen jungen Menschen mit Gottesfurcht und mit den Geboten so leicht gewöh­nen und antreiben wie mit nichts anderem. Doch wo dies nichts helfen will, müssen wir sie dulden, dass sie wegen der Schande und um der Ehre willen Gutes tun und Böses lassen. Ebenso wie wir auch böse Menschen dulden müs­sen oder die Unvollkommenen, von denen oben gesagt worden ist. Da können wir auch nicht mehr dazu tun als ihnen sagen, dass ihr Tun so nicht genug und recht vor Gott sei, und müssen sie so lassen, bis sie auch um des Gebotes Gottes willen recht tun lernen. So wie die jungen Kinder mit Gaben und Versprechungen ihrer Eltern zum Beten, Fasten, Lernen usw. angeregt werden, was doch nicht gut wäre, wenn sie's ihr Leben lang so trieben und nicht lernten, aus Gottesfurcht Gutes zu tun. Und noch viel schlimmer wäre es, wenn sie sich daran gewöhnten, nur um des Lobes und der Ehre willen Gutes zu tun.

 

Zum dreiundzwanzigsten. Das ist freilich wahr: Wir müssen dennoch einen guten Namen und unsre Ehre haben. Und es soll sich jeder so verhalten, dass man nichts Übles von ihm sagen noch jemand an ihm Anstoß neh­men kann, wie Paulus sagt Römer 12, 17: »Wir sollen Fleiß daran wenden, dass wir Gutes tun, nicht nur vor Gott, sondern auch vor allen Menschen.« Und 2. Korinther 4, 2: »Wir verhalten uns so ehrlich, dass kein Mensch etwas anderes von uns wisse.« Aber hier muss große Mühe und Vorsicht walten, dass diese Ehre und der gute Name das Herz nicht aufblase und es Gefallen daran finde. Und hier gilt der Spruch Salomos: »Wie das Feuer im Ofen das Gold bewährt, so wird der Mensch durch den Mund dessen bewährt, der ihn lobt.« (Sprüche 27, 21)

Nur wenige und ganz hochgeistliche Menschen dürf­ten es sein, die unter Ehre und Lob einfach, gelassen und gleichmütig bleiben, so dass sie sich nichts darauf zugute halten, keinen Dünkel noch Gefallen daran bekommen, sondern ganz frei und unbeschwert bleiben, all ihre Ehre und ihren Namen Gott allein zuschreiben, ihm allein anbefehlen und davon nicht anders Gebrauch machen als Gott zur Ehre und dem Nächsten zur Besserung und gar nicht für sich selber, zum eigenen Nutzen oder Vorteil. So dass keiner seiner Ehre wegen vermessen werde oder sich überhebe, auch nicht über den alleruntüchtigsten und verachtetsten Menschen, der auf Erden sein mag. Sondern er soll sich erkennen als einen Knecht Gottes, der ihm die Ehre gegeben hat, um ihm und seinem Nächsten damit zu dienen, nicht anders, als hätte er ihm befohlen, etliche Gulden um seinetwillen den Armen auszuteilen. So sagt er Matth.5,i6: »Euer Licht soll leuchten vor den Men­schen, auf dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der im Himmel ist, der Ehre würdigen.« Er spricht nicht, sie sollen euch der Ehre würdigen, sondern nur, eure Werke sollen ihnen zur Besserung dienen, damit sie dadurch Gottes Tun in euch und in ihnen selbst loben. Das ist der rechte Gebrauch eines guten Namens und unsrer Ehre, wenn Gott darüber gelobt wird, weil sie ändern zur Besserung dienen. Und wenn die Leute uns und nicht Gottes Tun in uns loben wollen, sollen wir es nicht dulden und uns mit allen Kräften wehren und davor fliehen wie vor der allerschwersten Sünde, dem Diebstahl an der göttlichen Ehre.

 

Zum vierundzwanzigsten: Daher kommt es, dass Gott oft einen Menschen in schwere Sünde fallen oder darin liegen lässt, damit er vor sich selbst und vor jedermann zuschanden werde, weil er sonst sich nicht hätte enthalten können von diesem großen Laster der eitlen Ehr- und Geltungssucht, wenn er mit seinen großen Gaben und Tugenden standhaft geblieben wäre. Da muss Gott gleichsam mit anderen, schweren Sünden dieser Sünde wehren, damit sein heiliger Name allein in Ehren bleibe. Und so wird eine Sünde zur Arznei für die andere, um unsrer verkehrten Bosheit willen, die nicht bloß das Üble tut, sondern auch alles Gute missbraucht.

Nun sieh, wie viel der Mensch zu tun habe, wenn er gute Werke tun will, die ihm allezeit in großen Haufen vor den Händen hegen und von denen er allenthalben umringt ist. Und leider, vor Blindheit, lässt er sie liegen und sucht sich andre nach seinem Gutdünken und Wohl­gefallen heraus und folgt diesen, so dass niemand genug dagegen reden, niemand genug sich davor hüten kann. Damit haben alle Propheten zu schaffen gehabt und sind alle darüber erwürgt worden, bloß weil sie diese selbster­dachten Werke verworfen und nur Gottes Gebote gepre­digt haben. Einer von ihnen, Jeremia, spricht: »So lässt euch der Gott Israels sagen: Nehmt eure Opfer wieder weg, werft sie mit all euren Gaben in einen Topfund fresst euer Opferfleisch selber! Denn ich habe euch von diesen nichts geboten. Sondern das habe ich euch geboten: Ihr sollt meine Stimme hören (das meint: nicht was euch recht und gut dünkt, sondern was ich euch heiße) und sollt wandeln in dem Weg, den ich euch geboten habe.« (Jeremia 7, 21f.) Und 5. Mose 12, 8 u. 32: »Du sollst nicht tun, was dich recht und gut dünkt, sondern was Gott dir geboten hat.«

Diese und dergleichen unzählige Sprüche der Schrift sind gesagt, um die Menschen wegzureißen nicht bloß von den Sünden, sondern auch von den Werken, die sie gut und recht dünken, und sie nur auf Gottes Gebote in einfältiger Meinung zu richten, dass sie diese allein und allezeit fleißig wahrnehmen, wie 2. Mose 13, 2 geschrieben steht: »Du sollst dir diese meine Gebote wie ein Malzei­chen in deiner Hand lassen sein und sie als ein ständiges Vorbild vor deinen Augen haben.« Und Psalm 1, 2: »Ein frommer Mensch, der redet auch mit sich selbst von dem Gebot Gottes Tag und Nacht.« Denn wir haben mehr als genug und zuviel zu tun, wenn wir bloß Gottes Geboten genugtun sollen. Er hat uns solche Gebote gegeben, damit wir, wenn wir sie verstehen, fürwahr keinen Augenblick müßig zu gehen brauchen und alle anderen Werke wohl vergessen können. Aber der böse Geist, der nicht ruht - wenn er uns nicht auf die linke Seite, zu den bösen Werken, verführen kann, ficht er uns an auf der rechten Seite durch selbsterdachte, scheinbar gute Werke. Dage­gen hat Gott geboten: »Ihr sollt von meinen Geboten nicht wanken, weder zur rechten noch zur linken Hand.« (5. Mose 28, 15; Josua 23, 6)

 

Zum fünfundzwanzigsten: Das dritte Werk dieses Ge­botes besteht darin, Gottes Namen anzurufen in allerlei Not. Denn darin sieht Gott seinen Namen geheiligt und hoch geehrt, wenn wir ihn nennen und anrufen in der Anfechtung und in der Not. Auch ist dies letztlich der Grund, warum er uns so viele Nöte, Leiden, Anfechtun­gen, auch den Tod zufügt, uns dazu in vielen bösen, sündigen Neigungen leben lässt: damit er dadurch den Menschen bedränge und ihm starke Anlässe gebe, zu ihm zu laufen, zu schreien, seinen heiligen Namen anzurufen und so dieses Werk des zweiten Gebots zu erfüllen. Wie er sagt Psalm 50, 15 u. 23: »Rufe mich an in deiner Not, so will ich dir helfen, so sollst du mich ehren; denn ein Opfer des Lobs will ich haben, und dies ist der Weg, auf dem du zur Seligkeit kommen kannst.« Denn bei solchem Werk wird der Mensch es gewahr und erfährt er, was Gottes Name vermag, wie mächtig er ist, zu helfen allen, die ihn anrufen, und dadurch nimmt auch die Zuversicht sehr stark zu und der Glaube, mit dem man das erste und höchste Gebot erfüllt. Das hatte David erfahren Psalm 54, 9f.: »Du hast mich erlöst von aller Not; darum will ich von deinem Namen sagen und bekennen, dass er lieblich und süß ist.« Und auch Gott spricht Psalm 91, 14f.: »Ich will ihn erlösen, darum dass er auf mich hofft; ich will ihm helfen, darum dass er meinen Namen erkannt hat.«

Nun sieh, welcher Mensch ist auf Erden, der nicht sein Leben lang auch mit diesem Werk genug zu tun hätte? Denn wer ist eine Stunde lang ohne Anfechtung? Ich will schweigen von den Anfechtungen der Widerwärtigkei­ten, deren es unzählige gibt. Ist doch sogar das die gefähr­lichste Anfechtung, wenn keine Anfechtung da ist und alles wohl steht und zugeht: dass der Mensch darüber nicht Gottes vergesse, zu frei werde und missbrauche die glückliche Zeit. Ja, hier hat er es zehnmal mehr nötig, Gottes Namen anzurufen, als in der Widerwärtigkeit. Denn es steht auch geschrieben Psalm 91, 7: »Tausend fallen auf der linken Seite, und zehntausend auf der rechten Seite.«

Auch so sehen wir es am hellen Tage, an der täglichen Erfahrung aller Menschen, dass grauenvollere Sünden und Untugenden geschehen, wenn Friede ist, alle Dinge wohlfeil sind und gute Zeit ist, als wenn Krieg, Pestilenz, Krankheiten und allerlei Unglück uns beschweren. So dass auch Mose sich um sein Volk sorgte, es würde aus keinem anderen Grund Gottes Gebot verlassen, als weil es zu voll, zu satt wäre und zuviel Ruhe hätte, wie er sagt 5. Mose 32, 15: »Mein liebes Volk ist voll, reich und fett geworden, darum hat es seinem Gott widerstrebt.« Des­halb ließ Gott diesem viele von seinen Feinden übrigblei­ben und wollte sie nicht vertreiben, damit sie keine Ruhe bekämen und sich darin üben müssten, Gottes Gebote zu haken, wie geschrieben steht Richter 3, 1ff. So macht er es auch bei uns, wenn er uns allerlei Unglück zufügt; soviel Sorgfalt lässt er über uns walten, um uns zu lehren und dazu zu bringen, dass wir seinen Namen ehren und anru­fen, Zuversicht und Glauben zu ihm gewinnen und so die ersten zwei Gebote erfüllen.

 

Zum sechsundzwanzigsten. Hier handeln nun die tö­richten Menschen gefährlich, und besonders die, die sich mit eigenen Werken zu Heiligen machen, und wer etwas Besonderes sein will: Da lernen sie, sich zu segnen; der schützt sich mit Schutzbriefen; der läuft zu den Wahrsa­gern; einer sucht dies, der andere das, damit sie nur ja dem Unfall entgingen und sicher wären. Es ist nicht zu erzäh­len, welches Teufelsgespenst dieses Spiel regiert mit Zau­bern, Beschwören, Aberglauben. Dies alles geschieht nur, weil sie Gottes Namen nicht gebrauchen und ihm nicht vertrauen. Hier entzieht man dem Namen Gottes und den beiden ersten Geboten die Ehre, weil man das beim Teu­fel, bei Menschen oder bei Kreaturen sucht, was allein bei Gott durch einen reinen, bloßen Glauben, durch Zuver­sicht und fröhliches Wagen und durch Anrufen seines heiligen Namens sollte gesucht und gefunden werden.

Nun greif du es selber mit Händen, ob das nicht eine große, unsinnige Verkehrung ist: Dem Teufel, den Men­schen und Kreaturen müssen sie glauben und von ihnen das Beste erhoffen, und ohne solchen Glauben und solches Vorhersehen hält und hilft nichts. Womit hat doch der fromme, treue Gott es verdient, dass man nicht auch ihm so viel und mehr glaubt und zutraut wie einem Menschen und dem Teufel, wo er doch nicht bloß Hilfe und gewis­sen Beistand zusagt, sondern auch gebietet, auf diesen zu hoffen, und uns auch mit allen möglichen Gründen dazu antreibt, solchen Glauben und solches Vertrauen in ihn zu setzen? Ist das nicht kläglich und zum Erbarmen, dass der Teufel oder ein Mensch, der uns nichts zu gebieten hat und auch zu nichts zwingen kann, sondern bloß Zusagen und Versprechungen macht, Gott vorgezogen und dass mehr von ihm als von Gott selber gehalten wird, der da zusagt, drängt und gebietet? Wir sollten uns billig schä­men und an denen ein Beispiel nehmen, die auf den Teufel oder auf Menschen vertrauen. Denn wenn der Teufel, der doch ein böser, lügenhafter Geist ist, all denen Treue hält, die mit ihm sich verbinden, wie viel mehr wird der allergütigste, wahrhaftigste Gott, ja er allein, dort Treue hal­ten, wo ihm jemand vertraut! Ein reicher Mann vertraut und verlässt sich auf sein Geld und Gut, und es hilft ihm auch. Und wir wollen nicht vertrauen und uns verlassen auf den lebendigen Gott, dass er uns helfen wolle oder könne? Man spricht: Gut macht Mut. Das ist wahr. Wie Baruch schreibt: Das Gold sei ein Ding, darauf sich die Menschen verlassen (Baruch 3, 17). Aber sehr viel größer ist da der Mut, den das höchste, ewige Gut macht, auf das sich freilich nicht alle Menschen, sondern allein Gottes Kinder verlassen.

 

Zum siebenundzwanzigsten: Wenn schon keine von diesen Widerwärtigkeiten uns zwänge, Gottes Namen anzurufen und ihm zu vertrauen, so wäre doch wohl die Sünde allein schon mehr als genug, um uns in diesem Werk einzuüben und anzutreiben. Denn die Sünde hat uns mit drei starken, großen Heeren umstellt. Das erste ist unser eigenes Fleisch, das zweite die Welt, das dritte der böse Geist. Von ihnen werden wir unaufhörlich umge­trieben und angefochten. Dadurch veranlasst uns Gott, unaufhörlich gute Werke zu tun, das heißt, mit diesen Feinden und Sünden zu streiten. Das Fleisch sucht Lust und Ruhe, die Welt sucht Gut, Gunst, Gewalt und Ehre, der böse Geist sucht Hoffart, Ruhm und Selbstgefällig­keit und Verachtung der anderen Leute.

Und diese Stücke sind alle so mächtig, dass jedes für sich selber genügt, um einen Menschen in einen Streit zu verwickeln. Und wir können sie doch auf keine Weise überwinden als allein damit, dass wir den heiligen Namen Gottes anrufen in einem festen Glauben, wie Salomo sagt Sprüche 18, 10: »Der Name Gottes ist ein fester Turm; der Gläubige flieht dorthin und wird allem enthoben.« So auch David Psalm 116, 13: »Ich will den heilsamen Kelch trinken und Gottes Namen anrufen.« Ebenso Psalm 18, 4: »Ich will mit Lob Gott anrufen, so werde ich vor allen meinen Feinden erhalten werden.« Diese Werke und die Kraft des göttlichen Namens sind uns unbekannt geworden, weil wir uns nicht an ihn gewöhnt, noch nie ernsthaft gegen Sünden gestritten und seinen Namen dazu nicht ge­braucht haben. Das kommt daher, dass wir nur in unseren selbsterdachten Werken geübt sind, die wir in eigener Kraft haben tun können.

 

Zum achtundzwanzigsten: Auch gehört es zu den Werken dieses Gebotes, dass wir nicht schwören, fluchen, lügen, trügen, zaubern und andere Missbräuche treiben sollen mit dem heiligen Namen Gottes. Das sind sehr grobe und jedermann wohlbekannte Dinge. Man hat bei diesem Gebot fast bloß solche Sünden gepredigt und verkündigt. In ihnen ist auch inbegriffen, dass wir es auch ändern verwehren sollen, zu lügen, zu schwören, zu be­trügen, zu fluchen, zu zaubern und auf andere Weisen mit Gottes Namen zu sündigen. Darin wird uns wieder viel Anlass gegeben, Gutes zu tun und Bösem zu wehren.

Aber das größte und allerschwerste Werk dieses Gebo­tes ist, den heiligen Namen Gottes gegen alle zu schützen, die ihn auf geistliche Weise missbrauchen, und ihn unter diesen allen auszubreiten. Denn das ist nicht genug, dass ich für mich selber und in mir selber den göttlichen Namen lobe und anrufe in Glück und Unglück. Ich muss hervortreten und um Gottes Ehre und seines Namens willen Feindschaft von allen Menschen auf mich laden, wie Christus zu seinen Jüngern sprach: »Es werden euch feind sein um meines Namens willen alle Menschen.« (Matthäus 10, 22) Hier müssen wir Vater, Mutter und die besten Freunde erzürnen. Hier müssen wir den Obrigkei­ten, geistlichen und weltlichen, widerstreben und unge­horsam gescholten werden. Hier müssen wir die Reichen, Gelehrten, Heiligen und alles, was etwas ist in der Welt, gegen uns erwecken. Und obwohl dies besonders dieje­nigen zu tun schuldig sind, denen Gottes Wort zu predi­gen befohlen ist, so ist doch jeder Christ auch dazu ver­pflichtet, wenn es die Zeit und Gelegenheit fordert. Denn wir müssen für den heiligen Namen Gottes dransetzen und drangeben alles, was wir haben und können, und mit der Tat beweisen, dass wir Gott und seinen Namen, seine Ehre und sein Lob über alle Dinge lieben, und ihm über alle Dinge vertrauen und Gutes von ihm erhoffen. Damit bekennen wir, dass wir ihn für das höchste Gut halten, um dessentwillen wir alle anderen Güter fahren lassen und drangeben.

 

Zum neunundzwanzigsten: Hier müssen wir zuerst widerstreben allem Unrecht, wo die Wahrheit oder Ge­rechtigkeit Gewalt und Not leidet, und dürfen darin keinen Unterschied nach den Personen machen, wie etli­che tun, die gar fleißig und emsig gegen das Unrecht fechten, das den Reichen, Gewaltigen, Freunden ge­schieht; aber wo es dem Armen oder Verachteten oder Feinden geschieht, da sind sie fein still und geduldig. Diese sehen den Namen und die Ehre Gottes nicht an, wie sie selbst ist, sondern durch ein gefärbtes Glas, und messen die Wahrheit oder Gerechtigkeit an den Personen und wer­den nicht gewahr ihres falschen Auges, das mehr auf die Person sieht als auf die Sache. Das sind die geborenen Heuchler: Sie geben sich nur den Anschein, die Wahrheit zu schützen. Denn sie wissen sehr wohl, dass es ungefähr­lich ist, wenn man den Reichen, Gewaltigen, Gelehrten, Freunden beisteht und kann von diesen wiederum Nutzen haben, beschützt und geehrt werden. Auf diese Weise ist es gar leicht, wider das Unrecht zu fechten, das Päp­sten, Königen, Fürsten, Bischöfen und anderen Großhan­sen widerfährt. Hier will ein jeder der Frömmste sein, wo es nicht so not tut. O wie heimlich ist hier der falsche Adam in dem, was er sucht! Wie fein versteckt er seine Habgier unter dem Namen der Wahrheit, der Gerechtig­keit und der Ehre Gottes! Wo aber einem armen, gerin­gen Menschen etwas widerfährt, da findet das falsche Auge nicht viel Nutzen, sieht aber die Ungunst der Ge­waltigen wohl; darum lässt man den Armen wohl ohne Hilfe bleiben. Und wer könnte die Menge dieses Lasters in der Christenheit aufzählen? So spricht Gott in Psalm 82, 2ff.: »Wie lange richtet ihr so unrecht und seht auf die Person des Ungerechten? Richtet dem Armen und Waisen seine Sache aus, und für den Elenden und Bedürf­tigen fordert sein Recht! Erlöset den Armen, und dem Verlassenen helft gegen die Gewalt des Ungerechten!« Aber man tut's nicht; darum geht es an jener Stelle so weiter: »Sie wissen nichts und verstehen auch nichts, wan­deln in Finsternis.« Das meint: Die Wahrheit sehen sie nicht, sondern heften die Augen bloß aufs Ansehen der Großen, wie ungerecht diese auch seien; die Armen, wie gerecht sie auch seien, erkennen sie nicht!

 

Zum dreißigsten: Sieh, da wären wohl viele gute Werke vorhanden. Denn in ihrer Mehrzahl tun die Ge­waltigen, Reichen und Freunde Unrecht und wenden Gewalt an gegen die Armen, Geringen und ihre Wider­sacher, und je größer sie sind, desto schlimmer geht's zu. Und wenn man dem schon nicht mit Gewalt wehren und der Wahrheit helfen kann, sollte man dies doch bekennen und mit Worten dagegen auftreten, sich den Ungerech­ten nicht anschließen, ihnen nicht recht geben, sondern die Wahrheit frei heraussagen.

Was hülfe es doch, wenn ein Mensch alles mögliche Gute täte, nach Rom und zu allen heiligen Stätten liefe, jeden Ablass erwürbe, alle Kirchen und Stifte erbaute, wenn er hierfür schuldig befunden würde an dem Namen und der Ehre Gottes, weil er sie verschwiegen und verlas­sen, aber Gut, Ehre, Gunst und Freunde höher geachtet hätte als die Wahrheit, die Gottes Name und Ehre selbst ist? Oder wer ist der, dem solches gute Werk nicht täglich vor seine Tür und in sein Haus käme? So dass er's nicht nötig hätte, weit zu laufen und nach guten Werken zu fragen? Und wenn wir das Leben der Menschen ansehen, wie man in diesem Stück an allen Orten gar so geschwind und leichthin verfährt, müssen wir mit dem Propheten rufen: »Omnis homo mendax - alle Menschen sind falsch, lügen und trügen!« (Psalm 116, 11) Denn die rechten, guten Hauptwerke lassen sie anstehen, schmücken und färben sich schön mit den geringsten und wollen fromm sein, still und in Ruhe gen Himmel fahren!

Sprichst du aber: Warum tut's Gott nicht allein und von selber, wo er's doch wohl kann und einem jeden zu helfen weiß? Ja, er kann's wohl, er will es aber nicht allein tun. Er will, dass wir mit ihm wirken, und tut uns die Ehre an, dass er mit uns und durch uns sein Werk wirken will. Und wenn wir von dieser Ehre keinen Gebrauch machen wollen, dann wird er allein es doch ausrichten, den Ar­men zu helfen. Und die ihm nicht haben helfen wollen und die große Ehre, mit ihm zu wirken, verschmäht haben, wird er samt den Ungerechten verdammen als die, die es mit den Ungerechten gehalten haben. So wie er allein selig ist, uns aber die Ehre antun und nicht allein selig sein, sondern uns mit sich zusammen selig haben will. Auch wären, wenn er's allein täte, seine Gebote uns vergeblich gegeben, weil dann niemand Anlass hätte, sich in den großen Werken dieser Gebote zu üben. Auch würde dann niemand die Probe machen darauf, ob er Gott und seinen Namen für das höchste Gut achte und um seinetwillen alles dransetze.

 

Zum einunddreißigsten: Zu diesem Werk gehört es auch, allen falschen, verführerischen, irrigen, ketzerischen Lehren, allem Missbrauch geistlicher Gewalt zu wider­streben. Das ist freilich viel schwieriger. Denn diese fech­ten gerade mit dem heiligen Gottesnamen gegen Gottes Namen. Deshalb erscheint ihre Sache so fromm und hält man's für gefährlich, ihnen zu widerstehen. Denn sie geben vor, wer ihnen widerstrebe, der widerstrebe Gott und allen seinen Heiligen, an deren Statt sie sitzen und ihre Gewalt gebrauchen. Sie sprechen, dass Christus von ihnen gesagt habe: »Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich.« (Lukas 10, 16) Sie versteifen sich ganz auf diese Worte, erfrechen und erkühnen sich zu sagen, zu tun, zu lassen, was sie nur wollen. Sie bannen, verfluchen, rauben, töten und suchen all ihre Verschla­genheit ganz ungehemmt fortzusetzen, wie sie's nur gelü­stet und sie sich's ausdenken können.

Nun hat Christus nicht gemeint, wir sollen sie hören in allem, was sie sagen und tun, sondern nur, wenn sie sein Wort, das Evangelium, und nicht ihr Wort, sein Werk und nicht ihr Werk uns vorhalten. Wie könnten wir sonst wissen, dass ihre Lügen und Sünden zu meiden seien? Es muss ja eine Regel geben, wie weit man sie hören und ihnen folgen solle. Diese kann aber nicht von ihnen, sondern muss von Gott für sie festgesetzt sein, damit wir uns nach ihr zu richten wissen, wie wir hören werden beim vierten Gebot.

Nun muss es wohl so sein, dass man auch im geistlichen Stand in der Mehrzahl falsche Lehre predigt und die geistliche Gewalt missbraucht, damit uns Anlass gegeben werde, das Werk dieses Gebotes zu tun, und damit wir die Probe machen können darauf, was wir gegen solche Got­teslästerer um der Ehre Gottes willen tun oder lassen wollen.

O wenn wir hier fromm wären, wie oft müssten dann die Amtsbuben ihren päpstlichen und bischöflichen Bann vergebens fällen, wie sollten die römischen Donnerschlage dann so matt werden! Wie oft müsste dann man­cher das Maul halten, dem jetzt die Welt zuhören muss! Wie wenige Prediger würde man in der Christenheit finden! Aber es hat Überhand genommen: Was immer sie uns vorschreiben und wie sie es tun, das muss alles recht sein. Hier ist niemand, der für Gottes Namen und Ehre stritte. Und ich halte dafür, dass in den äußerlichen Wer­ken weder größere noch allgemeinere Sünden vorkom­men als in diesem Stück. Es ist schwierig, so dass nur wenige es verstehen; dazu ist es mit Gottes Namen und Gewalt geschmückt, gefährlich in Angriff zu nehmen. Aber die Propheten vorzeiten sind Meister darin gewe­sen, auch die Apostel, besonders Paulus. Sie ließen sich's gar nicht anfechten, ob es der oberste oder der unterste Priester gesagt, ob er's in Gottes oder in seinem eigenen Namen getan hätte. Sie nahmen die Werke und Worte in acht und verglichen sie mit Gottes Geboten, ohne darauf zu sehen, ob es der große Hans oder der kleine Nickel gesagt, ob er es im Namen Gottes oder in eines Menschen Namen getan hätte. Darum mussten sie auch sterben; und davon wäre zu unseren Zeiten viel mehr zu sagen, denn es ist jetzt viel schlimmer. Aber Christus und Petrus und Paulus müssen das alles mit ihrem heiligen Namen decken, so dass kein schändlicherer Schanddeckel auf Erden auf­gekommen ist als ausgerechnet der allerheiligste, hochgebenedeite Name Jesu Christi.

Es könnte einem vor dem Leben grauen, allein wegen des Missbrauchs und der Lästerung des heiligen Namens Gottes. Unter seinem Einfluss (falls er länger fortdauern sollte) werden wir, wie ich fürchte, auch noch den Teufel selber öffentlich als Gott anbeten! So maßlos grob geht die geistliche Gewalt und gehen jetzt die Gelehrten mit diesen Sachen um. Es ist hohe Zeit, dass wir Gott mit Ernst bitten, dass er seinen Namen heiligen wolle. Es wird aber Blut kosten. Und die auf dem Gut der heiligen Märtyrer sitzen und durch ihr Blut gewonnen sind, müssen erst wieder selbst Märtyrer machen. Davon ein andermal mehr.

 

 

 

Von dem dritten Gebot

 

Zum ersten: Nun haben wir gesehen, wie viele guten Werke zum zweiten Gebot gehören, die doch in sich selber nicht gut sind, außer wenn sie im Glauben und in der Zuversicht der göttlichen Huld geschehen, und wie­ viel wir zu tun haben, wenn wir allein diesem Gebot nachkommen wollen. Doch leider gehen viele mit ande­ren Werken um, die dieses Gebot gar nicht verstanden haben.

Nun folgt das dritte Gebot: »Du sollst den Feiertag heiligen.« Im ersten ist geboten, wie sich unser Herz gegen Gott verhalten soll in Gedanken, im zweiten, wie der Mund mit Worten. In diesem dritten wird geboten, wie wir uns gegen Gott verhalten sollen mit Werken. Und das ist die erste, die rechte Tafel des Mose, auf der diese drei Gebote geschrieben stehen, die den Menschen regieren auf der rechten Seite, das heißt in den Dingen, die Gott betreffen und in denen Gott mit ihm und er mit Gott zu tun hat ohne Vermittlung irgendeiner Kreatur.

Die ersten Werke dieses Gebotes sind grob und sinnen­fällig. Wir nennen sie gemeinhin Gottesdienst. Darunter versteht man Messe hören, beten, Predigt hören an Sonn- und Festtagen. In diesem Sinn gehören ganz wenige Werke zu diesem Gebot. Und wenn sie nicht in der Zuversicht zu Gottes Huld und im Glauben geschehen, gelten sie nichts, wie oben gesagt ist. Deshalb wäre es auch wohl gut, wenn es nur wenige heilige Tage gäbe, zumal ihre Werke zu unseren Zeiten mit Müßiggehen, Fressen und Saufen, Spielen und anderen bösen Taten großenteils schlimmer sind als die der Werktage. Überdies werden da Messe und Predigt angehört, ganz ohne dass es zu einer Besserung kommt, und wird das Gebet ohne Glauben gesprochen. Es geht meist so zu, dass man meint, es sei genug geschehen, wenn wir die Messe mit den Augen gesehen, die Predigt mit den Ohren gehört, das Gebet mit dem Mund gesprochen haben. Und so gehen sie äußerlich drüber hinweg, denken nicht daran, dass wir bei der Messe etwas ins Herz empfangen, aus der Predigt etwas lernen und behalten, im Gebet etwas suchen, begehren und gewärtigen sollen. Obwohl hier die größte Schuld bei den Bischöfen und Priestern oder bei denen liegt, denen die Predigt befohlen ist, weil sie das Evangelium nicht predigen und die Leute nicht lehren, wie sie Messen erleben, Predigten hören und beten sollen. Darum wollen wir diese drei Werke kurz darlegen.

 

Zum zweiten: In der Messe tut's not, dass wir auch mit dem Herzen dabei sind. Dann sind wir aber dabei, wenn wir den Glauben im Herzen einüben. Hier müssen wir die Worte Christi erzählen, die er spricht, wie er die Messe einsetzt: »Nehmet hin und esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird.« Desgleichen über den Kelch: »Neh­met hin und trinket alle daraus, das ist ein neues, ewiges Testament in meinem Blut, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Das sollt ihr tun, so oft ihr's tut, zu meinem Gedächtnis.« (Matthäus 26, 26ff.; Lukas 22, 19ff.) Mit diesen Worten hat Christus sich ein Leichenbegängnis und eine Totengedenkfeier ge­schaffen, die man täglich ihm in der ganzen Christenheit nachfeiern sollte, und hat ein herrliches, reiches, großes Testament hinzugefügt und darin nicht Zins, Geld oder zeitliches Gut, sondern Vergebung aller Sünden, Gnade und Barmherzigkeit zum ewigen Leben als sein Erbteil verordnet, damit alle, die zu diesem Begängnis kommen, in den Besitz dieses Testamentes gelangen. Und darauf ist er gestorben: Damit ist dieses Testament in Kraft getreten und unwiderruflich geworden. Als dessen Zeichen und Urkunde hat er statt Briefs und Siegels seinen eigenen Leib und sein Blut hinterlassen unter dem Brot und dem Wein.

Hier tut es nun not, dass der Mensch sich im ersten Werk dieses Gebotes recht wohl übe; dass er ja nicht daran zweifle und lasse dies Testament sich gewiss sein, damit er nicht Christus zu einem Lügner mache. Denn wenn du bei der Messe nur dabeistehst und nicht daran denkst oder glaubst, dass dir dort Christus durch sein Testament die Vergebung aller Sünden zum Erbteil gemacht habe, was ist das anderes, als wenn du sprächest: Ich. weiß nicht oder glaub's nicht, dass das wahr sein soll, dass mir hier die Vergebung meiner Sünden zum Erbteil gegeben wird? O wie viele Messen sind jetzt in der Welt! Wie wenige aber sind es, die sie mit solchem Glauben hören und im Ge­brauch haben! Dadurch wird Gott gar schwer erzürnt. Deshalb soll und kann auch niemand fruchtbar der Messe beiwohnen, der nicht in Betrübnis und im Verlangen nach göttlicher Gnade seiner Sünden gerne entledigt wäre, oder wenn er sich je noch in einem bösen Vorsatz befände, dass er doch unter der Messe sich wandle und ein Verlangen bekomme nach diesem Testament. Darum ließ man vorzeiten keinen öffentlichen Sünder an der Messe teilnehmen.

Wenn's nun mit diesem Glauben recht zugeht, dann muss wegen dieses Testamentes das Herz froh werden und sich an der Liebe Gottes erwärmen und so seine Starrheit verlieren. Daraus gehen dann Lob und Dank und ein liebliches Herz hervor. Darum heißt die Messe auf grie­chisch Eucharistia, das meint Danksagung: dass wir Gott loben und danken für ein so tröstliches, reiches, seliges Testament, so wie der dankt, lobt und fröhlich ist, dem ein guter Freund tausend oder mehr Gulden vererbt hat. Obwohl es Christus oft ebenso geht wie denen, die in ihrem Testament etliche reich bedacht haben, die dann nicht mehr an sie denken noch Lob und Dank sagen. So geht es jetzt unseren Messen, dass man sie nur so hält, aber nicht weiß, wozu sie dienen und warum man sie hält. Daher kommt es, dass wir dafür weder danken noch

lieben noch loben; sondern wir bleiben dürr und hart, lassen's bei unsern Gebetlein bewenden. Davon ein ander­mal mehr.

 

Zum dritten: Die Predigt nun sollte nichts anderes sein als die Verkündigung dieses Testamentes. Aber wer kann es hören, wenn's niemand predigt? Nun verstehend die selber nicht, die es predigen sollen. Darum spazieren ihre Predigten in anderen, kraftlosen Fabeln herum, und so wird Christus vergessen, geschieht's uns wie jenem Ritter 2. Könige 7, 19, dass wir unser Gut sehen und doch nicht genießen. Davon auch der Prediger sagt: »Das ist ein großes Übel, wenn Gott einem Reichtum gibt und läßt ihn den nimmer genießen.« (Prediger 6, 2) So erleben wir unzählig viele Messen und wissen nicht, ob es ein Testament oder dies und das sei, grad als wäre es ein gewöhnliches gutes Werk für sich selbst wie sonst eines. O Gott, wie sind wir so gänzlich verblendet! Wo aber solches recht gepredigt wird, da tut's not, dass man dies fleißig höre, fasse, behalte, oft daran denke und so den Glauben stärke gegen alle Anfechtung durch die Sünden, gleichviel ob diese ver­gangen, gegenwärtig oder zukünftig sind.

Sieh, das ist die einzige Zeremonie oder Übung, die Christus selbst eingesetzt hat, um die seine Christen sich sammeln, in der sie den Glauben einüben und einträchtig festhalten sollen. Er hat sie ja nicht wie andere Zeremo­nien ein bloßes Werk sein lassen, sondern einen reichen, überschwenglichen Schatz hineingelegt, den wir all de­nen reichen und zueignen sollen, die daran glauben. Dazu sollte diese Predigt Anreiz geben, den Sündern ihre Sünde verleiden und das Verlangen nach dem Schatz entzünden. Darum muss es eine schwere Sünde sein, wenn sie das Evangelium nicht hören und einen solchen Schatz und das reiche Mahl, zu dem sie geladen werden, verachten. Aber eine viel größere Sünde ist es, wenn sie das Evangelium nicht predigen und so viele im Volk, die es gerne hörten, verderben lassen. Hat doch Christus streng geboten, das Evangelium und dieses Testament zu predigen, so dass er auch die Messe gar nicht halten lassen will, wenn das Evangelium nicht gepredigt wird, wie er sagt: »So oft ihr das tut, so gedenkt dabei mein.« (Lukas 22, 19) Das meint, wie Paulus sagt: »Ihr sollt predigen von seinem Tod.« (1. Korinther 11, 26) Deshalb ist es erschreckend und furchtbar, zu unseren Zeiten Bischof, Pfarrer und Prediger zu sein, denn niemand mehr kennt dieses Testament, geschweige denn dass sie es predigen würden, was doch ihre höchste und einzige Pflicht und Schuldigkeit ist. Wie schwer werden sie's haben, Rechenschaft zu geben für so viele Seelen, die verderben müssen, weil es an solcher Predigt gebricht!

 

Zum vierten soll man beim Beten nicht, wie die Ge­wohnheit ist, viele Blätter oder Rosenkranzperlen abzäh­len, sondern etliche anliegende Nöte vornehmen, für diese mit ganzem Ernst Hilfe begehren und damit Glau­ben und Zuversicht zu Gott so einüben, dass wir nicht daran zweifeln, wir werden erhört. So lehrt Bernhard seine Brüder und sagt: »Liebe Brüder, ihr sollt euer Gebet ja nicht verachten, als sei es umsonst, denn ich sage euch wahrlich, noch ehe ihr die Worte vollendet, ist das Gebet schon angeschrieben im Himmel! Und ihr sollt eines gewiss erwarten von Gott: dass entweder eure Bitte erfüllt werden wird oder, wenn sie nicht erfüllt wird, dass es für euch dann nicht gut und nützlich gewesen wäre, sie zu erfüllen.«

So ist das Gebet eine besondere Einübung des Glau­bens, der gewiss das Gebet Gott so angenehm macht, dass es entweder gewiss erhört wird oder dass uns etwas Besse­res dafür gegeben wird, als wir bitten. So spricht auch St Jakob: »Wer da Gott bittet, der soll nicht zweifeln im Glauben. Denn wenn er zweifelt, dann erwarte dieser Mensch nicht, dass er etwas erlangen werde von Gott.« (Jakobus 1, 6f.) Das ist wahrhaftig ein klarer Spruch, der ohne Umschweife zu- und absagt: Wer nicht vertraut, der erlangt nichts, weder das, was er bittet, noch etwas Bes­seres.

Um solchen Glauben zu erwecken, hat Christus auch selber Markus 11, 24 gesagt: »Ich sage euch: Alles, was ihr bittet, glaubt nur, dass ihr's empfangen werdet, so ge­schieht es gewiss.« Und Lukas 1, 9ff.: »Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; wer da sucht, der findet; wer da anklopft, dem wird aufgetan. Welcher Vater unter euch gibt seinem Sohn einen Stein, wenn er ihn bittet ums Brot? Oder eine Schlange, wenn er bittet um einen Fisch? Oder einen Skorpion, wenn er um ein Ei bittet? So ihr aber wisst, wie ihr euren Kindern gute Gaben geben sollt, die ihr selber nicht gut seid von Natur, wie viel mehr wird euer himmlischer Vater einen guten Geist geben allen, die ihn bitten!«

 

Zum fünften: Wer ist so hart und steinern, den solche mächtigen Worte nicht sollten bewegen, mit aller Zuver­sicht fröhlich und gerne zu beten? Aber wie viele Gebete müsste man ebenfalls reformieren, um nach diesen Wor­ten in rechter Weise zu beten? Es sind jetzt wohl alle Kirchen und Klöster voll Betens und Singens. Wie geht's aber zu, dass so wenig Besserung und Nutzen davon herkommt und es täglich schlimmer wird? Das hat keine andere Ursache als die, die Jakobus anzeigt, wenn er sagt: »Ihr bittet viel, und euch wird doch nichts zuteil, darum dass ihr nicht recht bittet.« (Jakobus 4, 3) Denn wenn dieser Glaube und diese Zuversicht im Gebet nicht da ist, dann ist das Gebet tot und nichts weiter als eine schwere Mühe und Arbeit. Wenn für diese etwas gegeben wird, ist's doch nichts andres als zeitlicher Nutzen, ganz ohne dass es der Seele zugute kommt oder hilft, ja zum großen Schaden und zur Verblendung der Seelen. Darin gehen sie hin, plappern viel mit dem Mund, ohne danach zu fragen, ob sie es erlangen, begehren, Vertrauen haben, und sie bleiben dabei verstockt in solchem Unglauben wie in der schlimmsten Gewohnheit, gegen die Übung des Glaubens und die Natur des Gebetes.

Daraus folgt, dass ein rechter Beter nicht mehr daran zweifelt, sein Gebet sei gewiss Gott angenehm und erhört, auch wenn ihm nicht eben das, was er bittet, gegeben wird. Denn man soll Gott die Not vorlegen im Gebet, doch ihm nicht Maß, Weise, Frist oder Stätte vorschrei­ben, sondern anheimgeben, ob er es besser oder anders geben wolle, als wir denken. Denn wir wissen oft nicht, was wir bitten, wie Paulus sagt Römer 8, 26, und Gott wirkt und gibt über unser Begreifen, wie er sagt Epheser 3, 20, damit kein Zweifel sei des Gebetes wegen, es sei ange­nehm und erhört, und man doch Gott Zeit, Stätte, Maß und Frist frei lasse: Er werde es wohl machen, wie es sein soll. »Das sind die rechten Anbeter, die ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.« (Johannes 4, 24) Denn die nicht glauben, dass sie erhört werden, die sündigen auf der linken Seite gegen dieses Gebot und treten zu weit ab von ihm mit ihrem Unglauben. Die ihm aber eine Frist vor­schreiben, die sündigen auf der rechten Seite und treten ihm zu nahe mit ihrem Gottversuchen. Darum hat er beides verboten: dass man nicht weiche von seinem Ge­bot, weder zur linken noch zur rechten Hand, das meint: weder aus Unglauben noch um ihn zu versuchen, sondern bleibe mit einfältigem Glauben auf der richtigen Straße, ihm zu vertrauen und ihm doch keine Frist vorzuschrei­ben.

 

Zum sechsten: So sehen wir, dass dieses Gebot, ebenso wie das zweite, nichts anderes sein soll als eine Ein- und Ausübung des ersten Gebotes, das heißt des Glaubens, Vertrauens, der Zuversicht, Hoffnung und Liebe zu Gott, damit ja das erste Gebot in allen Geboten der Hauptmann und der Glaube das Hauptwerk und Leben aller anderen Werke sei, ohne den (wie gesagt) sie nicht gut sein kön­nen.

Wenn du aber sagst: Wie, wenn ich nicht glauben kann, dass mein Gebet erhört und angenehm sei? Ant­wort: Eben darum ist der Glaube, das Gebet und sind alle anderen guten Werke geboten, damit du erkennen sollst, was du kannst und nicht kannst! Und falls du findest, dass du nicht so glauben und tun kannst, damit du dich demü­tig darüber vor Gott beklagst und so mit einem schwa­chen Fünklein des Glaubens anfängst, diesen täglich mehr und mehr durch seine Einübung in allem Leben und Wirken zu stärken. Denn was die Gebrechen des Glau­bens (das heißt des ersten und höchsten Gebotes) angeht, da ist niemand auf Erden, der nicht einen großen Anteil daran hätte. Denn auch die heiligen Apostel im Evange­lium und vornehmlich Petrus waren so schwach im Glauben, dass auch sie Christus baten und sagten: »Herr, vermehre uns den Glauben« (Matthäus 14, 31; Lukas 17, 5), und er sie sehr oft schalt, dass sie einen so kleinen Glauben hätten.

Darum sollst du nicht verzagen, nicht Hände und Füße erschlaffen lassen, auch wenn du findest, dass du nicht so stark glaubst in deinem Gebet oder in anderen Werken, wie du wohl solltest und wolltest. Ja, du sollst Gott danken aus Herzensgrund, dass er dir deine Schwachheit so offenbart, wodurch er dich lehrt und vermahnt, wie sehr es dir not tue, dich zu üben und täglich zu stärken im Glauben. Denn wie viele siehst du, die da hingehen, beten, singen, lesen, Werke tun und sich den Anschein geben, als ob sie große Heilige wären, die aber nimmer­mehr so weit kommen, dass sie erkennen, wie es um das Hauptwerk, den Glauben, bei ihnen bestellt sei. Damit verführen sie in ihrer Verblendung sich selber und andere Leute, meinen, sie seien gar wohl dran, bauen so heimlich auf den Sand ihrer Werke ohne allen Glauben, nicht aber auf Gottes Gnade und Zusagen durch einen festen, reinen Glauben.

Darum haben wir, solange wir leben, es sei so lang wie es wolle, alle Hände voll zu tun, dass wir mit allen Werken und Leiden im ersten Gebot und im Glauben Schüler bleiben und nicht aufhören zu lernen. Niemand weiß, wie groß es ist, allein auf Gott zu vertrauen, als wer damit anfängt und es mit den Werken versucht.

 

Zum siebenten: Nun sieh abermals, wenn kein anderes gutes Werk geboten wäre, wäre nicht das Beten allein schon genug, um das ganze Leben des Menschen im Glauben zu üben? Zu solchem Werk sind dann insbeson­dere die geistlichen Stände bestimmt, wie schon vor Zei­ten etliche Väter Tag und Nacht beteten. Ja, es gibt freilich keinen Christenmenschen, der nicht Zeit dazu habe, unaufhörlich zu beten; ich meine da aber das geist­liche Beten. Das heißt: Niemand wird, wenn er will, von seiner Arbeit so hart beschwert, er kann in seinem Herzen nebenher immer mit Gott reden, ihm seine oder anderer Menschen Not vorlegen, nach Hilfe verlangen, bitten und in dem allem seinen Glauben üben und stärken.

Das meint der Herr, wenn er Lukas 18, 1 sagt: »Man muss ohne Unterlass beten und nimmer aufhören«, obgleich er doch viele Worte und langes Gebet, die er Matthäus 6, 7 an den Heuchlern tadelt, verbietet. Nicht weil das mündli­che, lange Beten etwas Böses wäre, sondern weil es nicht das rechte Gebet sei, das immer geschehen könne, und weil es ohne das innerliche Beten des Glaubens nichts sei. Denn auch das äußerliche Gebet müssen wir zu seiner Zeit üben, besonders in der Messe, wie es dieses Gebot fordert, und wo immer es förderlich ist für das innerliche Gebet und den Glauben, es sei im Hause, auf dem Feld, bei diesem oder jenem Werk. Darüber mehr zu sagen, ist aber jetzt nicht die Zeit. Denn das gehört in das Vaterunser, in dem alle unsere Bitten und mündlichen Gebete mit kur­zen Worten inbegriffen sind.

 

Zum achten: Wo sind nun die, die gute Werke zu wissen und zu tun begehren? Laß sie bloß das Beten sich vornehmen und im Glauben recht ausüben, dann werden sie finden, dass es wahr sei, wie die heiligen Väter gesagt haben: dass keine Arbeit so schwer wie das Beten ist. Murmeln mit dem Mund ist leicht oder jedenfalls als leicht angesehen. Aber ihm mit Herzensernst Wort für Wort folgen in gründlicher Andacht, das heißt begierig und gläubig, so dass man es ernstlich begehrt, was die Worte enthalten, und nicht daran zweifelt, es werde er­hört, das ist eine große Tat vor Gottes Augen.

Hier wehrt sich der böse Geist mit allen Kräften. O wie oft wird er hier die Lust zu beten verhindern, keine Zeit und Gelegenheit dazu lassen! Ja, er wird es auch recht oft zweifelhaft machen, ob der Mensch würdig sei, eine sol­che Majestät, die Gott selbst ist, zu bitten, und ihn so sehr verwirren, dass der Mensch selbst nicht mehr weiß, ob ihm das, was er bittet, ernst sei oder nicht; ob es möglich sei, dass sein Gebet angenehm sei, und solch wunderlicher Gedanken noch viele. Denn er weiß wohl, wie mächtig das rechte, gläubige Gebet eines Menschen sei, wie weh es ihm tut und allen Menschen nützlich ist; darum lässt er's nicht gerne aufkommen.

Hier muss fürwahr der Mensch weise sein und darf nicht daran zweifeln, dass er und sein Gebet unwürdig sei vor solch unermesslicher Majestät. Er darf sich in keiner Weise auf seine Würdigkeit verlassen oder es seiner Un­würdigkeit wegen unterlassen, sondern muss Gottes Ge­bot zu Herzen nehmen und es ihm vorhalten, muss es gegen den Teufel aufbieten und sagen: Um meiner Wür­digkeit willen wird nichts angefangen, um meiner Un­würdigkeit willen nichts unterlassen. Ich bete und tue die Werke allein darum, weil Gott aus lauter Güte allen Unwürdigen Erhörung und Gnade zugesagt hat. Ja, er hat sie nicht bloß zugesagt, sondern hat auch aufs strengste bei seiner ewigen Ungnade und seinem Zorn geboten, zu beten, zu vertrauen und sie anzunehmen. Ist es der hohen Majestät nicht zuviel gewesen, seine so unwürdigen Würmlein so teuer und hoch zu verpflichten, ihn zu bitten, ihm zu vertrauen und alles von ihm anzunehmen, wie soll mir's zuviel sein, ein solches Gebot auf mich zu nehmen mit aller Freude, wie würdig oder unwürdig ich sei? So muss man des Teufels Eingebungen mit Gottes Gebot von sich stoßen; dann hört er auf und sonst nim­mermehr.

 

Zum neunten: Was sind es aber für nötige Sachen, die man dem allmächtigen Gott im Gebet vorlegen und klagen muss, um darin den Glauben zu üben? Antwort: Es sind zuerst die jedem anliegenden eigenen Nöte und Be­drängnisse. Davon sagt David Psalm 32, 7: »Du bist meine Zuflucht in aller Angst, die mich umgibt, und bist mein Trost, mich zu erlösen von allem Übel, das mich um­ringt.« Desgleichen Psalm 142, 2f.: »Ich habe mit meiner Stimme zu Gott, dem Herren, gerufen; ich habe mit meiner Stimme Gott gebeten; ich will mein Gebet aus­breiten vor seinen Augen und will vor ihm ausschütten alles, was mir anliegt.« So soll ein Christenmensch in der Messe sich das vornehmen, von dem er fühlt, dass es ihm mangle oder dass er zuviel davon habe, und dies alles frei vor Gott ausschütten mit Weinen und Winseln, so kläg­lich wie er nur kann, als vor seinem treuen Vater, der bereit ist, ihm zu helfen. Und weißt du und erkennst du deine Not nicht oder hast keine Anfechtung, so sollst du wissen, dass du am allerübelsten dran bist. Denn das ist die größte Anfechtung, wenn du dich so verstockt, harther­zig, unempfindlich findest, dass dich keine Anfechtung bewegt!

Es gibt aber keinen besseren Spiegel, in dem du deine Not sehen kannst, als eben die zehn Gebote. In ihnen findest du, was dir gebricht und du suchen sollst. Darum, wenn du an dir einen schwachen Glauben, wenig Hoff­nung und geringe Liebe zu Gott findest, desgleichen, dass du Gott nicht lobst und ehrst, sondern deine eigene Ehre und deinen Ruhm lieb hast, Menschengunst groß achtest, die Messe und Predigt nicht gerne hörst, zu faul bist zum Beten - und es gibt niemanden, dem es in solchen Stücken an nichts gebräche -: dann sollst du dieses Gebrechen für wichtiger halten als alle leiblichen Schäden an Gut, Ehre und Leib, weil sie sogar schlimmer sind als der Tod und jede tödliche Krankheit. Und du sollst sie mit Ernst Gott vorlegen, beklagen und Hilfe erbitten, und dann mit aller Zuversicht darauf warten, dass du erhört seiest und seine Hilfe und Gnade erlangen werdest. Dann fahre fort mit der zweiten Tafel der Gebote und sieh, wie ungehorsam du gewesen warst und noch bist gegen Vater und Mutter und alle Obrigkeit; wie du mit Zorn und Hass, mit Schelt­worten an deinem Nächsten schuldig wirst; wie dich Unkeuschheit, Geiz und Unrecht in Taten und Worten gegen deinen Nächsten anfechten: So wirst du ohne Zweifel finden, dass du voller Not und Elend bist und Grund genug hättest, sogar Blutstropfen zu weinen, wenn du's vermöchtest.

 

Zum zehnten: Ich weiß aber wohl, dass viele so töricht sind, dass sie um solche Dinge nicht bitten wollen, wenn sie sich nicht vorher rein finden, und meinen, Gott erhöre niemanden, der noch in Sünden liegt. Das kommt alles von falschen Predigern, die lehren, nicht mit dem Glau­ben und Vertrauen auf Gottes Huld, sondern mit eigenen Werken anzufangen.

Sieh, du elender Mensch: Wenn du ein Bein gebrochen hast oder dich eine leibliche Todesgefahr überfällt, dann rufst du Gott, diesen und jenen Heiligen an und wartest nicht erst so lange, bis dein Bein wieder gesund wird oder die Gefahr vorüber ist. Und du bist auch nicht so närrisch, zu denken, Gott erhöre niemanden, der ein gebrochenes Bein hat oder in Todesgefahr ist. Vielmehr meinst du doch, Gott solle dich dann am ehesten erhören, wenn du in der größten Not und Angst bist. Ei, warum bist du dann hier so närrisch, wo unermesslich viel größere Not da ist und ewiger Schaden droht, und willst nicht eher um Glauben, Hoffnung, Liebe, Demut, Gehorsam, Keusch­heit, Sanftmut, Frieden, Gerechtigkeit bitten, als bis du ganz ohne Unglauben, Zweifel, Hoffart, Ungehorsam, Unkeuschheit, Zorn, Geiz und Ungerechtigkeit seiest; obwohl du doch, gerade je mehr du dich in diesen Stücken gebrechlich findest, desto mehr und fleißiger schreien und beten solltest!

So blind sind wir: Mit einer leiblichen Krankheit und Not laufen wir zu Gott hin; mit einer Krankheit der Seele laufen wir von ihm weg und wollen erst wiederkommen, wenn wir gesund sind, gerade als könnte es ein anderer Gott sein, der dem Leib, und ein anderer, der dem Geist helfen könnte, oder als ob wir in geistlicher Not, die doch größer als die leibliche ist, uns selbst helfen wollten. Das ist ein teuflischer Rat und Vorsatz! Nicht so, lieber Mensch! Willst du von Sünden gesund werden, darfst du dich Gott nicht entziehen, sondern musst viel getroster zu ihm laufen und ihn bitten, als wenn dich eine leibliche Not überfallen hätte. Gott ist den Sündern nicht feind, sondern nur den Ungläubigen, das heißt denen, die ihre Sünde nicht erkennen, beklagen, noch Hilfe bei Gott dafür suchen, sondern sich in ihrer Vermessenheit selbst reinigen, seine Gnade nicht nötig haben wollen und ihn nicht einen solchen Gott sein lassen, der jedermann gibt und nichts dafür nimmt.

 

Zum elften: Das ist jetzt alles vom Gebet für persönli­che Nöte und im allgemeinen gesagt. Aber das Gebet, das eigentlich zu diesem Gebot gehört und ein Feiertagswerk heißt, ist viel besser und größer. Das soll geschehen für die Versammlungen der ganzen Christenheit, für alle Not aller Menschen, der Feinde und Freunde, besonders derer, die zu eines jeden Pfarrei oder Bistum gehören.

So befahl es Paulus seinem Jünger Timotheus: »Ich ermahne dich, dafür zu sorgen, dass man bitte und flehe für alle Menschen, für die Könige und alle, die da in der Obrigkeit sind, damit wir ein stilles, ruhiges Leben führen mögen in Gottes Dienst und Lauterkeit. Denn dies ist gut und angenehm vor Gott, unsrem Seligmacher.« (1. Timotheus 2, 1ff.) Desgleichen gebot Jeremia dem Volk Is­rael, sie sollten Gott bitten für die Stadt und für das Land Babylonien, weil der Friede der Stadt auch ihr Friede wäre (Jeremia 29, 7). Und Baruch schrieb Baruch 1, 11f.: »Bittet für das Leben des Königs zu Babylonien und für das Leben seines Sohnes, damit wir im Frieden unter ihrem Regiment leben.«

Dieses allgemeine Kirchengebet ist kostbar und das allerkräftigste Gebet; dessentwegen kommen wir auch zusammen. Davon heißt auch die Kirche ein Bethaus, weil wir dort einträchtig zuhauf unsre und aller Men­schen Nöte uns vornehmen, diese Gott vortragen und ihn um Gnade anrufen sollen. Das muss aber mit Herzensbe­wegung und Ernst geschehen, damit uns solche Not und Bedürftigkeit aller Menschen zu Herzen gehe und wir so aus wahrhaftigem Miterleiden mit ihnen im rechten Glauben und Vertrauen bitten. Und wenn kein solches Gebet in der Messe geschähe, dann wäre es besser, die Messe zu unterlassen. Denn wie besteht und passt es zu­sammen, dass wir leiblich in einem Bethaus zusammen­kommen, womit angezeigt wird, wir sollten für die ganze Gemeinde gemeinsam anrufen und bitten, wenn wir da­bei die Gebete verstreuen und so aufteilen, dass jeder nur für sich selber bittet und niemand sich um den anderen annimmt noch sich um jemandes Not bekümmert?10 Wie kann so das Gebet nützlich, gut, angenehm und allgemein oder ein Werk des Feiertags und der Versammlungen heißen? So tun die, die ihre eigenen Gebetlein halten, der für dies, dieser für das, und haben nichts als eigennützige, selbstsüchtige Gebete, denen Gott feind ist.

 

Zum zwölften: Von diesem allgemeinen Kirchengebet ist noch aus alter Gewohnheit eine Andeutung übrigge­blieben, wenn man am Ende der Predigt die Beichtformel spricht und für die ganze Christenheit auf der Kanzel bittet.11 Aber es sollte damit nicht erledigt sein, wie es nun Brauch und Weise ist, sondern man sollte es als eine Ermahnung ansehen, die ganze Messe hindurch für solche Nöte zu bitten. Dazu will uns der Prediger anregen und, damit wir würdig bitten, uns zuvor an unsere Sünden erinnern und dadurch demütigen. Das soll aber ganz kurz sein, damit dann die ganze Gemeinde zuhauf Gott ihre Sünden selbst klage und mit Ernst und Glauben für jeder­mann bitte.

O dass doch Gott wollte, dass wenigstens irgendwo noch eine Gemeinde auf diese Weise die Messe hörte und betete, dass da gemeinsam ein ernsthafter Aufschrei der Herzen aus der ganzen Gemeinde zu Gott empor dränge! Was für eine unermessliche Stärkung und Hilfe könnte auf dieses Gebet folgen! Was könnte alle bösen Geister mehr schrecken? Könnte es ein größeres Werk auf Erden geben, durch das so viele Fromme erhalten, so viele Sün­der bekehrt würden?

Denn wahrhaftig, die christliche Kirche auf Erden ver­fugt über keine größere, wirksamere Macht als dieses allgemeine Gebet, das alles aufnimmt, was ihr zustoßen kann. Das weiß der böse Geist wohl. Darum tut er auch alles, was er kann, um dieses Gebet zu verhindern. Da lässt er uns hübsche Kirchen bauen, viel stiften, pfeifen, lesen und singen, viele Messen halten und ein maßloses Ge­pränge treiben; dafür ist ihm nichts zu schade. Ja, er hilft noch dazu, dass wir ein solches Treiben für das Beste halten und uns einbilden, wir hätten's damit wohl ausge­richtet. Aber dass dieses allgemeine, starke, fruchtbare Kirchengebet daneben untergeht und wegen solchen Blendwerks unvermerkt unterbleibt: Da hat er erreicht, was er sucht! Denn wenn das Gebet darniederliegt, wird ihm niemand mehr etwas nehmen, auch niemand wider­stehen. Wo er aber gewahr würde, dass wir dieses Gebet üben wollten, wenn es gleich unter einem Strohdach wäre oder in einem Saustall, würde er es ganz sicher nicht hingehen lassen, sondern sich weit mehr vor diesem Sau­stall fürchten als vor allen hohen, großen, schönen Kirchen, Türmen, Glocken, wo immer sie sein mögen, wenn nur solches Gebet nicht drin wäre! Es liegt gewiss nicht an den Stätten oder Gebäuden, in denen wir zusammen­kommen, sondern allein an diesem unüberwindlichen Gebet: daran, dass wir dies in rechter Weise zusammen tun und vor Gott kommen lassen.

 

Zum dreizehnten: Die Kraft dieses Gebetes merken wir daraus, dass vorzeiten Abraham für die fünf Städte bat, Sodom und Gomorra usw., und es so weit brachte, dass, wenn nur zehn fromme Menschen darin gewesen wären, zwei in einer jeden, dann hätte sie Gott nicht vertilgt (1. Mose 18, 22ff.). Was könnte es dann erst bewirken, wenn viele zuhauf herzlich mit Ernst und Vertrauen Gott anriefen? Auch Jakobus sagt: »Liebe Brüder, bittet fürein­ander, dass ihr selig werdet, denn gar viel vermag eines frommen Menschen Gebet, das anhält oder nicht ablässt« (das meint: das nicht aufhört, fortan noch mehr zu bitten, auch wenn nicht alsbald geschieht, was er bittet, wie es etliche Wankelmütige tun). Und er stellt dafür den Pro­pheten Elias als Exempel vor: »Der war ein Mensch (so spricht er), wie wir sind, und betete, dass es nicht regnen sollte, und es regnete nicht drei Jahre und sechs Monate lang. Wiederum betete er, und es hat geregnet und ist alles fruchtbar geworden.« (Jakobus 5, 16ff.) Sprüche und Exem­pel, die uns zu bitten antreiben, gibt es sehr viele in der Schrift, doch stets so, dass es geschehen müsse mit Ernst und im Glauben. Wie David sagt: »Gottes Augen sehen auf die Frommen, und seine Ohren hören auf ihre Ge­bete.« (Psalm 33, 18) Desgleichen: »Gott ist nahe bei denen, die ihn anrufen, wenn sie ihn in der Wahrheit anrufen.« (Psalm 145, 18) Warum fügt er hinzu: »in der Wahrheit anru­fen«? Weil man nämlich das nicht beten oder anrufen nennen kann, wenn nur der Mund murmelt.

Was sollte Gott tun, wenn du nur so daherkommst mit dem Maul, dem Buch oder dem Rosenkranz und an nichts weiter denkst, als wie du mit den Worten vollständig und vollzählig zum Ende kommen willst? So dass, wenn dich jemand fragt, in welcher Angelegenheit du zu bitten vorhättest, würdest du's selber nicht wissen? Denn daran hattest du gar nicht gedacht, dies oder das vor Gott zu bringen oder zu begehren; dein einziger Grund zum Beten ist, dass man dir so und so viel zu beten auferlegt hat; dies willst du einhalten und fertig bringen. Wen wun­dert's, dass Blitz und Donner so oft Kirchen anzünden, weil wir so aus dem Bethaus ein Spotthaus machen und es beten nennen, auch wenn wir innerlich dabei nichts vor­bringen oder uns wünschen? Wir sollten es aber so halten wie die, die vor großen Fürsten um etwas bitten wollen. Die nehmen sich nicht vor, bloß eine bestimmte Anzahl von Worten daherzuplaudern; der Fürst würde sonst an­nehmen, sie wollten ihn verspotten oder wären von Sin­nen. Sondern sie fassen es unumwunden in Worte, legen ihre Not sorgfältig dar und stellen es dennoch seiner Gnade anheim, in guter Zuversicht, es werde erhört. So müssen wir auch mit Gott ganz bestimmte Sachen ver­handeln, nämlich etliche dringende Nöte zur Sprache bringen, sie seiner Gnade und seinem guten Willen an­heimstellen und nicht zweifeln, es sei erhört. Denn er hat solchen Bitten Erhörung zugesagt: Das hat noch kein irdischer Herr getan!

 

Zum vierzehnten: Auf diese Weise zu bitten verstehen wir meisterhaft, wenn wir leibliche Not leiden, wenn wir krank sind. Da ruft man St. Christoffel an, da St. Barbara; da gelobt man, nach St. Jakob, hierhin und dahin zu wall­fahren. Da gibt es ernsthaftes Beten, gute Zuversicht und jede gute Art von Gebet. Aber wenn wir in den Kirchen sind, während der Messe, stehen wir wie die Ölgötzen da, wissen nichts vorzubringen oder zu klagen. Da klappern die Steinperlen, rauschen die Blätter und das Maul plap­pert: Mehr wird da nicht draus.

Fragst du aber, was du vorbringen und klagen sollst in dem Gebet, so bist du leicht zu belehren aus den zehn Geboten und dem Vaterunser. Tu die Augen auf und sieh auf dein und der ganzen Christenheit Leben, besonders auf den geistlichen Stand, dann wirst du finden, wie Glaube, Hoffnung, Liebe, Gehorsam, Keuschheit und alle Tugenden darniederliegen, allerlei schreckliche La­ster regieren; wie es an guten Predigern und Prälaten gebricht; wie lauter Buben, Kinder, Narren und Wei­ber regieren. Da wirst du finden, dass es not täte bei solch schrecklichem Zorn Gottes, ihn mit lauter blutigen Tränen zu allen Stunden unablässig zu bitten in aller Welt! Und es ist nur allzu wahr, dass es noch nie nötiger war, ihn zu bitten, als zu dieser Zeit und fortan noch mehr, bis zum Ende der Welt. Wenn dich solche schreck­lichen Gebrechen nicht zu Jammer und Klage bewegen, dann lass dich durch deinen Stand oder Orden, durch gute Werke oder Gebete nicht täuschen: Es wird dann keine christliche Ader oder Art an dir geben, du seiest so fromm wie du magst!

Das ist aber alles im voraus verkündigt: Zu der Zeit, wenn Gott aufs höchste zürnen und die Christenheit am meisten Not leiden werde, würden sich keine Fürbitter finden lassen noch solche, die sich schützend vor uns stellen gegen Gott, wie Jesaja weinend sagt: »Du bist erzürnt über uns, und da ist leider niemand, der aufstünde und dich abhielte.« (Jesaja 64, 6) Ebenso sagt Hesekiel: »Ich habe gesucht unter ihnen, ob nicht jemand da wäre, der doch noch einen Zaun zwischen uns machte und stellte sich mir entgegen und wehrte mir; ich habe ihn aber nicht gefun­den. Darum habe ich meinen Zorn über sie gehen lassen und habe sie in der Hitze meines Grimmes verschlungen.« (Hesekiel 22, 30) Mit diesen Worten zeigt Gott an, wie er will, dass wir ihm widerstehen und füreinander seinem Zorn weh­ren sollen. Wie vom Propheten Mose oft geschrieben steht, dass er Gott aufhielt, damit sein Zorn das Volk von Israel nicht überschüttete.

 

Zum fünfzehnten: Wo wollen aber die bleiben, die nicht bloß solches Unglück der Christenheit für nichts achten, nicht fürbitten, sondern darüber lachen, ein Wohlgefallen daran haben, richten, verleumden, von ih­res Nächsten Sünden singen und sagen und sich dennoch erlauben, ungescheut und unverschämt in die Kirche zu gehen, Messe zu hören, Gebete zu sprechen und sich für fromme Christen zu halten und halten zu lassen? Die hätten's wohl nötig, dass man zwiefach für sie bittet, während man nur einfach für die zu bitten braucht, die von ihnen gerichtet, ins Gerede gebracht und verlacht werden. dass es solche zukünftig geben werde, ist auch vorausgesagt durch den Unken Schacher, der Christus in seinem Leiden, Gebrechen und seiner Not lästerte, und durch alle, die Christus schmähten am Kreuz, wo sie ihm doch am meisten sollten geholfen haben.

O Gott, wie blind, ja unsinnig sind wir Christen ge­worden! Wann will der Zorn ein Ende nehmen, himmli­scher Vater? Dass wir das Unglück der Christenheit, für das zu bitten wir in der Kirche und Messe versammelt werden, verspotten, lästern und richten, das macht unser verdrehter Verstand. Wenn der Türke Städte, Land und Leute verheert, Kirchen verwüstet, dann meinen wir, es sei der Christenheit großer Schaden geschehen. Dann klagen wir und bewegen Könige und Fürsten zum Streit. Aber dass der Glaube untergeht, die Liebe erkaltet, Gottes Wort unterbleibt, alle möglichen Sünden überhandneh­men: Da denkt niemand an Streit! Ja, Papst, Bischöfe, Priester, Geistliche, die in diesem geistlichen Streit gegen diese geistlichen und viel schlimmeren Türken sollten Herzöge, Hauptleute und Fähnriche sein, die sind nun geradezu selbst zu Fürsten und Anführern solcher Türken und des teuflischen Heeres geworden, wie Judas für die Juden, als sie Christus gefangen nahmen. Es musste schon ein Apostel, ein Bischof, ein Priester, einer der Besten sein, der anfing, Christus umzubringen! So kann auch die Christenheit nur von denen, die sie beschirmen sollten, zerstört werden. Und doch bleiben sie dabei so wahnwit­zig, dass sie trotzdem den Türken fressen wollen und so das Haus und den Schafstall daheim selber anzünden und abbrennen lassen mit Schafen und allem, was darin ist, und dessen ungeachtet dem Wolf in den Büschen nach­spüren! Das ist die Zeit, das ist der Lohn, den wir verdient haben durch Undankbarkeit für die unendliche Gnade, die uns Christus umsonst erworben hat mit seinem teuren Blut, mit schwerer Arbeit und bitterem Tod!

 

Zum sechzehnten: Sieh da, wo sind nun die Müßigen, die nicht wissen, wie sie gute Werke tun sollen? Wo sind sie, die nach Rom, St. Jakob, hierhin und dahin laufen? Nimm dir dies einzige Werk, die Messe, vor, sieh an deines Nächsten Sünde und Fall, erbarm dich seiner, laß dich's jammern, klag's Gott und bitte dafür! Dies tu auch für alle andere Not der Christenheit, besonders der Obrigkeit, die Gott, uns allen zur unerträglichen Strafe und Plage, so greulich fallen und verführt werden lässt! Tust du das mit Fleiß, so sei gewiss, du bist einer der besten Streiter und Herzöge nicht bloß wider die Türken, sondern auch wider die Teufel und höllischen Gewalten. Tust du es aber nicht, was hülfe es dir, dass du alle Wunderzeichen aller Heiligen tätest und alle Türken erwürgtest und doch schuldig erfunden würdest als einer, der auf seines Näch­sten Not nicht geachtet und dadurch gegen die Liebe gesündigt hätte? Denn Christus wird am Jüngsten Tage nicht fragen, wie viel du für dich gebetet, gefastet, Wall­fahrten gemacht, dies oder das getan hast, sondern wie viel du den ändern, den Allergeringsten, wohlgetan hast.

Nun gehören zu den Geringsten ohne Zweifel auch die, die in Sünden und in geistlicher Armut, Gefangen­schaft und Bedürftigkeit sind, von denen es jetzt noch weit mehr gibt als solche, die leibliche Not leiden. Darum sieh dich vor: Unsre selbsterwählten guten Werke weisen uns an uns und in uns selber hinein, so dass wir bloß unseren Nutzen und unsere Seligkeit suchen. Aber Gottes Gebote drängen uns zu unsrem Nächsten, damit wir so nur den anderen zu ihrer Seligkeit nützlich seien. Wie Christus am Kreuz nicht nur für sich selber bat, sondern viel mehr für uns, als er sprach: »Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.« (Lukas 23, 34) So müssen auch wir füreinander bitten. Daraus kann jeder erkennen, dass die Verleumder, Splitterrichter und Verächter anderer Leute ein verkehrtes, böses Volk sind, die nicht mehr tun als bloß die zu schmähen, für die sie bitten sollten. In diesem Laster steckt niemand so tief wie gerade die, die viele selbsterwählte gute Werke tun und vor den Men­schen glänzen und für etwas Besonderes gehalten werden wegen ihres schönen, scheinheiligen Treibens mit man­cherlei guten Werken.

 

Zum siebzehnten: Geistlich verstanden enthält dieses Gebot ein noch viel höheres Werk, das die ganze Natur des Menschen umfasst. Hierzu muss man wissen, dass Sabbat auf hebräisch heißt Feier oder Ruhe, darum dass Gott am siebenten Tag ruhte und aufhörte mit all seinen Werken, die er geschaffen hatte (1. Mose 2, 3). Darum gebot er auch, dass wir den siebenten Tag feiern und an ihm mit unsren Werken aufhören sollten, die wir in den sechs Tagen tun. Und dieser Sabbat ist nun für uns in den Sonntag verwandelt, und die anderen Tage heißen Werk­tage, der Sonntag heißt Ruhetag oder Feiertag oder hei­liger Tag. Und wollte Gott, dass in der Christenheit keine Feiertage wären außer dem Sonntag, dass man alle Feste unsrer lieben Frau und der Heiligen auf den Sonntag verlegte!  Dann unterblieben viele böse  Untugenden wegen der Werktagsarbeit; auch würden die Länder nicht so arm und ausgezehrt werden. Aber nun sind wir mit vielen Feiertagen geplagt zum Verderben der Seelen, Leiber und Güter; davon wäre vieles zu sagen.

Dieses Ruhen oder das Aufhören mit den Werken geschieht auf zweierlei Art, leiblich und geistlich. Darum wird dieses Gebot auch auf zweierlei Weisen verstanden. Die leibliche Feier oder Ruhe, von der oben die Rede war, besteht darin, dass wir unser Handwerk und unsre Arbeit anstehen lassen, damit wir uns in der Kirche ver­sammeln, die Messe feiern, Gottes Wort hören und ge­meinsam einträchtig beten. Zwar ist diese Feier leiblich und in der Christenheit nicht länger von Gott geboten, wie der Apostel Kolosser 2, 16 sagt: »Lasst euch von nieman­dem zu irgendeinem Feiertage verpflichten, denn diese sind vorzeiten vorausdeutende Bilder gewesen«; nun aber ist die Wahrheit erfüllt, dass an allen Tagen Feiertag ist, wie Jesaja sagt: »Es wird ein Feiertag nach dem anderen sein« (Jesaja 66, 23), wie umgekehrt auch an allen Tagen Werk­tag ist. Dennoch ist sie nötig und von der Christenheit angeordnet um der unvollkommenen Laien und Arbeits­leute willen, damit die auch zum Wort Gottes kommen können. Denn wie wir sehen, halten die Priester und Geistlichen alle Tage die Messe, beten die Stundengebete und üben sich in dem Wort Gottes mit Studieren, Lesen und Hören. Darum sind sie auch vor anderen befreit von der Arbeit, mit Zinsen versorgt, haben alle Tage Feiertag, tun auch alle Tage die Werke des Feiertags, und es gibt für sie keinen Werktag, sondern einer ist wie der andere. Und wenn wir alle vollkommen wären und das Evangelium auswendig könnten, dann könnten wir alle Tage arbeiten, wenn wir wollten, oder auch feiern, wenn wir könnten. Denn Feiern ist jetzt weder notwendig noch geboten, außer dazu, um das Wort Gottes zu lernen und um zu beten.

Die geistliche Feier12, die Gott in diesem Gebot vor allem meint, besteht nicht bloß darin, dass wir Arbeit und Handwerk anstehen lassen, sondern viel mehr darin, dass wir Gott allein in uns wirken lassen und selber mit all unseren Kräften nichts Eigenes wirken. Wie geht das aber zu? Das geht so zu: Der Mensch, durch die Sünde verdor­ben, hat viele böse Vorlieben und Neigungen zu allen Sünden, und es ist, wie die Schrift 1. Mose 8, 21 sagt: »Des Menschen Herz und Sinne trachten allezeit nach dem Bösen«, das heißt Hoffart, Ungehorsam, Zorn, Hass, Geiz, Unkeuschheit usw., und summa summarum: In allem, was er tut und lässt, sucht er mehr seinen eigenen Nutzen, Willen und Ehre als Gottes und seines Nächsten. Darum sind alle seine Werke, alle seine Worte, alle seine Gedanken und all sein Leben böse und nicht göttlich.

Soll nun Gott in ihm wirken und leben, dann müssen alle diese Laster und Bosheiten erwürgt und ausgerottet werden, damit es hier Ruhe gebe und ein Aufhören aller unserer Werke, Worte, Gedanken und unseres Lebens, und damit hinfort, wie Paulus Galater 2, 20 sagt, nicht wir, sondern Christus in uns lebe, wirke und rede. Das ge­schieht nun nicht mit süßen, guten Tagen, sondern hier muss man der Natur weh tun und weh tun lassen. Hier erhebt sich der Streit zwischen dem Geist und dem Fleisch; hier wehrt der Geist dem Zorn, der Wollust, der Hoffart, doch will das Fleisch Lust, Ehre und Behaglich­keit haben. Davon sagt Paulus Galater 5, 24: »Die unsrem Herrn Christus gehören, die haben ihr Fleisch gekreuzigt mit seinen Lastern und Lüsten.« Hier folgen dann die guten Werke, Fasten, Wachen, Arbeiten, über die etliche soviel sagen und schreiben, obwohl sie doch weder deren Anfang noch Ende wissen. Darum wollen wir nun auch davon etwas sagen.

 

Zum achtzehnten. Das Feiern, bei dem unsre Werke aufhören und Gott allein in uns wirkt, wird auf zweierlei Weisen vollbracht: erstens durch unsere eigenen Übun­gen, zweitens durch Übungen oder Antriebe, die von ändern und Fremden ausgehen.

Unsre eigene Übung soll so vor sich gehen und geord­net werden, dass wir zuerst, wenn wir sehen, wo uns Fleisch, Sinn, Wille und Gedanken hinlocken, dem wi­derstehen und nicht folgen, wie der weise Mann sagt: »Folge nicht deinen Begierden« (Sirach 18, 30), und 5. Mose 12, 8: »Du sollst nicht tun, was dich recht dünkt.«

Hier muss der Mensch die Gebete zur täglichen Übung gebrauchen, die David betete: »Herr, leite mich auf dei­nem Wege und laß mich nicht meine Wege gehen« (Psalm 119, 33+37), und viele dergleichen, die alle inbegriffen sind in der Bitte: »Zu uns komme dein Reich.« Denn es gibt so viele und so verschiedene Begierden, dazu sind sie biswei­len durch Eingebungen des Bösen so behend, subtil und sehen so gut aus, dass es einem Menschen nicht möglich ist, sich auf seinem Wege selbst zu regieren. Er muss Händen und Füßen den Lauf lassen, sich Gottes Regiment anbefehlen, darf seiner Vernunft nicht vertrauen, wie Jeremia sagt: »Herr, ich weiß, dass des Menschen Wege sind nicht in seiner Gewalt.« (Jeremia 10, 23) Das ist vorge­zeichnet, als die Kinder Israel aus Ägypten durch die Wüste zogen, wo kein Weg, keine Speise, kein Trank, keine Aushilfe war: Darum ging ihnen Gott voran, bei Tag in einer lichten Wolke, bei Nacht in einer feurigen Säule, speiste sie aus dem Himmel mit Himmelsbrot, erhielt ihre Kleider und Schuhe, dass sie nicht zerrissen, wie wir in den Büchern Mose lesen. Darum bitten wir: Zu uns komme dein Reich, damit du uns regierest und nicht wir selbst. Denn es gibt nichts Gefährlicheres in uns als unsre Vernunft und unseren Willen. Und dies ist das höchste und erste Werk Gottes in uns und die beste Übung, unser Werk zu lassen: dass man die Vernunft und den Willen ruhen und feiern lasse und sich Gott anbefehle in allen Dingen, zumal wenn sie geistlich und schön glänzend erscheinen.

 

Zum neunzehnten. Darauf folgen die Übungen des Fleisches, die seine grobe, böse Lust töten, zur Ruhe und zum Feiern bringen sollen: Die müssen wir mit Fasten, Wachen, Arbeiten töten und stilllegen. Und aus diesem Grund lehren wir, warum wir fasten, wachen oder arbei­ten sollen.

Es gibt leider viele blinde Menschen, die sich dem Kasteien, es sei Fasten, Wachen oder Arbeiten, nur deshalb unterziehen, weil sie meinen, es seien gute Werke, so dass sie damit viele Verdienste erwerben. Darum fahren sie so drauflos und tun darin manchmal so viel, dass sie ihren Leib dadurch verderben und ihren Kopf toll ma­chen. Noch viel blinder sind diejenigen, die das Fasten nicht bloß wie diese nach der Menge oder Länge bewer­ten, sondern auch nach der Speise: Sie meinen, es sei viel verdienstvoller, wenn sie kein Fleisch und keine Eier oder Butter äßen. Darüber gehen die noch hinaus, die das Fasten nach den Heiligen richten und nach den Tagen auswählen: der am Mittwoch, der am Sonnabend, der am St. Barbara-, der am St. Bastianstag und so fort. Die alle zusammen suchen nichts andres im Fasten als das Werk an sich; wenn sie das getan haben, meinen sie, es sei wohlge­tan. Ich will hier davon schweigen, dass etliche auch so fasten; dass sie sich dennoch voll saufen, etliche auch so reichlich mit Fisch und anderen Speisen fasten, dass sie mit Fleisch, Eiern, Butter viel billiger hinkämen, dazu auch viel bessere Früchte des Fastens erlangten. Denn solch ein Fasten ist kein Fasten, sondern spottet des Fastens und Gottes.

Darum lass ich's geschehen, dass sich jeder den Tag, die Speise, die Menge des Fastens so wie er will wähle, sofern er es nicht dabei bewenden lässt, sondern auf sein Fleisch acht gibt: Soviel dieses geil und mutwillig ist, soviel erlege er ihm an Fasten, Wachen und Arbeiten auf und nicht mehr, selbst wenn's Papst, Kirche, Bischof, Beichtvater oder wer sonst will geboten hätten. Denn Maß und Regel des Fastens, Wachens und Arbeitens soll ja niemand nach der Speise, der Menge oder den Tagen richten, sondern nach der Abnahme oder Zunahme der fleisch­lichen Lust und des Mutwillens. Nur deretwegen, um sie zu töten und zu dämpfen, ist das Fasten, Wachen und Arbeiten eingesetzt worden. Wenn diese Lust nicht wäre, dann gälte Essen soviel wie Fasten, Schlafen soviel wie Wachen, Müßigsein soviel wie Arbeiten, und das eine wäre so gut wie das andere, ohne allen Unterschied.

 

Zum zwanzigsten: Wenn nun jemand fände, dass von Fischen mehr Mutwillen in seinem Fleisch sich erhöbe als von Eiern und Fleisch, soll er Fleisch und nicht Fisch essen. Wenn er umgekehrt fände, dass ihm der Kopf wüst und toll oder der Leib und Magen verdorben würde vom Fasten oder er es nicht nötig hätte noch bedürfte, seinen Mutwillen im Fleisch abzutöten, dann soll er das Fasten ganz anstehen lassen und essen, schlafen, müßiggehen, soweit es ihm zur Gesundheit not tut, ohne darauf zu sehen, ob es gegen Kirchengebote oder Ordens- und Standesgesetze sei. Denn kein Gebot der Kirche, kein Gesetz irgendeines Ordens darf das Fasten, Wachen, Ar­beiten höher einschätzen oder weiter treiben, als soviel und soweit es dazu dient, das Fleisch und seine Lust zu dämpfen oder zu töten. Wo über dieses Ziel hinausgegan­gen oder es mit dem Fasten, den Speisen, dem Schlafen und Wachen übertrieben wird, mehr als das Fleisch ertra­gen kann oder als zur Abtötung der Lust notwendig ist, und wenn dadurch die Natur verdorben, der Kopf ver­wirrt wird, dann bilde sich niemand ein, dass er gute Werke getan habe oder sich mit dem Kirchengebot oder Ordensgesetz entschuldigen könne. Er wird so betrachtet werden wie einer, der sich selber verwahrlost und, soweit es an ihm liegt, sein eigener Mörder geworden ist. Denn der Leib ist nicht dazu gegeben, dass wir ihm sein natür­liches Leben oder Werk abtöten, sondern nur, dass wir seinen Mutwillen töten; außer wenn dieser Mutwille so stark und so groß wäre, dass man ihm ohne Verderben und Einbußen am natürlichen Leben nicht hinreichend widerstehen könnte. Denn, wie gesagt, bei Übungen des Fastens, Wachens, Arbeitens soll man das Augenmerk nicht auf die Werke an sich richten, nicht auf die Tage, nicht auf die Menge, nicht auf die Speise, sondern bloß auf den übermütigen und geilen Adam, dass dem der Kitzel dadurch verwehrt werde.

 

Zum einundzwanzigsten: Daraus können wir ermes­sen, wie weise oder närrisch einige Weiber handeln, wenn sie schwanger gehen, und wie man sich bei den Kranken verhalten soll. Denn die Närrinnen hängen so streng am Fasten, dass sie es eher auf große Gefährdungen für die Frucht und sich selber ankommen lassen, als dass sie nicht ebenso wie die anderen fasten sollten. Sie machen sich ein Gewissen daraus, wo kein Grund dazu ist; und da, wo es angezeigt wäre, machen sie sich keines. Das ist alles der Prediger Schuld, dass man vom Fasten so daherplaudert und dessen rechten Gebrauch, Maß, Frucht, Ursache und Ziel nimmer anzeigt. Darum sollte man die Kranken jeden Tag essen und trinken lassen, was sie nur wollten. Und kurzum: Wo der Mutwille des Fleisches aufhört, da hat auch schon aufgehört aller Anlass zu fasten, zu wa­chen, zu arbeiten, dies oder das zu essen, und da gibt es auch kein Gebot mehr, das dazu verpflichtet.

Umgekehrt soll man sich vorsehen, dass nicht aus dieser Freiheit eine nachlässige Faulheit erwachse, den Mutwil­len des Fleisches zu töten. Denn der betrügerische Adam ist listig genug, für sich selbst einen Freibrief zu suchen und das Verderben des Leibes oder Hauptes vorzuschüt­zen, wie etliche lautstark erklären und sagen, es sei weder nötig noch geboten, zu fasten oder sich zu kasteien. Sie wollen nur dies und das ungescheut essen, gerade als ob sie sich schon lange Zeit sehr im Fasten geübt hätten, wäh­rend sie's doch noch nie versucht haben.

Nicht weniger sollen wir uns vor Ärgernis hüten bei denen, die nicht verständig genug sind und es für eine große Sünde halten, wenn man nicht auf ihre Weise mit ihnen fastet oder isst. Hier soll man sie gütlich unterrich­ten und sie nicht überheblich verachten oder ihnen zum Trotz dies oder das essen, sondern ihnen die Gründe zeigen, warum es zu Recht so geschehe, und auch sie so in aller Ruhe in dieses Verständnis einführen. Wenn sie aber halsstarrig sind und sich nichts sagen lassen, soll man sie fahren lassen und es so machen, wie wir wissen, dass es recht ist.

 

Zum zweiundzwanzigsten: Zu der zweiten Übung, die uns von ändern her überfallt, kommt es, wenn wir von Menschen oder Teufeln beleidigt werden, wenn uns un­ser Gut weggenommen, der Leib krank und die Ehre geraubt wird und uns das alles zu Zorn, Ungeduld und Unruhe bewegen kann. Denn Gottes Werk, wie es in uns regiert nach seiner Weisheit und nicht nach unsrer Ver­nunft, und nach seiner Reinheit und Keuschheit und nicht nach dem Mutwillen unseres Fleisches - denn Gottes Werk ist Weisheit und Reinheit, unser Werk ist Torheit und Unreinheit, und die sollen feiern! So soll es in uns auch regieren nach seinem Frieden und nicht nach unsrem Zorn, unsrer Ungeduld und unsrem Unfrieden. Denn auch Friede ist Gottes Werk, Ungeduld ist unsres Flei­sches Werk, das feiern und tot sein soll. So sollen wir überall einen geistlichen Feiertag feiern, unsre Werke ruhen und Gott in uns wirken lassen.

Um solche Werke und den alten Adam in uns zu töten, schickt uns Gott viele Anstöße auf den Hals, die uns zum Zorn bewegen; viele Leiden, die zur Ungeduld reizen; zuletzt auch den Tod und die Schmach der Welt. Damit sucht er nichts anderes, als uns Zorn, Ungeduld und Unfrieden auszutreiben und zu seinem Werk, das heißt zum Frieden in uns, zu kommen. So spricht Jesaja: »Er bedient sich eines fremden Werks, damit er zu seinem eigenen Werk komme.« (Jesaja 28, 21) Was heißt das? Er schickt Leiden und Unfrieden, damit er uns lehre, Geduld und Frieden zu halten; er lässt auf sein Geheiß sterben, damit er lebendig mache; so lange, bis der Mensch, durchgeübt, so friedsam und still werde, dass ihn nichts mehr bewegt, es gehe ihm wohl oder übel, er sterbe oder lebe, er werde geehrt oder geschändet. Da wohnt dann Gott selbst und allein. Da ist dann kein Menschenwerk mehr. Das heißt dann, den Feiertag recht halten und heiligen. Da führt der Mensch sich nicht selber. Da gelüstet ihn selber nichts und da betrübt ihn auch nichts, sondern Gott selber führt ihn. Lauter göttliche Lust, Freude und Friede herrschen da, samt allen anderen Werken und Tugenden.

 

Zum dreiundzwanzigsten: Diese Werke schätzt er so hoch, dass er den Feiertag nicht bloß zu halten, sondern auch zu heiligen oder als heilig zu achten gebietet. Damit zeigt er an, dass es für uns nichts Kostbareres gibt als Leiden, Sterben und allerlei Unglück; denn sie sind Hei­ligtümer und heiligen den Menschen von seinem Werk für Gottes Werk, so wie eine Kirche den natürlichen Werken entzogen und für Gottesdienste geweiht wird. Darum soll er sie auch als Heiligtümer anerkennen, froh werden und Gott danken, wenn sie an ihn kommen. Denn wenn sie kommen, dann machen sie ihn heilig, so dass er dieses Gebot erfüllt und selig wird, und erlösen ihn von seinen sündlichen Werken. Darum spricht David: »Der Tod seiner Heiligen ist kostbar vor seinen Augen.« (Psalm 116, 15)

Und damit er uns dafür stärke, hat er uns nicht bloß solche Feier geboten (denn die Natur stirbt und leidet gar ungern, und es ist für sie ein bitterer Feiertag, wenn ihre Werke ruhen und tot sein sollen). Sondern er hat uns in der Schrift mit mannigfachen Worten getröstet und sa­gen lassen Psalm 91, 15: »Ich bin bei ihm in all seinem Leiden und will ihm heraushelfen.« Desgleichen Psalm 34, 20: »Der Herr ist allen Leidenden nahe und wird ihnen helfen.«

Damit nicht genug, hat er uns zudem ein kräftiges, starkes Exempel gegeben: seinen einzigen, lieben Sohn Jesus Christus, unsern Herrn. Der hat am Sabbat den ganzen Feiertag im Grab gelegen, all seiner Werke entle­digt, und als erster dieses Gebot erfüllt, obwohl es für ihn nicht notwendig war: uns zum Trost, damit auch wir in allem Leiden und Sterben stille sein sollen und Frieden haben, angesichts dessen, dass, wie Christus nach seiner Ruhe und Feier auferweckt hinfort allein in Gott und Gott in ihm lebt, so auch wir durch die Abtötung unsres alten Adam, die vollkommen erst durch den natürlichen Tod und das Begräbnis geschieht, zu Gott erhoben wer­den, damit Gott ewiglich in uns lebe und wirke. Sieh, das sind die drei Stücke, die alle Werke des Menschen bestim­men: die Vernunft, die Lust und die Unlust. Die müssen so, durch diese drei Übungen — Gottes Regierung, unsere Selbstkasteiung, Beleidigungen durch andre - erwürgt werden und so geistlich für Gott feiern und ihm Raum geben zu seinen Werken.

 

Zum vierundzwanzigsten: Solche Werke und Leiden aber sollen im Glauben und in guter Zuversicht zur gött­lichen Huld geschehen, damit, wie gesagt, alle Werke im ersten Gebot und im Glauben bleiben und der Glaube sich in ihnen übe und stärke. Seinetwegen sind alle anderen Gebote und Werke eingesetzt. Darum sieh, was für ein hübscher, goldener Ring sich aus diesen drei Geboten und Werken von selber bildet und wie aus dem ersten Gebot und dem Glauben das zweite heraus- und zum dritten hinfließt und das dritte dann wieder durch das zweite ins erste zurückfließt! Denn das erste Werk heißt glauben, eine gute Herzensneigung zu Gott und Zuversicht zu ihm haben. Aus dem fließt das zweite gute Werk: Gottes Namen preisen, seine Gnade bekennen, ihm allein alle Ehre geben. Danach folgt dann das dritte: Gottesdienst üben mit Beten, Predigthören, Gottes Wohltaten besin­gen und betrachten, dazu sich kasteien, um sein Fleisch zu bezwingen.

Wenn nun der böse Geist einen solchen Glauben, ein solches Ehren Gottes, einen solchen Dienst Gottes gewahr wird, dann tobt er und fängt mit der Verfolgung an, greift Leib, Gut, Ehre und Leben an, lässt Krankheit, Armut, Schande und Sterben über uns kommen, wie es Gott so verhängt und verordnet. Sieh, da beginnt das zweite Werk oder die zweite Feier dieses dritten Gebotes; dadurch wird der Glaube sehr streng geprüft, wie das Gold im Feuer. Denn es ist ein großes Ding, eine gute Zuversicht zu Gott behalten, obwohl er uns Tod, Schmach, Ungesundheit, Armut zufügt, und ihn unter einem so grausamen Bild des Zornes für den allergütigsten Vater zu halten, was geschehen muss bei diesem Werk des dritten Gebotes. Da drängt dann das Leiden den Glauben, dass er Gottes Namen anrufen muss und ihn loben in solchem Leiden. Und so kommt er durch das dritte Gebot wieder ins zweite. Und durch dieses Anrufen des göttlichen Namens und sein Lob wächst der Glaube und kommt er zu sich selber und stärkt so sich selber durch die zwei Werke des dritten und zweiten Gebotes. Und so geht er aus in die Werke und kehrt durch die Werke wieder zu sich selber zurück, wie die Sonne auf­geht bis zum Niedergang und wiederkommt zu ihrem Aufgang. Darum wird in der Schrift der Tag dem fried­lichen Leben mit den Werken zugeeignet, die Nacht dem leidenden Leben unter der Widerwärtigkeit, und der Glaube lebt und wirkt so in beiden, geht aus und geht ein darin, wie Christus Joh.9,4 sagt.

 

Zum fünfundzwanzigsten: Dieser Ordnung der guten Werke folgen auch unsere Bitten im Vaterunser. Das erste ist, dass wir sagen: »Vater unser, der du bist im Himmel.« Das sind Worte des ersten Werks des Glaubens, der nach dem ersten Gebot nicht zweifelt, er habe einen gnädigen Gott und Vater im Himmel. Das zweite ist: »Dein Name sei heilig.« Darin begehrt der Glaube, dass Gottes Name, Lob und Ehre gepriesen werden, und ruft diesen an in allen Nöten, wie das zweite Gebot lautet. Das dritte ist: »Zu uns komme dein Reich.« Darin bitten wir um die rechte Sabbatfeier, die stille Ruhe von unseren Werken, damit allein Gottes Werk in uns geschehe und Gott so in uns als in seinem eigenen Reich regiere, wie er sagt: »Nehmt wahr, Gottes Reich ist nirgends als in euch sel­ber!« (Lukas 17, 21) Die vierte Bitte heißt: »Dein Wille geschehe.« Darin bitten wir, dass wir die sieben Gebote

der zweiten Tafel halten und bewahren können, in denen der Glaube auch gegenüber dem Nächsten geübt wird, so wie er in diesen dreien in Werken allein Gott gegenüber geübt ist. Und das eine sind die Bitten, in denen das Wörtlein du, dein, dein, dein drinsteht, weil sie nur su­chen, was zu Gott gehört. Die anderen sagen alle unser, uns, unsern usw., denn da bitten wir um unsre Güter und unsre Seligkeit.

Und damit haben wir von der ersten Tafel des Mose reichlich geredet und den Einfältigen in groben Zügen die höchsten guten Werke gezeigt.

 

 

Es folgt die zweite Tafel

Das erste Gebot der zweiten Tafel des Mose

Das vierte Gebot

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren

 

Aus diesem Gebot lernen wir, dass es nach den hohen Werken der ersten drei Gebote keine besseren Werke gibt, als Gehorsam und Dienst gegen alle, die uns zur Obrigkeit bestimmt sind. Darum ist Ungehorsam auch größere Sünde als Totschlag, Unkeuschheit, Stehlen, Be­trügen und was sonst darunter begriffen werden mag. Denn die Unterschiede der Sünden - welche größer sei als die andere — können wir nicht besser erkennen als aus der Ordnung der Gebote Gottes, obwohl jedes Gebot, für sich selber genommen, auch Unterschiede in seinen Wer­ken aufweist. Denn wer weiß nicht, dass Fluchen größere Sünde als Zürnen ist, Schlagen mehr bedeutet als Fluchen, Vater und Mutter Schlagen mehr als einen gewöhnlichen Menschen? Nun, da lehren uns diese sieben Gebote, wie wir uns den anderen Menschen gegenüber in guten Wer­ken üben sollen; und zuerst denen gegenüber, die über uns stehen.

 

Das erste Werk ist: Wir sollen die leiblichen Eltern, Vater und Mutter, ehren. Solche Ehre besteht nicht bloß darin, dass man sich so mit Gebärden erzeigt, sondern dass man ihnen gehorsam sei, ihre Worte und Werke vor Augen habe, groß davon denke und viel darauf gebe; dass man sie recht haben lasse in dem, was sie anordnen, es stillschweigend ertrage, wie sie mit uns umgehen, wenn es nicht gegen die ersten drei Gebote ist; dazu, wenn sie es bedürfen, sie mit Nahrung, Kleidung und Behausung versorge. Denn er hat nicht umsonst gesagt: Du sollst sie ehren. Nicht sagt er: Du sollst sie lieb haben; obwohl das auch sein soll. Aber die Ehre ist höher als schlichte Liebe und hat bei sich eine Furcht, die sich mit Liebe vereint und macht, dass der Mensch sich mehr davor furchtet, sie zu beleidigen, als vor der Strafe. Ebenso wie wir ein Heilig­tum mit Furcht ehren und doch nicht vor ihm fliehen wie vor einer Strafe, sondern vielmehr zu ihm hindrängen: Eine solche Furcht, mit Liebe vermischt, ist die rechte Ehre. Die andere Furcht, ohne Liebe, richtet sich auf die Dinge, die wir verachten oder vor denen wir fliehen, wie man den Henker oder die Strafe fürchtet. Darin gibt's keine Ehre, denn es ist Furcht ohne alle Liebe, ja, Furcht mit Hass und Feindschaft verbunden. Darüber gibt es ein Sprichwort bei Hieronymus: Was wir furchten, das hassen wir auch. Mit dieser Furcht will Gott nicht ge­fürchtet noch geehrt sein noch die Eltern geehrt wissen, sondern mit jener ersten, die mit Liebe und Zuversicht vermischt ist.

 

Zum zweiten: Dies Werk erscheint leicht, aber wenige achten es recht. Denn wo die Eltern recht fromm sind und ihre Kinder nicht nach fleischlicher Weise lieb haben, son­dern sie (wie sie sollen) zu Gottes Dienst mit Worten und Werken nach den ersten drei Geboten weisen und so regieren, da wird dem Kind unablässig sein eigener Wille gebrochen, und es muss tun, lassen, erleiden, was seine Natur gar zu gern anders täte. Dadurch wird es dann dazu veranlasst, seine Eltern zu verachten, gegen sie zu murren oder schlimmere Dinge zu tun. Da vergehen ihm Liebe und Furcht, wenn nicht Gottes Gnade da ist. Ebenso wenn sie strafen und züchtigen, wie sich's gebührt, wenn auch zuweilen zu Unrecht, was jedoch dem Heil der Seele nicht schadet, dann nimmt's die böse Natur mit Unwillen auf. Darüber hinaus sind etliche von so böser Art, dass sie sich ihrer Eltern schämen, weil sie nicht reich, nicht adlig oder ihnen nicht schön und geehrt genug sind. Von diesen Dingen lassen sie sich stärker bewegen als von dem hohen Gebot Gottes, der über alle Dinge ist und ihnen solche Eltern aus vorbedachtem Wohlgefallen gegeben hat, um sie zu üben und zu prüfen in seinem Gebot. Aber das ist noch stärker der Fall, wenn das Kind wieder Kinder hat: Dann steigt die Liebe zu diesen hinunter und geht der Liebe zu den Eltern und ihrer Ehre sehr ab.

Was aber von den Eltern geboten und gesagt wird, soll auch von denen verstanden sein, die, wenn die Eltern gestorben oder nicht gegenwärtig sind, an ihrer Statt stehen, also von den Freunden, Gevattern, Paten, weltli­chen Herren und geistlichen Vätern. Denn es muss jeder regiert werden und anderen Menschen Untertan sein. Deshalb sehen wir hier wieder, wie viele gute Werke in diesem Gebot gelehrt werden, weil darin all unser Leben anderen Menschen unterworfen ist. Und daher kommt es, dass der Gehorsam so hoch gepriesen wird und alle Tugenden und guten Werke in ihm beschlossen sind.

 

Zum dritten: Es gibt noch eine andere Unehre gegen­über den Eltern, viel gefährlicher und subtiler als diese erste, weil sie sich schmückt und als eine rechte Ehre ansehen lässt. Zu ihr kommt es, wenn das Kind seinen Willen bekommt und die Eltern dies aus fleischlicher Liebe gestatten. Hier ehrt sich's, hier liebt sich's, und es ist allerseits köstlich: Vater und Mutter gefallen da wohl, umgekehrt gefällt auch das Kind wohl. Diese Plage ist so allgemein, dass Beispiele für die erste Unehre nur selten zu sehen sind. Das kommt alles daher, weil die Eltern verblendet Gott nach den ersten drei Geboten weder erkennen noch ehren. Deshalb können sie auch nicht sehen, was den Kindern gebricht und wie welche sie lehren und erziehen sollen. Darum erziehen welche sie zu weltlichen Ehren, Lust und Gütern, nur damit sie den Menschen Wohlgefallen und ja höher kommen. Das ist den Kindern lieb, und sie sind gar zu gern ohne Wider­rede gehorsam.

So geht denn Gottes Gebot heimlich, unter gutem Anschein, ganz zu Boden, und es wird erfüllt, was bei den Propheten Jesaja und Jeremia geschrieben steht: dass die Kinder von ihren eigenen Eltern verzehrt werden (Jesaja 57, 5; Jeremia 7, 31-35). Und diese tun wie der König Manasse, der sein Kind dem Abgott Moloch opfern und verbren­nen ließ. (2. Könige 21, 6) Was ist's anderes, als sein eigenes Kind dem Abgott opfern und verbrennen, wenn die Eltern ihre Kinder mehr der Welt als Gott zuliebe erzie­hen und sie so hingehen lassen, dass sie in weltlicher Lust, Liebe, Freude, Gut und Ehre verbrannt, Gottes Liebe und Ehre und die Lust an ewigen Gütern aber in ihnen ausge­löscht werden?

O wie gefährlich ist's, Vater und Mutter zu sein, wenn nur Fleisch und Blut regieren! Denn wahrhaftig, an die­sem Gebot liegt es ganz und gar, ob die ersten drei und die letzten sechs erkannt und gehalten werden, weil den El­tern befohlen ist, die Kinder solches zu lehren, wie in Psalm 78, 5f. steht: »Wie sehr hat er unsern Eltern geboten, dass sie Gottes Gebote ihren Kindern bekannt machen sollten, damit ihre Nachkommen diese wissen und Kinder sie Kindeskindern verkündigen sollten!« Das ist auch der Grund, warum Gott die Eltern zu ehren, das heißt: sie mit Furcht zu lieben gebietet. Denn diese Liebe ist ohne Furcht, darum ist sie mehr Unehre als Ehre. Nun sieh, ob nicht jeder gute Werke genug zu tun habe, er sei Vater oder Kind. Aber wir Blinden lassen dies anstehen und

suchen daneben mancherlei andere Werke, die nicht ge­boten sind!

 

Zum vierten: Wenn nun die Eltern so närrisch sind, dass sie ihre Kinder weltlich erziehen, sollen die Kinder auf keinen Fall ihnen gehorsam sein, denn Gott ist mit den ersten drei Geboten höher zu achten als die Eltern. Welt­lich erziehen aber nenne ich, wenn sie nichts weiter su­chen lernen als nur Lust, Ehre und Gut oder Gewalt dieser Welt.

Angemessenen Schmuck zu tragen und redliche Nah­rung zu suchen, ist nötig und keine Sünde. Jedoch soll ein Kind dann im Herzen so eingestellt sein oder doch sich so einstellen können: Es soll ihm leid tun, dass dieses elende Leben auf Erden weder gut angefangen noch gut geführt werden kann, ohne dass dabei mehr Schmuck und Gut mit unterläuft als nötig ist, um den Leib zu bedecken, dem Frost zu wehren und Nahrung zu haben; und dass man deshalb, ohne es selbst zu wollen, der Welt zu Willen mit ihr närrisch sein und solches Übel hinnehmen muss, um eines Besseren willen und um Schlimmeres zu vermeiden. So trug die Königin Esther ihre königliche Krone und sprach doch zu Gott: Du weißt es, das Zeichen meines Gepränges auf meinem Haupt hat mir noch nie gefallen, und ich betrachte es als ein übles Gelumpe und trage es nie, wenn ich allein bin, sondern nur, wenn ich es tun und vor den Leuten auftreten muss. Ein Herz, das so gesinnt ist, trägt den Schmuck ohne Gefahr, denn es trägt ihn und trägt ihn doch nicht, tanzt und tanzt doch nicht, lebt im Wohlstand und lebt doch nicht im Wohlstand. Und das sind die heimlichen Seelen, verborgene Bräute Christi. Aber sie sind selten, denn es ist schwer, keine Lust zu haben an großem Schmuck und Gepränge. So trug Caecilia nach dem Gebot ihrer Eltern goldene Kleider, aber inwendig am Leib trug sie ein härenes Hemd.

Hier sagen etliche: Ja, wie sollte ich mein Kind unter die Leute bringen und mit Ehren aus dem Haus geben? Ich muss so prangen! Sage mir, ob das nicht Worte sind eines Herzens, das an Gott verzweifelt und mehr auf seine Sorge als auf Gottes Sorge vertraut, wo doch Petrus lehrt und spricht: »Werft alle eure Sorgen auf ihn und seid gewiss, dass er für euch sorgt!« (1. Petrus 5, 7) Es ist ein Zei­chen, dass sie für ihre Kinder noch nie Gott gedankt, noch nie recht für sie gebetet, noch nie sie ihm anbefohlen haben. Sonst würden sie wissen und erfahren haben, wie sehr sie auch ihrer Kinder Heirat von Gott erbitten und erwarten sollten. Darum lässt er sie auch hingehen in ihrem Eigensinn, unter Sorgen und Ängsten, und es doch nicht wohl ausrichten.

 

Zum fünften: Also ist's wahr, wie man sagt, dass die Eltern, auch wenn sie sonst nichts zu tun hätten, an ihren eigenen Kindern die Seligkeit erlangen können. An ihnen haben sie, wenn sie welche zu Gottes Dienst recht erziehen, fürwahr beide Hände voll guter Werke vor sich. Denn was sind hier die Hungrigen, Durstigen, Nackten, Gefan­genen, Kranken, Fremdlinge anderes als die Seelen deiner eigenen Kinder, mit denen dir Gott aus deinem Haus ein Spital macht und dich ihnen zum Spittelmeister einsetzt? Da sollst du sie pflegen, sie speisen und tränken mit guten Worten und Werken, damit sie lernen Gott vertrauen, an ihn glauben und ihn fürchten und ihre Hoffnung auf ihn setzen, auch seinen Namen ehren, nicht schwören noch fluchen, sowie sich kasteien mit Beten, Fasten, Wachen, Arbeiten, Gottes Dienst und Wort pflegen und ihm den Sabbat feiern, so dass sie zeitliche Dinge verachten, Un­glück mit Ergebung ertragen und den Tod nicht fürchten lernen, dieses Leben nicht lieb haben.

Sieh, welch große Lektionen das sind: wie viele gute Werke du da vor dir habest in deinem Haus, an deinem Kind, das all solcher Dinge bedarf wie eine hungrige, durstige, bloße, arme, gefangene, kranke Seele! O was wäre das für eine selige Ehe und ein Haus, in dem solche Eltern wären! Fürwahr, es wäre eine rechte Kirche, ein auserwähltes Kloster, ja ein Paradies. Davon sagt Psalm 128, 1ff.: »Selig sind, die Gott fürchten und wandeln in seinen Geboten. Du wirst dich ernähren mit der Arbeit deiner Hände, darum wirst du selig sein und wird dir's wohl gehen. Dein Weib wird sein wie ein vollfruchtbarer Weinstock in deinem Haus, und deine Kinder werden um deinen Tisch sein wie die jungen Sprosse der vollen Ölbäume. Sehet, so wird gesegnet sein, wer Gott furchtet.« Wo sind solche Eltern? Wo sind die, die nach guten Werken fragen? Hier will niemand her. Warum? Gott hat's geboten, davon zeugen der Teufel, Fleisch und Blut. Es hat keinen Heiligenschein, darum gilt es nichts. Da läuft der nach Jakob, gelobt diese sich unsrer Lieben Frau. Niemand gelobt, dass er, Gott zu Ehren, sich und sein Kind wohl regiere und lehre. Er lässt die sitzen, die Gott ihm an Leib und Seele zu bewahren befohlen hat, und will Gott an einem anderen Ort dienen, was ihm nicht befohlen ist. Solch verkehrtes Treiben verwehrt kein Bischof, straft kein Prediger; ja, aus Habgier bestäti­gen sie es und erdenken täglich nur noch mehr Wallfahr­ten, Heiligenerhebungen, Ablassjahrmärkte: Gott er­barme sich über solche Blindheit!

 

Zum sechsten: Umgekehrt können die Eltern sich nicht leichter die Hölle verdienen als an ihren eigenen Kindern, in ihrem eigenen Hause, wenn sie diese versäumen und die Dinge nicht lehren, die oben genannt sind. Was hülfe es, dass sie sich tot fasten, beten, Wallfahrten machen und alle Werke täten? Gott wird sie doch danach nicht fragen im Tod und am Jüngsten Tag, sondern er wird die Kinder einfordern, die er ihnen anbefohlen hat. Das zeigt das Wort Christi Lukas 23, 28ff.: »Ihr Töchter von Jerusalem, weinet nicht über mich, sondern über euch und eure Kinder! Es werden die Tage kommen, dass sie werden sagen: Selig sind die Leiber, die nicht geboren haben, und Brüste, die nicht gesäugt haben.« Warum werden sie so klagen, wenn nicht deshalb, weil ihre ganze Verdammnis von ihren eigenen Kindern herkommt? Wenn sie die nicht gehabt hätten, wären sie vielleicht selig geworden. Wahrhaftig, diese Worte müssten eigentlich den Eltern die Augen auftun, dass sie ihre Kinder geistlich, nach der Seele, ansehen, damit die armen Kinder nicht durch ihre falsche, fleischliche Liebe betrogen würden, als hätten sie ihre Eltern wohl geehrt, solange sie mit ihnen nicht zür­nen oder ihnen gehorsam sind im weltlichen Gepränge. Damit wird nur ihr Eigenwille bestärkt, während doch das Gebot die Eltern in ihre Ehre einsetzt, damit der Eigenwille der Kinder gebrochen wird und sie demütig und sanftmütig werden.

Wie es nun bei den anderen Geboten schon gesagt worden ist, sie sollten im Hauptwerk geschehen, so soll auch hier niemand meinen, dass seine Zucht und Lehre der Kinder an sich schon genüge: doch nur, wenn es geschieht in der Zuversicht zur göttlichen Huld, so dass der Mensch nicht daran zweifelt, er gefalle Gott wohl mit diesen Werken, und wenn solche Werke für ihn nichts anderes sind als eine Glaubensvermahnung und Glaubensübung, auf Gott zu vertrauen und Gutes und gnädigen Willen von ihm zu erwarten; weil ohne solchen Glauben kein Werk lebt, gut und angenehm ist. Denn viele Heiden haben ihre Kinder hübsch erzogen, aber um des Unglau­bens willen ist alles verlorene Mühe.

 

Zum siebenten: Das zweite Werk dieses Gebotes be­steht darin, dass wir die geistliche Mutter, die heilige christliche Kirche, die geistliche Gewalt ehren und ihr gehorsam sind. dass wir uns danach richten, was sie ge­bietet, verbietet, festsetzt, ordnet, bannt, löst, und so wie die leiblichen Eltern auch die geistliche Obrigkeit ehren, furchten und lieben, sie recht haben lassen in allen Din­gen, die nicht gegen die drei ersten Gebote sind.

Nun geht es in diesem Werk fast schlimmer zu als in dem ersten. Die geistliche Obrigkeit sollte die Sünde mit Bann und Gesetzen strafen und ihre geistlichen Kinder antreiben, fromm zu sein, damit sie Anlass hätten, diese Werke zu tun und sich in Gehorsam und Ehrerbietung ihr gegenüber zu üben. Doch man sieht jetzt keinerlei Mühe darum: Sie verhalten sich gegen ihre Untertanen wie die Mütter, die von ihren Kindern weg ihren Buhlen nach­laufen, wie Hosea 2, 7 sagt. Sie predigen nicht, lehren nicht, wehren nicht, strafen nicht, und es gibt keinerlei geistliches Regiment mehr in der Christenheit!

Was kann ich dann noch von diesem Werk sagen? Es sind noch einige wenige Fasttage und Feiertage übrigge­blieben, die wohl besser abgeschafft wären. Daran denkt aber niemand, und nichts ist da mehr im Gange als der Bann, der wegen Geldschulden betrieben wird, was auch nicht sein sollte. Es sollte aber geistliche Gewalt darauf bedacht sein, dass Ehebruch, Unkeuschheit, Wucher, Fressen, weltliches Gepränge, überflüssiger Schmuck und dergleichen öffentliche Sünde und Schande aufs strengste gestraft und gebessert würden. Dazu sollte sie die Stifte, Klöster, Pfarreien, Schulen ordentlich bestellen und darin den Gottesdienst mit Ernst erhalten, junge Leute, Knaben und Mädchen, in Schulen und Klöstern mit gelehrten, frommen Männern versorgen, damit sie alle wohl erzo­gen würden und so die Alten gute Exempel gäben und die Christenheit mit einem feinen, jungen Volk erfüllt und geziert würde. So lehrt Paulus seinen Jünger Titus, dass er alle Stände, jung und alt, Mann und Weib recht unter­weisen und regieren sollte (Titus 2, 1ff.). Aber nun geht, wer da will; wer sich selber regiert und lehrt, der hat. Ja, leider ist es soweit gekommen, dass die Stätten, an denen man Gutes lernen sollte, zu Bubenschulen geworden sind und auf die verwilderte Jugend gar niemand achtet.

 

Zum achten: Wenn diese Ordnungen in gutem Stand wären, dann könnte man sagen, wie die Ehre und der Gehorsam geschehen sollten. Nun geht es aber wie bei den leiblichen Eltern, die ihren Kindern den Willen las­sen: Die geistliche Obrigkeit verhängt jetzt, dispensiert dann, nimmt da Geld, lässt dort wieder nach, mehr als sie nachlassen darf. Ich will hier darauf verzichten, mehr zu sagen; wir sehen mehr davon, als gut ist. Der Geiz sitzt im Regiment, und eben das, was sie verwehren sollte, das lehrt sie. Und es ist vor Augen, wie der geistliche Stand in allen Dingen weltlicher ist als der weltliche selbst. Dar­über muss die Christenheit verderben und dieses Gebot untergehen.

Wo ein solcher Bischof wäre, der alle solche Stände fleißig versorgen, die Aufsicht führen, sie visitieren und überwachen würde, wie er schuldig ist: Fürwahr, es würde ihm eine Stadt zuviel werden. Denn auch zur Zeit der Apostel, als die Christenheit sich im besten Zustand befand, hatte jede Stadt einen Bischof, obwohl doch die Stadt nur zum kleineren Teil christlich war. Wie kann es gut gehen, wenn ein Bischof soviel, der andere soviel, der die ganze Welt, der die Hälfte haben will? Es ist Zeit, dass wir Gott um Gnade bitten: An geistlicher Obrigkeit haben wir zuviel, aber an geistlicher Leitung nichts oder wenig. Inzwischen möge, wer immer kann, dazu helfen, dass Stifte, Klöster, Pfarreien und Schulen gut bestellt und regiert werden. Und es wäre auch eines der Werke der geistlichen Obrigkeit, dass sie Stifte, Klöster, Schulen verringerte, wo man sie nicht versorgen kann. Viel besser ist es, keine Klöster oder Stifte als ein böses Regiment darin zu haben, womit Gott nur noch mehr erzürnt wird.

 

Zum neunten: Weil denn die Obrigkeit ihr Werk so völlig dahinfallen lässt und verkehrt ist, so kann die Folge nur sein, dass sie ihre Gewalt missbraucht und fremde, böse Werke vornimmt, wie die Eltern, wenn sie etwas gebieten, das wider Gott ist. Da müssen wir weise sein. Denn der Apostel hat gesagt, dass diese Zeiten gefährlich sein werden, in denen eine solche Obrigkeit regieren wird. Denn es hat den Anschein, als widerstrebe man ihrer Gewalt, wenn man nicht alles tut, was sie vor­schreibt. Da müssen wir nun die drei ersten Gebote und die rechte Tafel zur Hand nehmen und dessen sicher sein, dass kein Mensch, weder Bischof noch Papst noch ein Engel, etwas gebieten oder festsetzen kann, das diesen drei Geboten mit ihren Werken zuwider, hinderlich oder nicht förderlich sei. Und wenn sie doch so etwas tun wollen, dann hat's keinen Bestand und gilt nichts. Dann werden wir aber auch mitschuldig, wenn wir folgen und gehorsam sind oder es zulassen.

Von daher ist es leicht zu verstehen, dass die Fastenge­bote die Kranken, die schwangeren Weiber oder alle, die sonst nicht ohne Schaden fasten können, nicht mit einbe­ziehen. Und wir müssen noch höher greifen. Es kommt ja aus Rom zu unseren Zeiten nichts anderes als ein Jahrmarkt geistlicher Güter, die man öffentlich und un­verschämt kauft und verkauft: Ablässe, Pfarreien, Klö­ster, Bistümer, Propsteien, Pfründen und alles, was nur je für den Gottesdienst gestiftet ist weit und breit. Dadurch wird nicht bloß alles Geld und Gut der Welt nach Rom gezogen und getrieben, was noch der geringste Schaden wäre, sondern die Pfarreien, Bistümer, Prälaturen wer­den zerrissen, verlassen, verwüstet, und so wird das Volk vernachlässigt, Gottes Wort, Gottes Name und Ehre ge­hen unter, der Glaube wird zerstört. Ja, zuletzt werden solche Stifte und Ämter nicht bloß Ungelehrten und Untauglichen, sondern in der Mehrzahl den größten rö­mischen Hauptbuben, die in der Welt sind, zuteil. Was also zum Gottesdienst, dem Volk zu predigen, es zu leiten und zu bessern, gestiftet ist, muss jetzt den Stallburschen, Maultiertreibern, ja dass ich's nicht derber sage: den rö­mischen Huren und Schandbuben dienen; dennoch haben wir nicht mehr Dank davon, als dass sie uns auch noch als Narren verspotten.

 

Zum zehnten: Weil denn alle solche unerträglichen Ungehörigkeiten geschehen unter dem Namen Gottes und Petrus, gerade als wären Gottes Name und die geistliche Gewalt dazu eingesetzt, Gottes Ehre zu lästern,

die Christenheit an Leib und Seele zu verderben, sind wir fürwahr schuldig, soviel wir können, gehörig zu wider­stehen, und müssen hier tun wie die frommen Kinder, deren Eltern toll oder wahnsinnig geworden sind. Und zuerst müssen wir sehen, wo das Recht herkommt, dass man das, was in unsren Landen zum Dienst Gottes gestif­tet oder ordentlich dazu bestimmt ist, für unsere Kinder vorzusorgen, denen zu Rom dienen lassen und es hier, wo es hingehört, unterlassen soll - wie unsinnig sind wir!

Weil denn Bischöfe und geistliche Prälaten hier stillhal­ten, dem nicht wehren oder sich fürchten und so die Christenheit verderben lassen, sollen wir zuerst Gott de­mütig um Hilfe anrufen, dieser Sache zu wehren. Danach sollen wir aber auch mit der Hand dazutun, den Kurtisa­nen und römischen Briefträgern13 die Straße versperren und ihnen in vernünftigem, friedlichem Ton sagen lassen: Falls sie ihre Pfründen redlich versorgen wollen, dass sie sich dort niederlassen, um mit Predigen und guten Exempeln das Volk zu bessern. Wenn sie das nicht wollen und zu Rom oder anderswo ihren Wohnsitz behalten, die Kirche verwüsten und schwächen, dass man es dann dem Papst zu Rom, dem sie dienen, überlasse, sie zu speisen. Es passt nicht zusammen, dass wir dem Papst seine Knechte, ja seine Schandbuben und Huren ernähren, unter Verder­ben und Schaden für unsre Seelen.

Sieh, das wären die rechten Türken, welche die Könige, die Fürsten und der Adel zuerst angreifen sollten! Nicht um darin eigenen Nutzen zu suchen, sondern zur Besserung der Christenheit und Verhinderung der Lästerung und Schmach des göttlichen Namens. Und so sollten sie mit dieser Geistlichkeit umgehen wie mit dem Vater, der seine Sinne und den Verstand verloren hat. Wenn man den nicht (jedoch mit Demut und in allen Ehren) gefan­gen nähme und ihm wehrte, konnte er die Kinder, das Erbe und jeden verderben. So sollen wir die römische Gewalt in Ehren halten als unsern obersten Vater und ihr dennoch, weil sie toll und unsinnig geworden ist, ihr Vorhaben nicht gestatten, damit nicht die Christenheit dadurch verderbt werde.

 

Zum elften: Es meinen etliche, man solle das einem allgemeinen Konzil anheim stellen. Dazu sage ich: Nein. Denn wir haben viele Konzilien gehabt, auf denen solches vorgewandt worden ist, nämlich zu Konstanz, zu Basel und das letzte in Rom. Es ist aber nichts ausgerichtet und immer schlimmer geworden. Auch sind solche Konzilien nichts nütze, weil die römische Weisheit den Kunstgriff erfunden hat, dass sich zuvor die Könige und die Fürsten eidlich verpflichten müssen, sie bleiben und haben zu lassen, wie sie sind und was sie haben. Damit hat sie einen Riegel vorgeschoben, um sich aller Reformation zu er­wehren, für jedes Bubenstück Schutz und Freiheit zu behalten, obwohl dieser Eid wider Gott und das Recht gefordert, erzwungen und geleistet wird und dem heili­gen Geist, der die Konzilien regieren soll, eben damit die Tür versperrt wird. Das wäre dagegen das beste und auch das einzig übrigbleibende Mittel, wenn Könige, Fürsten, Adel, Städte und Gemeinden selbst anfingen, in der Sache eine Bresche machten, damit die Bischöfe und Geistlichen (die sich jetzt fürchten) Grund hätten zu folgen. Denn hier soll und muss man nichts anderes ansehen als Gottes erste drei Gebote, gegen die weder Rom noch Himmel noch Erde etwas gebieten oder verwehren können. Und es liegt nichts an dem Bann oder Drohen, mit dem sie sich dessen zu erwehren meinen, ebenso wie nichts daran liegt, wenn ein toller Vater seinem Sohn heftig droht, wenn der ihm wehrt oder ihn gefangen setzt.

 

Zum zwölften: Das dritte Werk dieses Gebotes ist, der weltlichen Obrigkeit gehorsam zu sein, wie es Paulus Römer 13, 1ff. und Titus 3, 1 lehrt und Petrus 1. Petrus 2, 13f.: »Seid untertänig dem König als dem Obersten und den Fürsten als seinen Gesandten und allen Anordnungen weltlicher Gewalt.« Das Werk der weltlichen Gewalt aber ist es, die Untertanen zu schützen, Dieberei, Räuberei, Ehebrecherei zu strafen, wie Paulus sagt Römer 13, 4: »Sie trägt nicht umsonst das Schwert; sie dient Gott darin, den Bösen zur Furcht, den Frommen zugut.«

Hier sündigt man auf zweierlei Weise. Zum ersten, wenn man sie belügt, betrügt und untreu ist, nicht folgt und tut, wie sie befohlen und geboten hat, es sei mit Leib oder Gut. Denn auch wenn sie Unrecht tun wie der König von Babylonien dem Volk Israel, so will Gott ihnen doch Gehorsam gehalten haben ohne alle List und Gefahr. Zum zweiten, wenn man übel von ihnen redet, sie verwünscht und, wenn man sich nicht rächen kann, mit Murren und bösen Worten öffentlich oder heimlich sie schilt.

In diesem allem sollen wir das ansehen, was uns Petrus ansehen heißt: nämlich dass ihre Gewalt, sie tue recht oder unrecht, der Seele nicht schaden kann, sondern bloß dem Leib und Gut. Es wäre denn, dass sie öffentlich darauf dringen wollte, gegen Gott oder Menschen Un­recht zu tun, wie vorzeiten, als sie noch nicht christlich war, und wie es der Türke heute noch tut, wie man sagt. Denn Unrecht leiden schadet niemandem an der Seele, ja, es bessert die Seele, obwohl es dem Leib und Gut etwas wegnimmt. Aber Unrecht tun, das ist für die Seele ver­derblich, auch wenn es uns aller Welt Güter eintrüge.

 

Zum dreizehnten: Das ist auch der Grund, warum es nicht so gefährlich ist, in der weltlichen Gewalt Unrecht zu tun wie in der geistlichen. Denn weltliche Gewalt kann uns nicht schaden, weil sie nichts mit dem Predigen und dem Glauben und den ersten drei Geboten zu tun hat. Aber die geistliche Gewalt schadet nicht nur, wenn sie Unrecht tut, sondern auch, wenn sie ihr Amt anstehen lässt und etwas anderes tut, selbst wenn dies besser wäre als die allerbesten Werke der weltlichen Gewalt. Darum muss man sich gegen diese sträuben, wenn sie nicht recht tut, aber nicht gegen die weltliche Gewalt, auch wenn sie unrecht tut. Denn das arme Volk glaubt und tut so, wie es sieht und hört von der geistlichen Gewalt. Sieht und hört es da nichts, dann glaubt und tut es auch nichts, weil diese Gewalt zu keinem ändern Zweck eingesetzt ist, als das Volk im Glauben zu Gott zu fuhren. Dies alles ist nichts für die weltliche Gewalt; denn sie tue oder lasse, wie sie will, so geht mein Glaube zu Gott seine Straße und wirkt für sich, weil ich nicht glauben muss, wie sie glaubt. Darum ist weltliche Gewalt auch eine ganz geringe Sache vor Gott und von ihm viel zu gering geachtet, als dass man ihretwegen, sie tue recht oder unrecht, sich sperren, ungehorsam oder uneins werden sollte. Umgekehrt ist die geistliche Gewalt ein ungemein großes, überschweng­liches Gut und von ihm als viel zu kostbar erachtet, als dass der allergeringste Christenmensch es dulden und schwei­gen dürfte, wenn sie auch nur ein Haarbreit von ihrem eigenen Amt abweicht, geschweige denn, wenn sie ganz gegen ihr Amt handelt, wie wir jetzt alle Tage sehen.

 

Zum vierzehnten: In dieser Gewalt herrscht auch so mancher Missbrauch. Zum ersten, wenn sie den Schmeichlern folgt. Das ist eine allgemeine und besonders schädliche Plage dieser Gewalt, gegen die sich niemand genug wehren und vorsehen kann. Da wird sie an der Nase herumgeführt und kümmert sich um das arme Volk nicht, wird ein Regiment wie das, von dem ein Heide sagt: Die Spinnweben fangen wohl kleine Fliegen, aber die Mühlsteine fallen hindurch. So binden die Gesetze, Verordnungen und Verfügungen dieser Herrschaft wohl die Geringen, aber die Großen gehen frei aus. Und wenn der Herr nicht selbst so vernünftig ist, dass er den Rat seiner Leute nicht braucht, oder ihnen doch soviel gilt, dass sie sich vor ihm furchten, dann wird und muss es (wenn Gott nicht ein Wunder tut) ein kindisches Regi­ment geben.

Darum hat Gott unter anderen Plagen böse, untaugli­che Regenten zu den größten gerechnet. Er droht damit Jesaja 3, 2ff.: »Ich will ihnen alle tapferen Männer nehmen und will ihnen Kinder und kindische Herren geben.« Vier Plagen hat Gott in der Schrift genannt, Hesekiel 14, 13ff.: Die erste, geringste, die auch David sich wählte, ist die Pesti­lenz; die zweite ist die teure Zeit; die dritte ist der Krieg; die vierte sind alle möglichen Bestien wie Löwen, Wölfe, Schlangen, Drachen, das meint: böse Regenten. Denn wo die sind, ist das Verderben im Land, nicht bloß an Leib und Gut, wie bei den anderen Plagen, sondern auch an der Ehre, der Zucht, der Tugend und der Seelen Seligkeit. Denn Pestilenz und teure Zeit machen fromme und rei­che Leute, aber Krieg und böse Herrschaft machen alles zunichte, was die zeitlichen und ewigen Güter betrifft.

 

Zum fünfzehnten: Es muss ein Herr auch klug genug sein, dass er nicht immer mit dem Kopf durch die Wand will, auch wenn er kostbare gute Rechte und die allerbe­ste Sache hat. Denn es ist eine viel edlere Tugend, Schaden am Recht zu dulden als am Gut oder Leib, wenn das den Untertanen nützlich ist, zumal weltliche Rechte nur mit zeitlichen Gütern zusammenhängen.

Darum ist's eine ganz närrische Rede: Ich habe ein Recht darauf, darum will ich's im Sturm holen und festhalten, auch wenn für die anderen daraus nur Unglück entspringen sollte. So lesen wir von dem Kaiser Oktavian, dass er keinen Krieg fuhren wollte, wie gerecht er auch wäre, es lägen denn sichere Anzeichen eines größeren Nutzens als Schadens oder erträglichen Schadens vor, und sprach: Krieg fuhren ist eine Sache, als ob jemand mit einem goldenen Netz fischte, wobei er nie soviel fängt, wie er zu verlieren droht. Denn wer einen Wagen lenkt, der muss ganz anders verfahren, als wenn er für sich allein ginge. Hier kann er gehen, springen und es machen, wie er will. Aber wenn er die Zügel fuhrt, muss er so geschickt lenken und sich nach dem richten, wie ihm Wagen und Pferde folgen können, und muss mehr darauf als auf seinen eigenen Willen acht geben. So darf auch ein Herr, der einen Heerhaufen anführt, nicht so wandeln und handeln, wie er will, sondern wie es sein Haufe vermag, und muss mehr darauf sehen, was für den nötig und nützlich ist, als auf seinen Willen und auf seine Lust. Denn ein Herr, der nach seinem tollen Kopf regiert und seinem Gutdünken folgt, gleicht einem tollen Fuhrmann, der mit Pferd und Wagen geradewegs drauflos rennt, durch Bü­sche, Hecken, Gräben. Wasser, Berg und Tal, ohne nach Wegen und Brücken zu sehen: Der wird nicht lange fahren, es wird in Trümmer gehen.

Darum wäre es das allernützlichste für die Herrschaf­ten, wenn sie von Jugend auf die Historien aus den heili­gen und den heidnischen Büchern läsen oder sich vorlesen ließen. Darin fänden sie mehr Exempel der Kunst zu regieren als in allen Rechtsbüchern. Wie man liest, dass es die Könige vom Perserland getan haben, Esther 6, 1f. Denn Exempel und Historien geben und lehren allezeit mehr als die Gesetze und Rechte: Dort lehrt die gewisse Erfah­rung, hier lehren die unerfahrenen, Ungewissen Worte.

 

Zum sechzehnten. Drei besonders nötige Werke hätte zu unseren Zeiten alle Herrschaft vornehmlich in unseren Ländern zu tun: Zuerst sollte sie das grausame Unwesen des Fressens und Saufens abschaffen, nicht bloß des Über­flusses, sondern auch der Kostspieligkeit wegen. Denn durch Gewürze, Spezerei und dergleichen, ohne die gut gelebt werden könnte, ist es zu keiner kleinen Verminde­rung zeitlicher Güter in den Ländern gekommen, und es kommt noch täglich dazu. Um diese beiden großen Schä­den zu verhüten, die überaus tief und breit eingerissen sind, hätte die weltliche Gewalt wahrhaftig genug zu tun, und wie könnten die Gewaltigen Gott einen besseren Dienst erweisen, als von selber ihr Land zu bessern? Zwei­tens sollte sie dem überschwenglichen Aufwand der Klei­dung Einhalt gebieten, durch den soviel Gut vertan und doch nur der Welt und dem Fleisch gedient wird. Es ist erschreckend, wenn man bedenkt, dass solche Missbräuche bei dem Volk angetroffen werden, das dem gekreu­zigten Christus zugeschworen, auf ihn getauft und ihm zu eigen gegeben ist, das sein Kreuz mit ihm tragen und sich täglich durchs Sterben zum anderen Leben bereiten soll! Wenn es durch Unwissenheit bei etlichen aus Versehen dazu käme, wäre es eher zu ertragen. Aber dass es so frei, ungestraft, unverschämt, unbehindert getrieben wird, ja dass Lob und Ruhm darin gesucht werden, das ist wahr­lich ein unchristliches Treiben! Drittens sollte sie den wuchersüchtigen Zinskauf austreiben, der in aller Welt Länder, Leute und Städte verheert, verzehrt und zerstört mit seinem trügerischen Anschein, mit dem er so tut, als ob er kein Wucher sein könnte, obwohl er damit wahr­haftig schlimmer als Wucher ist, weil man sich nicht dagegen vorsieht wie beim offenkundigen Wucher. Sieh, das sind drei Juden (wie man sagt), die die ganze Welt aussaugen. Hier sollten die Herren nicht schlafen oder faul sein, wenn sie Gott eine gute Rechenschaft geben wollen von ihrem Amt!

 

Zum siebzehnten: Es wären hier auch anzuzeigen die Bubenstücke, die durch Offiziale und andere bischöfliche und geistliche Amtleute getrieben werden, die das arme Volk unter großer Beschwerung bannen, vorladen jagen und treiben, solange ein Pfennig da ist. Solchem sollte man mit dem weltlichen Schwert wehren, weil es dage­gen keine anderen Hilfen noch Mittel gibt.

O wollte Gott vom Himmel, dass man einmal auch mit einer solchen Regelung anfangen würde, die öffentlichen Frauenhäuser abzuschaffen, wie es im Volk Israel war! Es ist ja ein unchristliches Bild, ein öffentliches Sündenhaus unter den Christen zu haben, was vorzeiten ganz unerhört war. Es sollte eine Ordnung geben, dass man Knaben und Mädchen rechtzeitig zusammengäbe, um solcher Untu­gend zuvorzukommen. Um eine solche Ordnung und Weise sollten sich die geistliche wie die weltliche Gewalt bemühen. Ist's bei den Juden möglich gewesen, warum 128

sollte es nicht bei den Christen auch möglich sein? Ja, wenn es in Dörfern, Märkten und etlichen Städten mög­lich ist, warum sollte es nicht überall möglich sein?

Es kommt aber daher, weil es kein echtes Regiment in der Welt gibt. Niemand will arbeiten; darum müssen bei den Handwerksleuten die Knechte feiern. Die sind dann frei und niemand kann sie zähmen. Wenn es aber eine Ordnung gäbe, dass sie im Gehorsam dableiben müssten und niemand sie aufnähme an anderen Orten, hätte man, was dieses Übel angeht, ein großes Loch zugestopft. Helf uns Gott, ich habe Sorge, dass hier der Wunsch am größ­ten sei. Es besteht wenig Hoffnung, doch sind wir damit nicht entschuldigt.

Nun sieh, damit sind erst wenige Werke der Obrigkeit aufgezeigt, aber so gute und so viele, dass sie gute Werke im Überfluss hat, um Gott damit zu jeder Stunde zu dienen. Diese Werke aber sollen, wie die ändern auch, im Glauben geschehen, ja den Glauben einüben, damit nie­mand sich einbilde, er könne Gott durch die Werke gefallen, vielmehr tue er solche Werke in der Zuversicht zu seiner Huld, nur seinem gnädigen, lieben Gott zu Lob und Ehren, um darin seinem Nächsten zu dienen und nützlich zu sein.

 

Zum achtzehnten: Das vierte Werk dieses Gebotes ist der Gehorsam des Gesindes und der Werkleute gegen ihre Herren und Frauen, gegen Meister und Meisterin. Davon sagt Paulus Titus 2, 8ff.: »Du sollst den Knechten oder Dienern predigen, dass sie ihre Herren in allen Ehren halten, gehorsam seien, tun, was diesen gefallt, sie nicht betrügen noch ihnen widerstreben. Auch darum, weil sie damit der Lehre Christi und unsrem Glauben einen guten Namen machen, dass die Heiden nicht über uns klagen und sich ärgern können.« Auch Petrus spricht: »Ihr Knechte sollt gehorsam sein euren Herren um der Furcht Gottes willen; nicht bloß den gütigen und sanften, son­dern auch den wunderwilligen und ungeschlachten; denn das ist angenehm vor Gott, wenn jemand Unlust unschul­dig erleidet.« (1. Petrus 2, 18f.)

Nun wird am meisten geklagt in der Welt über das Gesinde und die Arbeitsleute, wie ungehorsam, untreu, ungezogen, auf ihren Vorteil bedacht sie seien. Das ist eine Plage von Gott. Und wahrhaftig, das ist auch das einzige Werk des Gesindes, durch das sie selig werden können. Sie brauchen gewiss nicht viele Wallfahrten zu machen, dies oder das zu tun; sie haben genug zu tun, wenn ihr Herz nur darauf gerichtet bleibt, dass sie gerne tun und lassen, wovon sie wissen, dass es ihren Herren und Frauen gefällt. Und dies alles in einem einfältigen Glauben. Nicht als ob sie durch die Werke große Verdienste erwerben sollten, sondern so, dass sie das alles in der Zuversicht zur göttlichen Huld tun (in der alle Verdienste ihren Bestand haben), lauter, umsonst, aus Liebe und Zuneigung zu Gott, wie sie aus solcher Zuversicht erwächst. Und sie sollen alle solchen Werke eine Übung sein lassen und eine Ermahnung, sich immerfort in der Zuversicht solchen Glaubens mehr und mehr zu bestärken. Denn wie nun oft genug gesagt ist: Der Glaube macht alle Werke gut, ja er ist es, der sie tun und der Werkmeister sein muss.

 

Zum neunzehnten: Umgekehrt sollen die Herren und Frauen ihre Knechte, Mägde und Arbeiter nicht so an­herrschen, dass sie wütend werden, nicht alles übergenau untersuchen, zuweilen etwas nachlassen und um des Frie­dens willen durch die Finger sehen. Denn in keinem Stand kann alles allezeit schnurgerade zugehen, solange wir auf Erden in der Unvollkommenheit leben. Davon sagt Paulus Kolosser 4, 1: »Ihr Herren sollt euer Gesinde gleich und angemessen behandeln, eingedenk dessen, dass ihr auch einen Herrn habt im Himmel.« Darum: Wie es die Herren selbst haben wollen, dass Gott sie nicht aufs schärfste behandle, sondern ihnen vieles aus Gnaden nachsehe, so sollen sie auch gegen ihr Gesinde um so gelinder sein und manches nachsehen und dennoch Mühe dran wenden, dass sie recht tun und Gort furchten lernen. Sieh auch da, was für gute Werke ein Hauswirt und eine Hausfrau tun können, wie fein uns Gott alle guten Werke so nah, so mannigfach, so stetig vor Augen stellt, so dass wir nicht mehr nach guten Werken zu fragen brauchen und die anderen, blendenden, weitläufigen, selbsterfundenen Menschenwerke gut vergessen können, wie Wallfahrten machen, Kirchen bauen, Ablass suchen und dergleichen.

Hier sollte ich wohl auch noch sagen, dass die Frau ihrem Mann als ihrem Obersten gehorsam und Untertan sein, ihm nachgeben, schweigen und sein Recht lassen soll, wenn es nicht wider Gott ist. Umgekehrt, dass auch der Mann sein Weib lieb haben, ihr manches nachsehen und sie nicht streng behandeln soll. Davon haben Petrus und Paulus vieles gesagt. Aber es würde in eine ausführ­lichere Auslegung der zehn Gebote gehören und ist aus diesen Stücken leicht zu erkennen.

 

Zum zwanzigsten: Alles aber, was gesagt worden ist von diesen Werken, ist in den beiden Worten enthalten: Gehorsam und Sorgfalt. Gehorsam gebührt den Unterta­nen, Sorgfalt den Oberherren, so dass sie sich bemühen, ihre Untertanen gut zu regieren, liebevoll mit ihnen um­zugehen und alles zu tun, um ihnen nützlich und behilf­lich zu sein. Das ist ihr Weg in den Himmel, und das sind ihre besten Werke, die sie auf Erden tun können. Damit sind sie angenehmer vor Gott, als wenn sie sonst lauter Wunderzeichen täten. So sagt Paulus Römer 12, 8: »Wer ein Obrigkeitsamt hat, der lasse die Sorgfalt sein Werk sein.« Als wollte er sagen: Er lasse sich nicht beirren durch das, was andere Leute oder Stände tun; er sehe nicht auf dies oder das Werk, es glänze hell oder sei finster, sondern gebe acht auf seinen Stand und denke nur daran, wie er denen nützlich sein kann, die ihm untergeben sind. Dabei bleibe er und davon lasse er sich nicht abbringen, auch wenn der Himmel sich vor ihm auftäte, noch davonjagen, auch wenn ihm die Hölle nachliefe! Das ist die richtige Straße, die ihn zum Himmel trägt.

O wer so auf sich und seinen Stand acht gäbe und auch nur diesem nachkäme, wie reich an guten Werken sollte ein solcher Mensch in kurzer Zeit werden! So still und heimlich, dass niemand als Gott allein es gewahr würde! Aber nun lassen wir das alles fahren, und einer läuft in die Kartause, einer hier-, der andere dahin, gerade als wären die guten Werke und Gottes Gebote in die Winkel ge­worfen und dort versteckt, während doch geschrieben steht Sprüche 1, 20f., dass die göttliche Weisheit ihre Gebote ausschreit öffentlich, auf den Straßen, mitten im Volk und unterm Stadttor, womit angezeigt wird, dass sie an allen Orten, in allen Ständen, zu allen Zeiten im Überfluss vorhanden sind und wir sie nur nicht sehen, sie verblendet anderswo suchen. Das hat Christus vorausverkündigt Matthäus 24, 23ff.: »Wenn sie euch sagen werden: >Siehe, hier ist Christus, oder da<, so sollt ihr's nicht glauben! Wenn sie sagen werden: >Siehe da, in der Wüste ist er<, dann geht nicht hinaus; >Siehe da, er ist heimlich in Häusern<, dann glaubt es nur nicht. Es sind falsche Propheten und falsche Christusse!«

 

Zum einundzwanzigsten: Umgekehrt gebührt der Ge­horsam den Untertanen, dass sie all ihre Mühe und Auf­merksamkeit darauf richten, zu tun und zu lassen, was ihre Oberherren von ihnen begehren, sich davon nicht abbringen oder wegtreiben lassen, mag auch ein anderer tun, was immer er tue. Er bilde sich ja nicht ein, dass er recht lebe und gute Werke tue, es sei Beten oder Fasten oder was für einen Namen es haben mag, wenn er in diesem Gehorsam sich nicht mit Ernst und Fleiß übt.

Wenn es aber dahin käme, wie dies oft geschieht, dass weltliche Gewalt und Obrigkeit, wie sie auch heiße, einen Untertanen zwingen wollte, gegen Gottes Gebote zu handeln, oder ihn daran hinderte, ihnen zu folgen: dann erlischt der Gehorsam und ist die Pflicht auch schon aufgehoben. Hier muss man sagen, wie Petrus zu den Fürsten der Juden sagte: »Man muss Gott mehr gehorsam sein als den Menschen.« (Apostelgeschichte 5, 29) Er sprach nicht: Man darf den Menschen nicht gehorsam sein — denn das wäre falsch; sondern: Gott mehr als den Menschen. Wie wenn ein Fürst Krieg fuhren wollte, der eine offensichtlich unrechte Sache hätte: dem soll man ja nicht folgen oder helfen, weil Gott geboten hat, wir sollten unsern Näch­sten nicht töten noch ihm Unrecht tun. Ebenso wenn er uns gebieten wollte, ein falsches Zeugnis zu geben, zu rauben, zu lügen oder zu betrügen und dergleichen. Da soll man eher Gut, Ehre, Leib und Leben fahren lassen, damit das Gottesgebot bleibe.

 

 

 

Von dem fünften Gebot

Die vier vorangehenden Gebote tun ihr Werk an der Vernunft. Das meint, dass sie den Menschen gefangen­ nehmen, regieren und sich Untertan machen, damit er sich nicht selber regiere, nicht sich gut dünke, nicht etwas von sich selbst halte, sondern sich in Demut erkenne und führen lasse: Damit wird ihm die Hoffart verwehrt. Die folgenden Gebote haben mit den Begierden und Gelüsten des Menschen zu tun, um auch sie zu töten.

 

Zum ersten: Da ist die Begierde des Zorns und der Rachsucht. Von ihr sagt das fünfte Gebot: »Du sollst nicht töten.« Zu diesem Gebot gehört ein Werk, doch es be­greift vieles in sich und vertreibt viele Laster, und das heißt Sanftmut. Die gibt es auf zweierlei Art: Die eine glänzt wohl ganz hübsch, und es ist doch nichts dahinter. Die haben wir bei den Freunden und denen, die uns nützlich und von Vorteil sind für Gut, Ehre und Gunst, oder die uns nicht beleidigen, weder mit Worten noch mit Werken. Solche Sanftmut haben auch unvernünftige Tiere, Löwen und Schlangen, Heiden, Juden, Türken, Schandbuben, Mörder, böse Weiber. Die sind sämtlich zufrieden und sanft, wenn man tut, was sie wollen, oder sie in Frieden lässt. Und doch verbergen nicht wenige, von solch wertloser Sanftmut betrogen, ihren Zorn und entschuldigen ihn so: Ich wollte gewiss nicht zürnen, wenn man mich in Frieden ließe! Ja, lieber Mensch: Dann wäre auch der böse Geist sanftmütig, wenn es ihm nach seinem Willen erginge. Der Unfriede und die Beleidi­gungen kommen über dich, weil sie dich dir selber zeigen wollen, wie du voller Zorn und Bosheit steckst. Dadurch sollst du ermahnt werden, dich um Sanftmut zu mühen und den Zorn auszutreiben.

Die andere Sanftmut ist von Grund auf gut. Sie erweist sich gegenüber den Widersachern und Feinden, indem sie diesen keinen Schaden zufügt, sich nicht rächt, ihnen nicht flucht, sie nicht lästert, nichts Übles nachredet, nichts Übles sich gegen sie ausdenkt, auch wenn sie uns Gut, Ehre, Leib, Freunde genommen hätten; ja, wenn sie kann, tut sie ihnen Gutes für das Böse, sagt ihnen das Beste nach, gedenkt ihrer zum besten, bittet für sie. Davon sagt Christus Matthäus 5, 44.: »Tut wohl denen, die euch Leid antun; bittet für eure Verfolger und Lästerer.« Und Paulus Römer 12, 14: »Segnet, die euch fluchen, und verflucht sie nicht, sondern tut ihnen wohl.«

 

Zum zweiten: Nun sieh, wie sehr dieses kostbare, hohe Werk unter den Christen vergangen ist, so dass nichts als Hader, Krieg, Zank, Zorn, Hass, Neid, Verleumden, Flu­chen, Lästern, Schadentun, Rache und alle Zorneswerke und -worte mit voller Gewalt über alle regieren. Und doch machen wir daneben weiter mit vielen Feiertagen, Messehören, Gebetlein sprechen, Kirchen und Kirchen­schmuck14 stiften, was Gott nicht geboten hat, und haben so einen prächtigen, überschwenglichen Heiligenschein, als wären wir die heiligsten Christen, die jemals gewesen sind! Und so lassen wir hinter dieser Spiegelfechterei und Maskerade Gottes Gebote zu Boden und untergehen, so dass auch niemand mehr es bedenkt oder betrachtet, wie nahe oder fern er der Sanftmut und der Erfüllung dieses Gebotes sei, obwohl Christus doch gesagt hat, nicht wer solche Werke tue, sondern wer seine Gebote halte, der werde ins ewige Leben eingehen.

Indessen lebt niemand auf Erden, dem Gottes Fügung nicht einen zuteilte, der ihm seinen Zorn und seine Bos­heit anzeigte, das meint: seinen Feind und Widersacher, damit der ihm Leid antue an Gut, Ehre, Leib oder Freun­den. Und damit probiert Gott es aus, ob auch noch Zorn da sei, ob er dem Feind hold sein, gut von ihm reden, ihm wohl tun könne und nichts Übles gegen ihn vorhabe. So komme nun her, wer da fragt, was er tun solle, damit er gute Werke tue, Gott gefällig und selig werde: Er nehme sich seinen Feind vor, stelle stetig dessen Bild vor die Augen seines Herzens und mache daraus eine solche Übung, dass er sich daran besänftige und sein Herz ge­wöhne, freundlich von diesem zu denken, ihm das Beste zu gönnen, für ihn zu sorgen und zu beten; dann auch, wenn es die Zeit gibt, gut von ihm zu reden und ihm Gutes zu tun. Versuche sich in diesem Stück, wer da will: Wird er damit nicht sein Lebtag genug zu tun bekom­men, dann strafe er mich Lügen und sage, diese Rede sei falsch gewesen! Wenn aber Gott dies von uns haben und sich anders nicht bezahlen lassen will, was hilft es doch, dass wir mit anderen großen Werken umgehen, die nicht geboten sind, und dies unterlassen? Darum spricht Gott Matthäus 5, 22ff.: »Ich sage euch, wer da zürnt mit seinem Nächsten, der ist des Gerichtes schuldig. Wer da sagt zu seinem Bruder >Racha< (das meint: wer ihm ein greuli­ches, zorniges, grässliches Zeichen gibt), der ist des Rates schuldig. Wer aber zu seinem Bruder spricht >Du Narr< (das meint alle möglichen Scheltworte, Fluchen, Läste­rungen, Nachreden), der ist des ewigen Feuers schuldig.« Wo bleibt die Tat mit der Hand wie Schlagen, Verwun­den, Töten, Beschädigen usw., wenn schon die Gedanken und Worte des Zorns so hoch verurteilt worden sind?

 

Zum dritten: Wo aber Sanftmut von Grund auf herrscht, da jammert das Herz alles Übel, das seinem Feind widerfährt. Und das sind die rechten Rinder und Erben Gottes und Brüder Christi, der es so für uns alle getan hat am heiligen Kreuz. Ebenso sehen wir, dass ein frommer Richter mit Schmerzen ein Urteil über den Schuldigen fällt und dass er den Tod bedauert, den das Recht über diesen verhängt. Hier hat das Werk ganz den Anschein, als ob es Zorn und Ungnade sei; doch ist da die Sanftmut so ganz von Grund auf gut, dass sie sogar unter solchen Zorneswerken bestehen bleibt, ja am allerheftigsten im Herzen aufquillt, wenn sie so zürnen und ernst machen muss.

Doch wir müssen hier darauf sehen, dass wir nicht sanftmütig sind wider Gottes Ehre und Gebot. Denn es steht geschrieben von Mose, dass er der allersanftmütigste Mensch auf Erden war; und doch, als die Juden das gol­dene Kalb angebetet und Gott erzürnt hatten, schlug er viele von ihnen zu Tode und versöhnte Gott wieder dadurch. So wäre es nicht recht, wenn die Obrigkeit untätig bliebe und die Sünde regieren ließe und wir dazu stillschweigen wollten. Auf mein Gut, meine Ehre, mei­nen Schaden soll ich nicht achten und nicht darüber zürnen. Aber wo es um Gottes Ehre und Gebot geht und um Schaden und Unrecht unserer Nächsten, müssen wir uns wehren, die Obrigkeit mit dem Schwert, die ändern mit Worten und Strafen; und doch alles so, dass uns die leid tun, welche die Strafe verdient haben.

Dieses hohe, feine, liebliche Werk wird sich leicht erlernen lassen, wenn wir es im Glauben tun und diesen daran üben. Denn wenn der Glaube nicht zweifelt an der Huld Gottes, dass er einen gnädigen Gott habe, wird es ihm sehr leicht werden, auch seinem Nächsten gnädig und zugeneigt zu sein, wenn sich dieser auch noch so hoch verwirkt hat. Denn wir haben uns um vieles höher Gott gegenüber verwirkt. Sieh da, das ist ein kurzes Gebot, aber eine lange und große Übung in guten Werken und im Glauben wird uns darin gezeigt.

 

 

 

Von dem sechsten Gebot

Du sollst nicht Ehebrechen

 

In diesem Gebot wird auch ein gutes Werk geboten, das vieles in sich begreift und viele Laster vertreibt. Es heißt Reinheit oder Keuschheit. Davon wird viel geschrieben, gepredigt, und es ist jedem sehr wohl bekannt. Nur dass man es nicht so fleißig wahrnimmt und ausübt, wie man es mit den anderen, ungebotenen Werken tut: So völlig sind wir bereit, zu tun, was uns nicht geboten ist, und zu lassen, was uns geboten ist! Wir sehen, dass die Welt voll ist von schändlichen Werken der Unkeuschheit, schand­baren Worten, Fabeln und Liedlein. Außerdem mehrt sich täglich der Anreiz durch Fressen und Saufen, Müßig­gang und überflüssigen Schmuck. Doch wir machen wei­ter, als wären wir Christen: Wenn wir in der Kirche gewesen sind, unsre Gcbetlein, Fasten und Feiern einge­halten haben, soll es damit vollbracht sein!

Nun, wenn nicht mehr Werke geboten wären als nur die Keuschheit, wir hätten alle damit genug zu tun; solch ein gefährliches, wütendes Laster herrscht da. Denn es tobt in allen Gliedern: in den Herzen mit Gedanken, in den Augen mit dem, was wir sehen, in den Ohren mit dem, was wir hören, im Mund mit Worten, in den Händen, den Füßen und dem ganzen Leib mit den Wer­ken. Um all dies zu bezwingen, braucht es Arbeit und Mühe. Und so lehren uns die Gebote Gottes, was für eine große Sache es ist um rechtschaffene, gute Werke, ja dass es uns unmöglich sei, aus unseren Kräften ein gutes Werk auszudenken, geschweige denn es anzufangen oder zu vollbringen. Augustin spricht, dass unter allem Streit der Christen der Streit um die Keuschheit der härteste sei, allein schon deswegen, weil er täglich währt ohne Aufhö­ren und sie selten obsiegt. Es haben alle Heiligen darüber geklagt und geweint, wie Paulus Römer 7, 18: »Ich finde in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes.«

 

Zum zweiten. Wenn dieses Werk der Keuschheit Be­stand haben soll, dann treibt es zu vielen anderen guten Werken: Zum Fasten und zur Mäßigkeit gegen Fraß und Trunkenheit, zum Wachen und Frühaufstehen gegen die Faulheit und den unnötigen Schlaf; zur Arbeit und Mühe gegen den Müßiggang. Denn Fressen, Saufen, viel Schla­fen, Faulenzen und Müßiggehen sind Waffen der Unkeuschheit, mit denen die Keuschheit behend überwun­den wird. Umgekehrt nennt der heilige Apostel Paulus das Fasten, Wachen, Arbeiten göttliche Waffen, mit de­nen die Unkeuschheit bezwungen wird (Römer 13, 12f.). Doch sollen, wie oben gesagt, diese Übungen nur so weit gehen, dass sie die Unkeuschheit dämpfen, aber nicht die Natur verderben.

Über all dies hinaus ist die stärkste Gegenwehr das Gebet und Gottes Wort, so dass der Mensch, wenn die böse Lust sich regt, zum Gebet fliehe, Gottes Gnade und Hilfe anrufe, das Evangelium lese und betrachte, darin Christi Leiden ansehe. So sagt Psalm 139, 9: »Selig ist, der die Jungen von Babylonien ergreift und zerschmettert15 sie an dem Felsen«, das meint: wenn das Herz mit den bösen Gedanken, solang sie noch jung und am Anfang sind, zum Herrn Christus läuft, der ein Fels ist, an dem sie zerrieben werden und vergehen.

Sieh, da wird jeder mit sich selber überschwer genug zu schaffen haben und in sich selbst viele guten Werke zuge­wiesen bekommen. Aber jetzt geht es so zu, dass niemand das Beten, Fasten, Wachen, Arbeiten zu diesem Zweck gebraucht, sondern lässt sie Werke bleiben, die in sich selbst ihren Zweck haben, während sie doch verordnet sein sollten, um das Werk dieses Gebotes zu erfüllen und uns täglich mehr und mehr zu reinigen.

Etliche haben auch noch mehr genannt, was zu meiden sei, wie weiche Lagerstätte und Kleidung; man meide überflüssigen Schmuck, die Gesellschaft, das Gespräch oder den Anblick einer Weibs- oder Mannsperson und was dergleichen mehr der Keuschheit förderlich ist. In all diesen Dingen kann niemand sichere Maßregeln festset­zen. Jeder muss da auf sich achten, welche und wie viele Stücke und wie lange ihm diese zur Keuschheit erforder­lich sind, damit er sie für sich selber auswählen und einhalten kann. Wenn er dies nicht kann, soll er sich eine Zeitlang unter die Leitung eines ändern begeben, der ihn dazu anhalten soll, bis er sich selber in eigener Macht zu regieren vermag. Denn dazu sind vorzeiten die Klöster gestiftet worden, um junge Leute Zucht und Reinheit zu lehren.

 

Zum dritten: Bei diesem Werk hilft ein guter, starker Glaube sehr viel; spürbarer als bei jedem anderen. Deshalb sagt auch Jesaja, der Glaube sei ein Gurt der Nieren (Jesaja 11, 5), das meint: eine Bewahrung der Keuschheit. Denn wer so lebt, dass er für sich alle Gnade von Gott erhofft, dem gefällt die geistliche Reinheit wohl. Darum kann er viel leichter der fleischlichen Unreinheit widerstehen; und es sagt ihm gewiss der Geist in solchem Glauben, wie er böse Gedanken und alles, was der Keuschheit zuwider ist, meiden soll. Denn wie der Glaube an die göttliche Huld unaufhörlich lebt und alle Werke wirkt, ebenso lässt er auch mit seinem Ermahnen nicht nach in allen Dingen, die Gott angenehm oder verdrießlich sind. Wie Johannes in seiner Epistel sagt: »Ihr bedürft nicht, dass euch jemand lehre, denn die göttliche Salbung, das ist der Geist Gottes, lehrt euch alle Dinge.« (1. Johannes 2, 27)

Doch dürfen wir nicht verzagen, wenn wir die Anfech­tung nicht schnell loswerden. Ja, wir sollen uns nicht einmal wünschen, Ruhe vor ihr zu haben, solange wir leben, und sie immer nur als Anreiz und Ermahnung auffassen zum Beten, Fasten, Wachen, Arbeiten und zu anderen Übungen, die das Fleisch dämpfen, besonders aber den Glauben an Gott befördern und einüben sollen. Denn eine Keuschheit, die es still und ruhig hat, kostet nicht viel, sondern nur die, die gegen die Unkeuschheit zu Feld liegt und streitet und unablässig jede Vergiftung austreibt, die das Fleisch und der böse Geist einstreuen. So sagt Petrus: »Ich ermahne euch, dass ihr euch enthaltet von den fleischlichen Begierden und Gelüsten, die da allezeit streiten wider die Seele.« (1. Petrus 2, 11) Und Paulus Römer 6, 12: »Ihr sollt dem Leib nicht folgen nach seinen Gelüsten.« In diesen und ähnlichen Sprüchen wird angezeigt, dass niemand ohne böse Lust ist, aber er soll und muss täglich dagegen streiten. Aber obwohl dies Unruhe und Unlust bereitet, ist's doch ein Werk, das vor Gott angenehm ist; das soll uns Trost genug sein. Denn die meinen, sie könnten sich solcher Anfechtung erweh­ren, indem sie ihr Folge leisten, entzünden sich nur noch mehr dran. Und auch wenn sie eine Weile stillhält, kommt sie doch zu einer anderen Zeit stärker wieder und findet dann die Natur mehr geschwächt als zuvor.

 

 

 

Das siebente Gebot

Du sollst nicht stehlen

 

Dieses Gebot hat auch ein Werk, das sehr viele guten Werke in sich begreift und vielen Lastern entgegensteht. Es heißt auf deutsch Freigebigkeit. Dieses Werk besteht darin, dass jedermann willig ist, mit seinem Gut zu helfen und zu dienen. Und es streitet nicht bloß gegen Diebstahl und Räuberei, sondern gegen jede Verkürzung, die man am zeitlichen Gut gegeneinander verüben kann, wie Geiz, Wucher, Überteuern, Übervorteilen, falsche Ware, falsche Maße, falsche Gewichte verwenden; und wer könnte alle die behenden neuen Spitzfindigkeiten aufzäh­len, die sich täglich vermehren in jeder Hantierung, durch die jeder seinen Vorteil sucht zum Nachteil des ändern und das Gesetz vergisst, das uns sagt: »Was du willst, dass dir andere tun, das tu du ihnen auch.« (Matthäus 7, 12) Wer sich diese Regel vor Augen hielte, jeder bei seinem Hand­werk, Geschäft und Handel gegenüber seinem Nächsten, der würde leicht finden, wie er kaufen und verkaufen, nehmen und geben, leihen und umsonst geben, zusagen und halten sollte und dergleichen mehr. Und wenn wir die Welt ansehen mit ihrem Treiben, wie der Geiz in allem Handel das Regiment hat, würden wir nicht nur genug zu tun bekommen, wenn wir uns mit Gott und in Ehren ernähren wollten. Sondern wir würden auch das Grauen und einen Schrecken bekommen vor diesem ge­fährlichen, elenden Leben, das mit Sorgen um zeitliche Nahrung und mit unredlicher Suche nach ihr so ganz überladen, darin verstrickt und gefangen ist.

 

Zum zweiten. Darum sagt der weise Mann nicht von ungefähr: »Selig ist der reiche Mann, der ohne Makel erfunden ist; der nicht dem Gold nachgelaufen ist und seine Zuversicht nicht auf die Schätze des Geldes gesetzt hat. Wer ist der? Wir wollen ihn loben, dass er eine Wundertat getan habe in seinem Leben.« (Sirach 31, 8f.) Als wollte er sagen: Man findet keinen oder sehr wenige. Ja, es gibt sehr wenige, die solche Sucht nach Gold an sich selber bemerken und erkennen. Denn der Geiz hat hier einen sehr hübschen, feinen Schanddeckel, der heißt: Leibcsnahrung und natürliche Notdurft. Darunter handelt er maßlos und unersättlich, so dass einer, der sich davon rein halten soll, wahrhaftig, wie er sagt, Wunderzeichen oder Wundertaten in seinem Leben tun muss.

Nun sieh, wer nicht bloß gute Werke tun will, sondern auch Wunderzeichen, die Gott lobt und sich gefallen lassen will, was braucht der viel anderswohin zu denken? Er gebe acht auf sich selbst und sehe zu, dass er dem Gold nicht nachlaufe und seine Zuversicht nicht aufs Geld setze, sondern lasse das Gold sich nachlaufen und das Geld auf seine Gnade warten; und er verbiete es sich, Gold oder Geld zu lieben und sein Herz daran kleben zu lassen. So ist er der rechte, freigebige, wundertätige, selige Mann, wie Hiob sagt: »Ich habe mich noch nie aufs Gold verlassen und auch das Geld noch nie meinen Trost und meine Zuversicht sein lassen.« (Hiob 31, 24) Und Psalm 62, 11: »Wenn euch Reichtümer zufließen, sollt ihr ja euer Herz nicht dran hängen.« So lehrt auch Christus Matthäus 6, 31, wir sollten nicht darum besorgt sein, was wir essen, trinken und wie wir uns kleiden, da ja Gott dafür sorgt und weiß, dass wir dessen bedürfen.

Aber etliche sagen: Ja, verlass dich drauf, sorge nicht und sieh, ob dir ein gebratenes Huhn ins Maul fliegt. Ich sage nicht, dass niemand arbeiten und Nahrung suchen soll, sondern er soll nicht sorgen, nicht geizig sein, nicht verzagen, ob er genug haben werde. Denn wir sind in Adam alle zur Arbeit verurteilt, da Gott sagt 1. Mose 3, 19: »Im Schweiß deines Angesichts sollst du essen dein Brot.« Und Hiob 5, 7: »Wie der Vogel zum Fliegen, so ist auch der Mensch geboren zur Arbeit.« Nun fliegen die Vögel ohne Sorge und Geiz, ebenso sollen auch wir arbeiten ohne Sorge und Geiz. Wenn du aber sorgst und geizig bist, damit dir das gebratene Huhn ins Maul fliege, dann sorge und sei geizig und sieh zu, ob du Gottes Gebot erfüllen und selig werden wirst.

 

Zum dritten: Dieses Werk lehrt der Glaube von selber. Denn wo einer von Herzen auf die göttliche Huld hofft und sich darauf verlässt, wie ist's möglich, dass der geizig und sorgenvoll sein sollte? Er muss dessen ohne Zweifel gewiss sein, dass sich Gott um ihn annehme. Darum klebt er nicht am Geld; er gebraucht es fröhlich, freigebig, dem Nächsten zunutze, weiß wohl, dass er genug haben werde, wie viel er auch hergibt. Denn sein Gott, dem er vertraut, wird ihm nicht lügen noch ihn verlassen, wie in Psalm 37, 25 steht: »Ich bin jung gewesen und alt geworden, habe noch nie gesehen, dass ein gläubiger Mensch, der  Gott vertraut (das ist ein Gerechter) verlassen worden oder dass sein Kind nach Brot gegangen sei.« Darum nennt der Apostel keine andere Sünde eine Abgötterei als den Geiz, der sich's aufs gröblichste anmerken lässt, dass er Gott nichts zutraut, mehr Gutes von seinem Geld als von Gott erhofft. Durch solche Zuversicht - da zu Gott, dort zum Geld - wird Gott in Wahrheit geehrt oder verunehrt, wie gesagt worden ist.

Und wahrhaftig, an diesem Gebot kann man am klar­sten bemerken, wie sehr alle guten Werke im Glauben gehen und geschehen müssen. Denn hier empfindet es ganz gewiss jeder, dass der Grund des Geizes das Miss­trauen, der Grund der Freigebigkeit aber der Glaube ist. Denn weil er Gott vertraut, ist einer auch freigebig und zweifelt nicht daran, er habe immer genug. Umgekehrt ist einer deshalb geizig und sorgenvoll, weil er Gott nicht vertraut. Wie nun in diesem Gebot der Glaube Werkmei­ster und Antreiber des guten Werkes der Freigebigkeit ist, so ist er es auch in allen ändern Geboten, und auch die Freigebigkeit ist ohne solchen Glauben zu nichts nütze, sondern nur ein achtloses Ausschütten des Geldes.

 

Zum vierten: Hierbei ist zu wissen, dass diese Freige­bigkeit sich auch auf Feinde und Widersacher erstrecken soll. Denn wie Christus Lukas 6, 32ff. lehrt: Was ist das für eine Wohltat, wenn wir bloß gegen Freunde freigebig sind? Tut das doch auch ein böser Mensch für den ändern, wenn der sein Freund ist! Ebenso sind auch die unver­nünftigen Tiere gegen ihresgleichen guttätig und freige­big. Darum muss ein Christenmensch höher greifen und seine Freigebigkeit auch denen dienen lassen, die es nicht verdienen, Übeltätern, Feinden, Undankbaren, und auch wie sein himmlischer Vater seine Sonne aufgehen lassen über Fromme und Böse und regnen lassen über die Dank­baren und die Undankbaren.

Hier wird man wieder finden, wie schwer gute Werke zu tun sind nach Gottes Gebot; wie sich die Natur dagegen sperrt, krümmt und windet, während sie ihre selbst­ausgesuchten Werke leicht und gern tut. Deshalb nimm dir deine Feinde vor, die Undankbaren, tu denen wohl: So wirst du entdecken, wie nah oder fern du von diesem Gebot seiest und wie du dein Leben lang mit den Übungen dieses Werkes immer zu tun haben wirst. Denn wo dein Feind deiner bedarf und du ihm nicht hilfst, wenn du's kannst, da ist das genau so, als hättest du ihm das Seine gestohlen. Denn du bist es ihm schuldig gewesen, zu helfen. So sagt Ambrosius: Speise den Hungrigen. Speisest du ihn nicht, dann hast du ihn, soweit es an dir liegt, erwürgt. Und zu diesem Gebot gehören die Werke der Barmherzigkeit, die Christus am Jüngsten Tag einfor­dern wird.

Doch sollten die Herrschaften und die Städte darauf bedacht sein, dass die Landläufer, Jakobsbrüder16 und alle übrigen fremden Bettler verboten oder doch nur in Maß und Ordnung zugelassen würden, damit nicht den Buben unter dem Namen des Bettels ihr Vagabundieren und ihre Bubenstücke gestattet werden, die jetzt so häufig vorkommen. Ausführlicheres über die Werke dieses Ge­botes habe ich im Sermon von dem Wucher gesagt.

 

 

 

Das achte Gebot

Du sollst nicht falsch Zeugnis geben wider deinen Nächsten

 

Dieses Gebot erscheint klein und ist doch so groß, dass, wer's recht halten soll, Leib und Leben, Gut und Ehre, Freunde und alles, was er hat, daran wagen und aufs Spiel setzen muss. Und doch begreift es nicht mehr in sich als das Werk des kleinen Gliedes der Zunge und heißt auf deutsch: die Wahrheit sagen und der Lüge widerspre­chen, wo es not tut. Darum werden in ihm viele böse Werke der Zunge verboten.

 

Zum ersten: die einen, die durchs Reden, und die anderen, die durchs Schweigen geschehen. Durchs Reden geschieht's, wenn einer vor Gericht eine böse Sache hat und will diese mit falschen Gründen beweisen und voran­treiben, mit Behendigkeit seinen Nächsten fangen, alles verwenden, was seine Sache schmückt und fördert, alles verschweigen und verringern, was seines Nächsten gute Sache fördert. Damit tut er seinem Nächsten nicht, wie er sich selber getan haben wollte. Das tun etliche um eines Vorteils willen, etliche, um Schaden und Schande zu vermeiden. Damit suchen sie mehr das Ihre als Gottes Gebot. Sie entschuldigen sich mit dem Spruch: Vigilanti iura subveniunt - Wer aufpasst, dem hilft das Recht; gerade als wären sie es nicht ebenso schuldig, über des Nächsten Sache wie über ihrer eigenen zu wachen. So lassen sie mutwillig des Nächsten Sache unterliegen, von der sie wissen, dass sie recht sei. Dieses Übel ist jetzt so allgemein, dass ich Sorge habe, es gebe keine Gerichtsver­handlung, bei der sich nicht eine Seite gegen dieses Gebot versündigte. Und wenn sie es schon nicht vollenden kön­nen, haben sie doch den Mut und den Willen zum Un­recht, indem sie gern wollten, des Nächsten gute Sache ginge unter und ihre böse ginge voran. Besonders dort kommt es zu dieser Sünde, wo der Widersacher ein Groß­hans oder ein Feind ist. Denn am Feind will man sich damit rächen, den Großhans will niemand gegen sich aufbringen. Und da fängt dann das Schmeicheln und Liebedienern an oder doch das Verschweigen der Wahr­heit. Da will niemand Ungnade und Ungunst, Schaden und Gefahr um der Wahrheit willen zu gewärtigen ha­ben, und so muss das Gebot Gottes untergehen. Und das ist, sozusagen, das Regiment dieser Welt! Wer dies Gebot halten wollte, würde wohl alle Hände voll guter Werke zu vollbringen haben allein mit der Zunge. Wie viele gibt's außerdem, die sich mit Geschenken und Gaben zum Schweigen und von der Wahrheit abbringen lassen! So ist es wahrlich an allen Orten ein hohes, großes, seltenes Werk, kein falscher Zeuge zu sein wider seinen Nächsten.

 

Zum zweiten: Darüber hinaus gibt es ein anderes Wahrheitszeugnis, das noch größer ist. Mit diesem müs­sen wir gegen die bösen Geister fechten, und es erhebt sich nicht wegen zeitlicher Dinge, sondern um des Evange­liums und der Wahrheit des Glaubens willen, die der böse Geist noch nie hat ertragen können. Und er richtet es immer so ein, dass die Größten im Volk, denen nur schwer widerstanden werden kann, dagegen sind und es verfolgen müssen. Davon steht in Psalm 82, 4: »Erlöst den Armen von der Gewalt des Ungerechten, und dem Ver­lassenen helft seine rechte Sache behalten!«

Diese Verfolgung ist nun wohl selten geworden. Das ist die Schuld der geistlichen Prälaten, die das Evangelium nicht zum Leben erwecken, sondern untergehen lassen. Sie haben damit die Sache hinfällig gemacht, deretwegen sich solches Zeugnis und seine Verfolgung erheben sollte. Dafür lehren sie uns ihre eigenen Gesetze und was ihnen wohlgefällt. Darum bleibt auch der Teufel still sitzen, weil er mit dem Verstummen des Evangeliums auch den Glauben an Christus zum Verstummen gebracht hat und dann alles so geht, wie er will. Sollte aber das Evangelium zum Leben auferweckt werden und sich wieder hören lassen, dann würde sich ohne Zweifel die ganze Welt wieder erregen und bewegen, die Mehrzahl der Könige, Fürsten, Bischöfe, Doktoren, Geistlichen und alles dessen, was groß ist, sich ihm entgegenstellen und wütend wer­den, wie dies immer geschehen ist, wenn das Wort Gottes an den Tag gekommen ist. Denn die Welt kann nicht ertragen, was von Gott kommt. Das ist durch Christus bewiesen, der das Allergrößte, Liebste, Beste war und ist, was Gott hat. Dennoch hat ihn die Welt nicht bloß nicht aufgenommen, sondern greulicher verfolgt als alles, was je von Gott gekommen ist. Darum sind es so wie zu seiner Zeit immer nur wenige, die der göttlichen Wahrheit beistehen und Leib und Leben, Gut und Ehre und alles, was sie haben, aufs Spiel setzen und wagen; wie Christus vorausgesagt hat: »Ihr werdet um meines Namens wil­len von allen Menschen gehasst werden.« Ebenso: »Gar viele von ihnen werden Anstoß nehmen an mir.« (Matthäus 24, 9f.) Ja, wenn diese Wahrheit von den Bauern, Hirten, Stallknechten und dem geringen Volk angefoch­ten würde, wer wollte und möchte sie dann nicht beken­nen und bezeugen? Aber wenn sie der Papst, die Bischöfe samt den Fürsten und Königen anfechten, da drückt sich, da schweigt, da heuchelt jeder17, damit sie nicht ihre Güter, ihre Ehre, ihre Gunst und ihr Leben verlieren.

 

Zum dritten: Warum tun sie das? Darum, weil sie keinen Glauben an Gott haben, sich nichts Gutes erhoffen von ihm. Denn wo diese Glaubenszuversicht ist, da ist auch ein mutiges, unerschrockenes Herz, das sich dran wagt und der Wahrheit beisteht, es koste Hals oder Man­tel, gehe gegen Papst oder Könige, wie wir sehen, dass die lieben Märtyrer getan haben. Denn ein solches Herz lässt sich damit begnügen und besänftigen, dass es einen gnä­digen, ihm zugeneigten Gott hat. Darum verachtet es Gunst, Gnade, Gut, Ehre aller Menschen, lässt kommen und gehen, was nicht dableiben will. Wie in Psalm 15, 4 geschrieben steht: »Er verachtet die Gottesverächter und ehrt die Gottesfürchtigen«; das meint: Die Tyrannen, die Gewaltigen, welche die Wahrheit verfolgen und Gott verach­ten, furchtet er nicht, er sieht sie nicht an, er verachtet sie. Umgekehrt: Die verfolgt werden um der Wahrheit wil­len und Gott mehr fürchten als Menschen, für die nimmt er Partei, steht ihnen bei, wacht über ihnen, ehrt sie, es verdrieße, wen es wolle. Wie von Mose im Hebräerbrief steht, dass er seinen Brüdern beistand, ungeachtet des mächtigen Königs von Ägypten (Hebräer 11, 24f.).

Sieh da, an diesem Gebot siehst du wieder in Kürze, dass der Glaube der Werkmeister dieses Werkes sein muss, weil sich ohne ihn niemand erkühnt, solches Werk zu tun.

So völlig sind alle Werke vom Glauben getragen, wie denn nun oft gesagt worden ist. Darum sind ohne den Glauben alle Werke tot, sie glänzen und heißen so gut wie sie mögen. Denn wie das Werk dieses Gebotes niemand tut, er sei denn fest und unerschrocken in der Zuversicht zur göttlichen Huld, so tut er auch kein Werk aller ande­ren Gebote ohne diesen Glauben. Darum kann aus diesem Gebot leicht jeder das Gewicht hernehmen und die Probe darauf machen, ob er ein Christ sei und an Christus recht glaube, und also auch, ob er gute Werke tue oder nicht.

Nun sehen wir, wie der allmächtige Gott uns unsern Herrn Jesus Christus nicht bloß dazu eingesetzt hat, dass wir an ihn mit solcher Zuversicht glauben sollen. Sondern er hält uns in ihm auch ein Exempel dieser Zuversicht und solcher guten Werke vor, damit wir an ihn glauben, ihm folgen und auf ewig in ihm bleiben, wie er sagt Johannes 14, 6: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.« Der Weg, auf dem wir ihm folgen; die Wahrheit, damit wir an ihn glauben; das Leben, damit wir in ihm ewig leben.

Aus dem allem ist es nun klar und leicht zu erkennen, dass alle anderen Werke, die nicht geboten sind, gefähr­lich sind, wie Kirchen bauen und ausschmücken, Wall­fahrten machen und alles, was in den geistlichen Rechten vielfältig geschrieben steht. Damit hat man die Welt nur verfuhrt und beschwert, sie verdorben, ihr ein unruhiges Gewissen gemacht, den Glauben verschwiegen und ge­schwächt. Und wir erkennen auch, dass der Mensch an den Geboten Gottes, selbst wenn er alles andere unterlässt, mit all seinen Kräften genug zu tun findet und nie all die guten Werke tun kann, die ihm geboten sind. Warum sucht er dann andere, die ihm weder notwendig noch geboten sind, und die nötigen und gebotenen lässt er liegen?

 

 

 

Zum neunten und zehnten Gebot

 

Die letzten zwei Gebote, welche die bösen Begierden nach leiblicher Lust und nach zeitlichen Gütern verbieten, sind in sich selbst klar, und dem Nächsten droht hier kein Schaden. So währen sie auch bis zum Grab, und es bleibt beim Streit in uns gegen diese Begierden bis in den Tod. Darum sind diese zwei Gebote von Paulus Römer 7, 7 in eines zusammengezogen und auf ein Ziel angesetzt, das wir nie erreichen. Wir müssen nur immer hinzudenken: bis in den Tod. Denn niemand ist je so heilig gewesen, dass er keine böse Neigung in sich gefühlt hätte, besonders wenn der Anlass und Anreiz dazu gegenwärtig gewesen ist. Denn die Erbsünde ist uns von Natur angeboren. Sie lässt sich dämpfen, aber ganz ausrotten lässt sie sich nicht, außer durch den leiblichen Tod, der ihretwegen auch nützlich und zu wünschen ist. Das helfe uns Gott. Amen.

 

 

 

 

 

 

Anhang

 

1  Luther: mit etwas geistlicher Ware.

2  Die Trostschrift Tessaradecas consolatoria pro laborantibus et oneraris. 1520. WA 6; 104-134.

3  Der Sermon wuchs Luther unter den Händen. Erst wurden ein­fach alle Abschnitte durchnumeriert. Das zweite Gebot be­kam dann den Untertitel »Von dem andern guten Werk« -unser Untertitel fürs erste Gebot folgt diesem Beispiel. Im weiteren Fortgang gliedert Luther nach den zehn Geboten durch.

4  Luther: vergütet.

5  Durch Gnade gewirkte innere Disposition.

6  Santiago de Compostela, im Mittelalter einer der größten Wallfahrtsorte des Abendlandes.

7  Im Mittelalter verbreitete, der schwedischen Heiligen Birgit (gest. 1373) zugeschriebene Bittgebete.

8  Das stille Lesen oder laute Rezitieren vorgeschriebener Ge­bete,  Bußformeln, Bibelabschnitte,  sonstiger erbaulicher Texte.

9 Luther: verbosset = verböset, vgl. Anmerkung 4.

10  Gemeint ist die Zuweisung einzelner persönlicher Fürbitten an einzelne stille Gebetsteile der Messe.

11  Ein allgemeines Sündenbekenntnis in Kurzform auf der Kan­zel (»offene Schuld«).

12  Luther hat diesen Abschnitt versehentlich ein zweites Mal als 17. beziffert; die vorhergehenden Seiten waren wohl schon im Druck.

13  Spöttisch für Abgesandte der römischen Kurie und Über­bringer päpstlicher Schreiben.

14  Luther: geistlicher Schmuck. Später versteht er darunter das schlichte Christenleben, wenn es im Schmuck der Gebote Gottes verbracht wird, im Gegensatz zu den kostbaren Aus­stattungsstücken für die Kirchen.

15  Luther: zerknirscht, wie anschließend: zerrieben; allegorische An­spielung auf die kirchliche Bußlehre.

16  Bettler, die angeblich nach Santiago pilgern wollen.

17  Bei Luther Reimanklang: fleucht - schweigt - heuchelt.