REINHARD JUNKER LEBEN DURCH STERBEN? Schöpfung, Heilsgeschichte und Evolution INTEGRALE Reinhard Junker Leben durch Sterben? C /iu^Sc’u./ L STUDIUM INTEGRALE INTERDISZIPLINÄRE THEOLOGIE Studiengemeinschaft Wort und Wissen Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einbeitsaufhahme Junker, Reinhard: Leben durch Sterben? Schöpfung, Heilsgeschichte und Evolution. / Reinhard Junker - Berlin: Pascal-Verl., 1993 (Studium Integrale) ISBN 3-927390-06-2 ISBN 3-927390-06-2 Bestell-Nr. 899.806 Studium Integrale «PascaU-Verlag Berlin © Copyright 1993 by Evangelical Theological Faculty, Heverlee/Leuven, Belgium Umschlaggestaltung: I. Arfaoui und J. Weiss; Wandgemälde aus der Caballoshöhle / Ostspanien Satzherstellung: Studienkolleg Wort und Wissen, Baiersbronn-Röt Druck und Bindung: Weihen Druck, Darmstadt Vorwort “Leben durch Sterben?” Trotz gleichlautendem “Ja” kann die Antwort auf diese Frage grundverschieden ausgelegt werden. Leben wir durch das Sterben Jesu Christi am Kreuz? Leben wir, weil Christus für uns starb und auferweckt wurde (2 Kor 5,15)? Die Auferstehung Jesu ist das Angeld für die Auferstehung der Gläubigen (1 Kor 15). Durch Jesu Sterben ist der Tod besiegt, und dieser Sieg ist durch seine Auferstehung bestätigt. So hat Jesus durch sein Sterben Leben ermöglicht (2 Tim 1,10). “Leben durch Sterben” kann jedoch auch ganz anders verstanden werden - in der Sprache der Evolutionslehre. Im Denkrahmen einer universalen Evolution ist das Sterben eine unabdingbare Voraussetzung für das Hervorbringen neuer und höherentwickelter Lebensformen. Unsere eigene Existenz, unser eigenes Leben verdanken wir danach dem Sterben zahlloser Generationen, die vor uns in der Abstammungskette des Lebens standen. Das Leben ist geradezu auf den Tod gebaut, der Tod gilt als “kreativer Faktor” in der Evolution des Lebens. Auch hier gilt: “Leben durch Sterben.” Können beide Auslegungen zur Deckung gebracht werden? “Leben durch Sterben” steht pars pro toto für die Auseinandersetzung um die theologische Relevanz der Evolutionslehre. In der zeitgenössischen Theologie gilt es als unzweifelhaft, daß die Evolutionsanschauung (Abstammungslehre) und die biblische Heilslehre miteinander vereinbar sind. In dieser Arbeit werden die unterschiedlichen Versuche, Evolutionsvorstellungen und die biblische Heilsgeschichte zur Deckung zu bringen, dargestellt und kritisiert. Es zeigt sich, daß eine konsequent durchdachte Evolutionslehre zu einer fundamentalen Neuinterpretation traditioneller christlicher Vorstellungen von Sünde, Inkarnation, Erlösung und Vollendung führt. Demgegenüber wird hier am Primat der biblischen Glaubensinhalte festgehalten und von dort aus die evolu-tionistische Weltanschauung hinterfragt. Die vorliegende Arbeit wurde 1992 als Dissertation von der Evangelischen Theologischen Fakultät Leuven-Heverlee (Belgien) unter dem Titel “Konsequenzen der Evolutionslehre für das biblische Heilsverständnis — Dokumentation und Kritik theistisch-evolutionistischer Konzepte und Darstellung von Grundlinien einer biblisch-heilsgeschichtlichen Alternative” angenommen. Für den Druck wurde sie geringfügig überarbeitet. Außerdem konnten noch einige neuere Publikationen berücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Horst W. Beck. Ohne seine Ermutigung und sein in mich gesetztes Vertrauen wäre diese Arbeit nicht entstanden. Er hat mich angeregt, ein inter-disziplinär-theologisches Thema zu bearbeiten. Herrn Professor Siegfried Scherer danke ich für die kritische Begleitung in den naturwissenschaftlichen Aspekten. Ein treuer Helfer beim Korrekturlesen war mir Norbert van Cleve. Für ihre finanzielle Unterstützung danke ich schließlich der Studiengemeinschaft Wort und Wissen e.V. und der Haug-Taxis-Stiftung, Stuttgart. Baiersbronn-Röt, Ostern 1993 Reinhard Junker Inhalt 1. Problemstellung...............................11 1.1 Biblisch-heilsgeschichtlichc und evolutionäre Gcschichtsschau ............................ 11 Die evolutionäre Geschichtsschau ......... 11 Die biblisch-heilsgeschichtliche Geschichtsschau 11 1.2 Kurzgefaßter geschichtlicher Rückblick.... 12 13 Der Einfluß der Evolutionslehre auf hermeneutisch-dogmatische Grundlagen______ 15 Evolution als Tatsache ..................... 15 1.4 Das Theorienpluralismus-Modell______________ 17 Grenzen des Pluralismus-Modells............. 19 13 Grundweisen der Verhältnisbestimmung der biblisch-heilsgeschichtlichen und evolutionären Geschichtsschau _____________20 1.5.1 Die Priorität der biblischen Ur-, Heils- und Endgeschichte................... 21 1.5.2 Die Priorität der evolutionären Geschichtsschau..................... 21 1.5.2.1 Konsequente Evolutionsanschauung.. 21 Die Entflechtungslösung............... 22 Konsequente Einbindung der Evolutionsanschauung................ 23 1.5.2.2 Gottes Eingreifen in der Evolution . 23 1.6 Zielsetzung der Arbeit.......................24 Auswahl der Autoren......................... 25 Abgrenzung der Fragestellung................ 25 2. Strukturen evolutionärer Konzepte..........27 2.1 Zunehmende Komplexität ______________________27 2.2 Die Methodik der Evolutionsforschung______29 Zur Herkunft des Neuen...................... 31 2.3 Vom Gen zum Phän_____________________________32 Formbildung, Hierarchieebenen der Organismen und das Leib-Seele-Problem... 32 2.4 Evolutionsmechanismen _______________________35 2.4.1 Mutationen und die Rolle des Zufalls .... 36 2.4.2 Die Wirkungsweise der Selektion..... 37 Auch Selektion bewirkt keine Zielgerichtetheit................... 37 Trotzdem Zielgerichtetheit?........... 38 2.4.3 Die Rolle des Leides und des Todes.. 39 Evolutionsmechanismen vom Tier zum Menschen - einige Szenarien ........ 40 2.5 Ablehnung des Esscntialismus_________________42 Das Tier-Mensch-Übergangsfeld............... 43 2.6 Umfang des Erklärungsanspruchs ..............43 2.7 Evolution und Zukunft _______________________45 2.8 Der “kleinste Nenner” von Evolutionstheorien___________________________46 3. Theistisch interpretierte................... Evolutionsauffassungen......................... 47 3.1 Hauptmerkmale thcistischcr Evolutionskonzepte _________________________47 Gott schuf durch Evolution..................47 Ohne Schöpfung keine Evolution..............47 Schöpfung als immerwährendes (Evolutions-) Geschehen................................48 Schöpferische Erstursache und geschöpfliche Zweitursachen............................48 Die Erhellung der Schöpfungsvorgänge bleibt den Naturwissenschaften (weitgehend) überlassen ..............................48 Schöpfung und Evolution: zwei Aspekte der Welt und ihrer Geschichte................48 3.2 Gemäßigte thcistisch-evolutionistische Sichtweisen_________________________________49 3.2.1 Kennzeichen der gemäßigten theistisch- evolutionistischen Position .......50 Eingriffe Gottes im Evolutionsgeschehen 50 Grenzen der naturwissenschaftlichen Erklärungsmöglichkeiten............50 Der Mensch als besonderes Schöpfungswerk.....................52 Evolutionstheorie und Evolutionismus .. 54 Beibehaltung der Geschichtlichkeit Adams und des Urstands ............54 3.2.2 Bewertung und Kritik ..............55 a. Durchbrechung des Evolutionsprinzips56 b. Leib, Seele und Geist können nicht getrennt werden....................57 Lösungsversuche ...................57 c. Eingriffe in die Evolution sind ein Nachbessern........................58 d. Unklarer Bezug zu den Daten der Paläanthropologie..................59 e. Zusammenfassung..................59 33 Konsequent cvolutionistischc Sichtweisen ..59 3.3.1 Zuordnung von Evolutionslehre und Glaubensaussagen in verschiedene Ebenen.............................61 Bibel, Naturgeschichte und Weltbild .63 3.3.2 “Grenzüberschreitungen”.............63 3.3.3 Bewertung und Kritik ...............64 a. Gott handelt in der Geschichte...64 b. Die Rolle des Schöpfers im Evolutionsgeschehen................64 c. Der Zusammenhang zwischen dem göttlichen Wirken und dem Evolutionsverlauf..................66 d. Existentialisierung des Schöpfungsglaubens als Folge der Trennung..... 66 e. Falsche Vergleiche................... 66 f. Die Unmöglichkeit einer Entflechtung 67 3.3.4 Ergebnis und Schlußfolgerungen ......... 68 3.4 Argumente für eine theistischc Evolution? 69 3.4.1 Die Tatsache der Evolution.............. 69 3.4.2 Hermeneutische Gesichtspunkte und Folgerungen aus Quellenscheidungshypothesen............................ 70 3.4.3 Überlegungen zum Gottesbild ............ 72 3.4.3.1 Der überlegene Gott der Erstursachen .. 72 3.4.3.2 Gottes beständiges Wirken ............. 72 3.4.4 Vergleich zwischen Stammesgeschichte und Individualentwicklung............. 74 3.4.5 Verschiedene Argumente ................. 77 Geworden, geschaffen und erwählt.... 77 “Die Erde lasse sprossen”................ 78 “Es werde”............................... 79 Die “Toledot” ........................... 79 Der göttliche Segen...................... 80 Psalm 104 ............................... 80 Röm 8,19-22.............................. 81 Gleiche Bezeichnung für tierisches und menschliches Leben.................... 81 Läßt die Bibel die Entstehungsweise ausdrücklich offen? .................. 81 3.4.6 Schlußfolgerung ........................ 82 3.5 Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener thcistisch-evolutionistischer Entwürfe ............................. 82 3.6 Theistisch-evolutionäre Entwürfe und die Daten der Wissenschaft........................83 3.6.1 Daten, Theorien, historische Rekonstruktionen...................... 83 3.6.2 Gleichsetzung von “Naturwissenschaft” und “Evolution”....................... 86 Methodischer Atheismus................... 87 3.6.3 Fehleinschätzung der Erklärungskraft der Evolutionslehre................... 88 4. Biblische Heilstatsachen in evolutionärer Perspektive.......................89 Die Notwendigkeit der Rückfrage nach dogmatischen Konsequenzen der Evolutionslehre .. 89 Der Bezugsrahmen............................... 89 Die Vorgehensweise ............................ 90 Mangelndes Rückfragen nach dogmatischen Konsequenzen............................... 90 4.1 Der Mensch als Geschöpf: Evolutionäre Anthropologie......................92 4.1.1 Konsequent evolutionstheoretische Lösungen...........................92 Auflösung des Begriffs vom Menschen .... 92 Bewertung.............................93 Gottesebenbildlichkeit und Evolution .... 94 4.1.2 Ein Eingriff Gottes in der Evolution des Menschen?......................95 Bewertung.............................96 4.1.3 Sind biologische Ursprungstheorien für die Wesensbestimmung des Menschen irrelevant?...............98 4.1.4 Zusammenfassung.....................100 42 Der Mensch als Sünder: Hamartiologic........101 4.2.1 Sünde gegen die Evolution...........101 Bewertung............................103 Evolution und Verhalten .............105 4.2.2 “Gemäßigte" Vorstellungen...........106 4.2.3 Zusammenfassung.....................106 43 Der Einbruch der Sünde in die Welt .......107 4.3.1 Problemstellung.....................107 4.3.2 Historizität des Sündenfalls? ......108 4.3.2.1 Der Einbruch von Sünde und Tod nach Römer 5,12-21 und Genesis 2-3 .... 109 Genesis 2-3 .........................113 Schlußfolgerungen....................114 Der Tod ist sekundär.................115 Urständ, Sündenfall, Erbsünde .......116 4.3.2.2 Die Unterwerfung unter die Knecht- schaft der Vergänglichkeit nach Römer 8,19-23.....................116 4.3.2.3 Der Einbruch von Sünde und Tod nach dem gesamtbiblischen Zeugnis .....118 4.3.2.4 Gründe für die Ablehnung eines historischen Urstands und Sündenfalls.......................119 a. Evolutionslehre..................120 b. Vorstellbarkeit..................121 c. Exegetische und religionsgeschichtliche Erwägungen....................122 d. Theologische Gründe..............123 4.3.3 Herkunft der Sünde im evolutionstheoretischen Kontext ..124 4.3.3.1 Konsequent evolutionstheoretische Neuformulierungen....................125 Urständ und Ursünde am Ende.........126 4.3.3.2 Bewertung der konsequent evolutionstheoretischen Positionen .. 129 a. Der Sündenfall: ein Umbruch oder ein Nebenprodukt der Evolution?......129 b. Wer verantwortet die Sünde? .....130 Leiblichkeit, Endlichkeit und Sünde 130 c. Sünde wird verharmlost ..........131 d. Sünde ist ein personales Geschehen.. 131 e. Die Bedeutung der Heilszeiten...132 f. Gott ist in seinem Handeln frei.132 g. Der Bezug zu den paläanthropolo- gischen Daten fehlt............... 132 4.3.3.3 Beibehaltung traditioneller dogmatischer Positionen im evolutionstheoretischen Rahmen........................... 133 a. “Virtueller” Urständ ........... 133 b. Ein anderer Umgang mit dem Übel vor dem Söndenfall................ 134 c. Der Urständ als Ausdruck von Gottes Willen .................... 135 d. Realer Urständ und Sündenfall während der Evolution ............ 135 e. Die Möglichkeit zur Sünde als Evolutionsfolge................... 136 f. Auswahl aus der vorhandenen “Menschheit” ..................... 137 g. Der Mensch des Paradieses war nicht auf der Erde................ 138 4.33.4 Zusammenfassende Bewertung........ 138 4.3.4 Fehlendes Rückfragen nach der Evolutionslehre................... 139 4.3.5 Monogenismus...................... 144 4.3.5.1 Schicksalsverbundenheit durch soziale Verbundenheit............. 145 4.2.5.2 Ein erstes Menschenpaar im Evolutionsprozeß?................. 146 4.3.6 Zusammenfassung................... 147 4.4 Die Bewertung von Krankheit, Leid und Tod .................................. 149 Bewertung von Krankheit ............ 149 4.4.1 Konsequent evolutionstheoretische Konzepte ......................... 151 a. Der Tod als etwas Positives..... 151 b. Der Tod als Notwendigkeit....... 151 c. Das Leid als notwendiger Bestandteil der Schöpfung ........ 152 4.4.2 Andere Konzepte ................... 153 a. Unterschiedliche Qualität des Todes vor und nach dem Fall ...... 154 b. Die Möglichkeit des frühen Todes als Sündenfolge................... 155 c. Der Tod ist nur geistlich zu verstehen 156 Nur das moralische Übel als Sündenfolge....................... 156 d. Der Tod als Folge des Satansfalls vor der Evolution..................... 157 Lückentheorie (Restitutionstheorie) 157 e. Positive Aspekte des Todes und des Leides?........................... 158 4.4.3 Zusammenfassung.................... 159 4.5 Christologie............................. 160 4.5.1 Die Person Jesu Christi ........... 160 Die Göttlichkeit Jesu und seine Menschwerdung .................... 160 Kritik.............................. 162 a. Die Göttlichkeit Jesu nach den Zeugen des NT............................162 b. Die Menschwerdung Jesu..........163 c. Die Einzigartigkeit Jesu........163 d. Jesus - ein Kind seiner Zeit?...164 4.5.2 Das Werk Jesu Christi...............164 a. Christus evolutor...............164 b. Erlösung: Die Weiterführung und das Ende der Evolution und die Befreiung von ihr...........................165 c. Die Bedeutung des Kreuzes.......166 d. Erlösung als ein Aspekt der Schöpfung.........................167 Kritik .............................168 a. Jesus: Evolutor oder Redemptor? .... 168 b. Verlust der Kreuzestheologie bzw. evolutionär angepaßte Interpretation des Kreuzestodes Jesu.............168 c. Die Opfer der Evolution.........169 d. Gottes Handeln aus Liebe oder Automatismus der Evolution?......169 e. Kontinuität oder Umbruch? ......170 f. Was gehört zur Kirche? .........170 g. Christusähnlich werden durch Evolution? .......................170 4.5.3 Auferstehung.........................170 4.5.4 Evolution und die Mächte der unsichtbaren Welt.................173 4.5.5 Zusammenfassung......................174 4.6 Eschatologie______________________________175 4.6.1 Evolutionäre Eschatologie............175 Die Wiederkunft Jesu ...............177 Kritik .............................177 4.6.2 Die Beauftragung und Verantwortung des Menschen......................179 4.6.3 Eine evolutionäre Heilsgeschichte ...180 Die Heilsgeschichte ist nicht an den Menschen gebunden.................181 4.6.4 Zusammenfassung......................183 4.7 Das Gottesbild der Evolutionsichre________184 4.7.1 Konsequent evolutionstheoretische Konzepte..........................184 4.7.1.1 Was wirkt Gott in der Evolution?...184 Kritik .............................186 a. Was folgt aus der Eigengesetzlichkeit der Welt?.........................186 Gottes Wirken ist nicht denknotwendig.....................186 Gottes Beziehung zur Welt ........187 Einschränkung der Souveränität Gottes? ..........................187 b. Der Zusammenhang zwischen Erstursache und Zweitursachen ....189 c. Karl Heims voluntaristisches Weltbild..........................191 4.7.1.2 Wie wirkt Gott in der Evolution?. 191 Fragwürdige Schöpfungsmethoden .... 191 Zielgerichtetheit.................. 192 Kritik............................. 192 a. Selektion als Schöpfungsprinzip? .... 192 b. Das Schöpfungshandeln des irdischen Jesus........................... 193 c. Theologische Bewertung des Daseinskampfes ................. 193 4.7.2 Gemäßigte Vorstellungen ......... 194 a. Teleologie .................... 194 b. Besondere Eingriffe Gottes ins Evolutionsgeschehen............. 195 4.7.3 Die Theodizee-Frage im evolutionären Kontext.......................... 1% Theodizee nach Genesis 1-11 und dem Buch Hiob.......................... 198 4.7.4 Zusammenfassung.................. 199 5. Geschichtsrekonstruktion auf biblischheilsgeschichtlichem Fundament..........201 5.1 Die biblische Urgeschichte als Rahmen für die Rekonstruktion der Naturgeschichte .. 201 5.2 Glaube und Geschichte________________________ 203 53 Weltbild und Weltanschauung___________204 Problemstellung...................... 204 Exkurs: Zum Verhältnis von Genesis 1 und 2 .. 206 Weltbild und Aussageinhalt biblischer Texte -eine Verhältnisbestimmung.......... 208 5.4 Inwiefern betreffen Aussagen der Bibel die Wissenschaft?_____________________214 5.5 Grundriß biblisch fundierter Geschichtsrekonstruktion______________217 5.5.1 Grundtypenbiologie.................... 218 5.5.2 Folgen des Sündenfalls................ 220 Entwicklung zur fallsgestaltigen Lebensweise?......................... 223 Sprunghafte Veränderungen?............. 224 Fremdbestimmung der Lebewesen..... 224 Die Theodizee-Frage im Rahmen dieses Erklärungsversuchs ................ 225 5.5.3 Folgen der Sintflut .................. 227 5.5.4 Ausbreitung der nachsintflutlichen Menschheit ...........................229 5.5.5 Die Zerteilung der “Erde”.............231 5.5.6 Deutung von Ähnlichkeit...............232 5.5.7 Deutung von rudimentären Organen .... 234 Die Abdominalknochen der Walartigen 237 5.5.8 Schlußfolgerungen.....................239 5.6 Einwände .................................240 5.6.1 Einwand: Das Wort Gottes wird zur wissenschaftlichen Theorie ausgebaut .. 240 5.6.2 Einwand: Der Glaube soll intellektuell gestützt oder bewiesen werden.........240 5.6.3 Einwand:Die Schöpfungsforschung ent- zieht naturkundlich verstandene Aussagen der Bibel der Erfahrungskritik..242 5.6.4 Einwand: In der Schöpfungsforschung stehen die Ergebnisse von vornherein fest..................................244 5.6.5 Einwand: Ein diesen Äon und seine Frühgeschichte charakterisierendes Verständnis der biblischen Urgeschichte ist aufgrund der wissenschaftlichen Daten nicht haltbar ...............244 5.6.6 Einwand: Die schöpfungstheoretischen Forschungsansätze sind wissenschaftlich nicht fruchtbar ...................245 5.6.7 Einwand: Die biblisch begründete Schöpfungslehre ist eine “andere Naturwissenschaft”.................245 5.6.8 Gottesbild und Gottes Handeln......247 Gottes Beziehung zur Schöpfung nach dem Anfang.......................248 5.6.9 Zusammenfassung....................248 5.7 Eine konsistente schöpfungswisscnschaft- lichc historische Rekonstruktion der Erd- und Menschheitsgeschichte?...............249 6. Ergebnis ................................ 252 Literatur ................................... 261 Autorenregister ............................. 279 Bibelstellenregister ........................ 282 1. Problemstellung 1.1 Biblisch-heilsgeschichtliche und evolutionäre Geschichtsschau Die Diskussion um die Evolutionslehre seit der raschen Durchsetzung der Evolutionsanschauung nach der Veröffentlichung von Charles Darwins “Entstehung der Arten” im Jahre 1859 dauert in der Theologie wie auch in den Naturwissenschaften bis heute an. Auch wenn sehr bald nach 1859 die Mehrheit nicht nur der Naturwissenschaftler, sondern auch der Theologen, sich mit dem Evolutionsgedanken - von Mechanismenfragen einmal abgesehen - grundsätzlich anfreundete, gab es doch immer Kritiker, die das evolutionäre Paradigma prinzipiell in Frage stellten — aus naturwissenschaftlichen und theologischen Gründen.1 Die evolutionäre Geschichtsschau Das Grundprinzip der Evolutionslehre besteht in der Umwandlung des Vorhandenen in neue Formen und Zustände auf der Basis des zuvor schon Vorhandenen. Mit diesem allgemeinen Kennzeichen kann man gleichermaßen zahlreiche Kosmogonien der Menschheitsvölker2 wie moderne Evolutionstheorien beschreiben. Nach den heutigen, mit wissenschaftlichem Anspruch auftretenden Evolutionstheorien wird der Beginn dieser Entwicklung gewöhnlich in einen sogenannten “Urknall” (“big bang”) gelegt, dem eine physikalische Evolution der Elementarteilchen und Atome sowie eine astrophy-sikalische Konstituierung des Weltalls folgte. Im Zuge der Zusammenballungen der Materie entstanden unzählige Galaxien aus Milliarden von Sonnen, in deren Begleitung Planeten aufgetreten sind. Auf geeigneten Planeten wie unserer Erde sollen in Urozeanen in einer chemischen Evolution organische Moleküle entstanden sein, die schließlich zum Inventar erster lebender Zellen wurden, womit die biologische Phase der Evolution erreicht war.3 Mit Evolution im biologischen Sinne ist die gemeinsame Abstammung aller Lebewesen von einem Urorganismus gemeint. Der Mensch entstand demnach durch allmähliche Umbildung über einen Zeitraum von einigen Millionen Jahren aus tierischen Vorfahren. Der gesamte Evolutionsprozeß soll sich nach gegenwärtigen Vorstellungen über ca. 15—20 Milliarden Jahre erstrecken. Kennzeichnend für alle Evolutionsvorstellungen ist das Postulat einer allmählichen Komplexitätszunahme (“Höherentwicklung”) über unermeßliche Zeiträume hinweg. (Eine ausführliche Beschreibung erfolgt in Abschnitt 2.1.) In diesem Sinne werden in dieser Arbeit die Begriffe Evolution und Evolutionslehre (oder Evolutionsanschauung) gebraucht. Es wird bewußt von “Evolutions/e/ire” gesprochen, da das Gesamtkonzept einer umfassenden Evolution über naturwissenschaftliche Aspekte4 hinausgeht und weltanschaulich fundiert ist (vgl. Abschnitt 3.6). Bestimmte Teilhypothesen der Evolutionslehre sind jedoch der Empirie zugänglich und damit wissenschaftlich testbar; für solche speziellen evolutionären Teilhypothesen wird der Begriff Evolutionstheorie gebraucht. Die biblisch-heilsgeschichtliche Geschichtsschau Der “Evolutionsgeschichte” steht die biblische Ur- und Heilsgeschichte gegenüber.5 Nach der in dieser Untersuchung vertretenen Sichtweise wird die biblische Urgeschichte historisch verstanden. D. h. Genesis 1 — 11 wird als Dokument 1 Für den deutschsprachigen protestantischen Raum in der Zeit von 1859-1966 s. Holthaus, Fundamentalismus; für den deutschsprachigen katholischen Bereich im Zeitraum von 1854—1914 s. Dorpinohaus, Darwins Theorie', für den angelsächsischen Bereich von 1870—1900 s. Moore, Controversies. 2 Dieses Prinzip findet sich bereits in den mythischen Kosmogonien der Völker der Antike; vgl. von Stockhausen, Mythos. 3 Gelegentlich wurde auch spekuliert, daß das Leben durch eine “Infektion” aus dem Weltall auf die Erde kam: Hoyle & WicKRAMAstNGHE, Evolution from Space. 4 Zum Begriff “Naturwissenschaft” vgl. Abschnitt 2.2. 5 Zum Begriff “Heilsgeschichte” s. Abschnitt 5.2. realer Geschehnisse in der Geschichte der Menschheit gewertet (vgl. dazu Abschnitt 4.3.2). Danach ist die Welt auf das freie Schöpfungshandeln Gottes zurückzuführen, und zwar nicht nur in ihrem Anfang, sondern im gesamten geschichtlichen Verlauf. Daß die Welt Schöpfung ist, besagt, daß sie durch den Willen Gottes ins Dasein gesetzt worden und in ihrer Ganzheit nicht allein durch innerweltliche Prozesse aus jeweiligen Vorstufen ableitbar ist. Diese durch das biblische Wort bezeugte Geschichte wird nicht nur durch das Schöpfungs- und Erhaltungshandeln Gottes gestaltet, sondern sie muß auch unter dem Aspekt des Gerichtshandelns Gottes infolge des Einbruchs der Sünde in die Welt, sowie des Erlösungshandelns durch das Kommen des Erlösers und des eschatologischen Handelns Gottes verstanden werden. In diesem konkret historischen und umfassenden Sinne wird in dieser Arbeit von biblisch-heilsgeschichtlicher Geschichtsschau (oder kurz: biblischer Geschichtsschau) gesprochen. Das Charakteristikum der biblischen Geschichtsschau ist einerseits eine “Abwärtsbewegung” der Menschheit (eine Tendenz der Loslösung von Gott) und des gesamten Kosmos; andererseits wird dieser Bewegung durch Gottes analogielo- ses Handeln (und nur durch dieses) Einhalt geboten und dem Menschen Umkehr ermöglicht. Gott ist der souveräne Herr der Geschichte. Dadurch ist die Weltgeschichte zwar zielorientiert; das Ziel der eschatologischen Herrschaft Gottes kann aber nicht aufgrund immanenter Möglichkeiten erreicht werden.6 Unter Schöpfung im biblisch-heilsgeschichtlichen Sinne wird somit die sichtbare und unsichtbare Gesamtwirklichkeit begriffen, die das in der Bibel bezeugte Handeln Gottes — Erschaffens-, Gerichts-, Erhaltungs-, Erlösungs- und Vollendungshandeln — schafft. “Schöpfung” umfaßt so alle Wirklichkeitsbereiche, also auch diejenigen Ausschnitte der Wirklichkeit, die von den Natur-und Geschichtswissenschaften untersucht werden können, und betrifft nicht nur ein persönliches Existenzverständnis. Die Schöpfungslehre orientiert sich am biblischen Offenbarungswort, um Grundfragen der Kosmosgeschichte zu beantworten. Sie befaßt sich nicht nur mit Ursprungsfragen, sondern auch mit dem weiteren Handeln Gottes mit seiner Schöpfung, dem Gerichtshandeln und dem Erhaltungshandeln, das die Gegenwart garantiert und bis in die Zukunftsvollendung im Zeichen der Wiederkunft Jesu Christi hineinreicht.7 1.2 Kurzgefaßter geschichtlicher Rückblick Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde die biblische Urgeschichte im christlichen Raum weithin als realhistorisches Zeugnis von der Menschheitsgeschichte verstanden. Im Zuge der Aufklärung gewannen dagegen evolutionäre Vorstellungen an Boden. Solange sie jedoch spekulativ blieben, konnten sie sich nicht durchsetzen. Erst dem britischen Theologen und Naturforscher Charles Darwin gelang es, die Evolutionsanschauung mit naturkundlichen Daten zu stützen. Er stellte ein umfassendes Tatsachenmaterial zusammen, das er im Rahmen seiner Evolutionsund Selektionstheorie deuten konnte bzw. zu deuten versuchte. Van Melsen stellt dazu fest: “Die spezifische Bedeutung Darwins liegt darin, daß seine Evolutionslehre den Versuch enthält, einen naturwissenschaftlichen Mechanismus zu entwerfen, nach dem die Evolution sich hätte vollziehen können. F.r verband das historische Element der Entwicklung mit dem naturwissenschaftlichen Element, indem er sich ausschließlich auf allgemeine, naturwissenschaftlich kontrollierbare Phänomene und Theorien stützte.”8 Weissmahr kommentiert: “Die darwinistische Entwicklungslehre leistete also das, was vorher noch nicht gelungen war; sie trat mit 6 Zur Gegenüberstellung der evolutionären und biblisch-heilsgeschichtlichen Geschichtsschau vgl. Beck, Genesis 20. 7 Vgl. Studiengemeinschaft Wort u. Wissen, Schöpfung Kap. 2. 8 Van Melsen, Evolution 97. einer Theorie auf, die die Vielfalt der Organismen auf rein innerweltliche Wirkursachen zurückführen zu können beanspruchte. Deshalb bedeutete diese Theorie viel mehr als eine mögliche naturwissenschaftliche Deutung gewisser Phänomene. Es ging von Anfang an um die innerweltliche Erklärung nicht nur des Lebens auf der Erde, sondern um die Fragen des Ursprungs überhaupt.”“ Auch Dörpinghaus stellt in seiner Arbeit über die frühe theologische Auseinandersetzung mit der Abstammungslehre diesen Sachverhalt heraus: “Die Theorie von der dem Zufall überlassenen Auslese des Stärkeren im Kampfe ums Dasein, von der stetig wachsenden Zuchtwahl ließ das Zustandekommen sinnvoller Gebilde auf rein mechanischem Wege verständlich werden, ohne daß man eine Intervention Gottes in den Naturprozeß zu Hilfe nehmen mußte. Gerade die Zweckmäßigkeit, die immer den Einsatz eines intelligenten, transzendenten Prinzips zu fordern schien, ließ sich nun auf eine rein mechanische Bedingtheit zurückführen. Der in der Natur herrschende Mechanismus erwies sich als omnipotent, die Behauptung vom Nichtvorhandensein eines weisen und vorsorgenden Gottes erhielt ihre letzte Fundierung. Damit kamen Darwins Gedankengänge dem materialistischen und antichristlichen Weltbild der Zeit in unerhörtem Maße entgegen.”10 Dörpinghaus erwähnt hier einen Zusammenhang, den viele Historiker konstatieren: einen Zusammenhang zwischen der weltanschaulichen Geisteslage der damaligen Zeit und dem rasanten Erfolg von Darwins Abstammungslehre." Die Zeitumstände in Wissenschaft und Gesellschaft trugen wesentlich dazu bei, daß nach der Veröffentlichung der “Entstehung der Arten” von Darwin der Evolutionsgedanke einen schnellen Durchbruch erlebte.12 Dazu kam, daß die traditionellen schöpfungstheoretisch-biologischen Vorstellungen damals recht starr waren. Die angewachsenen Erkenntnisse sprengten die Konzeption eines strengen Arten-Fixismus.13 Die fälschliche Identifikation eines bestimmten, sehr engen Artbegriffs der biologischen Wissenschaft mit den Arten, von denen der biblische Schöpfungsbericht (Genesis 1) spricht, war nicht haltbar. Dies sei nur beispielhaft als einer von vielen Gründen genannt, aufgrund derer durch falsche Identifikation spezieller Schöpfungsvorstellungen mit dem biblischen Zeugnis die naturkundli- che Relevanz des Schöpfungsberichtes bezweifelt wurde. Von diesem Zweifel blieben auch die weiteren Zeugnisse der biblischen Urgeschichte nicht verschont. Durch die aufkommende Bibelkritik fielen diese naturkundlich begründeten Zweifel in der Bibelwissenschaft auf fruchtbaren Boden.14 Damit war eine Auseinandersetzung zwischen der (oben charakterisierten) biblischen und evolutionären Geschichtsschau vorprogrammiert. Dabei wurde eine Gefahr für theologische Aussagen vielfach weniger im Evolutionsgedanken an sich gesehen. Vielmehr provozierte vor allem die Behauptung Widerstand, mit der Evolutionstheorie (insbesondere dem Selektionsprinzip) könnten teleologische Aspekte der Schöpfung ausgeschaltet werden;15 das Dasein der Lebewesen sei letztlich von niemandem beabsichtigt gewesen. “Der Kampf, den viele Theologen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert gegen die Evolutionslehre geführt haben, war darin begründet, daß sie durch die Evolutionstheorie die Unableitbarkeit der einzelnen Schöpfungswerke Gottes aus den jeweils vorangegangenen gefährdet oder bestritten sahen.”16 Diese Gefahr wurde insbesondere im Zusammenhang mit der Entstehung des Menschen gesehen. Man sah dagegen i. a. keine Probleme darin, Evolution als Methode der Schöpfung zu interpretieren, solange die Notwendigkeit der Existenz des Schöpfers und eine Planmäßigkeit (Teleologie) in der Schöpfung nicht bestritten wurden und solange “ Weissmahr, Gottes Wirken 20. 10 Dorpinghaus, Darwins Theorie 5. Vgl. auch Moore, Controver-sies 220; Benz, Evolution 50: “Von vornherein wird also Darwins Evolutionstheorie als ein Gegenbeweis gegen die christliche teleologische Geschichtsbetrachtung verstanden.” 11 Stuhlhofer, Darwin', vgl. Benz, Evolution. 12 Ebd.; zusammenfassend in Junker & Scherer, Entstehung 2. Kap.; vgl. Guck, Reception. 13 LefEvre, Entstehung. Allerdings hatte bereits LinnE in späteren Jahren die Grenze der geschaffenen "Arten” etwa auf das Gattungsniveau verlegt. Er vertrat also keine strenge Artkonstanz und kam heutigen schöpfungstheoretischen Vorstellungen damit recht nahe; vgl. Abschnitt 5.5.1. 14 Vgl. Beck, Genesis. Der interessanten Frage, inwieweit hier ein Kausalzusammenhang besteht, kann hier nicht nachgegangen werden; vgl. dazu Kraus, Geschichte. 13 Vgl. Holthaus, Fundamentalistnus. 16 Pannenberg, Schöpfungstheologie 289. auch im neuen Denkrahmen die Sonderstellung des Menschen gewährleistet blieb (vgl. Abschnitte 3.2 und 4.1.2). In der theologischen Auseinandersetzung um die Evolutionsanschauung wurde um die Stellung des Menschen im evolutionären Geschichtsrahmen bis weit in unser Jahrhundert hinein heftig und oft sehr emotional gestritten.17 Beim Menschen ergänzten viele Theologen das evolutionäre Denkmodell dahingehend, daß man hier besondere Eingriffe Gottes postulierte. Der Evolutionsgedanke war zwar durchaus akzeptiert, aber nicht als Alleinerklärungsprinzip. Eine vollständige Ableitbarkeit aller Phänomene des Lebens “von unten”, d. h. aus physikalisch-chemischen Gegebenheiten, wurde zunächst bestritten. Doch konnte der Mensch auf Dauer nicht als Sonderling aus dem allgemeinen Evolutionsgeschehen herausgehalten werden. Unter dem Einfluß der Dialektischen Theologie der beiden Hauptströmungen, die vorwiegend von Barth und Bultmann geprägt sind, wurde etwa ab dem ersten Drittel unseres Jahrhunderts ein friedliches Nebeneinander von Naturwissenschaft und Theologie befürwortet. Die Fragen der Abstammung des Menschen wurden jetzt weithin der vermeintlich ohne metaphysische Prämissen arbeitenden Naturwissenschaft überlassen. Theologisch relevant blieb vielfach allein das Zeugnis, daß Gott Schöpfer sei. Der Schöpfungsbegriff wurde mehr oder weniger exi-stentialisiert. Es kam zum viel beschworenen und oft so bezeichneten “Burgfrieden” zwischen Theologie und Naturwissenschaft bzw. der Evolutionsanschauung.18 Diese Situation erschwert bis heute die Diskussion in diesem Spannungsfeld. Denn das Hinterfragen dieser “Revierabgrenzung” wird als unnötiges Vorgehen beargwöhnt, das die mühsam gekittete Beziehung zwischen Theologie und Naturwissenschaft (die eigentlich gar keine mehr war), belaste und dem Anliegen des christlichen Glaubens schade.19 Dennoch wächst in den letzten Jahrzehnten der Einspruch gegen die stillschweigende Vereinbarunggegenseitiger Nichteinmischung. Vor dem Hintergrund des erreichten Diskussionsstandes in der Verhältnisbestimmung zwischen Theologie und der Evolutionslehre kann es nicht überraschen, daß wesentliche Schützenhilfe, die gesteckten Revierabgrenzungen zu hinterfragen, von kritisch argumentierenden Evolutionstheoretikern20 sowie aus der Wissenschaftstheorie21 kam. So paradox es klingt: Naturwissenschaftler stehen im Großen und Ganzen der Evolutionstheorie deutlich kritischer gegenüber als Theologen (vgl. Abschnitt 1.3). Naturwissenschaftlich begründete Evolutionskritik alleine motiviert noch nicht unbedingt zur Suche nach Alternativen. Das neuerliche Hinterfragen der Evolutionsanschauungen (auch der theistisch geprägten) und die Arbeit an Alternativen ist vor allem theologisch motiviert. Um die einzelnen Gründe für diesen Einspruch wird es in der vorliegenden Untersuchung gehen (Kapitel 4). 17 Vgl. z. B. Dörpinghaus, Darwins Theorie; Wasmann, Kampf. 18 Die komplexe Geschichte dieser Entwicklung ist nicht Thema dieser Arbeit. Vgl. dazu von Stockhausen, Mythos; von Stockhausen, Entwicklung und Daecke, Naturwissenschaft 252f. 19 Bavink, Naturwissenschaft 38, geht soweit, den Kampf gegen die Abstammungslehre “mit gutem Gewissen” als “die größte aller Dummheiten zu bezeichnen, die im Laufe der christlichen Kirchengeschichte gemacht worden sind.” Nicht anders sieht es neuerdings Pannenberg, SystTheol 143: “Der Kampf gegen den Darwinismus gehört zu den folgenschwersten Fehlentwicklungen im Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft.” 20 Denton, Evolution; Dose, Präbiotische Evolution; Illies, Jahrhundertirrtum', W. Kuhn, Stolpersteine\ Shapiro, Schöpfung; Vollmert, Molekül. Diese Autoren akzeptieren trotz ihrer Kritik die Evolutionsanschauung. 21 Spinner, Pluralismus. 1.3 Der Einfluß der Evolutionslehre auf henneneutisch-dogmatische Grundlagen Es fällt auf, daß der evolutionäre Denkrahmen fast ohne Widerstände von weiten Kreisen von Naturwissenschaftlern und Theologen akzeptiert wurde und daß die Evolutionsanschauung weitgehend mit “Wissenschaft” identifiziert wird. Man sprach und spricht meist von der evolutionären als der “wissenschaftlichen” Sicht der Entstehung und Geschichte der Welt. Diese Identifikation “Naturwissenschaft = Evolutionslehre” muß kritisch hinterfragt werden (vgl. Abschnitt 3.6.2 und Kapitel 5); sie belegt eindrücklich, wie sehr sich die Auffassung, Evolution sei eine wissenschaftliche Tatsache, im Denken festgesetzt hat. Evolution als Tatsache Angesichts der Gleichsetzung von Evolutionslehre und Naturwissenschaft und der Auffassung, Naturwissenschaft ermittle objektive Ergebnisse, kann es nicht überraschen, daß nahezu alle Autoren, die sich mit der Verhältnisbestimmung von der Evolutionsanschauung und den Inhalten des christlichen Glaubens befassen, explizit oder implizit die Feststellung treffen, daß die Evolution als Tatsache vorauszusetzen sei. Das gilt bereits für die Zeit um die Jahrhundertwende. Wenn auch die Frage nach den Mechanismen der Evolution bis heute sehr kontrovers diskutiert wird, so wird doch die Evolutionsanschauung als Geschichtsrahmen fast durchweg unkritisch akzeptiert. Aus dieser Situation folgt, daß das Nachdenken über die Bestimmung der Beziehung zwischen der Evolutionslehre und dem biblischen Schöpfungs- und Heilszeugnis eindeutig kanalisiert ist. Ebenso kann man vermuten, daß die Auslegung biblischer Texte von der Akzeptanz der Evolutionslehre unterschwellig oder explizit beeinflußt ist.22 Bereits um die Jahrhundertwende wurde die Evolutionslehre weitgehend als Tatsache akzeptiert.23 Durch das ganze 20. Jahrhundert hindurch wird die Faktizität einer Evolutionsgeschichte von den meisten christlichen Theologen kritiklos vorausgesetzt. Die folgende Zusammen- stellung stellt eine repräsentative Auswahl dar und soll einen Eindruck davon vermitteln, wie fest das Denken im evolutionstheoretischen Rahmen verankert war und ist.24 Für Teilhard de Chardin gibt es über den Ursprung des Menschen auf evolutivem Wege für die Wissenschaft “nicht den geringsten Zweifel” mehr. Jede weitere Diskussion darüber sieht er als verlorene Zeit an.25 Tillich will die Berichte 22 Vgl. dazu Holthaus, Fundamentalismus. Bezeichnenderweise präsentiert der Anthropologe Heberer die Deszendenztheorie in RGG3 als “bewiesene Theorie” (Sp. 92), ebenso betrachtet Süssmann in seinem RGG-Artikel “Naturwissenschaft und Christentum” die Evolutionslehre als “gesichert” (Sp. 1381). 23 Dazu einige typische Stimmen: Peters, Glauben und Wissen (1907): “Es war eine Torheit, die Entwicklungslehre so leidenschaftlich zu bekämpfen, wie es Jahrzehnte hindurch, von wenigen Einsichtigen abgesehen, geschehen ist, der Sache der Religion zum Schaden, dem Glauben vieler Gebildeter zum Verderben. Man sollte das heule in unseren Kreisen nirgends zu leugnen versuchen und dadurch dem Gegner neue Waffen für die Polemik in die Hand geben” (52). Zur selben Zeit hält Beth, Entwicklungsgedanke (1909), die wissenschaftliche Abweisung des Evolutionsgedankens für unmöglich (4). Evolution sei eine der “bestbegründeten Hypothesen, die es zur Erklärung von naturwissenschaftlichen Tatbeständen gibt” (90). Er bemängelt übrigens zurecht, daß “vielfach im Namen des Christentums und von dessen berufenen Vertretern der Entwicklungsgedanke verurteilt wurde, ohne daß auch nur der Versuch einer wissenschaftlichen Widerlegung desselben gemacht wäre” (4). (Diese Situation besteht heute so nicht mehr, vgl. Kapitel 5. Dennoch gibt es ähnliche Stellungnahmen.) Beth bemerkt weiter (185), daß die “Tatsachen der Naturwissenschaft” der Vorstellung vom Einbruch des physischen Todes in die Menschheit aufgrund der Sünde zu widersprechen scheinen. Die Faktenlage spreche so eindeutig für Evolution, daß man Gott als Täuscher ansehen müßte, hätte es doch keine Evolution gegeben (108). Im selben Jahr schriebTENNANr./nyiuence 420: “The truth that the world, including man, is a product of gradual evolution, however it may stand with Darwin’s account of the process, is nowadays received practically without exception amongst Churchmen equipped with any knowledge of modern theolo-gy; and many at least can say that the truth has made them free.” Zapletal, Schöpfungsbericht 53, gibt die buchstäbliche Erklärung des Schöpfungsberichtes, die die älteste sei und die meisten Kirchenväter und Scholastiker für sich habe, auf, weil sie mit den Resultaten der Naturwissenschaften unvereinbar sei. 24 Unter Publikationen aus jüngerer Zeit sind z. B. Moltmann, Schöpfung 192ff., Pannenberg, SystTheol, Schunk, Ökum Dogm 93, und Bosshard, Erschafft die Welt 192, zu nennen. 25 Teilhard de Chardin, Glaube 167. der biblischen Urgeschichte nicht als Berichte tatsächlicher Geschehnisse wörtlich nehmen, u. a. weil man sonst leichte Beute für die Angriffe der biologischen und historischen Wissenschaften werde.26 Die Evolutionstheorie kann, so Hübner, “als exakt bewiesen gelten”.27 Köberle sah die Ablehnung der Evolutionsanschauung als eine “schäbige Verteidigungskunst” an, die unbedingt aufgegeben werden müsse.28 Für Brunner ist Genesis 3 als historisches Bild vom ersten Menschen “ein für allemal und restlos zertrümmert.”29 Ebenso nötige uns die heutige naturwissenschaftliche Erkenntnis, die Vorstellung von der Konstanz der Arten gänzlich preiszugeben.30 Über einen Punkt sei die Diskussion für immer abgeschlossen, daß die meisten heutigen Lebensformen früher nicht existierten. Den Hinweis auf den hypothetischen Charakter evolutionärer Vorstellungen nennt Brunner einen “üblen Trick fauler Apologetik”. Auch die Herausbildung des Menschen aus primitiveren Formen des Tierreiches betrachtet er als “gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis”.31 Auch Althaus32 nennt neben theologischen Gründen auch einen archäologisch-prähistorischen Grund, nach dem für den urständlich vollkommenen Menschen der alten Dogmatik kein Platz sei. “Wir wissen heute: dem Menschen im vollen Sinne, dem homo sapiens, gehen Vorformen voraus. Er wird langsam aus tiernäheren Zuständen heraus.”33 Geradezu programmatisch wird auf dem Umschlag der Arbeit über die Erbsünde von Schmitz-Moormann34 diese Denkrichtung wiedergegeben: “Die bisher allgemein verbindliche Lehre über die Urschuld der Menschheit wird heute bestritten. Die Ergebnisse der Naturwissenschaft zwingen die Theologie zu neuen Deutungen.”35 Resümee: Die genannten Belege, deren Zahl um ein Vielfaches erhöht werden könnte, zeigen, daß sich die Evolutionsanschauung (abgesehen von Detailfragen der Evolutionsmechanismen) weithin als Erkenntniskonstante im Denken der Theologie unseres Jahrhunderts etabliert hat. Gelegentlich wird sogar explizit eingeräumt, daß der Stand der naturwissenschaftlichen Forschung die Auslegung der biblischen Texte beeinflußt. Wo die Evolutionstheorie als bewährtes Wissen angenommen werde, lehre sie den Glauben zwischen geschichtsgebundener Ausdmcksform und der Intention biblischer Berichte über die Schöpfung und Gottes Handeln zu unterscheiden.36 Hier tritt die Evolutionslehre explizit als herme-neutischer Schlüssel für bestimmte exegetische Fragen auf. Zu einer ähnlichen Feststellung gelangt auch Köster in bezug auf die Diskussion um die Problematik von Urständ, Sündenfall und Erbsünde.37 Für ihn ist die “zu allgemeiner Anerkennung aufrückende Evolutionstheorie” ein nachhaltig bestimmendes Element des geistigen Bewußtseins. Fast alle Theologen übernähmen sie, nicht nur in Fragen der Schöpfung, sondern auch in Fragen von Urständ, Fall und Erbsünde. Insbesondere die Diskussion zur Frage des Monogenismus (vgl. Abschnitt 4.3.5) sieht Köster “unter dem Horizont einer wachsenden Plausibilität der Entwicklungstheorie”.38 Weiter 24 Tillich, Werke V, 46. An anderer Stelle bemerkt dieser Autor: “Man zweifelt heute im allgemeinen nicht mehr an der Gültigkeit der Entwicklungslehre auch in dieser Beziehung [Entstehung des Menschen aus verwandten tierischen Arten] trotz der Gegensätze innerhalb der Theorie selbst” (Tiluch, Verlorene Dimension 83). 27 J. Hübner, Theologie 29. 28 Köberle, Ursprung 98. 29 Brunner, Widerspruch 88. 30 Brunner, Dogmatik II41. 51 Ebd. 94. Brunner meint (ebd. 44), die Biologen würden bei ihren Versuchen Entwicklung immerwieder feststellen. - Das gilt jedoch nur für Mikroevolution. 52 Althaus, Wahrheit 147f. 33 Man beachte die Formulierung “wir wissen". 34 ScHMrrz-MooRMANN, Erbsünde. 35 Dieser Autor sieht eine Notwendigkeit der Transposition von der “Seins-Welt” zur “Werdc-Welt”. Dabei erweise sich unsere Sprache als hinderlich, da sie Ausdruck eines “Seins-Denkens” sei (ebd. 9). Schmitz-Moormann beklagt sich darüber (15ff.), daß den Schülern eine Schizophrenie des Denkens zugemutet werde: Der Katechismus werde so gelehrt, als ob es das Wissen um Evolution nicht gäbe. 34 Track, Evolution 489: Die Evolutionstheorie deckt die Zeitbedingtheit der Aussageform auf. Schmitz-Moormann, Möglichkeiten 84, stellt heraus, daß es im Rahmen der Evolutionslehre keine “ewige Sprache" geben könne; daher könne das der Menschheit geoffenbarte Wort Gottes nicht für alle Zeiten in einem bestimmten Wortlaut fixiert werden. “Auf dem Wortlaut zu bestehen, könnte also durchaus bedeuten, daß man die Botschaft selbst verliert.” 37 Köster, Urständ 47; weitere Zitate dort; vgl. auch Anm. dort. 38 Ebd. 53, 141. Wesiermann, Genesis 4, stellt fest, daß die Er- stellt er fest, daß u. a. vor allem die Deszendenztheorie die Frage weckte, ob es einen dem Sündenfall zeitlich vorausliegenden Urständ mit den von der traditionellen Theologie gelehrten Vorzügen überhaupt gegeben habe.”39 Als weitere Faktoren nennt Köster dort: die Geltung der natürlichen Vernunft in Glaubensfragen,40 die Anerkennung der literarischen Arten in der Heiligen Schrift und die Neigung, an der überkommenen kirchlichen Lehre den Anteil der Offenbarung klein, den des menschlichen Denkens groß anzusetzen.41 Auch Seybold erwähnt ausdrücklich “Anfragen aus dem naturwissenschaftlichen Raum”, die die Diskussion um die Erbsünde beeinflußt hätten.42 In seinem Vorwort zur Dissertation von Baumann meint Haag, es seien einmal mehr die umwälzenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse gewesen, die zur kritischen Überprüfung von theologischen Lehrmeinungen führen mußten.43 Baumann selber spricht vom Faktum eines durch die Evolutionstheorie geprägten Selbst- und Weltverständnisses.44 Demgegenüber ist beispielsweise der evolutionstheoretisch denkende Biologe Mollenhau er weitaus vorsichtiger, wenn er feststellt: “Obwohl Argumente in überwältigender Fülle für sie [die Evolutionstheorie) sprechen, ist sie prinzipiell nicht beweisbar_Nichtsdestoweniger ist sie ein Erklärungsversuch und gilt, wie alle naturwissenschaftlichen Aussagen, unter bestimmten Voraussetzungen und vorbehaltlich des Aufspürens einer besseren Deutungsmöglichkeit, die auch Phänomene zu erklären erlaubt, zu denen von der Abstammungsvorstellung her kein Zugang besteht."45 Zum selben Urteil gelangt der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Hübner. Weder aufgrund der Indizienlage noch aus wissenschaftstheoretischen Gründen gebe es zwingende Gründe, an die biologische Evolutionstheorie mit Selbstverständlichkeit zu glauben.46 1.4 Das Theorienpluralismus-Modell Wissenschaftstheoretisch gesehen können Evolutionstheorien nicht mit Absolutheitsanspruch vertreten werden. Wissenschaftliche Theorien beschreiben und erklären Ausschnitte aus der Wirklichkeit nur vorbehaltlich besserer Ansätze. Auch vielfach bestätigte und fest etablierte Theorien können sich als falsch erweisen. Diese Situation wird im Theorienpluralismus-Modell47 aufgegriffen. Danach sind Alternativansätze, die gegen etablierte Theorien konkurrieren, wünschenswert und notwendig, um ein Höchstmaß an Kritik und dadurch maximalen Erkenntnisfortschritt zu ermöglichen. Denn die empirischen und historischen Wissenschaften können den Wahrheitsanspruch ihrer Theorien niemals zureichend begründen und dadurch geltungsmäßig rechtfertigen. Letzte Gewißheit, wie es nach dem Rechtfertigungsmodell der Erkenntnis (Certis-mus) angestrebt wird, ist nicht möglich. Eine Basis der Erkenntnis, die nicht (mehr) problematisiert werden kann, gibt es nicht. Dieser Diskussionsstand der Wissenschaftstheorie muß in der Auseinandersetzung mit der Evolutions- lehre und in der Verhältnisbestimmung von christlichem Glauben und Natur- sowie Geschichtswissenschaft berücksichtigt werden. schütterung der traditionellen Auslegung der biblischen Urgeschichte nicht von der Exegese ausging, sondern von der entstehenden Naturwissenschaft und Anthropologie. Er nennt als Ursache für das neue Verständnis außerdem u. a. die historisch-kritische Bibelauslegung und die Auffassung, daß die EntstehungderTextevonGen 1-11 weit entfernt sei von ihrer Niederschrift. w Ebd. 124. ® Es würde zu weit führen, auf die Problematik der natürlichen Theologie und deren Zusammenhang mit unserem Thema einzugehen. 41 Die Ablehnung der sogenannten "außernatürlichen Gaben“ (dona praeternaturalia) erfolgte nach Köster (a. a. O. 127) aus der “Erkenntnis, daß (vor allem bei Beachtung ihrer literarischen Gattung) die Genesis-Kapitel diese Gaben nicht enthalten. Der andere nicht minder gebieterische Grund ist die allgemeine Plausibilität der Entwicklungslehre.” 42 Seybold, Erbsündendiskussion 267ff. 43 Baumann, Erbsünde. 44 Ebd. 85. 43 Mollenhauer, Erkenntnis 22. * K. Hübner, Schöpfungsgeschichte 202. 47 Überblick bei Spinner, Pluralismus, Lenx, Wissenschaftstheorie-, Steinebrunner, Sturz. Für die geschilderte Situation führt Spinner zwei Gründe auf:4* 1. Das sogenannte Münchbausen-Trilemma (nach Albert49), wonach die Suche nach einer Letztbegründung von Theorien entweder in einen unendlichen Regreß (der nicht durchführbar ist) oder in einen epistemologischen Zirkel führt, durch den auf das zu Beweisende selbst zurückgegriffen wird (was zu Scheinbegründungen führt). Die dritte Möglichkeit besteht in einem Abbruch des Begründungsverfahrens an einem letztlich willkürlichen Punkt. Das Rechtfertigungsproblem ist also nicht rational, sondern nur pragmatisch oder dogmatisch lösbar. 2. Das Paradox der Rechtfertigungsbasis. Man muß ein Minimum an entproblematisierter Primärerkenntnis (Basis) annehmen. Dieses ist erkenntnistheoretisch das Problematischste. Die Rechtfertigungsbasis müßte durch besonders beweiskräftige Argumente gestützt sein; sie fehlen hier aber gerade am meisten: Wenn die Basis der Erkenntnis vor dem Risiko des Scheiterns möglichst bewahrt werden soll, darf sie im Idealfall keine potentiell widerlegenden Instanzen haben. Um jedoch besonders gut durch rationale Argumente stützbar zu sein, müßte sie jedoch ein Maximum an kritischen Instanzen haben. Die Basis müßte also gleichzeitig hochwiderlegbar und absolut unwiderleglich sein — ein Paradox. Im Sinne des Rechtfertigungsmodells sind Informationsgehalt und Sicherheit konträre epi-stemologische Eigenschaften. Da es also kein Fundament der Erkenntnis gibt, da Wahrheit immer nur vermutet, nicht aber positiv begründet werden kann, ist eine Konzeption einer kritisch-rationalen Erkenntnis ohne Fundament erforderlich: faüibilistisches Konzept.x Da es keine voraussetzungslose Erkenntnis gibt, kommt auch das fallibilistische Erkenntnismodell nicht ohne einen Anfang der Erkenntnis aus. Bestimmte Annahmen (auch inhaltlicher Art) müssen vorgegeben werden. Dabei ist jeder beliebige Anfang “grundsätzlich gut genug, um im fallibilistischen Erkenntnismodell als Ausgangspunkt für Verbesserungen... zu dienen.”51 Daher sind biblisch motivierte schöpfungs- oder katastrophentheoretische Modelle vom heutigen wissenschaftstheoretischen Standpunkt aus nicht a priori zu verwerfen (vgl. Abschnitt 5.5).52 Dem Ziel der Wahrheitserkennung kann man sich nur durch Elimination des Falschen nähern. Darin besteht die fallibilistische Methode der Erkenntnis. Um Falsches erkennen zu können, ist Kritik notwendig, und zwar je mehr, desto besser. Eine direkte Konsequenz des fallibilistischen Erkenntnisprogramms ist das pluralistische Modell. Denn die beste Kritik besteht in der Konfrontation mit einer strengen, globalen Alternative. Fehlen Theoriekonkurrenten, besteht die starke Neigung, theorieinkonsistente Daten zu ignorieren oder zu bagatellisieren.53 Gegen das monistische Modell ist daher die Idee der Kritik zu stellen. Alle Teile der Erkenntnis- und Wissenschaftslehre sollen dabei erfaßt werden. Die Kritik kann die Theorie treffen (Falsifikation) oder die Erfahrung (die falsifizierenden Daten; Exhaustion). Dabei ist nicht dogmatisch zu entscheiden, wann Exhaustion und wann ® Spinner, a. a. O. 32ff. 45 Albert, Traktat. 50 Popper, Logik. 51 Spinner, a. a. O. 52; Popper, Historizismus 106: Vom Standpunkt der Wissenschaft ist es irrelevant, “ob wir zu unseren Theorien durch voreilige Schlüsse gelangen oder dadurch, daß wir sozusagen einfach über sie ‘stolpern’, also durch ‘Intuition’, oder mit Hilfe irgendeines induktiven Verfahrens.” Wissenschaftlich relevant ist allein die Prüfung von Theorien, nicht die Art und Weise des Findens. Vgl. Spinner, Begründung 10. 52 Nach Popper bleibt dabei die Idee der objektiven, absoluten Wahrheit im Sinne der Korrespondenztheorie regulatives Prinzip aller Erkenntnisbemühungen, ohne jedoch zum Cer-tismus der Doktrin absoluter WahrheitscrLermmis zu führen (Spinner, a. a. O. 53). Der Prozeß von Spekulation und Kritik hat kein erkenntnislogisches Ende. “Sobald wir es aufgeben, unsere Theorien kritisch infrage zu stellen, sind sie von einem Dogmensystem ununterscheidbar geworden” (ebd. 56). 53 Spinner, a. a.O. 74f. zählt Gründe gegen den Theorienmonismus auf, u. a.: Der Ausschluß alternativer Theorien oder Erkenntnissysteme ist Ausschluß von Theorienkonkurrenz, dem fruchtbarsten Stimulans für den Erkenntnisfortschritt; die Bevorzugung einer einzigen Theorie bedeutet eine Behinderung von Alternativen, die besser sein könnten; die Erfahrung wird ihrer kritischen Funktion beraubt, denn Erfahrung wird erst in Verbindung mit einer Theorie (durch “theoretische Verstärkung”) stark und wirksam; Erfahrung allein hat keine so starke falsifikatorische Kraft; das Problematisieren des Hintergrundwissens wird verhindert; neue Theorien haben faktisch keine Chance, weil sie am Anfang notgedrungen unterentwickelt sind, woraus eine Chancenungleichheit folgt; die Tendenz wird unterstützt, Probleme, deren Lösung im bisherigen Rahmen aussichtslos erscheint, zu ignorieren. Falsifikation die vernünftigste Strategie ist. Falsifikation ist nicht pauschal positiv, Exhaustion nicht grundsätzlich degenerativ; das gälte nur im monistischen Modell. Nur im Rahmen pluralistischer Ideenkonkurrenz sind Theorien einem Maximum an Kritik ausgesetzt:54 — Tatsachen allein können eine Theorie nicht erfolgreich falsifizieren: “Nur in ihrer kritischen Funktion durch (Alternativ-)Theorien verstärkte Tatsachen sind genügend starke kritische Instanzen mit potentieller Falsifikationswirkung gegenüber anspruchsvollen Theorien.”55 — Alternativen können eher die “blinden Flek-ken” etablierter Theorien aufdecken; — der “metaphysische” Teil von Theorien ist nur durch alternative Theorien kritisierbar zu machen; — ein experimentum crucis ist nur möglich bei einem Vorliegen von Alternativen; — Alternativen können zur Entdeckung neuer Tatsachen führen. “Theoretischer Pluralismus erhöht die Intensität und die Reichweite kritisch-rationaler Argumentation sowie die Chancen für ‘außerordentlichen’, revolutionären Erkenntnisfortschritt. Das fallibili-stisch-pluralistische Erkenntnismodell macht es möglich, alle Teile unseres falliblen Wissens im Interesse der kritischen Erkenntnis und ihres Fortschritts in Bewegung zu setzen. Mehr können wir nicht tun, um den Erkenntnisfortschritt zu fördern.”56 “Das fallibilistisch-pluralistische Erkenntnisprogramm empfiehlt, ja verlangt die Einführung neuer Theorien, die den herrschenden Standpunkten widersprechen - und zwar selbst dann, wenn die alten Theorien noch nicht versagt haben oder sonstwie in Schwierigkeiten gekommen sind.”57 Das Nicht-Versagt-Haben kann am Fehlen von Alternativen liegen. Zur vermehrten Einführung neuer Theorien muß ein ebenfalls pluralistisch wirkendes Erhaltungs- oder Bewahrungsprinzip hinzukommen. Den zunächst unterlegenen Rivalen muß die Chance der Entwicklung zu reifen, ausgewachsenen Theorien gegeben werden.58 Um sich bewähren zu können, müssen neue Theorien erst bewahrt werden: der “Mord” an neugeborenen Ideen ist zu verhindern. Alternativen brauchen also eine Bewährungs- chance, durch die sie beweisen müssen, daß sie der alten Theorie auf breiter Front widersprechen und diese an Problemlösungskraft übertreffen (d. h. den Erfolg und das Versagen der alten Theorie erklären können). Sie müssen sich als strenger und unabhängiger prüfbar erweisen. Der theoretische Pluralismus ist nicht als vorübergehendes nützliches Stadium anzusehen wie die KuHNSchen Revolutionsphasen,59 sondern als Dauerzustand. Nach dem Pluralismusmodell der Erkenntnistheorie sind Alternativen zur Evolutionslehre nicht nur prinzipiell möglich, sondern wünschenswert. Da alle Theorien metaphysische Grundlagen besitzen, stellt sich eine auf die biblische Überlieferung gegründete und von daher motivierte Schöpfungsforschung60 nicht außerhalb der Wissenschaft. Das Unternehmen “Schöpfungsforschung” ist wissenschaftstheoretisch legitimiert. Die Problemlösungskraft und Prüfbarkeit von Theorien der Schöpfungsforschung wird in Abschnitt 5.5 anhand einiger Beispiele dargelegt. Grenzen des Pluralismus-Modells Ein Theorienpluralismus scheint im Gegensatz zum biblischen Absolutheitsanspruch zu stehen. Das im Wort Gottes verbindlich Gesagte wird in der Schöpfungsforschung in der Tat nicht hinterfragt (vgl. dazu Abschnitt 5.4). In diesem Sinne gibt es doch eine Basis, die nicht hinterfragt wird. Diese Basis (aber nur diese) wird nicht der Kritik ausgesetzt. Die radikale Kritik im Sinne des Theorienpluralismus-Modells, die auch die Erkenntnisbasis der Kritik aussetzt61, ist auf alle Erkenntnis anzuwenden. So bleibt “Wahrheit” relativ, wenn es keine verbindliche Offenbarung62 im Hinblick 54 Spinner, a. a. O. 87ff. 55 Ebd.87. 56 Ebd.89. 57 Ebd.89. 58 Ebd. 91. 59 Th. Kuhn, Stmkiur. 60 Zum Begriff “Schöpfungsforschung’' s. Abschnilt 5.4. 61 Vgl. Spinner, Begründung 6ff. 62 Zum Begriff "Offenbarung": Hier wird nicht übersehen, daß zum Verstehen der biblischen Zeugnisse ein hermeneutischer auf Schöpfung und Geschichte gibt. Davon geht die biblisch fundierte Schöpfungsforschung aber gerade nicht aus. In der Praxis besteht dennoch insofern kein Unterschied zur evolutionstheoretisch orientierten Wissenschaft, als deren Vertreter die Evolutionsanschauung ebenfalls grundsätzlich nicht hinterfragen. Theorien sind immer mit vorausgesetzten weltanschaulichen oder religiösen Grundlagen verflochten.63 Das Aufgeben umfassender Theorien zugunsten einer Alternative kann daher in der Praxis eine Art “Bekehrung” erfordern, die mehr ist als eine bloße Denkübung. Wegen dieser Verflochtenheit, weil also persönlich-existentielle Momente nicht ausgeschaltet werden können, sind Theorienbewertungen und Kritik nicht bloß eine intellektuelle Angelegenheit. Diese Situation trifft insbesondere auf die Auseinandersetzung um die Evolutionsanschauung zu. Die weltanschauliche Verankerung von Theorien begrenzt die Offenheit für andere Theorienansätze. Trotz dieser Einschränkung kann das Pluralismusmodell klarstellen, daß Monopolstellungen von wissenschaftlichen Theorien fehl am Platz und daß Auseinandersetzungen mit Alternativen gewinnbringend sind. 1.5 Grundweisen der Verhältnisbestimmung der biblisch-heilsgeschichtlichen und evolutionären Geschichtsschau Man kann die beiden zur Diskussion stehenden Geschichtskonzeptionen (Abschnitt 1.1) im wesentlichen auf zweierlei Weisen ins Verhältnis zueinander setzen: Entweder man setzt die biblische Geschichtsschau, wie sie in den biblischen Geschichtsbüchern einschließlich der Urgeschichte geschildert ist, für die historische Realität dieses Äons als daseinsbegründend voraus und hinterfragt und kritisiert von dort aus evolutionäre Hypothesen. Diese Rangfolge wird in dieser Arbeit vertreten. Oder man wählt die Evolutionsgeschichte “vom Urknall bis zum menschlichen Geist” als Erkenntniskonstante, an die das Verständnis der biblischen Geschichte anzugleichen ist. Einen Mittelweg kann es hier nicht geben, sondern lediglich verschiedene Ausprägungen im Detail.64 Daß es sich hier um wirkliche und nicht etwa um scheinbare Alternativen handelt, soll diese Arbeit im einzelnen begründen. Schon an dieser Stelle kann man jedoch festhalten, daß die biblische Urgeschichte als Überlieferung, die für die historische Realität von Belang ist, mit einer Evolutionsgeschichte nicht vereinbar ist. Wenn dagegen behauptet wird, hier liege im Grunde kein Gegensatz, sondern eine Scheinalternative vor, verbirgt sich dahinter ein unhistorisches Verständnis der biblischen Urgeschichte. Damit aber ergibt sich die Frage nach einer Ursprungsund Geschichts-Alternative. Sie heißt heute “Evolutionsgeschichte”. Diese ist eine klare Alternative zu einem historischen Verständnis von Genesis 1 — 11. Hier gibt es keine sachliche Vermittlung. Es geht also nicht um die Frage, ob hier eine echte Alternative vorliegt, sondern ob auf die diesen Äon begründende Wahrheit der biblischen Urgeschichte verzichtet werden kann, ohne daß Substanz der christlichen Botschaft preisgegeben wird. Historizität bedeutet im Sinne der Ausführungen in Abschnitt 1.1, daß die geschil- Weg gegangen werden muß. Erst am Ende dieses Weges ist auch das für die Geschichtsauffassung und Wissenschaft “Verbindliche” zu sehen; vgl. Maier, Hermeneulik. ö Vgl. Funke, Gesichtspunkte. Alle wissenschaftlichen Theorien basieren auf einer Willenszuwendung, einer wertnehmenden Stellungnahme. 64 Es stellt keinen Mittelweg dar, wenn in derzeitigen Theologieentwürfen konservativer Provenienz der Schöpfungsbericht als Bekenntnis oder geistgewirktes, dem menschlichen Denken adäquater Versuch der Darstellung der Schöpfungsereignisse gilt (vgl. Bayer, Schöpfung). Denn in diesen Entwürfen bleibt die Frage der Historizität im Sinne einer historischen Rekonstruktion offen. Wird diese Frage aber offen gelassen, so besteht die Möglichkeit einer Rekonstruktion im Sinne der Evolutionslehre. Die vorliegende Untersuchung widmet sich aber gerade der Frage, mit welchen Konsequenzen die Akzeptanz der Evolutionslehre verbunden ist bzw. wäre. Darüber hinaus nähert sich diese Position einer Entflechtung im unten beschriebenen Sinne (Abschnitt 1.5.2.1)an. derten Ereignisse (hier aus Genesis 1 — 11) die reale Menschheitsgeschichte betreffen und daß daher die Überlieferungen der Genesis auch als Dokumente für geschichtliche Rekonstruktionen (einschließlich der Naturgeschichte oder besser “Schöpfungsgeschichte”) relevant sind. 1.5.1 Die Priorität der biblischen Ur-, Heils- und Endgeschichte Beck65 spricht bei der ersten im vorigen Abschnitt genannten Alternative von einem Sinn-apriori der biblischen Offenbarung und von einem “Prinzip der Erhaltung der Faktizität des Heilshandelns Gottes.”66 Dieses “Prinzip” bedeutet: Aus dem Heilshandeln Gottes, wie es in den biblischen Überlieferungen bezeugt ist, ist die tragende Erkenntnisbasis (Erkenntniskonstante) zu gewinnen. Aus dieser Verhältnisbestimmung resultiert eine enge Beziehung von Geschichtswissenschaft (einschließlich der Rekonstruktion der Geschichte der außermenschlichen Schöpfung) und dem biblischen Glauben, indem die biblische Geschichte den Rahmen für die Geschichte der Natur bildet. Damit ist nicht gemeint, daß die Bibel direkt “naturwissenschaftliche” Aussagen enthält - das ist ein weit verbreitetes Mißverständnis über diese Position -, sondern daß die biblischen Berichte über die Geschichte der Menschheit naturkundlich relevant sind. Konkret heißt dies schlaglichtartig:67 Eine ursprünglich durch Gottes Allmachtswort als “sehr gut” (Gen 1,31) prädizierte Schöpfung wurde im Gefolge des Sündenfalls durch den Fluch Gottes lebenseinschränkenden Bedingungen und einem Zerfallsprozeß unterworfen.68 Das Sintflutgericht bedeutete einen weiteren globalen Einschnitt in der Schöpfung. Auch für die Zukunft gilt, daß durch Gottes Handeln die Gestalt der Welt grundlegend gewandelt werden wird. Diese wesentlichen Marken der Welt- und Menschheitsgeschichte haben auch Bedeutung für die wissenschaftliche Geschichtsrekonstruktion. Da dies im Gegensatz zum evolutionären Geschichtskonzept steht, ist ein Konflikt unausweichlich, wie im Verlaufe dieser Arbeit noch im einzelnen zu zeigen sein wird. 1.5.2 Die Priorität der evolutionären Geschichtsschau Wird die Evolutionsgeschichte vom Urknall bis zum Menschen als Erkenntniskonstante vorgegeben, müssen die biblischen Zeugnisse vom Weg Gottes mit der Menschheit auf diese Konstante bezogen werden. Dies wird im einzelnen in unterschiedlicher Weise durchgeführt. Man kann hier im Wesentlichen zwei Vorgehensweisen unterscheiden, die man als “konsequente” und “gemäßigte” Evolutionsanschauung (vgl. Abschnitte 3.2 und 3.3) charakterisieren kann. Beiden ist die Auffassung gemeinsam, daß die biblische Urgeschichte ganz oder teilweise “ent-mythologisiert” werden mi^sse, um zum eigentlichen Aussageinhalt zu gelangen. ScHMrrz-MooR mann betont, daß sich in dieser Perspektive “der klassische Begriff eines depositum ftdei als des unwandelbaren Offenbarungsinhaltes nicht länger aufrechterhalten” lasse.69 1.5.2.1 Konsequente Evolutionsanschauung Die Vertreter einer konsequenten Evolutionsanschauung kann man nochmals unterteilen in solche, die eine sog. “Entflechtung” wissenschaftlicher Erkenntnisse und biblischer Glaubenszeugnisse bevorzugen und die Evolutionslehre (wie auch andere Anschauungen) als irrelevant für Fragen des Glaubens werten, und andere, die die Evolutionslehre in ihren Entwürfen positiv verarbeiten. Die Befürworter einer Entflechtung sind insofern zur konsequenten Evolutionsanschauung zu rechnen, als sie die (vermeintlich naturwissenschaftliche) Evolutionslehre gewöhnlich in keiner Weise kritisieren und sie daher uneingeschränkt akzeptieren.70 Wenn auch gemäß einer Entflechtung die Evolutionslehre als irrelevant für Fragen des Glaubens gewertet und der 65 Beck, Universalität 4. “ Ebd.3. 47 Ausführlich behandelt in Kapitel 5. 48 Ausführliche Exegese in Abschnitt 4.3.2. 4, Schmitz-Moormann, Möglichkeiten 88. 70 Es sei denn, es werden aus ihr Schlußfolgerungen gezogen, die als nicht naturwissenschaftlich begründbar angesehen werden. Streit über Alternativkonzepte in Ursprungsfragen überhaupt als belanglos angesehen wird, so wird doch der biblischen Urgeschichte keine historische Bedeutung zugebilligt. Da als Alternative dazu nur Evolutionsanschauungen (wenn auch unterschiedlichster Schattierungen) möglich sind, läuft die “Entflechtungslösung” faktisch doch auf eine konsequente theistische Evolutionsanschauung hinaus. Die Entflechtungslösung Schon zu Beginn der Auseinandersetzung im Gefolge der Veröffentlichung der DARwiNSchen Theorie gab es Stimmen, die in der theologischen Auseinandersetzung um die Abstammungslehre kein “Entweder - oder” sehen wollten, sondern meinten, beide Sichtweisen harmonisieren zu können. Der Ablauf einer Evolution könne akzeptiert werden, ohne daß ein Widerspruch zum biblischen Zeugnis auftrete. Andererseits könne und dürfe die Naturwissenschaft ein finales Prinzip nicht aus dem Evolutionsgeschehen ausschließen. Auch könne die Naturwissenschaft nichts über den Sinn und das Ziel der Evolution aussagen. Diese Autoren plädieren für eine weitgehende oder sogar völlige Trennung (Entflechtung) von Aussagen, die Naturkundliches oder die Geschichte betreffen, und Inhalten des Glaubens. Die Naturwissenschaft äußere sich über das “Wie” der Schöpfung, der Glaube über das “Daß” und über Sinnfragen. Biblische Aussagen werden in einen anderen Bereich der Realität verwiesen, der den Bereich der Natur- und Geschichtswissenschaft allenfalls tangiert. Durch klare Revierabgrenzungen sollen scheinbar unnötige Reibereien vermieden werden.71 Die Folge ist eine weitgehende Beschränkung des Aussagebereichs des christlichen Glaubens auf den existentiellen Bereich. Auch Autoren, die eine Verbindung von Glauben und Naturwissenschaft sehen, trennen oft weitgehend beide Gebiete, sobald es um konkrete Sachfragen geht. Ein typisches Beispiel dafür bietet Goez. Er schreibt zunächst: “Das Menschenbild der Wissenschaft und das Menschen- bild des Glaubens gehen einander an.”72 - “Wir müssen uns hüten, der Naturwissenschaft das Diesseits, der Theologie das Jenseits anzuvertrauen ... Die Theologie wäre ... in ein fernes Nirwana verdrängt.”73 — “Sobald die Naturwissenschaft oder die Theologie chinesische Mauern baut und sich abkapselt, steht sie selbst in Gefahr, krank zu werden; gleichzeitig fehlt dem gegenüberliegenden Gebiet das Korrektiv.”74 Entgegen diesen programmatischen Sätzen laufen Naturwissenschaft und Theologie in Goez’ Werk faktisch doch weitgehend nebeneinander. Beispielsweise betreffen die “Glaubenssaussagen” über die Tierschöpfung (nur oder hauptsächlich?) den Tierschutz, nicht aber die Frage, wie die Tiere tatsächlich ins Dasein gekommen sind. Das wird offenbar der Evolutionslehre überlassen. In Gen 1 gehe es nicht um die Schöpfungswerke als solche, sondern darum, daß Gott geschaffen habe.75 Es komme in den Schöpfungsberichten nur auf die Glaubensaussage an, nicht auf die “historische” Darstellung. Das heißt aber nichts anderes, als daß Glaube und wissenschaftliche Erkenntnis doch weitgehend getrennt werden. Ein anderes Beispiel für die faktisch vollzogene Trennung besteht bei Goez darin, daß er einerseits die Evolutionslehre akzeptiert, andererseits eine Zeit vor dem Sündenfall von einer Zeit danach mit den Worten unterscheidet: “Noch stört kein Mißklang den Frieden.”76 In einem evolutionstheoretischen Kontext ist dieser Satz nicht haltbar, denn diesen Mißklang gab es in diesem Rahmen notwendigerweise immer, seit 71 “Beide, Naturwissenschaft und Theologie, übersahen, daß es gar nicht dasselbe war, was sie zu erklären hatten. Die experimentell feststellbare Entwicklung, die zunächst allein der Naturwissenschaft zugänglich ist, liegt auf einer anderen Ebene als die Schöpfung, Erhaltung und Lenkung der Welt, die zunächst allein die Theologie angeht” (Breuning & Lakner, Handbuch 124; als Komm, zu Scheebens Dogmatik von 1877). Orr, in Buri u. a., Dogmalik 36, spricht von einem “indifferen-tistischen” Verhältnis: “Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft werden auf verschiedenen Ebenen angesiedelt, so, daß sie sich gar nicht mehr widersprechen können.” Vgl. Orr, Antwort 13 lff. 72 Goez, Naturwissenschaft 6. 73 Ebd. 22. 74 Ebd. 23. 75 Ebd. 64. 76 Ebd. 109; gemeint ist der Friede zwischen Tier und Mensch. es Leben gibt (vgl. Abschnitte 2.4.3 und 4.4). Manche Autoren schwanken in ihrer Auffassung über den Zusammenhang von Bibel und Wissenschaft. Im allgemeinen habe der Naturforscher für sein Fach in der Bibel nichts zu suchen und von seiten der Bibel nichts zu befürchten, so Schwegler.77 Ein Widerspruch entstehe erst, wenn “die Vertreter des einen Gebietes in das andere Gebiet in unbefugter Weise eindrängen.” Also gibt es für diesen Autor doch Bereiche, wo sich beide ins Gehege kommen können. Er bemerkt dies selber, denn er stellt fest, daß, wenn auch Bibel und Naturforschung verschiedenen Ebenen angehören, sie doch “freilich irgendwie Zusammenhängen.”78 Konsequente Einbindung der Evolutionsanschauung Eine zweite Gruppe von Autoren hält die strikte Trennung von Glauben und Wissen für undurchführbar. Die existentialistische Verengung von Schöpfung und Sündenfall wird bemängelt, beispielsweise von Rahner: “Immerhin: wenn der katholische Theologe den Zustand des Menschen im ‘Paradies’ als Mythos interpretieren kann... und wenn er dieses Paradies nicht gnostisch von der Erde wegverlegen kann..., sondern es auf der Erde, in dieser Raumzeitlichkeit denken muß, weil er an der ‘Geschichtlichkeit’ der Genesisberichte in ihrem eigentlich gemeinten und wirklich ausgesagten Kern festhalten muß, dann kann er nicht von vornherein so tun, als ob naturwissenschaftliche und theologische Fragen und Erkenntnisse keine Berührungspunkte haben können .. ,”7* Der Theologe betreibe auch sein eigenes Geschäft schlecht, wenn er hochmütig meint, die anderen Wissenschaften entbehren zu können.80 Diese Gruppe plädiert dafür, das Evolutionskonzept in jeder Hinsicht anzuerkennen und die biblische Botschaft entsprechend neu zu inter- pretieren. Damit das biblische Zeugnis überhaupt noch verstehbar bleibe, müsse mit den Erkenntnissen moderner Wissenschaft (= Evolutionslehre; s. o.) Ernst gemacht und der christliche Glaube in einer evolutiven Welt neu ausformuliert werden. Die Einengung auf die persönliche Existenz wird zugunsten des Aussagebereichs des Glaubens überwunden, der Glaube in evolutionäre Termini übersetzt. Die Evolutionsfaktoren werden als voll ausreichend angesehen, um die Lebensvielfalt, den Menschen eingeschlossen, hervorzubringen. Auch wenn man erkennt, daß die Wissenschaft die Evolutionsmechanismen noch nicht geklärt hat, geht man davon aus, daß dies prinzipiell möglich sei und daß in der evolutiven Geschichte des Lebens und des Menschen keine besonderen Eingriffe Gottes erforderlich gewesen seien, um schließlich den Menschen hervorbringen zu lassen. 1.5.2.2 Gottes Eingreifen in der Evolution Die zweite, früher stärker vertretene, heute dagegen deutlich abnehmende Gruppe akzeptiert ebenfalls den historischen Evolutionsverlauf, geht aber davon aus, daß Gott an manchen Stellen besonders eingegriffen habe, insbesondere bei der Menschwerdung. Den Evolutionstheoreti-kem wird ihr Arbeitsfeld nicht unbesehen überlassen. Wichtige Schritte auf dem Weg vom Tier zum Menschen sollen nicht allein evolutionär verstehbar, die postulierte Evolution nicht allein naturgesetzlich erklärbar sein. Aus dogmatischen Rücksichten werden evolutionstheoretische Vorstellungen hinterfragt. 77 Schwegler, Urgeschichte 85. 78 Ebd. 79 Rahner, Vorwort zu Overhage, Erscheinungsbild. 80 Ebd. 30. 1.6 Zielsetzung der Arbeit Wenn im vorigen Jahrhundert das Aufkommen der Evolutionslehre die Theologen zu einem Neubedenken von naturkundlichen Fragen und ihrer Beziehung zum biblischen Zeugnis geführt hat (Lohfink81), so ist heute aufgrund deutlich veränderter Faktenlage diese Motivation erneut gegeben. In der Zwischenzeit ereignete sich ein “Plausibilitätssturz”82. Um zwei wichtige Aspekte zu nennen: Nachdem 1959,100 Jahre nach der Publikation von Darwins Theorie, weithin unwidersprochen festgestellt worden war, daß nicht nur die Tatsache der Evolution, sondern auch ihre Mechanismen im wesentlichen geklärt seien, begann die Zahl von Evolutionstheorien ab den siebziger Jahren rapide zuzunehmen. Mehr und mehr war zu hören, daß wesentliche Aspekte des Evolutionsmechanismus nicht geklärt seien, weshalb neue Theorien entwickelt werden müßten. Die Mechanismenfrage kann heute erfolgreich kritisiert werden; insbesondere im Bereich der “Urzeugung” des Lebens.83 Problematisch für die Evolutionslehre ist auch der Fossilbefund. Trotz der immens wachsenden Anzahl von Fossilfunden können die systematisch auftretenden Lücken zwischen verschiedenen Organisationstypen nicht geschlossen werden.84 Wenn auch in der vorliegenden Arbeit die Kritik an Harmonisierungen mit der Evolutionslehre primär aufgrund dogmatischer Gesichtspunkte motiviert ist (s. Kapitel 4), so kann doch auch die naturwissenschaftlich begründete Schwächung der Plausibilität der Evolutionslehre ein zusätzlicher Anstoß für das Hinterfragen etablierter Vorstellungen über die Zusammenschau der evolutionären und biblischen Geschichtsschau sein. Vor dem Hintergrund der angerissenen Situation in der Diskussion um die Evolutionslehre und um das gesamtbiblische Zeugnis sollen in dieser Arbeit folgende Themenkomplexe dargestellt bzw. Fragen aufgegriffen werden: 1. Es sollen Versuche einer Zusammenschau einer Evolutionsgeschichte mit der biblischen Heilsgeschichte dargestellt werden. Diese Ver- suche sollen unter folgenden Fragestellungen kritisch gesichtet werden: - Werden bei Vereinbarungsversuchen die Inhalte der Evolutionslehre realistisch zur Kenntnis genommen? Dahinter steht die schon hier zu vermerkende Beobachtung, daß in vielen Konzepten einer “theistischen Evolution” von einem idealisierten Evolutionsbild ausgegangen wird. Es soll ein Spezifikum der vorliegenden Arbeit sein, den Bezug zur Evolutionslehre konsequent einzufordern, und möglichst umfassend berücksichtigt werden, was es bedeutet, die Evolutionslehre als Rahmenparadigma vorauszusetzen. - In Konzepten, die wesentliche Elemente der traditionellen Sicht evolutiv angepaßt neu formulieren, soll herausgearbeitet werden, wie unter der Vorgabe der Evolutionsanschauung Glaubensinhalte, fundamental verändert, neu formuliert werden müssen. - Es soll der Vermutung nachgegangen werden, daß eine Zusammenschau von Evolutionsgeschichte und biblischer Heilsgeschichte nur auf Kosten entweder von zentralen biblischen Aussagen oder von vitalen Elementen der Evolutionslehre möglich ist. Am Rande soll auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit exegetische Begründungen von Neuformulierungen evolutionstheoretisch motiviert bzw. bedingt sind und ob man hier einen Zusammenhang nachweisen kann. Insgesamt lassen sich diese Fragestellungen wie folgt zusammenfassen: 81 Lohfink, Bibelauslegung. 82 Beck, Biologie; Beck, Schöpfungs- oder Naturwissenschaft. 83 Z. B. Grrr, Am Anfang, Illies, Jahrhundenirrtum, W. Kuhn, Darwin, W. Kuhn, Stolpersteine, Vollmert, Molekül', Shapiro, Schöpfung, Dose, Präbiotische Evolution', im Überblick: Junker «ScScherer, Entstehung Kap. 5. M Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß zahlreiche “Mosaikformen” existieren, die teilweise als Modelle für Zwischenstufen gewertet werden. Denn die paläontologischen Stammbäume sind durchweg strauchartig und nicht baumartig. Evolutionstheoretische Erklärungen für dieses systematische Fehlen sind fragwürdig. Die Diskussion ist hier offener geworden. Kann man die biblische Sicht der Welt- und Menschheitsgeschichte einerseits und eine evo-lutiv interpretierte Geschichte andererseits widerspruchsfrei miteinander verbinden, ohne daß Elemente der Evolutionslehre zurückgewiesen werden müssen und ohne daß die biblische Botschaft an Substanz verliert?85 Damit unmittelbar verquickt ist die Frage, was substantiell zur biblischen Botschaft gehört. Die Antwort auf diese Frage hängt mit von der hermeneutischen Position ab, die wiederum von der Vorgabe der Evolutionslehre beeinflußt sein kann. Dieser zirkuläre Zusammenhang verkompliziert die Fragestellung; er muß im Auge behalten werden. Diesen Fragen widmen sich die Kapitel 3 und 4. 2. Neben diesem kritischen Aspekt der vorliegenden Arbeit sollen aus der Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre Grundzüge einer positiven Verhältnisbestimmung von Daten der Natur- und Geschichtswissenschaften und dem biblischen Zeugnis entwickelt werden, die die traditionelle, biblisch begründete christliche Sicht von der Schöpfung in ihrem geschichtlichen Aspekt beibehält. Dieser Aufgabe stellt sich Kapitel 5. Da die Aussagen der Evolutionslehre biblische Inhalte z. T. in ihrem Kern betreffen - wie in dieser Arbeit im einzelnen gezeigt werden soll -, wird der Untersuchung ein Kapitel vorangestellt, in dem die wesentlichen Inhalte von Evolutionstheorien zusammengefaßt werden (Kapitel 2). Dabei geht es vornehmlich um solche Aspekte der Evolutionslehre, die allen Varianten -theistisch oder atheistisch - gemeinsam sind, die also in jeder Art von Vereinbarungsversuchen von Evolution und christlichem Glauben Relevanz besitzen. Auswahl der Autoren Die vorliegende Arbeit bietet keine geschichtliche Darstellung, sondern behandelt die anstehende Problematik nach systematischen Gesichtspunkten. Dabei wird keine Vollständigkeit in der Zitierung von Autoren angestrebt, die sich zum Spannungsfeld von Evolutionslehre und biblischer Ur- und Heilsgeschichte geäußert haben. Vielmehr stehen die vorgebrachten Argumente, die sich bei verschiedenen Autoren häufig wiederholen, im Mittelpunkt. Da es auf die Argumente ankommt, mag die Autorenauswahl gelegentlich willkürlich erscheinen. Im Wesentlichen erfolgte eine Beschränkung auf die Auseinandersetzung in unserem Jahrhundert und im deutschsprachigen Raum. Da man sich den hier behandelten Fragen in unserem Jahrhundert besonders im katholischen Bereich gewidmet hat, wird stärker auf katholische als auf evangelische Positionen eingegangen. Die Gründe für die unterschiedliche Gewichtung der Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre in beiden großen Konfessionen sollen hier nicht erörtert werden. Abgrenzung der Fragestellung Auf die naturwissenschaftliche Kritik der Evolutionslehre wird nicht näher eingegangen, da dies an anderen Stellen teilweise ausführlich geschehen ist.86 Es geht in dieser Arbeit um die theologischen Gesichtspunkte. Das ist allerdings nicht so zu verstehen, daß naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien keine Bedeutung für die anstehenden theologischen Fragen hätten — im Gegenteil. Doch soll keine Auseinandersetzung mit den naturwissenschaftlichen Argumenten pro und contra Evolutionslehre stattfinden. Die Diskussion der theologischen Argumente kann ohnehin großenteils unabhängig vom Plausibilitätsgrad der Evolutionslehre (nicht unabhängig von den Inhalten!) erfolgen. Philosophische Kritik an der Evolutionslehre als Allerklärungsprinzip wird ebenfalls nur am 85 In der Formulierung Scheffczyks, Chrisiogenese 168: “Kann bei der Transformation der biblischen Wahrheit in ein evoluti-ves Weltbild der Inhalt dieser Wahrheit erhalten bleiben oder vollziehen sich an ihr solche Veränderungen, daß die neue Gestalt der alten nicht mehr kongruent erscheint?” 86 Deftton, Evolution', Grrr, Am Anfang-, Ilues, Jahrhundertirrtum', Junker & Scherer, Entstehung, Kahle, Evolution; W. Kuhn, Darwin; W. Kuhn, Stolpersteine; Lonnig, Artbildung, Vollmert, Molekül; Scherer, Probleme (Literaturtiberblick) u. a. Rande berücksichtigt. Hierzu wird auf Heng- STENBERG87, VON StOCKHAUSEN88, LOCKER89, SpAE-mann & Löw90, Spaemann u. a.9' verwiesen. Weitgehend ausgeklammert bleibt auch der Bereich der Ethik, der im Zusammenhang mit der Evolutionslehre in die Soziobiologie führt, ein Gebiet, das eine eigene Behandlung erfordert und wegen seines Umfangs hier nicht ausführlich berücksichtigt werden kann. Eine Kritik soziobiologischer Auffassungen findet sich bei Hemminger.92 Auch die Sintflutthematik wird nicht systematisch behandelt, denn auch die Bearbeitung des Gebietes “Sintflut, Geowissenschaften und Paläontologie” würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 87 Hengstenberg, Evolution. 88 Von Stockhausen, Mythos. 87 Locker, Evolution. Spaemann & Löw, Wozu. 81 Spaemann u. a., Sein; Spaemann u. a., Evolutionismus. n Hemminger, Marionette, der allerdings die Evolutionslehre als Rahmenparadigma beibehalt. 2. Strukturen evolutionärer Konzepte Die vorliegende Untersuchung widmet sich den Konsequenzen für die christliche Schöpfungs-, und Erlösungslehre, die sich aus der Akzeptanz der Evolutionslehre ergeben. Für die Beurteilung solcher Folgerungen besteht die Schwierigkeit, daß es nicht die Evolutionstheorie schlechthin gibt. Es liegen recht unterschiedliche Evolutionsvorstellungen vor. Um theologische Bewer- tungen vornehmen zu können, ist es erforderlich, eine geeignete “Bezugsgröße” zu wählen. Ein solcher Bezugsrahmen liegt in den Gemeinsamkeiten aller Evolutionsvorstellungen. Nach einem Überblick über die wesentlichen Aspekte der Evolutionstheorien und der wichtigsten Varianten sollen die Grundelemente aller Varianten zusammengestellt werden (Abschnitt 28). 2.1 Zunehmende Komplexität Unter Evolution wird eine Kosmosgeschichte verstanden, die folgende Merkmale aufweist: 1. Ausgangspunkte einzelner Entwicklungsstadien sind Zustände jeweils geringerer Komplexität. Für den astrophysikalischen Bereich bedeutet dies, daß das Weltall mit seinen Galaxiensystemen im Anfang in einem strukturlosen Zustand war. Gegenwärtig haben sich sogenannte “Urknair’-Theorien etabliert, nach denen sich die Strukturen des Universums als Folge einer Ur-Explosion gebildet haben.1 In verschiedenen Phasen folgten einander die Zusammenlagerungen von Atomteilchen zu Atomen, von Atomen zu Molekülen usw. Im Laufe der Zeit bildeten sich im Weltall Sonnen und Planetensysteme, Galaxien und Galaxienhaufen; auf der frühen Erde begann eine “chemische Evolution” mit Zusammenlagerungen von Kleinmolekülen zu Molekülketten und einer Wechselwirkung zwischen verschiedenen Kettenmolekülen bis zur Entstehung einer ersten “Urzelle”. Bresch spricht vom Gesamtablauf als einem Prozeß wachsender Integration.2 Der chemischen Evolution folgt dem Evolutionskonzept gemäß die biologische. In diesem Bereich bedeutet Evolution die gemeinsame Abstammung aller Lebewesen von einem Urorga-nismus.3 In diesem Sinne — wachsende Komplexität und zunehmende Integration im Laufe der Zeit - soll im folgenden der Begriff Evolutionslehre (vgl. Abschnitt 1.1) gebraucht werden, unabhän- gig von speziellen Ausformulierungen in Fragen der Evolutionsmec/ia/mme/j und -faktoren. Evolution wird hier also immer im umfassenden Sinne gebraucht, nicht im Sinne einer bloßen Variation schon vorhandener Lebewesen oder Lebensstrukturen.4 Der postulierte Evolutionsprozeß ist der experimentellen Forschung prinzipiell nicht zugänglich, da es sich um einen vergangenen, einmaligen Ablauf handelt. Es können nur Spuren aus der Geschichte des Lebens und der unbeleb- 1 Die Urknall-Vorstellung gerät in den letzten Jahren aufgrund neuer unerwarteter Daten von Raumsonden allerdings mehr und mehr “unter Beschuß”, vgl. z. B. Oldershaw, COBE; Lerner, Whal's wrong. 2 Bresch, Zwischenstufe. Diese Szenarien sind jedoch durch Simulationsexperimente empirisch nur unzureichend gestützt. Heute wird offen eingeräumt, daß die bisherigen Forschungen im Bereich der chemischen Evolution bislang nur das Scheitern der getesteten Ansätze erwiesen hätten; vgl. Dose, Präbiotische Evolution; Shapiro, Schöpfung. 3 Angesichts einer Reihe von Schwierigkeiten wird verschiedentlich postuliert, ein “Urorganismus" habe die “Urerde" aus dem Weltall “infiziert" (Hoyle & Wickramasinghe, Evolution from Space). Das Problem der Biogenese wird dadurch natürlich der Lösung nicht näher gebracht. 4 Variation vorhandener Merkmale ist auch im Grundtypmodell der Schöpfungslehre deutbar, vgl. Abschnitt 5.5.1. Variation beruht im Wesentlichen auf der Auslese aus einer variablen Population (durch Züchtung oder aufgrund spezieller Umweltbedingungen), was Spezialisierungen zur Folge hat, und durch Änderungen des Erbguts (Mutationen). Durch Mutation konnte bisher jedoch nur vorhandenes Erbgut geändert (Mikroevolution), nicht jedoch qualitativ neues Erbgut erzeugt werden (Makroevolution); vgl. Junker & Scherer, Entstehung Kap. 3 und 4; Scherer, Photosynthese, Schneider, Kraftwerke. ten Welt sowie Phänomene der heutigen Welt als Indizien durch eine historische Rekonstruktion gedeutet werden. Zu den Phänomenen der heutigen Welt gehören auch Ergebnisse aus Simulationsexperimenten.5 Simulationsexperimente können nur darüber Auskunft geben, welche Prozesse auf einer gedachten frühen Erde abgelaufen sein könnten, nicht aber darüber, wie es tatsächlich war. Evolutionsforschung ist also im Grunde eine Geschichtswissenschaft, die neben den historischen Dokumenten (wie z. B. Fossilien, Abfolgen von Sedimentgesteinen usw.) auch Befunde aus dem experimentellen Bereich für historische Rekonstruktionen heranzieht. 2. Die Evolution verlief im wesentlichen klein-schrittig.6 Die auf biologischem Sektor maßgeblichen Mechanismen der Entwicklung (s. u.) können nach bisherigen Erkenntnissen nur allmähliche Änderungen bewirken (vgl. Abschnitt 2.4).7 3. Der zeitliche Rahmen der evolutiven Geschichte ist in Jahrmilliarden zu bemessen. Die großen Zeiträume müssen vorausgesetzt werden, da die Veränderungen nur kleinschrittig verlaufen sollen und daher sehr zeitraubend sind.8 Im folgenden werden wir uns weitgehend auf den biologischen Bereich beschränken. Für diesen Bereich heißt Evolution weiterhin: 4. Alle Arten von Lebewesen, die heute lebenden und die ausgestorbenen, sind durch gemeinsame Abstammung miteinander verbunden. Ausgangspunkt der Evolution war ein erstes einzelliges Urlebewesen.9 Das heißt: Alle Lebewesen hängen durch einen einzigen gemeinsamen Stammbaum genetisch miteinander zusammen. Auch der Mensch ist ein Zweigstück dieses Stammbaumes. 5. Für den Menschen bedeutet dies: Er hatte nicht immer seine heutige Erscheinungsform, sondern ein gedachter Organismenstamm wandelte sich allmählich über tausende von Generationen in einem Zeitraum von Millionen Jahren von der tierischen (affenartigen) zur menschlichen Gestalt. 6. Die Evolution läuft in Populationen ab.10 Populationen, durch Kreuzung miteinander verbundene Individuen einer Art, sind die Grundeinheit der Evolution. Die mutative (erbliche) Änderung einzelner Individuen ist zwar eine notwendige Voraussetzung für die Abwandlungen der Populationen und Arten, doch ist es erforderlich, daß Neuvarianten sich in der Population ausbreiten und andere Formen im Laufe der Zeit verdrängen. Die stammesgeschichtliche Evolution verläuft also nicht von Individuum zu Individuum oder von Pärchen zu Pärchen, sondern durch Abwandlung einer mehr oder weniger großen Gruppe." 5 Z. B. aus der sog. “Ursuppenchemie”. ‘ Vgl. Diskussion bei Vollmer, Erkenntnis 9f. I Vollmer, Erkenntnis 10: “Der Evolutionsbiologe sollte also zeigen können, daß das evolutive Geschehen sich über zahlreiche kleine, ungerichtete Mutationsschritte verstehen laßt, die nacheinander auftreten und von denen jeder oder nahezu jeder positiv bewertet und deshalb beibehalten wird.” 8 “Hopeful monsters" (plötzlich auftretende große Slrukturän-derungen von Organismen) und Punktualismus sind keine Gegenargumente gegen die prinzipielle Kleinschrittigkeit. Hopeful monsters müssen nach der Idee ihrer Vertreter die kleinschrittigen Änderungen latent angesammelt haben, bis sie plötzlich phänotypisch durchbrechen. Die Idee der hopeful monsters ist im übrigen nur ein theoretisches Konstrukt. Man spricht zwar bei den sog. “homöotischen Mutationen”, durch die (wie z. B. bei der Fruchtfliege Drosophila) ganze Körperteile an eine falsche Körperstelle geraten (z. B. Beine anstelle von Antennen), auch von “Monstermutationen”. Doch handelt es sich hierbei nicht um hopeful monsters, sondern um wenig hoffnungsvolle Mißbildungen, die auf einen Defekt in der Formbildung zurückzuführen sind. Nach der Vorstellung des Punktualismus geht die Evolution ebenfalls grundsätzlich kleinschrittig vor sich; im Gegensatz zum Gradualismus unterscheidet man lediglich Phasen schneller Anhäufungen kleiner Evolutionsschritte, denen lange Phasen von Stagnationen folgen. 9 Evtl, sehr wenige verschiedene Einzeller, was allerdings angesichts der tiefgreifenden Ähnlichkeiten aller Lebewesen unter evolutionstheoretischen Prämissen extrem unwahrscheinlich ist. 10 Vgi. z. B. Kull, Evolution 112ft.; Wuketits, Evolutionstheorien 62ff.; Mayr, Vielfalt 159. II In seltenen Ausnahmefällen kann unter passenden Rahmenbedingungen theoretisch auch nur ein einziges Paar Gründerpopulation einer neuen Art sein, nicht jedoch ein einzelnes Individuum. Voraussetzung dafür ist eine geographische Trennung (Separation) von den anderen Individuen derselben Art und dadurch die Verhinderung eines Genflusses. Während der Trennungszeit muß es außerdem zur Ausbildung von Isolationsmechanismen kommen, damit bei späterer Überlappung der besiedelten Areale eine erneute Vermischungausgeschlossen ist. Die biologischen und ökologischen Voraussetzungen für die Artbildung sind bedeutsam für die evolutive Entstehungstheorie des Menschen (vgl. Abschnitt 4.1). 2.2 Die Methodik der Evolutionsforschung In allen Lehrbüchern über die Evolutionslehre wird als eine der Aufgaben der Evolutionsforschung die Aufdeckung der Ursachen und Mechanismen genannt, die als Triebkräfte den Wandel in den Ahnenreihen bewirken. Ausgesprochen oder unausgesprochen lebt diese derzeit als am wichtigsten angesehene Aufgabenstellung der Evolutionsforschung von der Vorstellung bzw. Motivation, diese Mechanismen vollständig auf der Basis physikalisch-chemischgesetzmäßiger Grundlagen zu beschreiben.12 Die kausale Evolutionsforschung basiert auf der Meinung, die Entstehung des Lebens und die Höherentwicklung der Lebensformen allein durch immanente, regelhaft-kausale Prozesse erklären zu können. Mit der Evolutionslehre soll also nicht etwa nur der postulierte stammesgeschichtliche Verlaufbeschrieben, sondern es sollen auch Mechanismen der Evolution geklärt werden. Dabei ist man bemüht, möglichst strenge Gesetzmäßigkeiten abzuleiten: “Nur durch diese Gesetze, die man als Evolutionstheorie zusammenfaßt, wird die Evolutionsforschung zur Wissenschaft.”13 Diese ausschließliche Verwendung von prinzipiell empirisch erfaßbaren Gesetzmäßigkeiten unter Ausschluß supranaturaler Wirkungen wird gewöhnlich als “naturwissenschaftliche Methode” verstanden. In diesem Sinne soll der Begriff “naturwissenschaftlich ” im folgenden verstanden werden.14 Die Methode der Naturwissenschaft ist nach dem Biochemiker Kaplan durch einen Zyklus von Beobachtung, Induktion, Deduktion und Falsifikation gekennzeichnet, wobei dieser Durchgang mehrfach wiederholt werden kann. Dabei sollen alle Wissensgebiete und Fakten in ein Netz von Kausalbeziehungen eingefügt werden. Es sei legitim, wenn die Forschung vor keinem unverstandenen Problem Halt macht, sondern wenigstens versuche, die Welt der stofflichkörperlichen Dinge aus den ihnen allen gemeinsamen Bau- und Kausalgesetzen zu erklären. Dabei werden die Lebewesen und ihr Ursprung, aber auch ihre seelischen Vorgänge ausdrück- lich eingeschlossen.15 Aus den eben geschilderten Ausführungen Kaplans geht bereits hervor, daß auch in der Rekonstruktion der Naturgeschichte naturwissenschaftlich nicht faßbare Wirkungen nicht berücksichtigt werden sollen. Wenn auch solche Wirkungen nicht ausgeschlossen werden können, so hat die Rekonstruktion der Naturgeschichte doch so zu erfolgen, als ob kein Schöpfer am Werke gewesen wäre.16 Der Philosoph Vollmer bemerkt hierzu: “Vor allem wird kein teleologisches Element in evolutionistische Erklärungen aufgenommen.”17 Rensch sieht Evolution “immer deutlicher” als zwangsläufigen Vorgang an, “d. h. daß sie sich dem lückenlosen kausalen Geschehen einfügt, das die Geschichte unseres Planeten und des uns bekannten Universums beherrscht.”18 Nach Kaplan ist es Ziel der Evolutionsforschung, “die Entstehung des Lebens naturwissenschaftlich zu verstehen bzw. zu erklären.”19 Dieses Ziel wird auch durch die Auffassung Kaplans deutlich, es sei “schon gelungen, mögliche Wege zu konstruieren, die die Biogenese aus natürlich-physischen Vorgängen 12 Als weilere Aufgaben der Evolutionsforschung werden genannt: 1. Zusammenstellen von Belegen dafür, daß eine universelle Evolution stattgefunden hat. Diese Aufgabe gilt als gelöst. Das “Faktum der Evolution” wird weder hinterfragt noch gezielt durch weitere Indizien zu stützen versucht; manche Lehrbücher verzichten inzwischen darauf, Belege überhaupt noch anzuführen (z. B. Kull, Evolution). 2. Die Rekonstruktion von Stammbaumen einzelner Organismengruppen. Dieser Aufgabenbereich hat nicht den Stellenwert wie die kausale Evolutionsforschung. 13 Kull, Evolution 1; Zimmermann, Sielhoden 129—153 (besonders 153). 14 Kraus, SystTheol 255: “Naturwissenschaft hat es mit immanenten, empirischen Weltverhältnissen zu tun, in ihrem Beob-achtungs- und Forschungsbereich kommt Gott nicht vor. Objektivität und Kritik befördern einen ‘methodischen Atheismus’. Die Theologie kann diesem Prozeß nur zustimmen. 15 Kaplan, Ursprung 18f. Vgl. dazu aber das Theorienpluralismus-Modell (Abschnitt 1.4). 16 Kritik zu dieser Vorgehensweise im Abschnitt 4.7. 17 Vollmer, Evolutionäre Erkenntnistheorie 63. 18 Rensch, Biophilosophie 115. 18 Kaplan, a. a. O. 16. erklären können.”20 Nach den bisher erarbeiteten Einsichten sei die Fähigkeit der Materie, belebte Systeme zu entwickeln, allein in ihrer Struktur und ihren möglichen Wirkungen gegeben.21 Der Darwinismus sei überholt - so Eigen & Winkler22 — nicht weil seine Gegner, die Vitali-sten, am Ende doch recht behalten hätten, sondern weil ein auf die fundamentalen Prinzipien der Physik zurückführbares Naturgesetz (sie meinen damit das Prinzip einer Makroevolution) nicht als “Ismus” bezeichnet werden sollte. Dieses Gesetz der Evolution sei die Grundlage aller biologischen Selbstorganisation, von der Evolution über die Morphogenese bis zu den Gedächtnisleistungen des Zentralnervensystems. Wenn auch noch manches geheimnisvoll erscheine, z. B. nicht-materielle Wirkungen aus materieller Organisation, so liege das am Mangel an Detailwissen, nicht aber an Widersprüchen zu den bekannten Gesetzmäßigkeiten der Physik. Der Versuch, das Phänomen Leben auf die Gesetze der Physik und Chemie zurückzuführen, würde dadurch nicht in Frage gestellt.23 Jessberger schreibt: “Für die wissenschaftliche Betrachtung von Naturprozessen sind ausschließlich kausale Erklärungsweisen annehmbar.”24 Dabei ist für ihn der Evolutionsprozeß eingeschlossen. “Die Evolutionstheorie ist. . . der Versuch, das Entstehen und Werden der gesamten Wirklichkeit aus dieser selbst zu erklären, d. h. aus Gründen, Gesetzmäßigkeiten und Prozessen, die in ihr liegen” (Kaiser).25 Nach einem Grund außerhalb der Materie-Welt werde prinzipiell nicht gesucht. Das gelte auch dann, wenn für qualitativ-wesentliche Sprünge keine hinreiche Kausalerklärung gefunden wird; der Grund werde dennoch selbstverständlich im Prozeßgeschehen selbst gesucht.26 Fäh sieht den Prozeß der Lebensentwicklung als genetisch erklärbar an.27 Auch der Biologe und Erkenntnistheoretiker WuKEms äußert sich in diesem Sinne: “Wie immer die Evolutionsmechanismen im einzelnen gedacht werden, der Evolutionstheoretiker operiert nicht mit übernatürlichen Kräften, sondern versucht, die Evolution durch natürliche Kräfte zu erklären... Die Ursachen für die Phänomene werden in den Phänomenen selbst gesucht.”2* -“Der Evolutionsbiologe... wird, dem Selbstverständnis seiner Wissenschaft gemäß, die Kausalität der Phänomene in den Phänomenen selbst suchen und auf die Annahme jeder ‘höheren Kraft’ verzichten.”29 Für den Biologen Mahner gilt das Axiom, wonach es auf dieser Welt ausschließlich mit natürlichen Dingen zugeht, nicht nur für die Evolution oder die Biologie, sondern für alle Wissenschaften.30 Er lehnt die Einschränkung des “methodischen Atheismus” auf den Experimentalrahmen ausdrücklich ab.31 “Unsere Welt ist eine notwendige Folge des ‘Urknalls’, aber nur eine aus einer unübersehbaren Zahl von möglichen Welten.”32 Der Biologe Kull zitiert in diesem Zusammenhang Eigen: “Alles Geschehen in unserer Welt gleicht einem großen Spiel, in dem von vornherein nichts als die Regeln festliegen.” 20 Ebd. IV. 21 Ebd. 281. Durch das Eingreifen mikrophysikalischer Einzelakte ins Lebensgeschehen erhält die Evolution nach Kaplan (ebd. 21) eine .sMrumr/i-kausale, “indeterministische” Komponente. Somit sei die Evolution nicht allein mechanistisch zu verstehen, sondern sei durchsetzt mit nur statistisch bestimmten, “freien" Einzelereignissen. Die monistische Erklärung des Lebens und seiner Geschichte bleibe davon, ob die Kausalität streng oder statistisch sei, unberührt (22). Sie deduziere die Lebendigkeit einschließlich der Evolution aus den für alle stofflichen Systeme gehenden Grundgesetzen (22). “Die mikrophysikalischen Wahrscheinlichkeitsgesetze erlauben keineswegs, daß durch Eingriff übernatürlicher Mächte etwa zweckmäßige Erbänderungen häufiger oder zu günstigeren Zeitpunkten geschehen, als sie durch die stoffliche Struktur der Erbsubstanz der existierenden Individuen in ihren Wahrscheinlichkeiten festgelegt sind. Der Evolutionsmechanismus der natürlichen Auslese von Erbvarianten schließt deren ungerichtete, ‘blinde’ Zufälligkeit sogar als Notwendigkeit für Leben ein" (22). Die Tatsache, daß noch keine überzeugende naturwissenschaftliche Theorie der Biogenese eni-wickelt werden konnte, bedeute keineswegs, daßdie naturwissenschaftliche Methode unfähig sei, das Problem des Lebensursprungs zu lösen (23). 22 Eigen & Winkler, Spiel 189. 23 Ebd. 189f. 24 J essberger, Krealiotusmus 25. 23 Kaiser, Problem 16. 26 Ebd. 17. 27 Fäh, Biologie 10. 28 WuKEms, Kreationismus 29. 29 Wuketits, Evolutionstheorien 31. 30 Mahner, Schöpfungstheorie 33. 31 Ebd. 34. 32 Kull, Evolution 286. Auch von wissenschaftsphilosophischer Seite kommt Unterstützung für diese Sichtweise. Stegmüller plädiert für eine Orientierung am Subsumtionsmodell, d. h. die Auffassung der Evolution als einen wissenschaftlich erklärbaren Prozeß, der unter klar formulierbare und nachprüfbare Gesetze subsumiert werden könne.33 Wuketits sieht als eine Folge der modernen Evolutionstheorie die “Verabschiedung des Gedankens an universelle Zwecke”. Die Teleologie habe abgedankt. Aus einer biologisch zu verstehenden Evolutionslehre könne man keinerlei Hinweise dafür ableiten, daß die Entwicklung der Organismen irgendwo an einem vorgesehenen Endpunkt irgendein Ziel erreicht haben wird.34 Funktionale Anpassungen seien historisch zu verstehen.35 “Der in einer Struktur, Funktion oder Verhaltensweise sichtbare Finalnexus läßt sich rückwärts in einen Kausalnexus auflösen.”36 Damit werde dem Finalnexus jeder ‘echt’ teleologische Zug genommen.37 Auch Mayr, einer der Konstrukteure der modernen Evolutionslehre auf dem Gebiet der Biologie, konstatiert eine “Ausschaltung der Planmäßigkeit aus der Natur.”38 Die Erkenntnismethode der Evolutionsforschung wird indirekt auch daran deutlich, daß als eines der Kennzeichen der konkurrierenden Schöpfungsforschung die Ablehnung der Vorstellung einer natürlichen und im Diesseits erklärbaren Entwicklung von Vielfalt, Komplexität und Ästhetik genannt wird.39 Das impliziert, daß für die Evolutionslehre das Gegenteil vorauszusetzen ist.40 Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß der Durchbruch des Evolutionsgedankens nach der Veröffentlichung von Charles Darwins “Entstehung der Arten” eng damit verbunden war, daß Darwins Theorie einen natürlichen Mechanismus für Evolution anbieten konnte, die Selektionstheorie (vgl. Abschnitt 2.4). Zwar war die Selektionstheorie heftig umstritten (während der Evolutionsgedanke an sich relativ schnell weitgehend akzeptiert wurde), aber Darwins Versuch einer mechanistischen Erklärung hatte Hoffnungen geweckt, das Problem der Entstehung des Lebens mit naturwissenschaftlichen Methoden lösen zu können.41 “Nicht vom Schöpfungsglauben zum Entwicklungsgedanken, sondern von der Einstellung der Unlösbarkeit der Frage nach der Herkunft der Arten zu der Hoffnung, daß sich diese Frage vielleicht doch auf wissenschaftliche Weise lösen lassen würde, bekehrten sich Darwins Kollegen.”42 “Ein Betrachten der ‘Durchsetzungsgeschichte’ des Darwinismus zeigt, daß tatsächlich der Wunsch nach einer natürlichen Erklärung das stärkste ‘Argument’ für Darwin war.”43 Zur Herkunft des Neuen Durch Evolutionsforschung soll die Entstehungsweise von Neuem in der Evolution geklärt werden. Die Forschung beschränkt sich nicht darauf, Veränderungen am Vorhandenen zu erklären, sondern durch sie soll das echt Neue von “primitiveren” Ausgangsbedingungen abgeleitet und verstanden werden. Mit dem Begriff “Evolution” wird das mit der Abstammungslehre Gemeinte paradoxerweise nicht getroffen. Denn “Evolution” meint die Ausprägung von bereits Vorhandenem,44 nicht die Entstehung von echt Neuem.45 Der Begriff “Evolution” wird auch für die Individualentwicklung (mit Recht) verwendet; noch einige Jahrzehnte nach dem Durch- 33 Stegmüller, Probleme 768, 762. 33 Wurettts, Evolution 53. 35 Ebd.55. 36 Ebd.57. 37 Das Zitat S. 57 drückt indirekt die Methode und das Ziel der Evolutionsforschung aus, auch wenn sie oft nicht explizit genannt wird. 38 Mayr, Vielfalt 14. Diese Position wird von Spaemann & Low, Wozu, detailliert kritisiert. 39 Stripf u. a., Kreationismus 2. 40 J. Haas, Biologie 18, stellt fest, daß sich bei vielen Biologen die Überzeugung gefestigt habe, das Leben könne "weiter nichts” sein als ein materieller Prozeß. So komme es, daß die wissenschaftliche Biologie ein ausgesprochen materialistisches Gepräge habe. 41 Stuhlhofer, Darwin 118; Stuhlhofer, Weltengrund 497. 42 Stuhlhofer, Darwin 118. 43 Stuhlhofer, Weltengrund 497. 44 Wörtlich “Herauswälzung”; es kann aber nur etwas “herausgewälzt” werden, was bereits vorhanden ist. Schmitz-Moormann, Möglichkeiten 86, beklagt, daß selbst die Begriffe Evolution und Entwicklung uns in eine statische Sicht des Universums versetzen, weil sie wörtlich ein “Auswickeln” meinen. “Eine solche Vorstellung von Evolution läßt sich sinnvoll nicht vertreten.” 45 Locker, Evolution', Blechschmidt, Erhaltung. bruch der ÖARWiNschen Theorie wurde sie nicht “Evolutionstheorie”, sondern “Deszendenztheorie” oder “Abstammungslehre” genannt. Erst später wurde der Begriff “Evolution” mißbräuchlich für die Abstammungslehre benutzt. Vor diesem begrifflichen Hintergrund wird verständlich, daß der Anspruch der stammesgeschichtlichen Evolutionslehre neue Wortschöpfungen erforderlich macht. Man spricht von “Fulgura-tion” (“Blitzschlag”)46, “Emergenz” (“Auftauchen”)47 oder “Selbstorganisation”4®. Vollmer bedauert, daß die Begriffe “Evolution” und “Entwicklung” vom Wortsinn her eine präformisti-sche Deutung nahelegten, was aber gerade ausgeschlossen sein solle.49 Die Evolutionstheoretiker wollen also mehr als nur die Entfaltung von Vorhandenem erklären.50 Mit “Fulguration” oder “Emergenz” soll dagegen zum Ausdruck gebracht werden, daß Neues in der Evolution einerseits nicht vorhersehbar ist und wie ein “Blitzschlag” (fulgur) auftaucht, andererseits in den vorhergehenden Bedingungen des Ausgangszustandes ausreichende Ursachen Vorgelegen haben. Auf einer höheren Inte-graticnsstufe der Evolution sollen neue Systemeigenschaften unerwartet und unvorhersehbar auftreten, aber nicht etwa durch ein übernatürliches Geschehen, sondern ganz auf der Basis physikalisch-chemischer Gesetzmäßigkeiten. Der Fulgurationismus und der Emergentismus entpuppen sich als materialistische Varianten der Evolutionsanschauung.51 Der Begriff “Selbstorganisation” suggeriert ein organisierendes “Selbst”, ein handelndes Subjekt in der Evolution.52 Da nach Auskunft der Wissenschaftler, die diesen Begriff bevorzugen, dies gerade nicht mit ihm gemeint sei, ist er ebenso wie der Begriff “Evolution” ungeeignet, um den postulierten Prozeß der Abstammung des Komplexen vom Einfachen zu beschreiben.53 2.3 Vom Gen zum Phän Formbildung, Hierarchieebenen der Organismen und das Leib-Seele-Problem Das Ziel der Evolutionsforschung, das Werden der Organismen durch physikalisch-chemische Gesetzmäßigkeiten unter natürlichen Randbedingungen (z. B. “Ursuppen”-Bedingungen) zu erklären, schließt das Bemühen ein, die Lebensäußerungen als Ausdruck materieller Konstellationen verständlich zu machen. Damit verbindet sich die Vorstellung, die Erscheinungsweisen (Phänotyp) und die Formbildung der Lebewesen durch das in der DNS verschlüsselte Erbgut (Genotyp) und die in der befruchteten Eizelle gegebenen Randbedingungen erklären zu können. Seelische oder geistige Aspekte des Lebens werden nach diesem Ansatz als Epiphänomene der Materie und daher als irrelevant für das Verständnis von Leben und seinen Erscheinungsweisen gewertet. In diesem Sinne arbeiten die meisten Evolutionsforscher methodisch materialistisch und versuchen, “von unten nach oben” zu erklären, d. h. das Phän (die äußere Form und Struktur des Organismus) vom Genotyp (den genetischen Grundlagen) abzuleiten. Allerdings sind keineswegs alle Evolutionsanschauungen materialistisch orientiert. Finalisti- 44 Nach Lorenz, Rückseite. 47 Vgl. Vollmer, Erkenntnis 178; Wuketits, Evolutionäre Erkenntnistheorie 23f. 48 Eigen, Seiforganization', Eigen & Winkler, Spiel. 49 Vollmer, Evolutionäre Erkenntnistheorie 67. 50 Im Gegensatz zur Auffassung Scheffczyks, Schöpfungswahrheit 312, die Evolutionslehre wolle “nur die Entfaltung des schon Vorhandenen erklären... Wenn man sich streng an den Begriff‘Evolution’ halt, hat man eigentlich schon zugegeben, daß man gar nicht den Ursprung des Seins der Dinge erklären will, sondern nur die Veränderung am Seienden.” Genau damit begnügt sich die Evolutionsforschung gerade nicht. Evolution in ihrer allgemeinsten Fassung meine vielmehr - so Schmitz-Moormann (Evolutionstheorie 33) -, “daß etwas Neues wird, das vor dem Zeitpunkt dieses Gewordenseins nicht vorhanden, auch nicht keimhaft vorhanden war. Die Evolutionstheorie in ihrer allgemeinsten Fassung besagt somit, daß ein Mehr aus dem Weniger hervorgeht.” 51 Löw, Evolution. 52 Vgl. zur Begriffskritik in Evolutionstheorien Locker, Evolu- sehe Evolutionstheorien wie die von Teilhard de Chardin (vgl. Abschnitt 4.2.1), Eccles54, von Drr-furth55 u. a. gehen von einem geistigen Prinzip aus, durch dessen Wirkung erst die Lebewesen und ihre Evolutionsgeschichte verstanden werden können. Von Ditfurth beispielsweise vertritt die Auffassung, daß im Laufe der Evolution sich der Geist immer mehr in den höherentwik-kelten Evolutionsstufen manifestiert.56 Die enormen Erfolge der Biochemie und Molekularbiologie scheinen den Ansatz, die Lebewesen (oder das “Leben” schlechthin) durch die Eigenschaften der biologischen Makromoleküle zu erklären zu versuchen, zu bestätigen. Die Entdeckung der DNS als Informationsträgerin (Erbfaktoren) für die “Bausteine des Lebens”, die Entschlüsselung des genetischen Codes, die Aufklärung von Transkription und Translation und viele weitere Erkenntnisse über die DNS haben das Schlagwort von der “DNS als T rägerin des Bauplans der Lebewesen” aufkommen lassen. Die Erfolge in der Erforschung der Lebensvorgänge sind in der Tat bewundernswert. Trotz allem wird damit das Phänomen “Leben” nicht erfaßt, geschweige denn erklärt. Man weiß zwar, wie in der Zelle Proteine hergestellt werden, aber nicht, warum die verschiedenen Zellen je nach der räumlichen Lage im wachsenden Organismus zu verschiedenen Zeiten gerade die jeweils erforderlichen Proteine hersteilen mit dem Ergebnis, daß aus einer einzigen befruchteten Eizelle die verschiedenartigsten Zelltypen hervorgehen (Differenzierungsprozeß). Ein Rätsel ist auch nach wie vor, wie es möglich ist, daß Körperzellen sich zu Organen ganz bestimmter Größe und Form zusammenlagern (Ausbildung des Phänotyps). Die molekularen Bausteine, deren Sequenz in der DNS verschlüsselt ist (Genotyp), werden zu Formen zusammengelagert, die bisher, von wenigen Teilaspekten abgesehen, nicht aus den Eigenschaften der Bauelemente abgeleitet werden können. Damit erhebt sich die Frage nach formgebenden Instanzen. Nach allem, was man heute über die DNS weiß, ist die DNS nicht diese Instanz. Isolierte DNS-Moleküle sind “tot”. Sie sind keine Akteure, sondern re agieren auf bestimmte Reize im Zellganzen. Die DNS ist zwar eine unabdingbare Voraussetzung für die Lebensprozesse, und die Vorgänge in der Zelle bzw. im ganzen Organismus sind an das “Baumaterial” gebunden, das in der DNS codiert ist, aber durch die Bausteine (Proteine) und deren Bauplan (DNS) werden die raum-zeitlichen Formbildungsvorgänge nicht erklärt. Auch das hauptsächlich an Bakterien gewonnene Wissen über Gen-Regulation (Existenz sogenannter Regulatorgene, deren Produkte bei der Steuerung der Transkription (Ablesung) von Strukturgenen beteiligt sind) gibt hier keine Antwort, da nach der Steuerung der Regulatorgene weitergefragt werden muß. Die Genome (das Erbgut) der Organismen sind also nicht chaotische Ansammlungen von Genen, sondern wirken hierarchisch gesteuert. Man unterscheidet zwischen Strukturgenen, den “Vorlagen” für die Proteine, und Regulatorgenen, die für das kontrollierte Ablesen der Strukturgene benötigt werden. Strukturgene sind (ion; Beck, Universalität 218. Eine teilweise kritische Auseinandersetzung mit Selbstorganisationskonzepten, allerdings unter Vorgabe des evolutionären Paradigmas bietet Niemann, Selbstorganisation. 53 “Die Vertreter einer epigenetischen Auffassung der Evolutionslehre im Sinne einer ‘emergent evolution’ betonen heule selber die Unableitbarkeit der spateren aus den früheren und niedrigeren Lebensformen” (Pannenberg, Schöpfungstheo-logie 289; vgl. Pannenberg, SystTheol 147; Pannenberg, Creation). In der Sicht der emergentistischen Evolution bleibe die Kontingenz der neu auftretenden Formen gewahrt, und daher stehe die Evolutionslehre nicht im Gegensatz zu den leitenden Intentionen des Schöpfungsgedankens (Pannen berg, Schöpfungstheologie 290). "Entscheidend für die Möglichkeit einer theologischen Interpretation der evolutiven Prozesse im Sinne eines schöpferischen Geschichtshandelns Gottes ist der 'epigenetische', auf jeder Stufe durch das Hinzutreten von unableitbar Neuem gegebene Charakter der Evolution” (SystTheol 147). Pannenberg übersieht, daß der Emergentismus das Auftreten neuer Systemeigenschaften in keiner Weise mit dem Wirken einer supranaturalen Kraft in Verbindung bringt. Das Neue tritt zwar überraschend auf, soll aber auf naturgesetzlicher Basis voll verstehbar sein (vgl. WuKETrrs, Evolutionäre Erkenntnistheorie, Vollmer, Erkenntnis). Der Emergentismus kann nicht als Beieg dafür herangezogen werden, daß der Rekonstruktionsansalz der Evolutionslehre für das souveräne Handeln eines im Evolutionsprozeß wirkenden Gottes ausdrücklich offen sei. 54 Eccles & Robinson, Wunder. 35 Von DrmiRTH, Leib-Seele-Problem', von DnruRTH, Nicht nur von dieser Welt. » Ebd. “Bauanleitungen” für die Eiweißstoffe (Proteine), die für den Aufbau und den Stoffwechsel der Organismen benötigt werden. Die Regulatorgene sind erforderlich, um den zeitgerechten Einsatz der Strukturgene zu kontrollieren. Regulatorgene werden bei der Steuerung der Produktion derjenigen Proteine eingesetzt, die von Strukturgenen codiert werden. Die Regulatorgene steuern selber nicht, sondern sind lediglich eine notwendige Voraussetzung dafür, daß die Information auf den Strukturgenen kontrolliert abgelesen und für den Zellstoffwechsel zur richtigen Zeit nutzbar gemacht werden kann. Die Regulatorgene bedürfen ihrerseits der Regulation. Deren Steuerung muß wiederum durch eine weitere übergeordnete Instanz geregelt werden. So kommt man zu immer höheren hierarchischen Steuerinstanzen. Zunächst ist also festzuhalten, daß man nach bisherigen Forschungsergebnissen davon ausgehen muß, daß die Genome und ihre informationsgesteuerten Funktionszyklen hierarchisch strukturiert sind. Aufgrund seiner ausgiebigen Studien der menschlichen Embryonalentwicklung gelangt Blechschmidt57 zur Sichtweise, daß nicht Stoffe (etwa DNS oder Hormone), sondern Gestaltungskräfte die Motoren der Formbildung sind.58 Der menschliche Embryo entwickelt sich - wie Blechschmidt sich ausdrückt — durch Arbeit gegen Widerstand. Gutmann sieht die Formbildung als aktive, endogene Leistung des organismischen Systemes, dem er “Subjektcharakter” zuschreibt.59 Allerdings entzieht sich die steuernde Instanz (die Gestaltungskraft) der wissenschaftlichen Verobjektivierung, d. h. sie kann nicht in exakten Gesetzmäßigkeiten eingefangen werden. Doch um die Lebensäußerungen der Organismen verstehen zu können, ist das Postulat einer steuernden Instanz sinnvoll. Man könnte sie die “Ganzheit” eines Organismus nennen oder vom “handelnden Organismus” oder auch von der “Seele” und in diesem Sinne von einem “Leib-Seele-Problem derTier- und Pflanzengestalt” sprechen. (“Seele” ist dabei nicht im Sinne der Tier- und Menschenseele, der des alttestamentlichen Sprachgebrauchs zu verstehen, sondern als Kurzwort für die erwähnte Steuerungsinstanz.) Noch einmal: Es ist nicht möglich, unter Reduktion auf Teilsystemebenen der organismischen Ganzheiten die Organismen zu verstehen. Die “steuernde Instanz” (die “Seele”, die gestaltende Kraft) kann allerdings nicht vorgezeigt, sondern nur an ihren Wirkungen erkannt werden.“ Nicht nur die Ergebnisse der Embryogeneseforschung lassen nicht-verobjektivierbare Steuerungsinstanzen (“Seele”) plausibel erscheinen. Auch die Gehirnforschung hat viele Ergebnisse erbracht, die es nahelegen, daß Seelisches nicht etwa Nebenwirkung von Körperlichem (z. B. Stoffwechselvorgängen) ist (im Sinne eines materiellen Monismus). Die seelischen Begleiterscheinungen körperlicher Vorgänge wirken auf diese zurück und umgekehrt.61 Mit diesen Darlegungen ist das uralte “Leib-Seele-Problem” aufgeworfen. Darunter versteht man die “Frage nach der Seinsweise von Leib und Seele, allgemeiner von Materie und Geist, und nach ihren wechselseitigen Beziehungen”62. Nach Vollmer stehen sich in der Verhältnisbestimmung von Materie und Geist (bzw. Leib und Seele) vor allem Interaktionismus und Identitätstheorie gegenüber.63 Nach dem interaktioni-stischen Modell verhalten sich Materie und Geist wie Musikinstrument und Spieler.64 Dem empi- 57 Blechschmidt, Erhaltung. 58 Ähnlich haben sich unter evolutionstheoretischen Prämissen Gutmann, Evolution, Gutmann & Bonik, Kritische Evolutionstheorie, und Franzen, Biogenetisches Grundgesetz, geäußert. 59 In einem Vortrag am 25. April 1992 in der Gustav-Siewerth-Akademie Weilheim-Bierbronnen; vgl. Gi/imann, Evolution M Ein Vergleich mag dies verdeutlichen: Die Herstellung eines Tisches erfordert Baumaterial, Bauplan und einen Handwerker. (Die Herkunft des Bauplans spielt in diesem Vergleich keine Rolle.) Nun blende man bei der Beobachtung der Entstehung des Tisches das formende Handeln des Handwerkers aus. Man kann auch ohne Kenntnis des Handwerkers registrieren, wie die zunächst noch ungeformten Baumaterialien “sich zusammenfügen’’. Töricht wäre es aber zu behaupten, das Formprinzip des Tisches liege in seinen Bausteinen oder im Bauplan. Auf diesen Ebenen ist die Tischform nicht verstehbar. Bauplan und Material ergeben noch keinen Tisch. 61 Popper & Eccles, Das Ich', Eccles & Robinson, Wunder. Auf die Details und Begründungen kann in dieser Arbeit nicht eingegangen werden. 62 Vollmer, Erkenntnis. ö Ebd. 80 64 Vgl. dazu Beck, Universalität 23211. risch arbeitenden Naturwissenschaftler ist — in diesem Vergleich gesprochen — der Spieler nicht zugänglich. Lediglich seine Wirkung kann sich empirisch faßbar niederschlagen. Phänomene z. B. aus der Embryologie (Morphogenese) und der Gehirnforschung werden von Vertretern des Interaktionismus in diesem Sinne interpretiert. Dagegen vertreten die meisten zeitgenössischen Biologen die Identitätstheorie, wonach Geistiges ein Epiphänomen des Materiellen ist. Folglich wird die Entstehung des Geistes in der Evolution nicht als etwas wirklich Neues verstanden, sondern als Ausdruck dessen, daß ein bestimmter materieller Komplexitätsgrad erreicht wurde, dessen Nebeneffekt Geistiges darstellt.65 Die beiden einander gegenüberstehenden Verhältnisbestimmungen von Leib und Seele kann man auf folgenden Nenner bringen: Bedient sich die Seele des Leiblichen, um sich auszudrücken oder ist Seelisches eine Funktion des Materiellen? Im Rahmen der biologischen Evolutionslehre ist diese Alternative in der Bestimmung des Verhältnisses von Genotyp und Phänotyp bedeutsam. Nach klassisch molekularbiologischer, wenn auch unbewiesener Sicht bedingt der Genotyp den Phänotyp. Die oben angeführten Überlegungen lassen dagegen den Genotyp lediglich als notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Ausprägung des Phänotyps erscheinen. Der Genotyp muß demnach von einer gestaltenden Instanz (“Seele” im o. g. Sinne) zur Formbildung herangezogen werden. Einen Weg vom Gen zum Phän gibt es nur, wenn diese gestaltende Größe wirkt. Die Formbildungsproblematik und die sich angesichts vieler biologischer Phänomene aufdrängende Frage nach gestaltenden Instanzen läßt nach einem Zusammenhang der Biologie mit der Informationswissenschaft fragen. In den Organismen wirkt Information, Lebensprozesse sind informationsgesteuert. Für den Bereich der Technik hat Girr herausgearbeitet, daß Information als dritte Grundgröße neben Materie und Energie behandelt werden muß.66 Als grundlegende Theoreme nennt Gitt u. a., daß es keine Information ohne geistigen Urheber gebe, daß Information wesensmäßig eine geistige, aber keine materielle Größe sei und daß es keine Information ohne einen Willen gebe. In statistischen Prozessen könne keine Information entstehen. Noch ist es allerdings nicht gelungen, biologische Information zu definieren. Angesichts der Komplexität biologischer Prozesse handelt es sich um eine gewaltige Aufgabe. Die Problemanzeige und die Nennung der damit verbundenen Aufgabe muß an dieser Stelle genügen. Hier muß interdisziplinär gearbeitet werden. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels werden Merkmale aller Evolutionstheorien zusammengestellt. Zum Leib-Seele-Problem gibt es hier keine einheitliche Sichtweise; in dieser Beziehung können Evolutionstheorien stark variieren. Auch Eccles, der die Interaktionstheorie entschieden vertritt, bevorzugt ausdrücklich die Evolutionsanschauung.67 Da es in dieser Arbeit um theistische Evolutionskonzepte geht, wird auf die materiell-monistische Sicht des Geistigen nicht weiter eingegangen.68 2.4 Evolutionsmechanismen Grundsätzlich muß zwischen “Evolutionslehren” bzw. allgemeinen Evolutionsanschauungen als beschreibenden Rekonstruktionsversuchen der Organismen- und Kosmosgeschichte und erklärenden Theorien unterschieden werden, die die Mechanismen und Faktoren untersuchen, welche den Prozeß der Evolution bewirken konnten und weiter voranbringen (z. B. Neodarwinismus, Synthetische Theorie, Systemtheorie der Evolu- tion, Neutrale Theorie, kybernetische Theorie). Dennoch ist mit dem Evolutionsgedanken an sich (d. h. der Evolutionsanschauung als solcher) 65 Vollmer, im Sinne von “weil” oder “aufgrund dessen, daß” werden heute kaum noch Zweifel geäußert. Sie entspricht dem Sprachgebrauch des Paulus, ist aber grundsätzlich für eine relativische Deutung offen. Letztere war lange Zeit gemäß der von Augustinus vorgenommenen Vulgata-Übersetzung (“i" = “in quo”: “in welchem alle sündigten") maßgeblich. Staudinger, Erbsündenlehre 241, will das unbequeme “weil-alle-gesündigt-haben” unbedingt stehen lassen. Er übersetzt: “weil die Bedingung erfüllt ist, daß alle gesündigt haben” (245). 21 Dieser Nachsatz hat die Exegeten über die Maßen beschäftigt. Für Baumann, Erbsünde, scheint in ihm geradezu der Haupl- Es gibt jedoch zwei Möglichkeiten, einen Widerspruch zu vermeiden. Die eine Möglichkeit besteht darin, im Sündigsein zwei in Spannung zueinander stehende Aspekte zu sehen, einerseits ein Verhängnis, andererseits eine persönliche Schuld.22 Diese Deutung ist durch das Gesamtzeugnis des NT insofern gedeckt, als Sünde allenthalben einerseits als dem Menschen gegenüberstehende Macht erscheint (Röm 5,21; 6,6.12.17—20.22), andererseits der Mensch aber für seine persönliche Sünde zur Rechenschaft gezogen wird.23 Es ist aber auch durchaus möglich, daß das anfangs so betonte öievos avüpdmov in V. 12d zu ergänzen ist. Das bedeutete dann, daß das Sündigen aller eben mit diesem einen Menschen zu tun hat, und der Widerspruch wäre beseitigt. Dieses Vorgehen ist aus folgenden Gründen berechtigt:24 1. Es wird durch den Kontext nahegelegt, denn es ist grundsätzlich unglaubhaft, daß ein Autor sich im selben Satz widerspricht, um später (V. 18f.) den zunächst (V. 12a-c)geäußerten Gedanken nochmals klar zu betonen. Im Kontext wird der Tod aller in der Weise auf Adam zurückgeführt wie die Gerechtigkeit aller auf Christus. 2. Die Möglichkeit, daß der Tod aller aufgrund der individuellen Sünde aller erklärt werden soll, scheidet weiterhin aufgrund des unmittelbar vorhergehenden Kai ovtto?... aus (s. o.): “Und so” - wie durch den einen Menschen die Sünde und mit ihr der Tod in die Welt kamen -drang der Tod zu allen Menschen durch — also ebenso durch den einen. 3. Der Tod der kleinen Kinder wäre unerklärlich.25 Da äpapravEiv Sünde als Akt bezeichnet, können die kleinen Kinder nicht in diesem Sinne gesündigt haben (wenn sie auch sündige Anlagen haben sollten). 4. In V. 13f. sagt Paulus, daß es in der Zeit bis zum mosaischen Gesetz in der Welt Sünde gab, diese aber nicht angerechnet wird, dennoch aber der Tod auch über diejenigen herrschte, die nicht wie Adam durch Übertreten eines Gebots sündigten. Damit will Paulus offenbar sagen, daß das Sterbenmüssen nicht in den persönlichen Übertretungen (Sünden) der einzelnen grün- det.26 5. Eine weitere Stütze erfährt diese Auslegung durch 1 Kor 15,21f., wo ausdrücklich festgestellt wird, daß in Adam alle sterben und daß durch einen Menschen der Tod gekommen ist.27 Dagegen kritisiert Lengsfeld28, daß eine nachträgliche, selbst nur gedankliche Bezugnahme gedanke des ganzen Abschnitts ausgedrückt zu sein, wenn er einen längeren Abschnitt seiner Untersuchung mit diesem Halbsatz überschreibt (S. 212 - 234). 22 Brunner, Dogmalik 121; Käsemann, An die Römer 138f.; Stuhlmacher, An die Römer 80; Schelkle, NT 124. 23 Beispielsweise vertritt Kuss, Römerbrief 31, die Auffassung, die unbequeme Verantwortung des einzelnen trotz Verhängnissituation sei hier festgehalten; vgl. Brandenburger, Adam und Christus, Lengsfeld, Adam und Christus 7ff. — Godet, An die Römer 233 und Freundorfer, Erbsünde 242 stimmen dem nicht zu, sondern sehen das Gewicht ausschließlich auf dem Verhängnischarakter. 24 Vgl. Godet, a. a. O. 233. 25 Vgl. Freundorfer, a. a. O. 245. 26 Ebd. 247. Kuss, Römerbrief232: “Daß es dem Apostel darauf ankommt, in dem Einschub W. 13.14 den Tod aller Menschen auf Adam allein zurückzuführen, ergibt sich mit vollkommener Deutlichkeit aus der Parallele, welche das Beweisziel des ganzen Zusammenhangs W. 12 bis 21 darstellt: das Leben für alle Menschen, die glauben, ist allein Jesus Christus zu verdanken.” 27 Röm5,12ff.kannalsdetaillierterKommentarzu 1 Korl5,21f. verstanden werden. Letzteres bringt gegenüber Röm 5 keine wesentlichen zusätzlichen Informationen zur Frage nach dem Einbruch von Sünde und Tod, zumal in 1 Kor 15 ein anderes Thema im Mittelpunkt steht. Paulus betont die Leiblichkeit des Menschen, so daß auch die Tatsache, daß er tfn>xV t,waa ist, den sündigen Menschen nicht vom Tod bewahren kann (Dittmann, Urgeschichte 178). “Paulus sagt: ‘Ihr Korinther glaubt nicht an die Realität der Sünde, wenn ihr die Auferstehung nicht wahrhaben wollt.' Wenn man an einen göttlichen Funken im Menschen glaubt, dann allerdings ist keine Auferstehung des Leibes zu einem neuen Leib nötig, dann ist es genug, daß dieser Funken zum Entflammen gebracht wird, indem die ihn bedeckende Asche, die Materie des Lebens, fortgeräumt wird” (Dittmann, a. a. O.). Das sind gnostische Vorstellungen, auf die Paulus hier offenbar eingeht (vgl. Wendland, Korinther 135f.). In unserem Text geilt es um die Sterblichkeit des sündigen Leibes; in 1 Kor 15 ist der Mensch als Sünder vorausgesetzt. V. 42-50 scheinen dagegen zu besagen, “daß das Sterbenmüssen zur Natur auch des nicht von der Sünde gezeichneten Menschen gehöre” (Wolff, Korinther 198). Doch V. 21 wird nicht aufgehoben; die Sterblichkeitgilt dt’ ävOpamov .V. 45 ist vordem Hintergrundder W. 42-44 als Analogie zu verstehen, die verständlich machen soll, weshalb die Auferstehungsleiblichkeit nicht anhand der irdischen Leiblichkeit vorstellbar ist (Dittmann, Urgeschichte 172). Die Leiblichkeit kann übrigens auch deshalb kaum als Grund für die Sterblichkeit gewertet werden, weil es ja, wie gerade 1 Kor 15 betont, eine Auferstehungsleiblichkeit gibt. 28 Lengsfeld, a. a. O. 75. auf Adam keinen Anhalt am Text habe, da das Beziehungswort “durch einen Menschen” zu weit zurückliege und ein aktives Sündetun aller “in Adam” hier nirgends angedeutet erscheine. Daher müsse man davon ausgehen, daß im Nebensatz ein neuer Gedanke ausgeprochen wird, der nicht schon im Hauptsatz enthalten ist. Daraus ergebe sich eine Spannung zwischen Verhängnis und Verantwortung.29 Trotz dieser Kritik ist aufgrund der genannten Argumente die sinngemäße Ergänzung “in Adam” in V. 12d keine exegetische Willkür, sondern hilft, die Passage verständlich zu machen. Ein individualistisches Verständnis von V. 12d brächte nämlich bedeutend mehr Schwierigkeiten mit sich als die genannte Einfügung. Man müßte in diesem Fall viel mehr sinngemäß ergänzen. Schließlich macht Paulus das di' evos avdpwjiov zum Fundament eines Vergleiches und damit zum Kern dieses Abschnitts. Nur wenn alles Sterben durch den Fall des einen verursacht ist (und der Tod also nicht den freien, verantwortlichen Sünden der Einzelnen entstammt), so wie alles Leben von Christus kommt, hat der Vergleich einen Sinn. Der Verhängnischarakter der Sünde ist offensichtlich, wenn auch eine gleichzeitige persönliche Verantwortung der eigenen Sünde damit nicht ausgeschlossen wird.30 Paulus will “mit dem Verweis auf die Tatsünde die Wahrheit von der übergreifenden Sündenmacht nicht schmälern, sondern sie in gewisser Weise sogar durch die Behauptung verstärken: ‘Jeder bestätigt mit seinem eigenen Verhalten, daß er sich stets in einer von Sünde und Tod gezeichneten Welt vorfindet und ihrem lastenden Fluch unterliegt’.”31 Der Apostel verweist darauf, daß sich die in die Welt eingebrochene Sündenmacht in den Einzelsünden aktualisiert und konkretisiert.32 icafh'aiavcu (V. 19) wird von Paulus nur hier gebraucht, sonst hat es im NT in 16 von 22 Fällen die Bedeutung “einsetzen”. Ruckstuhl stellt dazu fest: “Der Zusammenhang läßt auf ein Handeln Gottes schließen: Wie Gott durch seinen Freispruch in Christus die Vielen als Gerechte hinstellte und in den Stand der Gerechtigkeit einsetzte, so hat er durch seinen Schuldspruch die Vorgefundene Schuld der Vielen ausgesprochen, alle als Sünder hingestellt, sie dem Stand der Sünder zugewiesen, sie sozusagen öffentlich als Sünder eingesetzt. Seit und durch Adam sind alle Menschen kraft ihres Zusammenhanges mit Adam und kraft eines Rechtsspruches Gottes ihrem Menschsein nach Sünder, wie sie seit und durch Christus, wenn sie an seine Heilstat und an den hier erfolgten Rechtsspruch Gottes glauben, Gerechte sind.”35 Von welchem Tod ist die Rede? Durch den weiteren Textzusammenhang (V. 14) ist eindeutig zu beantworten, von welchem Tod 29 Ebd. 76f. 30 Vgl. Freundorfer, a. a.O. 254. Weger, Erbsünde 97, kritisiert, daß von W. 12a, 18 und 19 aus der ganze Abschnitt zu verstehen sei, da seiner Meinung nach V. 19 im Licht von V. 12d ausgelegt werden müsse. In V. 19 werde wiederholt, was in V. 12d schon gesagt worden sei. Auch Schelkle, Schuld 27, liest V. 19 vor dem Hintergrund von 12d: ‘“Die Vielen’ wurden Sünder, indem sie nach der verhängnisvollen Ursünde Adams selber sündigten. Röm 5,19 enthält die gleiche Spannung zwischen Ursünde und eigener Sünde wie 5,12a—d” (ebenso von Schoonenberg, Theologie der Sünde 157, vertreten). Doch diese Auslegung kann nicht überzeugen, denn sie bedeutete, einen ganzen Abschnitt von einem Nebensatz aus verstehen zu wollen. Außerdem steht das schlicht nicht so in V. 19, wie es Schelkle herausliest. Schelkle, a. a. O. 26, versteht auch V. 13f. vor dem Hintergrund von 12d. Alle seien durch die zu verantwortende Sünde der Macht des Todes verfallen. Doch das kann gerade nicht dem Text entnommen werden. V. 13 hakt zunächst ein, um klarzustellen, daß sündiges Tun nicht an das Vorliegen des mosaischen Gesetzes gebunden ist. V. 14 dient hierfür als Begründung, indem auf die Herrschaft des Todes verwiesen wird, die nicht durch gleichartige Sünde wie die Sünde Adams begründet ist. In V. 13f. wird also nicht - wie Schelkle behauptet - das allgemeine Todeslos als durch die je persönliche Sünde verschuldet erklärt. Ein Zusammenhang des Todes mit der persönlichen Sünde wird in diesen beiden Versen gar nicht thematisiert. Im Gegenteil: V. 14 stellt einen Gegensatz fest: Trotz des Fehlens der Sünde, wie sie Adam beging, herrschte der Tod. Ruckstuhl, Unheilslast 66f., kritisiert die Auffassung, in V. 13f. solle nur begründet werden, daß alle gesündigt haben. Das sei nach dem langen Abschnitt 1,18-3,20 nicht nötig gewesen. Der Vergleich Adam-Christus werde ausgehöhlt, wenn nur die verantwortlichen Tatsünden der Menschen als Ursache der Herrschaft des Todes angesehen werden. Der Hinweis auf die Tatsünden der Menschen könne unmöglich die Ursächlichkeit Adams, die Verantwortlichkeit seiner Übertretung für den Tod und die Verurteilung der Vielen auslöschen. Die Tatsünden stünden nur am Rande unseres Abschnitts. 31 Käsemann,/1/t die Römer 141; vgl. Scheffczyk, Urständ 41. 32 Scheffczyk, a. a. O. 42. 33 Ruckstuhl, a. a. O. 75. die Rede ist. Paulus spricht vom physischen Tod. Der ewige Tod, die Vollendung der Scheidung von Gott, kann in unserem Zusammenhang nicht primär und ausschließlich gemeint sein,34 da dieser Tod erst mit dem Endgericht zum Tragen kommt35 Auch der geistliche Tod allein kommt nicht in Frage,36 da dieser im NT (insbesondere auch bei Paulus) mit dem Sündigsein identifiziert wird, hier jedoch von der Sünde unterschieden wird. Dies wird unterstrichen dadurch, daß in V. 13f. offensichtlich vom physischen Tod die Rede ist (nämlich von der Herrschaft des Todes von Adam bis Mose). Dies gilt auch für die Verse 5, 6, 7,8 und 10 im Abschnitt davor. Unterstützt wird diese Deutung auch durch die augenscheinliche Anspielung auf Gen 3. Auch dort ist - entgegen heute weitverbreiteter Auffassung (s. u.) - vom physischen Tod die Rede (wie noch zu zeigen sein wird). Dem Einwand, in 1 Kor 15,42.47 werde der Tod auf die irdische Herkunft des Leibes (nicht dagegen auf die Sünde des Menschen) zurückgeführt (was auch Gen 3,19 nahezulegen scheint; s. dazu weiter unten), begegnet Godet37 damit, daß in beiden Fällen nur die Möglichkeit des Todes, nicht aber die Notwendigkeit seines Eintretens bewiesen würde.38 Wichtig für unsere Fragestellung ist, daß vom Einbruch des physischen Todes die Rede ist, wobei nicht ausgeschlossen ist, daß der physische Tod mit anderen Aspekten des Todes (geistlicher, ewiger Tod) verbunden ist. Die Möglichkeit, daß nur der geistliche oder nur der ewige Tod gemeint seien, muß ausgeschlossen werden. Was ist mit Koapos gemeint? Unter Koapos wird von den meisten Auslegern die Menschenwelt verstanden, da Koopos in Parallele zu “allen Menschen” (V. 12c) stehen soll.39 Außerdem sei für die Sünde nur der Mensch zugänglich.40 Beide Argumente können jedoch entkräftet werden. V. 12c kann auch eine Fokussierung des Blickfeldes sein; eine Parallelität zu V. 12b ist nicht sicher. Und was den Umfang der Sünde betrifft, gibt Kuss41 zu bedenken, daß die bildhafte Rede eine weitere Auffassung als “Menschenwelt” zulasse. Die Sündenmacht wüte in der ganzen Welt; schließlich spreche Paulus in 8,19ff. ausdrücklich von einer Beteiligung der Schöpfung am Schicksal des Menschen (s. Abschnitt 4.3.2.2). Außerdem sei der Begriff “vorwiegend ethisch bestimmt als der Inbegriff und die Zusammenfassung der gottfeindlichen Welt”42, wobei die gottfeindliche Welt nicht auf den Menschen beschränkt sein muß. Eine definitive Entscheidung allein anhand dieses Verses scheint nicht möglich zu sein. Allerdings kann man hierzu zusätzlich zum exegetischen Befund ein Argument aus der Biologie heranziehen. Aufgrund des ökologischen Verflochtenseins aller Lebewesen einschließlich des Menschen ist im Grunde genommen nicht denkbar, daß der Einbruch des physischen Todes isoliert in der Menschenwelt möglich war. So gesehen ist es naheliegend, den Einbruch des Todes auf die gesamte belebte Schöpfung zu beziehen. Bevor eine Gesamtauslegung dieses Abschnitts erfolgen soll, soweit sie für die Fragestellung dieser Arbeit von Bedeutung ist, soll auch noch ein Blick auf die Texte der Genesis geworfen werden, vor deren Hintergrund Rom 5,12ff. zu verstehen ist. 51 Gegen Bosnhard, h.rschütfl die Well 190. 55 Vgl. Kuss, Römerbrief228. Einen Hinweis, daß der ewige Tod im Sinne einer präsentischen Eschatologie gemeint sein könnte, kann man dem Text nicht entnehmen. In V. 13f. ist der physische Tod mindestens eingeschlossen. 36 Wie z. B. Brandenburger, Adam und Christus 165ff. und Berry, Adam 92 + 118, meinen; Brandenburgers Argument ist die Gegenüberstellung ddvaros - £cui) atwvior, Berry führt keine exegetischen Befunde ais Begründung an. 57 Godet, An die Römer 231. Vgl. dazu Anm. 27. 38 H. Haag, Erbsündenlehre 63, glaubt, daß der physische Tod nicht gemeint sein könne, da Jesus ihn noch "nicht aus der Welt geschafft” habe. Doch dieses Argument ist untauglich, denn es übersieht die Verschränkung der Zeilen mit und nach dem Kommen Jesu Christi. Jesus Christus ist selbst leibhaftig auferstanden, hat Tote leiblich auferweckt und damit zeichen-haft bereits vorweggenommen, was Christen erwarten dürfen: die endgültige Befreiung von jeglicher Art des Todes. 37 Brandenburger, Adam und Christus 160; Käsemann, An die Römer 137; Biedermann, Erlösung 89. 10 Freundorfer, Erbsünde 222. 41 Kuss, Römerbrief. 42 Biedermann, a a. O. 91. Genesis 2—3 Von den meisten Exegeten wird angenommen, daß Paulus sich in Rom 5,12ff. auf Gen 2 und 3 bezieht.43 Zum Verständnis der Herkunft des Todes ist dieses Zeugnisin der Tat von wesentlicher Bedeutung. Paulus argumentiert im Sinne von Genesis 3, wenn er in Röm 5,12ff den physischen Tod auf die Ungehorsamstat des ersten Menschenpaares zurückführt. Diese Sicht wird von der heutigen Exegese weitgehend abgelehnt44; im folgenden sollen jedoch Argumente für sie angeführt werden. Die Schlüsselstelle ist Gen 2,17: “Aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen — von dem darfst du nicht essen; denn sobald du von diesem ißt, mußt du des Todes sterben.” Angesichts der Tatsache, daß nach der Übertretung dieses Gebotes der physische Tod nicht sofort eintritt (Gen 3,7), bereitet dieser Vers einige Verstehensschwierigkeiten. Hinzu kommt, daß in Gen 3,19 das Todeslos der Menschen damit begründet wird, daß sie vom Staub genommen sind. Die Annahme aber45, der physische Tod an sich habe gar nichts mit der Übertretung des Gebots zu tun, führt in Aporien, wie im folgenden gezeigt wird. Worin bestand die Todesandrohung? Man könnte es unter dieser Voraussetzung mit der Auslegung versuchen, daß mit der Todesandrohung in 2,17 der vorzeitige physische Tod gemeint gewesen sei. Da Adam aber sehr alt wurde, ist der physische Tod offenbar nicht vorzeitig eingetreten. Daraus folgt, daß die so verstandene Todesdrohung nicht nur mildernd abgeändert worden, sondern ganz unerfüllt geblieben wäre (denn der Tod wäre eben nicht vorzeitig eingetreten). Die Drohung wäre folglich in keiner Weise wahr geworden. Man müßte annehmen, daß Gott auf die Strafe ganz verzichtet hätte. Dies ist unglaubhaft, weil sich Gott damit als Lügner erwiesen, und die Schlange recht gehabt hätte. Diese Deutungsmöglichkeit muß ausscheiden.46 Andererseits scheitert auch die Vorstellung, es handle sich um den geistlichen Tod, aus verschiedenen Gründen. Zum einen verhindert dies die Wortbedeutung von niD .47 Zum anderen verbietet es der weitere Zusammenhang, ln 3,22 ist davon die Rede, daß der Mensch auch nach der Übertretung des Gottesgebotes unsterblich werden könnte. Dies ist sicher nicht im geistlichen Sinne gemeint, folglich ist dies aufgrund des Zusammenhangs von 2,17 und 3,19 auch in 2,17 nicht der Fall. Aus dem offenkundigen Dilemma gibt es jedoch zwei Auswege unter der vom Wortlaut naheliegenden Annahme, es sei vom physischen Tod die Rede.48 Zum einen ist im Bedeutungsspektrum von CP2 die Möglichkeit enthalten, mit “zu der Zeit, wann” oder mit “wenn” zu übersetzen. Gen 2,17 wäre dann nicht die Androhung des sofortigen Todes, sondern des Todes überhaupt. Man könnte dann übersetzen: “Zu der Zeit, da du davon gegessen haben wirst, wirst du sterben.” Dabei geht die temporale Funktion des DV2 nicht verloren.49 Eine andere Möglichkeit besteht darin, das “gewiß sterben” im Sinne eines Todgeweihtseins zu verstehen, dem nicht mehr entronnen werden kann. Dafür gibt es in 1 Kg 2,36ff. eine Parallele. König Salomo droht Simei mit dem Tode, sobald er über den Bach Kidron geht. Der Satzbau ist dem von Gen 2,17 ganz ähnlich. Auch hier tritt die Folge der Übertretung nicht sofort ein, sie war aber sofort gültig. Daher kann man Gen 2,17 so übersetzen: “An dem Tage, da du davon issest, (gilt für dich das Urteil:) du wirst des Todes 43 Käsemann, An die Römer 147f.; Wilckens, An die Römer (I) 314. 44 Von Rad, AID. 43 Z. B. von Vollborn, Tod\ vgl. Pannenberg, SystTheol 244. 44 Gegen Westermann, BKA 1 306, der von einer Inkonsequenz Gottes spricht, die anzeige, daß das Handeln Gottes an seinen Geschöpfen nicht festgelegt werden könne, auch nicht durch vorher gesprochene Worte Gottes. Eben damit werde das Handeln Gottes mißdeutbar, und davon mache die Schlange Gebrauch. - Hier steht aber die Aussage Gottes gegen die genau gegenteilige der Schlange; daher ist die grundsätzlich bedenkenswerte Argumentation Westermanns hier abzulehnen. An dieser Stelle geht es darum, ob Gottes Wort überhaupt etwas “zahlt”. (Ebenso gegen Zimmeru, Urgeschichte 177f., 201.) 47 Vgl. Gesenius, Handwörterbuch. Das Verb wird nicht verwendet, um ein geistiges Sterben zu beschreiben; vgl. Freun Dörfer, Erbsünde 26f. 48 Vgl. Freundorfer, a. a. O. 28ff. 49 Ebd. 29; Westermann, BKATi05. sterben.”50 Gen 2,17 würde gegenstandslos werden, wenn die Androhung nicht einen Tod meinen würde, der ohne Sünde nicht eingetreten wäre.51 Da die Möglichkeit, es sei allein der geistliche Tod in der Drohung 2,17 gemeint, ebenso wie die Annahme einer Vorzeitigkeit des Todes ausscheiden muß, schließt die Androhung den leiblichen Tod ein und kann nur beinhalten, daß Adam und Eva diesen Tod ohne Sünde (Ungehorsam) nicht erleiden sollten. Nur dadurch ist gewährleistet, daß die Drohung nicht leer war. Zur Auslegung von Gen 3,19 Kritik erfährt diese Auslegung durch den Hinweis auf Gen 3,19. Für viele (heute wohl die meisten) Exegeten ist es ausgemacht, daß dieser Vers (ähnlich wie auch 1 Kor 15,42.47) beweise, daß die physische Konstitution und die Sterblichkeit der ersten Menschen von der Sünde nicht betroffen worden sei. Denn in 3,19 wird gesagt, daß der Mensch im Schweiße seines Angesichts zu arbeiten hat, bis er wieder zu Erde wird. Das Zu-Erde-Werden, also das physische Sterben scheint demnach zur ursprünglichen Schöpfungsordnung zu gehören.52 Diese Schwierigkeit wird durch die in 3,19 gegebene Begründung unterstrichen: “Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.”53 Angesichts des Zeugnisses von Röm 5,12ff. und der Auslegung von Gen 2,17 ist dieses Verständnis jedoch anfechtbar. Die genannte Schwierigkeit kann dadurch gelöst werden, daß man annimmt, die Todestendenz des “Staubwesens” Mensch sei durch Gottes übernatürliches Wirken im Status integritatis aufgehoben worden. Dafür könnte die Anwesenheit des Lebensbaumes ein Bild sein, von dessen Gegenwart Adam und Eva nach dem Fall vertrieben werden.54 Die Unsterblichkeit der ersten Menschen scheint mit dem Lebensbaum verknüpft gewesen zu sein. Mit der Vertreibung von Adam und Eva aus dessen Nähe ist auch die Trennung ihrer Nachkommen von diesem Baum besiegelt. In diesem Sinne kann man somit von einem Erbtod sprechen oder auch von einer Erbstrafe. Darüber hinaus ist zur scheinbaren Unverträglichkeit von 2,17 und 3,19 zu bedenken, daß die Erde, von der Adam genommen ist (3,19a), verflucht wurde (3,17b). Die Begründung, weshalb Adam als aus Erde Gemachter sterben muß, erscheint auch von daher in einem anderen Licht. Dieses Wort ist in die Situation nach dem Vollzug der Strafworte hineingesprochen worden.55 Man kann also schlußfolgern, daß Paulus sich in Röm 5,12ff. zurecht auf Gen 2 und 3 bezieht, wenn er die Herrschaft des Todes auf die Übertretung des einen zurückführt. Schlußfolgerungen Paulus hat die Person Adams und den Ursprung der Sünde historisch gemeint. Sünde und Tod, auch der physische Tod sind durch die geschichtliche Tat des ersten Menschenpaares in die Welt 50 Freundorfer,o.o. 0.30;vgl.LANDERSDORFER,Sünden/a//52f.; Morant,Anfänge 121. Delitzsch erklärt (Genesis 91): “Nicht eine richterliche Execution wird der Tod sein, sondern eine in der Natur der Übertretung liegende Folge.” Er spricht S. 111 von einem “Ausreifen des Todeskeimes”. - Der Ausdruck wird sowohl für Drohungen als auch für die Proklamation eines Todesurteils gebraucht - so neuerdings Dohmen (Schöpfung und Tod 75). 51 Vgl. von Rad,/!77) 77: Das Wort vom physischen Tod (3,19) wäre “so ... niemals an den Menschen vor seiner Versündigung gerichtet worden, und deshalb gehört es thematisch mit einem besonderen Schwergewicht in das Strafwort hinein” (Hervorhebung im Original). Von Rad sieht freilich keine Möglichkeit, das Drohwort 2,17 mit dem Strafwort 3,19 zur vollständigen Deckung zu bringen. 52 Der Tod sei nicht als Strafe gemeint, so Westermann, BKA 7 361f. V. 19b habe allein die Funktion, die Mühsal der menschlichen Arbeit als bis zum Tod sich erstreckend, den Tod als Grenze für die Mühsal der Arbeit hinzustellen (363). Nach von Rad, ATD 77 sei zumindest gemeint, daß der Mensch jetzt von diesem Ende erfahre; es werde in sein Bewußtsein gerückt. 53 Neuerdings meinen Hemminger & Hemminger, Weltbilder 159, die Vollkommenheit und Unsterblichkeit seien dem Menschen nicht verliehen, sondern nur verheißen worden. “Die Urgeschichte der Bibel beschreibt, wie die Verheißung durch den Ungehorsam des Menschen verlorengeht und doch nicht verlorengeht, weil Gott an ihr festhält." Doch es kann nicht beides gelten: Verlorengegangen und nicht verlorengegangen. Wenn sie nicht verlorengegangen ist, hat sich Gott als Lügner erwiesen, die Schlange hätte recht behalten. 34 Freundorfer, Erbsünde, und vor ihm zahlreiche andere Exegeten; vgl. Frl'hstorfer, Weltschöpfung 65. Delttzsch meint (Genesis 81), der Lebensbaum sei jetzt erst “demaskiert” worden. 55 Vgl. Morant, Anfänge 196. eingedrungen. Es geht hier um eine “heilsgeschichtliche Glaubenswirklichkeit”, zu deren Stützung sich Paulus der typologischen Schriftdeutung bedient.56 Jesus Christus wird in einer typologischen Entsprechung Adam gegenübergestellt. Typologien sind Feststellungen von Entsprechungsverhältnissen von Personen, Geschehnissen, Einrichtungen und Gegenständen einer früheren Zeit mit bestimmten einer späteren Zeit.57 Typologische Entsprechungen setzen Historizität voraus.58 Der Zusammenhang von Sünde und Tod wird mit den Kategorien von Ursache und Folge behauptet, wenn auch nicht weiter expliziert und reflektiert.59 “So wird entscheidend nicht von persönlicher Schuld und naturnotwendigem Sterben gesprochen, sondern von den in die Welt einbrechenden Mächten Sünde und Tod.” Der Mensch befinde sich in Sachzwängen, die seine Existenz übergreifen.60 Eine erste Tat, nicht ein von außerhalb der Welt her verursachtes Schicksalsverhängnis oder ein innerweltliches, nicht verantwortbares Wesens-konstitutivum des Menschen (etwa sein Materiesein) hat diese Situation heraufbeschworen.61 “Paulus denkt nicht in übereinanderliegenden Räumen wie die jüdisch-hellenistische Gnosis, sondern er denkt in einander ablösenden Zeiten.”62 “Christus ist der Neuschaffer einer Gerechtigkeit und eines Lebens, das vor ihm und ohne ihn nicht war; so kann es nur der Sinn der paulinischen Aussage sein, daß auch Adam, Christi Gegenbild, Sünde und Tod so in die Welt gebracht hat, daß sie ohne ihn nicht gewesen wären, also vor ihm nicht waren.”65 Dies gilt, auch wenn es Paulus in Röm 5,12-21 nicht primär um Adam geht. So wendet Weger ein, Paulus habe das, was er als Vergleichsmaterial zur Erklärung des Christusgeschehens gebraucht, deshalb nicht ausdrücklich lehren wollen.64 Die Schuld Adams und die Solidarität aller mit ihm seien allgemein bekannte, aus der Schrift erwiesene Tatsachen. Sie seien nicht Ziel, sondern Voraussetzung und Mittel seines Beweisgangs. Paulus bediene sich ihrer, um die Universalität des Erlösungswerkes Christi aufzuzeigen.65 Nach Meinung Wegers identifiziere sich Paulus nicht unbedingt mit dem Vergleichsmaterial, das er gebraucht.66 Was Paulus aber explizit zum Ausdruck bringt (die christologischen Aussagen), kann ohne das verwendete Vergleichs- und Entsprechungsmaterial nicht aufrechterhalten werden. Auf den historischen Einbruch der Sündenmacht und den Tod durch die Tat Adams kann nicht verzichtet werden, um die beabsichtigte Aussage machen zu können. Paulus versichert sich in 5,12-21 “in höchst objektiver Weise” der Basis seiner Interpretation.67 Als “Anfänger der neuen Menschheit” kann Jesus nicht mit einem Menschen innerhalb der israelitischen Heilsgeschichte verglichen, sondern nur dem Anfänger der alten Menschheit gegenübergestellt werden.68 Der Tod ist sekundär Der Tod - der physische Tod eingeschlossen -gehört nicht zur ursprünglichen Schöpfung, sondern ist - bildhaft gesprochen — ein “Einbrecher”. “Daß der Tod erst in die Menschenwelt ‘hineinkam’, setzt... voraus, daß er zuvor nicht in ihr existent oder als normales menschliches Los vorgesehen war.”69 Auch in 1 Kor 15 versteht Paulus den Tod “nicht einfach als tpdopa aufgrund der körper- 54 Goppelt, Typos 162f. 57 Armstrong, Genesis 7; vgl. Kasemann, An die Römer 132. 58 Käsemann, a. O.O. 132; 147f.; vgl. Grundmann, Gnade 50. 55 Käsemann, a. a. O. 137. 40 Ebd. 41 Lengsfeld, Adam und Christus 75. 42 Grundmann, ci. a. O. 51; vgl. Wilckens, An die Römer 17)314. 43 Freundorfer, Erbsünde 223. 44 Weger, Erbsünde 88; ähnlich Lyonnet, Erbsünde 34ff. 45 Weger, a. a. O. 88f. 44 Die Begründung Wegers ist fragwürdig: “. . . denn sonsl würden ja auch die sehr diversen und teilweise konfusen Vorstellungen des apokryphen Judentums über Adam und dessen Sündenfolgen zum Glaubensgut der Kirche gehören müssen” (89). Das trifft eben nicht zu, denn Paulus hebt sich davon gerade durch den Verzicht auf spekulative Ausmalungen ab. Da Paulus die zeitgenössischen jüdischen Vorstellungen nicht wahllos übernimmt, hat das, auf was er zurückgreift, sehr wohl Bedeutung. "Die Erwähnung Adams laßt wenig von seiner Königsstellung und seiner engelgleichen Art wie in der spätjüdischen Apokalyptik erkennen” (Scheffczyk, Urständ 35). 47 Brandenburger, Adam und Christus 262f. 48 O. Michel, An die Römer 138. 44 Brandenburger, a. a. O. 163. lich-irdischen Konstitution des Menschen, die durch die Verbindung mit dem Erhöhten als der eikcüvOeov des Ursprungs abgetan wird, sondern als die Wirklichkeit unserer Bestimmtheit durch Adam, den ersten Sünder. Auferstehung der Toten ist dementsprechend Erlösung von der Sünde (vgl. V. 18) als Aufhebung des Todes in diesem Sinn.”70 Urständ, Sündenfall, Erbsünde Bei allen Unterschieden im Verständnis über Urständ, Sündenfall und Erbsünde wird die allgemeine Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen von den bezogenen Exege-ten nicht bestritten. Die entscheidende Frage ist, worauf die allgemeine Sündhaftigkeit des Menschen, dieser Widerspruch zwischen Sein und Sollen, zurückzuführen ist.71 Röm 5,12ff. stellt klar, daß sie nicht durch Gottes Schöpfungsordnung, sondern durch die geschichtliche Tat eines Menschen bedingt ist, durch die Sünde und Tod in die Welt gekommen sind.72 Dieses geschichtliche Ereignis und seine Folgen soll mit dem klassischen Begriff “Sündenfall” bezeichnet werden. Daher ist einprotologischer Vorbehalt zu machen und ein prae lapsum (Urständ) und post lapsum (Situation nach dem Fall) zu unterscheiden. Mit dem Begriff “Erbsünde” soll ausgedrückt werden, daß aufgrund dieses geschichtlichen Ereignisses des Sündenfalls der Mensch und die ganze Schöpfung unter einschränkenden Lebensmöglichkeiten existieren muß, die durch den Tod und die ihn begleitenden Phänomene wie Krankheit und Leid gekennzeichnet und Ausdruck dessen sind, daß das Verhältnis Mensch-Gott gestört ist. “Erbsünde” ist daher nicht primär moralisch zu verstehen, sondern soll einen Zustand beschreiben: den Zustand der Trennung von Gott (Sund, Sünde = Trennung). Der Begriff “Erbsünde” soll also zum Ausdruck bringen, daß der Mensch sein Leben nicht als “tabula rasa” beginnen kann, sondern von Geburt an aufgrund des realen Sündenfall-Einschnittes in einer Welt leben muß, die unter dem Einfluß der Sünde steht.73 Dieser Zustand der Trennung wird durch die Generationenverkettung fortgeschrieben. In diesem Sinne ist der Begriff “Erbsünde” angemessen.74 4.3.2.2 Die Unterwerfung unter die Knechtschaft der Vergänglichkeit nach Römer 8,19—23 Der Text Röm 8,19ff. steht im Kontext des Leidens der Jünger und ihrer Hoffnung auf die Herrlichkeit. In ihm wird auch der Zusammenhang zwischen dem Leiden der Nachfolger Jesu und dem Leiden der Schöpfung insgesamt angesprochen. Auch die Schöpfung wartet auf Erlösung. Ihr Jetztzustand entspricht nicht dem ursprünglichen: Die Schöpfung wurde der Nichtigkeit unterworfen; sie war also früher anders. Die 70 WiLCKENS,/4n die Römer (1) 320. 71 Koster, Urständ 147, faßt zusammen: Trotz vieler Unterschiede im einzelnen verstehen die meisten Autoren die “Erbsünde” als “eine aus fremdem Tun allen Menschen noch vor ihrer eigenen Entscheidung in den Augen Gottes anhaftende heilsnegative Befindlichkeit aufgrund allein der Zugehörigkeit zur konkreten geschichtlichen Menschheit.” Sie könne nur durch die Verbindung mit Christus überwunden werden und trage in den Augen Gottes den Charakter wahrer Schuld (151). 72 “Das Aufbrechen der Sünde ist in Gen 3 in keiner Weise kausal aus der guten Schöpfung Gottes hergeleitet" (Zim MERU, Grundriß 148). “Sünde bricht nicht als ein Verhängnis, dem er [der Mensch] verfallen wäre, einfach Uber ihn herein, sondern steht ihm als Versuchung zunächst gegenüber” (Ebd. 150). 73 Vgl. Kuss, Römerbrief233. Nach Althaus, Wahrheit 129, bezeichnet der Begriff “Erbsünde" das Geheimnis eines “immer schon vor mir entschiedenen Gesamtwillens, der mich bestimmt und trägt, doch so, daß ich ihn selber will und trage. Man kann den Personcharakter der Sünde nicht gegen den Gedanken der Erbsünde ausspielen.” Rahner, Mongenismus 306: “Eine allgemeine, alle Menschen im voraus zu ihrer eigenen personalen Freiheitsentscheidung umfassende Un-heilssituation, die dennoch Geschichte und nicht Wesensbestand ist, durch den Menschen geschehen und nicht einfach mit der Kreatürlichkeit gegeben”; vgl. auch Kinder, Erbsünde 46f.; Köster, Urständ 101. 74 Paulus gibt keine Auskunft Uber einen kausal-rationalen Übertragungsmodus dieses Sündenwesens (Scheffczyk, Urständ 42). Zur Art und Weise des Eindringens der Sünde in die Welt und zu allen Menschen hin geben die biblischen Texte keine näheren Angaben. Die biblischen Autoren sindan dieser Stelle weit zurückhaltender als jüdische Spekulationen zur Zeit des Neuen Testaments. Da viele Elemente in der au-ßertestamentlichen jüdischen Literatur von den Autoren des NT nicht geäußert werden, so hat das, was aufgenommen wird, umso gewichtigere Bedeutung: darauf kommt es wirklich an. gesamte Schöpfung hat am einstigen Fall und an der künftigen Erlösung des Menschen teil.75 “Von diesem Seufzen ist hier klar bezeugt: es ist kein zufälliges, aus irrationalen Hintergründen herrührendes Leid: es ist Folge des Ungehorsams gegen Gott. Setzung Gottes. Nur aufhebbar durch Gott selber.”76 Die Anspielung auf Gen 3 ist offensichtlich.77 Eine Reihe von Autoren wollen den protolo-gischen Aspekt dieses Abschnitts aus der Aussageabsicht herausnehmen78 und sind der Auffassung, hier werde nur etwas über die Eschatologie ausgesagt. Doch wenn die Zukunft der Schöpfung auch zweifellos in erster Linie im Blickfeld liegt, so machen die Aussagen nur einen Sinn vor dem protologischen Hintergrund. “Es geht... nicht an, in unseren Versen den Blick auf die Urgeschichte zu leugnen und darin bloß Weissagung auf das endzeitliche Christusgeschehen zu finden.”79 “Es geht hier ... um eine wirkliche physische Verderbnis der kt uns.”1® Paulus stellt der Unterwerfung der Schöpfung in die “Knechtschaft der Vergänglichkeit” die Erlösung und Befreiung gegenüber. Mit “Schöpfung” (kti'ois) ist nach Ansicht fast aller Ausleger die außermenschliche Schöpfung gemeint, wobei manche Ausleger den Menschen mit einschließen.8' Es wird nämlich ausdrücklich gesagt, daß die gesamte Schöpfung seufzt (V. 20 + 22), was nahelegt, daß in der kt lots die außermenschliche Kreatur eingeschlossen ist. Wenn nur die Menschen gemeint wären, sollte man einen anderen Begriff erwarten. Dazu kommt, daß die kti'ois “ohne ihren Willen” (ox>x ekovocc) unterworfen wurde, also nicht schuldhaft, was von den Menschen ja gerade nicht gesagt werden kann.82 Da der Mensch nach Gen 1 und 2 ein besonders hervorgehobenes Schöpfungswerk ist, auf das alles zugeordnet wird, erscheint auch von daher die Vorstellung unhaltbar, die “Knechtschaft der Vergänglichkeit” (V. 21) könnte nur den Menschen betroffen haben. Vielmehr betrifft das Verhalten des Menschen die gesamte Schöpfung, weil sie auf ihn bezogen ist (vgl. Gen 3; s. u.). Heim hebt hervor, daß wenn der Mensch in die satanische Empörung hineingezogen ist, dann auch die mit ihm zu einer Einheit verbundene ganze Welt.83 Schließlich ist aufgrund des ökologischen Zusammenhangs von Mensch und außermenschlicher Schöpfung unbedingt anzunehmen, daß die gesamte Schöpfung gemeint ist. Denn es ist kaum glaubhaft, daß nur der Mensch der Nichtigkeit unterworfen wurde, nicht aber die Tierwelt, oder daß zwar schon immer die Tierwelt der Nichtigkeit unterworfen war, der Mensch ursprünglich jedoch nicht. Das paßt ökologisch nicht zusammen. Dieses Verhängnis des Unterworfenseins unter die Knechtschaft der Vergänglichkeit gilt nicht grundsätzlich, sondern es kennt einen Anfang und ein Ende. Das wird durch die Verwendung des Aorists vnETayr\ (passivus divinus) ausgedrückt, der einen diesem Ereignis vorausgehenden Zustand voraussetzt, in welchem die Schöpfung nicht unter diesem Verhängnis stand.84 Der Begriff fiaTatoTTjs (Vergänglichkeit; V. 20) wird betont an den Anfang des Satzes gestellt. Er bezeichnet nach Michel die Vergeblichkeit, die Inhaltsleere und die Nichtigkeit, vielleicht auch die Verkehrtheit und die Unordnung der Welt; die Schöpfung sei einem verderbenden Prozeß ausgeliefert.85 Auch an den Überlebenskampf ist hier zu denken. Es sind physische Übel gemeint.86 Die Knechtschaft der Vergänglichkeit (dovkela 75 Wilckens,/1/i die Römer (2) 156. 78 Zimmp.ru, Urgeschichte 192. 77 Biedermann, Erlösung 88; Kuss, Römerbrief 624; Wilckens, An die Römer (2) 153. 78 Schwantes, Endzeit 46; Paulsen, Römer 130. 79 Käsemann, .4« die Römer 223. 80 Biedermann, a. a. O. 101. 81 O. Michel,/4m die Römer; Barth, Römerbrief, Cullmann, Unsterblichkeit; Krimmer, Römerbrief Biedermann, a. o-O. 69f.; Paulsen, a. a. O. 116; Kasemann, a. a. O. 223; Stuhlmacher, An die Römer 122; Wilckens, a a. O. 152u.a. Möglicherweise liegt ein Wechsel des Bedeutungsfeldes innerhalb dieser Peri-Icope vor (vgl. Bayer, Predigtmeditationen). 82 Vgl. Kasemann, a. a. O. 223. ° Heim, Weltvollender 174; vgl. Echternach, Dogmatik 235; Delitzsch, Genesis 110: “Alles, was den Menschen trifft, trifft zugleich die mit ihm zu gemeinsamer Entwicklung zusammengegebene Naturwelt." 84 Vgl. Bai_7, Heilsvertrauen 40. Die Auffassung von Hemminoer & Hemminger, Weltbilder 156, Röm 8,19—22 lege nahe, daß das Übel auf ein “Noch-nicht fertig” zurückzuführen ist, ist also nicht möglich, sondern in den Text eingetragen. Sie ist durch das evolutive Weltbild motiviert, von dem diese Autoren ausgehen. 85 O. Michel, An die Römer. 86 Kuss, Römerbrief. rfjs ipüopas, V. 21) wird in einen Gegensatz zur Herrlichkeit der Söhne Gottes gestellt. Dieser krasse Gegensatz macht deutlich, daß die gegenwärtige Welt wesensverschieden von der kommenden ist - wie sie auch wesensverschieden von der ursprünglichen Welt ist, wobei der gegenwärtige Status durch eine “Unterwerfung” in Kraft getreten ist.87 Die Unterwerfung ist um des Menschen willen88 geschehen. Das verweist auf die Tat Adams als Auslöser für den Zustand des Unterworfenseins und des Seufzens. Der Handelnde ist jedoch Gott, denn nur er kann auf Hoffnung hin unterwerfen;89 auf ihn weist im Text außerdem der passivus divinus hin.90 Es kann festgehalten werden: Röm 8,19ff. impliziert, daß die Schöpfung ursprünglich wesensmäßig anders beschaffen war als heute. Sie wurde der Vergänglichkeit unterworfen und besaß somit ursprünglich dieses Merkmal nicht.91 Folglich hatte sie andere Eigenschaften, die allerdings unserem Vorstellungsvermögen entzogen sind. Das gilt umgekehrt genauso für die verheißene zukünftige Schöpfung. Die Sehnsucht nach einer gemeinsamen Erlösung wird verstehbar vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Falles. So wie der Mensch auch “nicht aus der Welt erlöst wird, sondern mit ihr”92, wurde die gesamte Welt mit dem Menschen in die Bedingungen nach dem Fall hineingerissen.93 43.2.3 Der Einbruch von Sünde und Tod nach dem gesamtbiblischen Zeugnis Das Zeugnis von Röm 5 und 8 sowie Gen 3 von einem historischen Umbruch in der Geschichte der Schöpfung spiegelt sich implizit allenthalben in der Heiligen Schrift wider. Den Taten Jesu ist unschwer zu entnehmen, daß Krankheit, Besessenheit und Tod Ausdruck einer Verkehrung der Schöpfung sind (ausführlicher wird darauf in den Abschnitten 4.4 und 4.5 eingegangen). Kuss macht deutlich, daß da, wo Gott alles einsetzt, um den Menschen zu retten, die Verderbnis ungeheuer sein muß.94 “Erst die umfassende Erkenntnis des durch Jesus Christus Geschehenen gibt dem Apostel die Möglichkeit und den Mut, die Trost-losigkeit der vorchristlichen Situation des Menschen ins Auge zu fassen: Der Glaube an das durch Jesus Christus Wirklichkeit gewordene Heil ist der Quellpunkt der paulinischen ‘Lehre’ von der ‘Erbsünde’.” Das Zeugnis nach Röm 3,23, wonach alle gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren haben, versteht Scheffczyk als Hinweis auf die Doxa der ursprünglichen Schöpfung, “die durch Adam verlorenging, die er also zuvor innehatte.”95 In diese Richtung verweist auch Röm 6,23: der Tod als der Sünde Sold. 87 Eine geschichtliche “Unterwerfung” hat im Rahmen der Evolutionsanschauung keinen Platz. 88 tuet c. acc. in finalem Sinne. Die Übersetzung ist mehrdeutig (Echternach, Dogmatik 235). Die Wendung kann auch in kausalem Sinne auf das richterliche Urteil Gottes bezogen werden. “Die kausale Interpretation wäre eine tröstliche Erinnerung an die providentia Dei; die finale bringt, wenn man sie auf den Menschen bezieht, dessen Mittelpunktsstellung betont zum Ausdruck" (ebd.). 84 Paulsen, Römer 114; Barth, Römerbrief; Biedermann, Erlösung 74; Grundmann, Gnade 60. 90 Ata c. acc. kann auch mit “durch" wiedergegeben werden, wobei dann der Zusatz itpeXnlSi klarstellt, daß nur Gott der Unterwerfer sein kann (Kuss, a. a. O. 627), denn nur Gott kann Hoffnung vermitteln. vKenxyr) und dtet zbv vnozd — favro: bekommen das gleiche Subjekt, wenn Gott gemeint ist. Heim, Weltvollender 156f., sieht im Unterwerfer die revolutionäre Macht der Sünde, welche diejenigen, die sich in ihren Dienst stellen, mit Vergänglichkeit belohnt. Damit, daß Gott selber der Unterwerfer sei, stimme nicht überein, was Paulus in Röm 6 über Gott und die Sünde sagt. Wir stehen hier vor einer der vielen Varianten der Theodizee-Frage (vgl. Abschnitt 4.7.3). Sicher wird man vor dem Hintergrund von Röm 6 und anderer biblischer Aussagen feststellen müssen, daß auch der Widersacher Gottes am Werke war, doch er hat nur den von Gott eingeräumten Spielraum. Der Aspekt, daß auf Hoffnung hin unterworfen wurde, zeigt, daß Gott der eigentlich Handelnde ist. Auch Heim (ebd.) will diese Frage nicht abschließend beantworten. 41 Kuss, a. a.O. 42 Althaus, An die Römer 82. 45 Martin Luther stellte fest: “Ihr werdet also dann die besten Philosophen und die besten Naturforscher sein, wenn ihr vom Apostel lernt, die Kreatur als eine harrende, seufzende, in Wehen liegende zu betrachten, d. h. als eine, die das, was ist, verabscheut, und nach dem verlangt, was zukünftig und darum noch nicht ist"(zit.beiO. Michel, An die Römer 202). Der Naturforscher deutet die Schöpfung richtig, wenn er die Kreatur nicht allein aus innerweltlichen Kräften und “Naturgesetzen” heraus zu verstehen versucht, sondern sie als gefallene (“unterworfene”, “fallsgestaltige”; vgl. Abschnitt 5.5.2) und auf Erlösung wartende Schöpfung begreift. 44 Kuss, a. a.O. 274; vgl. Dittmann, Urgeschichte 252. 45 Scheffczyk, Urständ 35. Jesus selber verweist in Mt 19,4ff. auf die Her-zenshärtigkeit der Menschen angesichts von Ehescheidungsnöten. Das mosaische Gesetz über die Ehescheidung wurde wegen der Her-zenshärtigkeit hinzugefügt. Die Situation war jedoch ursprünglich anders. Dieser Bezug Jesu auf die Schöpfungsgeschichte kann als indirekter Hinweis auf den Sündenfall in den synoptischen Evangelien gewertet werden: Die Her-zenshärtigkeit kam erst nachträglich hinzu.96 Bezug auf das erste Menschenpaar nehmen auch 2 Kor 10,4 und 1 Tim 2,12-14, doch liefern diese Texte über das Gesagte hinaus keine weiteren Informationen, die für unsere Fragestellung bedeutsam wären.97 Auch vielerlei Texte des Alten Testaments sind vor dem Hintergrund eines geschichtlichen Falles zu verstehen, auch wenn dieser Einschnitt außer in der Urgeschichte nicht explizit thematisiert wird;98 Texte nämlich, die verdeutlichen, daß die aktuellen Sünden in einer tiefer gehenden Sündhaftigkeit wurzeln: Gen 6,5; 8,21; Hos 4,12; 5,4; Jer 2,23-25; 3,17; 6,7; 9,13; 13,23; 16,12; 17,9; Hes 36,26 u. ö. Auch das Buch Hiob kann hier genannt werden: “Nicht jene ‘Unreinheit’, die mit dem ontischen Abstand der Kreatur von Gott gegeben ist, bedrückt Job, sondern die Erfahrung eines göttlichen Zornes, den er durch seine persönlichen Sünden aus kreatürlichen Schwächen nicht hinreichend motiviert fand.”99 Ausdrücke wie “abgefallen”, “verlassen”, den Bund “gebrochen” etc. weisen auf ein “Nicht mehr” hin.100 Dubarle vertritt die Auffassung, daß der Begriff der Erbsünde “kein absoluter Ausgangspunkt ist, sondern ein Endpunkt, die Schlußfolgerung aus einer ungeheuren Arbeit des Beobachtens und Nachdenkens im Volke Gottes.”101 Wenn auch einerseits gegen den Tod in hohem Alter als etwas Normales nicht aufbegehrt wird, ist doch die Klage über die Flüchtigkeit des Lebens und über sinnlos erscheinendes Leiden im Alten Testament nicht zu überhören. Unglück wird oft mit Sünde in Verbindung gebracht; es gibt die Angst, eine Beute des Zornes Gottes zu sein; eine Neigung zum Bösen wird konstatiert; die Sünde wird als ausnahmslos jeden Menschen betreffend angesehen; die Bezie- hung zwischen Gott und Mensch wird als gestört empfunden; die Begleiterscheinungen von Gottes Gegenwart erregen Schrecken, es bedeutet eine tödliche Gefahr, Gott zu begegnen; Sünde ist ansteckend und pflanzt sich auf die späteren Generationen fort. All diese Feststellungen leiten zur Schlußfolgerung, daß die Welt, wie sie ist, nicht dem Schöpferwillen entspricht, sondern verdorben wurde. “Alle Übel, denen die Menschheit unaufhörlich in ihrer Erfahrung begegnet, sind nicht Wirkung des göttlichen Willens oder seiner Ohnmacht. Sie kommen ausschließlich von einer freiwilligen Sünde der Kreatur.”102 Dieser Rückschluß erscheint angesichts der menschlichen Situation zwingend. Es gibt allerdings auch zahlreiche Bemerkungen zum Tod, die das Sterben als gewöhnliches Faktum erscheinen lassen (Ps 90; 102,26; Jes 40,6; 1 Kor 7,31; 15,50; 2 Kor 4,18 und 1 Joh 2,25); doch läßt sich daraus keine ursprüngliche Vergänglichkeit der Welt erschließen, da es dabei um die gegenwärtige Welt geht, wie sie seit der Sünde des Menschen beschaffen ist.103 4.3.2.4 Gründe für die Ablehnung eines historischen Urstands und Sündenfalls Die Begründungen für die Ablehnung der Historizität von Urständ und Ursünde kommen vor allem aus der historisch-kritischen Exegese und * Vgl. Dubarle, Sünde 128, Dittmann, Urgeschichte 11 lff. 97 Die schwierige Frage, weshalb in lTim2,12ff. dieSündeEvas gegenüber Adam so sehr betont wird, ist nicht Gegenstand unseres Themas (vgl. z. B. Roloff, Timotheus; Grünzweig, Timotheus mit unterschiedlichen Auffassungen). * Das Alte Testament legt die Geschichte Gottes mit dem Menschen nicht in einer systematischen Form dar. Vor diesem Hintergrund muß man die Beobachtung sehen, daß im AT kaum explizit auf die SUndenfallgeschichte und auf den Ursprung von Leiden und Tod eingegangen wird. Abgesehen davon, daß diese Beobachtungen das Gewicht der biblischen Urgeschichte nicht mindern, wird implizit in vielfacher Weise deutlich, daß Leiden und Sterben als schöpfungswidrig emp funden werden. 99 Köster, Urständ 80. 100 Brunner, Dogmatik 104. 101 Dubarle, Sünde 11. 102 Dubarle, a. a. O. 50. Statt “freiwillig" sollte man besser “selbstverschuldet” sagen. 103 Vgl. Zahn, Seufzende Kreatur 530. aus der Akzeptanz der Evolutionslehre. Außerdem wird darauf verwiesen, daß der in Gen 2 beschriebene Urständ real verstanden nicht vorstellbar sei, und es werden theologische Überlegungen genannt. Im folgenden wird einigen typischen Stimmen nachgegangen. a. Evolutionslehre Der evolutionstheoretisch denkende Teilhard de Chardin sieht im Rahmen eines evolutiven Weltbildes keine Möglichkeit, die traditionelle christliche Lehre von einer Ur- und Erbsünde zu akzeptieren.104 Vielmehr sei dieses Verständnis für den Gläubigen ein unüberwindliches Hindernis. Adam könne nicht als Individuum gedacht werden.105 Der primitive Mensch sei unfähig, die Verantwortung für das Menschengeschlecht zu tragen.106 Für Gilkey sind “Abhängigkeit, Schwäche und Sterblichkeit... zu offensichtlich Teil der Struktur des Endlichen, als daß sie als Resultat der Sünde angesehen werden könnten.”107 Auch Schmitz-Moormann beruft sich ausdrücklich auf die Evolutionslehre.108 In einer evolutiven Welt könne ein Sündenfall nur ein Lokalereignis sein; die mit ihm gekoppelte Universalität der Erlösung sei damit aber fragwürdig geworden.109 In evolutionären Dimensionen könne die Tat eines Einzelnen keine kosmischen Folgen haben. Wenn Ursünde und Erlösung aufeinander bezogen sind, könne demnach auch die Erlösung im Rahmen der alten Konzeption nicht mehr universal gedacht werden. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, wenn er mit Teil hard die traditionelle Erbsündelehre als Hindernis für den christlichen Glauben ansieht.110 Dies ist aber nur dann einsichtig, wenn ein historischer Urständ im Ablauf der Evolution festgemacht werden soll. Der Gedankengang wird durch die Akzeptanz der Evolutionslehre bestimmt. Es geht hier um die Verkündbarkeit des christlichen Glaubens unter der Prämisse einer universellen Evolution. Schmitz-Moormann stellt weiter fest, daß man dem eben aus dem Tierreich entstandenen Homo liabilis die Verantwortung für die Last der Erb- sünde kaum aufbürden könne.111 Gott würde sonst “als ein kaum gut zu nennendes Wesen erscheinen, das mit dem Menschen härter umgeht als der Vater mit dem Kind, das für seine Anfangsfehler selbstverständlich Verzeihung erlangt.” Seybold erwähnt explizit “Anfragen aus dem naturwissenschaftlichen Raum” als Faktor in der Erbsündendiskussion.112 Man wolle “die Anfragen der Naturwissenschaft berücksichtigt wissen und erklärt Urständ und Fall des Menschen auf eine Weise, daß der den Naturwissenschaften zugängliche oder erschließbare phänotypische Bereich als solcher unbetroffen bleibt”113. Der erwähnte Einfluß der Evolutionslehre ist auch hier offenkundig.114 164 Teilhardde Chardin, Glaube 47. 105 Ebd. 51,59, 225. 106 Ebd. 60. 107 Gii.key, Himmel und Erde 189. Schmitz-Moormann, Erbsünde 18. 109 Ebd. 99; neuerdings Schmitz-Moormann, Evolution 13 lf. 110 Vgl. ebd. 105. 111 Ebd. 192. 112 Seybold, Erbsündendiskussion 267 —271. 113 Ebd. 269. 114 Ebenso bei Weger, Erbsünde 9; Westermann, Genesis 39: “Darum ist nichl nur eine grundlegende Revision der kirchlichen Sündenlehre notwendig; es wird dann auch möglich, den Gegensatz zwischen dem, was die biblische Urgeschichte und dem, was die naturwissenschaftliche Erforschung der Anfänge des Menschengeschlechts sagt, abzubauen.’' Genauso hält ScHELKLE,yVT 168, die Ergebnisse der Naturwissenschaften als entscheidend für die Entscheidung zwischen Mono- und Polygenismus. Dubarle, Sünde 59, hält einen historischen Charakter des Sündenfallberichls für kaum vertretbar, da er im Gefolge der Evolutionslehre von einer sehr langen Menschheitsgeschichte ausgeht; eine historische Überlieferung hätte sich über Hunderttausende von Jahren nicht erhalten. Dieses Argument greift natürlich nur, wenn man von einer unüberschaubar langen Evolution vom Tier zum Menschen ausgchi. Das eigentliche Argument ist hier die Akzeptanz der Evolutionslehre. Dubarle argumentiert weiter: “Israel, dessen Religion sich auf einem historischen Ereignis, dem Auszug aus Ägypten, gründete, begriff die Gegenwart viel lieber als Folge vergangener Geschehnisse denn als Manifestationen der menschlichen Natur oder eines zeitlosen Gesetzes . . .; so war das israelitische Denken gewohnt, nach objektiven Tatbeständen zu suchen, die am Ausgangspunkt der Gegenwart stehen mußten” (60). Die Ereignisse der Paradiesesgeschichte sollen also nicht durch eine unmittelbare Offenbarung, sondern durch eine allmähliche Wiederentdeckung bekanntgeworden sein (62f.). Dabei sollen wirkliche Tatsachen berichtet und nicht nach Art einer Parabel zeitlose religiöse Wahrheiten gelehrt werden (65): Dubarle versucht damit einen Mittelweg zwischen Hulsbosch äußert ebenfalls Bedenken aufgrund der Vorgabe der evolutiven Abstammung des Menschen aus dem Tierreicht “In erster Linie ist es unwahrscheinlich, daß das am Ursprung unseres Geschlechtes stehende Menschenpaar mit den geistigen und körperlichen Qualitäten ausgestattet war, welche die Überlieferung Adam und Eva vor ihrem Sündenfall zuschreibt. Aus diesem düsteren Anfang würde man eher Typen erwarten, die kaum dem tierischen Stadium entwachsen waren.”115 Bewertung: Die Evolutionslehre ist ein beherrschendes Moment in der Diskussion um Urständ und Erbsünde. Sie ist jedoch aufgrund naturwissenschaftlicher und historischer Aspekte fragwürdig. Folglich stehen und fallen mit der naturwissenschaftlichen und geschichtlichen Plausibilität der Evolutionslehre die auf ihr aufgebauten bzw. die mit ihr zusammenhängenden Argumente. Das gilt genauso für die Argumentation, die auf einer evolutionär orientierten Religionsgeschichte beruht (vgl. 3.). Wie schon in Kapitel 1 bezüglich des Zusammenhangs von Glauben und Wissen allgemein festgestellt, erweist sich auch in den Fragen um Urständ und Sündenfall die unkritische Voraussetzung der Evolutionslehre als ein das Verständnis der menschlichen Frühgeschichte deutlich beeinflussendes Moment, auch in der theologischen Diskussion. Der fast stereotyp wiederkehrende Verweis auf die Evolutionslehre erweist sich so offenbar als Faktor, der die Auslegung der maßgeblichen Bibeltexte stark beeinflußt. b. Vorstellbarkeit Das traditionelle Verständnis vom Urständ und Sündenfall wird weiter aus dem Grund zurückgewiesen, daß dem menschlichen Verstand ein “goldenes Zeitalter” und ein Einschnitt mit physischen Folgen für die Schöpfung nicht vorstellbar sei.116 Nur wenige könnten sich den Sündenfall als historische Handlung Adams vorstellen. “Ihre Begriffe sowohl von der Urgeschichte als von Gott verbieten ein solches Verständnis.”117 Dieser Vorbehalt wird in vielfältiger Weise zum Ausdruck gebracht. Man ver- weist darauf, daß es ohne Tod zur Überbevölkerung gekommen wäre, daß der Erwerb tierischer Nahrung ein unverzichtbarer ökologischer Stabilisator sei usw. (vgl. dazu Abschnitt 5.5.2). Weiter kann Schmitz-Moormann nicht einsehen, wie ein “so begabter Mensch” des Urstandes der Sünde verfallen konnte, “mehr noch, Gott hätte das doch voraussehen können und dem Menschen noch ein klein wenig mehr Weisheit und Kraft geben können, wenn ihm wirklich so viel an diesem Menschen lag, daß er bereit war, später seinen Sohn für diesen Menschen und seine Nachkommen sterben zu lassen.”118 Für Teil-hard erscheint in diesem Rahmen der Schöpfer als “Pechvogel”, denn die Wahrscheinlichkeit sei doch sehr gering, daß ein einziger und vollkommener Mensch, der ein einziges Mal einer Prüfung unterworfen worden sei, sich gleich verfehlen würde.119 Mit demselben Argument lehnt Stange die traditionelle Vorstellung von einem paradiesischen Urständ ab, weil es widersprüchlich sei, daß ein vollkommener Mensch schon gegenüber der ersten Versuchung, die an ihn herantritt, zu Fall kommt.120 Unter diesen Zuständen könne er sich nicht im Zustand sittlicher Vollkommenheit befunden haben. Weiter widerspreche es der biblischen Gottesvorstel- “Geschichte im gewöhnlichen Sinne des Wortes” und “Mythos” (zu dem auch das Merkmal der Zeitlosigkeit gehört) (66). “Der religiöse Zustand der Menschheit geht auf einen wirklichen Verlust zurück und bezeichnet nicht nur den Abstand von einem noch nicht erreichten göttlichen Ideal” (71). Bezeichnend für dieses Rückschlußverfahren sei eine Zurückhaltung in Detailschilderungen und Formulierungen. Vieles werde nur andeutungsweise gesagt. 115 Hulsbosch, Schöpfung 35. - Weger, Erbsünde 9, kommt es wie ein Willkürakt Gottes am Menschen vor, wenn die Flut von Leid und Sterben “ihre alleinige Ursache in der freien und unwiderruflichen Entscheidung eines in unvorstellbarer Ferne lebenden, primitiven Menschen haben soll.” Auch in dieses Argument geht die evolutionstheoretische Sicht ein. Bereits 1909 drückte Tennant, Influence 424, seine Genugtuung darüber aus, daß die Evolutionslehre dazu verholfen habe, die veraltete Doktrin vom Sündenfall und der Ursünde abzuschütteln, die schon lange von vielen Christen als intellektuelle Last empfunden worden sei. 114 Berry, Adam 158. 117 Gilkey, Himmel und Erde 189. 118 Schmitz-Moormann, Erbsünde 191. 118 Teilhard de Chardin, Glaube 230. 120 Stange, Erbsünde 267. Hier schwingt das Theodizee-Problem mit, vgl. Abschnitt 4.7.3. lung, wenn Gott als der Schöpfer der Welt vorgestellt werde und dann doch durch eine Tat des Menschen das Böse in die Welt kommt.121 Gott hätte voraussehen können, daß die dem Menschen geschenkte Freiheit mißbraucht würde. “Daß Adam der Versuchung nicht widerstehen konnte, erscheint völlig unverständlich, da in seiner Naturanlage nichts Gottwidriges war.”122 Bewertung: Da Gottes Wort teilweise über Dinge spricht, die unserer Anschauung und Erfahrbar-keit entzogen sind, sind Verstehensgrenzen folgerichtig und können plausibel gemacht werden, da der Verstand an der Gegenwart “geeicht” ist. Gott läßt sich in seinem Handeln nicht an die Verstehenskriterien unserer Vernunft binden. In diesem Zusammenhang ist der Abstand des Geschöpfes vom Schöpfer und die postlapsarische Verfaßtheit auch des Verstandes zu bedenken. Das Argument der Vorstellbarkeit ist im übrigen nicht neu. Ein Urständ mit Lebensbedingungen, die von der heutigen Situation grundlegend verschieden sind, und ein Bruch, durch den die Lebensverhältnisse gravierend verändert werden, ist für Menschen aller Zeiten nicht anschaulich vorstellbar, da post lapsum allein die Bedingungen “dieses Äons” erlebt und gedacht werden können.123 Mit gutem Grund muß hier ein “protologischer Vorbehalt” gemacht werden. Nicht anders stellt sich die Situation bezüglich der verheißenen Zukunft dar. Hier könnte man genauso argumentieren, daß eine Welt ohne Trauer und Tod (Offb 21) unvorstellbar sei. Die biblischen Zeugen schildern auch die zukünftige Welt nicht konkret anschaulich. Die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit der Vorstellung eines realen Urstandes und eines den ganzen Kosmos in Mitleidenschaft ziehenden Sündenfalls ist also nicht neu. Diese Bemerkungen sind selbstverständlich nicht intellektfeindlich gemeint. Vielmehr geht es an diesem Punkt um die Frage der normgebenden Instanz. Welche Reihenfolge wird verwirklicht: Offenbarung vor Vernunft oder umgekehrt?124 Das ist die eigentliche Frage; das Argument der Vorstellbarkeit ist lediglich ein Nebenaspekt. Die zitierten Argumente von Schmitz-Moor mann, teilhard de Chardin und Stange können also abgewiesen werden. Diese Autoren verfallen dem Fehler, aus unserer Erfahrungswelt heraus die Situation vor dem Fall und den Sündenfall verstandesmäßig begreifen zu wollen. Vollkommenheit und Schuldfähigkeit schließen einander nicht aus. Was Sündlosigkeit ist, können wir aus eigenem Erleben nicht erfassen (wir können nur an Jesus Christus sehen, wie er als sündloser Gottmensch gelebt hat). Aufgrund dieser Begrenzung können wir auch nicht begreifen, wie der sündlose Adam sich verfehlen konnte. Auf Fragen dieser Art gibt es als Antwort nur die Antwort Gottes an Hiob: Unsere Einsicht in die Zusammenhänge der Welt ist viel zu sehr begrenzt (Hiob 38-41). c. Exegetische und religionsgeschichtliche Erwägungen Die Historizität des Sündenfalls wird von den historisch-kritisch orientierten Theologen heute auch aus exegetischen Gründen und mit religionsgeschichtlichen Überlegungen abgelehnt. Die Überlieferungen der biblischen Urgeschichte werden vor dem Hintergrund zeitgenössischer außerbiblischer Quellen gedeutet und als theologische Überarbeitungen vorliegender Texte verstanden. Die Quellen wiederum werden in den Rahmen einer kulturellen Evolution gestellt, 121 Stange, a. a. O. 268. 122 Ebd. 269. 123 Beispielsweise hat auch Thomas von Aquin (zit. bei Schmaus, Glaube 270) eine Änderung der physischen Lebensumsiände durch den Sündenfall abgelehnt. Dagegen stellt Echternach, Dogmatik 234, fest, daß die Vorstellung, alle jemals Geborenen und alle Zukünftigen würden zugleich die Erde bevölkern, ein Versuch wäre, uns aus der gefallenen Welt hinauszureflektieren. Das Schwert des Cherub treffe jeden, der eigenmächtig, auch denkend, ins Paradies zurückwolle (232). Kumem, Auferstehung 173, gibt zu bedenken, daß es in der Situation nach dem Fall nur eine infralapsarische Theologie gebe, der auch gedanklich der Zutritt zur reinen Schöpfung verwehrt sei. Die Theologie könne nur die gegenwärtige Weltlage feststellen und müsse darüber wachen, daß von Schöpfung und Sünde zugleich und gleich stark geredet werde. 124 Beck, Universalität lff. die als Fortsetzung der biologischen Entwicklung betrachtet wird. Im Rahmen der biologischen und kulturellen Evolution des Menschen sollen sich auch Gottesvorstellungen entwickelt haben, von primitiven Anfängen animistischer Prägungen bis hin zu “hochentwickelten” monotheistischen Vorstellungen. Man kann von einer “Religionsevolution” sprechen. Parallel dazu hätten sich auch die kosmologischen und weltbildlichen Vorstellungen gewandelt. Die sich entwickelnden Gottesvorstellungen, auch die biblischen, bedienten sich dieser sich wandelnden Weltbildvorstellungen. So sei etwa Gen 2 vor dem Hintergrund einer Welt der Steppe zu verstehen, in der das Wasser knapp ist; das Gottesbild vom formenden Schöpfer sei noch relativ primitiv; viel “moderner” sei dagegen die Gottesvorstellung des später datierten Schöpfungsberichts Gen 1. Aus solch gravierenden Unterschieden wie den Berichten von Gen 1 und 2 müsse das Gemeinsame und Verbindende entdeckt werden, um zur eigentlichen Botschaft durchzudringen (vgl. dazu aber den Exkurs über das Verhältnis von Gen 1 und 2 in Abschnitt 5.3). Es ist unmittelbar einsichtig, daß vor diesem Hintergrund die traditionell-christlichen Vorstellungen über die Anfänge der Menschheit nicht haltbar sind. Vielmehr wären sie nach dieser Sichtweise als Ausdruck eines veralteten Weltbildes zu verstehen. Die weltbildliche Einkleidung theologischer Wahrheiten müsse mit dem Weltbildwandel ausgetauscht werden. So lehnt Baumann die klassische Erbsündenlehre ab, weil es das Weltbild, in dem sie einen legitimen Ort haben mochte, nicht mehr gebe.125 Teilhard de Chardin sieht die Vorstellung vom Sündenfall als Erklärungsversuch an für das Übel in einem fixistischen Universum.126 Die Erbsünde sei eine statische Lösung des Problems des Übels. Denn: “Theoretisch ... läßt sich in einem Universum, von dem angenommen wird, es sei fix und fertig aus den Händen Gottes hervorgegangen, die Unordnung nur durch eine sekundäre Veränderung der Welt erklären.”127 Weger hält vom exegetischen Standpunkt aus die relativ späte Reflexion Israels über den Ursprung von Sünde und Tod in der Welt durch die traditionelle Erbsündenlehre für überfordert.128 Bewertung: Beim dritten Aspekt von Einwänden gegen ein historisches Verständnis des Urstan-des und des Sündenfalls handelt es sich letztlich wiederum um ein evolutionstheoretisches Argument. Die Entwicklung menschlicher Gottesvorstellungen wird in den Rahmen einer allgemeinen Evolution gestellt. Die darauf aufgebaute Argumentation steht und fällt auch hier (vgl. a.) mit der Plausibilität einer Religions-“Höherent-wicklung”. In dieser Argumentation ist ein möglicher Zirkel zu beachten: Evolutionstheoretisch geht man von sich entwickelnden Gottesvorstellungen aus. Daran anknüpfend wird eine solche vermutete Gottesbildevolution benutzt, um die Überlieferung der biblischen Bücher zeitlich einzuordnen: Texte mit vermeintlich primitivem Gottesbild (wie Gen 2+3) werden früh datiert, solche mit theologisch “gereifterem” später. Die hier angeschnittene Thematik kann an dieser Stelle nicht angemessen diskutiert werden; das würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, doch soll auf diesen Zirkelgang aufmerksam gemacht werden. d. Theologische Gründe Schließlich werden systematisch-theologische Gründe gegen die traditionellen Vorstellungen angeführt. Stellvertretend sei Brunner zitiert. Die historische Form der Sündenfallerzählung habe zu schweren Verbildungen des Glaubens, der Sündenerkenntnis und der Erkenntnis der Verantwortlichkeit geführt.129 Aus der Einheit von Verhängnis und Verantwortlichkeit sei ein Gegensatz gemacht worden, und dadurch werde der Zwang der Sünde auf Kosten der Verantwortlichkeit betont. Damit ist gemeint, daß die historisierende Ausprägung der Sündenfallerzählung dem Menschen erlaube, seine eigene Sünde auf die Tat Adams abzuwälzen und die 12s Baumann, Erbsünde 84. 126 Teilhard de Chardin, Glaube 98. 127 Ebd. 98f. 128 Weger, a. a. 0.9. 129 Brunner, Widerspruch 122. Sünde als Schicksal zu verstehen, für das man nichts könne. Brunner verwirft die Einseitigkeit der ausschließlichen Dominanz des Verhängnischarakters der Sünde, nicht die Verhängnisstruktur als solche.130 “Wir dürfen ... der historischen Wissenschaft dankbar dafür sein, daß sie uns die Historie von der Schöpfung und die Historie vom Sündenfall genommen hat und uns dadurch gezwungen hat, das Gotteswort von Schöpfung und Sündenfall wieder zu suchen.”131 Ein historisches Verständnis der Sündenfallerzählung leiste der kritisierten Einseitigkeit der Betonung des Verhängnischarakters Vorschub.132 Spaemann geht auf den vielfach geäußerten Einwand ein, es sei unverständlich, daß die Verfehlung eines einzelnen die ganze Menschheit in den Abgrund gezogen haben soll.133 Jeder könne doch nur für seine eigene Verfehlung zur Verantwortung gezogen werden. Diesem “individualistischen” Einwand begegnet Spaemann damit, daß die Erbsünde nicht eine positive ererbte Qualität, sondern das Fehlen einer zu erbenden Qualität sei, nämlich der Zugehörigkeit zu einer Heilsgemeinde. Die Qualität der Zugehörigkeit zu einem das Heil vermittelnden Volk Gottes könne aber nicht weitergegeben werden, wenn dieses Volk nicht existiere. Vor diesem Hintergrund könne man Erbsünde als den Zustand der anfänglichen Nichtzugehörigkeit zum Volk Gottes interpretieren. Bewertung: Die genannten theologischen Gründe haben ihr Gewicht, doch handelt es sich nicht um zwingende Argumente gegen die Historizität eines “diesen Äon” begründenden Sündenfalls. Die Historizität des Sündenfalls macht den Doppelcharakter der Sünde als Schuld und Verhängnis134 nicht zunichte. Schuld und Verhängnis sind biblisch gesehen keine Widersprüche, sondern wie zwei Seiten einer Münze. Die Spannung, die hier liegt, wird von den biblischen Autoren nicht aufgelöst, sondern dem denkenden Menschen zugemutet (vgl. Abschnitt 4.3.2.1). 4.3.3 Herkunft der Sünde im evolutionstheoretischen Kontext Im evolutionären Kontext stellt sich mit Bröker die Frage: “Wenn der Mensch ein Produkt von Evolution sein sollte, ist er es dann mit allem seinem Vermögen, auch mit dem Vermögen, schuldig werden zu können? Ist das Sündig-wer-den-können eine Auswirkung evolutiven Geschehens, oder hat es einen völlig anderen Grund?”135 Im folgenden soll untersucht werden, wie die Herkunft der Sünde im evolutionstheoretischen Kontext zu verstehen ist. Welche Folgen hat die Akzeptanz der Evolutionsgeschichte für die Fragen um Urständ, Sündenfall und Erbsünde? Auch manche Autoren, die der biblischen Urgeschichte, insbesondere der Schöpfungs- und Sündenfallgeschichte keinen historischen Wert zuerkennen, sehen in der biblischen Urgeschichte eine Bewertung von Existentialien des Lebens. So z. B. Hossfeld: “Gen 2—3 ist Protologie, weil sie die allgemeingültigen Voraussetzungen aller weiteren Geschichte klärt.”136 Die von ihm als mythisch eingestufte Erzählung klärt danach die Vorbedingungen, unter denen die weitere Geschichte abläuft. Dieser Autor sieht die Erinnerung an die positive Ausgangslage als “kritische Reserve und Utopie gegenüber dem Vorgefundenen”.137 Wenn dem aber keine geschichtliche Realität zukommt, sondern wenn dies nur ein Konstrukt menschlicher Überlegungen und menschlicher Logik ist, dann muß man weiterfragen nach der realen Geschichte. Wenn diese reale Geschichte eine Evolutionsgeschichte ist, ist dann die “positive Ausgangslage”, von der Hossfeld spricht, in irgendeinem Sinne historische Realität? Ganz konkret- Kann sie im evolu- 130 Ebd. 124. 131 Ebd. 145. 132 Auch Scheffczyk, Sündenfall 764, konstatier! einen Widerstand gegen die Vorstellung der Sünde als einer dem Menschen vorausgehenden Macht. 133 Spaemann, Erbsündenlehre 64. 134 Vgl. Abschnitt 4.3.2.1. “Verhängnis” meint die Vorgegebenheit einer gottfeindlichen Umwelt vor der persönlichen Entscheidung. 135 Broker, Sünde 35. 134 Hossfeld, Ursünde 7. 137 Ebd. 8. tionären Tier-Mensch-Übergangsfeld festgestellt werden? Welche Konsequenzen hat die Aufgabe einer “positiven Ausgangslage” für christliche Glaubensinhalte? 4.3.3.1 Konsequent evolutionstheoretische Neuformulierungen Im konsequent evolutionären Kontext sind Sündenfall und Erbsünde, sofern man diese Begriffe überhaupt noch verwenden will, Begleiterscheinungen der Evolution. Teilhard de Chardin versucht, Erbsünde unter dem Gesichtspunkt der Universalität des Erlösungswerkes Christi in evolutionärem Kontext zu verstehen.13* Er argumentiert, daß dem evolu-tiv entstehenden Menschen die Last der Erbsünde nicht aufgebürdet werden könne.139 Aufgrund der evolutiven Struktur der Schöpfung müsse man die Schöpfung als noch unvollendet betrachten. Jede Werdewelt sei demnach wesentlich noch nicht vollkommen, als noch nicht restlos gut einsehbar.140 Das Übel erweise sich als das statistisch notwendige Nebenprodukt des Werdens der Freiheit.141 “Die in ihrer Allgemeinheit genommene Erbsünde ist keine spezifisch irdische Krankheit, noch ist sie an das Menschengeschlecht gebunden. Sie symbolisiert einfach die unvermeidliche Wahrscheinlichkeit des Übels, die an die Existenz allen teilhabenden Seins gebunden ist. Überall, wo Sein in fteri entsteht, treten unmittelbar als sein Schatten Schmerz und Sünde auf.... Die Erbsünde ist die wesentliche Reaktion des Endlichen auf den Schöpferakt.... Sie ist die Kehrseite jeder Schöpfung. . . . Der eigentlich menschliche Sündenfall ist lediglich die (mehr oder weniger kollektive und perenne) Aktu-ierung dieses ‘fomes peccati' (“Zunder der Sünde”] in unserem Geschlecht, der lange vor uns in das ganze Universum, von den niedrigsten Bereichen der Materie bis hin zu den Sphären der Engel eingegossen war.”142 Hinter Adam verberge sich ein universelles Gesetz des Rückfalls oder der Perversion - “das Lösegeld für den Fortschritt”143. Der Sündenfall erweise sich “nicht als ein Reihenelement, sondern als eine Seite oder eine globale Modalität der Evolution”144. Teilhard argumentiert, daß es dem Wesen der evolutiven Entwicklung entspreche, daß Unvollkommenes auftritt. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß Sünde ein Nebenprodukt der Evolution ist, wie wir bereits in Abschnitt 4.2 festgestellt haben. Teilhard schließt auch das moralisch Böse in die Nebenprodukte der Evolution ein.145 “Ursünde” sei ein Symbol für das allem Begrenzten anhaftende Übel, eine dunkle Begleiterscheinung des Fortschrittsdranges. Für das Paradies gebe es keinen Platz, da das Universum zu sehr Zusammenhänge, als daß ein privilegierter Freiraum Platz darin hätte.146 Das hat Konsequenzen für das Verständnis von Inkarnation und die Erlösung: “Schöpfung, Fall, Inkarnation, Erlösung, diese großen, allbedeutsamen Geschehnisse hören auf, uns als über die lange Geschichte hin verstreute Augenblicksereignisse zu erscheinen... Sie werden alle vier über die ganze Dauer und die Totalität der Welt hin gleichzeitige Ereignisse: real verschiedene, aber in der Wirklichkeit ungetrennte Momente eines und desselben göttlichen Handelns.”147 Die Erbsünde wird also als Kehrseite aller Schöpfung (= Evolution) gedeutet. “Die Erbsünde wird nach und nach eher einem mühsamen Anfang denn einem Fall vergleichbar; die Erlösung kommt einer Befreiung näher denn einem Opfer; das Kreuz beschwört stärker den mühsamen Fortschritt denn die sühnende Buße”14*. Fall und “Wiederaufstehen” “sind nicht mehr zwei verschiedene Epochen, sondern zwei in jedem Menschen und in der Menschheit beständig verbundene Komponenten”149. Ähnliche Gedanken hat von Ditfurth vorgebracht. Zum Ursprung des Bösen angesichts 138 Vgl. Schmitz-Moormann, Erbsünde. 139 Teilhard de Chardin, Glaube 60; vgl. Abschnitt 4.3.2.4, b. 140 Vgl. Schmitz-Moormann, a. a. O. 193. 141 Teilhard de Chardin, a. a. O. 232; vgl. Schmitz-Moormann, a. a.O. 195; Schmitz-Moormann, Evolution. 142 Teilhardde Chardin,a. a. O. 52-53. Diese Deutungerinnert an die protologische Ausweitung in Systemen wie denen der Gnosis oder von Origines. 143 Ebd.53. 144 Ebd. 178. 145 Vgl. Smulders, Theologie 1%. 146 Teilhardde Chardin, a. a. 0.60. 147 Ebd. 67f.; vgl. Abschnitt 4.5. 148 Teilhard de Chardin, zit. nach ScHMrrz-MooRMANN, a. a. O. 128. 149 Teilhard de Chardin, Glaube 67. dessen, daß die Welt Schöpfung Gottes sei, meint er: “Der Widerspruch verliert an Schärfe, sobald wir die Möglichkeit bedenken, daß die Welt, die wir erleben, eine ‘Schöpfung in nascendo’ sein könnte. Nicht das fertige, von seiten Gottes abgeschlossene und von ihm gleichsam entlassene Schöpfungsprodukt. Daß die unleugbare Unvollkommenheit und Mangelhaftigkeit der Welt also vielleicht damit zusammenhängt, daß sie einer noch nicht vollendeten Schöpfung entspringt.”150 Neuerdings vertreten auch Hemminoer & Hem minger, die nicht nur mit Vorbehalt zu den in Abschnitt 3.3 charakterisierten “konsequenten Evo-lutionisten” zu rechnen sind, daß der biologische Tod und die sonstigen “natürlichen Übel” als Zeichen dafür genommen werden dürfen, “daß die Welt noch nicht an ihr von Gott bestimmtes Ziel gekommen ist.”151 Villalmonte deutet die “absolute Heilsohnmacht” des Menschen nicht durch einen Verlust, sondern sie “wurzelt... primär in der Kreatür-lichkeit, die zwar möglicherweise und faktisch auch sündig werden kann, aber Erlösung ist nicht primär und notwendigerweise Sündenvergebung, sondern Vergöttlichung, und gleichsam nur nebenher, wenn Sünden da sind, auch noch Sündenvergebung.”152 Ähnlich versteht Martelet die Hinfälligkeit des Geschaffenen als notwendige Begleiterscheinung der Andersheit des Geschaffenen gegenüber dem Schöpfer, nämlich dessen Materialität.153 Wollte Gott überhaupt erschaffen, so ging das auf der Stufe des menschlichen Seins nur mit Leid- und Todbehaftetheit. Andere Autoren verweisen auf die Endlichkeit des Geschaffenen, mit dem notwendig die Vergänglichkeit gekoppelt sei. Urständ und Ursünde am Ende Konsequent evolutionstheoretisch weitergedacht ergibt sich nach Schmitz-Moormann, daß die große Sünde erst bei der Parusie Christi gesucht werden könne, nicht beim Erstmenschen, dort am wenigsten.154 Die Sünde wachse in dem Maße, wie im Laufe der Evolution die Fähigkeit zur bewußteren und freieren Tat der Liebe ermöglicht wird. “Die Sünde, die als Wirklichkeit die Geschichte der Menschheit und jedes Menschen durchzieht, stünde so als wirkmächtige Katastrophe der Menschheit, des Universums nicht am Beginn der Geschichte, sondern als der Kulminationspunkt dieser Geschichte der Sünde... am Ende der Geschichte der Schöpfung.”155 Hierin folgt er Teilhard de Chardin: “Die Sünde schlechthin ist nicht rückwärts, als von einer stammelnden Menschheit begangen, zu suchen: wäre sie nicht viel eher nach vorn hin an dem Tage vorauszusehen, da die endlich ihrer Kräfte voll bewußt gewordene Menschheit sich in zwei Lager teilen wird, für und wider Gott?”156 Schmitz-Moormann spricht von einer “völligen Umkehr der Perspektive, die die Fülle der Wirklichkeit nicht mehr an den Anfang, sondern an das Ende stellt, an den Zielpunkt der Evolution.”157 150 Von Ditfurth, Niehl nur von dieser Welt 145f. 151 Hemminger & Hemminger, Weltbilder 170. Ganz erstaunlich ähnliche Formulierungen kann man bereits bei Tennant, Influence 427f., lesen. Das erste Auftreten von Sünde bestehe darin, daß bestimmte Praktiken beibehalten würden, die früher nicht als Schuld angesehen werden konnten, da sie noch nicht in der Übertretung eines Gebots bestanden. “The evolu -tionary anthropology and ethics for which Darwin paved the waywouldteachthatthe sinfulnessofsuchactswould gradual-ly increase, front the zero which was its value in the time of man’s non-moral innocence, as the Code grew more exacting and richer in content” (427). Das Kind rekapituliere in seiner moralischen Entwicklung die Geschichte seiner Art. Es erbe nämlich grundlegende Verhaltensanlagen (“stock tenden-cies") seiner tierischen Vorgeschichte. Diese seien nicht aufgrund eines Verlustes ursprünglicher Rechtschaffenheit vorhanden, sondern in Konsequenz der Abstammung von menschlichen Wesen, die zoologisch menschlich waren, bevor sie Moral erworben hatten, weil sie also die tierischen Eigenschaften ihrer Vorfahren ererbt haben. Der “alte Adam” in uns müsse folglich weiter zurückverfolgt werden, nämlich zurück in der Evolution prähominider Wesen. Benz, Evolution 44 und 46, weist darauf hin, daß dieser Fortschrittsgedanke innerhalb der Anthropologie zeitlich vor dem Durchbruch des Evolutionsgedankens in der Naturwissenschaft durch Darwin steht. Erst durch Darwin wurde es möglich, “die Mängel der gegenwärtigen Species Mensch als die Übergangs- und Wachstumsstörungen einer auf dem Weg zu ihrer vollkommenen Form begriffenen Menschheit zu deuten." 152 Zit. nach Seybold, Erbsündendiskussion 272. 153 Nach Haeffner, Erbsünde 427. 1S< ScHMrrz-MooRMANN, Erbsünde 214ff. 155 Ebd. 215. 156 Teilhard de Chardin, Glaube 68. 157 Schmitz-Moormann, a.a.O. 219. Van Onna versteht in ähnlicher Weise den Urständ nicht als “Paradies, das wir der Sünde wegen nicht mehr haben”, sondern als den “Endstand”, die “verheißene und erhoffte, endgültige Zukunft dieser Welt, die noch nicht da ist, doch als Auftrag an die Menschheit mit der Schöpfung geschichtlich schon begonnen hat.”158 Hulsbosch, in den Fußtapfen Teilhards, geht davon aus, daß den biblischen Offenbarungen über die Anfänge der Menschheit ein statisches Weltbild zugrundeliegt und daß dieses Weltbild auch in die Formulierungen eingegangen ist. Er will prüfen, “inwieweit das statische Weltbild an der traditionellen Fassung des Dogmas der Erbsünde beteiligt ist”159 und wie die eigentliche Aussageabsicht im modernen Weltbild erhalten werden kann.160 Dazu stellt er heraus, daß es im dynamischen, evolutionistischen Weltbild auf das Ende ankomme, während im statischen Weltbild das Schöpfungshandeln am Anfang betont werde. Die Schöpfung verlaufe im Zuge der kosmischen Evolution, die noch nicht an ihr Ziel gelangt sei.161 Hier wird der Einfluß von Teilhard deutlich, auf den sich Hulsbosch ausdrücklich beruft.162 Die heutige Menschheit wird im gegenwärtigen Schöpfungsakt Gottes nur als Durchgangsphase zum vollendeten Menschen angesehen. “Der Übergang vom tierischen zum menschlichen Stadium steht im selben Zeichen der Gratuität wie die Gnadenausstattung des [stammesgeschichtlich] werdenden Menschen.”163 In seiner jetzigen Gestalt entspreche der Mensch nicht der Absicht des Schöpfers. Die Richtschnur für dieses Urteil könne (und brauche) nicht mehr das paradiesische Glück des ersten Menschenpaares sein (das wäre kennzeichnend für das statische Weltbild), sondern das ideale Ziel, auf das die Evolution zugehe.164 Schon bei Paulus habe sich eine Änderung des Blickwinkels ergeben, für den der Maßstab für das o. g. Urteil in erster Linie Christus gewesen sei: “Das Erlösungswerk Christi erst hat vollständig geoffen-bart, wie es um den Menschen bestellt ist.”165 Dennoch will Hulsbosch überraschenderweise “nicht leugnen, daß in der Urgeschichte der Menschheit Gottes Gebot übertreten wurde und wir davon noch die Folgen verspüren”166. Direkt anschließend aber: “Wir wollen nur sagen, daß der Mensch vom ersten Augenblick seiner Entstehung an als im Werden der Schöpfung befindlich anzusehen und mit einer geschöpflichen Unvollkommenheit behaftet ist, die Vervollkommnung durch Christus verlangt.”167 In Hulsboschs Konstruktion findet sich das immer wieder vorzufindende Argument, die Wertung “es war sehr gut” meine “es wird sehr gut sein”. Dies ist analog der maximalen Sündhaftigkeit, die nach Schmitz-Moormann (s. o.) ebenfalls erst in der Zukunft erreicht wird.168 158 Van Onna, Urslandsfragen 498. 159 Hulsbosch, Schöpfung 40. 160 Ebd. 35, vgl. 43. 141 Ebd. 37f., 39. 162 Ebd. 14. 10 Ebd. 40. 144 Ebd. 41f., 49. 10 Ebd. 4L 146 Ebd. 42. 147 Ebd. 148 Zu keiner Phase einer Evoluiionsgeschichte könnte man das Urteil abgeben, daß alles sehr gut war, wie es der Schöpfer nach Abschluß seines Sechstagewerks selbst gegeben hat. Will man angesichts der zahllosen Widersprüche in der Schöpfung diesen Satz nicht einfach aus Genesis 1 streichen, kann man sich nur mit sehr weitgehenden Umdeutungen behelfen. So versteht Westermann, Schöpfung 88ff., die Billigungsformel nicht als objektive Beurteilung. Sehr gut sei die Schöpfung für den angefertigten Zweck, außerdem könne der Mensch das Gutsein an den Werken selbst nicht ablesen. (Das trifft für den Jetztzustand der Schöpfung zwar zu, aber um den geht es in Gen 1,31 nicht). Wettermann bezieht das Urteil “sehr gut” auf eine evolutive Welt; dieses Urteil soll die Welt betreffen, wie wir sie auch kennen. Hätte er damit recht, so wäre dieser Satz aus Gen 1,31 für den Menschen eine sinnlose Aussage; denn was wir sehen, ist oft ausgesprochen schlecht. Auch das Argument, man müsse den Zweck beachten, hilft nicht entscheidendweiter: Natürlich ist ein Raubliergebißzweckmäßig und sehr gut, um andere Tiere zu töten und zu verspeisen. Damit werden wir aber vor die Frage gestellt, weshalb der Schöpfer solche Todesstrukturen erschaffen hat oder werden ließ. Dazu verweisen wir auf den Abschnitt “Gottesbild” (Abschnitt 4.7). Das Bedeutungsfeld von DIB kann darüber hinaus nicht auf das Zweckmäßige eingeengt werden, wie Wettermann, BKA T 229, selber vermerkt. Das Verständnis des Schönen als einem Geschehenden sei im Hebräischen vorherrschend (ebd.). Im übrigen nennt das Genesiszeugnis später ein anderes Urteil (Gen 6,12: die Erde war verderbt, denn alles Fleisch hatte seinen Weg verderbt auf Erden), was viele Ausleger in einer Entsprechung zu 1,31 sehen (ebd. 559L). Frauenknecht, Urknall, versteht die Bewertung “sehr gut” als Urteil allein des Glaubens. Der Verstand erkenne wohl Gegenteiliges. Wie sich dieser Glaubensinhalt mit der Verstandeserkenntnis vertragen soll, wird nicht dargelegt. Ähnlich J. Hübner, Schöpfungsglaube 58: “Daß die Welt Schöpfung ist, Hulsbosch stellt wie Teilhard Schöpfung und Erlösung in einen evolutionären Zusammenhang: “Die Erlösung durch das Kreuz und die Auferstehung ist zugleich die Fortsetzung der Schöpfung (vgl. Abschnitt 4.5.2). Das Erlösungswerk hat demnach zwei Aspekte, den der Befreiung von der Sünde (wobei “Sünde” als Hemmung der Evolution zu verstehen ist) und den der fortschreitenden Schöpfung.”169 Weiter. “Wenn wir diese beiden Aspekte im Erlösungswerk Christi aufzeigen können, liegt es nahe, daß sie auch in der Erbsünde enthalten sind. Der als Erbsünde bezeichnete Zustand schließt in sich, daß der Mensch als Geschöpf noch nicht fertig ist und daß darüber hinaus sein Verhältnis zu Gott Versöhnung erheischt.”170 Auch Schoonenberg verlegt das Paradies nicht an den zeitlichen Beginn, sondern ans Ende, an welchem auch Sünde und Erlösung in ihrer tiefsten Bedeutung gemessen werden müssen.171 “Die ganze Entwicklung der Schöpfung wird gekrönt in einem geschichtlichen Aufstieg der Menschheit, und dieser Aufstieg findet wiederum seine Krönung in Christi Gegenwart, die sich auch wieder auf seine Manifestation in der Parusie, den Beginn des ‘Gott alles in allem’, hin entwickelt. Dieser Aufstieg wird durch die ebenfalls zunehmende Sünde durchkreuzt, aber Gott läßt den Aufstieg in Christus den Sieg davontragen.” In dieser Sichtweise wachsen folglich Heil und Unheil weiter bis zum Ende, “wobei eine ewige Fixierung in der Sünde als möglich befürchtet werden muß, aber ein All von Liebe unsere Hoffnung ist.”172 Die Krönung der Sünde ist die Verwerfung Christi, ihr ist die Unentrinnbarkeit der Erbsünde zuzuschreiben, nicht einer chronologisch ersten Sünde. Als Konsequenz aus diesen Überlegungen schließt Schoonenberg, daß jeder Mensch sowohl in einer Unheils- als auch in einer Heilssituation auf die Welt kommt.173 Jeden Menschen umfängt demnach nicht nur eine Erb-Sünde, sondern auch ein Erb-Heil von Anfang an. Köster kommentiert: “Das Situiertsein in Heil und Unheil sind nach Christi Tod und Auferstehung nicht zwei sich zeitlich ablösende Phasen: sie koexistieren.”174 Schoonenberg schlägt vor, Erbsünde als Situiertsein durch die Sünde der Welt (= die Summe der vorangegan- genen Sünden, die das Leben beeinflussen), in dem der Mensch sein Dasein beginnt, darzustellen.175 Sie sei die Situation, in der der Mensch sich vorfinde und zwar dadurch, daß er als Mensch in einer Welt entstanden sei, in welche die Sünde eingebrochen ist.176 Diese “Situation” ist die Umwelt, die einerseits den menschlichen Taten vorausgeht, andererseits durch diese Taten selber beeinflußt wird. Es ist nicht nur ein äußeres, sondern auch ein inneres Bestimmtsein des Menschen als Einschränkung des Spielraums der menschlichen Freiheit.177 Zusammenfassend können folgende Gesichtspunkte konsequent evolutionstheoretischer Denker aufgelistet werden (wobei nicht alle Punkte auf jeden zitierten Autor zutreffen): - Der Urständ und der Sündenfall sind keine historischen Realitäten; einen Sündenfall als gravierenden Einschnitt in der Menschheitsgeschichte gibt es nicht, - Sünde entsteht und entwickelt sich mit der Evolution und ist daher ein Nebenprodukt, eine Randerscheinung des evolutionären Geschehens, - Die Sündhaftigkeit des Menschen wird in dem Maße größer, als die Evolution voranschreitet, - die Sündhaftigkeit wird auf die Leiblichkeit und Endlichkeit des Menschen zurückgeführt, - der Urständ wird auf das Ende der Evolution verlegt, folgt aus dem Glauben an den Schöpfer. Daß die Well gefallene Schöpfung ist, folgt nicht aus dem Glauben, sondern aus reflektierter empirischer Erfahrung der Schöpfung." m Hulsbosch, Schöpfung 46 170 Ebd.46. 1,1 Schoonenberg, Theologie der Sünde 217. 172 Ebd. 219. 173 Ebd. 220; Schoonenberg, Erbsünde 67; vgl. die kommentierende Zusammenfassung von Scheffczyk, Wellevolution 172f. 174 Köster, Urständ 194. 175 Schoonenberg, Erbsünde 65,68. 174 Vgl. Smulders, Theologie 221. 177 Vgl. Scheffczyk, Erbsünde 228. Smulders, a. a. O. 214, versteht wie Schoonenberg die Erbsünde als wachsende Wirklichkeit, die mit der primitiven Schuld eines primitiven Menschen begonnen hatte (234). Sie entwickelt sich weiter, da jeder einzelne Sünder ihr neue Gestalt und neuen Impuls gibt (214); die späteren sind folglich Mit-Ursache an der Erbsünde (223f.). — Sünde als Verfehlung dem Willen Gottes gegenüber wird verharmlost oder gerät ganz aus dem Blickfeld. Teilhard de Chardin und seine Epigonen geben also die traditionelle Erbsündenvorstellung (im Sinne eines Umbruchs von einem “Urständ” in die Bedingungen post lapsum) auf, wollen aber die Funktion der Erbsünde erhalten. Hier sieht Teilhard drei Aspekte:178 “1. Die Funktion der Theodizee: Die Gutheit der Schöpfung in einer Welt voller Übel.179 2. Die Feststellung der allgemeinen Sündigkeit der Menschheit, der Gott nichts schuldet. 3. Die Begründung der universellen Erlösungsbedürftigkeit des Menschen und damit der Universalität des Erlösungswerkes Christi.” Diese drei Funktionen der Erbsünde gelte es im evolutionären Kontext neu auszudrücken. Für die allgemeine Sündhaftigkeit und Erlösungsnotwendigkeit lautet diese Neuformulierung: Die Sünde schleicht sich allmählich ein in dem Maße, wie der Mensch sich vom Tier zum Menschen wandelt. Je mehr das Tier evolutiv zum Menschen wird, desto größer wird die Sünde. Der Mensch wird aber in eine neue Verantwortlichkeit gestellt, indem er für das weitere Gelingen der Evolution zur Verantwortung gezogen wird. Weil kein Mensch diese Verantwortungwirklichvoll erfüllt, ist die Sünde total und in diesem Sinne “Erbsünde”. Daraus ergibt sich auch die universelle Notwendigkeit einer Erlösung: Jeder ist von der Unvollkommenheit als Nebenprodukt der Evolution betroffen, die ihm durch weitere Evolution abgenommen werden muß (Näheres im Abschnitt 4.5). 4.3.3.2 Bewertung der konsequent evolutionstheo-retischen Positionen Die angestrebte Neuformulierung der Funktionen der Erbsünde in einem evolutionären Kontext läuft auf eine Neukonzeption hinaus, die der biblischen Überlieferung fremd ist. Hier wird nicht der gleiche Inhalt der alten Botschaft evolutionär “neu eingekleidet”, sondern eine neue Botschaft konzipiert. Zwei der drei von Teil hard und Schmitz-Moormann genannten Funk- tionen der Erbsünde, nämlich die allgemeine Sündhaftigkeit und die damit verbundene allgemeine Notwendigkeit der Erlösung, sind gar nicht das Entscheidende der Problematik um Urständ, Sündenfall und Erbsünde (die Theodizee-Frage wird eigens behandelt: Abschnitt 4.7). Entscheidend ist vielmehr die Ursache der allgemeinen Sündhaftigkeit. Nicht nur die Feststellung der Unheilssituation ist wichtig, sondern vor allem die richtige Diagnose, denn nur daraus ergibt sich eine erfolgversprechende Therapie. Und an dieser Stelle stehen sich die evolutionäre Sichtweise und das biblische Zeugnis diametral gegenüber. Die folgende Auflistung soll dies verdeutlichen. a. Der Sündenfall: ein Umbruch oderein Nebenprodukt der Evolution? In den geschilderten Entwürfen erscheint Sünde als Konsequenz aus den Gesetzmäßigkeiten der Evolution. Wenn Evolution der Ausdruck von Gottes Schöpferhandeln ist, bedeutet dies also, daß Sünde eine Folge der Struktur der Schöpfung ist, daß sie mit dem Geschöpflichen notwendig verbunden ist. Die “Ursünde” wird in diesen Entwürfen aus einer schicksalhaften Gegebenheit hergeleitet; die Verantwortung wird dem Menschen abgenommen.180 Genau dies ist Sünde nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift nicht. Die Sünde ist durch die geschichtliche Tat eines Menschen in die Welt eingebrochen, sie ist gerade keine Notwendigkeit. Daß sie keine Notwendigkeit ist, wird an der Person Jesu Christi besonders offenkundig: Er war ganz Mensch, aber ohne Sünde (2 Kor 5,21; Hebr 4,15; 1 Pt 2,22), obwohl er in der Knechtsgestalt des Leibes “unseres Äons” war (Phil 2,6ff.). In den treffenden Worten von Althaus: 178 Nach ScHMrrz-MooRMANN, Erbsände 189; vgl. Teilhard de Chardin, Glaube 51, Anmerkung 4 der Herausgeber: “Indem er die Geschichtlichkeil ‘Adams’ leugnet, leugnet P. Teilhard noch nicht das Wesentliche des Dogmas der Erbsünde, nämlich die Universalität der Sünde in jedem Menschen und folglich die universelle Erlösungsnotwendigkeit." Darauf wird im Abschnitt 4.7 eingegangen. 180 Vgl. Brunner, Widerspruch 117L “Es gibt eine Tatsache, die es dem theologischen Denken verwehrt, unsere Sündigkeit einfach in festem, zwingendem Zusammenhänge mit unserer Natur und mit der Gestalt dieser Welt zu sehen. Das ist die reine Menschheit Jesu Christi.... Setzen wir die Sünde mit der menschlichen Natur (dem ‘Fleische’) und der Verfassung dieser Welt in einen unbedingten Zusammenhang, dann sind wir gezwungen, entweder doketisch das wahrhaftige Menschsein Jesu oder seine Reinheit preiszugeben.”181 Gehörte die Sünde zur Ordnung der Welt (auch der prälapsarischen), wäre sie in sich selbst gerechtfertigt und erübrigte die Rechtfertigung des Sünders182 (vgl. Abschnitt 4.5). b. Wer verantwortet die Sünde? “Wie aber sind Sünde und Tod zur Herrschaft über die Menschen gelangt? Hierauf kann... nur geantwortet werden: durch die Entscheidung des Menschen gegen Gott.”183 Auch dieser Tatbestand kann in einem konsequent evolutionstheoretischen Denkrahmen nicht aufrechterhalten werden. Nicht mehr die Entscheidung eines Menschen hat die Sünde zur Herrschaft gebracht, sondern die Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten der Evolution. Ist also der Mensch allein durch das Wirken der Evolutionsfaktoren (die Gott wie auch immer gelenkt haben mag) entstanden, so ist auch sein Sündersein darauf zurückzuführen und damit auf Gott als den Urheber dieses Prozesses. Gott allein hätte die Sünde zu verantworten, wenn er durch Evolution geschaffen hätte. Das Gute und das Böse wäre monistisch auf Gott zurückzuführen. Alle Kirchen haben aber aufs entschiedenste abgelehnt, Goti für die Entstehung der Sünde verantwortlich zu machen.184 Leiblichkeit, Endlichkeit und Sünde "Gott würde auch dann für die Entstehung der Sünde verantwortlich gemacht, wenn gelehrt wird, daß der Mensch von seinem Ursprung her zu schwach, zu bedürftig und begehrlich gewesen wäre, als daß er inmitten der Verlockungen und Bedrohungen seiner Umwelt Gott hätte vertrauen und die Mitmenschen hätte lieben können.”185 Schlink bemerkt richtig, daß sich diese Folgerung auch aus der Evolutionslehre ergibt. Dies wird durch die zitierten Autoren, die sich dieser Problematik widmen, unterstrichen, wenn davon die Rede ist, daß die Heilsohnmacht in der Kreatürlichkeit wurzle (Villalmonte), auf die Materialität des Menschen oder seine evolutionsbedingte Primitivität zurückzuführen sei (Martelet). “Endlichkeit ist keine Unvollkommenheit, und besonders die Sünde resultiert nach biblischem Denken nicht aus der begrenzten Schöpfung, die ja ausdrücklich als ‘gut’ ausgegeben wird, sondern aus einem freien Ungehorsam des... Menschen. Sie ist also nie als eine Mangelerscheinung einer im Kosmologischen und Biologischen voranschreitenden Welt zu erklären.”186 Dagegen ist die Lehre vom Fall “die Ablehnung aller Versuche, die Entstehung der Herrschaft der Sünde und des Todes auf Gott zurückzuführen.”187 “Für den christlichen Glauben ist die Annahme schlechterdings ausgeschlossen, daß derselbe Gott, der im Tode Jesu Christi das Gericht über die Sünden der Welt auf sich genommen hat, den Menschen als Sünder geschaffen hätte.”188 “Selbst wenn die Aussagen über Adams Fall in der Bibel fehlen würden, ergäbe sich in der Reflexion über die Entstehung der Sünde immer wieder die Vorstellung von einem Fall.”189 Die Sünde kann auch deshalb nicht als ein Nebenprodukt der Kreatürlichkeit, der Leiblichkeit oder der Endlichkeit des Menschen gewertet werden, weil den Gläubigen ein Auferste- 181 Althaus, Wahrheit 141. 182 Ebd. 138. 183 Schlink, ÖkumDogm 140. 184 Ebd. Zwar kommt nach Jes 45,7 und Arnos 3,6 von Gott auch Finsternis und Unheil; doch das gilt für die bereits von Sünde gekennzeichnete Welt. Auch über die Welt der Sünde regiert Gott souverän; das Unheil bewirkt letztlich Gott. Eine Erklärung für den in der Welt existenten Widerspruch gegen Gottes Willen ist damit nicht gegeben. Arnos 3,6 ist ein Gerichtswort. Gott schickt Unglück, um Menschen zur Umkehr zu bewegen. 185 Ebd. 186 Schepfczyk, Weltevolulion 173. 187 Schlink, a. a. O. 141. 188 Ebd. 144. 186 Ebd. 145. hungsleih verheißen ist, dem die Sünde nicht anhaftet. Leiblichkeit ist folglich nicht notwendig mit Sündhaftigkeit verbunden. Dies gilt, auch wenn der Auferstehungsleib mit dem irdischen nicht vergleichbar ist (1 Kor 15). Die Notwendigkeit einer Vergänglichkeit des Geschaffenen, des Endlichen gilt nur in “diesem Äon” post lapsum und nicht schlechthin (vgl. dazu Abschnitt 5.5.2). c. Sünde wird verharmlost In konsequent theistisch-evolutionistischen Konzepten wird Sünde fast gleichgültig, da Erlösung nicht primär und notwendigerweise Sündenvergebung ist. Von der tödlichen Gefahr der Sünde (Röm 6,23; Jak 1,15), von der Sünde als Barriere zwischen Mensch und Gott (Jes 59,lf.; Röm 3,23) ist gar keine Rede. Dieses durchgängige Schweigen der zitierten Autoren zu diesem wesentlichen Aspekt der Sünde ist vielsagend. Scheffczyk bemängelt, daß nach Schoonenberg die Sünde völlig selbstverständlich in die Weit trete, sie trete überall gleichmäßig und geradezu notwendig auf, sei am Anfang gar nicht so tragisch und dramatisch zu nehmen, sondern gewinne diese Tragik erst am Schluß in der Verwerfung Jesu Christi.190 Auf den Einwand, in evolutionistischen Entwürfen wie etwa denen von Teilhard de Chardin würde die Sünde nicht ernst genommen, entgegnet Hübner, daß seit Christus “nicht mehr die Sünde ohne weiteres als Konstitutivum theologischen Denkens erscheinen kann. In Christus hat die Sünde als überwunden zu gelten, und die Theologie hat zu bedenken, was für Konsequenzen das hat, was das für die Schöpfung und die Befreiung der Schöpfung zu ihrer Eigentlichkeit bedeutet.”191 Nun ist aber die Welt nicht automatisch “in Christus”. Das Neue Testament macht hier einen grundlegenden Unterschied: Nur wer den Sohn hat, hat das Leben (1 Joh 5,12). Gerade mit dem Kommen Jesu wird deutlich, was Sünde ist: Die “Sünde, daß sie nicht an mich glauben...” (Joh 16,9) kann von Hübner nicht gemeint sein, denn diese ist erst nach Christus in dieser Weise aktuell und nicht etwa im Prinzip überwunden. Überwunden sind die Sünde als Macht und der sie begleitende Tod (2Tim 1,10). Sünde und Tod sind noch Realität, aber sie haben nicht mehr das letzte Wort. Die Sünde, die letztlich Feindschaft gegen Gott ist, ist durch das Kommen Jesu nicht automatisch faktisch relativiert - im Gegenteil: sie tritt umso schärfer hervor. Es gibt nur eine Rettungsmöglichkeit, das heißt aber nicht, daß sich an den Gesetzmäßigkeiten dieses Äons etwas geändert hat. Offenbar versteht auch Hübner “Sünde” als etwas Strukturelles, als ein Konstitutivum der Welt, als Kennzeichen der gegenwärtigen Evolutionsphase. Hier wird der eschatolo-gische Vorbehalt der Erlösung, die Spannung des “Schon” und “Noch nicht” mißachtet. d. Sünde ist ein personales Geschehen Wird Sünde als ein Nebenprodukt der Evolution verstanden, so erscheint sie nicht als interpersonales Geschehen, sondern als unpersönliches Prinzip - ganz entgegen dem biblischen Verständnis von Sünde. Scheffczyk scheint es, daß mit dem Verständnis der Sünde als Nebenprodukt “diese vor allem als Verfehlen eines aperso-nalen kosmischen Gesetzes betrachtet wird, als Nichterreichen einer im Wettlauf angelegten Norm oder als Schädigung einer auf Perfektion angelegten Ordnung.”192 Sünde hat aber “nichts vom Charakter mangelnder Perfektion oder Schädigung eines Vollkommenen an sich, sondern das personale Gepräge der Abwendung vom heiligen Gott, ja der Rebellion gegen ihn. Sünde ist im biblischen Verständnis so exklusiv personal gefaßt, wie es der Psalmist... charakterisiert, der da sagt: ‘An dir allein habe ich gesündigt’ (Ps 51,6)”193. lw Scheffczyk, Weltevolulion 229. 1,1 J. Hübner, Verhältnis 24. Ähnlich J. Hübner, Schdpfungs-gtaube 57: “Himer das Bekenntnis, daß die Welt von der Macht der Sünde und des Todes befreit zu gelten hat, kann evangelische Theologie nicht zurückgehen." Hübner versteht dies als Extrapolation des Satzes “Dir sind deine Sünden vergeben" auf die ganze Welt. m Scheffczyk, Weltevolulion 165. tn Ebd. 165f. e. Die Bedeutung der Heilszeiten194 Im evolutionären Rahmen geht der heilsgeschicht-liche Aspekt des Handelns Gottes weitgehend verloren. Dies wird im Konzept Schoonenbergs besonders deutlich, nach dem Heil und Unheil den Menschen von Anfang an bis zur Gegenwart in immer gleicher Weise — wenn auch mit zunehmender Intensität - begleiten. Ein vor und nach Christus gibt es im Grunde nicht mehr. Durch das Wirken Christi wird lediglich die stete Gleichzeitigkeit von Heil und Unheil besonders deutlich. Die biblische Überlieferung dagegen unterscheidet verschiedene Heilszeiten, etwa die Zeit vor dem Fall, vor der Flut, vor dem Gesetz, die Zeit des Gesetzes, die auf die kommende Zeit der Gnade vorbereiten und die Gnadenbedürftigkeit offenbaren sollte (Gal 3+4), und schließlich die bis heute geltende Zeit der Gnade post Christum. Mit dem Kommen Jesu Christi ist eine Verschränkung der Zeiten durch das zeichenhafte und punktuelle Hereinbrechen des escha-tologischen Reiches Gottes gegeben (vgl. z. B. Mt 12,28; Mk 1,15; Lk 10,17-20; 17,21). Der Unterschied ante und post Christum wird daran deutlich, daß sich die Glaubenshoffnung der Christen auf ein reales Ereignis der Vergangenheit stützen kann, die Auferstehung Jesu Christi und die damit bereits “geschlagene Entscheidungsschlacht”195. Diesen Anhaltspunkt kannte das Judentum nicht; es konnte sich nur auf die eschatologischen Verheißungen und die Taten Gottes im Alten Bund stützen. “Norm ist nicht mehr das, was kommen wird, sondern der, der gekommen ist.”196 Während also nach biblischer Lehre die Tat Jesu etwas ganz Einmaliges ist, wird sie im konsequent evolutionstheoretischen Rahmen zu einem Aspekt einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit herabgestuft. f Gott ist in seinem Handeln frei191 Ein verbindender Aspekt zwischen den großen Taten Gottes in der Geschichte kann in der frei handelnden Liebe und Gerechtigkeit Gottes gesehen werden, nicht jedoch in einem Evolutionsprinzip oder einer objektiven Naturnotwen- digkeit. Vor dem Hintergrund eines naturnotwendigen evolutionären Prozesses sind die Freiheit Gottes und seine Liebe ihres Inhaltes beraubt. An Teilhard bemängelt Smulders dessen instinktive Abneigung gegen alles Kontingente, die ihn vergessen lasse, “daß die Wurzel unserer Existenz und unseres Heils eine radikale Kontingenz ist, die jedoch mehr Festigkeit bietet als alle ‘Notwendigkeit’: die frei strömende Liebe aus Gottes eigenem Herzen.”198 g. Der Bezug zu den paläanthropologischen Daten fehlt Wenn man einerseits konsequent evolutionistisch (im Sinne von Abschnitt 3.2.1) orientiert ist, andererseits (wie z. B. Hulsbosch) von einer Übertretung des Gottesgebotes spricht, dann erhebt sich die Frage, wie eine solche Übertretung in der Evolutionsgeschichte vom Tier zum Menschen denkbar sein und worin sie bestanden haben soll. Welches Gebot sollen die ersten durch Evolution entstandenen Menschen übertreten haben? Die Unschuld Adams sei, so Hulsbosch, im evolutionstheoretischen Rahmen mehr bedroht gewesen, als wenn er in einem paradiesischen Milieu aufgewachsen wäre.199 Gerade weil der Mensch als Geschöpf noch unvollkommen ist, sei er der Sünde zugänglich.200 “Der unfertige Zustand des Menschen macht die Existenz der Sünde eher begreiflich als die Annahme eines Stammvaters, der bereits die Züge des vollkommenen Menschen in sich trägt.”201 Zu diesem Konzept ist festzustellen, daß es im evolutionstheoretischen Rahmen keine Begriffe für “Schuld” und “Unschuld” gegeben haben kann. Hulsbosch stellt selber fest, daß man das Milieu einbeziehen müßte, wenn man Adam eine vollkommenere physische Kondition im w Ausführlicher in Abschniti 4.6.3. m Cuuwann, Zeit 75. 1,6 Ebd. 122. m Vgl. dazu auch Abschnitt 4.7.1. '* Smulders, Theologie 177. w Hulsbosch, Schöpfung 43. 200 Ebd. 46. 201 Ebd. 49. Paradies zubilligen wollte und gibt direkt oder indirekt zu verstehen, daß er weder vom einen noch vom anderen ausgeht. Also gibt es keinen Unschuldszustand in einer Frühphase der Menschheit, weil man ohnehin nicht von Schuld sprechen kann bzw., wenn man es täte, man sofort, unmittelbar bei der Entstehung des Menschen, von Schuld reden müßte. Denn nach allem, was man im Rahmen evolutionärer Hypothesen rekonstruieren kann, war die Menschheit in allen Phasen ihrer Geschichte alles andere als unschuldig, gemessen an biblischen Maßstäben (und um die geht es im Rahmen theistischer Evolutionsvorstellungen). Es bleibt ungeklärt, wie die Sünde ihren Anfang genommen hat, wenn man überhaupt von einem Anfang reden will und Sünde nicht wie Teilhard de Chardin als Nebenprodukt der Evolution versteht. Jede sündhafte Tat, schreibt Schoonenberg, gebe Ärgernis und trage zur Sünde der Welt bei. Doch wie kommt es zur ersten sündhaften Tat, die dann als Vorbild lawinenartig weiterwirken kann?202 Im evolutionstheoretischen Kontext heißt das, wie bereits ausgeführt: Die Sünde hat sich aus minimalen Anfängen parallel zum Evolutionsprozeß nach und nach entwickelt. Damit gehört sie wesensmäßig zu diesem Prozeß. Die Sünde ergibt sich aus der Endlichkeit der Welt. 4.33.3 Beibehaltung traditioneller dogmatischer Positionen im evolutionstheoretischen Rahmen Viele Theologen, besonders aus dem katholischen Bereich, sehen die Folgerungen aus der konsequent evolutionistischen Schau als biblisch unhaltbar an. Die in Abschnitt 43.3.2 zu Wort gekommenen Kritiker lehnen aber dennoch die Evolutionsanschauung nicht ab. Sie gehen vielmehr davon aus, daß man auch in einem modifizierten evolutionären Geschichtsrahmen die monierten biblischen Glaubensinhalte vertreten kann. Im Gegensatz zur Gruppe der “konsequenten Evolutionisten” (zu der Teilhard de Chardin, Schmitz-Moormann, Schoonenberg, Altner, Hübner oder Hulsbosch zu rechnen wären) ist ihnen wichtig, Sünde auf einen Akt des Menschen zurückzuführen und ein prae lapsum (Urständ) von einem post lapsum zu unterscheiden. Überlegungen dieser Art werden in diesem Abschnitt vorgestellt und beurteilt.203 a. “Virtueller Urständ” Nach Alszeghy & Flick ist der Urständ nur eine virtuelle Gegebenheit.204 Dies ist so zu verstehen, daß die Ursünde eine Verschlechterung bedeutet, da sie den Anbruch einer Weiterentwicklung verhindert haben soll. Der Urständ wird als Ziel verstanden, auf das die Menschheit hätte zugehen sollen und können.205 Durch die Sünde des Menschen sei die Evolution aber erstmals zum Stillstand gekommen.206 “Wenn das Angebot der ursprünglichen Form des übernatürlichen Lebens angenommen worden wäre, wäre die Menschheit zu einer Vollkommenheit von beachtlichem Unterschied gelangt: von Anfang an im Besitz des Gnadenlebens, hätten die Menschen mit der vollkommenen Entwicklung der Person 202 Bei Schoonenberg, Erbsünde 69, wo die Frage aufgeworfen wird, sucht man vergebens nach einer Antwort; vgl. die Kritik bei Schelkle, Schuld 45. Schelkle selber meint (NT 129), daß, wenn es keinen realen Urständ gebe, die paulinische Lehre von der Sünde Adams und ihrem weiterwirkenden Verhängnis so lauten könnte: “Jeder Mensch ist in eine Menschheit hineingeboren, die immer schon von falschem Trachten geleitet ist.” Aber woher kommt dieses falsche Trachten? 201 Eine stichwortartige Übersicht dazu findet sich bei Köster, Urständ, im Sachregister (S. 284). 204 Alszeghy & Flick, Erbsünde 154. 205 Vgl. dazu auch Seybold, Erbsündendiskussion 270; Schmitz-Moormann, Erbsünde 69; Smulders, Theologie-, Schmaus, Glaube 550; Scheffczyk, Weltevolution 174f.; Baumann, Erbsünde 95. Jüngst hat sich Spaemann, Erbsündenlehre 66, ähnlichgeäußert: “Im Rahmen einer sich legitim beschränkenden Evolutionstheorie könnte man die Erbsünde bezeichnen als die Verweigerung eines Schrittes, den zu tun in einem bestimmten Augenblick fällig war und der durch eine göttliche Herausforderung ermöglicht wurde. Das Nichttun dieses Schrittes ist die erste, folgenreiche Schuld des Menschen, das peccatum originale. Der Schritt hätte in der ausdrücklichen Anerkennung Gottes gelegen, die identisch war mit der Anerkennung, selbst nicht Gott zu sein. Dieser Schritt, wenn er getan worden wäre, hätte die Menschheit in einen ganz anderen Zustand versetzt, als es der ist, in dem wir uns jetzt befinden.” Dabei mag die jetzige Schöpfungsstruktur natura-listisch-evolutionistisch erklärbar sein, es handle sich aber um einen falschen Zustand. 206 Alszeghy & Flick, Erbsünde 152. den ganzen Dynamismus der Natur beherrscht, hätten das Leid ausgeschaltet und wären vom irdischen Stadium ihrer Existenz zum endgültigen Stadium geschritten, ohne jene Erfahrung eines Bruches durchstehen zu müssen, den der Tod darstellt, so wie wir ihn kennen. Die Evolution blieb allerdings nicht stehen, sondern geht von jetzt an einen anderen Weg und wird von einem anderen Gesetz bestimmt . . . Die Evolution vollendet sich nun im Zeichen des Ostergeheimnisses."2”7 Auf diese Weise vermeiden Alszeghy & Flick es, dem phänomenologischen Bild der Evolution des Kosmos eine Änderung beizufügen, obwohl sie einen Sündenfall annehmen.208 Diese Sicht ist evolutionstheoretisch gesehen maximal spekulativ und erscheint unrealistisch. Die Realkorrespondenz mit historisch faßbaren Phänomenen bleibt unklar. Man muß sich an dieser Stelle die Evolution vom Tier zum Menschen konkret vergegenwärtigen (vgl. Abschnitt 2.5). Die Evolution zum Menschen und insbesondere die dafür postulierten Kräfte und Mechanismen hängen nicht vom Verhalten eines seiner Produkte ab. Hier spekulieren Alszeghy & Flick offenbar, daß dem (Ur-)Menschen soviel Einflußmöglichkeit gegeben war, daß er den Lauf der Evolution beeinflussen konnte. Da eine solche Fähigkeit aus den Gesetzmäßigkeiten der Evolution nicht ableitbar erscheint, sollte man von den Autoren Auskunft darüber erwarten, woher diese Fähigkeit gekommen sein soll. Es ist außerdem unklar, wohin die Evolution hätte konkret führen sollen, wenn der Mensch nicht gesündigt hätte, ebenfalls, worin seine Sünde bestand. Der Evolutionsverlauf wird hier je nach dogmatischen Erfordernissen passend zurechtgerückt. Denn die Annahme ist willkürlich, daß die Evolution eine andere Richtung hätte ein-schlagen können. Schmitz-Moormann kritisiert hier zurecht, daß eine Transposition der Ur-standslehre in evolutive Dimensionen vorgenommen werde, “ohne daß das Gebundensein dieser Lehre an eine statische Schöpfungsvorstellung als Problematik erörtert würde.”209 Die evolutive Struktur des Menschen werde letztlich doch mißachtet.210 Der Evolution würde eine Zielstrebigkeit unterlegt, die ihr nicht zukomme. “Die ‘ursprünglich von Gott gewollte Evolution’ ist eine Erfindung theologischer Spekulation.”211 b. Ein anderer Umgangmildem Übel vordem Siin-denfall Nach Schmaus erstreckt sich das Unheil, das mit der Sünde begonnen habe, nur auf den geistigethischen Bereich des Menschen, nicht jedoch auf den biologischen.212 Man müsse zwischen dem “natürlichen” und dem “moralischen” Bösen unterscheiden.213 Der Urständ sei durch die Abwesenheit von moralisch Bösem gekennzeichnet. Das natürlich Böse sei vor dem Fall nicht anders geartet als nach dem Fall. Entsprechend werden die sogenannten “außernatürlichen Gaben” im Sinne eines anderen Umgangs mit den menschlichen Übeln verstanden.214 Physische (“natürliche”) Übel habe es genauso gegeben wie heute, doch hätten sie dem Menschen nicht zu schaffen gemacht. Der Idee, daß die Art und Weise des Umgangs mit dem Übel unterschiedlich sein könnte, widerspricht die Leib-Seele-Geist-Einheit des Menschen (vgl. Abschnitt 2.3). Ein physisches Übel hat auch Auswirkungen auf die Psyche; auch die umgekehrte Wirkungsrichtung ist möglich. Da kein Grund ersichtlich ist, die Leib-Seele-Einheit des Menschen als eine Folge des Falles zu begreifen, muß man auch beim Menschen des Urstandes von wechselseitigen Auswirkungen leiblicher und seelischer Befindlichkeiten ausgehen. Da die Scheidung von moralischem und natürlichem Bösen auf eine ähnliche Denkstrategie hinausläuft wie die Scheidung von natürlichem und geistlichem Tod, sei für weitere Kritik auf den Abschnitt 4.4 verwiesen. 207 Ebd. 152f. 2* Vgl. Scheffczyk, Weltevolution 175. m ScHMrrz-MooRMANN, Erbsünde 70. 210 Vgl. auch Scheffczyk, a. a. O. 175. 211 Schmitz-Moormann, a. a. O. 71. 212 Schmaus, Paradies 20. 215 Gilkey, Himmel und Erde-, Swinburne, Existenz. 214 Schmaus, Glaube 276. Ähnlich Congar, Schicksal 665: “In einer Welt der Sünde nehmen die verschiedenen natürlichen Übel einen Strafcharakter an und müssen auch vom Menschen im Hinblick auf die Erlösung durch Christus angenommen werden." c. Der Urständ als Ausdruck von Gottes Willen Renckens versteht die Wirklichkeit des Paradieses in dem Sinne, daß Gott den Menschen schuldlos und (auch im physischen Bereich) glücklich will, nicht daß er einmal glücklich und vollkommen war (vgl. die Ausführungen oben).215 Die paradiesische Vergangenheit sei die konkrete Darstellung des göttlichen Heilswillens. Dieser göttliche Heilswille sei aber durch die Sünde behindert. Dieses Konzept hat indessen keinen Halt am biblischen Zeugnis. Vielleicht ist es durch die Meinung motiviert, angesichts der Evolutionslehre einen historischen Urständ nicht vertreten zu können. Renckens sagt dies zwar nicht, sondern verweist darauf, daß der Hagiograph etwas über die unglückselige Gegenwart lehren wollte, gibt aber zu verstehen, daß er den Urständ nicht als historische Realität ansieht. Der Sündenfallbericht wolle nur sagen, daß Mensch und Welt anders aussähen, hätte Jahwe seinen Weggehen können. Daß die Welt nicht seinem Willen gemäß gestaltet sei, sei nicht Gott zuzuschreiben, sondern der Sünde, “der Sünde früherer Zeit und der Sünde von heute”216. Der Gläubige müsse daher in Sünde und Tod mehr sehen als eine Naturnotwendigkeit. Dies ist alles richtig, doch in einem evolutionären Weltbild unhaltbar. Renckens bedenkt offenbar nicht, daß mit der Ablehnung eines historischen Urstandes und Sündenfalls an die Stelle der biblischen die evolutionäre Geschichtsschau tritt. Danach aber sind - wie bereits ausgeführt wurde — Sünde und Tod eben doch Naturnotwendigkeiten - esseidenn, man postuliert einen besonderen Eingriff Gottes in der menschlichen Evolution, durch den quasi “Urstandsbedingun-gen” gesetzt wurden. Dann aber wären Urständ und Sündenfall doch historische Realitäten. Oesch bemerkt zu dieser Auffassung, nach der das göttliche Ebenbild nur eine Anlage bzw. Aufgabe war, daß der Fall damit keine Schuld sei, die nun über uns schwebe. Christus werde zum Helfer degradiert und das, was letzten Endes rettet, falle doch unter den Begriff des Zusammenspiels. Jesus werde zur Hilfe in der Aufwärtsentwicklung (vgl. Abschnitt 4.5).217 d. Realer Urständ und Sündenfall während der Evolution Einige Stimmen, besonders im katholischen Bereich, wollen in der Evolutionsgeschichte einen realhistorischen Urständ gegen eine nachfolgende Verschlechterung unterscheiden. So soll nach der Vorstellung von Haas der erste Mensch “gerade im Hinblick auf die Abstammungstheorie” durch seine übernatürliche und vor allem durch seine außernatürliche Begabung einen harmonisierenden Einfluß auf sich selbst und seine geschöpfliche Umwelt ausgeübt haben.218 “Wo Adam war, da war also das Paradies.”219 Durch den Sündenfall gerate der Mensch aus diesem privilegierten Zustand in den “Naturzustand”. Entsprechend unterscheidet Haas zwei Wirkungen der Evolution: “eine erste, auf den Menschenleib ‘präorientierte’ Evolution, die einen Tierleib immer mehr in zahlreichen Schritten zum Menschenleib hin entwik-kelt. Nach der Erschaffung und dem Fall des ersten Menschen setzt aber eine ‘adaptive' Evolution ein, in der der Mensch in der Auseinandersetzung mit der Natur sich dieser anpaßt, Sonderentwicklungen zeigt, die wiederum tierhafte Merkmale in sein Bild einprägen”.220 Dieser Autor denkt hier z. B. an die Überaugenwülste beim Neandertaler. Aufgrund der heutigen Datenkenntnis ist diese Sicht bereits aus empirischen Gründen äußerst fragwürdig, da die genannten adaptiven Veränderungen (Überaugenwülste u. a.) kaum als spezifisch tierhaft gewertet werden können. Es gibt auch heute Menschenrassen, die solche Merkmale aufweisen. Sie können deshalb jedoch nicht als primitiver im Vergleich etwa zum Europäer gewertet werden. Darüber hinaus ist die Vorstellung einer “prä-orientierten Evolution” aufgrund der bekannten Evolutionsmechanismen fragwürdig (vgl. die 215 Renckens, Urgeschichte 256f. 2I‘ Ebd. 217 Oesch, Inspiration 49. 218 A Haas, Menschenbild 366. Dies erinnert an das Konzept von Alszeghy & Fuck, vgl. a.; vgl. van Onna, Urstandsfragen 496f. 219 A Haas.o. a. O. 366. 220 Ebd. 367. Abschnitte 2.4 und 4.7). Vor allem aber muß Haas, auch wenn er es nicht explizit tut, einen besonderen Eingriff Gottes bei der Menschwerdung postulieren, denn in einer von natürlichen Kräften bestimmten Evolution kann kein Mensch mit übernatürlichen Gaben entstanden sein. Daß Haas darüber keine Rechenschaft abgibt, verwundert, da er an anderer Stelle - wie man positiv vermerken muß -konkret nach den Fossilfunden zurückfragt (z. B. beim Neandertaler). Bei seiner Auffassung “Wo Adam war, war das Paradies” fehlt diese Rückfrage ebenfalls. Was soll sie im Rahmen des Evolutionsgeschehens bedeuten? Schmaus221 und Boros222 gehen (offenbar durch die Evolutionslehre motiviert) davon aus, daß der erste Mensch eine Art “geistiges Dämmerleben” führte. Das stehe aber seiner besonderen Gnadenstellung nicht im Wege; diese erfordere keinen kulturellen und geistigen Hochstand.223 Ähnlich sieht es Schoonenberg: “Von der Begnadigung des ersten Menschen können wir nur behaupten, daß sie da war, und daß sich ihr Erleben in einem sehr primitiven Stadium befand, von dem wir uns keine Vorstellung machen können.”224 Schmaus vertritt die Ansicht, daß der Autor von Gen 2 durchaus eine Chronologie, ein Nacheinander von schuldfreiem und schuldhaftem menschlichem Leben im Auge hatte.225 Zwischen dem dumpfen Erwachen der Urmenschen zu sich selber und der Weigerung, Geschöpfe zu sein, habe eine nicht näher zu bestimmende Zeitspanne eines vorsündlichen Zustandes gelegen. Es genüge, daß mitgeteilt werde, daß am Anfang eine Sünde stand, und diese Sünde sei durch die ganze menschliche Geschichte hindurchgedrungen. “Man kann die These vertreten, daß der Urmensch schon im ersten Augenblick seines Auftretens, also schon auf der tiefsten und primitivsten Stufe der Kultur gesündigt hat, indem er Gott die Anerkennung verweigerte.”226 Die Sünde könne jedenfalls kein Entwicklungsdefekt sein, da die Sünde in der Schrift eindeutig als eine Tat menschlicher Freiheit charakterisiert werde. Nach diesen Vorstellungen war der Urständ des Menschen eine Zeit eines ersten dumpfen Bewußtwerdens, vielleicht vergleichbar mit der Aufwachphase nach dem Schlaf. Phylogenetisch gesehen müßte dies eine über viele Generationen dauernde Phase gewesen sein. In dieser Zeit eines allmählich erwachenden Bewußtseins soll sich der Sündenfall ereignet haben. Ein solcher Zustand ist aber sicher nicht geeignet, um klaren Sinnes Gottes Gnadenangebot zu einem Leben mit ihm anzunehmen oder abzulehnen. In einer Phase des “dumpfen Erwachens zu sich selber” konnte der Urmensch Gott die Anerkennung nicht verweigern, weil er Gott gar nicht in der nötigen Klarheit erkennen konnte, um ihm gegenüber positiv oder negativ zu reagieren. Ein realer Sündenfall in der Geschichte setzt einen voll erkenntnisfähigen und schuldfähigen Menschen voraus, wie dies der Schilderung in Gen 2 und 3 entspricht. Adam war in der Lage, Tiere zu benennen und muß daher besondere geistige Qualitäten besessen haben. Das ist in den eigenartigen Konstruktionen von Schmaus u. a. nicht gegeben.227 e. Die Möglichkeit zur Sünde als Evolutionsfolge Bröker versteht die Möglichkeit zur Sünde, die Freiheit dazu, als Ergebnis des Evolutionsprozesses, nicht das Sündigen selbst: “Könnte nicht die Schöpfung aus eigener Dynamik die geistigen Möglichkeiten des Freiheitlichen hervorgebracht haben?”228 221 Schmaus, Paradies 25. 222 Boros, Paradies 110. 223 Schmaus, Glaube 287. 224 Schoonenberg, Werdende Welt 109. 2:3 Schmaus, Paradies 29. 226 Schmaus, Glaube 249; vgl. 254. 227 Eine ursprüngliche Vollkommenheil des ersten Menschen, wie Schützer, Position 227, 228, im evolutionstheoretischen Kontext annimmt, kann in diesem Denkrahmen nicht aufgewiesen werden. Schützer postuliert daher einen übernatürlichen Eingriff Gottes, durch den dem evolutionär entstandenen Menschen besondere geistige Fähigkeiten vermittelt wurden. Ein entscheidender Schritt in der Entstehung des Menschen wäre nach dieser Vorstellung nicht-evolutionär verlaufen. Um eine echte Synthese von Schöpfung und Evolution handelt es sich hier daher nicht. 228 Broker, Sünde 37. Doch ergeben sich mit diesem Versuch neue Probleme: Nach den gängigen Evolutionsvorstellungen übten die tiermenschlichen oder noch tierischen Vorfahren des Menschen Verhaltensweisen (Aggression, Promiskuität u. a.) aus, die die Bibel eindeutig als Sünde bezeichnen würde. Mit der Menschwerdung konnten diese Verhaltensweisen nicht einfach verschwunden sein. Im evolutionstheoretischen Rahmen gilt generell, daß die Abstammung des Menschen aus dem Tierreich auch das menschliche Verhalten einschließt. Es ist also von Verhaltensweisen der tierischen Vorfahren des Menschen mitbedingt und (mindestens teilweise) aus den Bedingungen der Evolution zu erklären. Auch Verhaltensweisen werden als Ergebnis der Bewährung im Daseinskampf gewertet, wenn auch nach “gemäßigten Evolutionsvorstellungen” (vgl. Abschnitt 3.2) nicht ausschließlich. Folglich sind -im biblischem Terminus - sündige Verhaltensweisen (mindestens teilweise) Folgen der Evolution. Sind sie aber Folgen der Evolution, kann man nicht wie Bröker von einer Freiheit zur Sünde (s. o.) sprechen, sondern von einer Notwendigkeit. Daher sind solche Konstruktionen selbst inkonsequent bezüglich der Evolutionslehre, auch gegenüber gemäßigten Evolutionsvorstellungen. Die Ausgrenzung des urständlichen Menschen aus der Welt würde ihn jenseits der wirklichen Geschichte plazieren, da Tod und Leiden, aber auch moralische Defekte einer evolutiven Welt nicht entzogen werden können, “sei es nur für ein räumlich begrenztes Naturschutzgebiet, das wir Paradies nennen”229. Denn der Adam des Paradieses müßte mit der vormenschlichen Herkunft verflochten gewesen sein.230 Eis widerspricht dem Grundgedanken der Evolutionslehre, den Menschen aus diesen evolutionären Gesetzmäßigkeiten herauszuhalten, um im evolutionären Rahmen eine besondere Urstandsrealität abzugrenzen. Für Bosshard ist der Sündenfall ein theologisches Sinnbild dafür, wie der Mensch sein evolu-tiv erlangtes Selbstbewußtsein, kaum daß er es erreicht hat, so maßlos überschätzt, daß er einer verblendeten Egozentrik dauerhaft verfällt.231 Der Mensch sei zwar Kulminationspunkt der Phylogenese, maße sich aber an, die Stelle Gottes auszufüllen. Alle Manifestationen von Schuld seien Folge dieses Aufbegehrens. Dieses rechtfertigetheologisch — nicht biologisch - denTod. In der Sündenfallerzählung finde sich eine theologische Auslegung des Sachverhaltes, daß der Mensch die Sicherheit seiner Instinkte verlassen hat. Dadurch sei ihm die Aufgabe zugewachsen, ein Gleichgewicht zwischen Selbstbehauptung und Selbstentäußerung bewußt zu verwirklichen. Beide Strebungen seien gleichermaßen ursprünglich in der Stammesgeschichte tief verwurzelt. Der Mensch besitze die Freiheit, sich zu versagen, und nehme diese Freiheit auch wahr. Durch den Fall werde diese an sich gute ego-altruistische Anlage pervertiert.232 Bosshard äußert sich nicht darüber, was er mit einem “Fall” im evolutionstheoretischen Kontext meint. Da er sich als konsequenten Evolutionstheoretiker ausweist (s. Abschnitt 3.3), kann damit kein reales Ereignis gemeint sein. Der Begriff ist daher fehl am Platz und suggeriert allenfalls einen traditionell verstandenen Inhalt, der in der Sicht Bosshards jedoch nicht existiert. f. Auswahl aus der vorhandenen “.Menschheit" Eine ganz andere Überlegung geht davon aus, daß Gott aus der evolutiv entstandenen Menschheit einzelne Individuen (Adam und Eva) besonders auswählte, um mit ihnen die menschliche Geschichte zu beginnen. Diese Vorstellung wurde bereits in Abschnitt 4.1 beschrieben. Durch einen solchen Auswahlakt soll dem ersten Menschen von Gott eine besondere Gnadenstellung eingeräumt worden sein. Damit wird ein historischer Urständ festgemacht, und der Einbruch der Sünde kann dem biblischen Zeugnis gemäß auf die Tat der ersten Menschen zurückgeführt werden. Neben Rohrbach233 und Heim234 muß 229 Van Onna, Urstandsfragen 4%. 230 Ebd. 251 Bosshard, Evolution 114f. 232 Ebd. 117f. 233 Rohrbach, Bibel oder Naturwissenschaft; Rohrbach, Zugang. 232 Heim, Wellschöpfung. hier auch Freiherr von Huene235 genannt werden. Er meint, daß ca. 4000 - 5000 Jahre vor Christus die evolutive Vorbereitung auf den Menschen hin vollendet gewesen sei. An dieser Stelle setze die Heilsgeschichte ein: “Gott setzt den Adam ins Paradies: durch den Sündenfall aber wurde alles anders, als es hätte gehen können. Adam und Eva mußten wieder hinaus in die Welt, und die uns bekannte Geschichte geht weiter.”236 Nach dieser Vorstellungerfolgten die wesentlichen Schritte zur Menschwerdung hin nicht-evolutiv, sondern durch einen besonderen Eingriff Gottes. Es handelt sich daher nicht um eine echte Synthese von evolutionärer und biblischer Geschichtsschau, sondern um eine unorganische Zusammenfügung von Elementen beider Konzepte.237 Diese Sichtweise ist aber auch fragwürdig, weil sie im Grunde auf einer Trennung von Leib und Geist beruht, die der Leib-Seele-Geist-Einheit des Menschseins nicht entspricht (vgl. Kritik in Abschnitt 4.1). Denn mit dem Auswahlakt Gottes, durch den Tiere zu Menschen geworden sein sollen, mußte notwendigerweise eine psychisch-geistige Transformation erfolgen, ohne daß die physische Konstitution geändert wurde, die durch Evolution entstanden sein soll. g. Der Mensch des Paradieses war nicht auf der Erde ln anderen Harmonisierungsversuchen wird postuliert, daß der Mensch des Paradieses “kein körperlich-irdisches Wesen war, das Knochenreste hinterlassen hat... . Die Vertreibung war kein irdisches Ereignis. Erst der vertriebene Mensch wird irdisch erscheinen”23*. Auch solche Bemühungen klären den Zusammenhang mit den paläontologischen Daten nicht, denn es wird nichts darüber gesagt, in welcher Beziehung der gefallene, auf der Erde erscheinende Mensch mit der irdischen Organismengeschichte steht oder wie der gefallene Mensch in das sonst akzeptierte Evolutionsgeschehen eingeordnet wird. Wäre der irdisch erscheinende Mensch ohne Abstammungszusammenhang mit den evolutiv gewordenen anderen Organismen, läge kein theistisch-evolutionistisches Konzept vor, sondern ein beziehungsloses Zusammenfügen von Elementen der Evolutionsanschauung und besonderen Eingriffen Gottes. Nach anderen Auffassungen gibt es Evolution, weil es Sünde gibt.239 D. h.: Der Evolutionsprozeß als solcher oder der auf der Basis von Defekten und Tod ablaufende Evolutionsprozeß spielt sich deswegen ab, weil die Sünde in der Welt herrscht. Wenn es die Sünde nicht gegeben hätte, hätte es nach diesen Vorstellungen unsere (postulierte) Evolution nicht gegeben. Da der Mensch jedoch erst am (vorläufigen) Ende dieses Geschehens die irdische Welt betrat, kann die Sünde des Menschen nicht der Auslöser für die Evolution oder für ihre Triebkräfte gewesen sein. Es könnte sich daher allenfalls um Sünde in der außermenschlichen Welt der Geschöpfe (etwa in der Engelwelt) handeln. Den Menschen, wie wir ihn kennen, gibt es nach dieser Vorstellung also nur, weil es die den Evolutionsprozeß auslösende Sünde gibt. Aufgrund der auch in diesem Konzept vorausgesetzten evolutiven physischen Entstehung der Menschheit ergeben sich dieselben Schwierigkeiten, die bereits in den vorangehenden Abschnitten genannt wurden. 43.3.4 Zusammenfassende Bewertung Die Vertreter einer “gemäßigten” Evolutionsanschauung wollen einen besonderen, mit einer Veränderung der Lebensverhältnisse einhergehenden Einschnitt in der Evolutionsgeschichte durch die Sünde des Menschen aufrechterhalten as Von Huene, Weg und Werk 46. M Als Hinweise auf die präadamitische Menschheit wird gewertet, daß Kain Pflanzen kultivierte und Abel Haustiere hatte. Das brauche Zeit zur Domestikation; außerdem deute das Kainsmal und der Bau der Stadt durch Kain auf prähominidc menschenartige Wesen hin, aus denen die ersten Menschen ausgewählt werden konnten (von Huene, a. a. O. 46). 2,7 Vgl. Anm. 227 zu Schützer. 238 Heitler, Natur 109f.; ähnlich äußern sich z. B. Engelland, Am Anfang 92 und P. Müller, Bibel und Naturwissenschaft 90. -iy Beschrieben bei Broker, Sinn 86ff.; vgl. DacquE, Urgestalt 95ff., der von einer “gebrochenen Urgestalt... in der Entwicklungsgeschichte der lebendigen Natur” spricht (107); s. auch DacouE , Natur und Seele 180ff. und verstehen den Sündenfall in unterschiedlicher Konkretion als geschichtliches Ereignis. Nur dadurch kann von einer Verantwortung des Menschen für die Sünde gesprochen werden. Wenn der Mensch allein evolutionsbedingt ohne seinen Willen sündhaft wäre, wäre ihm diese Situation nicht anzulasten; das Erlösungswerk Jesu Christi könnte nicht im traditionell-biblischen Inhalt bestehen, sondern müßte an die Inhalte der Evolutionslehre angepaßt und entsprechend geändert werden. Diese Konsequenz will diese Gruppe vermeiden, ohne das evolutionäre Rahmenparadigma aufzugeben. Ihre Vertreter halten sich jedoch nicht durchgängig am exegetisch zu erhebenden Ursprungssinn einschlägiger biblischer Texte. Ihre Entwürfe sind evolutionstheoretisch unrealistisch. So ist der von Alszeghy & Flick postulierte Zusammenhang zwischen dem biologischen Evolutionsverlauf und der Entscheidung der Ursprungsmenschheit für oder gegen die Sünde evolutionstheoretisch nicht denkbar, ebensowenig ein realer Sündenfall als Einschnitt im Laufe der Evolution. In anderen Entwürfen wird der Zusammenhang zur Evolution gar nicht berücksichtigt. Die in etlichen Konzepten durchscheinende Idee, der Mensch könnte verhaltensbiologisch eine “tabula rasa” sein, wenn er durch einen besonderen Eingriff Gottes (z. B. einen Auswahlakt) aus dem zuvor evolutiv gewordenen Tierreich entstanden sei, ignoriert faktisch den evolutionären Zusammenhang und stellt keine echte Synthese dar. Solche Entwürfe sind unbefriedigend, weil sie den leiblichen und seelisch-geistigen Aspekt des Menschseins zu strikt trennen. Das gilt z. B. auch für die Annahme, vor dem Sündenfall sei der Mensch mit dem Übel anders umgegangen. 4.3.4 Fehlendes Rückfragen nach der Evolutionslehre In den Abschnitten 1.5.2.1, 3.2 und 3.3 kam die sogenannte “Entflechtungsthese” zur Sprache (vgl. auch Abschnitt 4.1). Die Vertreter einer Entflechtung betrachten die Ergebnisse und Theorien der Naturwissenschaften als irrelevant für Fragen des christlichen Glaubens. Da die Evolutionslehre gewöhnlich als naturwissenschaftliche Theorie angesehen wird (fälschlicherweise, wie in Abschnitt 3.6 herausgestellt wurde) und die Theorien der Naturwissenschaften als belanglos für Fragen des Glaubens eingeschätzt werden, wird von diesen Autoren auch die Evolutionslehre als “neutral” und ohne Einfluß gegenüber Aussagen des Glaubens gewertet. Eine vollständige Scheidung evolutionstheoretischer Aspekte und biblischer Glaubensinhalte wird auch in Fragen des Urstandes und des Sündenfalls vorgenommen. Im folgenden werden einige Positionen, die zu dieser Gruppe zu rechnen sind, vorgestellt und kritisiert. Zu den “Entflechtern” ist — fast prototypisch - Karl Barth zu rechnen. Im Vorwort seiner “Kirchlichen Dogmatik” schreibt er die oft zitierten Sätze: “Die Naturwissenschaft hat freien Raum jenseits dessen, was die Theologie als das Werk des Schöpfers zu beschreiben hat. Und die Theologie darf und muß sich da frei bewegen, wo eine Naturwissenschaft, die nur das und nicht heimlich eine heidnische Gnosis und Religionslehre ist, ihre gegebene Grenze hat.”240 Hinsichtlich dessen, was die Schrift und die christliche Kirche unter Gottes Schöpfungswerk verstehen, könne es “keine naturwissenschaftlichen Fragen, Einwände oder auch Hilfestellungen” geben.241 Für Barth ist der Adam von Gen 3 “ganz trivial, was wir sind: ein Mensch der Sünde. Nur eben in der Stellung des Anfängers... Er hat es uns aber nicht als Erbe hinterlassen und vermacht, sein zu müssen, was er war: Er hat uns nicht vergiftet und krank gemacht... Nur daß er eben das gleiche, was wir alle sind und tun, an der Eingangspforte der ganzen Weltgeschichte ... getan hat... exemplarisch für alle, die nach ihm kamen"; er ist “Repräsentant aller folgenden ..., der Mann, dem faktisch alle nach ihm Kommenden (gerade auch darin, daß sie alle sofort sündigten!) gleich werden.”242 Hier fehlt die Rückfrage nach den Konsequenzen der evolutionstheoretischen Sicht. Die in Abschnitt 4.3.3.2 zusammengestellte Kritik muß auch hier angeführt werden, da die Ent- 240 Barth, KD IIIU Vorwort. 241 Ebd. 242 Barth, KD IV/I 568. flechtung - wie bereits in Abschnitt 1.5.2.1 erläutert — letztlich doch auf eine konsequent evolutionstheoretische Sicht hinausläuft. Für Tillich, der den Sündenfall, als historisches Ereignis in der Menschheitsgeschichte verstanden, als Absurdität ansieht, geht es in dieser Geschichte um eine Beschreibung der Entfremdung des Menschen und seiner Welt von ihrem Wesen.243 Der ontologische Unterschied von Wesen und Existenz, von Wesen und Wirklichkeit sei in die zeitliche Dimension projiziert. Es habe kein aktuelles, sondern nur ein potentielles essentielles Sein gegeben. Das essentielle Sein sei immer nur in existentieller Verzerrung gegenwärtig. “Vollkommen entfaltete Geschöpflichkeit ist gefallene Geschöpflich-keit.”244 Einen vollkommenen Adam vor dem Fall anzunehmen sei absurd und mache den Fall überdies unverständlich. Der Übergang von der Essenz in die Existenz ereigne sich in jedem Neugeborenen hier und jetzt. Auch Tillich interessiert sich nicht für die Folgen der Akzeptanz der Evolutionslehre. Sein Ansatz läuft dazu darauf hinaus, daß realisierte Schöpfung notwendigerweise mit der Sünde behaftet ist, und das schließt sogar ein, daß sie unter der Herrschaft der Sünde steht. Scheff czyk kritisiert hier zurecht: “Der Satz: ‘Die Schöpfung ist gut, aber sie ist reine Potentialität’, mit dem Tillich den Vorwurf der essentiellen Notwendigkeit der Sünde beheben möchte, trägt den Stempel einer reinen Verlegenheitslösung an sich; denn gerade die reine Potenz, die keinen Akt mit sich bringt, bedarf der Aktualisierung durch den Schöpfer. So bleibt Gott letztlich doch die direkte Ursache für die Sünde.”“ In der materiellen Wirklichkeit fällt die Schöpfung mit dem Fall zusammen. Daraus resultiert die “Folgerung, daß der erste sündhafte Akt zugleich als Verwirklichung der Menschenschöpfung gelten muß. Dann würde der Mensch sich im Akt der ersten Sünde erst verwirklichen, eine Deutung, die an Kants Auffassung vom Erwachen des Bewußtseins des eigenen Vernunftvermögens und des Eintritts in den Stand der Freiheit durch die Ursün-de erinnert. Sie kann nur zusammen mit einem tiefen Dualismus in der Menschennatur festgehalten werden.”2“ Eine Reihe von Theologen vertritt eine ‘'Entflechtung” zwar nicht ausdrücklich, argumentiert aber im Sinne einer solchen Trennung. Zu diesen Theologen kann Brunner gerechnet werden. Er vertritt die Auffassung, daß die Lehre vom ursprünglichen Menschsein und vom Sündenfall keine besondere Beziehung zur Prähistorie habe.247 Somit werde der Entwicklungsgedanke weder zur Erklärung christlicher Begriffe gebraucht noch stehe er im Gegensatz zu ihnen. Dennoch müsse man den Urständ zuerst als Sein und nicht als Sollen verstehen. Denn der ursprüngliche, gottgeschaffene Lebensstand bestehe darin, im Anruf Gottes zu stehen, der sich dem Menschen mitteilt und der ein Akt der Liebe sei und nicht zuerst eine Forderung.248 Durch die Sünde sei dieser Lebensstand restlos verloren. Andererseits versteht Brunner den Urständ nicht als historische Größe.249 Wenn auch das “unbrauchbare Gefäß” der historisierenden Erzählung verworfen werden müsse, dürfe doch der “unentbehrlichste Inhalt” eines alle Menschen betreffenden Sündenfalls nicht preisgegeben werden. Gott habe den Menschen nicht als Sünder geschaffen; der Mensch sei nicht in gleichem Sinne Sünder wie er Säugetier ist (für letzteres kann er nichts). Der Ursprung der Sünde und die Einheit aller in ihr lasse sich jedoch nicht darstellen. Die Frage nach dem geschichtlichen Beginn der Sünde sei unbeantwortbar. Das Thema der Bibel sei nicht die historische Entstehung, sondern die allgemeine und unwiderstehliche Macht der Sünde.250 Brunner sieht in den Begriffen “Sündenfall” und “Erbsünde” zwei Seiten derselben Tatsache zusammengefaßt, nämlich der Notwendigkeit der Sünde (die Tatsache, daß die Sünde als Macht dem Menschen immer voraus ist) und der Verantwortlichkeit des Menschen für die Sünde.251 243 Tillich, Werke V, 46. 244 Tillich, SyslTheol 294. 245 Scheffczyk, Erbschuld 33. 246 Ebd. 247 Brunner, Widerspruch Kapitel 17. 248 Ebd. 106. 249 Ebd. 250 Ebd. 121, Anm. 1. 251 Ebd. 120. Mit dem Fall werde der willensmäßige Aspekt, mit der Erbsünde der schicksalhafte ausgedrückt. Die kirchlich-traditionelle Lehre zerreiße jedoch durch ihre historisierende Form die Einheit dieser beiden Gesichtspunkte, indem sie sie auf verschiedene Personen verteilt.252 Kritik: Brunner will also einerseits den Seinscharakter des Urstandes festhalten, lehnt es aber ab, ihm eine geschichtliche Realkorrespondenz zuzuordnen. Durch verschiedene Äußerungen deutet er an, daß die Evolutionslehre im Hintergrund steht,253 denn er stellt fest, daß es so etwas wie “atavistische” Restbestände gebe, die aus unserer Vergangenheit herrührten. “In aller Sünde steckt etwas vom Atavismus oder Archaismus und Infantilismus.”254 Doch das erkläre die Sünde nicht; sie sei ein echtes Novum. Diese atavistischen Tendenzen würden erst zur Sünde dadurch, daß der Mensch ihnen in seiner sittlichen Entscheidung Raum gebe. Aber was heißt “Novum”, wenn es kein geschichtliches prae und post lapsum gibt? Brunner stellt zwei sich widersprechende Sichtweisen nebeneinander (“Der Mensch ist nicht als Sünder geschaffen” und “Der Sündenfall ist kein historisches Ereignis”) und behauptet ihre gleichzeitige Gültigkeit, ohne die Möglichkeit dieser Zusammenschau zu begründen.255 Brunner ist durchaus bemüht, eine Beziehung zur Prähistorie herzustellen: “Gerade wie das Kind, so hat auch der primitive Mensch, unser Urahn — bis zurück zum Sinanthropus oder Pithecanthropus — sowohl zum einen wie zum anderen, zum ursprünglichen wie gefallenen Menschen eine weniger deutliche, eine entferntere Beziehung als wir.”256 “Die erste sündige Regung im Herzen eines homo primigenius hat mit dem Sündenfall sicher nicht mehr zu tun als die sündliche Regung im Kleinkind.”257 Als Sündenfall im individuellen Leben könne am ehesten der Moment angesehen werden, wo das Kind zum erstenmal bewußt und betont ‘Ich’ sagt. Diese Auffassung ist jedoch sehr fragwürdig, denn auf die Stammesgeschichte übertragen hieße das, daß mit dem Erwerb des Ichbewußtseins gleichzeitig die Sünde auftrat. Das Ichbewußt- sein als solches ist biblisch gesehen jedoch nicht Sünde. Des weiteren fragt auch Brunner nicht konsequent nach den Folgen der Akzeptanz der Evolutionslehre. Unabweisbar stellen sich folgende Fragen: Wie ist die Macht der Sünde, die, wie Brunner richtig feststellt, dem Menschen immer voraus ist, im evolutionstheoretischen Kontext zu verstehen? Welchen Zusammenhang haben die sittlichen Entscheidungen des Menschen, die durch atavistische (d. h. evolutionsbedingte) Tendenzen provoziert werden, mit den Gesetzmäßigkeiten der Evolution? Brunner kann den Widerspruch nicht auflösen, daß aus dem Evolutionsgedanken einerseits folgt, daß auch die Sündhaftigkeit des Menschen entwicklungsbedingt (mindestens mitbedingt) ist258 und der Mensch somit nicht für seine Sünde und die daraus folgenden Tatsünden verantwortlich ist, andererseits der Mensch für seine persönliche Sünde von Gott zur Verantwortung gezogen wird. Wenn es eine Evolution vom Tier zum Menschen gab, dann ist die Sünde allmählich geworden. Diese Folgerung ist unter Beibehaltung des Evolutionsgedankens nur vermeidbar, wenn man ein besonderes Eingreifen Gottes bei der Menschwerdung postuliert (s. vorigen Abschnitt), was Brunner aber expressis verbis nicht tut. Als weiterer Autor sei in diesem Zusammenhang Althaus angeführt. Für ihn liegen der Urständ und der Urfall auch für Adam - wesentlich, nicht zeitlich gesprochen - zurück, wie er für uns zurückliege.259 Denn “der Fall ist in den geschichtlichen Taten da, aber er ist selber keine geschichtliche Tat; auch die erste sündige Tat in der Geschichte ist nicht der Fall selbst, sondern seine Erscheinung, sein Ausdruck. . . Urständ und Fall sind nicht zwei einander folgende histo- 252 Ebd. I20f. 253 An anderen Stellen sagt er es explizit, vgl. Abschnitt 1.3. 254 Brunner, a. a. O. 393. 253 Vgl. dazu auch die Kritik von Scheffczyk, Erbschuld 35. 256 Brunner, a. a. O. 392. 257 Brunner, Dogmalik 116. 258 Was Lorenz, von Ditfurth, Bresch u. a. vehement vertreten, vgl. Abschnitt 4.2.1. 259 Althaus, Wahrheit 147. rische oder prähistorische Epochen. Sie bezeichnen den Ursprung, von dem wir in unserem historischen Sein und Tun immer schon herkom-men.” Einerseits entspringe - so Althaus - die Sünde jetzt in mir, der Fall geschehe heute, andererseits sei er schon geschehen. Der Mensch, der heute sündigt, sei nicht der erste, der das tut. “So ist der Fall vergangen und gegenwärtig zugleich. Damit verbietet sich seine historische Datierung.”260 Dennoch will Althaus unbedingt daran festhalten, daß es zur Sünde “durch eine unableitbare unbegreifliche Tat, durch einen Fall" komme.261 Damit werde der Gedanke eines Ur-standes unumgänglich. Wir seien gezwungen, unser schöpfungsmäßiges Sein und unser Sünder-Sein klar zu unterscheiden. “Mein böser Wille, der wider Gott streitet, ist nicht von Gott gesetzt. Sünde bedeutet Widerspruch gegen das schöpfungsmäßige Sein, Verkehrung desselben. Wir sind also aus einem Urstande, den Gott gesetzt hat, herausgefallen.”262 Althaus lehnt auch die Idee, wir verfehlten mit dem Sündigen nur unsere Bestimmung, als unzureichend ab. “In der Sünde verfehlen wir es [das Leben bei Gott] nicht nur als eine uns zugedachte Zukunft, sondern wir verlieren und verscherzen es als die uns vorgegebene Wirklichkeit unser selbst.”263 Angesichts dieser eindeutigen Formulierungen ist es erstaunlich, daß Althaus dennoch eine evolutive Abstammung des Menschen aus dem Tierreich akzeptiert. Er sieht zwei Auffassungen der Weltgestalt, nämlich “Werkzeug des Liebes-willens” und “Ausdruck des Zornes” in Spannung gegeneinander.264 Dieses dürfe jedoch nicht in ein Nacheinander aufgelöst werden. Nicht eine frühere Weltgestalt (Urständ), sondern unsere Welt sei Gottes ‘sehr gute’ Welt (Gen 1), auch heute, unbeschadet dessen, daß wir als Sünder den Zug des Gerichts in ihr sehen. “Diese exi-stentiale Zuordnung der Weltgestalt zu unserer Sündhaftigkeit bedeutet keine metaphysische Herleitung unserer Welt von dem Sündenfall.”265 Wenn man so verfährt, muß man danach fragen, welcher Zusammenhang mit dem Evolutionsgeschehen besteht. Können die von Althaus hervorgehobenen dogmatischen Positionen in diesem Rahmen gehalten werden? Wie ist das Herausfallen aus einem Urständ etwa in einem hy- pothetischen “Tier-Mensch-Übergangsfeld” zu konkretisieren? Was bedeutet unter den Voraussetzungen der Evolutionslehre eine Verkehrung gegen das schöpfungsmäßige Sein? usw. Die gleichzeitige Aufrechterhaltung biblisch begründeter traditioneller Glaubensinhalte einerseits und der evolutiven Weitsicht andererseits “lebt” hier offenbar davon, daß die Evolutionslehre nicht wirklich zur Kenntnis genommen wird. So kritisiert Scheffczyk zurecht, daß an entscheidender Stelle Unklarheiten auftreten: “So heißt es vom Urständ einerseits, daß er ‘kein wirklicher Zustand der ersten Menschen gewesen’ sei. Andererseits behauptet der Autor im gleichen Zusammenhang, die Theologie könne von diesem Stande wenigstens dieses sagen, ‘daß die Gemeinschaft mit Gott in ihm ungebrochen war’.”266 Ebensowenig sind die Aussagen harmonisierbar, daß Urständ und Fall einerseits der Geschichte vorausgehen und ihr zugrunde liegen, andererseits in ihr allgegenwärtig und gleichzeitig sind. Ähnlich argumentiert Althaus bezüglich des Todes. Er will den Tod zugleich als gnädige Ordnung des Schöpfers und als Gerichtsakt festhalten. “Das Sterben hört, weil es Gericht ist, nicht auf, ursprünglicher Wille des Schöpfers zu sein.”267 Der Tod ist danach Gericht und Schöpfung, folglich nicht auf einen historischen Sündenfall Adams zurückzuführen.268 Es bleibt jedoch unklar, wie beides zusammengesehen werden kann. Schließlich seien einige Stimmen aus jüngerer Zeit genannt. Hebart269 vertritt die Auffassung (ohne dies auch nur andeutungsweise zu begründen270), daß es beim Sündenfall “nicht um das einzelne Schicksal von zwei Menschen am An- M Ebd. 147. 261 Ebd. 145; Hervorhebung im Original. 262 Ebd. 146. 265 Ebd. 264 Ebd. 189. 265 Ebd. 244 Scheffczyk, Erbschuld 42. 267 Althaus, a. a. O. 185. 268 Ebd. 186. 249 Hebart, Schöpfungsglaube 61. 270 Vermutlich schließt er sich einem allgemeinen Konsens an. fang” gehe, “sondern um etwas Grundsätzliches, das sich im Leben jedes einzelnen Menschen verhängnisvoll abspielt. In erster Linie geht es also nicht um den Ursprung der Sünde, sondern um die Darstellung ihrer Universalität." Aber können Universalität und Ursprung der Sünde so geschieden werden? In ähnlicher Weise baut Gilkey einen falschen Gegensatz auf, wenn er sagt, daß es beim Sündenfall um etwas Grundsätzliches gehe und nicht um das Schicksal zweier Menschen.271 Tatsächlich ist aber das Schicksal dieser beiden Menschen das Einbruchstor der Sünde in die ganze Welt (Röm 5,12), und weil Adam und Eva Stammeltern der ganzen Menschheit sind, geht es beim Sündenfall um etwas Grundsätzliches und Universelles. Der aktuelle Charakter der Sünde geht im übrigen nicht dadurch verloren, daß durch den einen, Adam, die Sünde in diese Welt gekommen ist. Die Erklärung des Ursprungs der Sünde und die Erklärung ihrer Universalität und Aktualität sind keine Gegensätze, sondern gehören gerade zusammen. Die biblische Urgeschichte und Röm 5 erklären, wie es dazu kam, daß alle Menschen vom Sündenproblem betroffen sind, was mit Sünde überhaupt gemeint ist und weshalb sie universal ist (s. Abschnitt 4.3.2.1). Vollkommenheit und Unsterblichkeit seien dem Menschen nicht verliehen, sondern nur verheißen worden, meinen Hemminger & Hemmin ger.272 Die Urgeschichte der Bibel beschreibe, “wie die Verheißung durch den Ungehorsam des Menschen verlorengeht und doch nicht verlorengeht, weil Gott an ihr festhält.” Was gilt nun? Verlorengegangen oder nicht verlorengegangen? Wenn sie nicht verlorengegangen ist, wäre die Warnung Gottes leer gewesen. Ist sie aber doch verlorengegangen: wie und wann soll sich das in der Evolution abgespielt haben? Was für einen Bezug zur Evolutionslehre gibt es? Wie soll man diesen Verlust im Rahmen der Evolutionslehre verstehen? Da diese beiden Autoren sich diesen Fragen nicht stellen, betreiben sie faktisch eine Entflechtung von Aussagen der Evolutionslehre und biblischen Inhalten. Weiter schreiben Hem minger & Hemminger, dem Menschen sei ursprünglich eine heile Gottesbeziehung angebo-ten worden. Sie sei dadurch verlorengegangen, daß der Mensch selbst Gott sein wollte. Daher befinde sich der Mensch heute im Zustand des Verlustes; menschliche Schuld habe etwas mit diesem Verlust zu tun.273 Was soll aber “Verlust” heißen, wenn es keinen historischen Sündenfall und kein “goldenes Zeitalter” (wie Hemminger & Hemminger sich wohl in Anspielung an die römische Zeitalter-Lehre ausdrücken) gegeben hat? Wie soll sich dieser Verlust in der Evolutionsgeschichte ausgewirkt haben? Wie soll die ursprünglich heile Gottesbeziehung ausgesehen haben? Das sind unabweisliche Fragen, wenn man wie diese Autoren eine allmähliche Evolution vom Tier zum Menschen voraussetzt. Wenn unter diesen Voraussetzungen diese Fragen gar nicht erst gestellt werden, hat man die eigentlichen Probleme verschwiegen und dadurch umgangen.274 Dann kann auch die Feststellung dieser beiden Autoren nicht wundern, daß die Evolutionstheorie “nirgends” zu besonderen Konflikten mit dem Schöpfungsglauben führe.275 Das scheinbar problemlose Zusammenfügen der Evolutionslehre mit der biblischen Urgeschichte wird schließlich auch dadurch ermöglicht, daß unabdingbare Aspekte der Evolutionslehre nicht berücksichtigt werden. Dies gilt z. B. für Lanzen-berger, wenn er schreibt: “Adam lebt noch jenseits von Gut und Böse.”276 Man muß — evolu- 271 Gilkey, Himmel und Erde. 272 Hemminger & Hemminger, Weltbilder 159; ähnlich Feiner & Lohrer, MystSal 8371.: dem von Natur her sterblichen Menschen sei das ewige Ixben in Aussicht gestellt worden. 273 Hemminger & Hemminger, a. a. O. 160. 274 Wie diese notwendige Rückfrage umgangen wird, sei an einem weiteren Beispiel deutlich gemacht: “Schuld, Tod, Krankheit und leiden unter den Menschen werden auf die Macht des ‘Lügners von Anfang an’ zurückgeführt” (163). Der Mensch stand vor der Wahl, von der die Sündenfall-Geschichte erzählt, entweder bewußt Gottes Geschöpf oder selbst Gott sein zu wollen. “Wie diese Wahl erfolgte, wissen wir nicht. Wir wissen nur, wie sie ausging’’ (192). Wer eine theistische Evolution vertritt, muß hier plausibel machen, wie es überhaupt im evolutionären Geschehen zu einer solchen Wahl kommen konnte. Was soll “Wahl” in einem Prozeß bedeuten, der vollständig naturgesetzlich verlaufen sein soll? 275 Hemminger & Hemminger, a. a. O. 157; die Autoren meinen mit “besonderen Konflikten” solche, die über diejenigen Schwierigkeiten hinaus führen, die es auch ohne die Evolutionslehre gebe. 276 Lanzenberger, Schöpfung 107. tionstheoretisch gedacht - fragen: Wann war das? War es zur Zeit des Homo ereclus oder des Neandertalers? Was bedeutet diese Aussage im Rahmen der Evolution? Wie entstehen überhaupt Gut und Böse in der Evolution? Zur Sünde führt dieser Autor aus: “Naturwissenschaftler sehen das Rätsel von Sünde, Leid und Not, die Welt der Störungen streng von biologischen Gegebenheiten aus. Sie betrachten das Problem von einer ganz anderen Seite als der biblische Bericht. Damit heben wir die biblischen Aussagen von der Sünde nicht auf.”277 Aber wie werden nun beide Seiten zusammengebracht? Der Anspruch, die Evolutionsanschauung mit dem biblischen Zeugnis zusammenzubringen, wird nicht konkret umgesetzt. Bei der Erschaffung des Menschen sieht Lan zenberger einerseits Gottes müheloses Wirken,278 doch wenn man bedenkt, daß der Prozeß der (seiner Auffassung nach von Gott gelenkten) evolutiven Menschwerdung quälend langsam und durch eine unbarmherzige Auslese ablief, kann diese Einschätzung kaum vertreten werden. Die Evolutionsvorgänge können keineswegs durch den Begriff “mühelos” charakterisiert werden. Haag gibt zur Frage, woher das Böse komme, als Antwort: “Es kommt nicht von Gott, sondern es kommt einzig und allein von der Sünde des Menschen. Das ist die zeitlose Botschaft dieses Textes.”279 Sünde versteht er dabei als ein “Sich-Hinwegsetzen des Menschen über den Willen und die Ordnung Gottes”. Demgegenüber bleibe es relativ unwichtig, worin die Sünde konkret bestanden habe.280 Wie eine solche Aussage in einem konsequent evolutionstheoretischen Rahmen (von dem Haag ausgeht) aufrechterhalten werden kann, ist nicht ersichtlich. Andererseits stellt er nämlich fest: “Daß es eine solche Welt [einen leidens- und todesfreien Urständ] in Wirklichkeit niemals und nirgends gab, ist jedem Einsichtigen klar.”281 4.3.5 Monogenismus Unter Monogenismus versteht man die Abstammung der Menschheit von einem einzigen Paar. In der traditionellen Dogmatik wurde nach Genesis 2 dieses erste Menschenpaar mit Adam und Eva identifiziert (Röm 5,12ff; 1 Kor 15,21ff.). In der Frage nach einem ersten Menschenpaar geht es in erster Linie um die Schicksalsverbundenheit der Menschheit. Mit Polygenismus wird ein Ursprung der Menschheit innerhalb einer Population bezeichnet. Nach der Evolutionslehre ist nur ein Polygenismus denkbar (vgl. Abschnitte 2.4 und 2.5), wenn man nicht ein besonderes unmittelbares Eingreifen Gottes in den Evolutionsprozeß postulieren will (s. u.; vgl. Abschnitt 4.1). Die Frage nach einem Mono- oder Polygenismus der Menschheit ist theologisch relevant, denn (wie in Abschnitt 4.3.2 gezeigt wurde) die Zeugen des Neuen Testaments stellen Jesus Christus, den Erlöser, in die eine von Adam herkommende Menschheitslinie (Monogenismus) und dem ersten Adam gegenüber (Röm 5,12ff.). Gäbe es neben der Adamslinie noch weitere Menschheitslinien, wäre die Frage unabweislich, welche Beziehung Jesus Christus zu diesen habe und wie sich sein Erlösungswerk zu ihnen verhalte. Zum Problemkreis “Monogenismus/Polygenis-mus” gibt es auf katholischer Seite eine Fülle von Literatur. Die in diesem Zusammenhang bekannt gewordene Enzyklika Humani generis von Pius XII aus dem Jahre 1950 kritisiert die Polygenismus-Auffassung: “Eis ist in keiner Weise ersichtlich, wie eine derartige Auffassung sich vereinbaren läßt mit dem, was die Quellen der geoffenbarten Wahrheit und die Akten des kirchlichen Lehramtes über die Erbsünde sagen.. .”282 Unter dem Eindruck der scheinbaren Plausibilität der Evolutionslehre halten viele Autoren einen biologischen Monogenismus jedoch nicht für un-aufgebbar.283 Die mit dem Monogenismus verquickten dogmatischen Inhalte werden ander- 277 Ebd. 121. 278 Ebd. 67. 279 H. Haag, Schöpfungsgeschichte 45. 280 Ebd. 46. 281 Ebd. 47. 282 Zit. nach Schmaus, Weltbild 36; vgl. Rahner, Monogenismus 25 5 ff. 285 Vgl. Feiner & Lohrer, MystSal 576. weitig (nicht durch biologisch-genetische Abstammung) zu sichern gesucht. Die wichtigsten hierzu vorgebrachten Konzepte werden im folgenden zusammengestellt und kritisiert.284 4.3.5.1 Schicksalsverbundenheit durch soziale Verbundenheit Der Frage, wie man auch ohne erstes Menschenpaar die Schicksalsverbundenheit der Menschheit aufrechterhalten könne, widmet sich beispielsweise Hulsbosch. Seine Lösung liegt im Hinweis auf das soziale Netz, durch das alle Menschen verbunden sind.285 “Wenn die Welt gänzlich in der Macht des Bösen liegt, erstreckt sich diese Macht auch auf das neugeborene Kind, nicht aufgrund persönlicher Schuld, sondern als ein für sein Verhältnis zu Gott mitbestimmender Faktor.”286 Außerdem sieht er ein Prinzip der Einheit des Menschengeschlechts in der Tatsache, daß die Frage nach Gott im Menschen von Natur aus enthalten sei. Darin liege sogar “ein viel höheres Prinzip der Einheit, als es je durch die Abstammung von einem Stammvater begründet werden könnte.”287 Die Sünde eines repräsentativen Einzelnen würde, so Rahner, die Einheit der Menschheit in der Sündenverfallenheit auch bei einem biologischen Polygenismus begründen.288 Dasselbe gelte, wenn die ursprüngliche menschliche Gemeinschaft in Interkommunikation gesündigt hätte. “Es ist durchaus denkbar, daß die humanitas origi-nans in alten ihren Gliedern am Anfang sich Gott versagt hat und so alle zusammen jenes Subjekt ‘Adam’ bilden, das durch Schuld die gnadenvermittelnde Funktion der Herkünftigkeit der humanitas originata aufhebt. Wird die Voraussetzung einer allgemeinen Schuld der humanitas originans gemacht, dann scheint mir überhaupt keine zwingende Schwierigkeit gegen einen polygenistischen Ursprung der Menschheit von der Erbsündenlehre her mehr gegeben zu sein. ‘Adam’ als Sünder ist dann der plastische Ausdruck für eine auch heilsgeschichtliche Einheit der humanitas originans, die als ganze gesündigt hat mit den Folgen, die die traditionelle Erbsündenlehre dieser Sünde zuer-kennt.’’28'’ Eine Möglichkeit, einen Polygenismus zu akzeptieren, sieht Scheffczyk dann gegeben, falls man voraussetzt, daß die frühe Menschheit in einer örtlich und zeitlich zusammenhängenden Einheit existierte, in der auch ein gemeinsames Versagen vor Gott denkbar ist.290 In ähnlicher Weise setzt sich Weger mit einem “theologischen Monogenismus” auseinander. Darunter versteht er die Alleinverursachung der Erbsünde aller Menschen durch einen einzigen Menschen im Rahmen eines biologischen Polygenismus.291 Es muß in einem solchen Kon- 261 Baumann, Erbsünde, unterscheidet hier: - den evolutionistischen Weg: Danach wird versuch!, das evolutionistische Weltbild für die Theologie fruchtbar zu machen. Nach einem Grundaxiom dieser Sicht ist der von Gott erschaffene Mensch der Mensch, wie er in der Vollendung sein wird (Hulsbosch, Teilhard). Erbsünde wird als sich in diesem Prozeß entwickelnd (Hulsbosch) oder als Nebenprodukt (Teilhard) verstanden. - den “soziologischen” Weg: Danach wird die gesellschaftliche Verflechtung als Grund für die Allgemeinheit der Sünde angesehen; Ursünde ist die soziale Situation, in die der einzelne hineingeboren wird (Schoonenberg). - den personalen Weg: Dieser Weg betont die persönliche Verantwortung des einzelnen für seinen Schuldzustand. Kurz: Adam bin ich. “Die Allgemeinheit der Sünde beruht auf der schuldhaften, verantwortlichen Tat jedes einzelnen" (Ebd. 187), und zwar ausschließlich. “Einen ‘vorpersonalen Schuldzustand’ gibt es nicht" (Ebd.). Urständ bedeutet die gegenwärtige, unabänderliche Wirklichkeit des Geschaffenen; er ist weder vergangenes (wie beim historischen Weg) noch etwas Zukünftiges (wie beim evolutionistischen). Der personale Weg umgeht die Frage nach der Ursache und stellt sich der anstehenden Problematik nicht. Denn wäre die Erbsünde “die Beschreibung des Verlustes einer Unschuld, die jeder Mensch neu verliert, dann müßte doch gesagt werden, warum jeder Mensch sie verliert" (Spaemann, Erbsündenlehre 48). 285 Hulsbosch, Schöpfung 45. 286 Ebd. 57. 281 Ebd. 55. 288 Rahner, Erbsünde 461 -465 289 Ebd. 464. Eine ähnliche Vorstellung äußerte GREtxrr (bei Weger, Erbsünde 62): Ein erstes Menschenpaar habe durch die erste freie personale Entscheidung die Menschwerdung erreicht, sich in dieser Entscheidung aber gegen das göttliche Gnadenangebot gestellt und gesündigt. Da nun alle anderen Menschen mit diesem Paar in Kommunikation standen, habe dieses Paar als Initiator und Lehrmeister beim Rest der Population diesen Schritt zur Menschwerdung ebenfalls ausgelöst (“Kelten-Hominisation"),d. h. die übrigen Glieder der Population wurden nun auch Menschen mit der Fähigkeit zur personalen Entscheidung und im Kontakt mit dem ersten, bereits sündigen Menschenpaar. In diesem Sinne sei das erste Menschenpaar Stammeitempaar aller Menschen. 290 Scheffczyk, Weltevohxtion 178f. 2,1 Weger, Erbsünde 58. zept gezeigt werden, daß dieser eine Mensch (oder dieses eine Menschenpaar) anthropologisch und heilsgeschichtlich eine einzigartige, einmalige Funktion hatte. Weiter muß geklärt werden, was die anderen Menschen mit diesem Paar verband, so daß die Sünde dieses Paares die anderen “infizierte”. Kritik: Zunächst verstoßen diese Konzepte gegen das biblische Zeugnis, daß das Unheil durch die Tat eines einzigen Menschen seinen Lauf nahm (vgl. Abschnitt 4.3.2); lediglich Rahner kann von dieser Kritik ausgenommen werden, da er vom Einbruch der Sündenmacht durch eine einzige repräsentative Person ausgeht. Darüber hinaus besteht die Problematik eines Polygenismus zunächst darin, daß er nicht nur mehr- oder vielfacher Ursprung der Menschheit bedeutet, sondern überhaupt die evolutive Entstehung der ersten Menschen. Daher müssen dieselben Einwände geltend gemacht werden, die bereits in den vorigen Abschnitten zur Sprache kamen. Eine Schicksalsverbundenheit kann zwar durchaus nicht-biologisch begründet werden, doch die eigentlich dahinterstehende Problematik nach dem Einbruch von Sünde und Tod wird dadurch nicht verändert; die Schwierigkeiten, das biblische Ursprungszeugnis mit der Evolutionslehre zu harmonisieren, vermehren sich und treten nur noch schärfer hervor. Durch die genannten Konzepte eines “theologischen Monogenismus” werden die entscheidenden Ursprungsfragen nicht beantwortet: Warum ist das soziale Netz vergiftet (vgl. Hulsbosch)? Wie entstand die Sünde des einzelnen, der alle mit sich in den Abgrund riß (Rahner)? Worin besteht das gemeinsame menschliche Versagen (Rahner) beim Durchlaufen des Tier-Mensch-Übergangsfeldes und weshalb geschah es? Es bleibt unklar, worin die ursprüngliche menschliche Gemeinschaft sich verfehlt hat, worin ihre Schuld bestehen soll und inwiefern sie nicht “naturnotwendig (evolutionsbedingt) sein kann. Auch Hulsboschs Idee der Verbundenheit durch die gemeinsame Gottesfrage erscheint vor dem Hintergrund der vorausgesetzten Evolution wenig durchdacht. Denn in diesem Denkrahmen stellt sich die Frage, wie diese die Mensch- heit verbindende Frage nach Gott evolutionär aufgekommen sein soll. 43.5.2 Ein erstes Menschenpaar im Evolutionsprozeß? Manche Autoren gehen davon aus, daß im Laufe des Evolutionsprozesses ein erstes Menschenpaar aufgetreten sein könne, um auf diese Weise den Texten aus Röm 5 und 1 Kor 15 gerecht zu werden. So versucht Schützer den Monogenismus auch in einem evolutionären Rahmen dadurch aufrechtzuerhalten, daß er von einer thei-stischen und finalistischen Evolution ausgeht und Gottes richtenden Einfluß in diesem Prozeß zugesteht.292 Schmaus vertritt die Auffassung, daß Gott in dem biologischen Feld, dem der Mensch entstammt, in einem einzigen Organismus den Geist entstehen ließ, nicht aber in den übrigen Exemplaren und Populationen.295 Diese hätten sich weiterentwickelt oder seien ausgestorben. Die Naturwissenschaft könne die monogenetische Abstammung des Menschen weder beweisen noch widerlegen. Nach Heinisch könne die Wissenschaft nicht ausschließen, daß das Menschengeschlecht mit einem einzigen Urelternpaar begonnen habe.294 Genau das berichte die Bibel und ergänze damit in einem wichtigen Punkt die profane Wissenschaft. Die Menschwerdung könne nur als ein Wunder Gottes begriffen werden; auch die Vertreter der Entwicklungslehre müßten, wenn sie den wesentlichen Unterschied zwischen Tier und Mensch anerkennen, an dieser Stelle ein-Wunder annehmen. Als ersten Menschen Adam dürfe man nicht den paläontologisch ersten Menschen ansehen, sondern den religions- bzw. heilsgeschichtlich ersten, so Fattinger. Adam sei der “Vollendungsmensch mit erstmaliger übernatürlicher Ausstattung und der zum ersten Mal auf schwere m Schützer, Position 226. m Schmaus, Dogmatik 349. ** Heinisch, Probleme 56. Entscheidung geprüfte, weil infolge erreichter ethischer Reife prüfbare Mensch.”295 Kritik: Die Auffassung einer Zielgerichtetheit der Evolution auf den Menschen hin ist evolutionstheoretisch gesehen nicht demonstrierbar (vgl. die Abschnitte 2.4 und 4.7.1.2). Die Annahme einer Zielorientiertheit des Evolutionsgeschehens ist ein Postulat, das nicht aufgrund empirischer Befunde gestützt werden kann. Daher nimmt die Vorstellung, Gott habe die Evolution auf ein erstes Menschenpaar hin gelenkt (Schützer), keine Rücksicht auf die Inhalte der Evolutionslehre, wenn auch Schmaus296 zurecht feststellt, daß die Naturwissenschaft die monogenetische Abstammung nicht widerlegen könne. Im Rahmen der Evolutionslehre ist es jedoch reine Willkür, ein erstes Menschenpaar im Tier-Mensch-Übergangsfeld herauszuheben. Dieses Postulat wird von der Evolutionstheorie nicht nahegelegt (im Gegenteil), sondern bedeutet eine dogmatisch begründete Einschränkung des Evolutionsgedankens. Darüber hinaus müßte in einem evolutionstheoretischen Rahmen ein erstes Menschenpaar sich nur auf einem sehr “primitiven” Stadium befunden haben, so daß man mit Teilhard de Char Din297 und Weger298 zurecht kritisieren könnte, daß man dem evolutiv entstandenen ersten Menschen nicht die Verantwortung für den Einbruch der Sünde zumuten könne. Darüber hinaus ist unverständlich, warum Gott nur einem (Paar) und nicht allen seine Gnade und die damit verbundene Prüfung angeboten haben sollte.299 Die Konsequenz, im evolutionstheoretischen Kontext den ersten Menschen als primitiv anse-hen zu müssen, versucht Fattinger zu umgehen, indem er unter den bereits kulturell tätigen und ethisch “entwickelten” Menschen den Adam sucht (s. o.), doch in diesem Stadium der postulierten evolutionären Menschheitsentwicklung kann kein erstes Menschenpaar herausgehoben werden. Außerdem ist die Annahme einer “ethischen Schwelle” sehr fragwürdig, ab der der Mensch plötzlich für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden kann. 4.3.6 Zusammenfassung Beim Verständnis von Urständ, Sündenfall und Erbsünde geht es um zentrale Fragen der biblischen Erlösungsordnung. Die inhaltliche Bestimmung des Sündenfalls kanalisiert das Verständnis der Erlösung. Die biblische Heilslehre basiert fundamental auf dem Einbrechen der Sünde und dem Tod (in allen seinen Aspekten, auch dem physischen) durch ein historisches Ereignis (Abschnitt 4.3.2). Sünde und Tod gehören nicht zur prälapsarischen Schöpfungsordnung. Gott hat den Menschen nicht evolutiv zum Sünder gemacht oder werden lassen. Weil die Menschheit selbstverschuldet unter die Macht von Sünde und Tod unterworfen wurde (und mit ihr die ganze Schöpfung), ist sie erlösungsbedürftig. Plausible oder gar zwingende Gründe gegen ein historisches Verständnis des Sündenfalls (und der ganzen biblischen Urgeschichte) wurden nicht aufgewiesen (Abschnitt 4.3.2.4). Ein sekundärer Einbruch von Sünde und Tod in die Schöpfung ist im Rahmen der Evolutionslehre nicht denkbar. Unter Zugrundelegung der unverzichtbaren Inhalte aller Evolutionsvorstellungen (vgl. Abschnitt 2.8) muß das traditionelle biblisch begründete Verständnis von Urständ, Sündenfall und Erbsünde aufgegeben und im evolutiven Denkrahmen inhaltlich neu bestimmt werden. Die Sünde wird als unvermeidlicher Nebeneffekt der Evolution, als notwendige Kehrseite der Schöpfung verstanden. Sie tritt in dem Maße auf, wie die Evolution in ihrer Komplexität zunimmt. Gott konnte demnach keine andere Werdewelt schaffen als eine solche, der das Übel solange anhaftet, bis die Schöpfung (nach vielen Milliarden Jahren) vollendet ist. “Erbsünde” bedeutet “mühsamer Anfang”, der Ausdruck eines “Noch nicht” anstelle eines “Nichtmehr”, eines Verlustes. Die bezeugte Vollkommenheit der Schöpfung wird vom Anfang an das Ende, das Ende der Evolution verlegt (Abschnitt x Fattinger, Adam 6. -**' Schmaus, Dogmatik 349. 2.7 Teilhard de Chardin, Glaube 60. 2.8 Weger, Erbsünde 9 w Ebd. 59. 4.3.3.1). Diese Sichtweise läuft auf eine Verharmlosung der Sünde hinaus; ihr personaler Charakter wird ebenso ausgeblendet wie ihre dämonische Dimension. Zentrale biblische Glaubensinhalte werden damit bestritten. Im zusammenfassenden Abschnitt 43.3.4 wurden bereits solche Versuche einer kritischen Würdigung unterzogen, die entsprechend einer “gemäßigten” Evolutionsanschauung einen Sündenfall-Einschnitt im Evolutionsgeschehen festma-chen wollen. Diese Autoren verlassen an verschiedenen Stellen den exegetisch zu erhebenden Sinn einschlägiger biblischer Texte. Darüber hinaus sind ihre Entwürfe evolutionstheoretisch unrealistisch. Die geschilderten Konzepte wirken teilweise gekünstelt und sind insofern in hohem Maße spekulativ, als allenfalls indirekt auf die in der (vorausgesetzten) Evolutionslehre gedeuteten Daten und auf die relevanten biblischen Texte und Hauptpunkte christlicher Glaubenslehre Bezug genommen wird. Dies gilt auch für die Überlegungen, wie im Kontext der Evolutionsanschauung ein monogenetischer Ursprung der Menschheit vertreten werden kann. Auch in der Sündenfall-Thematik verfahren einige Autoren nach einer Entflechtungsstrategie. Dogmatisch grundlegende Aussagen der biblischen Zeugen werden dabei zwar aufrechterhalten, gleichzeitig Inhalte der Evolutionslehre akzeptiert, die diesen Glaubensinhalten widersprechen, ohne diesen Widerspruch befriedigend zu behandeln oder gar aufzulösen. 4.4 Die Bewertung von Krankheit, Leid und Tod In Kapitel 2 wurde dargelegt, daß der Tod der Organismen und seine Begleiterscheinungen wie Krankheit, Verletzungen oder Mißbildungen im evolutionstheoretischen Kontext notwendige Nebenprodukte des Evolutionsprozesses und Erfordernisse für dessen Vorankommen sind. Dies gilt auch für alle Varianten theistischer Evolutionsvorstellungen.1 Ohne Tod und ohne Leiden gibt es keine Evolution und folglich auch keine wie auch immer geartete theistische Evolution. Während beispielsweise in der Frage nach der Zufälligkeit des Evolutionsverlaufes ein Spielraum für Spekulationen besteht, ob das, was zufällig erscheint, in Wirklichkeit Ergebnis schöpferischer Lenkung sein könnte, besteht für die Bewertung der Rolle des biologischen Todes in Evolutionstheorien kein Spielraum. Ohne Tod gibt es kein Leben. Der Tod des einzelnen ist die Voraussetzung für eine Stammesentwicklung. Mohr schreibt: “Wenn wir also die Evolution des Lebens als ein in der Bilanz positives Ereignis, als die ‘reale Schöpfung’, ansehen, akzeptieren wir damit auch unseren Tod als einen positiven und kreativen Faktor . . .”2 Der Tod ist evolutionstheoretisch gesehen ein Mechanismus, der Leben hervorbringt! Die Lebewesen seufzen unter den Bedingungen ihrer Existenz (Röm 8,19—22). Für dieses Seufzen gilt — evolutionstheoretisch gesehen -dasselbe wie für den Tod. Es ist notwendig für die Hervorbringung höherer Lebensformen. Der Theologe Bosshard schreibt: “Der Tod entpuppt sich in der Natur im Grunde als eine notwendige biologische Maßnahme zum Schutz des Lebens.”3 Bewertung von Krankheit Im evolutionstheoretischen Rahmen sind die Begleitphänomene des Todes wie Krankheiten und Mißbildungen genauso zu bewerten: “Die natürlichen Übel von Krankheit, Zerstörung, Hungersnot und Tod sind ... die Ergebnisse der strukturellen Gesamtheit einer relativ unabhängi- gen Schöpfung, die entsprechend ihrer eigenen gottgegebenen Entwicklungsabläufe funktioniert. .. . Der wesentliche Punkt ist, daß das potentiell Gute und Sinnvolle des erschaffenen Lebens immer die Möglichkeit des natürlichen Übels in sich trägt. Das Böse ist immer das Ergebnis der gesamten Wechselbeziehungen.”4 Krankheiten sind in gewissem Sinne Vorboten des Todes. Man empfindet Krankheit als destruktiv, als Widerspruch zum Leben. Krankheiten bedeuten Einschränkung der Lebensfähigkeit und der Lebensfreude und -fülle. Im Kontext der Evolutionslehre müssen Krankheit wie der individuelle T od und der Artentod jedoch als unvermeidliche Nebenaspekte des Artenwandels gewertet werden. Dieser Zusammenhang existiert, weil Evolution nur durch Mutabilität der Lebewesen möglich ist, die meisten Mutationen jedoch zu verminderter Vitalität, Krankheit, Mißbildung oder Tod führen. Folglich muß man bei einer Harmonisierung von Evolutionslehre und biblischem Schöpfungsglauben das Phänomen Krankheit als Schöpfungsmittel Gottes ansehen. Die biblischen Textzeugen werten Leiden und Sterben grundsätzlich negativ. Der Tod ist Feind Gottes (1 Kor 15,26), der Widerspruch zum Leben, “der Sünde Sold” (Röm 6,23). Die ganze Kreatur sehnt sich nach Erlösung von der Knechtschaft der Vergänglichkeit (Röm 8,19ff.). Das gilt gleichermaßen für den geistlichen wie für den leiblichen Tod (Gen 3,3 + 19; Röm 5,12ff.; vgl. Abschnitt 4.3.2.1). Gese stellt fest, daß auch für die mythische Überlieferung der Tod “als das zentrale Problem des Menschseins verstanden wird, als die anthropologische Grundgegebenheit, die eben nicht der kosmischen Ordnung voll 1 Vgl. die Zusammenstellung der Gemeinsamkeiten aller Evolutionsanschauungen. 2 Mohr, Leiden 12. 3 Bosshard, Erschafft die Weh 156; vgl. von Weizsäcker, Tod. 4 Gilicey, Himmel und Erde 190. entsprechen kann.”5 Das Alte Testament habe diese Seinserfahrung nicht beiseite geschoben. “Für den Schwerkranken,.für den mit dem Tod konfrontierten Menschen gibt es als Heil nur die Möglichkeit, in diese Welt des Lebens zurückgerufen zu werden, an der Israel-Existenz teilzuhaben, es gibt kein Heil im Tod.”6 Wo Gott ist, ist Leben, daher hat der Tote als solcher keinen Anteil an Gott.7 Daß der Tod der Feind Gottes ist, äußert sich auch darin, daß Jesus Christus Tote auferweckt hat und daß er “dem Tod die Macht genommen” hat (2 Tim 1,10). Jesus Christus hat durch seinen Tod den Teufel entmachtet, der die Gewalt über den Tod hat (Hebr 2,14). Aus der Tatsache der Auferstehung Jesu folgt ebenfalls, daß der Tod etwas Widergöttliches ist. Erlösung im christlichen Sinne schließt die Befreiung vom Tod und seinen Begleiterscheinungen ein (Offb 21,1-5). Die leibliche Auferstehung Jesu, der Sieg über den Tod, ist das entscheidende und schicksalswendende Ereignis der Menschheitsgeschichte.8 “Die Auferweckung Jesu erscheint als Sieg Gottes über die Macht des Todes und als das große Zeichen, daß Gottes Heilswille und Lebensmacht die Grenze des leiblichen Todes nicht anerkennt.”9 Zeichenhaft für die eschatologische Auferstehung hat Jesus Tote auferweckt und auch damit neben seiner eigenen göttlichen Macht den negativen Charakter des Todes unterstrichen. Jesus Christus selbst hat den Tod an sich als negativ betrachtet und seinen eigenen Tod als Sündenstrafe erlitten. Die Macht der Sünde traf ihn in seinem eigenen Tod. Den Evangelien kann man unschwer entnehmen, daß Jesus Angst vor dem Tode hatte. “Der Tod ist für ihn nichts Göttliches. . . . Jesus zittert wirklich vor dem großen Feind Gottes”, schreibt Cullmann zurecht.10 Auch für Jesus also, der in völlig intakter Beziehung zum Vater lebte, ist der Tod unnormal und abschreckend. Der Tod wird somit nicht erst durch die Sünde schrecklich: Auch Jesus als der Sündlose akzeptierte den leiblichen Tod nicht als etwas Normales: “Ich habe eine Taufe, mit der ich getauft werden muß, und wie ist mir angst, bis sie vollendet ist” (Luk 12,50). “Alles ist dir möglich, laß diesen Kelch an mir vorübergehen” (Mk 14,36). Nach Hebr 5,7 hat Jesus mit großem Geschrei und mit Tränen Bitten und Flehen vor den gebracht, der ihn retten konnte. Daß auch Krankheit und Leid etwas Gottwidriges sind, kann man daran ersehen, daß Jesus Kranke geheilt hat. Die Heilungen durch Jesus und seine Jünger wären unverständlich, wenn Krankheit etwas wäre, das einem natürlichen Prozeß (Evolution) entspringt und wesensmäßig zur (als Evolution gedachten) Schöpfung gehören würde. Es wäre widersprüchlich, wenn derselbe, der die Krankheiten heilte, diese in Kauf genommen hätte, um die Lebewesen zu erschaffen. Außerdem hat Krankheit mit Sünde zu tun, wenn auch meist nicht unmittelbar (Joh 9, lff.; Jak 5,14ff.). Dies macht Jesus deutlich, wenn er zum Gelähmten (Mk 2,5) zuerst sagt: “Deine Sünden sind dir vergeben.” Krankenheilungen Jesu sind also nicht nur ein Zurückdrängen des Tödes, sondern ein Einspruch gegen die Sünde.11 Schließlich wird aus Röm 8,19ff. deutlich, daß das “Seufzen” der ganzen Kreatur in der neuen Schöpfung aufhören soll und daß es durch eine Unterwerfung begonnen hat. Zum Seufzen der Schöpfung sind auch Krankheit und Tod zu rechnen. Röm 8 macht deutlich, daß dies nicht Teil der guten Schöpfung Gottes ist. Da Krankheit letztlich aus der Sünde resultiert, kann sie — so wenig wie Sünde selbst — nicht wesensmäßig zur “guten Schöpfung” Gottes gehören. Nirgendwo wird in der Bibel der Tod als Mittel der Hervorbringung von Leben, als kreatives Werkzeug der Schöpfung gesehen. Im Gegenteil werden Tod, Krankheit, Elend und jegliches Unheil mit dem Gericht Gottes in Verbindung gebracht (nicht unbedingt in einem unmittelbaren Tun-Ergehen-Zusammenhang, wie etwa Joh s Gese, Zur biblischen Theologie 34. 6 Ebd.41. 7 Ebd. 216. 8 Zur Bedeutung der AuferstehungJesu vgl. K\nwEm,Auferstehung. Der Erlanger Dogmatiker zeigt in diesem Werk, daß die Auferstehung im Mittelpunkt des NT steht und damit im Mittelpunkt des christlichen Glaubens stehen muß. 9 Ruckstuhl, Unheilslast 104. 10 Cullmann, Unsterblichkeit 25. 11 Heim, Weltvollender Kap. 3. 9,1—7, Lk 13,4 und vor allem das Buch Hiob deutlich machen). Vor diesem Hintergrund stehen Harmonisierungsbemühungen vor der Aufgabe, Tod und Leid zugleich als Schöpfungsmittel und als Gerichtsmittel plausibel zu machen. Gibt es eine Möglichkeit, die Schlußfolgerung, Tod und Krankheit seien Schöpfungsmittel Gottes, zu vermeiden? Wie wird dieser offensichtliche Widerspruch zwischen der positiven evolutionstheoretischen Bewertung des Todes und der eindeutig negativen Einschätzung der biblischen Autoren zu überwinden versucht? 4.4.1 Konsequent evolutionstheoretische Konzepte Autoren, die konsequent evolutionstheoretisch orientiert sind (vgl. Abschnitte 1.5.2.1 und 3.3), setzen sich über die biblische Bewertung von Tod und Leid hinweg und bejahen die evolutionstheoretische Bewertung. a. Der Tod als etwas Positives Altner versteht in gewissem Sinne den Tod als “Tiefe des Lebens und Bestandteil von Gottes guter Schöpfung”12. Seine Begründung: “Die Hoffnung auf eine endgültige Todesaufhebung als Ziel und Abschluß der evolutiven Selbstüberhöhung des Lebens ist nur auf dem Weg über die im Leiden vollzogene Teilhabe am Tod zu haben, auch wenn das Leben über diesen hinausgeht und hinausträgt.” Altner schreibt weiter: “Der Wechsel der Generationen, das Nacheinander von Geburt und Tod, von Tod und Geburt, dieses als bedrückend empfundene Geschehen, Todesgeschehen innerhalb des Lebens, kann, wenn die Schöpfung als Wirklichkeit bejaht wird, als positive Lebensmöglichkeit aufscheinen.”13 Kritik: Die biblischen Aussagen über den Ernst und die Gottwidrigkeit des Todes (s. o.) werden hier übergangen. Außerdem wird eine Unterscheidung zwischen der Bedeutung des Todes vor und nach dem Sündenfall ganz aufgelöst, was insofern folgerichtig ist, als Altner den Sündenfall ohnehin nicht als ein historisches Ereignis ansieht. Altner denkt konsequent evolutioni-stisch und gelangt so zur Umwertung des Todes. Die Hoffnung auf eine endgültige Überwindung des Todes verliert dadurch allerdings wichtige Anhaltspunkte. Und weshalb soll der Tod eigentlich eher “als positive Lebensmöglichkeit aufscheinen”, wenn man Evolution als Schöpfung begreift? Das ändert an der Härte des individuellen Todes nichts. Kein Wort fällt bei Altner in diesem Zusammenhang darüber, daß die leibliche Auferstehung Jesu Hoffnung vermittelt und der Hinweis darauf ist, daß seine Nachfolger ihm auch in dieser Hinsicht folgen werden: “Ich gehe hin, euch eine Wohnung zu bereiten” (Joh. 14,2). Vielleicht meint Altner mit dem Tod als positive Lebensmöglichkeit die den Gläubigen verheißene Auferstehung, d. h. das neue Leben im Eschaton (obwohl das aus seinen Ausführungen nicht hervorgeht). Mit der Auferstehung wird der Tod aber gerade überwunden ; die christliche Hoffnung beinhaltet wesentlich die Befreiung von der Todesmacht. Insofern ist nicht ersichtlich, inwiefern der Tod als “Lebensmöglichkeit” verstanden werden kann. b. Der Tod als Notwendigkeit In der heutigen Welt übt der Tod eine regulierende Funktion aus. Die Stabilität heutiger Ökosysteme basiert auf den Todesmechanismen. Ist also der Tod nicht doch notwendiger Bestandteil der Schöpfung - jeder Schöpfung? So meint beispielsweise Spilsbury, ohne Tod gäbe es keine Liebe, mindestens keine sexuelle, ohne Tod wäre das Leben gleichgültig oder mittelmäßig.14 Auch für Schmitz-Moormann gehört der Tod notwendig zur Schöpfung.15 Er ist ein “praktisch nicht zu vermeidender Sekundäreffekt der evo- 12 Altner, Evolution 271. 13 Altner, KonflikJpartner 466. 14 Spilsbury, Providence Lost 101. 15 Schmitz-Moormann, Erbsünde 219. lutiven Schöpfung aus Freiheit, in Freiheit und auf Freiheit hin.” Das bedeutet seiner Auffassung nach nur dann einen Einwand gegen Gott, wenn man von einem “Handwerker”-Gottesbild ausgeht, nach welchem Gott alles determiniert (vgl. dazu Abschnitt 4.7). Kritik: 1. Die Tatsache, daß der Tod unabwendbares regulierendes Faktum ist, gilt nur für die Situation nach dem Sündenfall, in der Situation, die uns allein erfahrungsmäßig zugänglich ist. Aus der uns geläufigen Gegebenheit des Gleichgewichtes von Fressen und Gefressenwerden kann man jedoch nicht auf das Wesen jeglicher Schöpfungsstrukturen schlechthin schließen. D. h.: Eine Schöpfungsstruktur ohne physischen Tod ist nicht prinzipiell ausgeschlossen. Der Tod muß nicht notwendiger Bestandteil jeder Schöpfungsgestalt sein. 2. Wenn der Tod notwendig und unvermeidbar zu jeder Schöpfung gehörte, müßte er folgerichtig auch zur neuen Schöpfung gehören. In der verheißenen zukünftigen neuen Schöpfung gibt es jedoch keinen Tod (Offb 21,1-5). Vor diesem Hintergrund wird leichter nachvollziehbar, daß ein Urständ ohne Tod keine Denkunmöglichkeit ist. Auch die neue Schöpfung hat leibliche Struktur, wenn sie sich auch von der irdischen Leiblichkeit in einer menschlich nicht vorstellbaren Weise unterscheidet (Vgl. 1 Kor 15,35ff.; 2 Kor 5,1 ff.). Wenn man den Tod als zum Geschöpflichen wesensmäßig zugehörig versteht, begeht man den Denkfehler, die heutige Struktur der Schöpfung (post lapsum) mit “Schöpfung” schlechthin gleichzusetzen. Unter den heutigen Bedingungen ist der Tod sinnvoll, z. B. als dichteregulierender Faktor. In einer anderen Schöpfungsstruktur sind die heute sinnvollen Funktionen des Todes nicht notwendigerweise erforderlich. Die neue Schöpfung ohne Leid und Tod (Offb 21) wird anders gestaltet sein als die heutige. Analog muß angenommen werden (auch wenn es dafür ebensowenig Anschauungsmöglichkeiten gibt), daß auch die Schöpfung vor dem Fall von anderer Struktur war, in der der Tod als dichteregulierender Faktor nicht gebraucht wurde. Die Argumentation, der Tod sei ein notwendiger Bestandteil der Schöpfung, ist entweder evolutionstheoretisch motiviert oder durch die ausschließliche Orientierung an unserer Erfahrung begründet (oder beides). Weder die Evolutionsanschauung noch der menschliche Erfahrungshorizont können jedoch ein letztgültiger Maßstab für die Bewertung des Todes sein. Denn für den menschlichen Verstand bleibt die Gestalt der Welt ohne Tod ein Geheimnis. Hier müssen die heilsgeschichtlichen Einschnitte (vgl. Abschnitt 1.1) beachtet werden. Daher kann man weder über die Schwelle zum Proton noch zum Eschaton wissenschaftlich oder anschaulich extrapolieren. c. Das Leid als notwendiger Bestandteil der Schöpfung Wie bei der Beurteilung der Sünde des Menschen und der Bewertung des Todes wird auch bei der Einschätzung von Krankheit und Leid evolutionstheoretisch argumentiert, daß dieses Kennzeichen der Schöpfung ein notwendiger Bestandteil des Geschaffenen sei. Dies vertritt besonders pointiert Teilhard de Chardin.16 Das Böse wird “zu einem Element der Evolution, zu einem Kunstgriff, das Leben durch Widerstand, Mißbrauch der Freiheit, Mißbrauch der Intelligenz, zu immer breiterer Entfaltung und immer höherer Entwicklung zu führen, zu einer List der Vernunft, den Sieg des Guten herbeizuführen”17. Kriege, die beiden Weltkriege eingeschlossen, versucht Teilhard evolutionstheoretisch positiv zu deuten, als “ehrenvoller Beitrag zur natürlichen Evolution”18, als Zeichen nicht einer Auflösung, sondern einer Geburt.19 “Ja er kommt sogar zu der Erkenntnis, daß er als Mitglied der kämpfenden Truppe mit der Handgranate in der Hand oder hinter dem Maschinengewehr ‘mehr Priester’ wäre.”20 Selbst die Existenz der Atombombe interpretiert Teilhard in diesem Sinne.21 16 Zusammenfassend dargestellt von Benz, Endzeiterwanung 247ff. 17 Ebd. 248. 18 Ebd. 250. 19 Zit. bei Smulders, Theologie 129. 20 Benz, a a O. 250. 21 Moltmann, Weg Jesu Christi 319ff. kritisiert dies unter Beibehaltung der Evolutionsanschauung. “Wo das Leben beginnt, beginnt der Schmerz; wo der Mensch beginnt, beginnt die Sünde.”22 “Das Übel tritt unvermeidlich mit dem ersten Atom des Seins auf, das die Schöpfung in die Existenz ‘entfesselt’.”23 In diesem Rahmen hört für Teilhard das Übel auf, “ein unbegreifliches Element zu sein, um zu einem natürlichen Zug in der Struktur der Welt zu werden”24. Es ist ein sekundärer Effekt der Schöpfung auf dem Wege der Evolution25: “Unter diesen Umständen ist das Übel im Universum kein unvorhergesehener Zufall. Es ist ein Feind, ein Schatten, den Gott unvermeidlich allein durch die Tatsache entstehen läßt, daß er sich zur Schöpfung entscheidet”26, eine “conditio sine qua non der Existenz”27, ein Schatten der Schöpfung. “Dies ist keine Begrenzung der Macht Gottes, sondern Ausdruck eines ontologischen Naturgesetzes, bei dem es absurd wäre, Gott könne gegen es handeln.”2* Schmitz-Moormann kommentiert: “Diese Nebenprodukte gehen nicht auf eine Schwäche Gottes zurück, sondern auf eine solche des geschaffenen Seins.”29 In Teilhards Fußtapfen versteht Schmitz-Moormann das Übel ebenfalls als statistisches Nebenprodukt der Freiheit der Entwicklung.30 Gott habe nach Teilhard das physische Übel positiv als Stachel, als zu überwindendes Hindernis konstituiert.31 Durch die Kraft des Kreuzes sei dieses Übel, dieser Abfallhaufen der Evolution wertvoll geworden, dadurch daß der Mensch begriffen habe, daß so auf wirksamste Weise ein Voranschreiten der Evolution möglich war.32 Das Leiden sei “Folge und der Preis einer Entwicklungsarbeit”33, das Kreuz “das Symbol der schwierigen Mühe der Evolution.”34 Das Kreuz wird folgerichtig unabhängig von einer Ursünde begriffen. Als Konsequenz ergibt sich: “Jesus an seinem Kreuz ist zugleich das Symbol und die Wirklichkeit der unermeßlichen, jahrhundertelangen Mühsal, die nach und nach den geschaffenen Geist emporhebt, um ihn in die Tiefen des göttlichen Milieus zurückzubringen.”35 Die Folgen dieser Sichtweise für die Christologie sind offenkundig (Abschnitt 4.5). Auf diese Weise sieht Teilhard eine befriedigende Möglichkeit, das intellektuelle Problem des Übels beseitigen zu können, indem das Böse als “statistisch unvermeidliches Nebenprodukt der Einswerdung des Vielen” verstanden wird.36 In einer evolutiven Welt werde verständlich, warum das Böse auftreten muß, nicht so dagegen in einer statischen Welt. Nach den einleitenden Ausführungen dieses Abschnitts ist eine weitere biblische Bewertung dieser Anschauung nicht mehr erforderlich. Teil-hard (und seine Anhänger) verwenden zur Darstellung ihrer Sichtweise zwar biblisches Vokabular, versehen es aber gegenüber dem traditionellen Verständnis mit ganz neuen Inhalten, die der Evolutionsanschauung konsequent angepaßt sind. 4.4.2 Andere Konzepte Eine solch vorbehaltlose Auslieferung an die Evolutionsanschauung wird von vielen Theologen nicht nachvollzogen. Sie sehen vielmehr Möglichkeiten, die Gegensätze zwischen der biblischen und evolutionstheoretischen Bewertung des Todes zu vermeiden oder zu mildern. Im folgenden werden ihre Argumente dargestellt und kritisch bewertet. 22 Koster, Urständ 178, über Teilhard. 23 Teilhard de Chardin, Glaube 43. 2< Ebd. 100. 25 Ebd. 100, 102. 26 Ebd. 103. 27 Ebd. 104. 28 Ebd. 160. Auch zu dieser Einschätzung gibt es Teilhard-Vorläufer wie z. B. der schon zitierte Savage. Er verstand das Böse als Symptom einer noch nicht zu ihrer Vollendung gelangten Evolution, als notwendiges Element, um die Evolution selber in Gang zu halten. Es ist eine zeitlich vorübergehende Bedingung des Seins (nach Benz, Endzeiterwartung 166f.; vgl. Moore, Controversies 240). Dagegen schreibt Teilhard zum Rang und zur Rolle des Bösen in einer evolutionären Welt in einem 1948 verfaßten Nachwort zu “Der Mensch im Kosmos” (S. 325): “Auf diesem Gebiet fühle ich mich, ehrlich gesagt, nicht berufen, Stellungzu nehmen, und es ist auch nicht der Ort dazu.” 29 Schmitz-Moormann, Erbsünde 178. 30 Ebd. 195; vgl. Teilhard de Chardin, Glaube 232. 31 Schmitz-Moormann; a. a. O. 79. 32 Ebd. 81. 33 Ebd. 82. 34 Ebd. 82. 35 Teilhard de Chardin, Milieu 112. 36 Teilhard de Chardin, Glaube 235; vgl. Viallet, Alpha und Omega 210. fl. Unterschiedliche Qualität des Todes vor und nach dem Fall Einige Autoren nehmen an, daß der Tod vor dem Sündenfall eine andere “Qualität” hatte. So sehen Boros37, Scheffczyk3*, Schmaus39 u. a. eine Möglichkeit darin, daß die Natur des Leidens und des Todes beim urständlichen Menschen und seine Einstellung dazu anders war: “Aus einer tiefen (und gnadenhaften) Verbindung mit Gott empfand er weder das eine noch das andere als unerträgliche, demütigende Bedrohung. Es war nicht der Schmerz und nicht der Tod (mit seiner Dunkelheit und seinem Gefühl der Vernichtung), wie wir beides heute kennen.”40 Die Andersartigkeit der von der Paradiesesgeschichte gemeinten Welt betreffe die menschliche Bewußtseinslage.41 Nach Boros’ Auffassung hätte der Urmensch keinen Tod im eigentlichen Sinne “erlebt”. “Er hätte sich aus seinem irdischen Leben unmittelbar zu Gott ‘hinübergezeugt’.”42 Schmaus geht in diesem Sinne davon aus, daß der urständliche Mensch das Sterben anders erlebt hätte.43 “Die paradiesische Welt war also keine andere Welt, aber sie war eine anders erlebte Welt.”44 Der Mensch in der Urstandsgnade hätte nach Scheffczyks Auffassung den Tod nicht als die katastrophale Sündenfolge erfahren, wie wir ihn heute erleben. Der Tod sei ursprünglich nicht als einschneidender Umbruch verstanden worden.45 “In ihm wäre . . . die Vollendung des irdischen Daseins erfahrbar geworden als harmonischer Übergang in eine höhere Lebensform, die dem Menschen das unmittelbare Gotterleben geschenkt hätte. Dieser Tod wäre eine Verwandlung des irdischen in den himmlischen Menschen gewesen, die den Menschen nicht mit Leid erfüllt hätte, sondern von ihm als glückhafter Aufgang in die vollkommene Gottgemeinschaft erlebt worden wäre.”* Ähnlich sieht es auch Rahner: Der “Tod” Adams wäre ohne Sünde, “reine, offenbare, tätige Vollendung . . .”47 Auch Brunner urteilt so: “Nicht daß die Menschen sterben, ist der Sünde Sold, sondern daß sie so sterben, wie sie sterben, in Todesangst, in furchtbarem Todeskampf, in der angstvollen Ungewißheit über das, was jenseits der Todesschwelle liegt... kurzum der uns bekannte Menschentod”.4* Neuerdings bringt Haag diese Sicht ebenfalls zum Ausdruck: “Nicht der Tod an sich, von dem das Strafwort mit keiner Silbe spricht, ist hier der Inhalt des von Gott angeordneten Verhängnisses, sondern das von den Schrecken des göttlichen Zorngerichtes erfüllte Sterben und letzten Endes auch die Angst vor dem Abgrund des Nichts, dem sich der Sünder nach seinem Scheitern in dieser Welt ausgeliefert sieht.”49 In dieser Linie liegt auch Dessau ers Auffassung, nach der das Leben des Paradieses vergänglich war, wobei man jedoch nicht wisse, wie Gott das Einzelleben des Menschen ins andere Dasein hinübergeführt hätte.50 Auch Hemminger & Hemminger machen einen Unterschied zwischen dem Tod, der in Gottesferne erlitten wird, und dem in vollkommenem Vertrauen auf Gott empfundenen Tod: “Für den ungefallenen, mit Gott verbundenen Menschen ... wäre der biologische Tod wohl tatsächlich ein ‘Übergang’, eine ‘Verwandlung’.”51 Kritik: 1. Ein “Tod” des “Übergangs”, der “Verwandlung” oder “Vollendung” wäre offenbar etwas qualitativ anderes als das, was man gewöhnlich unter dem Tod versteht und fürchtet. Die Bezeichnung “Tod” für den Übergang zum “himmlischen Menschen” wäre unangemessen; folglich wäre die eigentliche Problematik — woher kommtder“furchtbare”,schrecklicheTod - gar nicht gelöst. Für Hemminger & Hemminger rührt die Bitterkeit des Todes vor allem daher, daß der Mensch das Ende seines Lebens nicht von sei- 37 Boros .Paradies 109ff. 38 Scheffczyk, Sündenfall 769; Scheffczyk, Sünde und Tod 163. 19 Schmaus, Paradies 23ff. 40 Koster, Urständ 132. 41 Schmaus, Paradies 23. 42 Boros, a. a. O. 111. 43 Schmaus, a. a. O. 26. 44 Ebd. 24. Er lehnt sich hier an Thomas von Aouin an, der die Dornen und Disteln im realen Sinne schon vor dem Sündenfall als Bestandteil der Schöpfung ansieht, sie seien erst danach für den Menschen zu ebensolchen geworden (Schmaus, Christo-zentrik 39). 45 Scheffczyk, Sündenfall 769. 44 Scheffczyk, Sünde 110f. 47 Rahner, Tod. 48 Brunner, Dogmatik 150. 49 E. Haag, Ursünde 31. 30 Dessauer, Menschenpaar 150. 51 Hemminger & Hemminger, Weltbilder 167f. nem Schöpfer annehmen könne.S2 Abgesehen davon, daß für diese Auffassung der Bibel kaum positive Stützen entnommen werden können, spricht die Art und Weise des Sterbens Jesu klar dagegen. Jesus empfand den Tod als bitter, obwohl er im Einklang mit dem Willen des Vaters starb. Am Kreuz Jesu werden alle verharmlosenden, seine Härte überspielenden Vorstellungen über den Tod — auch den leiblichen - zunichte gemacht. Beisser bemerkt hierzu, daß nicht erst der schlecht bewältigte Tod ein Übel ist, sondern der Tod überhaupt. “Und nicht die bessere Hinnahme des nach wie vor bleibenden Todes ist uns verheißen, sondern die Aufhebung des Todes selbst.”53 2. Außerdem muß man sich fragen - um Bezug zur Evolutionslehre zu nehmen -, wie die letzten tierischen Vorfahren des Menschen den Tod empfunden haben sollen. Man kann entweder annehmen, daß sie wie die heutige Kreatur das Sterben als etwas Schreckliches empfunden haben (die Beute fürchtet sich nicht umsonst vor dem Räuber), oder man müßte postulieren, daß sie gar nichts empfunden haben, was das Sterbenmüssen betrifft. Als Gott dann bestimmte Tiere zu Menschen machte oder werden ließ, müßte dann der “Tod” in einem plötzlichen Umschlag zunächst etwas Positives gewesen sein, obwohl sich an der physischen Konstitution gar nichts geändert hätte. Solche künstlichen Konstruktionen werden jedoch gewöhnlich gar nicht erst durchgeführt und können nicht überzeugen, weil das eigentliche Problem nicht angegangen wird. Man wird kaum um die Feststellung herum kommen, daß evolutionstheoretisch gedacht der Tod des Menschen oder Urmenschen immer der schreckliche Tod war. 3. Wenn der Tod als Sündenfolge nicht das leibliche Sterben eingeschlossen hätte, wenn vielmehr das leibliche Sterben schon immer wesensmäßig zum Leben und zur Schöpfung gehört hätte, würde unverständlich, weshalb Jesus stellvertretend für die Sünde der Menschheit, die den Tod nach sich zog, leiblich sterben mußte und leiblich auferstand. Auch von der Auferstehung der Gläubigen wird bezeugt, daß sie einen leiblichen Aspekt hat: Johannes spricht von denen, die in den Gräbern Jesu Stimme hören werden (Joh 5,25.28f.; vgl. vor allem 1 Kor 15). 4. Auch die Destruktivität von Krankheil und Leid kann nicht dadurch abgemildert werden, daß man annimmt, daß der in ungetrübter Gottesgemeinschaft Lebende das Lebensbedrohende der Krankheit nicht so empfindet. Wird die Krankheit erst dadurch als negativ empfunden, daß man im Ungehorsam seinem Schöpfer gegenüber in Sünde lebt? Die Krankheit an sich ist auch für den Glaubenden lebensvemichtend und schmerzlich. Der Gläubige kann freilich im Vertrauen auf die Güte Gottes das Destruktive der Krankheiten leichter ertragen, weil er weiß, daß auch das Böse nicht ohne Gottes Einwilligung auf ihn zukommt und weil er weiß, daß durch Gottes Wirken auch das Widerwärtige zum Guten mitwirken kann (Röm 8,28; Hebr 12,11). b. Die Möglichkeit des frühen Todes als Sündenfolge Eine andere Möglichkeit, trotz der Existenz des Tödes vordem Auftreten des Menschen den Tod als Sündenfolge zu verstehen, sehen manche Autoren darin, daß der unzeitige Tod Ausdruck der Sünde sein könnte.54 Als Argument wird angeführt, daß viele Stammväter “alt und lebenssatt” gestorben sind und daß der Tod im hohen Alter oft nicht als unnormal empfunden wird. Außerdem setze Gen 3,19 (“bis du zum Staub zurückkehrst”) voraus, daß der leibliche Tod in hohem Alter zur Schöpfung gehöre.55 Zu Röm 5,12ff. bemerkt Beth, daß durch Christus ja der Tod nicht beseitigt worden sei.56 Doch alle diese Argumente sind nicht überzeugend. Zunächst muß berücksichtigt werden, daß das AT den Tod (auch den späten Tod) nicht durchweg unproblematisch sieht (s. o.). Das Sterben im Alter und in Lebenssattheit ist eine Formulierung, die in der Situation nach dem Fall angemessen ist, denn in “diesem Äon” ist die 52 Ebd. 169. 53 Beisser, Eschatologie 14. 54 Z. B. Beth, Entwicklungsgedanke 185. 35 Dieses Argument wurde bereits in Abschnitt 4.3.2 entkräftet. % Beth, a. a. O. 186. irdische Lebensspanne nun einmal begrenzt. Wer diese jetzt gesetzte Grenze erreicht, ist in diesem Sinne lebenssatt. Das Urteil des alten Jakob über sein kurzes und flüchtiges Leben (Gen 47,9) spricht eine deutliche Sprache. Durch Jesus Christus ist der physische Tod zwar nicht beseitigt worden, es gilt aber, daß er noch nicht beseitigt ist. Seine Beseitigung steht für die Gläubigen noch aus. Das Sterben Jesu ermöglicht seinen Nachfolgern die Befreiung vom ewigen Tod, von der ewigen Gottesferne - das gilt jetzt schon —, und die Auferstehung Jesu ist das Angeld dafür, daß die Nachfolger Jesu ihm auch darin folgen werden. Punktuell ist die Realität der Auferstehung durch die Totenauferweckungen Jesu bereits in diesen Äon hereingebrochen. Frühzeitiger Tod ist in unserer Welt im übrigen auch ohne Sünde möglich, z. B. durch nicht vom Menschen verursachte Naturkatastrophen. Umgekehrt kann man aus einem späten Tod nicht schließen, daß hier keine oder vielleicht weniger Sünde vorlag. Die Idee, daß der unzeitige Tod Sündenfolge ist, kann nicht aufrechterhalten werden. c. Der Tod ist nur geistlich zu verstehen Wie bereits in Abschnitt 4.3.2.1 anhand der Texte aus Röm 5 und Gen 2—3 diskutiert, versteht man in der heutigen Theologie weithin den Tod als Sündenfolge ausschließlich geistlich im Sinne der Trennung von Gott.57 Für Bosshard rechtfertigt das Aufbegehren des in der Evolution zu sich selbst erwachten Menschen gegen Gott theologisch — nicht biologisch - den Tod. Das würde heißen, daß der evolutionär bedingte physische Tod nachträglich geistlich aufgrund der Sünde gerechtfertigt wird.58 Nur der geistliche Tod kann damit Sündenfolge und Gerichtszeichen sein. Doch nach dem in Röm 5 und im einleitenden Teil des Abschnittes 4.4 Gesagten ist diese Lösung nicht haltbar: Jesus starb leiblich und wurde leiblich auferweckt. Das würde keinen Sinn machen, wenn der leibliche Tod etwas ganz Normales wäre. Auch die Auferstehung der Gläubigen hat eine leibliche Dimension (s. o.). Und schließlich kennt die ganze Bibel die künstliche Trennung zwischen den verschiedenen Aspekten des Lebens nicht. Man kann Leibliches, Seelisches und Geistliches zwar unterscheiden, aber nicht aus dem ganzheitlich-personalen Bezug lösen (vgl. Abschnitt 2.3). Der physische Tod infolge des Falles habe nur den Menschen betroffen, meint Schumacher.59 Dies ist nicht glaubhaft, da der Mensch mit der gesamten Schöpfung als ihr Hauptwerk verbunden ist, so daß der Tod den Menschen inmitten einer ansonsten sterblichen und durch Gefahren bedrohten Welt genauso wie die übrige Schöpfung bedroht haben mußte. Der evolutiv entstandene Mensch kann vom physischen Tod nicht ausgenommen gewesen sein. Nur das moralische Übel als Sündenfolge Gilkey geht zwar davon aus, daß das Böse nach der Schöpfung gekommen sei, äußert sich jedoch kaum darüber, wie diese Vorstellung im evolutionstheoretischen Rahmen aufrechterhalten werden kann. Er versucht es mit einer Trennung zwischen “natürlichem” Bösem und vom Menschen hervorgerufenem Bösem. Das natürliche Böse war schon immer da: “Die natürlichen Übel von Krankheit, Zerstörung, Hungersnot und Tod sind also die Ergebnisse der strukturellen Gesamtheit einer relativ unabhängigen Schöpfung, die entsprechend ihrer eigenen gottgegebenen Entwicklungsabläufe funktioniert.”60 Dieses Böse ist also auch für Gilkey Begleiterscheinung der Evolution. Das Böse dagegen, um das es der Bibel geht, betreffe nur den Menschen und meine das von ihm verantwortete Leid, das er sich selbst und seinen Mitmenschen antut. Daraus würde jedoch die groteske Sicht folgen, daß es bis unmittelbar vor der Menschwerdung nur natürliches Böses gab; ein Vormensch war also nicht “moralisch böse”. Als er dann zum Menschen geworden war, war er zunächst auch 57 Z. B. Hemminoer & Hemminger, a. a. O. 161, 167; Berry, Adam 92, 118. 58 Bosshard, Evolution 114f.; vgl. Vollborn, Tod. 59 Schumacher, Urknall 11 lf. “ Gilkey, Himmel und Erde 191. nicht moralisch böse, sondern nur “natürlich böse”. Gab es dann einen Sündenfall, der zum moralisch bösen Menschen führte? Solche Fragen sind unabweislich, sie werden jedoch von Gilkey nicht gestellt. Der Übergang von einem “Ursprung” (der aber nicht zeitlich fixiert werden kann) zu einem “fallsgestaltigen”61 Zustand, in dem es moralisch Böses gibt, bleibt ebenso unscharf wie der Übergang vom Tier zum Menschen. Brunner meint, es gebe ein Leiden, das der Zeitlichkeit und Leiblichkeit als solcher notwendig verbunden sei. Dieses aus dem Bilde des Gottgeschaffenen zu eliminieren, bedeute nicht weniger, als die Leiblichkeit und Zeitlichkeit des gottgeschaffenen Menschen zu leugnen.62 Für ihn sind nach dieser Argumentation Leiblichkeit und manche Aspekte des Leidens untrennbar verbunden. Diese Koppelung muß aber hinterfragt werden; sie gilt nur für “diesen Äon”, nicht für jede mögliche Schöpfungsgestalt überhaupt. d. Der Tod als Folge des Saiansfalls vor der Evolution Sauer hält es mit der biblischen Lehre für vereinbar, daß Tod und Verderben schon vor dem menschlichen Sündenfall in der Welt gewesen seien.63 Nur müsse dies auf einen uranfänglichen Fall Satans zurückgeführt werden. Der Mensch sei dann nicht der Urheber von Sünde und Tod im Weltall an sich, sondern das Eingangstor dieser schon vorher vorhandenen Sünde in die von ihm abstammende Menschenwelt. fsidt mit gen. (bi ivos ävdpamov; Rom 5,12) sei im Sinne eines Durchgangspunktes zu verstehen. Nach dem Fall Satans sei die Geschichte der Erde durch den Widerstreit zwischen Verderben und Weiterentwicklung, Tod und Leben entscheidend beeinflußt. Kritik: Es ist biblisch gesehen richtig, daß der Mensch nicht der Urheber von Sünde und Tod an sich ist, sondern den Eintritt der Sünden- und Todesmacht in die Welt ausgelöst hat. Denn nach der Sündenfallgeschichte tritt mit dem Versucher ein bereits von Gott abgefallenes Geschöpf mit der Absicht an den Menschen heran, ihn zu verführen. Doch ist mit diesem Umstand in keiner Weise begründet, daß der Tod schon vor dem Auftreten des Menschen in der Organismenwelt oder auch nur in der menschlichen Sphäre geherrscht habe. Außerdem kann mit dieser Feststellung die Tatsache nicht übergangen werden, daß es ohne Tod keine Evolution zum Menschen gibt. Das gilt genauso auch dann, wenn der Tod Folge des Satansfalles ist. Daraus würde folgen, daß es ohne den Fall Satans keine Evolution gegeben hätte. Wenn nun aber Evolution die Schöpfungsmethode Gottes sein soll, hieße das, daß es ohne Fall keine Schöpfung gäbe. Die biblisch gesehen unannehmbare Gleichung bliebe unverändert: Ohne Tod kein Leben. Sauer deutet allerdings an, daß die Evolution ohne den Fall auf eine andere (von ihm nicht näher beschriebene Weise) gelaufen wäre, denn er schreibt, daß die Evolutionsgeschichte infolge des Falles Satans entscheidend beeinflußt worden sei.64 Doch dies ändert nichts an der Tatsache, daß sie ohne den Tod gar nicht abgelaufen wäre. Flier fehlt in Sauers Ausführungen die Rückfrage nach den durch die Evolutionslehre gedeuteten Daten der Wissenschaft. Lückentheorie (Restitutionstheorie) Die Bedeutung des Todes im Evolutionsprozeß wird von manchen konservativen Auslegern65 in einen Zusammenhang mit einem Satansfall vor dem Sechstagewerk gebracht. Ausgehend von der Schilderung des biblischen Schöpfungsberichts, wonach die geschaffene Erde im Zustand eines irQI Hin (Gen 1,2) war, vermuten sie eine Zerstörung der ursprünglichen Welt, deren Wiederaufbau (“Restitution”) in Gen 1 beschrieben wird. Man spricht daher von Restitutionstheorie oder Wiederherstellungstheorie. 61 Vgl. Abschnitt 5.5.2. 62 Brunner, Dogmatik 149. 63 Sauer, König 86f. M Vgl. Alszechy & Fuck und Spaemann in Abschnitt 4.3.33. a Z. B. Bettex, Lied-, Kroeker, Schöpfung-, Sauer, König, vgl. Schumacher, Urknall 98ff. Als Argument für diese Sicht wird angeführt, daß das irQI HUI (“Wüste und Leere”) nicht auf ein Schaffen oder ein Wort Gottes zurückgeführt werden könne; es sei für eine Gerichtssituation kennzeichnend. Außerdem bestehe die Möglichkeit, nrvn in Gen 1,2 mit “wurde” zu übersetzen: Die Erde wurde wüst und leer. Zwischen dem ursprünglichen Schaffen Gottes (Gen 1,1) und dem “Wüste- und Leere-Werden” der Erde (Gen 1,2), was als Zerstörung interpretiert wird, könne ein größerer Zeitraum, eine zeitliche Lücke, liegen. Diese Vorstellung wird daher auch als Lückentheorie bezeichnet. Die Fossilien als Zeugnisse des Todes in der Welt werden auf den Satansfall zurückgeführt, der diese Zerstörung verursacht haben soll. Diese Konstruktion ist aus folgenden Gründen sehr fragwürdig: - Die Übersetzung durch “wurde” ist grammatisch nicht möglich. Die Satzstruktur zeigt einen Nomrinalsatz, der durch ein 1 (“und”) mit einem Verbalsatz davor verbunden ist. In einer solchen Satzkonstruktion wird ein Zustand beschrieben, der der Haupttätigkeit (Verbalsatz) zeitgleich ist. Daher kann Hirn nicht mit “wurde” übersetzt werden. Diese Übersetzung wäre möglich (aber auch nicht zwingend), wenn dem Prädikat ein Adjektiv folgen würde. - Die Vorstellung eines sekundären Chaos ist nicht verträglich mit dem Zeugnis, daß die ganze Schöpfung vom Schöpfer selber später als “sehr gut” bezeichnet wurde (Gen 1,31). Wenn zum Zeitpunkt dieses Urteils sich bereits widergöttliche Mächte von Gott losgesagt hätten, könnte dieses Urteil nicht in dieser umfassenden Form ausgesprochen werden. - Schließlich ist zu bedenken, daß bei der Begründung des Sabbatgebotes (Ex 20,11) gesagt wird, daß Gott Himmel und Erde und alles, was darinnen ist, in sechs Tagen geschaffen (nicht wiederhergestellt) habe. - Die häufig vorgenommene Interpretation des inm inn durch ein “Urchaos” und damit als Anklang an außerbiblische kosmogonische Mythen von einem ursprünglichen Kampf der Elemente und Geistesmächte ist aus dem Text nicht zwingend ableitbar. Möglich ist auch die Deutung, daß die geschaffene Erde (zunächst noch) “ungeformt und ungefüllt” war, in “rohem Zustand”“. inn und irQ werden nicht immer im Zusammenhang mit einem göttlichen Gericht verwendet. Darüber hinaus hilft die Vorstellung der Lük-kentheorie nicht, die Regelhaftigkeit der Fossilablagerungen67 zu verstehen. Außerdem hätte die biblische Sintflut wiederum keine nennenswerte Spuren hinterlassen, wären die Schichtgesteine und ihre Fossilinhalte auf die postulierte Ur-Katastrophe und nicht auf die Flut zurückzuführen. Die Lückentheorie erscheint somit als eine unnötige Konstruktion, die historisch durch die scheinbare Übermacht evolutionistischer Entstehungstheorien motiviert bzw. wiederbelebt wurde. Dadurch konnte eingeräumt werden, daß die Erde viele Millionen Jahre alt sei, scheinbar ohne dem biblischen Zeugnis Abbruch tun zu müssen. e. Positive Aspekte des Todes und des Leides? Gegen die eindeutig negative Bewertung des Leides und des Todes wird der Einwand formuliert, daß beides auch positive Aspekte habe: Schmerzen bedeuten z. B. Warnung. So versteht beispielsweise Congar das Übel gleichsam als Voraussetzung für ein höheres und allgemeineres Gut.68 Doch ähnlich wie bei der Bewertung des Todes gilt auch hier: Der positive Aspekt des Leides kann nur unter den Bedingungen “dieses Äons” geltend gemacht werden. Positive Aspekte des Leidens gibt es, insofern es als göttliches Gericht zur Umkehr bewegen und vor Schlimmerem bewahren kann und soll. Um die Notwendigkeit der Umkehr begreiflich zu machen, kann Gott in der von Sünde gezeichneten Welt Leid einsetzen. Die regulierende und zur Umkehr bewegende Wirkung mancher destruktiver Aspekte in der Schöpfung können Leid und Tod an sich jedoch nicht umwerten. “ Fields, Unfonned. 67 Z. B. befinden sich in tieferen Schichten bis zum Karbon nur Reste von Wasserlebewesen. ** Congar, Übel 621. Wenn der Christ einer Krankheit in seinem Leben auch Positives abgewinnen kann, ja wenn Paulus sogar sagen kann, daß er lieber abscheiden würde (Phil 1,21—24), so können Krankheit und Tod dennoch nicht als schöpfungsgenuin betrachtet werden. Denn der Christ hat Trost und Hoffnung trotz Krankheit und Tod; er weiß, daß die lebensfeindlichen Mächte nicht das letzte Wort haben. Der Tod ist auch für ihn der letzte Feind (1 Kor 15,26), aber er weiß, daß er besiegt ist. Entsprechend ist für den Gläubigen das Ende des Lebens in diesem Äon zu werten. Es ist insofern positiv, als es einen Einschnitt darstellt, der zum Leben in ungetrübter Gemeinschaft mit Gott führt. Ist der Tod also nicht doch Leben? Nein, er ist es gerade nicht. Er ist für die Gläubigen der zur Auferstehung und zur Befreiung vom Todeswesen führende Umbruch. 4.4.3 Zusammenfassung Die Bewertung von Krankheit, Leid und Tod fällt in konsequent evolutionistischer Sicht diametral entgegengesetzt zur Bewertung in biblischheilsgeschichtlicher Perspektive aus. Wie die Sünde ist der Tod mit seinen Begleitphänomenen evolutionstheoretisch gesehen eine notwendige Begleiterscheinung des Werdens. Da der Tod eine unverzichtbare Voraussetzung für eine Höherentwicklung und Entfaltung des Lebens darstellt, wird der Tod in diesem Denkrahmen als positiver, kreativer Faktor der Evolution gewertet. Biblisch gesehen sind Leid und Tod als solche dagegen Verkehrungen und (Zerstörungen der Schöpfung und daher prinzipiell negativ zu werten. Dies wird besonders durch die Auferstehung Jesu deutlich, die als Sieg über den Tod proklamiert wird. Auch in gemäßigten theistisch-evolutionisti-schen Konzepten müssen Tod und Leid als Schöpfungsmittel angesehen werden. Das Übel in der Welt ist in allen derartigen Entwürfen eine notwendige Begleiterscheinung des Lebens. Dem Widerspruch zur biblischen Bewertung des Todes soll hier die Schärfe genommen werden durch die Annahme, der Tod habe vor dem Fall eine andere Qualität gehabt und sei ein harmonischer Übergang gewesen. Einen solchen Übergang könnte man jedoch nicht als “Tod” bezeichnen. Darüber hinaus ist im evolutionären Denkrahmen (auch dem gemäßigten) davon auszugehen, daß der Tod immer als katastrophales Ende empfunden wurde, insbesondere bei den tierhaften Vorfahren des Menschen. Hier kann es keinen harmonischen Übergang zum ewigen Leben geben. Auch die Idee, daß die Möglichkeit eines frühzeitigen Todes Sündenfolge sei, kann nicht befriedigen, da im evolutionären Rahmen der unzeitige Tod bei den unmittelbaren Vorfahren des Menschen bereits Vorkommen mußte (z. B. aufgrund von Naturkatastrophen). Hier wird die Evolutionslehre mit ihren Implikaten nicht wirklich zur Kenntnis genommen. Außerdem wird biblisch gesehen fast durchweg der Tod an sich, nicht etwa nur seine Vorzeitigkeit, negativ gewertet. Aus den genannten Gründen ist auch die Vorstellung abzulehnen, der geistliche Tod und nur das moralische Übel seien Sündenfolge. In konsequenten wie in gemäßigten evolutionstheoretischen Entwürfen wird der Tod mit seinen Begleiterscheinungen gleichermaßen verharmlost. Dies hat zur Folge, daß die Bedeutung der Erlösungstat Jesu verkleinert wird, denn durch Jesu stellvertretendes Sterben am Kreuz wird die Macht des Todes überwunden (vgl. Abschnitt 4.5). Der Aspekt des Dämonischen des Todes als Macht (vgl. 1 Joh 3,8; Joh 8,44)69 wird in den meisten Entwürfen faktisch übergangen (vgl. Abschnitt 4.5.4). 69 Vgl. Brunner, Dogmatik 23; Kinder, Erbsünde 67. 4.5 Christologie 4.5.1 Die Person Jesu Christi Da in konsequent evolutionärer Sichtweise die Begriffe Schöpfung, Urständ, Sündenfall und Erbsünde inhaltlich neu bestimmt werden, resultiert daraus auch eine neue Bestimmung der Identität Jesu Christi und der Bedeutung seines irdischen Lebens, seines Todes und seiner Auferstehung.1 Denn Jesus Christus ist gekommen, um die Sünde der Welt zu tragen (Joh 1,29) und um das Verlorene zu suchen und zu retten (Lk 19,10). Wenn die Sünde, die Jesus Christus trägt, der Einbruch der Sünde in die Welt und das Verlorensein evolutionär zu verstehen sind, ergeben sich Konsequenzen für eine evolutionäre Christologie. Es ist also folgerichtig, daß Autoren, die konsequent evolutionistisch denken, die Identität Jesu, wie sie das Neue Testament zeichnet, antasten. In diesem Abschnitt werden hauptsächlich konsequent evolutionstheoretisch ausgerichtete Autoren zu Wort kommen, da Vertreter gemäßigter Vorstellungen sich kaum mit einer “Christologie in evolutionärem Kontext” befassen. Das heißt allerdings nicht, daß gemäßigte Evolutionsanschauungen keine Konsequenzen für die Christologie hätten. Sie werden nur nicht aufgearbeitet. Die Folgen für die Christologie ergeben sich vor allem durch den Zusammenhang der Sündenfallthematik und der Bewertung des Todes (Abschnitte 4.3 und 4.4), aber auch aufgrund anthropologischer Aspekte (Abschnitt 4.1). Die Problematik der gemäßigten Evolutionsvorstellungen liegt teilweise weniger in unannehmbaren dogmatischen Konsequenzen, sondern in fragwürdigen Hilfskonstruktionen (vgl. Abschnitte 4.3.3.3 und 4.4.2). Durch diese Konstruktionen werden evolutionstheoretische Konsequenzen, die das Kernstück der biblischen Botschaft, die Christologie, betreffen, vermieden. Wie gezeigt wurde, ist dies nur mit prinzipiellen Einschränkungen in evolutionären Theoriekonzepten und Denkweisen möglich. Die Göttlichkeit Jesu und seine Menschwerdung Konsequent evolutionstheoretisch denkende Autoren lehnen die Göttlichkeit Jesu und seine universale und einzigartige Mittlerschaft zwischen Gott und Mensch ab. Jesus wird zu einem herausragenden Menschen degradiert, der dem Evolutionsgeschehen wichtige Impulse gegeben habe, damit das durch immanente Prozesse zu erreichende Ziel, eine friedliche Kooperation der gesamten Schöpfung, erreicht würde (vgl. Abschnitt 4.6). Von Ditfurth fordert aufgrund seiner evolutionär orientierten Deutung der Welt das Zugeständnis einer grundsätzlichen historischen Relativierung Jesu Christi.2 Denn die universale Mittlerschaft und Göttlichkeit Jesu seien im evolutionären Kontext nicht aufrechtzuerhalten: Von Ditfurth begründet dies damit, daß es — im Rahmen der Evolution gedacht — den Menschen an sich ja nicht gebe, sondern nur verschiedene Stufen im Prozeß der Menschwerdung. Daher sei auch Jesus Christus nur Repräsentant einer bestimmten Evolutionsstufe und könne nicht für Menschen aller Zeiten ein Mittler zu Gott sein. Für den Neandertaler, den von Ditfurth auf einer niedrigeren Evolutionsstufe sieht,3 wäre Jesus Christus, hätten beide gleichzeitig gelebt, ganz unverständlich gewesen. Nicht anders werde es unseren eigenen Nachfahren gehen, die eine höhere Evolutionsstufe erreicht haben werden. Jesus werde für sie zum zurückgebliebenen “Neandertaler von morgen”. Von Ditfurth sieht Jesus nur als Menschen, und zwar als Menschen einer bestimmten Evolutionsstufe. Die Menschwerdung Jesu versteht Altner als Teil eines immanenten Prozesses. Er schreibt: “Die Theologie steht heute vor der Aufgabe, die 1 Vgl. Oesch, Inspiration 51. 2 Von Ditfurth, Sicht nur von dieser Welt. 5 Fälschlicherweise übrigens, aber an seinem Argument ändert sich dadurch nichts. Menschwerdung Gottes als Gottes Sein im Werden auszulegen, Gottes Leiden im leidvollen Werden der Geschichte als Befreiung des Menschen zu begreifen.”4 An anderer Stelle schreibt dieser Autor: ‘‘Die christliche Gemeinde bekennt Jesus Christus als den, der da ist, und der da war, und der da kommt. Damit ist nicht so sehr die Inkarnation eines überzeitlichen Gottes gemeint, sondern die Gewißheit zum Ausdruck gebracht, daß in Jesus Christus die Geschichte der Menschheit an eine entscheidende Schwelle gelangt, eine Phase durchläuft, in der eine neue Form der Humanität möglich wird, eine wie immer geartete Hoffnung auf Vollendung des Menschen an Boden und Realität gewinnt. Im Kontinuum der Zeiten, im Fortgang der menschlichen Geschichte, in der Immanenz natürlicher und menschlicher Entwicklungsprozesse konkretisiert sich die Hoffnungauf eine neue Form der Menschlichkeit.”5 Im Licht der Evolution ist die Inkarnation für Daecke nicht auf den Jesus des Evangeliums einzuschränken.6 Sie ist vielmehr die Verheißung von etwas Besserem als Evolution im Sinne der Abhängigkeit von der Selektion und egoistischem Kampf ums Dasein. In Christus sei Gott nicht nur Mensch geworden, sondern in die sich entwik-kelnde Materie eingegangen. Jesus Christus scheine das Ziel und die Vollendung der Evolution über den Menschen hinaus vorweggenommen zu haben. Die Inkarnation Gottes in Jesus Christus versteht Daecke als Vollendung der evolvie-renden Menschheit.7 In seinem Versuch, die christlichen Glaubensartikel in evolutionären Termini auszudrücken, faßt Theissen Jesus Christus als eine unter vielen “Mutationen” menschlichen Daseins auf, durch die etwas grundlegend Neues in die Geschichte eingeführt wurde.8 Jesu Wirken versteht er als Protest gegen den Selektionsdruck, und damit als Bruch mit der biologischen Evolution. “Während die Propheten zu dem Gedanken vordrangen: Verhaltensänderung und Umkehr ist besser als Tod, konkretisiert Jesus die geforderte Verhaltensänderung. An die Stelle des Selektionsprinzips tritt das Solidaritätsprinzip.”9 Theissen spricht von “antiselektionistischer Ethik”.10 “Jesus zielt somit auf eine größere Freiheit gegenüber dem natürlichen und sozialen Selektions- druck. Er spricht auch den Menschen Lebensmöglichkeiten zu, die physisch und sozial verringerte Lebenschancen haben. Seine Verkündigung ist ein Protest gegen das Selektionsprinzip.”11 Das mutativ Neue bei Jesus zeige sich dabei in der neuen Kombination traditioneller Elemente, während es für die einzelnen Elemente der Verkündigung Jesu durchaus Parallelen gebe.12 In seinem “Grundkurs des Glaubens” befaßt sich Rahner mit einer “Christologie innerhalb einer evolutiven Weltanschauung”.15 Die evolu-tive Weltanschauung setzt er ausdrücklich als Vorgabe für seine Überlegungen voraus.14 Die Geschichte des Lebens und der Welt insgesamt sieht er als Geschichte einer gegenseitigen Bezo-genheit von Geist und Materie, wobei diese Bezogenheit selbst eine Geschichte hat. In dieser Geschichte erfolgen “Wesensselbsttranszendenzen”, Sprünge in wesensmäßig Neues (Materie -» Leben -* Bewußtsein -* Geist). Rah ner spricht von einem Werden in Selbsttranszendenz, wobei die höheren Stufen nicht mit den alten identisch, sondern kategorial neu seien. Der ganze Prozeß sei zielgerichtet; heute greife der Mensch selbst steuernd in diesen Prozeß ein, die Natur komme in ihm zu sich selbst. Das Zu-sich-selbst-Kommen der geistigen Subjekte sei auch ein Zueinanderkommen. Das Ziel der Welt bestehe in der Selbstmitteilung Gottes an die Welt. In Jesus Christus sei nun die Selbstmitteilung an ihrem Höhepunkt angelangt und endgültig. Schöpfung und Menschwerdung Jesu wer- I Altner, Konfliklpartner 456. Altnbr ist ein Repräsenlanl der im angelsächsischen Bereich aufgekommenen Strömung der Prozeßtheologie, die vor allem durch die Prozeßphilosophen Whitehead und Hartshorne beeinflußt wurde; vgl. Cobb & Griffin, Prozeßtheologie. 5 Altner, Grammatik 73f. 6 Daecke, Putting an End 159:“Inthelightofevolution,incarna-tion then is no abstract dogma, applicable only to an histonc Man, i. e. the Jesus of the gospel.” 7 Daecke, a. a. O. 159. 8 Theissen, Biblischer Glaube 114; vgl. dazu Hummel, Evolutionismus 130ff. * Ebd. 10 Ebd. 146. II Ebd. 148. 12 Ebd. 138. 13 Rahner, Grundkurs. 14 Ebd. 180, 182. den so als zwei Phasen ein- und desselben Vorgangs der Selbstentäußerung und Selbstäußerung Gottes gewertet. “Durch das christliche Dogma von der Inkarnation soll also ausgesagt werden: Jesus ist wahrhaft Mensch mit... seiner Partizipation an der Geschichte dieses Kosmos in der Dimension des Geistes und der Freiheit, an der Geschichte, die durch den Engpaß des Todes hindurchführt.”15 Jesus Christus wird scheinbar nahtlos in den Evolutionsprozeß integriert und als Gipfel der Entwicklung angesehen.16 In den Worten Molt-manns: Es “muß das Verhältnis von Materie und Geist als Geschichte und das heißt auch als Werden und als Evolution zu immer höheren Formen aufgefaßt werden. Naturgeschichte transzendiert sich auf die menschliche Geschichte hin. Im Menschen und seiner freien und bewußten Selbsttranszendenz kommt der Geist gleichsam zu sich selbst.”17 An der Spitze der menschlichen Entwicklung fallen menschliche Selbsttranszendenz und göttliche Selbstmitteilung im “Heilbringer” zusammen. “In ihm transzendiert sich die menschliche Natur in das göttliche Geheimnis.”18 Kritik a. Die Göttlichkeit Jesu nach den Zeugen des NT Die in konsequent theistisch-evolutionstheoreti-schen Entwürfen in Frage gestellte oder bestrittene Göttlichkeit Jesu wird im Neuen Testament zwar nur vereinzelt explizit festgestellt (Joh 10,30; Rom 9,5; Phil 2,6; Kol 2,9; Tit 2,13; Hebr l,8f.; 1 Joh 5,20), doch zeigt sie sich an einer Fülle von Taten und Worten Jesu. Jesus selber verweist angesichts des Unglaubens der Juden auf seine Werke (Joh 10,38), die den Glauben bewirken sollen, daß er und der Vater wirklich eins sind (Joh 10,30). Dies sei beispielhaft an einigen Berichten aus den Evangelien belegt: Jesus spricht dem Gelähmten (Mk 2,1-12) die Vergebung der Sünden zu. Zurecht denken die Pharisäer: “Wer kann Sünden vergeben außer Gott?” (Mk 2,7) Das Alte Testament bezeugt Gott als denjenigen, der die Sünden vergibt (Ps 103,3; 130,4; Mi 7,18 u. v. a.). Jesus belegt seine Vollmacht zur Sündenvergebung dadurch, daß er den Gelähmten heilt (Mk 2,10-12). Damit gibt er seine Göttlichkeit zu erkennen. Jesus tut das, was Gott tut. In ähnlicher Weise wird die Gottheit Jesu daran deutlich, daß er die Naturgewalten beherrscht, so bei der Stillung des Sturmes (Mk 4,35ff. par). Die Reaktion der Zeugen ist: “Was ist das für einer, daß ihm sogar Wind und Meer gehorchen?” Das Alte Testament gibt dem Kundigen die Antwort. Die Frage enthält im Grunde genommen schon die Antwort: Gott ist es, der das tut (Ex 14; Hiob 38; Ps 18; vgl. Jes 40,12-26). Auch durch das Wunder des Fischzugs (Lk 5,1 — 11) demonstriert Jesus seine Herrschaft über die Schöpfung; das Zeichen zu Kana (Joh 2,1-12) zeigt Jesus als Herrn über die materielle Welt. Durch das Brotwunder (Mt 14) erweist sich Jesus als Schöpfer und damit als Gott.19 Die Schöpfermacht Jesu wird auch durch die Heilung des Aussätzigen (Mk 1,40-42) deutlich. Die Heilung erforderte Erschaffung neuen Gewebes und erfolgte augenblicklich. Auch aus vielen Worten Jesu kann man seine göttliche Herkunft entnehmen: “Ehe Abraham ward, bin ich” (Joh 8,58) verweist auf die Präexistenz Jesu. Aus der ablehnenden, ja feindlichen Reaktion der Juden auf diesen Ausspruch wird deutlich, daß Jesus damit Unerhörtes, ja scheinbar Gotteslästerliches behauptet hatte. Jesus bestätigt vor dem Hohen Rat, der Sohn Gottes zu sein (Mt 26,64) und fügt hinzu: “Von nun an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten der Kraft sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen.” Damit nimmt Jesus einen Platz für sich in Anspruch, der Gott selber zukommt. Auch hier zeigt die Reaktion des Hohenpriesters und der Zeugen der Verhandlung, daß Jesu Worte eben so verstanden wurden. Des weiteren behauptet Jesus von sich, der Herr über den Sabbat zu sein (Mt 12,8). Das Sab- 15 Ebd. 182; vgl. Feiner & Löhrer, MystSal 571. 14 Vgl. Moltmann, Weg Jesu Christi 324. 17 Ebd. 322. 18 Ebd. 19 Es erinnert an das Psalmwort (Ps 104,27) “Sie warten alle auf dich, daß du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit." batgebot hatte Gott selber gegeben. Auch mit diesem Ausspruch setzt sich Jesus an Gottes Stelle. Weiter sagt Jesus seinen Jüngern vor der Himmelfahrt, daß ihm alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben sei, eine Aussage, die nur auf Gott selber zutreffen kann. Die göttliche Herkunft Jesu wird schließlich durch seine Auferstehung und Himmelfahrt bestätigt.20 Als letzter Aspekt soll die Schöpfungsmittlerschaft Jesu genannt werden. Jesus ist nach Joh 1,14 das fleischgewordene Wort, durch das alles geworden ist (Joh 1,3). Dies drückt auch Paulus in Kol 1,16 aus: “In ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden.” Wenn durch Jesus alles geschaffen wurde, heißt das nichts anderes, als daß Jesus selber Gott ist. b. Die Menschwerdung Jesu Die Menschwerdung Jesu erscheint bei den zitierten Autoren als Teil eines immanenten Naturprozesses, als Zeichen dafür, daß die Evolution eine neue Phase erreicht hat (Altner). Die Inkarnation wird als ein Evolutionsgeschehen verstanden, als Ausdruck dafür, daß die Evolution eine Zukunft hat und ihrer Vollendung entgegengeht, die in Jesus Christus schon beispielhaft vorweggenommen sein soll (Daecke). Nichts zu spüren ist dagegen von der biblischen Botschaft, wie sie besonders im Prolog des Johannesevangeliums und im ersten Brief des Johannes bezeugt wird, daß nämlich Gott in Jesus Christus Mensch geworden ist, um dem Menschen Zeugnis vom Vater zu geben und ihm einen Zugang zu Gott zu verschaffen. Die Menschwerdung Gottes ist ein freiwilliger Akt der Liebe Gottes. Die Liebe Gottes ist das Motiv für diesen Weg.21 Es ist daher kein Geschehen, das folgerichtig und notwendigerweise im Laufe des Evolutionsprozesses ablaufen mußte. Wenn man schon die Inkarnation in einen globalen Evolutionsprozeß hineinverlegt (was übrigens auch Vertreter gemäßigter Vorstellungen machen müssen), dann müßte wenigstens klar sein, daß sie etwas evolutionär Unableitbares ist. In den genannten Zitaten wird dies jedoch nicht deutlich. c. Die Einzigartigkeit Jesu Die exklusive Mittlerschaft Jesu zwischen Gott und Mensch bestreitet von Ditfurth mit dem evolutionstheoretischen Argument, daß Jesus Christus nur Repräsentant einer bestimmten Evolutionsphase sein könne. Daher könne er nicht für die Menschen aller Zeiten Mittler zu Gott sein, da er weder von Menschen früherer noch späterer Evolutionsstufen verstanden werden könne bzw. konnte. In diesem Rahmen ist Menschsein gegen Tiersein nicht klar abgrenz-bar, vielmehr können nur Abstufungen zwischen Tieren und Menschen unterschieden werden (vgl. Abschnitt 4.1). In einem konsequent evolutionstheoretischen Rahmen, in dem eine Zielorientierung der Evolution auf den Menschen hin nicht gegeben (auch nicht möglich) ist, scheint sich kein Ausweg aus dieser Konsequenz zu eröffnen.22 Die Auffassung, Jesus Christus sei nur Repräsentant einer bestimmten Evolutionsstufe, widerspricht dem Anspruch Jesu, der einzige Weg zum Vater zu sein (Jch 14,6), wie das auch die Apostel verstanden haben (Apg 4,12). Die Einzigartigkeit der Mittlerschaft Jesu hängt damit zusammen, daß er durch seine Tat die Sündenkluft zwischen Mensch und Gott überbrückt hat. Diese Kluft hat sich mit dem Sündenfall aufgetan. Der Mensch lebt post lapsum in der Trennung von Gott (Erbsünde; vgl. Abschnitt 4.3). Nur indem diese Trennung überwunden wird, wird der Weg zu Gott frei. Gibt es dagegen keinen historischen Sündenfall, sondern ist die Sünde des Menschen ein Nebeneffekt der Evolution (Teilhard de Chardin u. a.; vgl. Abschnitt 4.2) und nicht vom Menschen verschuldet, dann macht der Anspruch der einzigartigen und uni- 20 Goppelt, Theol NT 402; er bezieht sich dabei auf Phil 2,6ff. Barrett, First Adam 16, bemerkt in Phil 2,5-11 eine “negative Korrespondenz” zu Adam. 21 Vgl. die Sendungschristologien bei Joh und Pis. 22 Ein Ausweg wäre die Annahme, daß die biologische Evolution zielgerichtet auf den Menschen verlief und mit ihm zu ihrem Ende kommt. Doch ist diese Annahme evolutionstheoretisch gesehen reine Willkür und hat keine Stütze in den empirischen Befunden der kausalen Evolutionsforschung, da sie keine zielorientierten Mechanismen kennt; vgl. Abschnitt 2.4). verseilen Mittlerschaft Jesu keinen Sinn. Denn Jesus Christus hat stellvertretend für die vom Menschen verschuldete Sünde den Kreuzestod erlitten. Der Zusammenhang der Erlösungslehre (s. u.) mit der Frage nach dem Einbruch der Sünde ist offensichtlich. Der Schreiber des Hebräerbriefes verdeutlicht, weshalb Jesus der einzigartige und universelle Mittler zwischen Gott und Mensch ist. Jesu Wirken wird mit dem Amt des Hohenpriesters verglichen. Nur ein heiliger, unschuldiger und sündloser Hoherpriester konnte die Rettung von Sünden bewirken (Hebr 7,26f.; 9,11-10,18). Ist Jesus aber Glied der Evolutionskette, kann diese herausragende Stellung Jesu und die damit verbundene Funktion nicht behauptet werden. d. Jesus — ein Kind seiner Zeit? Jesus Christus hat die biblische Urgeschichte nicht in Frage gestellt, sondern sie ohne Abstriche bejaht (vgl. Mt 19,3-8; 24,37-39). Wenn sich Jesus an dieser Stelle geirrt haben sollte, ist aus diesem Grund die Göttlichkeit Jesu anzuzweifeln. Wenn man argumentiert, Jesus habe sich auf die Wissensstufe seiner Zuhörer gestellt, um sich verständlich zu machen, käme man auch nicht umhin, ihn als Täuscher anzusehen. (Dieses Argument ist im übrigen ohnehin fragwürdig, da evolutionäre Vorstellungen im Altertum geläufig waren und die Zeitgenossen Jesu hier keine Verständnisprobleme gehabt hätten und da Jesus manche jüdischen Vorstellungen kritisiert hat.) Es gibt keinen Grund, göttliche Attribute Jesus abzusprechen, wenn dies von der Heiligen Schrift nicht ausdrücklich getan wird. Denn Jesus war nach dem Zeugnis des Neuen Testaments Mensch und Gott zugleich. Die Allwissenheit Gottes gilt daher auch für Jesus Christus. Nach Phil 2,5ff. hat Jesus zwar die Herrlichkeit des Vaters aufgegeben; er hat auf Machtausübung verzichtet (vgl. Mt 4,1 — 11; 26,53). Ein Nichtwissen Jesu wird aber ausdrücklich nur in bezug auf den Zeitpunkt seiner Parusie (Mk 13,32) bezeugt. Umgekehrt wird expressis verbis gesagt, daß Jesus das Innere eines jeden Menschen kannte (Joh 2,25), was nach 1 Sam 16,7 Gott zukommt. Jesus hat seinen Tod und seine Auferstehung vorhergesehen und weist damit ein Wissen aus, das Menschen sonst nicht haben können. Jesus als dem inkarnierten Schöpfer (Kol l,15ff.) das Wissen um Ursprung und Ziel der Welt abzusprechen, erscheint auf diesem Hintergrund unvereinbar mit seiner Göttlichkeit. Die Meinung, Jesu Wissen sei auf das Wissen seiner Zeitgenossen beschränkt gewesen, entspringt der Sichtweise, den Gottessohn aus den Verhältnissen seiner irdischen Umgebung verstehen zu wollen. Das widerspricht aber dem Anspruch Jesu selber, wie er von den neutestamentlichen Zeugen überliefert ist.23 4.5.2 Das Werk Jesu Christi Die Einzigartigkeit Jesu Christi als universaler Mittler zwischen Gott und Mensch wird unter konsequent evolutionstheoretischen Voraussetzungen bestritten. Welche Folgen ergeben sich daraus für das Verständnis seines Wirkens? Was bedeuten die Taten Jesu, sein Sterben und seine Auferstehung in evolutionärem Kontext? a. Christus evolutor Teilhard de Chardin und seine Adepten24 wollen einen Christus, dessen Züge sich den Erfordernissen einer Welt von evolutiver Struktur anpassen. Christus soll als Retter der Idee und Wirklichkeit der Evolution dargestellt werden.25 Nach seinem Verständnis übernimmt Christus die Führung der Evolution, er ist ein “Evolutor”.26 Als Erlöser ist Christus allenfalls in zweiter Linie zu sehen, ja, Teilhard zeigt geradezu eine Abneigung gegen die Vorstellung einer Wiedergutmachung und Sühne, die mit Jesus Christus gemäß traditioneller christlicher Vorstellungen verbunden sind.27 “Nicht mehr zuerst 23 Auf das komplexe Diskussionsfeld, was das wahre Menschsein Jesu beinhaltet, wird hier nicht naher eingegangen. 24 Wie z. B. Altoer, Hübner, Theissen, Rahner. 25 Teilhard de Chardin, Glaube 95f. 26 Vgl. Schefpczyk, Chrislogenese 146ff. 27 Teilhard de Chardin, Glaube 97f., 173-175. sühnen und darüber hinaus wiederherstellen; sondern zuerst schaffen [oder über-erschaffen] und deshalb [unausweichlich, aber nebenbei] gegen das Übel kämpfen und für es bezahlen.”2* In einem Diskussionsbeitrag faßt Lay zusammen: “Für Teilhard ist Christus nicht an erster Stelle der Erlöser. . . . Für ihn ist Christus eine bestimmte Stelle der Evolution, an der die Welt sich mit Gott strukturell eint. Es geht also um ein evolutionäres Geschehen und nicht um ein Erlösungsgeschehen. ... Liebe ist das Ziel, auf das hin sich Mensch und Menschheit entwickeln, auf deren Vollendung und Absolutheit und Ausnahmslosigkeit, sagt Teilhard. . . . Das Wesentliche ist, daß das Leben Jesu im System Teilhards nicht primär Erlösungsfunktion hat, sondern Erfüllung der Liebe bis zum Schluß ist.”29 Schiwy schreibt über Teilhard: “Erlösung ist die unbeirrbare Gegenwart Gottes in der Materie auch in Sackgassen der Evolution und sein bleibendes Energieangebot auch an den Menschen, der sich verweigert oder aufgegeben hat. Zeichen für dieses Engagement Gottes ist der Kreuzestod Christi.”30 Jesus Christus ist demnach im Evolutionsgeschehen eine wichtige Station in einer allgemeinen Entwicklung zur Liebe hin. Der Kreuzestod Jesu hat also nur noch Zeichencharakter (s. u.). Es ist Ausdruck dessen, daß die durch Evolution sich vollziehende Schöpfung eine “gefährliche, schmerzhafte und abenteuerliche Sache” ist,31 “keine Kleinigkeit, keine Vergnügungsreise”, sondern ein “Abenteuer, ein Risiko, eine Schlacht”, in die sich Gott ganz und gar einlasse. Auf diesem Hintergrund werde das Geheimnis des Kreuzes größer und erhelle sich.32 Jesus Christus wird zum “Symbol” und zur “Geste” des evolutionären Fortschritts. Daß er die Sünden der Welt trägt, heißt für Teilhard: Er ist “derjenige, der strukturell in sich selbst und für uns alle die Widerstände überwindet, die das Viele der Einswerdung entgegenstellt: die der Materie inhärenten Widerstände gegen den geistigen Aufstieg.”33 “Das Kreuz ist das Symbol und die Geste des Christen, der die Welt mit der ganzen Last ihrer Trägheit, aber auch mit ihrem ganzen Elan emporhebt.”34 Es handelt sich um ein “Kreuz, das, weit mehr als den gesühnten Fehler, den Aufstieg der Schöpfung durch An- strengung symbolisiert. Ein Blut, das weit mehr zirkuliert und belebt als ausgegossen wird.”35 Daecke bemerkt zu Teilhard: “Der ‘Christus-Redemptor’ wird bei ihm zum ‘Christus-Evolu-tor’. Das heißt: die in Teilhards Augen überholte Erlösungs-Vorstellung des ‘Loskaufs’ wird für ihn zur ‘Genese’ in der Evolution.” Christus rettet die Evolution als ihr “Beleber, Beweger, Lenker, Sammler und Einiger, und bewahrt vor allem die Evolution davor, in der Endlichkeit, im Natürlichen steckenzubleiben.”36 Die Inkarnation Gottes in Jesus wird als Vollendung des Prozesses kosmischer Evolution verstanden. “Die Menschwerdung Gottes wird als Vollendung jenes Evolutionsprozesses betrachtet, der empirisch gesehen zur innerweltlichen Menschwerdung hinführte.”37 Die “klassische Theorie der Erlösung” sieht Schmitz-Moormann dagegen “in einer statischen Weltschau gefangen, in der am Anfang alles gut war und in der das Übel erst durch den Menschen in die Welt kam. Die Vorstellung dieser traditionellen Sicht der Erlösung als Versöhnung und Loskauf von den Folgen des Sündenfalls Adams ist ein Unsinn für jeden, der um den evolutiven Hintergrund der menschlichen Existenz in der heutigen Welt weiß.”38 b. Erlösung: Die Weiterführung und das Ende der Evolution und die Befreiung von ihr Erlösung erhält im Rahmen des konsequenten, von Teilhard geprägten Evolutionismus einen neuen Inhalt und Stellenwert. Sie wird als ein Aspekt des Evolutionsprozesses und als dessen 28 Ebd. 175. 29 Lay, Diskussionsbeiträge 327L; vgl. Vialiki, Alpha und Omega 214. 30 Schiwy, Schöpfung 72; vgl. Schmitz-Moor mann, Evolution 146f. 51 Teilhardde Chardin, Glaube 103. 32 Ebd.; vgl. Viaijsj, Alpha und Omega 210f. 33 Teilhard de Chardin, a. a. O. 104. 39 Ebd. 160. 35 Ebd. 175; vgl. 195,259. 36 Daecke, Evolution 240L; vgl. Teilhard de Chardin, a. a. O. 186. 37 Daecke, a. a. O. 38 ScHMrrz-MooRMANN, Möglichkeiten 92. Weiterführung und Vollendung angesehen.39 Daecke faßt zusammen, was Erlösung für Teil-hard nicht (mehr) ist: “Die Erlösung ist für Teil-hard kein - wie er einmal etwas karikierend schreibt — ‘Reparieren’, kein ‘Sühnen’ mehr, Christus ist nicht mehr derjenige, der die Sünden der schuldigen Welt trägt, das Kreuz ist nicht mehr ‘das Zeichen eines Sieges über die Sünde’.”40 Stattdessen gilt: “Der gekreuzigte Christus ist das Symbol der Überwindung der Not der kosmischen Entwicklung.”41 Diese Gedanken wurden vielfach aufgegriffen.42 Koltermann folgt Teilhard de Chardin, wenn er Christus als den “Punkt Omega” ansieht, auf den die ganze Schöpfung zugeht. “Das Ziel von Schöpfung und Evolution ist nicht einfach der Mensch, wie er tatsächlich bisher bei der Evolution herausgekommen ist. Das Ziel von Schöpfung in Evolution ist der Mensch Jesus Christus. Was Menschsein im eigentlichen bedeutet, ist an seiner Güte, seiner Wahrhaftigkeit, seinem Erbarmen, seiner Liebe und Hingabefähigkeit und seinem Starkmut im Leiden abzulesen. Ziel der Schöpfung in Evolution ist nach den Aussagen des Neuen Testamentes, christusförmig zu werden, die Gestalt, das Gewand Christi anzuziehen.... Christus als Gottmensch ist der Punkt Omega, auf den zu die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt (Röm 8,22).”43 Für Hübner, für den der Sündenfall ein Bild ist, das zeigt, wie der Mensch sich in seinen eigenen Wünschen und Interessen verstrickt, heißt Erlösung: “Jesu Glauben und Handeln, sein Geschick und seine österliche Herrschaft reißen heraus aus dieser Verdammnis und bringen auf den Weg der Freiheit, die das Angeld einer besseren Zukunft ist.”44 In der Konsequenz ergibt sich, daß es “nicht der Buße” (einer Umkehr des Willens, Denkens und Handelns), sondern der “Therapie” bedarf: “Sünde wird begriffen als ein Nebenprodukt der Evolution, und man hofft, im Laufe weiterer Evolution, durch die unbewußte Evolution des Lebendigen überhaupt oder durch bewußte gesteuerte Evolution des Lebendigen durch den Menschen, diese Fehlerhaftigkeit auszumerzen.. .”45 Nach Theissen besteht vor dem Hintergrund seines evolutionären Sündenverständnisses46 Rechtfertigung darin, daß Gott die fragwürdigen Anpassungsversuche der Menschen an die zen- trale Wirklichkeit Gottes gelten lasse. Gott bejahe sie unabhängig von ihrem Gelungen- oder Mißlungensein.47 Offenbar ist somit das Bemühen (seine Anpassungsversuche) des Menschen für seine Rechtfertigung vor Gott entscheidend. c. Die Bedeutung des Kreuzes Die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu kam in den bisherigen Zitaten schon gelegentlich zur Sprache. Der Sühnecharakter des Kreuzes wird in konsequent evolutionistischer Sicht relativiert oder ganz aufgegeben. Dem entspricht die bereits festgestellte Verharmlosung der Sünde. Denn wenn Sünde nicht Schuld vor Gott, sondern unvermeidlicher Nebeneffekt der kosmischen Evolution ist, kann der Kreuzestod Jesu nicht Sühne für die Sünde bedeuten. Schmitz-Moor mann hebt hervor, daß ein Begreifen des Kreuzes zunächst ein Absehen von dem sich als sekundär erweisenden Sühnecharakter verlange, “um sich zu dem eigentlichen konkreten Geschehen am Kreuze selbst zuzuwenden, das sich als Sterben par excellence darstellt.”48 Köster faßt zusammen: “Das Kreuz ist nur sekundär Sühne für Sünde als je einzelnes Verfehlen des Heiles. In erster Linie ist der dort erlittene Tod als notwendiger Bestandteil der (in der Inkarnation übernommenen) Schöpfungsstruktur zu verstehen, dann als Durchgangsphase zu der durch diesen Tod definitiv angebotenen Vereinigung mit Gott 39 Schmitz-Moormann, Evolution 136. 40 Daecke, Teilhard 367. 41 Scheffczyk, Christogenese 149. 12 Z. B. J. Hübner, Biologie i 19ff.; Bresch, Alpha-Bedingungen; von Ditfurth, Nicht nur von dieser Welt, von Ditfurth, Ende, von Ditfurth, Gott. 43 Koltermann, Schöpfung 63. 44 J. Hübner, Biologie 81. 45 Broker, Sünde 35. * “Mangelndes Vermögen, adäquate Anpassungsstrukturen an die letztgültige Realität zu verwirklichen”, vgl. Abschnitt 4.2.1 47 Theissen, Christlicher Glaube 214. 48 Schmitz-Moormann, Erbsünde 236. “Ist aber der Tod das sichtbarste Zeichen der Heilsbedürftigkeit des Menschen und gehört der Tod wesentlich mit zur Struktur des Menschseins, so wird die Annahme des Todes notwendig zunächst einmal um der Inkarnation willen, die die Schöpfungsstruktur eben nicht sprengt” (237). (Sinnerfüllung).”49 Nach Schmitz-Moormann ist das so verstandene Heil bereits im Schöpfungsplan vorgesehen.50 Die Bedeutung des Kreuzes Jesu wird auch bei Altner grundlegend evolutionär angepaßt gedeutet. Das Kreuz sei ein memento mori, eröffne aber auch “demjenigen, der nicht die Augen verschließt, einen Neuanfang, den Mut, ungeachtet der Sterblichkeit menschlicher Existenz im Zeichen von Mitmenschlichkeit und Solidarität den Schritt nach vorn in eine offene Zukunft zu tun.”51 Von Sündenvergebung und Rechtfertigung ist in diesem Zusammenhang auch bei Altner keine Rede. d. Erlösung als ein Aspekt der Schöpfung Schöpfung (= Evolution), Inkarnation und Erlösungsind für Teilhard de Chardin drei Seiten ein und desselben Unternehmens und nicht drei aufeinanderfolgende “Überarbeitungen”.52 Die Erlösungsbedürftigkeit ist weder von der Erbsünde noch von der Sünde überhaupt herzu begründen. “Die Evolution ist [bei Teilhard] identisch mit der ‘eucharistisation’ des Universums, der Wandlung des Kosmos in den Leib Christi.”53 Das Zusammenfallen von Schöpfung und Erlösung wird in der Auffassung Teilhards dadurch deutlich, daß Schöpfung notwendigerweise vom Übel als Nebenprodukt begleitet wird. Da Gott mittels der Evolution schafft, muß er das Übel notgedrungen als Schöpfungsmittel einset-zen. Daraus folgt: “Indem Gott schafft, verpflichtet er sich, wider das Übel zu kämpfen und folglich auf die eine oder andere Weise loszukaufen.”54 Dies geschehe dadurch, daß die Evolution schließlich an ihr Ziel kommt. Auch in der Sicht Schmitz-Moormanns sind “Schöpfungskonzeption und Heilskonzeption ‘kongruent’.”55 Die Inkarnation versteht er als Krönung der evolutiven Leiter “komplexifizie-render Vereinigungen”: die Schöpfungsstruktur werde (durch Verbindung mit Christus) Heilsstruktur.56 Zusammenfassend seien die Inhalte einer konsequent evolutionären Christologie zusammenge- stellt (wobei diese Inhalte nicht gleichermaßen von allen erwähnten Autoren vertreten werden): 1. Jesus Christus ist ein Höhepunkt der Evolution. 2. Jesus ist in erster Linie (oder sogar ausschließlich) Evolutor, erst in zweiter Linie (oder gar nicht) Redemptor. In konsequent evolutionärer Perspektive wird Jesus mehr unter dem Aspekt der Weiterbildung, weniger unter dem der Wiederherstellung gesehen. 3. Erlösung bedeutet Befreiung von den Nebenwirkungen der Evolution. 4. Schöpfung und Erlösung sind identisch. Sie gehen Hand in Hand, weil der Schöpfungsvorgang notwendigerweise mit dem Nebeneffekt des Übels verbunden ist, das durch weitere Evolution überwunden werden soll (= Erlösung). 49 Koster, Urständ 205. 30 ScHMrrz-MooRMANN, a. a. O. 235. 51 Altner, Evolution 271. 52 Teilhard de Chardin, Glaube 67, 160L, 186, 233, 237; vgl. ScHMrrz-MooRMANN, Erbsünde 95; Daecke, Zeilhard 251. 53 Benz, Endzeiterwartung 244. 54 Teilhard de Chardin, Glaube 52. 53 ScHMrrz-MooRMANN, Erbsünde 220. % Ebd. 234f. Auch hierzu gibt es frühe Vorläufer: H. Drummond (1851-1897; nach Benz, a. a. O. 172f.; von Benz quasi als Vorläufer Teilhards angesehen, s. o.) will die Gesamtentwick-lung des Lebens von ihrem Ziel her als heilsgeschichtlichen Prozeß ansehen. Dieser sei durch das Kommen Jesu Christi in eine letzte Phase der Annäherung an die Vollendung in Gott eingetreten. Die Evolution finde ihren Abschluß und ihre Vollendung in der durch Jesus Christus eröffneten Epoche der Menschheit. Das Ziel der Evolution für den gegenwärtigen Menschen bedeute, dem Ebenbild des Sohnes gleich gemacht zu werden (Röm 8,29). Die christliche Heilsgeschichte sei der Abschluß und die Aufgipfelung der Gesamtentwicklung des Lebens (174). Auch im Bereich der natürlichen Evolution seien viele berufen und nur wenige auserwühlt (Mt 20,16). Auch bei Beth, Entwicklungsgedanke, wird die Bedeutung Jesu “nicht als einmaliger Einbruch eines Offenbarungsereignisses in die menschliche Geschichte verstanden, sondern als ein Beginn einer neuen Entwicklungsstufe, deren Ziel die fortschreitende Transformierung der Menschheit in die durch Jesus Christus eröffnete Seinsweise ist” (Benz, a. a. O. 191). “Die Organisationsstufe der Menschheit auf Erden ist der Durchgangzu einer höheren Entwicklungsstufe, der durch die Jesus-Offenbarung für alle Menschen im Prinzip eröffnet ist” (Beth, a. a. O. 268). Kritik a. Jesus: Evolutor oder Redemptor? Wiederholt wird behauptet, theistisch-evolutio-nistische Entwürfe tasteten den Inhalt des christlichen Glaubens nicht an, sondern würden ihm lediglich eine zeitgemäße Formulierung geben. Angesichts der geschilderten evolutionären Christologien muß diese Ansicht zurückgewiesen werden. Die neutestamentlichen Autoren bezeugen Jesus als “das Lamm Gottes, das der Welt Sünden hinwegnimmt” (Joh 1,29), “der sich als Lösegeld hingab” (1 Tim 2,6; Mt 20,28), der gekommen ist, “um das Verlorene zu suchen und zu retten” (Lk 19,10). Davon ist in den evolutionistischen Entwürfen nicht die Rede. Wenn es - biblisch gesehen - auch richtig ist, daß Jesus Christus mit der Erlösung auch neues Leben bringen wollte (Joh 10,10b), so ist doch letzteres ohne ersteres nicht möglich. Ohne Sündenvergebung und ohne Versöhnung mit Gott gibt es biblisch gesehen kein neues Leben (vgl. Eph 2, lff.). Das neue Leben verstehen die Autoren des NT nicht als Verbesserung oder Steigerung des bisherigen Lebens, sondern als etwas völlig Neues (2 Kor 5,17). Es wird mit einem neuen Kleid verglichen, das angezogen werden muß (Kol 3,10; Eph 4,24). Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments nimmt Christus eine souveräne Stellung gegenüber der Welt ein. Er kann daher - gegen Teilhard -nicht als innerweltliche, kosmologische Kraft verstanden werden. “Als schöpferischer Urgrund des Alls soll Christus gerade nicht als kosmologische Größe verstanden werden, sondern als überirdische Macht und Wirklichkeit.”57 In Kol 2,8ff. wird Jesus Christus ausdrücklich den “Elementen der Welt” gegenübergestellt und nicht etwa unter sie subsummiert.58 Jesus als Vervollkommner der Evolution zu sehen, ist außerdem selbst im Rahmen einer theistischen Evolutionsschau sehr fragwürdig. Denn wenn Gott durch Evolution geschaffen haben soll, so bedeutete die Notwendigkeit des Kommens Jesu, um die Evolution voranzubringen, daß die gewöhnliche evolutionäre Schaffensmethode Gottes ungenügend war, um die Evolution ans Ziel zu bringen. Gott hätte dann durch Jesus Christus zusätzlich auf den Evolutionsprozeß eingewirkt, um dadurch einen Fortschritt zu ermöglichen, der sonst ausgeblieben wäre. - Wenn andererseits Jesus Christus keine besondere Rolle in der Evolution gespielt hätte, die über das gewöhnliche Maß hinausgeht, bliebe ihm nur die Rolle eines Evolutionsprinzips. Er könnte nicht als Person gedacht werden, die die “Zeiten wendete”. In Theissens Konzeption widerspricht dessen Rechtfertigungslehre dem evolutionistischen Rahmen, wenn die “Anpassungsversuche von Menschen”an die letztgültige Realität unabhängig von ihrem Gelingen von Gott akzeptiert werden. b. Verlust der Kreuzestheologie bzw. evolutionär angepaßte Interpretation des Kreuzestodes Jesu Die Frage, ob Jesu Tat einen Evolutionsschub oder die Erlösung von der Sünde (Trennung von Gott) erbrachte, hängt mit der Bedeutung des Kreuzestodes eng zusammen. Im einen Fall geht es um die Befreiung unverschuldeter Mängel des Evolutionsprozesses, die mit Notwendigkeit als Nebeneffekt auftreten, im anderen Fall um die Wiederherstellung einer zerstörten Beziehung. Die Erlösung ist im einen Falle eine Phase der Höherentwicklung, im anderen die Beendigung einer unheilvollen Tendenz der Bewegung von Gott weg. Anstelle eines Zurechtbringens der verdorbenen Schöpfung durch das Knechtwerden (Phil 2) und Sterben Jesu (wobei das Zurechtbringen allerdings bis zur Parusie nur verborgen und zeichenhaft geschieht) tritt ein Verbessern 57 Scheffczyk, Christogenese 162. 58 Delung, <7roixecu: Der Sinn von oxotycTov in Gal und Kol isi von den außertestamentlichen Bedeutungen her zu bestimmen. Danach ist bei der Wendung cnoiyeTa xov Koopovan die Grundstoffe zu denken, aus denen alles im gesamten Kosmos, einschließlich des Menschen, zusammengesetzt ist. In Kol 2,8 steht die Wendung parallel zu /eener rf/v napädooiv TÜrv avdpamaiv: Menschenüberlieferungen, “unzulängliche Träger des menschlichen Seins”. eines schon lange ablaufenden Evolutionsprozesses, der mit einem Schöpfungsprozeß identifiziert wird. Auch das fügt sich in die evolutionstheoretisch motivierte Sicht ein, daß Schöpfung und Erlösung nicht mehr wesentlich zu unterscheiden, sondern beides Aspekte bzw. Phasen ein und derselben Realität sind.59 Das Neue Testament bezeugt vielfach, daß die Erlösung des Menschen aus seiner unheilvollen Situation einen großen Preis kostete. Gott gab seinen Sohn (Joh 3,16), er erweist seine Liebe zu uns darin, daß Christus für uns starb, als wir noch Feinde waren (Röm 5,8). “Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Kreuz hinaufgetragen” (1 Petr 2,24). “Christus ist der Sünden wegen ein einziges Mal gestorben, er, der Gerechte, für die Ungerechten, um euch zu Gott hinzuführen” (1 Petr 3,18). Jesus, das Lamm, hat mit seinem Blut Menschen für Gott gekauft (Offb 5,9). Dieses zweifellos bedeutende Thema des Neuen Testaments ist in konsequent evolutionärer Perspektive bedeutungslos. c. Die Opfer der Evolution Moltmann kritisiert die TEiLHARDSche Sicht vom Christus evolutor, daß Christus, ohne Erlöser zu sein, ein grausamer Christus selector werde (vgl. Abschnitt 4.7.2).60 Mit demselben Argument kritisiert er Rahner: “Zwar kennt der Begriff der ‘Selbsttranszendenz’ nicht wie der Begriff der Evolution das Selektionsverfahren, aber er macht auch nicht auf die Opfer aufmerksam, die der Vorgang faktisch kostet.”61 Dennoch setzt Moltmann Christus ebenfalls in eine positive Beziehung mit der Evolution der Natur. Allerdings müsse Christus als “Opfer unter Opfern der Evolution” erkannt werden. Er dürfe nicht nur als Gipfel der Entwicklung, sondern müsse auch als Erlöser dieser Entwicklung von ihren Zweideutigkeiten gesehen werden. Der Gekreuzigte sei im Geist bei den Toten von Hiroshima präsent gewesen, nicht bei den Erfindern der Atombombe, deren Leistung Teilhard als letztlich evolutionsfördernd pries (vgl. Abschnitt 4.4.1). “Nicht einmal die beste aller möglichen Evolutionsstufen rechtfertigt die Opfer der Evolution als unvermeidlichen Dünger solcher Zukunft.”62 Christus müsse zum Erlöser der Evolution werden, wenn er mit ihr zusammengedacht werden soll. In der Auferweckung der Toten liege die Erlösung der stets zweideutigen Evolution.63 Eine Erlösung durch die Evolution selber gebe es nicht, da mit dem Werden notwendig auch ein Vergehen verbunden sei. Die Kritik Moltmanns an Teilhard ist jedoch unzureichend. Wenn Christus auch als Christus redemptor, als Mitleidender an der Evolution, ein Christus evolutor bleibt,64 dann stehen wir vor dem Widerspruch, daß Christus die Welt von der Evolution erlöst, die er selber inszeniert hat und an der die Welt leidet. Christus leidet nicht mehr stellvertretend für die Sünde, sondern als Hauptverantwortlicher für die Evolution. Die dreigliedrige Auslegung der Schöpfungsmittlerschaft Jesu: Christus als “Grund der Schöpfung” - als “Triebkraft der Evolution der Schöpfung” und als “Erlöser des ganzen Schöpfungsprozesses”65 ist folglich ein Widerspruch in sich. d. Gottes Handeln aus Liebe oder Automatismus der Evolution? Scheffczyk vergleicht die Erlösung in der Sicht Teilhard de Chardins mit der von Paulus beschriebenen Erlösung und hebt darin den Gegensatz zwischen den Notwendigkeiten evolutionärer Entwicklung einerseits und der Freiheit des göttlichen Erlösungshandelns andererseits hervor.66 “Für Teilhard sind das Christusereignis und die Erlösung eine ‘Funktion’ oder wenigstens eine Verlängerung der kosmischen Evolution; die Erlösung und... Vollendung sind Teilmomente der Na- M Vgl. Daecke, Teilhard 367ff. 60 Moltmann, Weg Jesu Chrisli 320. 61 Ebd. 324. 62 Ebd. 321. 63 Ebd. 327. M Auch für Moltmann, a.a.O. 310, ist Christus “Triebkraft der Evolution der Schöpfung (creatio Continua)”. 65 Ebd. 310. “ Scheffczyk, Christogenese. turgeschichte des Kosmos.... Bei Paulus dagegen sind Christusgeschehen wie Parusie rein gnadenhaft aus der Transzendenz einbrechende Ereignisse, die freilich auch für den ganzen Kosmos eine Folge haben, die aber nicht von der Geschichte des Kosmos abhängig sind.”67 Das Christusereignis ist für Teilhard eine Fortsetzung der Evolution auf einer höheren Stufe, für Paulus dagegen ein Neuanfang und radikaler Umbruch des alten, der aufgrund einer vorausgehenden menschlichen und (wegen der Schicksalsgemeinschaft von Mensch und Kosmos) auch kosmischen Katastrophe notwendig wurde.68 Erlösung ist niemals ein Moment einer naturgesetzlichen, notwendig verlaufenden Evolution, sondern “das alles natürliche Verlangen und Bemühen des Menschen transzendierende ungeschuldete Geschenk der göttlichen Barmherzigkeit.”69 Sie geschieht nur durch das Handeln und Eingreifen Gottes in Jesus Christus (Apg 4,12; Joh 14,6). e. Kontinuität oder Umbruch? Mit der Alternative “Kontinuität oder Umbruch” ist ein weiterer Gegensatz angesprochen: Während evolutionistisches Denken die Kontinuität der Weltgeschichte hervorhebt, bezeugt die biblische Überlieferung immer wieder das unvorhersehbare, freie Handeln Gottes, das auch in seinem Erlösungswerk an keine Gegebenheiten dieser Welt gebunden ist. f. Was gehört zur Kirche? Teilhard de Chardin sieht im Evolutionsprozeß eine wachsende Verchristlichung der ganzen Welt.70 Er rechnet auch die naturhaft-biologischen und physischen Kräfte zum Leib Christi, zur Kirche. Im Epheser- und Kolosserbrief wird aber die Kirche vom “Leib” des Kosmos unterschieden. Die Aufbauelemente des Leibes Christi, der Kirche, sind immer nur die Gläubigen (Eph 1,23; 2,1 lff.; Kol 1,18.24; Apg 20,28).71 In ähnlicher Weise vereinnahmt Teilhard auch den Begriff des “Pieroma” (“ganze Wesensfül- le”) für seine evolutionistische Schau. Während der Begriff in Kol 1,19 auf den geschichtlichen Jesus, in Kol 2,9 auf den erhöhten Christus bezogen wird, verwendet Teilhard ihn für den durch evolutive Reifung der Menschheit entstehenden Superorganismus, der aus der ganzen Menschheit und der außermenschlichen Welt besteht.72 Hier werden biblische Begriffe inhaltlich evolu-tionistisch neu bestimmt. g. Christusähnlich werden durch Evolution? Schließlich sei noch bemerkt, daß das Christus-förmig-Werden, von dem das Neue Testament spricht, nichts mit Evolution zu tun hat, sondern Veränderung bedeutet, die nur unter der Voraussetzung, in Christus eine neue Schöpfung zu sein, möglich ist, als Lebensstil, den Christen in der Gottesbeziehung verwirklichen können. Das Christusförmig-Werden auf den Evolutionsprozeß zu übertragen, ist eine Vereinnahmung dieses Gebotes für die evolutionistische Schau. Ebensowenig entspricht die evolutionäre Auslegung von Röm 8 als Seufzen der Schöpfung auf die Vollendung der Welt hin der Intention des Textes (vgl. dazu Abschnitt 4.3.2.2). 4.5.3 Auferstehung Die Auferstehung, zentrale und entscheidende biblische Heilsbotschaft und bedeutender Inhalt der christlichen Hoffnung, wird von den konsequent theistisch-evolutionistisch denkenden Theologen wenig thematisiert. Die meisten Autoren, die eine theistische Evolutionslehre vertreten, äußern sich zum Inhalt der Realität der Auferstehung vor dem evolutionären Hintergrund nicht. Ein Zusammenhang mit den 67 Ebd. 168. 68 Ebd. 69 Scheffczyk, Weltevolution 175. 70 Teilhard de Chardin, Milieu 105. 71 Vgl. die Kritik, bei Scheffczyk, Christogenese 164f. 72 Teilhard de Chardin, Milieu 45, 56; vgl. Scheffczyk, Christogenese 166. Inhalten der Evolutionslehre wird in der Regel nicht thematisiert. In der vorangegangenen Diskussion um den Sündenfall und die Bewertung des Todes wurde jedoch deutlich, daß ein enger Zusammenhang besteht (vgl. die Abschnitte 4.3.3.2, 4.4 und besonders 4.4.2), weshalb hier auf diese Ausführungen verwiesen sei. Einige Autoren passen den Auferstehungsbegriff jedoch ausdrücklich an die evolutionäre Weltanschauung an. So versteht Altner Auferstehung und Leben unter evolutionärer Perspektive folgendermaßen: “Leben kann nun nicht mehr einfach Unsterblichkeit und pure Jenseitigkeit sein, Auferstehung in einem objektiv abgeschlossenen Sinne, sondern nur mitleidendeTeilhabe am Geschehen der Evolution in seiner vollen Breite und seiner geschichtlichen Tiefe... Die mit der Auferstehung gemeinte unun-terdrückbare Wirklichkeit des Lebens, die sich immer wieder gegen die Wirklichkeit des Todes durchsetzt, erscheint in der Dynamik der Lebenssteigerung, wie sie uns die Evolution vor Augen führt. Das müßte die Rede von der Auferstehung und der Erlösung und der Neuwerdung des Menschen immanenter machen, als es uns bislang geläufig war. Freilich bleibt die Unverfügbarkeit des in der Evolution erscheinenden Lebens gewahrt dadurch, daß es um den Preis der Todesverdrängung verfehlt und zerstört und nur im Eingeständnis des eigenen Sterbenmüssens erlitten und erfahren werden kann.”73 Kritik: Die Beschreibung Altners bedeutet eine starke Einschränkung der Auferstehungsrealität, wie sie die biblischen Zeugen verstehen. Auferstehung ist zwar tatsächlich mehr als Jenseitigkeit, aber dieser Aspekt gehört wesentlich zur Auferstehungsrealität, ja er ist die Basis dafür, daß die Realität der Auferstehung sich auch in den Gläubigen auswirkt (Eph l,19f.; Phil 3,10). Sie ist bei weitem nicht nur “mitleidende Teilhabe”. An dieser Stelle sei auch an die in Abschnitt 4.4.1 erwähnte Vorstellung Altners erinnert, daß eine endgültige Todesaufhebung als Ziel und Abschluß der evolutiven Selbstüberhöhung des Lebens anzusehen sei. Die Hoffnung darauf sei nur auf dem Weg über die im Leiden vollzogene Teilhabe am Tod zu haben, auch wenn das Leben über diesen hinausgehe und hinaustrage. Im Rahmen einer naturgesetzlich verlaufenden Evolution wird auch der Auferstehungsbe- griff in diesem Denkraster inhaltlich gefüllt. Auferstehung wird immanentisiert. Ihre Bedeutung wird dadurch verändert, daß der Tod verharmlost wird (vgl. Abschnitt 4.4), denn die Auferstehung ist der Sieg über den Tod. Eine erhebliche Beschränkung des Inhalts der Auferstehungsbotschaft ist auch bei Bosshard zu verzeichnen. Er meint, Jesus besiege durch seine Auferstehung den gewaltsamen Tod.74 An seinem neuen Leben gebe er fortan den Menschen Anteil. Wenn aber nur der gewaltsame Tod überwunden sein soll, kann daraus keine Hoffnung angesichts des gewöhnlichen Todes begründet werden. Paulus stellt in 1 Kor 15,12ff. fest, daß die Auferstehung Jesu einen unverzichtbaren Bestandteil des christlichen Glaubens und Lebens bildet. Wenn die Auferstehung Jesu nicht Realität ist, ist der Glaube wertlos (1 Kor 15,14), und der Mensch verbleibt in seinen Sünden, denn die Auferstehung Jesu ist die Beglaubigung des Sühneweges Jesu durch Gott (vgl. Phil 2,9; Apg 17,31). Ohne die Auferstehung Jesu fehlt diese Bestätigung. Ladd kommentiert: “If Christ is not risen from the dead, the long course of God’s redemptive acts to save his people ends in a dead-end Street, in a tomb.”7S Paulus stellt weiterhin die Auferstehung Jesu in einen engen Zusammenhang mit der Auferstehung derjenigen, die Jesus nachfolgen. Ihm folgen alle, die ihm angehören (1 Kor 15,22), auch in der Auferstehung. Andernfalls gilt: “Wenn wir nur in diesem Leben auf Christus gehofft haben, ist unser Elend größer als das aller anderen Menschen” (1 Kor 15,19). Ohne Auferstehung sind alle Menschen im Elend, das Elend ist jedoch größer, wenn man als Nachfolger Jesu mancherlei Nachteile bis hin zur Verfolgung in Kauf nimmt, ohne einen Vorteil davon zu haben. Daraus wird deutlich, daß die persönliche Auferstehung entscheidend wichtig für die Gestaltung des hiesigen Lebens ist. Die Auferstehung hat aber auch eine universale eschatologische Bedeutung.76 “Jesus’ resur- 73 Altner, Konfliktpartner 465. 74 Bosshard, Erschafft die Well 156 73 Ladd, A/T 318. 76 Vgl Künneth, Auferstehung 235ff. rection is not an isolated event that gives to men the warm confidence and hope of a future resur-rection; it is the beginning of the eschatological resurrection itself.”77 Die leibhaftige Auferstehung Jesu ist Zeichen dafür, daß die neue Welt Gottes sicher kommen wird, denn sie ist mit ihr punktuell bereits in diese Weltzeit hereingebrochen. Das leere Grab ist für diesen Sachverhalt insofern entscheidend, als es Zeichen für die Realität der Auferstehung ist. Wenn auch das leere Grab alleine noch keinen Glauben an Jesus Christus als den persönlichen Herrn und Retter bewirkt, wie die Reaktionen der Frauen und Jünger am Ostermorgen zeigen, so ist es doch der “greifbare” Ausdruck einer mächtigen Realität. Das leere Grab zeigt weiter, daß die Auferstehung eine leibliche Seite hat; Auferstehung betrifft nicht nur das Geistige.78 Paulus bemüht sich im “Auferstehungskapitel” 1 Kor 15 des weiteren, durch Bilder und Vergleiche verständlich zu machen, was mit der Auferstehung gemeint ist. Wie die Toten auferweckt werden und welchen Leib sie haben werden, kann man nicht sagen (V. 35f.), aber die Auferstehungs/etMc/ifcdf ist Realität. Den Auferstehungsleib kann man sich genausowenig vorstellen, wie die Gestalt einer Pflanze, wenn man nur ihren Samen kennt (V. 37f.). Klar ist aber, daß es sich um ein anderes Leben und um eine andere Leiblichkeit handelt, als wie wirsie kennen. Im Vergleich zur Herrlichkeit des Auferstehungsleibes ist unsere jetzige Leiblichkeit armselig. Daß mit der Auferstehung eine andere Realität gemeint ist und nicht nur eine Fortsetzung der bisherigen unter besseren Randbedingungen, macht auch die Antwort Jesu auf die Frage der Sadduzäer nach der Auferstehung deutlich (Mt 22,23-33). Bei der Auferstehung werden die Menschen nicht mehr heiraten, sondern wie die Engel im Himmel sein (V. 30). Es handelt sich also um eine andere Existenzweise. Jesus interpretiert weiter ein Wort aus Ex 3,6 im Sinne der Auferstehung: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist nicht der Gott der Toten, sondern der Gott der Lebenden (V. 32). Die “irdisch” längst gestorbenen Väter leben also in einer anderen Weise. Das kommt auch im “Glaubenskapitel” des Hebräerbriefes zum Ausdruck (Hebr 11). Abraham wird das Zeugnis gegeben, daß er nach einer besseren Heimat suchte, nicht nach der irdischen (Hebr 11,13-16; vgl. 13,14). Den Fremdlingscharakter in dieser Welt drücken auch Paulus in Phil 3,20 und Petrus in 1 Petr 2,11 aus. Es ist nach den bisherigen Ausführungen bereits deutlich geworden, daß mit der Auferstehung des Einzelnen primär eine zukünftige und von unserer Welt verschiedene Realität gemeint ist. Dies drückt Paulus auch dadurch aus, daß er von seiner eigenen Auferstehung als von einer zukünftigen Realität spricht (Phil 3,10—14). Der zukünftige Aspekt wird mit dem gegenwärtigen verschränkt: Schon jetzt sind die Gläubigen mit Christus auferweckt und sollen ihr Leben entsprechend ausrichten (Kol 3,1—3). Die Auferstehungsmacht Jesu wirkt schon jetzt in seinen Nachfolgern (vgl. Eph 1,19f.). Aber auch der gegenwärtige Aspekt lebt vom zukünftigen. So schreibt Paulus im Anschluß an das gegenwärtige Auferwecktsein mit Christus davon, daß wir zukünftig mit Christus in Herrlichkeit offenbar werden (Kol 3,4). Zusammenfassend zeigt sich, daß Auferstehung zum einen ein künftiges, “jenseitiges” (d. h. jenseits unserer bekannten Realität und Erkenntnismöglichkeit bestehendes79) Leben meint, das wie das hiesige Leben auch einen körperlichen Aspekt, jedoch andere Gestalt und andere Gesetzmäßigkeiten hat, die uns prinzipiell verborgen sind. Zum anderen bedeutet Auferstehung aber auch die Erneuerung und Verwandlung der Schöpfung insgesamt, die durch Jesu Wirken punktuell bereits in diese Weltzeit eingebrochen ist.80 Die Betonung des Jenseitigen und Zukünftigen der Auferstehung soll ihre gegenwärtige Realität nicht verdrängen. Doch dieser Aspekt muß hier hervorgehoben werden, weil er im Rahmen der Evolutionslehre mehr oder weniger übergangen wird. Im konsequent evolutionären 77 I-add, NT 326. 78 Vgl Heim, Wettvollender 173— 176. 79 Vgl. Abschnitt 4.3.2.4, b. 80 Vgl. Künneth, (l a. O. 154ff. Rahmen richtet sich die Hoffnung auf das Vorwärtskommen der Evolution. Dadurch sollen lebensfreundlichere Verhältnisse erreicht werden. Anhaltspunkt für diese Hoffnung ist dabei die (vermeintliche) Tatsache, daß die Evolution schwere Krisen immer wieder überstanden habe (vgl. Abschnitt 4.6). Die Hoffnung ruht auf dem postulierten bisherigen Verlauf der Evolutionsgeschichte. Die christlich-biblische Hoffnung dagegen stützt sich auf das Ereignis der Auferstehung Jesu, die sich auf unserer Erde ereignet hat. 4.5.4 Evolution und die Mächte der unsichtbaren Welt Der Hintergrund des Auftrags Jesu und seines Kreuzestodes bildet sein Kampf mit der unsichtbaren geistlichen widergöttlichen Welt: “Der Sohn Gottes ist gekommen, die Werke Satans zu zerstören” (1 Joh 3,8). Jesus Christus hat Fleisch und Blut angenommen, “um durch seinen Tod der. zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel” (Hebr 2,14). Paulus spricht von der gegenwärtigen als einer “bösen Welt” (Gal 1,4; vgl. Eph 2, lff.). Jesu Weg warein Weg der Auseinandersetzung mit Satan. Das wird besonders daran deutlich, daß Jesus zu Beginn seines öffentlichen Wirkens sich mit Satan auseinandersetzen muß (Mt 4,1 — 11 par). Nach seiner Gefangennahme sagt Jesus, daß jetzt die Finsternis die Macht hat (Lk 22,53). Heim hat diese Seite des Auftrags Jesu im dritten Band seines Werkes “Der Evangelische Glaube und das Denken der Gegenwart” besonders markant und eindrücklich herausgestellt. Jesu Handeln ist ein Widerspruch zur gegenwärtigen Struktur dieser Welt.81 Die geistliche Dimension des Auftrages Jesu, sein Kampf mit Satan und seinen Mächten, wird in theistisch-evolutionistischen Entwürfen kaum thematisiert. Konsequent theistisch-evolutioni-stische Entwürfe beachten diese Dimension der Realität nicht;82 sie hat dort keinen Platz. Die Ausblendung dieser Realität ist verständlich, da in den konsequent-evolutionistischen Konzepten das Böse nicht personhaft gedacht wird, sondern als strukturelles Moment, als statistisch auftretender Nebeneffekt der werdenden Welt. Die Folge davon ist ein monistisches Weltverständnis: Gott bewirkt in seiner Schöpfung mit dem Guten unvermeidlich und gleichzeitig auch das Böse. Mit dem Verlust des dämonischen Wirklichkeitsbereichs erübrigt sich auch die Realität der Engelweltja der gesamten unsichtbaren Schöpfung - ein Aspekt, der nahezu vollständig bei konsequent evolutionistisch orientierten Autoren übergangen wird. Der Evolutionsgedanke kann nicht auf die unsichtbare Welt im Sinne einer Engel- oder Dämonenevolution ausgedehnt werden; die Existenz dieser Schöpfungsrealität wird nicht thematisiert. In manchen gemäßigt-evolutionistischen Harmonisierungsversuchen wird der dämonischen Realität dagegen eine wichtige Rolle eingeräumt bis hin zur Spekulation, der Satansfall habe die Evolution ausgelöst (vgl. Abschnitte 4.4.2, d.; 4.3.3., g. und 4.2.1, Bewertung, c.). Wie in den angegebenen Abschnitten dieser Arbeit bereits gezeigt wurde, kranken diese Vorstellungen am mangelnden Bezug zu den Daten und Inhalten der von ihnen vorausgesetzten Evolutionsanschauung. Neuerdings nehmen Hemminger & Hemmin ger als überzeugte Evolutionstheoretiker Bezug zur dämonischen Realität angesichts einer evo-lutiven Werdewelt. Sie urteilen, daß die biblische Vorstellung vom dunklen, zerstörerischen Widersacher Gottes und die traditionelle Vorstellung vom Engelfall, zu Widersprüchen mit der “Naturwissenschaft” (gemeint ist von den Autoren in ihrem Kontext die Evolutionslehre) führe, geben aber keine Rechenschaft darüber ab, welcher Zusammenhang mit dem Evolutionsgeschehen besteht und wie im evolutionären 81 Heim, Weltvollender, vgl. Beck, Universalität 371ff. 82 Benz (Evolution 61) zitiert den erwähnten TEtLHARD-Vorläu-fer J. M. Savage: “Der Teufel ist ein finsterer Nachttraum der Vergangenheit, der in das Museum theologischer Kuriositäten, Mumien und Skelette gehört, in dem das kommende Zeitalter die Vorstellungen der früheren, versunkenen Epochen studieren kann.” Rahmen die Existenz und das Wirken satanischer Mächte eingeordnet und verstanden werden kann.83 4.5.5 Zusammenfassung Entsprechend der evolutionär orientierten Anthropologie und den Umformungen der Hamar-tiologie entwickeln konsequent-evolutionistisch denkende Autoren eine evolutionäre Christologie. Die Menschwerdung Jesu wird als Ereignis, als Höhepunkt innerhalb des immanent evolutionären Werdeprozesses verstanden, die Göttlichkeit Jesu und seine Wesenseinheit mit Gott, dem Vater, werden bestritten. Dies sind offensichtliche Widersprüche zu den Zeugnissen der Autoren des Neuen Testaments. Das Werk Jesu Christi wird als Teil des allgemeinen Evolutionsprozesses gesehen, als Motor der Evolution, als Fortführung dessen, was sich in der Milliarden Jahre währenden Evolution bereits etabliert hat. Christus wird zum Evolutor, die traditionell biblisch bezeugte Sicht von Christus als Erlöser der Menschheit von der Sünden-und Todesmacht kann nicht in das Evolutionskonzept eingeordnet werden. Erlösung als ein ständiger Aspekt der Schöpfung bedeutet das Ende der Evolution, an dem die leidvollen Nebenwirkungen der Entwicklung überwunden sein sollen; das Kreuz wird zum Bild für die Mühsal dieses Werdeprozesses. Der Werdeprozeß, der mit dem Schöpfungs- und Erlösungshandeln Gottes identifiziert wird, erfolgt aufgrund weltimmanenter Kräfte notwendigerweise (zumindest bei Teilhard). Hier wird deutlich, daß die Heilslehre und Glaubensinhalte des Neuen Testamentes von der vorausgesetzten evolutionstheoretischen Sichtweise aus nach Belieben umgedeutet werden. Der exegetisch zu ermittelnde Sinn der einschlägigen Texte wird nicht beachtet, oder unter Mißachtung des Kontextes evolutionäre Vorstellungen in isoliert herausgegriffene Texte hineingelesen.84 Die Auferstehungsrealität wird - ebenfalls in scharfem Kontrast zum biblischen Zeugnis -primär auf immanente Aspekte eingeschränkt, das Erlösungswerk Jesu als Kampf mit dämonischen Mächten gar nicht thematisiert. Vertreter einer gemäßigten theistischen Evolution gehen auf christologische Aspekte gewöhnlich nicht ein. Die Zusammenhänge der Christologie zur Evolutionsthematik werden nicht aufgearbeitet. 83 Hemminger & Hemminger, Weltbilder 164. 84 Als Beispiel sei an Teilhards Deutung des “pleroma” erinnert, s. Abschnitt 4.5.2, Kritik, f. 4.6 Eschatologie Evolutionäre Vorstellungen haben auch Konsequenzen für die Zukunftsvorstellungen und Hoffnungen, wie bereits in Abschnitt 4.5.3 gezeigt wurde. Wenn die Gegenwart nicht von fundamentalen Brüchen in der Vergangenheit (Sündenfall, Sintflut) mitbedingt ist, wenn die lebenseinschränkenden Bedingungen in der Gegenwart nicht Ausdruck eines Verlustes des Ursprungs, sondern notwendige Nebeneffekte der Evolution sind, ergeben sich andere Perspektiven für die Zukunft, als sie die biblische Überlieferung zeichnet. Eine naheliegende Konsequenz des Evolutionsgedankens ist eine weitere Evolution auch in der Zukunft. Manche Autoren, die eine theistische Evolution akzeptieren, sehen allerdings die Evolution mit dem Erscheinen des Menschen als beendet an.1 Wie im Abschnitt zur Christologie kommen auch in diesem Abschnitt Vertreter einer “gemäßigten” Evolutionsanschauung nur am Rande zu Wort, da sie sich zu dieser Thematik kaum äußern. Es ist möglich, auch in einem evolutionstheoretischen Rahmen an eine reale Wiederkunft Jesu als Vollendung und Wandlung der bisherigen Schöpfungsgeschichte und -gestalt zu glauben, ohne damit gegen diejenigen Inhalte zu verstoßen, die Bestandteil jeder Evolutionsvorstellung sind (vgl. Abschnitt 2.8). Eine die Weltgeschichte nicht-evolutionär umbrechende Wiederkunft Jesu und Neuschaffung von Himmel und Erde (Offb 21) wird durch die Evolutionsanschauung nicht strikt ausgeschlossen, da Evolutionstheoretiker gewöhnlich zur Zukunft keine konkreten Voraussagen machen. Sie liegt allerdings nicht im Gefälle von Evolutionsanschauungen. 4.6.1 Evolutionäre Eschatologie Es liegt in der Konsequenz der Evolutionslehre, Evolution auch in die Zukunft hinein zu projizieren. So schreibt Teilhard de Chardin: “Wir glaubten vielleicht, die Schöpfung sei seit langem beendet. Imum, sie geht mit vollem Schwung weiter, und zwar in den höchsten Bereichen der Welt... Und im Dienste ihrer Vollendung stehen wir, selbst durch die demütigste Arbeit unserer Hände. Das ist letzten Endes der Sinn und der Wert unseres Tuns. Kraft des durchgehenden Zusammenhangs Materie-Seele-Christus bringen wir, was immer wir auch tun, Gott eine Partikel des Seins, das er wünscht. Durch jedes unserer Werke arbeiten wir atomhaft, aber wirklich daran, das Pieroma zu errichten, d. h. Christus ein kleines Teil Vollendung zu bringen.”2 Das an das Ziel seiner Evolution gelangte menschliche Bewußtsein wird ein Höchstmaß an Komplexität und Konzentration haben “durch totale Reflexion seiner selbst in sich selbst”. Diesen Prozeß nennt Teilhard “Planetisation”. Er spricht von einer “Trift zum Kollektiven”, der keine Kraft in der Welt entgegensteuern könne, da es sich um die Kraft der Welt selbst handle — ein unwiderstehlicher physischer Prozeß der menschlichen Kollektivisation.3 Auch die beiden Weltkriege sieht er in diesem Zusammenhang, denn sie hatten zum Ergebnis, daß die Menschheit sich in einem immer unauflöslicheren Knoten verband.4 Nach der ersten Hominisation (der Entstehung des Denkens) ist die zunehmende Verflechtung der Menschheit nach Teilhard die zweite Hominisation. Die Evolution ist für Teilhard also keineswegs beendet, im Gegenteil, der Höhepunkt der Vollendung steht noch aus und ist durch die Mitwirkung des Menschen zu erreichen.5 D. h.: Die Tatsache, daß der Mensch sich in einem Prozeß 1 So ist nach Koltermann, Schöpfung 63, die weitere Entwicklung der Evolution nicht mit den bisherigen Evolutionsfaktoren (Mutation etc.) zu vollziehen, sondern liegt im personalen Bereich der freien Entscheidung. 2 Teilhard de Chardin, Milieu 45. 3 Ebd. 167,169. 4 Ebd. 171; vgl. S. 177f.; s. o. 5 Benz, Endzeiterwartung 163, erwähnt in diesem Zusammenhang den bereits genannten Vorläufer Teilhards, Savage (1841 -1918), der die Einordnung des Menschen in die Reihe der animalischen Vorstufen nicht als Abwertung einstuft, sondern darin eine Hoffnung zukünftiger Vollendung sieht. der Aufwärtsentwicklung befindet, vermittelt die Hoffnung, daß es mit ihm in der Zukunft besser werden wird. Im Gefolge dieser Denkrichtung hat Bresch ähnliche Gedanken geäußert (vgl. Abschnitt 4.1). Er sieht aufgrund seiner Interpretation der Evolution vom Tier zum Menschen den Weg zum Humanum durch ein finsteres Tal führen; wir hätten aber den größten Teil der Strecke bereits zurückgelegt.6 Dieser Gedanke könne uns Mut machen. Es käme jetzt nur darauf an, “den Lauf der Geschichte konsequent zu Ende zu führen, der die Gruppe der nach innen friedlichen, solidarischen ‘Wir-Gruppe’ ständig wachsen ließ: zum Stamm, zum Volk und jetzt — wenn wir uns mühen - zur einen Menschheit.”7 Diese Idee findet sich auch bei Theissen: “Die Christen sind Bürger zweier Welten. Anders ausgedrückt: sie sind Grenzgänger zwischen zwei Evolutionsphasen: Als Bürger der kulturellen Evolution sind sie zur Überwindung selektiven Drucks verpflichtet. Als Bürger der biologischen Evolution unterliegen sie ihm.”8 In diesem Sinne seien wir Heutigen als “missing link” vom Tier zum wahren Menschen zu verstehen. Aus dieser Sicht ergebe sich, so Theissen, die Hoffnung, daß der Mensch, der für Auschwitz verantwortlich ist, nur ein Übergang sei,9 und damit Hoffnung für die zukünftige Evolution. In diesem Prozeß des Übergangs zum Humanum muß mit ähnlich langen Zeiträumen gerechnet werden, wie sie die Evolution schon in der Vergangenheit benötigte. Den langfristigen Zeiträumen der vergangenen Evolution entsprechen lange zukünftige Zeitspannen der weiteren Entwicklung. Die Akzeptanz der Evolutionslehre leite, so Benz, die letzte Phase des Abbaus der Naherwartung des Endes ein.10 Bei Bresch und anderen Autoren, die eine ähnliche Sicht vertreten, mischen sich in die geäußerten Zukunftsperspektiven Bedenken, ob die neue Evolutionsstufe wirklich erreicht werden wird: Der Mensch könnte versagen. “Wir stehen vor einem neuen Abschnitt der Evolution, einer Evolution des Geistigen. Ob wir ihn je erreichen, ist ungewiß, denn es ist zweifelhaft, ob wir schnell genug neue Menschen werden können. Die Wertmaßstäbe haben sich umgedreht - in Zukunft wird nur eine, eine pazifistische Menschheit leben oder gar keine. So sind die Gesetze der Evolution.”" Ähnliche Bedenken äußerte von Ditfurth.12 Er glaubt zwar an eine göttliche Vollendung der Welt; es sei jedoch nicht garantiert, daß diese Vollendung mit dem Menschen geschieht. Die Evolution könne auch ohne den Menschen weiterlaufen; wir seien dafür verantwortlich, ob die Evolution mit oder ohne uns fortschreitet. Teil-hard läßt dagegen kaum Sorgen um einen katastrophalen Ausgang der Weltgeschichte erkennen, denn er geht von einem “planetaren Selbsterhaltungstrieb des Lebens” aus.13 Wir haben noch mehrere Millionen Jahre vor uns, meint Teilhard,14 so lehre es die Geschichte der anderen lebenden Gruppen. Die Tatsache, daß die Evolution schon viele hundert Millionen Jahre erfolgreich ablief, wertet Teilhard als “Hinweis, daß es [das Leben] unter irgendwelcher Mitwirkung der ‘blinden’ Kräfte des Universums, das heißt unfehlbar, vorwärtsschreitet.”15 Daher hält er ein Mißlingen der Zukunft letztlich nicht für möglich.16 “Eher würde die Erde aufhören, sich zu drehen, als daß die Menschheit, in ihrer Gesamtheit genommen, aufhörte, sich zu organisieren und eins zu werden.”17 Die weitere Zukunft sieht er in einer weiteren Kollektivierung der menschlichen Gesellschaft mit dem Endziel ei- 6 Bresch, Alpha-Bedingungen 34. 7 Ebd.39. 8 Theissen, Christlicher Glaube 153. ’ Ebd. 155. 10 Benz, Endzeilerwartung 248. 11 Bresch, Diskussionsbeiträge 120; vgl. Koestler, Irrläufer. Es sei an die Ausführungen in Abschnilt 4.2.1 erinnert, wonach evolutionstheoretisch gesehen sich Wertmaßstäbe und Normen ändern. Ein solcher Wertewandel müsse auch heule vollzogen werden: Während im “Tier-Mensch-Übergangsfcld” (vgl. Abschnilt 2.5) kriegerische Verhaltensweisen den Evolutionsfortschritt ermöglicht hatten, könne unter den heutigen gewandelten Verhältnissen nur noch eine pazifistische Menschheit überleben. Zu Breschs Vorstellungen Uber die zukünftige Evolution vgl. Isak, Evolution 363ff. 12 In W.-R. Schmidt, Leben ist mehr 132. 13 Benz, a. a.O. 252; vgl. Lay, Diskussionsbeiträge 294. 14 Teilhard de Chardin, Zukunft 99. 15 Ebd. 16 vgl. Smulders, Theologie 124f. 17 Teilhard de Chardin, a. a. O. 203. nes globalen Abschlusses, einer “Planetisation”.18 Er glaubt an den Fortschritt und an die Konvergenz der Menschheit. Nach Benz kann man geradezu von einer Religion des Fortschritts sprechen, der Religion des Homo progressive, der eine Übergangsstufe zwischen dem homo sapiens und dem kommenden Übermenschen der ferneren Zukunft ist.19 Die Wiederkunft Jesu In einem evolutionstheoretischen Kontext erscheint es nicht sinnvoll, die Wiederkunft Jesu zu erwarten, bei der die bisherige Weltgeschichte in unvorhersehbarer Weise nicht-evolutionär abgebrochen wird (Mt 24; 1 Th 5,1 -4). Das stünde jedenfalls im Widerspruch zum Grundkonzept der Evolutionslehre. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie bei Teilhard de Chardin und seinen Epigonen - das Wirken Jesu als evolutionsfördernd gewertet wird. Wenn Evolution als die Schöpfungsmethode Gottes verstanden wird, paßt die Vorstellung eines Abbruchs dieses Geschehens durch ein göttliches Eingreifen nicht in diesen Kontext. Gott würde dann dem von ihm selbst initiierten und gelenkten Prozeß widersprechen. Wenn Altner meint, “die Versuchung, den allgemeinen Geschichtsprozeß durch die Setzung sogenannter überzeitlicher Ziele vorschnell zum Abschluß zu bringen, bietet sich immer wieder an”,20 bestreitet er offenbar die Wiederkunft Jesu als Einschnitt und Abbruch dieses Äons. Kritik Zukunftsperspektiven können in diesen konsequent evolutionären Entwürfen - wenn überhaupt - nur für das Kollektiv vermittelt werden; die Heilserwartungen für das Individuum werden auffälligerweise kaum thematisiert, was aber nicht verwundern kann, da die Individuen in der Evolutionsanschauung generell wenig bedeuten. Daher fehlt die Grundlage für eine persönliche Heilserwartung. Dies wird besonders bei Teil-hard deutlich, für den der Untergang der Indivi- duen zum unvermeidlichen Nebeneffekt der Gesamtentwicklung wird. Seinen Optimismus für die Gesamtentwicklung begründet er damit, daß die Evolution Engpässe in der Entwicklung schon immer überwunden habe und zwar dadurch, daß jeweils eine große Zahl von Organismen die erforderlichen Sprünge auf der Evolutionsleiter aufwärts versucht habe, von denen immer einige durchgekommen seien.21 Zwar soll das Erreichen des “Punktes Omega” für das Individuum die volle Integration mit den anderen Individuen und volle Entfaltung der Persönlichkeit bedeuten,22 bis Omega aber erreicht ist, müssen offenbar die Individuen als letztlich wertlose Nummern betrachtet werden, die für den Gang auf das große Ziel hin notwendigerweise geopfert werden müssen. Dennoch versteht Teilhard die Liebe als Triebkraft auf Omega hin. Unter evolutionstheoretischen Vorzeichen wird hier der Begriff “Liebe” ausgehöhlt. Es scheint, als ob die Zukunft auf das Ziel Omega hin mit Naturnotwendigkeit erreicht würde.23 Teilhard glaubt an einen “planetaren Selbsterhaltungstrieb” (s. o.), hinter dem die souveräne Tat Gottes verblaßt, wenn nicht ganz verschwindet. Dagegen stellen die neutestamentli-chen Zeugen klar, daß die Zukunft letztlich nur durch das Wirken Gottes gewährleistet ist. Allerdings scheint für Teilhard die Antriebskraft doch kein “Naturgesetz” zu sein, sondern die Gnade Gottes.24 Gegen den Vorwurf, dies bedeute eine Verkleinerung der Gnade, setzt Teilhard seine Einschätzung, es handle sich um eine Erhebung der Evolution. Dennoch ist mit Smulders zu kritisieren, daß Teilhard die Garantie für den weiteren Erfolg der Evolution nicht in der Macht der Liebe Gottes und der göttlichen Gnade sucht, sondern “im Gegenteil mit aller Kraft nach einer Bewahrung und Sicherung, die innerhalb dieser Welt und dieser Mensch- 18 Ebd. 298ff.; 314L; vgl. Benz, a. a. O. 253. 19 Benz, “Diese endzeitliche Vollendung wäre dann die natürlicne Fortsetzung und Krönung dessen, was bereits seit der Entstehung der Erde, des Lebens und des Menschen... im Gange ist_Aufgabe des Menschen wäre dann, sich diesem Prozeß ganz hinzugeben ... als Kirche, die diese Entwicklung tauft und als göttliche Aufgabe verkündet, als Christ, der an Gottes Schöpfungshandeln aktiv teilnimmt und darin seine Erfüllung findet."57 Auch Moltmann geht davon aus, daß die Schöpfung noch nicht fertig und noch nicht am Ende ist und daß der Mensch gefordert ist, das weitere Gelingen zu ermöglichen: “Die unmittelbare Fortsetzung der Evolution... liegt heute in der Hand der Menschen selbst: Sie können diese Evolutionsstufe vernichten oder sich selbst 77 Teilhard de Chardin, Milieu 102. 28 Ebd. 103. 79 Ebd. 105. 50 Ebd. 106. 51 Ebd. 110; vgl. Daecke, Teilhard 254. 57 Vgl. Scheffczyk, Chrisiogenese 170. 22 J. Hübner, Biologie 76. 22 Ebd. 76. 22 Feiner & Vischer, Glaubensbuch 951. 29 J. Hübner, o. a. O. 119. 27 Ebd. 126. zu einer höheren Form des Zusammenlebens als bisher organisieren und die Evolution vorantreiben.”3* Schmitz-Moormann zieht diesen Gedanken bis in die Theologie hinein: “Gottes evoluti-ve Schöpfung geht weiter, Stillstand, auch theologischer Stillstand, hieße sich der Schöpfung verweigern. Deshalb müssen Versuche, auch theologische Versuche, gewagt werden.”39 Kritik: Wenn auch die Erwartung der Parusie mit dem Sichtbarwerden der Gottesherrschaft verbunden ist, übergehen diese Vorstellungen doch den Glaubensabfall, die wehenartig zunehmende Zuspitzung der Menschheitssituation, die zunehmende Verfolgung der Nachfolger Jesu und die mit Gerichten einhergehende Wiederkunft Jesu Christi in Macht in Herrlichkeit (Mt 24; Apg 1,11; 2 Th 2,8; Hebr 9,28). Es ist nicht davon die Rede, daß die Mächte des Bösen sichtbar ausgeschaltet werden,40 daß die im irdischen Leben getroffene Entscheidung für oder gegen Jesus Christus sichtbar wird, und daß der ganzen Welt deutlich werden wird, daß Gott allein Frieden schaffen kann.41 An die Stelle eines unvorhersehbaren Einschnitts durch das freie Handeln Gottes tritt die Vorstellung von einer Vervollkommnung, die schließlich auf evolutivem Wege ihr Ziel erreichen wird. Auf dieses Ziel hin soll der Mensch mitarbeiten. Die Idee, daß der Mensch auf diese Weise an Gottes Werk der Erschaffung durch Evolution mitarbeitet, muß angesichts des biblischen Urteils über den Menschen als Fehlweg gewertet werden, abgesehen davon, daß die Realität des menschlichen Miteinanders bzw. Gegeneinanders die überaus optimistischen evolutionistischen Zukunftsentwürfe geradezu widerlegt. Der Mensch kann sich und der (als Evolution gedachten) Schöpfung nicht entscheidend helfen. Hier wird wieder deutlich, daß die Sündhaftigkeit des Menschen ausgeblendet wird. Ohne Befreiung von der Sünde, die sich in Ichsucht und Friedlosigkeit äußert, können sich die Verhältnisse nicht grundlegend wandeln. Alle Hoffnungen, Perspektiven und Beauftragungen des Menschen, die die Sündhaftigkeit des Menschen übergehen, sind letztlich zum Scheitern verurteilt. Das bedeutet nicht, daß dem Menschen keine Verantwortung in der Schöpfung gegeben ist, es kommt ihm aber nicht die Bürde der Welterhaltung oder der Weltverbesserung zu.42 Angesichts der Macht der Sünde ist die primäre Erfordernis für den Menschen, sich Gott anzuvertrauen und Gottes Gerechtigkeit zu suchen (Mt 6,33). Darauf liegt die Verheißung, daß alles andere selber von Gott zugegeben wird, denn es liegt nicht in der Möglichkeit des Menschen, auch nur eine Spanne seines Lebens zu verlängern, wieviel weniger, so könnte man hinzufügen, liegt die Weltgeschichte in seiner Hand. Für die Christen gilt primär Jesu Auftrag zur Mission (Mt 28,19; Apg 1,8). Vordem Ende muß bei allen Völkern das Evangelium verkündet werden (Mk 13,10; par Mt 24,14). Das ist der Auftrag des erhöhten Herrn an seine Nachfolger. Das schließt andere Aufgaben nicht aus, legt aber die Priorität fest. 4.6.3 Eine evolutionäre Heilsgeschichte Es wurde bereits dargelegt, daß das Neue Testament zwischen verschiedenen Phasen der Geschichte Gottes mit dem Menschen unterscheidet. Die neue Welt, das Eschaton (Offb 21, lff.), wird wesensmäßig von “diesem Äon” verschieden sein (vgl. Rom 8,19-22; 1 Kor 7,31), wie sich auch “dieser Äon” vom Proton unterscheidet (vgl. Röm 5,12ff.). Darüber hinaus können weitere Etappen wie etwa die Zeit des Gesetzes abgegrenzt werden, die aber im Rahmen unserer Fragestellung nur von untergeordneter Bedeutung sind. Im evolutionären Kontext geht die biblische Zeitgliederung “Schöpfung — Sündenfall — Sint- 38 Moltmann, Schöpfung 204. 39 Schmitz-Moormann, Ansätze 8. 40 Von diesen Machten ist in konsequent theistisch-evolutionisti-schen Entwürfen auch sonst nicht die Rede, vgl. Abschnitt 4.5.4. 41 Vgl. Maier, Zukunftsenvartung 58f. 42 Die wichtige Frage der Verantwortung des Menschen, auch des erlösten Menschen, sprengt den Rahmen dieser Arbeit. Denkanstöße, welche die Beschränkung der Lebensmöglichkeiten des Menschen aufgrund des Falles und der Flut in Rechnung stellen, finden sich bei Beck, Krise; Beck, Auftrag. flutgericht — Erwählung Israels — Erlösungstat Jesu — Bildung der Gemeinde — Jesu Wiederkunft, letztes Gericht und Vollendung” verloren. In “gemäßigten” theistisch-evolutionistischen Entwürfen wird diese Konsequenz zwar teilweise zu vermeiden gesucht, in konsequent evolutionisti-schen Konzepten dagegen ausdrücklich oder unausgesprochen akzeptiert (z. B. bei Altner43 oder Hübner). Stattdessen wird auf ein evolutionäres Erreichen eines besseren menschlichen Zusammenlebens gesetzt. Für Teilhard de Char Din ist die Heilsgeschichte44 eine Phase der kosmischen Entwicklung;45 eine Unterscheidung zwischen Heilsgeschichte und Weltgeschichte (s. u.) gibt es nicht. Eine in Etappen gegliederte Geschichte, deren Rahmenbedingungen immer wieder neu von Gott gesetzt werden, wird in eine allgemeine, kontinuierliche Entwicklung aufgelöst.46 Es wurde oben dargelegt, wie die Erwartung der Wiederkunft Jesu in eine innerweltliche Hoffnung umgewandelt wird, die sich der Mensch durch eigenes Zutun selbst erfüllen muß. Der Mensch muß sein zukünftiges Paradies selbst schaffen. Ein allgemeines und permanentes verborgenes Wirken Gottes in der Evolution wird zwar postuliert, dieses Wirken ist aber in keiner Weise faßbar und erscheint als Postulat, das ohne Konsequenzen für das Verständnis des Menschen und seiner vergangenen und zukünftigen Geschichte fallengelassen werden könnte. Die Heilsgeschichte ist nicht an den Menschen gebunden Von der Evolutionsanschauung geleitet sieht Moltmann die Kosmogenese nicht an das Schicksal des Menschen gebunden. “Der Sinn der Welt ist nicht der Mensch. Der Mensch ist nicht der Sinn der Evolution.”47 Umgekehrt sei das Schicksal des Menschen jedoch an die Kosmogenese, die faktisch mit der Heilsgeschichte identisch ist, gebunden. Der Lobgesang der Schöpfung werde ggf. auch nach dem möglichen Verschwinden des Menschen von diesem Planeten gesungen, genauso wie er auch vor seinem Auftreten gesungen wurde. Denn, so Moltmann, nicht der Mensch ist die Krone der Schöpfung, sondern der Sabbat Gottes, das Fest der Schöpfung, die den ewigen, unerschöpflichen Gott preise.48 Bewertung: Sautter charakterisiert die “an der Bibel orientierte Heilsgeschichte” als geschichtliche Bewegung, “die von Gott und seinem Handeln in der Schöpfung und in Christus herkommt und auf das Ziel in Gottes Reich zuläuft. Die Geschichte ist orientiert am Christusgeschehen, durch das dem Menschen eine neue Dimension des Lebens in der Welt, aber nicht von der Welt, eröffnet wird.”49 Die Heilsgeschichte ist zielgerichtet, nicht entwicklungsbedingt. Es handelt sich dabei nicht um eine zeitlose Idee, sondern um ein “geschichtliches Geschehen in Raum und Zeit, das Gott bewirkt hat”.50 Stadel-mann nimmt folgende Begriffsbestimmung vor: “Heilsgeschichte ist das nach Gottes Heilsplan durch sein Einwirken in Tat und Wort gestaltete, trotz Umwegen und ‘Sprüngen’ in sich zusammenhängende und dabei in Kontinuität und Diskontinuität verlaufende Geschehen in der Geschichte, das uns als solches in der biblischen Offenbarung erschlossen ist und als sein Ziel die Verherrlichung Gottes hat.”si Die Heilsgeschichte wird von Ott als ein “Nacheinander göttlicher Taten (Heilstatsachen)” verstanden, “die sich nach einem vorgefaßten Plane Gottes abspielen”. Sie gründe sich auf das biblische Gesamtzeugnis, das jene Heilstatsachen als nacheinan- 45 Altner, Grammatik 73f., spricht von einem “Kontinuum der Zeiten”. Damit gibt er offenbar die biblische heilsgeschtchtli-che Gliederung vom Urständ, "diesem Äon” und dem kommenden Reich Gottes in der neuen Schöpfung auf. 44 Zum Begriff s. weiter unten in diesem Abschnitt. 45 Vgl. Scheffczyk, Christogenese 138. * Die Etappen der Heilsgeschichle überlappen sich teilweise. Der Unterschied zu konsequent evolutionistischen Entwürfen besteht darin, daß dort eine heilsgeschichtliche Gliederung aufgegeben werden muß. 47 Moltmann, Schöpfung 205. 48 Ebd. 204. Moltmann konstatiert zwar einen Sinn jedes einzelnen Menschen und jedes Lebewesens, der in Gott liege und unabhängig von deren Nutzen für die Evolution sei (S. 205), ohne allerdings einen Zusammenhang mit dem Evolutionsgeschehen herzustellen. 44 Sautter, Heilsgeschichte 30. M Ebd. 33. 51 Stadelmann, Heilsgeschichle 37. der geschehene Ereignisse, als Folge göttlicher Verheißung und Erfüllung, dokumentiere.52 Als theologisches Prinzip, das den Geschichtsprozeß als ein Heilsgeschehen bestimmt, sieht Lowith53 die Sünde des Menschen und Gottes Bereitschaft zur Erlösung seiner gefallenen Schöpfung an. “ln dieser theologischen Sicht ist der Grundzug der Geschichte eine Bewegung, die von der Entfremdung zur Wiederversöhnung fortschreitet... Die Sünde des Menschen und die erlösende Absicht Gottes, sie allein erfordern und rechtfertigen die Zeit der Geschichte.”54 Das historische Interesse des Alten und Neuen T estaments konzentriere sich auf dieses Geschehen.55 Die Heilsgeschichte ist an den Menschen gebunden; das gilt insbesondere für ihr Ende (gegen Moltmann); die Parusie wird in engen Zusammenhang mit der Situation der Menschheit gestellt (Mt 24,37ff. par). Die biblische Eschatologie läßt die Möglichkeit einer Geschichte ohne den Menschen nicht zu. Dies wird aus Röm 8,19-22 besonders deutlich, wonach sich die ganze Schöpfung seufzend nach dem Offenbarwerden der Söhne Gottes sehnt. Gegenüber der an der Bibel orientierten Heilsgeschichte sind gemäß Sautter Verengungen der biblischen Heilsgeschichte zurückzuweisen.56 U. a. geht dieser Autor auf die entwicklungsphilosophische Verengung der Heilsgeschichte ein, deren hervortretendes Merkmal die Vorstellung eines der Geschichte innewohnenden Entwicklungsganges ist, wobei Gott das Ziel vorherbestimmt haben mag. Diese Verengung der Heilsgeschichte liegt im Gefälle theistisch-evolutioni-stischer Entwürfe. Das gilt auch für die “universale Ausweitung der Heilsgeschichte”57., bei der es keinen Unterschied zwischen Heils- und Weltgeschichte mehr gibt, was sich darin äußert, daß auch z. B. politische Befreiungsbewegungen als Ausdruck des Heils- und Erlösungshandelns Gottes gewertet werden. Sautter zeigt demgegenüber auf, daß in der ganzen Heiligen Schrift eine heilsgeschichtliche Gliederung im oben genannten Sinne zu finden ist und kommt zu folgenden Ergebnissen: “ 1 ■ Das kommende Reich Gottes ist die in der Bibel verheißene Herrschaft des erhöhten Herrn in der neuen Schöpfung, die 2. Gott und nicht der Mensch aufrichten wird. 3. Darüber, wann das geschehen wird, haben wir keine näheren Angaben in der Bibel. 4. Die Rolle des Menschen für das Kommen des Reiches Gottes ist bestimmt von der Gnade und dem Gericht Gottes, der jedes selbstmächtige Handeln ... am Wort der Schrift zunichte machen wird. 5. Über den Ablauf der Heilsgeschichte bis zur Ankunft des Reiches Gottes gibt die Schrift nur den Hinweis auf die leidende Gestalt der Kirche in der Welt.”58 Darüber hinaus sei implizit eine Unterscheidung zwischen Heilsgeschichte und Weltgeschichte gegeben; es müsse zwischen Gottes Erhaltungsordnung und Gottes Heilsordnung unterschieden werden. Das Verhältnis von Heilsgeschichte und Weltgeschichte ist schwierig zu bestimmen. Einerseits gilt es, an der Souveränität Gottes über die ganze Geschichte festzuhalten. Insofern kann man mit Lowith sagen, daß das Heilsgeschehen alle anderen Geschichten einbegreift.59 Andererseits ist nicht alles, was geschieht, Ausdruck des Heilswillens Gottes, denn die Welt steht unter der Macht der Sünde und des “Herrschers dieser Welt”. Insofern sind Weltgeschichte und Heilsgeschichte auseinanderzuhalten, und die Heilsgeschichte ist ein “schmaler Pfad entschlossenen Verzichts, der einigen Ereignissen Sinn verleiht, indem er die vielen Wege irdischer Begebenheiten durchkreuzt.”60 Die Identifikation von Heilsgeschichte und Weltgeschichte kann darauf hinauslaufen, gesellschaftliche Kräfte wie z. B. politische Befreiungsbewegungen als Ausdruck des Heilswirkens Gottes zu mißverstehen.61 52 Orr, Heilsgeschichie 187f. 53 Lowrm, Weltgeschichte 168. 54 Ebd. 168f. 55 Ebd. 170. 54 Sautter, a. a. O. 57 Ebd. 34. 58 Ebd. 69f. 58 Lowith, Weltgeschichte 170. “ Ebd. 171. 61 Vgl. Sautter,a. a. O. , Beyerhaus,Aufbruch', Beyerhaus,Krise Daß cs sich hierbei um ein Mißverständnis handelt, wird z. B. daran deutlich, daß die neutestamentliche Theologie der politischen Geschichte dieser Welt fast kein Interesse entgegenbringt. Aus den Charakterisierungen der biblischen Heilsgeschichte geht hervor, daß das an der Bibel orientierte heilsgeschichtliche Konzept nicht mit Evolutionsanschauungen vereinbar ist. Denn letztere kennen keine neue Schöpfung (vgl. 1.), sondern nur eine Fortsetzung der Evolution bis hin zu einem fiktiven Ende, dessen Erreichen wesentlich vom Einsatz des Menschen abhängt (im Gegensatz zu 2.) und verfehlt werden kann. Von Gnade und Gericht Gottes ist in evolutionären Eschatologien nicht die Rede, ebensowenig vom Leiden der Kirche (vgl. 5.). Die Gleichsetzung des Prozesses der Evolution mit der heilsgeschichtlichen Bewegung (nach Sautter eine entwicklungsgeschichtliche Verengung der Heilsgeschichte) scheitert daran, daß die Tatsache der in “diesem Äon” herrschenden Sünde überspielt wird (vgl. die Ausführungen des letzten Abschnitts). Dies ist ein grundlegender Unterschied zur biblischen Geschichtsschau, nach der aufgrund innerweltlicher Gesetzmäßigkeiten letztlich nur Tod und Verderben zu erwarten sind. Eine Zielorientierung gibt es nur, weil Gott sie durch sein souveränes Handeln ermöglicht und garantiert. 4.6.4 Zusammenfassung Wie die Christologie wird auch die Eschatologie im Rahmen einer theistischen Evolutionslehre fast nur von Vertretern der konsequent-evolu-tionistischen Richtung thematisiert. In deren Sicht läuft die Evolution auf ihre Vollendung zu, getrieben von innerweltlichen Kräften und ermöglicht durch die notwendige Beteiligung des Menschen, von dessen Einsicht und Einsatz das weitere Gelingen der Evolution abhängt. Nach Auffassung einiger Autoren wird mit dem Ende bzw. Ziel dieses Prozesses das “Humanum” voll verwirklicht sein; dieses hat die Menschheit heute noch nicht erreicht. Die Wiederkunft Jesu als nicht-evolutionärer Abbruch “dieses Äons” wird bestritten. Wenn auch für die Menschheit bzw. die Organismenwelt als Ganzes eine Zukunftsperspektive vermittelt wird, bleiben Zukunftserwartungen für das Individuum unkonkret, sofern sie überhaupt thematisiert werden. Gegen den evolutionären Optimismus steht einerseits die biblische Verheißung, daß Gott selber einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird, andererseits die Prophetie, daß das herannahende Ende mit katastrophalen Ereignissen, einem dramatisch zunehmenden Glaubensabfall, wachsender Verfolgung der Nachfolger Jesu Christi und Gerichtshandlungen Gottes einhergehen wird. Dies alles wird in konsequent theistisch-evolutionistischen Zukunftsentwürfen übergangen. Biblisch gesehen kommt dem Menschen nur eine begrenzte Verantwortung zur Erhaltung der Schöpfungsstrukturen “dieses Äons” zu, keineswegs jedoch — wie in manchen Entwürfen einer theistischen Evolution — die Hauptlast der Verantwortung für das Gelingen der Evolution. Den Christen ist als höchste Priorität der Missionsbefehl aufgetragen. Die evolutionsorientierten Autoren sind auf den Vollzug der kosmischen Evolution, nicht auf das individuelle Heil ausgerichtet. Die “Heilsgeschichte der Evolution” ist “eindimensional”; es gibt nur eine einzige Richtung zunehmender Integration (oder einen Abbruch der Evolution); Heilszeiten werden nicht unterschieden; es gibt nur einen “Äon der Evolution”. Signifikante Einschnitte wie der des Falls oder des Kommens Jesu, das mit dem zeichenhaften Einbruch der eschatologischen Herrschaft verbunden ist, und eine Verschränkung der Zeiten post Christum gibt es nicht; Fall* Sünde und Inkarnation werden als Begleitphänomene des im wesentlichen kontinuierlich verlaufenden Evolutionsprozesses verstanden. 4.7 Das Gottesbild der Evolutionslehre In der theologischen Auseinandersetzung um die Evolutionslehre wird immer wieder die Meinung vertreten, daß ein Gott, der eine entwicklungsfähige Welt schuf, ungleich größer, weiser und mächtiger gedacht sei als ein Gott, der die Schöpfungswerke in besonderen Schöpfungsakten hervorbrachte.1 Man möchte Abstand nehmen von einem “Handwerkergott”2, der jedes seiner Schöpfungswerke gesondert “fabriziert”. Ein durch Evolution schaffender Gott sei zudem viel enger mit seiner Schöpfung verbunden als ein Gott, der an einem Anfang alles in fertiger Form ins Dasein gebracht habe. Die durch Evolution werdende Welt sei ständig auf die Verbindung mit dem Schöpfer angewiesen. Gott sei nicht im Sinne eines Deismus von der Schöpfung getrennt.3 Ein Gott, der sich in die geschöpfliehen Wirkungen und die innerweltlichen Zusammenhänge (Zweitursachen) einreihe, verliere seine Transzendenz; Gottes Handeln sei nur metaphysisch als Erstursache zu verstehen. Im folgenden soll das auf den ersten Blick vielleicht überzeugende Gottesbild eines evolutiv erschaffenden Gottes hinterfragt werden. In diesem Abschnitt ist es wieder erforderlich, zwischen “konsequenten” und “gemäßigten” Vertretern der Evolutionslehre zu unterscheiden. 4.7.1 Konsequent evolutionstheoretische Konzepte 4.7.1.1 \Vas wirkt Gott in der Evolution ? Konsequent theistisch-evolutionistische Konzepte zeichnen sich durch die Annahme aus, daß die Naturwissenschaften in der Lage sind oder noch sein werden, die Strukturen der Gegenwart und die historischen Faktoren, die zu ihr geführt haben, aus den bekannten und wissenschaftlich erforschbaren Kräften vollständig verstehbar zu machen. Eine Evolutionslehre könne alle Phänomene “im Prinzip” erklären oder werde in der Zukunft möglicherweise dazu in der Lage sein, und die Theologie habe sich hier nicht einzumischen.4 Für Lanzenberger schließt die Automatik der Evolution Gott nicht notwendigerweise aus.5 “Warum sollte nicht alles, was wir in dieser Schöpfung als ein Werden und als einen wirksamen Prozeß der Natur definieren, Gottes Schöpfung sein?”6 Smulders ordnet den Zweitursachen die Evolutionslehre zu. Gottes Wirken begrenze und durchkreuze die Eigen- und Selbstwirksamkeit der Dinge nicht, sondern trage diese. Das “Eigentliche und Wesentliche der biblischen Schöpfungslehre und des christlichen Schöpfungsdogmas” sei das Zeugnis, daß der Schöpfer uner-reichbarvor, außerhalb und über allem Geschaffenem sei, und dies werde “selbstverständlich durch die Evolutionslehre nicht berührt, geschweige denn erschüttert.”7 Die Evolutionslehre beschreibe nur die Zweitursachen. Bosshard vertritt die These, daß die christliche Schöpfungslehre und das Konzept der Selbstorganisation grundsätzlich kompatibel seien.8 Eine “aktive Selbsttranszendenz” der Organismen versteht er als theologisches Äquivalent zur Selbstorganisation.9 Er sieht Gott als erstursächliche Wirkmacht, von der jedes Geschehen ohne Ausnahme umgriffen sei. Doch schalte Gott Zweitursachen und weltimmanente Kausalitäten ein.10 Der Eigengesetzlichkeit der Welt werde nicht das geringste abgesprochen, wenn Christus die Mit- 1 Vgl. z. B. Fruhctorfer, Wellschöpfung 19. 3 Schmtiz-Moormann, Erbsünde', Berry, Adum 212, spricht von einem “Uhrmacher"-Gott. J Vgl. Pannenberg, Creation. — Daßeine Trennung Gottes von der Welt gar keine Konsequenz der abschätzig so genannten Handwerkergott-Vorstellung ist, wird in Abschnitt 5.6.8 gezeigt. Der Gedanke, daß Gott eine entwicklungsfähige Welt schuf, kann auch durch die zur Evolutionslehre alternative Grundtypenbiologie positiv aufgegriffen werden. 4 Vgl. z. B. J. Hübner, Biologie. 5 Lanzenberger, Schöpfung 29. ‘ Ebd. 40. 7 Smulders, Theologie 67; vgl. auch Li£nart, Entwicklungslehre 8 Bosshard, Erschafft die Welt 15. 9 Ebd. 16. 10 Ebd. 154. te, die Bezugsgestalt von allem ist, meint Schmaus.1 1 Christus stelle einerseits die Mitte der Welt dar, andererseits werde demEigensein und der Eigengesetzlichkeit der Schöpfung nicht nur nichts weggenommen, sie werde vielmehr bestätigt. Auch für Winklhofer wirkt Gott in seiner Schöpfung immer, ohne sie in ihrer Eigengesetzlichkeit zu verändern, und führt auch die Eschata herbei, ohne den Kosmos in seiner Eigengesetzlichkeit aufzuheben.12 Für Teilhard de Chardin macht Gott im eigentlichen Sinne gesprochen nichts: “Er läßt die Dinge sich machen. Deshalb ist dort, wo er wirkt, kein Einbruch, keine Spalte. Das Netz der Determinismen bleibt unversehrt - die Harmonie der organischen Entwicklungen setzt sich ohne Dissonanz fort.”13 Eine analytische Beobachtung der Phänomene sei unfähig, uns Gott erreichen zu lassen, nicht einmal als ersten Beweger. “Wir werden wissenschaftlich niemals aus dem Kreis der natürlichen Erklärungen herauskommen.”14 Angesichts einer Werdewelt stellt sich die Frage, wie das freie, souveräne Handeln Gottes, das nicht auf einen Anknüpfungspunkt angewiesen ist (crealio ex nilülo), verstanden werden soll, insbesondere wenn man von einer Eigengesetzlichkeit der Welt ausgeht. Schoonenberg läßt das “aus-nichts-erschaffen-Sein” auch in einem Kosmos gelten, in dem das eine wirklich aus dem anderen hervorgeht.ls “Handelt es sich um Gottes Schöpfertätigkeit, dann ist diese nur transzendental. Er ergänzt nicht durch einen Eingriff, wo das Niedere zu kurz kommt, sondern verwirklicht die Welt so, daß das Höhere wirklich aus dem Niederen hervorgeht.”16 Gottes direktes Einwirken auf die Schöpfung im Sinne einer Zweitursache lehnt auch Schoonenberg ab, und zwar sowohl hinsichtlich eines besonderen Schöpfungshandelns am Anfang als auch hinsichtlich Eingriffen in den Evolutionsprozeß: “Wenn Gott zwar am Anfang allein erschafft und seine Tätigkeit nachher durch andere Ursachen abgelöst wird, oder wenn seine Tätigkeit als Zwischenglied in der Kette der irdischen Kräfte eingreift, dann steht ER nicht über, sondern zwischen den innerweltlichen Ursachen. Er ist dann in der Welt tätig, aber nicht aus seiner Transzendenz heraus, dadurch, daß er radikal darüber steht. Er ist dann nicht mehr Gott.’’,, “Die Tatsache, daß das Höhere aus dem Niederen entsteht, weist daher wohl auf Gott hin, aber sie weist ihn nicht aus als eine Ursache, die eine Lücke in der innerweltlichen Kette der Ursächlichkeiten ergänzt; sie macht Gott daher nicht greifbar.”18 Ausführlich befaßt sich Weissmahr mit dem Wirken Gottes in der Welt, insbesondere auch mit seinem Wirken in der Evolution; dieser Autor soll daher etwas ausführlicher zu Wort kommen. Er kritisiert die Sicht, Gott könne, direkt, d. h. ohne Zweitursachen in der Welt wirken. Er lehnt auch die Gleichung Erstursache = Zweitursache als ein bloßes Spiel um Worte ab.19 Damit würde Gottes Transzendenz teilweise aufgehoben, er würde zu einem innerweltlichen Faktor.20 Dennoch aber hält er Gottes Freiheit im Wirken in der Welt fest. Die persönliche und souveräne Freiheit Gottes der Welt gegenüber sei durch die Eigengesetzlichkeit der Weltdinge grundsätzlich nicht beeinträchtigt, sondern werde eben dadurch ermöglicht.21 Dieser Autor sieht sich der Sichtweise verpflichtet, daß alles, was in dieser Welt geschieht, nach immanenten Gesetzlichkeiten abläuft.22 “Der Naturwissenschaftler geht in seiner Forschungsarbeit davon aus, daß jedes innerweltliche Ereignis auf ein anderes innerweltliches Ereignis zurückgeführt werden kann. Er könnte auf seinem Gebiet gar nichts unternehmen, wäre er nicht von der Gültigkeit dieser Voraussetzung 11 Schmaus, Christozentrik 42. 12 Winklhofer, Eschatologie 53. 15 Teilhard de Chardin, Glaube 36. 14 Ebd.37. 15 Schoonenberg, Werdende Welt 44. “ Ebd. 45. Er bezieht seine Sicht auch auf die Erschaffung der Seele. Dies sei ebenfalls nicht durch einen Eingriff von außen geschehen. Auf der anderen Seite schreibt er jedoch (ebd.), er wolle eine unmittelbare Erschaffung der menschlichen Seele gerne zugeben. Wie er die beiden widersprüchlichen Kennzeichnungen “kein Eingriff von außen” und “unmittelbare Erschaffung" verbindet, geht aus seinen Ausführungen nicht hervor. 17 Ebd. 44. 18 Ebd. 47. '* Weissmahr, Gottes Wirken 70. 20 Ebd. 68, 144. 21 Ebd. 109. 22 Ebd. 3,58,63, 144. überzeugt.”23 Dabei wird die innerweltliche Kausalität exklusiv verstanden: Jedes innerweltliche Geschehen hat nur innerweltliche Ursachen.24 Diese Erkenntnis bewirke eine Besinnung darauf, daß Gott nur durch Zweitursachen wirkt. Weissmahr setzt allerdings “immanente Gesetzlichkeiten” nicht mit “prinzipiell naturwissenschaftlicher Erforschbarkeit” gleich. Er faßt diesen Begriff weiter. Außerdem unterscheidet er weltimmanente Erklärbarkeit von Determiniertheit. “Innerweltlich Hervorgebrachtes ist nicht identisch mit dem, was mittels begrifflich eindeutiger Erkenntnis erfaßt werden kann. Das von innerweltlichen Ursachen her Mögliche ist nicht dasselbe wie das naturwissenschaftlich grundsätzlich Erkennbare”; das sei nur ein Moment an der weltimmanenten Erklärung.25 “Es kann vielmehr von der Welt her, besser gesagt, vom eigenen Wirken des geschöpflichen Seienden her Neues, Unvorhergesehenes, Ursprüngliches innerhalb der Welt entstehen, und so ist es zu verstehen, daß die Freiheit Gottes der Welt gegenüber dadurch nicht aufgehoben zu sein braucht, daß Gott innerhalb der Welt niemals ohne Zweitursachen handeln kann.”“ Weissmahr sieht die Erschaffung der Welt als ganze ohne Zweitursachen ins Dasein gekommen. Die Welt als ganze hänge nur unmittelbar von Gott ab. Diese unmittelbare Abhängigkeit gelte auch für das einzelne Seiende, dieses Abhängigkeitsverhältnis sei aber zugleich von der Welt als ganzer vermittelt. Nur innerhalb der Well könne Gott nicht ohne Vermittlung der Eigenaktivität geschöpflicher Wirkursachen handeln, weil das in sich widersprüchlich wäre.27 Das Eingreifen Gottes geschehe durch “Selbstüberbietung der Geschöpfe”, was grundsätzlich nicht voraussagbar sei.28 Das Seiende könne mehr bewirken als was grundsätzlich vorausbestimmt werden kann. Die Einbruchsstelle des freien göttlichen Tuns liege nicht auf der begrifflichen, sondern auf der metaphysischen Ebene.29 “Die persönlich-freie Tätigkeit Gottes in der Welt ist, ohne jemals an Stelle der Zweitursachen zu treten, durch die im wahren Sinne eigene Aktivität des geschaffenen und deshalb zweitursächlich wirkenden Seienden möglich.”30 Weissmahr beschränkt Gottes freies Handeln auf Personen und bezieht es nicht auf Dinge. Ein freies Handeln Gottes in bezug auf Dinge wäre eine nachträgliche Korrektur des Geschaffenen.31 Kritik a. Was folgt aus der Eigengesetzlichkeit der Welt? Die voranstehenden Ausführungen haben dokumentiert, daß einige Autoren, die eine Verhältnisbestimmung von einem Evolutionsprozeß und dem souveränen Handeln Gottes vornehmen, eine Eigengesetzlichkeit der Welt als theologisch unproblematisch ansehen. Mit Eigengesetzlichkeit oder Innerweltlichkeit ist gemeint, daß die Struktur und die postulierte Evolutionsgeschichte der Welt durch wissenschaftlich faßbare Wirkungen vollständig beschreibbar und erklärbar sei. Weissmahr erweitert zwar das Weltimmanente über das naturwissenschaftlich Faßbare hinaus. Doch das verändert die Problematik letztlich nicht, sondern verschiebt sie nur, denn auch diese Kräfte sind, so Weissmahr, den Geschöpfen eigen, und es gilt: “Es kann sich in der Welt nichts ereignen, was nicht von weltimmanenten Ursachen herstammen würde und somit nicht auf sie zurückgeführt werden könnte.”32 Offenbar rechnet Weissmahr mit verschiedenen weltimmanenten Kausalitäten, die nur teilweise wissenschaftlich erfaßt werden können. Gottes Wirken ist nicht denknotwendig In einer Welt, die im vorgenannten Sinne innerweltlich (eigengesetzlich) verstehbar ist, ist Gottes Wirken nicht denknotwendig. Es ist zwar 23 Ebd. 67. Daß dies nicht zutrifft, wird unten gezeigt. 24 Ebd. 95. 25 Ebd. 144 und 107. “ Ebd. 144f.;vgl. 154. 27 Ebd. 71. 28 Ebd. 154. 25 Ebd. 157. 30 Ebd. 72. 31 Ebd. 173;vgl. 174; eine Zusammenfassung der Thesen Weissmahrs findet sich auf den S. 188ff. 32 Ebd. 107. nicht denkunmöglich, doch kann ein kontingentes Wirken Gottes nicht mehr gedacht werden. In einer eigengesetzlich ablaufenden Welt erscheint eine “Offenheit” auf das Handeln Gottes hin nicht möglich. Eine Denknotwendigkeit, d. h. der Ausschluß anderer Sichtweisen ausschließlich aufgrund rationaler Argumente muß allerdings nicht gefordert werden. Inden Bezügen zu den Feldern des “Wissens” genügt dem Glaubenden ein “Denkmöglich”, d. h. es reicht der Nachweis aus, daß die Daten der Natur- und Geschichtswissenschaften (das “Wissen”) auf der Basis der Glaubensaussagen plausibel deutbar sind und diesen nicht widersprechen.33 Eine deistische Schau, nach der die Welt losgelöst von Gott wie ein großes Uhrwerk abläuft und nach der lediglich am Beginn Gottes besonderes Schöpfungshandeln postuliert werden muß, ist also keine zwingende Folgerung aus der Annahme einer Eigengesetzlichkeit der Welt. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, daß Gottes beständiges Einwirken auf die Welt erforderlich ist, um die Existenz der Welt zu garantieren. Es stellt sich allerdings die Frage, welcher Unterschied zum Deismus überhaupt noch vorliegt. Für das Verständnis des konkreten Ablaufs des Weltgeschehens spielt es faktisch keine Rolle, was man sich als Garanten für die Existenz der Welt vorstellt: Gottes ständiges Begleiten der Schöpfung, das aber die innerweltlichen Kausalitäten nie durchbricht, oder Materiegesetze, die Gott zwar geschaffen haben soll, aufgrund derer aber auch ohne sein beständiges Weiterwirken die Welt erhalten bleibt. Gottes Beziehung zur Welt Sollte die Welt tatsächlich eigengesetzlich funktionieren, so fragt sich, was “Schöpfungsglaube” dann bedeuten soll. Wenn die Abläufe der Welt, eine universelle Evolution aus ihren Zweitursachen voll kausal verstehbar ist, welches ist dann die Rolle Gottes in diesem Geschehen? Worin soll Gottes Schöpferwirken bestehen, wenn alles, auch das Entstehen, vollständig naturgesetzlich erklärbar sein soll? Man kann auch so fragen: Was würde sich am Evolutionsgeschehen ändern (oder was hätte sich geändert), wenn Gottes Schöpferwirken nicht beteiligt (gewesen) wäre? Es bleibt eigentlich nur die bereits angedeutete Möglichkeit, daß Gott beständig dafür sorgt, daß die Gesetze der Welt bestehen bleiben. Gott ist der Garant der Natur- bzw. der Evolutionsgesetze. Das würde bedeuten, daß Gott sich an das Wirken dieser Gesetzmäßigkeiten gebunden hat und darüber hinaus nicht wirkt. Eine eigengesetzlich funktionierende Welt unterscheidet sich von einer mechanistischen Welt nur insofern, als Gott als Garant des Ablaufs postuliert wird, während in einer mechanistischen Welt die Materie und die ihr innewohnenden Kräfte diese Garantie abgeben würden. Eigengesetzlichkeit schließt Offenheit für Wirkungen “von außen” aus; sonst wäre der Begriff “Eigen”-Gesetzlichkeit nicht angebracht. Das ist ein entscheidender Punkt: Die Offenheit des Weltablaufs (im Kleinen wie im Großen) für das unvorhersehbare, unableitbare, die Weltgesetze souverän transzendierende Handeln Gottes ist in einer wirklich eigengesetzlich funktionierenden Welt nicht gegeben. “Soll man da nicht doch den Schöpfungsglauben als eine irrelevante Zutat weglassen?” Diese Frage stellt Track zurecht in den Raum.34 Einschränkung der Souveränität Gottes Gegen seine Zusammenschau einer Eigengesetzlichkeit der Welt einerseits und dem freien Handeln Gottes andererseits nennt Weissmahr selbst den Einwand: “Wenn aber die geschöpfli-chen Kräfte doch einer besonderen göttlichen Tätigkeit bedürfen, um das Wunder hervorbringen zu können, so hat es nicht viel Sinn zu sagen, es handle sich im Falle des Wunders um solche Kräfte, die dem Geschöpf als solchem zukommen.”35 Er entgegnet, diesem Einwand liege die falsche Sicht zugrunde, göttliches und geschöpf-liches Wirken würden einander ausschließen. 33 In diesem Sinne die "Denkmöglichkeit” des Glaubens aufzuzeigen, war das Bemühen Karl Heims. Zur Kontingenzproble-maiik vgl. Torrance, Time. 34 Track, Evolution 489. 33 Weissmahr, a. a. O. 160. Die Möglichkeiten einer Zweitursache dürfe man niemals ohne das Wirken der Erstursache betrachten. Doch das ist gar nicht der entscheidende Punkt. Es geht vielmehr um die Souveränität Gottes. Wenn Gott über die Wirkmöglichkeiten der Zweitursachen hinaus nicht handelt, ist er faktisch an diese Möglichkeiten gebunden und insofern nicht souverän. Hier liegt eine Alternative vor: Entweder gilt die Eigengesetzlichkeit oder die Souveränität Gottes. Gilkey hält Gott nicht für “frei”, wenn er bei der Schöpfung durch irgendein anderes gleichwertiges Prinzip bedingt, also begrenzt wäre.36 In einer eigengesetzlich ablaufenden Welt träfe das genau zu. Gott wäre allenfalls frei gewesen, die Gesetzmäßigkeiten einer sich entwickelnden Welt festzulegen. Hier gilt die Kritik von Volk: “Nur wenn Gott auch bei der Entwicklung unvermindert Schöpfer und Herr der Welt bleibt, und nur wenn die Welt unvermindert von Gott abhängig und auf Gott angewiesen bleibt, ist Entwicklung als theologisch möglich anzusehen.”37 Genau das geht aber im evolutionstheoretischen Geschichtsbild verloren, denn nach dieser Konzeption ist der Schöpfer an Naturgesetze strikt gebunden. Das gilt in abgeschwächter Form auch dann, wenn die bekannten Evolutionsfaktoren (nach gemäßigt-evolutionstheoretischen Vorstellungen) nicht die alleinigen Prinzipien der Erschaffung gewesen sein sollten. Der Schöpfer ist auch dann nicht der alleinige Herr der Welt; er teilt seine Herrschaft mit der “Herrschaft” von Mutation, Selektion und anderen Gesetzmäßigkeiten. Die Beschränkung des freien Handelns Gottes nur auf Personen, wie Weissmahr sie vornimmt, schränkt Gottes Wirkmöglichkeiten und seine Souveränität erheblich ein. Sie entspricht auch nicht dem Zeugnis des NT, wonach Jesus sich als Herr auch über die außermenschliche Schöpfung erwiesen hat (Mt 8,26 par). In Mt 6,25ff. macht Jesus klar, daß seine Souveränität jedes einzelne Geschehen einschließt. In einer innerweltlich verstehbaren Welt fragt sich weiter, welche Beziehung Gott zu den konkreten Ereignissen dieser Welt hätte. Kann man mit einem unvorhersehbaren Eingreifen Gottes auf ein gläubiges Gebet hin rechnen? Die Ver- heißungen, die Gottes Wort auf das Gebet legt, machen in einer eigengesetzlichen Welt keinen Sinn. Das besondere, unmittelbare Eingreifen Gottes in die Welt ist für den Glauben aber wesentlich. Und für die Heilige Schrift gilt: “Sollte Jahwe irgendetwas unmöglich sein?” (Gen 18,14; Dt 8,3f.; Lk 18,27) In seiner Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre hebt Track hervor, daß sich Gott die Freiheit nehme, das Unerwartete zu tun.38 Was heißt “unerwartet” in einer eigengesetzlichen Welt? Das Konzept der “Eigengesetzlichkeit” ist philosophisch, nicht etwa empirisch begründet. Die Wissenschaft arbeitet methodisch zwar auf der Basis einer Eigengesetzlichkeit (sog. “methodischer Atheismus” oder “methodischer Noninterventionismus” nach Stuhlhofer39) und das sehr erfolgreich, doch kann sie (indem sie Kausalanalysen durchführt) nur feststellen, welche Wirkungen vorhanden sind und gewisse Wirkungen ausschließen. Der Wissenschaftler kann jedoch nie sicher sein, ob er die Wirkungen vollständig erfaßt. Darüber hinaus — und das ist der wichtigere Punkt — kann der methodische Atheismus nur im Bereich der Gegenwartsanalyse angewendet werden (vgl. Abschnitt 3.6). Daher ist es falsch (wie Weissmahr meint), daß Naturwissenschaft nicht möglich wäre, wenn es keine Eigengesetzlichkeit der Welt gäbe. Naturwissenschaftliche Erkenntnis ist möglich, wo es Gesetzmäßigkeiten — oder besser: Regelhaftigkeiten -gibt, eine durchgängige Eigengesetzlichkeit ist nicht erforderlich. Die Vorstellung einer Eigengesetzlichkeit ist noch aus einem weiteren Grund erkenntnistheoretisch kritisierbar: Die Naturwissenschaft erklärt einen Zustand dadurch, daß sie ihn auf bekannte Basisgesetze restlos zurückführt. Das 39 Gilkey, Himmel und Erde 95. 37 Volk, Schöpfungsglaube. Ähnlich Zimmerli, Urgeschichte 45: “Auf das eine wird es freilich bei aller weiteren Verschiebung unseres Weltbildes ankommen, daß die Herrschaft des einen Herrn ungeschmälert bezeugt und alle Eigenmachte zu Nichtsen entmächligt werden.” 38 Track, Evolution 490. 39 Stuhlhofer, Wellengrund. bedeutet, daß das Verursachte als gleichwertig mit seiner Ursache anzusehen ist. Daraus folgt, daß evolutionär Neues, das durch innerweltliche Ursachen entstanden ist, nur scheinbar neu ist und in Wirklichkeit nur eine andere Erscheinungsform des Bisherigen ist. Es gäbe dann gar nichts wirklich Neues. Daraus folgt eine materialistische oder panpsychistische Weltanschauung. Erstere, wenn man die Materie als primäre Wirklichkeit ansieht, aus der alles abzuleiten ist, letztere, wenn man dem Geist den Primat zuerkennt, und alle materiellen Phänomene als Ausdruck des Geistigen ansieht. Wenn Neues wirklich neu sein soll, wenn z. B. Leben gegenüber Nichtleben, Moral gegen Instinkt, Bewußtsein gegen Bewußtlosigkeit usw. kategorial neue Dinge sind, bleibt nur die Schlußfolgerung, daß das Netz der causae secundae kein hinreichender Grund für das Entstehen neuer Folgezustände sein kann und daß eine Eigengesetzlichkeit durchbrochen werden muß. Die Ebene des Verobjektivierbaren (= Ebene der Zweitursachen) muß als offen für Wirkungen von außen angesehen werden. b. Der Zusammenhang zwischen Erstursache und Zweitursachen Wie kann man sich die Offenheit der Ebene der Zweitursachen für die Ebene der Erstursache vorstellen? Wie sind Wirkbrücken zwischen causae primae und secundae beschaffen? Wie erfolgt eine Interdependenz? Man muß zunächst einräumen, daß da, wo Gott handelt, eine Beschreibung des Wie nur sehr bedingt möglich ist. Der hier in der Theologie geläufige Begriff des concursus divinus, mit dem das Ineinandergreifen des ständigen Schöpferhandelns Gottes und des Eigenwirkens der Geschöpfe beschrieben wird, umschreibt ein gedankliches Konzept, ohne es konkret zu füllen. Mit diesem Konzept soll die Alleinwirksamkeit Gottes ebenso abgelehnt werden wie die Alleinwirksamkeit der Geschöpfe.40 Die Anteile des geschöpflichen und göttlichen Wirkens sind nicht in einer Formel zu bestimmen.41 Die Autoren, die von einer evolutiv-eigengesetzlich ablaufenden Welt ausgehen, geben hierzu keine nähere Auskunft. Ein Beispiel sei genannt: Hengstenberg sieht ein göttliches und geschöpfliches Zusammenwirken bei der Bildung der Arten.42 Er spricht von einem “Weiterschaffen” Gottes an dem, was er bislang geschaffen hatte, und von einer “Theorie der gestuften Schöpfung”43: “Es ist mithin widerspruchslos zu denken, daß eine frühere Lebensform konditional für eine spätere war, ohne daß diese ‘aus’ der früheren im Sinne eines kausalen Werdeprozesses hervorgegangen wäre. Vielmehr ist die spätere originär von Gott geschaffen. Dieser originäre Charakter wird nicht dadurch aufgehoben, daß es sich um ein Weiterschaffen an schon Geschaffenem handelt.” Doch will Hengstenberg dies nicht im Sinne von “Sondereingriffen” Gottes verstanden wissen. “Vielmehr ist die Sachlage so zu sehen: in einem bestimmten Kairos innerhalb der ‘Naturgeschichte’ gelangt eine Lebensform in den Stand, daß sie einen neuen actus essendi vom Schöpfer empfangen kann Der Schöpfer teilt, ohne in etwas einzugreifen oder etwas kausal zu verändern, also ohne daß das ‘sine motu’ gefährdet wird, den neuen actus essendi an das Geschöpfliche mit.”'” Kritik: Bei diesem Versuch bleibt unklar, warum das Handeln eines Schöpfers noch notwendig ist, wenn ein Eingreifen, ein “Verändern an Vorgegebenem” ausgeschlossen wird. Mit dem “Weiterschaffen” ist nur gemeint, daß Gott sich in den geschaffenen Dingen “ausdrückt”. Hengstenberg spricht von einer “Ausdrucksrelation”, die zur Kausalrelation hinzukommen müsse, damit Schöpfung geschieht. Eine “Umprägung... muß ... den von Gott eingeschaffenen neuen Prinzipien zugesprochen werden. Nur auf diese Weise gibt es eine konfliktfreie Verbindung des Formalobjekts der Evolutionstheorie mit dem Formalobjekt der Schöpfungslehre.”45 40 Vgl. Schunk, ÖkumDogm 97,98. 41 Es sei noch angemerkt, daß sich die Problematik des Verhältnisses der causa prima zu den causae secundae der Geschöpfe angesichts der Realität der Sünde verschärft. 42 Hengstenberg, Evolution 43. 43 Hengstenberg, Evolutionismus 85. 44 Ebd. 45 Ebd. 88. Wie sieht das konkret bei der Entstehung des Menschen aus? Zunächst sieht Hengstenberg einen metaphysischen, nicht bloß qualitativen Sprung zwischen dem Tier und dem Menschen. Der erste Mensch muß daher “ganz neu geschaffen sein mit Geist, Personalitätsprinzip, Leib..., wenn auch das Anknüpfen Gottes an vorgegebene Teilmaterie nicht ausgeschlossen ist.”46 Andererseits lehnt Hengstenberg die Vorstellung ab, Gott habe einem schon existierenden Tierindividuum den Geist hineingeschaffen, der Geist habe dann die menschliche Formung der anderen Konstituentien übernommen. Gott habe auch nicht bei dem zu “verwandelnden” Individuum die Materie umgeordnet; das liefe auf die Vorstellung eines Deus ex machina hinaus. Kontinuität des Evolutionsprozesses und ein “ganz neues” Schaffen werden hier gleichzeitig behauptet, ohne zu klären, wie beides zusammenzudenken ist. Theologische Erfordernisse und Implikate der Evolutionslehre werden gleichzeitig genannt, ohne Rückprüfung, wie eine Synthese möglich ist. Geht man dem biblischen Zeugnis gemäß dagegen von einer Offenheit der Zweitursachenebene für unvorhersehbare Wirkungen Gottes aus, könnte man sich denken, daß Gott neue Molekülkomplexe erschafft, die zu den bisherigen Sekundärursachen interagierend, hinzutreten (etwa bei einer Heilung oder z. B. bei der Verwandlung von Wasser in Wein). Umgekehrt könnte Gott auch Materie aus der Welt entfernen, die damit aus dem Wirkungskomplex der Zweitursachenebene ausscheiden würde. In beiden Fällen würde Gott nur indirekt in der Ebene der Zweitursachen handeln und doch volle Souveränität über die ganze Welt haben. Seine Transzendenz geht auf diese Weise nicht verloren (entgegen der Befürchtung Weissmahrs und Schoonenbergs). Transzendenz und Kondeszendenz schließen sich nicht aus: Gott verliert seine Transzendenz nicht, wenn er in seiner Souveränität in die Ebene der Zweitursachen im beschriebenen Sinne eingreift. Weissmahr und Schoonenberg bauen einen Scheingegensatz auf, wenn sie Gottes Tätigsein in der Zweitursachenebene der Welt gegen seine Transzendenz stellen. Das bedeutet keineswegs, daß Gott nur am Werke ist, wenn er auf diese besondere Weise in die Welt hineinwirkt. Es bedeutet vielmehr, daß zwischen einem schöpferischen (unableitbaren; creatio originans) und erhaltenden und begleitenden (die Regelhaftigkeiten der Welt garantierenden) Handeln Gottes (creatio continua et servanda) unterschieden werden muß. Die Tatsache beispielsweise, daß die Erde sich regelmäßig um ihre Achse dreht, ist nicht losgelöst von Gott, aber es ist nicht Ausdruck eines Schöp-/w/igshandelns im Sinne von ex nihilo. Ebenso schließt ein anfängliches besonderes Initialschaffen nicht ein, daß Gott nach dem Anfangswerk sich von der Schöpfung zurückzieht und diese ohne Gottes Wirken “funktioniert”. Lanzenberger erläutert das Nebeneinander von Schöpfung und Evolution durch einen Vergleich: Wenn wir verstehen, wie ein Auto funktioniert, bestreiten wir deshalb nicht, daß ein Konstrukteur und Erbauer dahinter steckt.47 Sollte man also einen Schöpfer leugnen, wenn wir wissen, wie er geschaffen hat, nämlich durch Evolution? Der Vergleich ist jedoch unpassend. Er verdeutlicht gerade das Gegenteil dessen, was er veranschaulichen soll: Das Werden eines Automobils kann auf der Materialebene nicht verstanden werden. Im Evolutionsprozeß entspricht die Materialebene den Geschöpfen und ihren Kräften. Lanzenberoer geht aber von einer Automatik der Evolution aus. Er spricht nicht davon, daß Gott die Evolution lenken würde (“Gott hat es nicht nötig, übernatürlich einzugreifen”48), so wie ein Autokonstrukteur zielgerecht die Bausteine zusammensetzt. Es bleibt die Möglichkeit, daß Gott die Materie so erschaffen habe, daß sie eigengesetzlich evolviert: “Aus theologischer Sicht ist Evolution nichts anderes als die Bewegung der Natur, die durch Gottes Wort in Gang kam.”49 Andererseits sagt Lanzen berger, daß Gott ggf. die Welt auch führen könne.50 Eine in sich stimmige Sicht von “Evolution = Schöpfung” wird nicht erzielt. 46 Hengstenberg, Evolution 209. 47 Lanzenberger, Schöpfung. 48 Ebd.67. 44 Ebd.53. 50 Ebd. 79. c. Karl Heims voluntaristisches Weltbild Zum Verständnis von Wundern und der damit verbundenen Frage nach dem Handeln Gottes in der Welt hat Heim hilfreiche Überlegungen geäußert.51 Wunder sind für ihn keine Durchbrechungen des Kausalzusammenhangs, keine “Reparaturen”. Vielmehr müsse man hinter allen Geschehnissen, auch den Regelmäßigkeiten der Welt, das Walten Gottes sehen. Die Regelmäßigkeiten gibt es nicht aufgrund von ewigen Naturgesetzen, sondern weil Gott sie durch sein ständiges Erhaltungshandeln gewährt. Alle Abläufe der Welt werden beständig vom Willen Gottes getragen. In diesem Sinne kann man von einem “voluntaristischen Weltbild” sprechen.52 Heim meint damit, daß die verobjektivierbaren und gesetzestypisch faßbaren Phänomene der Niederschlag eines Wirkens von Willensmächten der unsichtbaren Schöpfung sind (und nicht etwa Ausdruck ewiger Materie- oder “Naturgesetze”). Nach dieser Sicht der Dinge kann man nicht davon sprechen, daß sich Gott strikt an Naturgesetze binde, um dadurch eine Eigengesetzlichkeit der Welt zu sichern. Vielmehr gibt es danach gar keine Eigengesetzlichkeit, sondern nur Regelmäßigkeit, insoweit Gott sie garantiert (was der weit überwiegende Normalfall ist und weshalb erfolgreiche naturwissenschaftliche Forschung möglich ist). Hinter dem sichtbaren und erforschbaren Weltgeschehen sieht Heim also einen Willenskampf von geistlichen Mächten bis in den Bereich der anorganischen Welt hinein. Dies wird in der Stillung des Sturmes durch Jesus beispielhaft deutlich, denn durch ein Machtwort Jesu muß ein Ereignis in der anorganischen Welt seinen Lauf ändern. Das biblische Wunder ist nicht durch den Gegensatz zum Naturgesetz gekennzeichnet, sondern durch den Gegensatz zwischen dem göttlichen Willen und dem Wirken dämonischer Mächte. “Die Wunder Jesu... sind ein ‘Binden des Starken’, ein Sieg über die Willensmächte, die hinter dem Leiden des Menschen stehen.... Die ganze Wundertätigkeit Jesu ruht also auf der Voraussetzung, daß die Welt eine Innenseite hat, die der Willenskraft zugänglich ist... Das Naturgeschehen ist ein Niederschlag von Willensmächten.”55 Mit dieser Schau kann sowohl die beständige Souveränität Gottes als auch die Regelhaftigkeit der Weltabläufe gleichzeitig vertreten werden. Ein besonderes Eingreifen Gottes ist kein Durchbrechen von Naturgesetzen, sondern ein Hinzutreten weiterer Wirkungen zu dem beständigen Erhaltungswirken Gottes. Das Konzept einer Eigengesetzlichkeit der Welt hat hier allerdings keinen Platz. Es gibt keine Naturgesetze, an die Gott sich selbst sklavisch gebunden hätte, sondern nur “Äonsgesetze”, Feststellungen über die Verfaßtheit “dieses Äons” post lapsum seitens des erkennenden und forschenden Menschen.54 4.7.1.2 Wie wirkt Gott in der Evolution? Fragwürdige Schöpfungsmethoden Nach der Auffassung aller Vertreter theistischer Evolutionsanschauungen steht Gott als treibende Kraft hinter dem Evolutionsgeschehen. Ein “Dieu evoluteur” (Teilhard) würde sich jedoch einer tötenden Schöpfungsmethode, nämlich der Methode der Zufallsmutation und Auslese der am besten Angepaßten (Selektion) bedienen, wenn die Evolutionstheorie die Entstehung der Arten richtig beschreiben und wenn Gott dieses Geschehen lenken würde oder angestoßen hätte. Für diese Einschätzung spielt keine Rolle, wie man sich die Wirkung Gottes im Evolutionsgeschehen konkret vorstellen soll. Das Selektionsprinzip würde in jedem Fall gelten. Auch wenn mit diesem Prinzip nicht einfach das “Recht des Stärkeren” gemeint ist, so besagt es doch, daß nur auf Kosten des Tödes und des Leidens ungezählter Individuen und Arten (Aussterben) eine allmähliche Höherentwicklung möglich war (vgl. Abschnitt 2.4). Ohne diesen “Ausschuß” wäre eine Evolution höherorganisierter Organismen nicht abgelaufen. Die Schöpfungsmethode Got- 51 Heim, Wandlung Kap. 17 und 18; vgl. Beck, Universalität 373ff. 52 Köberle, Heim 33, spricht sogar von einem “pan-voluntaristi-schen” Weltbild. 52 Beck, a. a. O. 375f. Vgl. Heim, Wunderheilungen. 54 Beck, a. a. O. 370. tes durch Evolution hätte gewaltige Krisen und Katastrophen sowie einen erheblichen Verlust an biologischer Substanz in Kauf genommen.55 Angesichts dieses destruktiven, lebensvemeinen-den Aspekts einer Schöpfungsmethode durch Evolution erscheint die Frage “War der Teufel auch dabei?” von Heitler folgerichtig.56 Denn in der Schöpfung findet man heute neben dem Zweckmäßigen und Schönen auch das Destruktive und Grausame. Mit der Auffassung, Gott habe sich dieser Mechanismen bedient, um die Schöpfungswerke hervorzubringen, ist daher die Konsequenz gekoppelt, daß die Kehrseiten der Schöpfung zum Wesen der “guten Schöpfung” Gottes gehören.57 Diese Problematik wird bei Verhältnisbestimmungen von Evolutionslehre und Theologie fast durchweg ausgespart. (Welche Folgerungen sich daraus — abgesehen von den Implikationen für das Gottesbild - für die Erlösungshoffnung ergeben, wurde in Abschnitt 4.5 diskutiert.) Zielgerichtetheit In Abschnitt 2.4 wurde ausgeführt, daß die bekannten Evolutionsfaktoren keinen Hinweis darauf geben, daß der durch sie bewirkte Prozeß des Artenwandels in irgendeinem Sinne gerichtet wäre. Im Gegenteil deutet alles im Gebiet der kausalen Evolutionsforschung auf die Ungerichtetheit der beobachtbaren Evolutionsprozesse hin. Auch bei behaupteten makroevolutionären Übergängen gehen die Evolutionstheoretiker von einer Ungerichtetheit aus. Dieser Zufallsprozeß soll die Artenvielfalt hervorgebracht haben, den Menschen eingeschlossen.5* Was heißt vor diesem Hintergrund und seinen evolutiven Deutungen, daß Evolution die Methode der Schöpfung ist? Man könnte darauf verweisen, daß der Zufall nur scheinbar Zufall ist (vgl. Abschnitt 2.4). In der Tat ist “Zufall” im Grunde genommen eine Umschreibung für Nichtwissen. Vielleicht sind zufällig erscheinende Ereignisse in Wirklichkeit doch gesteuert. Ein verborgenes Steuerelement könnte darin liegen, daß die Materie so beschaffen (bzw. geschaffen) ist, daß sie notwendigerweise durch ein ungerichtetes “Zufallsspiel” doch zu Höherentwick- lung gelangt. Nach dieser Vorstellung hätten in der Evolution jedoch auch ganz anders gestaltete Formen anstelle des Menschen entstehen können. Allerdings könnte man annehmen, Gott habe den Zufall kanalisiert. Was uns als Zufall erscheint, sei in Wirklichkeit Gottes Handeln.59 Das würde aber heißen, daß Gott auch die große Überzahl (> 99,9%) an schädlichen Zufallstreffern (Mutationen) gelenkt hat. Die Lenkung der mutativen Änderungen (woraus konstruktive Entwicklungswege resultieren sollen) wäre durch ein Übermaß an destruktiven Wandlungsschritten kaschiert, so daß sich daraus für den forschenden Wissenschaftler ein Anschein von Zufälligkeit und Ziellosigkeit ergibt. Kritik a. Selektion als Schöpfungsprinzip? Die Kennzeichen der Evolutionsmechanismen entsprechen als Schöpfungsmittel nicht den biblischen Kennzeichnungen des schöpferischen Handelns Gottes bzw. Jesu Christi.60 Es ist zu bedenken, daß derselbe Gott, der die Welt erschaf- 5S Bosshard, Erschafft die Welt 150; vgl. Koestler, Irrläufer 14. King, Creation 201, sieht darin, daß Gott Millionen von Planeten und Galaxien schuf, eine Chance, daß irgendwo eine erfolgreiche evolutionäre Entwicklung ablief, die mit einem Minimum an äußeren Eingriffen voranschreitet. 58 Heitler, Natur. 57 Daraus resultiert die Tendenz zu einer monistischen Weltanschauung. 58 Auch von zahlreichen Theologen wird heute weitgehend die Evolution als nicht a priori zielgerichteter Prozeß angesehen. “Dafür ist die Zahl der entwicklungsentscheidenden Sprünge, die von den vorliegenden Gegebenheiten unmöglich abgeleitet werden können, allzu bedeutend. Im Prozeßverlauf sind die Überraschungen und Glücksfalle... Legion___Und auch innerhalb unseres Weltsystems wird keine vorbestimmte Finalitat, keine Zielgerichtetheit zugegeben. Eher schon ein gleichsam spielerisches Geschehen, wobei vieles umsonst und verschwenderisch ausfailt” (Ganoczy, Schöpfungslehre 154f.). - Die Charakterisierung “verschwenderisch” ist ein Euphemismus, der das mit einem evolutiven Schaffen verbundene allgemeine Sterben mit seinen Begleiterscheinungen verdeckt. s9 Vgl. Hagele, Naturgesetze 73f. Moltmann, Schöpfung 214, spricht von einem “beabsichtigten Zufall", ohne allerdings zu verraten, wie er diesen Gegensatz zusammenbringt. 60 Vgl. Gitt, Evolution; Grrr, Zeugnis. fen hat, sich in Jesus Christus offenbart hat. In Jesus ist “alles geschaffen worden, was im Himmel und auf der Erde ist” (Kol 1,16; vgl. Joh 1). Daher ist es berechtigt, die Schöpfungsmethode durch Evolution dem im Wirken Jesu zum Ausdruck kommenden Wesen Gottes gegenüberzustellen. Die schöpferischen Taten Jesu waren durch Barmherzigkeit und Liebe gekennzeichnet. Diese Charakterisierungen treffen auf den (auch theistisch verstandenen) Evolutionsprozeß gerade nicht zu. “Die Identität Gottes des Schöpfers und Gottes des Erlösers... das ist die theologische Achse des Evangeliums” schreibt Gilkey,61 der eine theisti-sche Evolution vertritt. Man müßte also trotz des Zusammenhangs von Schöpfung und Erlösung annehmen, daß Gott in der Schöpfung einerseits und in der Erlösung andererseits auf gegensätzliche Weise gehandelt hätte. Besonders der Geist der Bergpredigt mit den dortigen Seligpreisungen widerspricht den Prinzipien der Evolution.62 Jesus Christus nahm sich insbesondere der Schwachen an, derer, die keine Aussichten hatten, als die Bestangepaßten im Kampf ums Dasein zu überleben, um in der Sprache der Evolutionslehre zu sprechen. “Wer unter euch groß sein will, sei euer aller Diener” (Mt 20,26). Mit diesem Widerspruch müssen sich Verfechter aller Varianten einer theistischen Evolution auseinandersetzen. Wenn die Evolutionslehre eine zutreffende Rekonstruktion der Kosmosgeschichte wäre, hätte Gott die auf Fressen und Gefressenwerden angelegten ökologischen Zusammenhänge von vornherein gewollt und als Schöpfungsmethode eingesetzt, entgegen der offensichtlichen Tatsache, daß Jesus Christus der Struktur dieser Welt, die als Voraussetzung evolutionärer Entwicklungsmöglichkeit verwirklicht sein muß, widersprach (vgl. Abschnitt 4.5).63 Wenn Hübner vor dem Hintergrund der Evolutionslehre sagt, daß die Liebe, die in Jesus Christus ist, den Daseinskampf überwunden habe, impliziert er ein sich diametral wandelndes Gottesbild bzw. -handeln.64 Denn der von Christus überwundene Daseinskampf wäre von ihm selber inszeniert oder wenigstens geduldet worden. Diese Bewertung trifft auch auf Bosshards Feststellung zu, daß die evolutive Schöpfungs- methode einen hohen Tribut an Katastrophen und Verlusten zollen mußte,65 wenn er andererseits später von einer “behutsamen Leitung” der Evolution in die Zukunft hinein spricht.66 Kurz davor erwähnt er Katastrophen, die “vielleicht unentbehrlich” gewesen seien, um der Evolution entscheidende Anstöße zu versetzen; sie mußten allerdings gut dosiert sein, um das Leben nicht völlig auszulöschen.67 b. Das Schöpfungshandeln des irdischen Jesus Das Handeln des irdischen Jesus wirft Licht auf seine Schöpfung. Jesus schuf augenblicklich neues Hautgewebe oder Muskelgewebe bei Kranken (z. B. Joh 5, lff.);68 er verwandelte augenblicklich Wasser in Wein (und schuf damit eine Vielzahl organischer Moleküle), er vermehrte Brot, ohne an Zeit gebunden zu sein. Die Erschaffensme-thode des Schöpfers hat Jesus Christus selbst gezeigt: Er schuf durch sein Wort, ohne Zeitverbrauch und in unerklärbarer Weise (die Evangelien enthalten sich jeglicher Andeutungen, wie Jesus es fertiggebracht hat, Brot zu vermehren, Kranke zu heilen und Tote aufzuerwecken). Hier sind keine Parallelen zu einer postulierten evolutionär verlaufenden Schöpfung Gottes zu finden - im Gegenteil: der Unterschied tritt deutlich hervor. c. Theologische Bewertung des Daseinskampfes Der Daseinskampf ist Realität. Aber er ist theologisch anders zu bewerten als es die Vertreter theistisch-evolutionistischer Vorstellungen tun:66 Der Kampf ums Dasein ist nicht ein Mittel der 4,1 Gilkey, Himmel und Erde. a Vgl. King, Creation 205. 63 Vgl. Junker, Sündenfall 64 J. Hübner, Biologie 38. 65 Bosshard, Erschafft die Well 150. “ Ebd. 209. 67 Ebd. “ Es isi zwar nicht die Intention dieser Heilungsgeschichte, den Heilungsvorgang zu schildern und zu erklären, doch kann das Gesagte aus der Schilderung erschlossen werden. Manche Krankheiten, die Jesus, ohne an einen normalen Heilungsprozeß gebunden zu sein, heilte, konnten nur durch Erschaffen neuen Gewebes überwunden werden. M Er ist auch biologisch anders zu bewerten als in den Vorstellungen der meisten Evolutionstheoretiker. Die Evolutions- Erschaffung der Lebewesen, sondern Gerichtszeichen nach dem Sündenfall des Menschen (s. o.).70 Der Unterschied dieser beiden Deutungen ist gewaltig: Im einen Fall wäre der Kampf ums Dasein ein Wesensbestandteil der prälapsarischen Schöpfung und Ausdruck des Schöpfungshandelns Gottes; im anderen wäre er auf einen in der Schöpfung durch den Fall aufgrund des Gerichtshandelns Gottes vorhandenen Widerspruch gegen die Schöpfung zurückzuführen. Es ist also kein Argument für die Vereinbarkeit des Prinzips “Kampf ums Dasein” und des Schöpfungshandelns Gottes, wenn darauf verwiesen wird, daß Gott doch auch “grausam” handle, wenn er z. B. seinem Volk befahl, ganze Städte oder Völker vom Säugling bis zum Greis auszurotten. Dabei handelt es sich um Gerichte. Es sind Maßnahmen zur Eindämmung des Bösen, zur Verhinderung eines noch größeren Unheils, und keine Mittel zur Hervorbringung der Schöpfung. In diesem Sinne ist auch dem Einwand zu begegnen, Gott selber habe doch in der Geschichte seines alttestamentlichen Gottesvolkes geradezu grausam gehandelt, oder der Auffassung, daß die natürliche Auslese genauso eine Einrichtung Gottes sei wie der Staat, oder wie es der Wille des Vaters gewesen sei, daß sein Sohn leiden sollte.7' Doch dieses Handeln Gottes war Gerichtshandeln, nicht Mittel zur Hervorbringung der Schöpfung; es folgt aus dem Einbruch der Sünde in die Welt und ist ein Zeichen dafür, daß die Welt nicht so ist, wie sie sein sollte. Ebenso ist die Notwendigkeit staatlicher Gewalt erst in einer Welt der Sünde erforderlich. Das Gerichtshandeln Gottes trifft im übrigen nicht bevorzugt die Schwachen und Unangepaßten, sondern ist als Konsequenz von Ungehorsam zu verstehen. 4.7.2 Gemäßigte Vorstellungen Gemäßigte evolutionstheoretische Vorstellungen gehen von einer Zielgerichtetheit des evolutionären Prozesses oder von besonderen göttlichen Eingriffen in diesen Prozeß aus. Diese beiden Modifikationen der gemäßigten Evolutionsanschauung werden im folgenden bezüglich der Gottesbild-Frage dargestellt und kritisiert. a. Teleologie Manche theistischen Evolutionsanschauungen postulieren eine Teleologie im Evolutionsprozeß. Mit der Erschaffung des Menschen sei die Entwicklungslinie der Schöpfung zu ihrem offensichtlich zu Beginn gesetzten Ziele gelangt.72 Die Wissenschaft müsse angesichts der Tatsachen mit einer “evolution creatrice” rechnen.73 Wenn Entwicklung nicht mechanisch verstanden werde, sondern als von Schöpfungsakt zu Schöpfungsakt fortgehende Geschichte, dann bestehe kein Widerspruch zwischen Schöpfung und Entwicklung.74 Die Zielgerichtetheit der Evolution sei unter der Annahme eines Schöpfers allerdings eine “Glaubensaussage”, die mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht zu erheben sei.” Wenn der Entwicklungsgedanke den Zweckgedanken festhalte, widerspreche er in keiner Weise dem Christentum.76 Das Christentum müsse jedoch die jüngere, antiteleologische Form der Entwicklungsidee ablehnen.77 Das Leben sei un-ableitbar.78 “Die Biologie in der heutigen Naturwissenschaftverlangt das Weltbild des echten teleologischen Entwicklungsgedankens, und danach muß der Urgrund alles Seins als Leben gesetzt werden.”79 Beth stellt in diesem Zusammenhang dem “echten Entwicklungsgedanken” den “mechani- faktoren bewirken nur Variation des Vorgegebenen und bestenfalls Erhalt des Geschaffenen. Der Satz: “Die bekannten Evolutionsmechanismen bewirken nur Veränderungen im Rahmen bereits vorhandener Gene und Strukturen” ist empirisch gut belegt (Illies, Jahrhundenirrtum\ Junker & Scherer, Entstehung Kapitel 3—5; Kahle, Evolution', Lonnig, Anbegriff u. v. a.). Ob mehr möglich ist, kann die Naturwissenschaft nicht sagen, es erscheint jedoch aus innerwissenschaft-lichen Gründen als unwahrscheinlich, nach gegenwärtigem Kenntnisstand z. T. als unmöglich (Vollmert, Molekül, Shapiro, Schöpfung). Positive Belege für eine Evolution neuartiger Gene und neuartiger funktionstüchtiger Merkmale des Phänotyps gibt es nicht. 70 Vgl. Junker, Sündenfall. 71 Berry, Adam 117. 72 Goez, Naturwissenschaft 110 73 Bri inner, Dogmatik 44,48f. 74 Ragaz, Urgeschichte 35. 75 Schmaus, Glaube 204. 74 Beth, Entwicklungsgedanke 32. 77 Ebd. 33. 78 Ebd. 41. 79 Ebd. 42. stischen Entfaltungsgedanken” gegenüber.80 Ersterer enthalte die Annahme, daß von Gott gesetzte Zwecke als Entwicklungsfaktoren wirken.81 Die naturwissenschaftliche Theorie müsse sich dabei mit einer allgemeinen Zielbetrachtung begnügen. Sie könne eine “Vervollkommnung im Entwicklungsgang, ein Aufsteigen von allerfeinster zu verdichteter Materie, vom Anorganischen zum Organischen und innerhalb des letzteren vom unbewußten zum bewußten Leben” konstatieren. Die Frage nach dem Sinn und Zweck dieses Entwicklungsganges könne sie nicht aus der Welt schaffen, auch wenn sie außerhalb ihrer Grenzen entsteht. Die Deszendenztheorie müsse also von ihrer besonderen Form, dem Darwinismus, getrennt werden.82 Die Zielgerichtetheit der Evolution auf den Menschen hin wird auch heute noch von vielen Autoren vertreten.83 Kritik: Eine Zielgerichtetheit im Evolutionsprozeß kann nur eine Zielgerichtetheit mit Mißgeschicken sein. FIaas vergleicht die von ihm vermutete Zielgerichtetheit des evolutionären Prozesses mit der Zielgerichtetheit eines Schrotschusses.84 Einzelne Schrotkugeln mögen das Ziel verfehlen, die gesamte Ladung zeige aber die Zielgerichtetheit. So sei es auch, wenn man die paläontologischen Daten überblicke. Im Detail sei oft keine Richtung zu finden; der Gesamtablauf zeige sie aber deutlich. Um im Bild dieses Vergleiches zu bleiben: Ein großer Teil der Schrotkugeln verfehlt ihr Ziel, nur wenige treffen. Hier hilft auch die Annahme von Haas nicht weiter, in der Evolution sei neben Mutation und Selektion eine plangestaltende Kraft am Werke, ohne die es ein Formenchaos geben müßte.85 Eine solche Schöpfungsmethode könnte kaum uneffektiver sein, denn die angenommene planende Kraft würde oft gründlich danebentreffen. Inwiefern daraus ein sehr fragwürdiges Gottesbild resultiert, wurde bereits im vorigen Abschnitt herausgestellt. b. Besondere Eingriffe Gottes ins Evolutionsgeschehen Eine andere Möglichkeit einer Einschränkung einer eigengesetzlich voll funktionierenden Evolution wäre das Postulat eines besonderen Schöpferwirkens zusätzlich zu den bekannten Evolutionsfaktoren, als wissenschaftlich nicht faßbare Größe, die die eigentliche schöpferische Kraft darstellt. Damit wären die Evolutionsfaktoren nur noch modifizierende Kräfte, die jedoch keine neuen Bauplantypen hervorbringen könnten, also nicht schöpferisch wirken würden. Kritik: Solche Evolutionsanschauungen, die von besonderen Eingriffen Gottes ausgehen, sind strenggenommen gar keine Evolutionstheorien, da das Entscheidende, das Neue, nicht-evolutionär entstanden sein soll. Diese Konzepte setzen damit den Grundansatz der Evolutionslehre außer Kraft. Man akzeptiert einerseits bestimmte Ergebnisse, die mit diesem Ansatz gewonnen wurden (nämlich das “Faktum der Evolution” und die in Abschnitt 2.8 genannten Gemeinsamkeiten aller Evolutionsanschauungen), lehnt aber andererseits andere Aspekte ab — ein willkürliches und inkonsequentes Vorgehen. Man sieht also im Rahmen einer theistischen Evolution teilweise durchaus Widersprüche zur biblischen Offenbarung und weist deshalb den Grundansatz der Evolutionslehre an wichtigen Stellen zurück.86 Behler setzt an die Stelle der Mutations- und Selektionshypothese zur Erklärung immer komplexer werdender Formen des Lebendigen und der Steigerung seiner Funktionsleistungen den theologischen Gedanken des “Dialogs zwischen 80 Ebd. 43. 81 Ebd. 69. 82 Ebd. 157. 83 detaillierte Ausführungen bei Broker, Sinn 120ff. 83 A. Haas, Entwicklungsgedanke 79. 85 Ebd. 80. 86 Wenn die Entstehung von Neuem nicht-evolutionär erfolgt sein soll, gibt es im übrigen keinen zwingenden Grund, diese entscheidenden Schritte zeitlich auseinanderzuziehen; sie ließen sich genausogut zeitlich stauchen. Gott und der Schöpfung, getragen von einem Gesamtsinn der Schöpfung, sich vollziehend in Impulsen, die dem Geschaffenen eine Antwort im freien Spiel seiner Selbstgestaltungsmöglichkeiten gestatten.”87 Man müsse berücksichtigen, daß Gott seine Schöpfung in eine relative Eigenständigkeit entläßt. Behler sieht in der evoluti-ven Abfolge der Schöpfungsphasen, die vom Urknall ihren Anfang genommen haben, eine fortschreitende Befähigung des Geschaffenen, “Gegenstand der Liebe Gottes zu sein und schließlich auf diese Liebe in einer je eigenen Art und Weise zu antworten”88. Als dialogischen Charakter der Schöpfung bezeichnet er diese Befähigung und die Antwort der Schöpfung. Dabei sei die Schöpfung nicht so programmiert, “daß eine weitere Aktualisierung der Bezogenheit zwischen Schöpfer und Schöpfung überflüssig würde”89. Hier fehlt ein konkreter Zusammenhang mit den Ergebnissen der Evolutionsforschung. Behler geht nicht darauf ein, wie sich der dialogische Charakter der Schöpfung konkret im Evolutionsprozeß äußern soll. Man könnte einmal konkret fragen, wie sich der Dialog zwischen Gott und der Schöpfung in den letzten hundert Jahren der Evolutionsgeschichte manifestiert hat. Die Evolutionsforschung geht heute davon aus, daß es immer wieder große Zeiträume gegeben hat, in denen die Evolution stagniert hat. Wenn vor diesem Hintergrund vertreten werden kann, daß auch in diesen Zeiten der Stagnation Gott am Werke war, dann ist das genauso möglich in einem Schöpfungskonzept, in dem die geschaffenen Formen sich nur in Grenzen unter Spezialisierung verändern können. 4.7.3 Die Theodizee-Frage im evolutionären Kontext Die Theodizee-Frage stellt sich aufgrund des biblischen Zeugnisses, daß einerseits Gott gut und allmächtig ist, daß aber andererseits das Böse existiert. Im Konzept einer theistischen Evolution kann man sie folgendermaßen formulieren: Wie kann an Gottes Gerechtigkeit und Gutheit festgehalten werden, wenn Gott Krankheit, Mißbildung, Grausamkeit, Tod, Artentod, aber auch Sünde (als Nebenprodukt) eingesetzt hat, um die Lebewesen hervorzubringen? Dies hat weitreichende theologische Konsequenzen: Nach dem Zeugnis des Neuen Testaments stirbt Jesus für die Sünde der Menschen, nicht etwa dafür, eine fragwürdige Schöpfungsmethode Gottes zu einem letztlich guten Ziel zu bringen (vgl. Abschnitt 4.5). Erst recht gilt Jesu Kreuzestod nicht als Sühne für die Schuld Gottes, der (nach konsequent evolutionärer Sicht) den Menschen (durch Evolution) schuldig geschaffen hätte.90 Die Problematik ergibt sich für konsequente und gemäßigte Evolutionsanschauungen, abgesehen vom Aspekt der Entstehung der Sünde, in gleicher Weise, so daß eine Differenzierung hier nicht erforderlich ist. Die Konsequenzen der Evolutionsanschauung für die Theodizee-Frage werden nur selten bedacht. Nach Auffassung von Hemminger & Hem minger verschärft sich das Theodizee-Problem im evolutionären Kontext gegenüber der “klassischen” Fragestellung nicht. “Ob Gott Raubtiere und Parasiten fertig schuf, wie wir sie heute vorfinden, oder ob sie in einem Entwicklungsprozeß geschaffen wurden, ändert die Schwierigkeit für unser Gottesbild nicht.”91 Zu diesem Urteil können sie jedoch nur gelangen, indem sie die Sündenproblematik überspielen. In einer Welt der Sünde gerät zwar nichts außer Kontrolle Gottes (Gott ist allmächtig), aber angesichts der Freiheit des Menschen geschieht nicht notwendigerweise alles so, wie es dem Willen und dem Wesen Gottes entspricht. Im evolutionären Kontext (auch im gemäßigten) erscheinen Leid und Tod als Schöpfungsmittel und nicht als Gerichtsfolgen und -Zeichen. In dieser Hinsicht wird die Theodizee-Frage sehr wohl gründlich verschärft. Gilkey92 und Swinburne93 versuchen die Problematik zu entschärfen, indem sie zwischen 87 Behler, Überlegungen 143. 88 Ebd. 89 Ebd. 144. 90 Vgl. Seybold, Erbsündendiskussion 269. 91 Hemminger & Hemminger, Weltbilder 157. 92 Gilkey, Himmel und Erde. 93 Swinburne, Existenz. “natürlichem” und moralischem Bösen unterscheiden. Letzteres sei Resultat der menschlichen Freiheit. Ersteres stamme aus dem Gefüge der heilen Schöpfung Gottes selbst und sei notwendig, damit es eine relativ unabhängige Schöpfung überhaupt geben könne: “Die natürlichen Übel von Krankheit, Zerstörung, Hungersnot und Tod sind also die Ergebnisse der strukturellen Gesamtheit einer relativ unabhängigen Schöpfung, die entsprechend ihrer eigenen gottgegebenen Entwicklungsabläufe funktioniert.”94 Damit gehören unausgesprochen auch die Übel der Evolution zum natürlichen Bösen, also wesensmäßig zur Schöpfung. Gilkey stützt diese Überlegungen jedoch nicht auf biblische Aussagen, sondern er verweist darauf, daß Schwäche und Sterblichkeit notwendige Strukturen des Endlichen seien.95 Scheffczyk sieht die Theodizee zunichte gemacht, wenn die Ursünde ein Verhängnis war und nicht ein distinktes Ereignis.96 Die Gutheit der Schöpfung ist mit ihrem Vollendetsein am Anfangzu identifizieren.97 Auf diese Feststellungen legt Scheffczyk aus berechtigten dogmatischen Gründen Wert, doch bleibt in seinen Ausführungen unklar, wie das Zunichtemachen der Theodizee im evolutionären Rahmen verhindert werden soll. Schmitz-Moormann widmet sich dieser Problematik und geht im Abschnitt “Die Gewährleistung der Gutheit der Schöpfung und der Gutheit Gottes in der evolutiven Welt” auf die Theodizee-Frage, wie sie Teilhard angegangen ist, ein (vgl. Abschnitt 4.3).98 In der Sicht Teilhards könne das Übel der Welt Gott nur dann angelastet werden, wenn man die Vorstellung des Handwerkergottes des alten Weltbildes auf das Weltbild der dynamischen Evolution fälschlicherweise übertrage.99 “Handwerkergott” heißt: Gott stellt alles vollkommen ins Dasein aufgrund eines präkonzipierten Schöpfungsplanes.100 Diese Vorstellung dürfe man nicht in den evolutionären Horizont übertragen, sondern sie müsse ganz aufgegeben werden. Die Übertragung des “Handwerkergottes” auf die Evolution resultiere in einer Determination des Evolutionsgeschehens. Das Nicht-Determiniertsein der Evolution soll nun Gott in der Theodizee-Problematik “ent- lasten”. Doch ist nicht einsichtig, weshalb eine nicht-determinierte Evolution, die genauso notwendigerweise^) das Leid und den Tod als Nebenprodukt (und damit als Schöpfungsmethode) beinhaltet, die Theodizee-Frage in ein anderes Licht stellen soll als eine determinierte. Das Argument des “Handwerkergottes” hat mit dem Theodizee-Problem offenbar nichts zu tun. In Abschnitt 4.3 wurde bereits die Argumentation Teilhards erläutert, daß es dem Wesen der Freiheit entspreche, daß Unvollkommenes in der Evolution auftritt. Diese Grundstruktur der Freiheit sei mit der Evolution elementar gegeben. “Das Übel erscheint so nicht als aus dem Willen Gottes hervorgehend, sondern als die im Freiheitsvektor jedes Elements sich eröffnende Möglichkeit des Versagens, des Irrweges.”101 Das Übel sei der notwendige Schatten aller werdenden geschöpflichen Freiheit, nicht geschaffen, und doch Begleiter allen Werdens, einsichtig in der statistischen Notwendigkeit seiner Existenz102, eine “conditio sine qua non der Existenz”103. Das Übel “erscheint . . . notwendig im Laufe der Einswerdung des Vielen, weil es der eigentliche Ausdruck eines Zustands der noch unvollständig organisierten Vielheit ist”104. Teilhard sieht das Übel als “natürlichen Zug in der Struktur der Welt”, als “sekundären Effekt”, der sich unvermeidlich aus den Bedingungen der Evolution ergibt.105 In Abschnitt 4.4.1 wurde erläutert, daß für Teilhard das Übel im Universum kein unvorhergesehener Zufall ist, sondern ein Phänomen, das Gott unvermeidlich allein durch die Tatsache entstehen läßt, daß er sich zur Schöpfung entscheidet (vgl. die Abschnitte 4.2,4.4 und 4.5.2). 94 Gilkey, a. a. O. 191. 95 Ebd. 189; vgl. Abschnitt 4.3.2.4, a. 96 Scheffczyk, Sündenfall 770. 97 Scheffczyk, Erbschuld 35,39f. 96 Schmitz-Moormann, Erbsünde 189. 99 Ebd. 191-193. 100 Dies sei - so Schmitz-Moormann - aber kein Offenbarungsinhalt, sondern das dem statischen Kosmos entsprechende Gottesbild. 101 Ebd. 197. 102 Ebd. 198; Teilhard de Chardin, Glaube 100. 105 Ebd. 104. 1M Ebd. 102. 105 Ebd. 100. Angesichts dieser Sichtweise verwundert es nicht, daß Teilhard sich selber an alte kosmogonische Mythen erinnert, wenn er in einer Fußnote schreibt: “Ist nicht gerade das die verworren in allen Mythen ausgedrückte Wahrheit, in denen die Vorstellung der Geburt und des Übels miteinander verbunden sind?” Diese Argumentation entschärft das Theodizee-Problem nicht, denn man muß hier davon ausgehen, daß Gott scheinbar nicht anders handeln konnte, als eine solche Evolution ablaufen zu lassen, die notwendigerweise mit zahlreichen Unvollkommenheiten und einem Übermaßan Übel behaftet ist. Wird hier mit der Freiheit der Schöpfung argumentiert, so ist im übrigen diese Argumentation auch auf das traditionelle dogmatische Verständnis vom Urständ und Fall anwendbar. Gott gab dem zu seinem Bilde geschaffenen Menschen die Freiheit, ihn aus seinem Leben auszuklammern, damit in dieser Freiheit Liebe verwirklicht werden kann. Theodizee nach Genesis 1-11 und dem Buch Hiob Wie aber wird die Theodizee-Frage nach der biblisch-heilsgeschichtlichen Schau beantwortet? Genesis 1-11 ist Teilantwort auf die Theodizee-Frage. Die biblische Urgeschichte gibt Auskunft, auf welchem Wege und durch welche Umstände das Böse in die Welt des Menschen kam. Von Rad sieht das Hauptanliegen der Paradieses- und Sündenfallerzählung darin, daß Gott und seine Schöpfung freigesprochen werden sollen von all dem Leid und der Mühsal, die in die Welt gekommen sind. Diese Erzählung wolle “zeigen, wie aus der Schöpfung das Chaos des gestörten Lebens geworden ist, das uns heute umgibt”106. In Abschnitt 4.3.2 wurde ausgeführt, daß durch die Sünde des ersten Menschenpaares der Tod mit seinen Begleiterscheinungen in die Schöpfung eingedrungen ist. Die Fluchworte Gen 3,16-19 stellen klar, daß lebenseinschränkende Umweltbedingungen Folge des Falles und nicht Ordnung der ursprünglichen guten Schöpfung Gottes sind. Ebenso löste vermutlich auch die Sint- flut weitere Beschränkungen der Lebensmöglichkeiten aus.107 Genesis 1 — 11 versteht sich somit insgesamt als Begründung der jetzigen Seinsver-faßtheit. Allerdings ist die Antwort der biblischen Urgeschichte auf die Theodizee-Frage unvollständig: Es wird nicht gesagt, woher der Versucher (Gen 3) kam. Andeutungen im Alten Testament sind zu vage, um klare Antworten geben zu können. Letztlich stößt hier das menschliche Denken an die Grenzen seiner Vorstellungskraft; es muß die Theodizee-Frage in diesem Sinne offen lassen und sich damit begnügen, daß die Schrift versichert, daß in Gott keine Finsternis ist (Jak 1,17). Die rationale Auflösung der drei o. g. Sätze “Gott ist gut, Gott ist allmächtig, das Böse existiert” ist nicht möglich. Doch gibt Genesis 1-11 die oben skizzierte Teilantwort, die evolutioni-stische Auffassungen ausschließt. Die Theodizee-Frage wird im Buch Hiob thematisiert. Gott gibt Hiob in der Frage nach dem Leid keine Antwort, die den Verstand zufriedenstellt. Aber er gibt Antwort, indem er auf das minimale Wissen und die geringen Fähigkeiten des Menschen verweist, und seine eigene Größe dagegenstellt, die sich namentlich in der Schöpfung erweist. Ausdrücklich unrecht gibt Gott den Freunden Hiobs, die durch moralische oder philosophische Argumente das Böse gleichsam gedanklich in den Griff bekommen wollten.108 106 Von Rad, /LTD 81 f 107 Als Anhaltspunkt dafür kann die Erlaubnis gewertet werden, tierische Nahrung zu verzehren. Unter den heutigen Lebensbedingungen können sich Menschen nicht (mehr?) überall ausschließlich durch Pflanzenkost ernähren, z. B. Eskimos. Die Erlaubnis der Fleischnahrung und die ursprünglich vorgesehene Pflanzennahrung (Gen 1,29.30) implizieren, daß die Lebensverhaltnisse ursprünglich anders waren. 106 Congar, Übel 624, berichtet dazu eine Anekdote: "Um die Mitte des 18. Jahrhunderts . . . veranstaltete die Berliner Akademie einen Wettbewerb über das Thema: Das Problem des Übels. Mehrere Philosophen nahmen daran teil und verteidigten die Vorsehung, wie wir es soeben auch getan haben. Aber genau im Jahre 1755, in dem die Akademie die beste Arbeit... auszeichnete, war das Erdbeben von Ussabon________ Gott schien den Menschen, die der guten Absicht waren, das Übel zu rechtfertigen, mit Donnerstimme zu antworten, daß sie nicht versuchen sollten, es zu rechtfertigen, daß sein Wille ein Geheimnis bleibe.” Zusammenfassend kann man feststellen, daß das Theodizee-Problem im evolutionären Konzept insofern verschärft wird, als Leid und Tod in der Schöpfung nicht Gerichtsfolge, sondern Schöpfungsmittel sind. Die Frage nach dem Übel ist letztlich nicht beantwortbar. Das Scandalon für den Verstand, daß Gott gut und allmächtig ist, und das Böse dennoch existiert, kann über die Teilantworten in Genesis 1-11 hinaus nicht beseitigt werden. Es bleibt ein Geheimnis. Dieses Geheimnis wird auch in der Schöpfungs- und Sündenfallgeschichte gewahrt. Entschlüsselt wird dieses Geheimnis jedoch durch die Evolutionslehre. Wenn Gott die Evolution gesteuert hat, dann ist er definitiv und ausschließlich der alleinverantwortliche Urheber des Übels. Hier wird die Theodizee-Frage beantwortet: definitiv zuungunsten Gottes. Darin besteht die Unverträglichkeit der Evolutionslehre mit dem biblischen Zeugnis in dieser Sache.109 4.7.4 Zusammenfassung Wenn Gott mittels des Evolutionsprozesses die Welt erschaffen hätte, ergäben sich Konsequenzen für das Gottesbild. Denn die Kennzeichen des Evolutionsgeschehens wären dann Ausdruck der Schöpfungsmethode Gottes. Sie wären somit als Hinweis auf sein Wesen zu werten. Da der Evolutionsprozeß notwendigerweise auf der Basis des Todes (individueller Tod und Artentod) voranschreitet, wäre ein durch Evolution schaffender Gott nicht nur Urheber des Schönen und Zweckmäßigen, sondern auch des Destruktiven und des Grausamen in der Schöpfung. Das gilt für alle Varianten theistischer Evolutionsvorstellungen. Die Kehrseiten der Schöpfung wären Ausdruck des Schöpferwillens. Biblisch gesehen müssen sie dagegen als Niederschlag eines in der Schöpfung vorhandenen Widerspruchs und eines von daher provozierten göttlichen Gerichtshandelns gewertet werden. Die Schöpfungsmethode mittels der Evolutionsmechanismen widerspricht außerdem den biblischen Kennzeichnungen des schöpferischen Wirkens Gottes. Es ist unglaubhaft, daß Jesus als Erlöser in vollkom- men gegensätzlicher Weise handelt als in der Schöpfung (vgl. Joh 1; Kol l,15ff.). In einer eigengesetzlich ablaufenden und werdenden Welt (konsequenter Evolutionismus) ist nicht ersichtlich, wie Gott souverän handeln könnte. Seine Souveränität könnte allenfalls darin bestehen, als Erstursache die Materie entwicklungsfähig geschaffen zu haben. Gott könnte nicht mehr als Herr der Geschichte gedacht werden. Die Idee der Eigengesetzlichkeit der Welt ist im übrigen keine Voraussetzung für naturwissenschaftliches Arbeiten oder für die Rekonstruktion der Geschichte, sondern ein naturphilosophisches Postulat. Wenn Gott auch Regelhaftigkeiten der Schöpfungsabläufe gewährt, und diese Gleichförmigkeiten empirische Wissenschaft erlauben, so ist damit nicht ausgeschlossen, daß Gott direkt oder indirekt die zweitursächlichen Wirkzusammenhänge souverän durch sein analogie- und voraussetzungsloses Handeln (creatio ex nihilo) überlagern oder beeinflussen kann, ohne dabei seine Transzendenz zu verlieren. Zum Verständnis dieser Interaktion erweist sich Heims “voluntaristische” Schau des Weltgeschehens als hilfreich. Nimmt man besondere Eingriffe Gottes im theistisch verstandenen Evolutionsgeschehen an (gemäßigter Evolutionismus), bedeutete dies eine wesentliche Einschränkung der Evolutionsanschauung, da die entscheidenden Schritte des Organismenwandels (die Entstehung von Neuem) nicht-evolutionär vollzogen worden wären. Das Postulat einer von Gott bewirkten Zielgerichtetheit des Evolutionsprozesses ist empirisch sehr fragwürdig. Da die Evolutionsfaktoren hauptsächlich unvorteilhafte Änderungen hervorbringen, die wieder ausgemerzt werden müssen, wäre die postulierte Lenkung des Evolutionsgeschehens hinter einem Übermaß an Fehlentwicklun- m Die Theodizee-Frage darf nicht angesprochen werden, ohne an zwei Punkte zu erinnern: 1. Jesus Christus nahm selber die Last des Übels an und stellte sich unter die Last der Theodizee-Frage: “Mein Gott, Mein Gott, warum hast du mich verlassen?” 2. Die Bibel betont, daß jeder einzelne auch persönliche Schuld tragt. Die Sünde ist zwar eine Macht, aber dieser Aspekt ist durch die persönliche Verantwortung des Einzelnen zu ergänzen. gen verborgen. Im evolutionären Kontext ergeben sich Folgerungen für die Theodizee-Frage: Gott müßte als Urheber des Übels angesehen werden; das Übel entspräche, auch prälapsarisch, dem ausdrücklichen göttlichen Willen. Die biblische Überlieferung gewährt zu dieser schwierigen Frage keinen umfassenden Einblick, stellt aber in der Urgeschichte Gen 1-11 klar, daß das Böse durch eine geschichtliche Tat des Menschen in die sichtbare Welt eingedrungen ist. Gen 1-11 schildert ein Verlustgeschehen, vor dessen Hintergrund die heutige Menschheitssituation begriffen werden muß. 5. Geschichtsrekonstruktion auf biblisch-heilsgeschichtlichem Fundament 5.1 Die biblische Urgeschichte als Rahmen für die Rekonstruktion der Naturgeschichte Die biblische Überlieferung handelt davon, daß Gott zu bestimmten Zeiten, an bestimmten Orten und mit bestimmten Personen konkret geschichtlich gehandelt hat. Die Geschichte ist der Bereich des Handelns Gottes. Michel stellt als “Hauptaussage der biblischen Gotteslehre” fest: “Gott ist vor allem und entscheidend der in der Geschichte Israels und der Völker lebendige und aktive Herr und Richter der Welt. In der Geschichte hat er sein vorzügliches Handlungsfeld.”1 Was wir über Gott wissen, ist in diesem Sinne geschichtsbedingt, d. h.: “Die Wahrheit der biblischen Gotteslehre liegt... in einer Kette von geschichtlichen Ereignissen.”2 Darin besteht ein besonderes Kennzeichen der biblischen Offenbarung: Mit theologischen Aussagen sind teilweise nachprüfbar3 bezeugte historische Ereignisse verknüpft. Beck hebt hervor, daß der Wille und das Handeln Gottes einen Bezug zu allen Fakten der Welt haben. Das in den biblischen Berichten geoffenbarte Heilshandeln Gottes in und mit dieser Welt betrifft alle Bereiche und somit alle Wissensgebiete, die auch Gegenstand von Fachdisziplinen sind.4 Er plädiert für das “Prinzip der Erhaltung der Faktizität des Heilshandelns Gottes”.5 In allem Wandel der Geschichte, des Er-kennens und wissenschaftlich-technischen Fort-schreitens liefert das aus dem Heilshandeln Gottes für alle Zeiten Erschließbare Konstanz und Verbindlichkeit.6 Auch Stadelmann stellt fest, daß Heilsgeschichte nur auf festem historischem Grund denkbar ist.7 Aus diesem Umstand folgt zweierlei: 1. Geschichtsrekonstruktionen der säkularen Wissenschaften müssen auf die Vereinbarkeit mit dem biblisch-heilsgeschichtlichen Geschichtsbild überprüft werden. Denn es ist nicht zu erwarten, daß säkulare Geschichtsentwürfe mit dem biblischen Geschichtsbild von sich aus Übereinkommen. Damit ist die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre (die in Kapitel 4 geführt wurde), aber auch anderer Anschauungen über die Menschheits- und Naturgeschichte offenkundig. 2. Es können Anhaltspunkte für eine biblisch vertretbare Geschichtskonzeption aus dem offenbarten Heilshandeln Gottes abgeleitet werden. Die Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre erfolgte im vorigen Kapitel. Es wurde deutlich, daß die zentralen Aussagen der neutesta-mentlichen Zeugen in einem untrennbaren Zusammenhang mit den Stationen der biblischen Urgeschichte stehen. Daraus folgt, daß die Relevanz der in der Bibel geschilderten Heilsgeschichte Gottes mit der Menschheit und der ganzen Welt auch diesen ersten grundlegenden Abschnitt der Urgeschichte mitumfaßt und nicht etwa auf 1 K. H. Michel, Gottes Wirken 104; vgl. Schelkle, NT 89. 2 K. H. Michel, a. a. O. 121. Vgl. Flockiger, Geschichte 88: “Wir wissen nicht, wer Gott ‘an sich’ ist, wir können von Gott nur reden in Bezug auf sein Handeln in der Geschichte.” 3 Z. B. anhand historischer Quellen oder auch naturkundlicher Daten. 4 Beck, Universalität III. 5 Ebd. 9. 6 Ebd. 2. 7 Stadelmann, Heilsgeschichte 50. Gilkey, Debatte 466, dagegen schließt zwar den Bereich der Geschichte aus den Gebieten aus, in denen “die Religion autoritative Information gibt”. Er stellt aber gleichzeitig fest, daß sich das Interesse der Religion auf das Handeln Gottes bei bestimmten Gegebenheiten und Ereignissen richte. Sie unterrichte uns jedoch nicht im Detail darüber, “wie diese Gegebenheiten und Ereignisse an sich sind, so wie sie der empirischen Erkenntnis unterliegen” (466). Nun ist aber die Frage, welchen Weg Gott mit der Menschheit und der ganzen Welt in der Geschichte gegangen ist, sicher kein Detailproblem, sondern ein Zentralpunkt der biblischen Offenbarung. die Zeit ab Abraham oder einen noch engeren Zeitraum eingeschränkt ist. Es muß also nicht nur der Bereich der menschlichen Frühgeschichte mit den biblischen Berichten in einen historischen Zusammenhang gestellt, sondern die ganze Kosmos- und Menschheitsgeschichte im biblischen Bezugsrahmen verstanden werden. Daher ist eine Verbindung zu den Daten derjenigen Natur- und Geschichtswissenschaften herzustellen, die Beiträge zur Erhellung der Geschichte der Schöpfung liefern. Der Zusammenhang zwischen dem biblischen Glauben und dem durch die Methoden der Erfahrungswissenschaften gewonnenen Wissen (kurz: Glaube und Wissen) wurde bereits (im vorigen Kapitel) dadurch deutlich, daß evolutionäre Theorien zur Rekonstruktion der Naturgeschichte Inhalte des biblischen Glaubens zentral betreffen. Auch die Entflechtungsbemühungen offenbaren letztlich diese Untrennbarkeit, da das scharfe Auseinanderhalten von Glauben und Wissen nicht durchgehalten werden kann (vgl. Abschnitt 3.3.3). Darüberhinaus hat die moderne Wissenschaftstheorie ohnehin herausgestellt, daß es kein Wissen ohne metaphysische Grundlagen (“Glauben” in einem allgemeinen Sinne) gibt.8 Es kann also niemals darum gehen, scharfe Revierabgrenzungen mit dem Ziel einer zusammenhanglosen Aufteilung von Glauben und Wissen vorzunehmen, sondern es muß eine Verhältnisbestimmung durchgeführt werden, die in den einzelnen Wissensgebieten zu konkretisieren ist. Die entscheidende Frage ist, wie dies zu erfolgen hat. Es ist also nicht möglich, eine strikte Trennung zwischen Wissen und Glauben zu vollziehen, auch wenn zwischen beidem unterschieden werden muß. Es geht nicht um Abgrenzung, sondern um einen geeigneten Deutungsrahmen (“Glauben”) für die Interpretation von Detaildaten der Wissenschaften (“Wissen”9). “Grenzüberschreitungen” können folglich nicht vermieden werden, wenn man an einer Deutung von Einzeldaten der Wissenschaften im Rahmen einer Gesamtschau interessiert ist. Das Zeugnis der biblischen Urgeschichte ist für die Rekonstruktionen und Theorieentwürfe der historischen Wissenschaften relevant. Das wird insbesondere durch die im Neuen Testament anzutreffenden Bezüge zur Urgeschichte (z. B. Röm 5,12ff. und Röm 8,19—22; vgl. Abschnitte 4.3.2.1/2) gefordert. Darüber hinaus erbrachte die Auseinandersetzung mit der Evolutionslehre als Ergebnis, daß die Akzeptanz auch einer theistischen Evolution Inhalte (und nicht etwa nur Darstellungsmittel) des christlichen Glaubens so sehr betrifft, daß das traditionelle Heilsverständnis aufgegeben werden müßte (es sei denn, man verwirft grundlegende Prinzipien aller Evolutionstheorien an willkürlichen Stellen, vgl. z. B. Abschnitte 4.1.4, 4.2.3, 4.7.2). Eine grundlegende Alternative ist also gefragt, und diese kann mangels weiterer Möglichkeiten nur darin bestehen, das traditionelle Verständnis von Schöpfung und Fall wieder aufzugreifen und gemäß dem heutigen Wissensstand zu den Daten der Geschichts- und Naturwissenschaften in einen fruchtbaren Zusammenhang zu bringen. Diese Aufgabe an sich und mit ihr verbunden eine konkrete Rekonstruktion der Geschichte des Kosmos ist freilich nicht eigentliches Thema der Schriften des biblischen Kanons. Die Alternative zur Entflechtungslösung kann nicht darin bestehen, die Bibel als “naturwissenschaftliches Lehrbuch” anzusehen.10 Die biblischen Autoren hatten andere Intentionen, als naturkundliche Fragen zu beantworten. Sie haben auch nicht in der wissenschaftlichen Sprache der heutigen Zeit geschrieben. Vielmehr geht es vor allem um den Weg Gottes mit dem Menschen. Da Gott aber in dieser Welt gehandelt hat, ergeben sich dadurch 8 “Man muß nicht das Wissen beseitigen, um dem Glauben Platz zu machen. Vielmehr muß man bereits etwas glauben, um überhaupt von Wissen und Wissenschaft reden zu können" (Stegmüller, Metaphysik 33); vgl. Popper, Spinner, Lenk u. a.; Abschnitt 1.4. 9 In diesem Sinne soll auch im folgenden “Wissen” verstanden werden. 10 Vgl. Studiengemeinschaft Wort und Wissen, Schöpfung. Stellvertretend für viele Autoren kann hierzu Heinisch, Genesis 106, zitiert werden: “Ferner wird jetzt wohl fast allgemein zugegeben, nicht nur, daßdie Bibel kein Handbuch der Naturwissenschaft ist, sondern auch, daß die biblischen Schriftsteller in ihren naturwissenschaftlichen Anschauungen Kinder ihrer Zeit waren. Gott wollte durch die Hl. Schrift nicht profane Wissenschaften lehren, sondern Menschen zu ihrem ewigen Ziele führen.” sehr wohl naturkundliche und vor allem geschichtliche Bezüge.11 In diesem Spannungsfeld - einerseits des aufeinander Bezogenseins von Glauben und Wissen, das sich aus dem Geschichtshandeln Gottes ergibt, und andererseits der Tatsache, daß die naturkundlichen und naturgeschichtlichen Fragen nicht eigentlicher Gegenstand der biblischen Geschichte sind - stellt sich die Aufgabe, einen Bezug zwischen der biblischen Überlieferung und den Ergebnissen der Wissenschaften konkret in einer möglichst widerspruchsfreien Rekonstruktion der Schöpfungs- und Menschheitsgeschichte herzustellen. Im einzelnen ist dabei zu klären: 1. Inwiefern können den biblischen Texten ein bestimmtes Weltbild und eine Weltanschau- ung entnommen werden? Inwieweit gehen zeitbedingt weltbildhafte Vorstellungen in die biblischen Berichte ein? Inwieweit muß man hier zwischen Aussagemittel und -inhalt unterscheiden? Inwieweit erweisen sich die biblischen Autoren in ihren Zeugnissen als Kinder ihrer Zeit? 2. Welche biblisch überlieferten geschichtlichen Ereignisse sind als Anhaltspunkte für die Geschichtsrekonstruktion zugrunde zu legen? 3. Inwiefern betreffen die Aussagen der Bibel Theoriebildungen und geschichtliche Rekonstruktionen der Wissenschaft? Wie ist der Zusammenhang zwischen den offenbarten Texten und den Rekonstruktionen der historischen Wissenschaften, die Dokumente aus der Vergangenheit auszuwerten versuchen? 5.2 Glaube und Geschichte Im Spannungsfeld von Glauben und Geschichte ist besonders die Frage nach dem Verhältnis von Heilsgeschichte und Profangeschichte brennend.12 Für unsere Fragestellung genügt dazu jedoch bereits die Feststellung, daß die Bibel im Alten und Neuen Testament Glaubensaussagen in auffälliger Weise gerade an geschichtliche Ereignisse bindet. Dabei ist - wie gezeigt wurde -die Urgeschichte einzuschließen. Überspitzt könnte man formulieren: Auch wenn die glaubensrelevanten geschichtlichen Daten nicht alles sind (ein bewiesenes leeres Grab bewirkt nicht automatisch Glauben an Jesus Christus als den universalen Herrn und Erlöser), so ist ohne diese Daten alles nichts. Die Glaubensinhalte würden jegliche Anhaltspunkte im Bereich des Sichtbaren, in der empirischen Welt, verlieren. Es gäbe keine Korrelate zu geschichtlichen Ereignissen, zu Phänomenen und Abläufen in der sichtbaren Welt. Der Glaube bliebe auf die Innerlichkeit des Menschen beschränkt. Schaef-fer hat m. E. zurecht davon gesprochen, daß der Glaube ohne Geschichte zum “Trip” wird, der sich in seiner Subjektivität nicht mehr wesentlich von einem durch Drogen ausgelösten Trip unterscheidet.13 Dem modernen Menschen und Christen würde eine unnötig schwere Glaubenslast aufgebürdet, so Michel, wenn er Gottes Handeln in der Ge- 11 So hal beispielsweise die Auslegung zu Röm 5,12ff. gezeigt, daß mit diesem Text nicht primär der sogenannte Urständ erhellt oder Wissen über den Sündenfall vermittelt werden soll. (Diese Lehren sind zur Zeit des Paulus unter Juden und Judenchristen eine Selbstverständlichkeit.) Vielmehr wird primär über das von Christus ausgehende Leben geredet. Die Aussagen Uber Sünde und Tod sollen diesen Hauptpunkt verdeutlichen (vgl. Freundorfer, Erbsünde 216; Weger, Erbsünde 86). Es gehl hier also nicht in erster Linie um die Geschehnisse des Anfangs. Doch ist der in den Ausführungen des Paulus erwähnte Anfang, der Einbruch von Sünde und Tod in diese Welt durch dieTat des einen, unverzichtbare Voraussetzung, um die entscheidende Heilstat Jesu Christi, um die es primär geht, verständlich zu machen. Ein bestimmter Anfang wird hier vorausgesetzt und kann nicht der Beliebigkeit anheimgestellt werden. Da aber die Anfänge der Menschheit auch Gegenstand wissenschaftlicher Rekonstruktionen der Schöpfungs- und Menschheitsgeschichte sind, ist eine Auseinandersetzung von den sich berührenden Sachverhalten her unvermeidbar. Glauben (hier: Jesu Tat hat heilswirkende Bedeutung) und Wissen (das geschichtliche Wirken Jesu, das im Zusammenhang mit der Tat des einen, Adam, steht) sind untrennbar aufeinander bezogen. 12 S. hierzu Cullmann, Zeit; Löwith, Weltgeschichte; Sautter, Heilsgeschichle; Stadelmann, Heilsgeschichte; vgl. Abschnitt 4.6.3. Es sei hier an die in Abschnitt 4.6.3 nach Stadelmann, a. a. O. 37, vorgenommene Charakterisierung von Heilsgeschichte erinnert, wonach Heilsgeschichte das nach Gottes Heilsplan durch sein Einwirken in Tat und Wort gestaltete, schichte nur glauben müßte, ohne empirische Anhaltspunkte zu haben.14 “Seinem Glauben allein wird zugemutet, alle Gottesaussagen zu tragen, weil er von Gott in dieser Welt angeblich nichts wahrnehmen und wissen kann.”15 Die geschichtlichen Hinweise auf das Handeln Gottes, die Spuren, die durch Gottes Handeln in dieser Welt hinterlassen wurden, können den persönlichen Glauben an Jesus Christus zwar nicht bewirken - daher wird Glaube auch nicht durch Wissen ersetzt -, sie können aber Grundlagen und dürfen Hilfestellungen zum Glauben sein (Grundlagen und Hilfestellungen sind keine “Beweise”). Sie sind auch zu fordern, wenn der Glaube einen Realitätsbezug haben soll. Das Zeugnis der Heiligen Schrift verliert Anhaltspunkte für seine Glaubwürdigkeit, wenn es von Geschichtsrealitäten abgekoppelt wird.16 Diese Zusammenhänge betreffen die Auseinandersetzung um die Evolutionslehre insofern, als deren Akzeptanz mit dazu beiträgt, die biblische Ur- und Heilsgeschichte als beziehungslos zur realen Geschichte zu verstehen: Die Akzeptanz einer (theistischen) Evolutionslehre macht ein historisches Verständnis der Überlieferungen von Gen 1-11 unmöglich. Damit geht aber aufgrund der Koppelung von Ur- und Heilsgeschichte der historische Bezug des Glaubens zu entscheidenden Glaubensinhalten verloren (vgl. Abschnitt 4.3.2), und die Heilsgeschichte verliert ihre Bezüge zur Profangeschichte, oder es resultiert daraus die Tendenz, die Heilsgeschichte mit der Profangeschichte in dem Sinne zu identifizieren, daß alles Geschehen unter Überspielung der Sünde der Welt und den damit verbundenen Gerichtstaten Gottes als Ausdruck des Heilshandelns Gottes verstanden wird (vgl. dazu Abschnitt 4.6.3). Geschieht aber letzteres, wird der christliche Glaube, die christliche Deutung der Geschichte zum bloßen Interpretations-Anhängsel, das ohne Verlust des Geschichtsverständnisses abgeworfen werden kann. 5.3 Weltbild und Weltanschauung Die zeitgenössische Theologie interpretiert naturkundliche Anklänge in den biblischen Berichten in der Regel als zeit- und kulturbedingte Ausdrucksweisen und unterscheidet zwischen diesen Ausdrucksmitteln und den durch sie ausgedrückten Konstanten des Glaubens (Kernaussagen). Diese Sicht wird weitgehend unterschiedslos vertreten, gleichgültig ob es sich um Aspekte der Struktur des Kosmos (Kosmographie) oder um Aspekte der Kosmos- und Menschheitsge-schichte handelt.17 Die beiden Bereiche - Kosmographie und (gesamte!) Kosmos- und Menschheitsgeschichte - müssen jedoch im Hinblick auf exegetische Fragen unterschieden werden, wie im folgenden gezeigt werden soll. Problemstellung Die Problematik um weltbildbedingte Darstellungen in den biblischen Texten sei durch die Auffassung Ratzingers verdeutlicht, wonach die Aussagen des Glaubens schon immer auf sich wandelnde Weltbilder bezogen werden mußten.18 Die Situation, den Glauben in eine Beziehung zum evolutiven Weltbild zu bringen, sei in diesem Sinne im Prinzip nicht neu. Schon die ersten trotz Umwegen und ‘Sprüngen’ in sich zusammenhängende und dabei in Kontinuität und Diskontinuität verlaufende Geschehen in der Geschichte ist, das uns als solches in der biblischen Offenbarung erschlossen ist und als sein Ziel die Verherrlichung Gottes hat. Heilsgeschichte und Weltgeschichte können nicht nach einem Kriterienkatalog auseinandergehalten werden, sondern stehen in einem untrennbaren Verhältnis zueinander. Heilsgeschichte ist durch Erlösung, Gnade und Glaube (Annahme Jesu Christi), Weltgeschichte durch Erhaltung (providentielles Handeln Gottes), durch die Sünde als teaie Macht und durch Unglaube (Ablehnung Jesu Christi) gekennzeichnet. Als Herr der Welt regiert Gott souverän über die gesamte Geschichte; so gesehen ist Weltgeschichte ein Teilaspekt der Heilsgeschichte, doch sind heilsgeschichtliche und “weltgeschichtliche” Aspekte seiner Herrschaft und seines Handelns in der Geschichte im eben genannten Sinne zu unterscheiden. Die Heilsgeschichte wird von Gott und nicht von Menschen hervorgebracht; sie ist keine zeitlose Idee, sondern ein “geschichtliches Geschehen in Raum und Zeit” (Sautter, a. a. O. 30), deren Zentrum der Tod und die Auferstehung Jesu Christi ist. 13 Schaeffer, Gott; die Formulierung “Trip” in diesem Zusammenhang stammt von ihm. 14 K. H. Michel, Gottes Wirken. 15 Ebd. 117. beiden Kapitel des Genesisbuches gäben ein weithin gegensätzliches Bild vom Ablauf der Schöpfung; bereits innerhalb der biblischen Überlieferung seien also Glaube und Weltbild nicht identisch. Der Glaube bediene sich eines Weltbildes, ohne mit ihm kongruent zu sein. Ähnlich ist auch Bosshard der Auffassung, Gen 1 und Gen 2 seien Entwürfe von den ersten Dingen unter Verwendung jeweiliger konkreter Weltbilder.19 Weltbildmodelle seien zwar für die Explikation des Schöpfungsgedankens bedeutsam, enthalten jedoch keine Glaubensaussagen.20 Für Moltmann bieten sich die Schöpfungsgeschichten der Bibel zu ihrer produktiven Neuinterpretation und Weiterentwicklung selbst an. Es sei “nicht nur möglich, sondern notwendig, die biblischen Zeugnisse von der Schöpfung und der Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung auf neue Naturerkenntnisse und neue Theorien zur Deutung dieser Erkenntnisse zu beziehen und sie ihrerseits in diesem Licht neu zu formulieren.21 Smulders stellt fest: “So bildete sich die Erkenntnis heraus, daß die Bibel kein Handbuch der Naturwissenschaften ist, sondern daß der Schreiber ein... für seinen Zweck zurechtgelegtes Weltbild benutzt, um eine Wahrheit zum Ausdruck zu bringen, die ihm unendlich wichtiger ist als das Bild selber.”22 Brunner sieht es gar als schwere Schuld an, daß das biblische Weltbild, das für ihn im wesentlichen das Weltbild des Altertums ist, als Inhalt der göttlichen Offenbarung aufgefaßt wurde, wodurch die Bibel zum unfehlbaren Lehrbuch der Naturwissenschaft und Geschichtskunde wurde.23 “Dieser ganze Konflikt hätte vermieden werden können, wenn die Kirche besser zwischen Gefäß und Inhalt, zwischen Weltbild und Glaubensaussage zu unterscheiden gewußt hätte.”24 Ähnlich stellt Schlink fest, daß den biblischen Schöpfungsaussagen bei aller Mannigfaltigkeit gemeinsam sei, daß der jeweilige allgemeine Stand der Welterkenntnis vorausgesetzt ist. Es fänden sich in ihr keine besonderen Naturerkenntnisse, die von der Naturerkenntnis der Umwelt wesentlich verschieden wären.25 Doch darin, daß sich die biblische Überlieferung Elemente zunutze gemacht hat, die außerbibli- schen Quellen entnommen sind, liegt die eigentliche Problematik gar nicht Die Frage ist vielmehr, inwiefern die Darstellungen weltbildbedingt seien, welche Elemente der Darstellungen nicht zu den G\aubensinhalten gehören sollen, und nach welchen Kriterien Weltbildbedingtes vom eigentlichen Kern der Offenbarung auszuscheiden sei. Die Ausführungen in Kapitel 4 haben jedenfalls gezeigt, daß traditionelle Glaubenskonstanten im evolutionären Weltbild zusammenbrechen und daß an ihre Stelle neue Inhalte treten, die diesem Weltbild angepaßt sind. Der “Umzug” in 16 Auf den in diesem Zusammenhang wiederholt erhobenen Einwand, daß durch die Koppelung von Glaubensrealitäten mit Geschichtsdaten der Glaube einerseits beweisbar gemacht werden solle, andererseits auch angreifbar werde, wird in Abschnitt S.öeingegangen. Schon hier sei vermerkt, daß der Vorwurf, Glaubensinhalte beweisen zu wollen, unhaltbar ist und konstruiert erscheint. 17 Geschichtliche Relevanz wird den biblischen Berichten gewöhnlich erst ab der Abrahamsgeschichte (oder noch späteren Stationen) zugebilligt. 18 Ratzinoer, Schöpfungsglaube 238f. 19 Bosshard, Evolution 122. 20 Bosshard, Erschafft die Well 15. 21 Moltmann, Schöpfung 200. Freilich sieht Moltmann die Evolutionstheorie fälschlicherweise als solche “Naturerkenntnis” an. 22 Smulders, Theologie 60. 23 Brunner, Dogmatik 35. 24 Ebd. 36. Erwendet hierwie viele andere Autoren 2 Kor 4,7 auf das geschriebene Wort Gottes an: “Wir haben aber solchen Schatz in irdenen Gefäßen, auf daß die überschwengliche Kraft sei Gottes und nicht von uns” (35). Doch meint dieses Pauluszitat nicht - wie Brunner es auslegt - den Schatz der Offenbarung, der in den Gefäßen des Weltbildhaften zu finden sei. Denn Paulus spricht an dieser Stelle von der Erleuchtung der Gläubigen, “daß durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi" (2 Kor 4,6). Von diesem Text aus kann nicht begründet werden, daß sich Wellbildhaftes zur eigentlichen Offenbarung wie Schatz und Gefäß verhalten. Die biblischen Autoren setzen in Bezug auf die Offenbarung Gottes den Vergleich aus 2 Kor 4,7 nicht ein. 25 Schlink, ÖkumDogm 75. Inwieweit dies auf naturkundliche Bezüge zutrifft, soll hier zunächst dahingestellt bleiben. Wird unter “Welterkenntnis" dagegen auch die Geschichte eingeschlossen, trifft sicher nicht zu, daß sich in der Bibel nichts wesentlich von der Umwelt Verschiedenes finden würde. Während in Israels Umwelt (Ägypten, Mesopotamien) die Geschichte nach festen Ordnungen ablaufend gesehen wurde, in der auch die Götter ihre Rollenzuweisung hatten und in der sich alles in vergleichbaren Konstellationen wiederholte, waren “die alttestamentliche Geschichtsschreibung und erst recht die geschichtsgebundenen Gottesaussagen Israels... in dieser Umwelt zwangsläufig ein Fremdkörper” (K. H. Michel, Gottes Wirken 91; vgl. von Rad, TheolAT 11). die evolutionäre Weltanschauung ist nicht möglich, ohne die Inhalte fundamental zu verändern. Der biblische Schöpfungsglaube wird vage, wenn er von dem “gereinigt” wird, was nicht mehr ins evolutionäre Weltbild paßt. Beispielhaft sei Rat-zinger zitiert, für den als eigentlicher Inhalt des Schöpfungsglaubens nur bleibt, “die von der Wissenschaft erschlossene Werdewelt als eine sinnvolle, aus schöpferischem Sinn kommende Welt zu verstehen.”26 Exkurs: Zum Verhältnis von Genesis 1 und 2 Da namentlich die ersten beiden Kapitel der Genesis herangezogen werden, um die weltbildhaften Unterschiede biblischer Schöpfungstexte zu dokumentieren, sei auf dieses Beispiel ausführlicher eingegangen. Die historisch-kritische Exegese unterscheidet in Genesis 1 und 2 zwei Schöpfungserzählungen. Der Hintergrund ist die Ansicht, daß die fünf Bücher Mose eine über Jahrhunderte reichende Entstehungsgeschichte haben sollen. Man stellt sich viele Verfasser und Redaktoren vor, die von den Anfängen der mündlichen Tradition immer wieder Teile aufschrieben, ergänzten und veränderten. Schließlich habe man die heutige Form erreicht. Der Pentateuch soll erst in den Generationen nach dem Babylonischen Exil durch Priesterschulen seine Endredaktion bekommen haben. So pflegt man nach gewissen Namens- und Stilmerkmalen Quellen zu unterscheiden. Überblickt man die Auslegungsgeschichte der letzten zweihundert Jahre,27 so steht man vor einem Gewirr von Hypothesen bezüglich möglicher Quellen, Autoren und Redaktoren, über die die Auslegungswissenschaft bis heute keine einheitliche Meinung gebildet hat.28 Dennoch gibt es einen breit akzeptierten Grundkonsens: Neben den sehr späten, theologisch reflektierten nachexilischen Bericht eines priesterlichen Autorenkollektivs (Quellenschrift “P”, Genesis 1,1 -2,4a) ist die urtümliche, theologisch primitivere Erzählung (Quellenschrift “J”, “Jahwist”, Genesis 2,4b—25) zu stellen, die in der vorexilischen Zeit, möglicherweise im 7. oder 8. Jh. v. Chr. oder noch früher entstanden ist. Da diese Quellen maßgeblich von den zeitbedingten kosmogonischen Vorstellungen der Abfassungszeit inhaltlich beeinflußt sein sollen, schließt der Großteil der zeitgenössischen Theologen aus, daß diese Berichte authentische Informationen über den Beginn der Welt und die Anfänge der Menschheit geben. Als Begründung für die verschiedene Autorenschaft und Abfassungszeit der ersten beiden Kapitel der Genesis werden eine Reihe von Unterschieden und scheinbaren Widersprüchen genannt, die die beiden Berichte aufweisen bzw. aufweisen sollen. Unterschiede zwischen Genesis 1 und 2 An allgemeinen Unterschieden zwischen beiden Texten sind der unterschiedliche Gebrauch der Gottesnair.en (Elohim in Gen 1, meistens Jahwe-Elohim in Gen 2) und unterschiedlicher Stil zu nennen. Außerdem werden verschiedene Schöpfungs- und Gottesvorstellungen angeführt. Im einzelnen werden besonders folgende Punkte als widersprüchlich genannt:29 1. Gen 2,4b spreche nur von einem Tag, nicht von sechs Tagen wie Genesis 1. 2. Nach Gen 1 war die Erde zuerst mit Wasser umgeben, nach 2,5 fehlte Feuchtigkeit zunächst noch. 3. Nach Gen 1,27 sind Mann und Frau gleichzeitig erschaffen worden, nach 2,7 der Mann zuerst. 4. Die Reihenfolge der Schöpfung von Pflanzen und Mensch sei verschieden. In Gen 2 sei sie umgekehrt wie in Gen 1. Nach 2,5 seien u. a. deshalb noch keine Pflanzen vorhanden gewesen, weil der Mensch fehlte, um den Boden zu bebauen. 5. Auch die Reihenfolge der Schöpfung von Tieren und des Menschen sei in Gen 2 gegenüber Gen 1 vertauscht (vgl. Gen l,20f.24f. mit 2,7.18.22). Einwände Die genannten Beobachtungen lassen jedoch nicht nur die oben umrissene heute eingebürgerte Auslegung zu. Es ist zunächst ein willkürliches Verfahren, aufgrund von Unterschieden im Stil, in der Reihenfolge usw. verschiedene Quellen zu postulieren. Zunächst sollte geprüft werden, ob der vorliegende Text, hier also Genesis 1 und 2 (bzw. letztlich die ganze Urgeschichte Gen 1-11) nicht doch als ein schlüssiges Ganzes verstanden werden kann. Aus schwer verständlichen Beobachtungen am Text darf nicht vorschnell die Annahme verschiedener Autoren und Abfassungsumstände abgeleitet werden. Bevor dies angenommen wird, muß nach üblichen hermeneutischen Regeln von der Einheit des Textes ausgegangen werden. Die Unterschiede (bzw. die vermeintlichen “Widersprüche”) können auch anders als durch Qucllenscheidung einsichtig gemacht werden, wie im einzelnen gezeigt werden soll. Der Wechsel von Gottesnamen wird auch in anderer antiker Literatur beobachtet, ohne daß deshalb verschiedene Quellen vermutet werden. Entsprechendes gilt für Änderungen im Stil und für Wiederholungen.50 Wester mann räumt ein, daß die einzelnen Textbeobachtungen, die für Quellenscheidung sprechen sollen, auch anders erklärt werden können, lediglich in ihrer Gesamtheit seien sie seiner Meinung nach aussagekräftig.51 26 Ratzinger, Schöpfungsglaube 242. 27 Kraus, Geschichte', Beck, Genesis 26ff. 28 Beck, a. a. O. 46. 29 Vgl. Külung, Schöpfungsberichte. 50 Pohl, Schöpfungshymnus. 51 Westermann, BKAT. Beispielhaft soll dies am Gebrauch des Gotlesnamens erläutert werden: Der Wechsel des Gottesnamens ist zuerst im Verwendungszweck zu suchen. Für den Inhalt in Gen 1 ist Elohim der angemessenere Ausdruck, da dieser Name den Allerhöchsten in der Welt als Ganzes am Werk zeigt. Die Verwendung von “Jahwe” (“Ich bin der Ich bin”) zeigt die Gegenwart Gottes dem Menschen gegenüber, weil es in Gen 2 um die Erschaffung des Menschen geht. Die Kombination Jahwe-Elohim in Gen 2 soll deutlich machen, daß Jahwe der Elohim ist, der die Welt erschuf und daß beide Namen denselben bezeichnen. Um gleichzeitig die Heiligkeit Gottes auszudrücken, war es offenbar wünschenswert, den Doppelnamen Jahwe-Elohim zu verwenden.32 Deutung von Genesis 2 unter der Voraussetzung der Einheit von Genesis 1 und 2 Im folgenden soll eine Auslegung einiger Abschnitte von Gen 2 vorgelegt werden, die von der Einheit von Gen 1 +2 ausgeht. Das in Gen 1 Geoffenbarte wird dabei als Voraussetzung von Gen 2 angesehen. Was in Gen 1 bezeugt wird, muß folglich in Gen 2 nicht unbedingt wiederholt werden.33 Beim Vergleich von Gen 1 und 2 fällt neben den erwähnten Beobachtungen auf, daß in Gen 2 der Mensch im Mittelpunkt steht. Die Schöpfungswerke werden in ihrer Bedeutung für den Menschen beschrieben. Die strenge Aufzählung von Gen 1 fehlt. Gen 2 hat also einen anderen Schwerpunkt als Gen 1. Nur teilweise geht es um Schöpfung. Himmelskörper, die Erde und das Meer fehlen. Man sollte dies in einem echten Schöpfungsbericht nicht erwarten. Eine so lückenhafte “Schöpfungserzählung” wäre in der altorientalischen Literatur ohne Parallele. Die Bezeichnung “2. Schöpfungsbericht” ist daher fragwürdig. Eine Reihe von Auslegern lehnt diese Kennzeichnung folgerichtig ab. Gen 2 ist besser als Kommentar und nähere Erläuterung zur in Gen 1 knapp geschilderten Erschaffung des Menschen zu verstehen.34 Außerdem handelt es sich um eine Beschreibung der ersten Schritte der Menschen nach ihrer Erschaffung und um eine Überleitung zur Sündenfallerzählung. “Der Schauplatz dieser Geschichte ist die Erde. Darum steht in Gen 2,4b die Erde vor dem Himmel und nicht wie 1,1; 2,4a u. a. danach. Diese Wortstellung geschieht absichtlich und ist nicht etwa auf eine andere Urkunde zurückzuführen."35 Zu den besonderen Unterschieden Zu 1. (“Tag” in Gen 2,4): In Gen 2,4ff. geht es nicht um die Reihenfolge und die Gliederung der Schöpfungswerke Die Wendung “am Tage, da" ( CV2 ;2,4) ist hier nicht im Sinne eines gewöhnlichen Tages zu verstehen, sondern -wie die meisten Übersetzer es tun - mit “zur Zeit, als..." oder einfach mit “als..wiederzugeben. Denn im Gegensatz zu Gen 1 fehlen hier die Textmerkmale, die dort einen gewöhnlichen Tag zum Ausdruck bringen: Aufzählung der Tage sowie die Wendung “Abend und Morgen”. Das Wort “Tag” wird im AT verschieden gebraucht Der Kontext muß in jedem Fall Klarheit verschaffen, wie es gemeint ist. Zu 2. (Vorhandensein von Wasser): Die zweite scheinbare Ungereimtheit löst sich auf, wenn Gen 2 im Lichte von Gen 1 (statt als separate Quelle) gelesen wird. Dann ist nämlich klar, daß in Gen 2 von der Erde nach der Scheidung von Wasser und Land gesprochen wird, als folglich die Erdoberfläche ohne regelmäßige Bewässerung ausgetrocknet wäre. In Gen 2,6 geht es um die Bewässerung des Landes nach der Wasserscheidung. Vermutlich gab es damals einen anderen Wasserkreislauf, als er heute (nach der Sintflut) verwirklicht ist. Gen 2,6 gibt also eine Bedingung für den Pflanzenwuchs an. Zu 3. (Reihenfolge von Mann und Frau): Auch der dritte “Widerspruch” löst sich auf, wenn Gen 2 als Detailaufnahme von Gen 1,27 gesehen wird. In Gen 1 wird über eine Reihenfolge bei der Erschaffung des Menschen nichts ausgesagt, Gen 2 teilt Details mit. Diese Vorgehensweise ist auch sonst im AT und anderer hebräischer Literatur üblich: Nach einer allgemeinen Aussage folgt eine detaillierte Beschreibung. Zu 4. (Reihenfolge von Pflanzen und Menschen): Zum vierten o. g. Punkt ist zunächst darauf aufmerksam zu machen, daß in Gen 2 gar nicht gesagt wird, daß der Mensch vor den Pflanzen erschaffen wurde. Man liest bei den Übersetzungen hinein, daß beim Erscheinen des ersten Menschen noch keine Vegetation vorhanden gewesen sei. Eine grundtextnahe Übersetzung erleichtert das richtige Verständnis:36 4 Für die Zeit, da Gott, der Herr, Erde und Himmel machte, gilt: 5 Es gab zunächst noch kein Gesträuch des Feldes auf der Erde und noch war kein Kraut des Feldes gesproßt, (wann, wird nicht gesagt. Aufgrund der Vorgabe von Gen 1 muß es vordem dritten Tag gewesen sein) weil Gott, der Herr, noch nicht hatte regnen lassen auf die Erde, und weil es keinen Menschen gab, den Erdboden zu bebauen. 6 Da stieg Feuchtigkeit aufvon der Erde und bewässerte die ganze Oberfläche des Erdbodens.37 (Nun konnte die Vegetation wachsen) 7 Und Gott, der Herr, bildete den Menschen, Staub vom Erdboden, und hauchte in seine Nase Atem des Lebens und es wurde der Mensch eine lebende Seele. (Nun konnte der Mensch den Ackerboden bebauen.) 32 McDowell & Stewart, Antworten. 33 Selbst wenn Gen 1 und 2 ursprünglich literarisch getrennt gewesen sein sollten, bliebe die Möglichkeit uneingeschränkt erhalten, daß der Schreiber von Gen 2 das Zeugnis von Gen 1 voraussetzt und nicht unabhängig davon schreibt. 34 Ross, 1. Mose 12. 35 Külung, a. a. O. 217. 36 Verändert nach Külung, a. a. O. 31 “Der Wechsel zwischen negativer und positiver Aussage bedingt, daß das 1 zu Beginn von V 6a adversativ zu übersetzen ist“ (Dohmen, Schöpfung und Tod 54). Es wird deutlich, daß nichts darüber mitgeteilt wird, wann die Pflanzen geschaffen wurden. Mit der Information aus Gen 1 kann gesagt werden, daß sich das in Vers 5-6 Geschilderte vor der Erschaffung der Pflanzen am dritten Schöpfungstag abspielte. In V. 6 wird dann eine Voraussetzung für den Pflanzenwuchs genannt: eine dauerhafte, geregelte Bewässerung (Feuchtigkeit aus der Erde). In V. 7 wird anschließend (ohne Zeitangabe) die Erschaffung des Menschen beschrieben, der die Pflanzen kultivieren soll (vgl. V. 5d und 15: “bebauen") - der Zusammenhang zielt deutlich auf die Kultivierung der Pflanzen ab, nicht nur auf ihr Wachstum (V. 8: “Garten”). Daß Pflanzen auch ohne menschliches Tun wachsen können, braucht nicht hervorgehoben zu werden. ln Vers 5-7 geht es also um zweierlei: um den ursprünglichen Wasserkreislauf als Bedingung für den Pflanzenwuchs und dieser wiederum als Öko-Rahmen für den Menschen, der erschaffen wird.3* Andernfalls hätte Gott den Menschen in eine unbelebte Umgebung gesetzt, was eine wenig glaubhafte Auslegung wäre. Daß an dieser Stelle dieTiere noch nicht erwähnt werden, fügt sich gut in den in Gen l,29f. erwähnten Umstand, daß sie ursprünglich keine Nahrungsgrundlage für den Menschen waren. Zu 5. (Reihenfolge von Tieren und Mensch): Auch die letzte genannte Unstimmigkeit kann ausgeräumt werden, wenn man akzeptiert, daß die Erschaffung der Tiere gemäß der Schilderung von Gen 1 als bekannt vorausgesetzt wird. Dann ist klar, daß in 2,19 nicht die Erschaffung der Tiere beschrieben, sondern auf die Tatsache ihrer Existenz verwiesen wird. Dies wird in der deutschen Sprache am besten dadurch ausgedrückt, daß man mit dem Plusquamperfekt übersetzt:3’ 18 Und Gott der Herr sprach: Der Zustand, daß der Mensch mit sich allein ist, ist nicht gut. Ich werde ihm eine Hilfe schaffen, die ihm entspricht. 19 Und Jahwe-Herr hatte auch alle Tiere des Feldes und alle Vögel aus dem Erdboden geschaffen und brachte sie zum Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde. Der Kontext muß Klarheit geben, wie eine sinngerechte Übersetzung vorgenommen werden kann. Der hier durchweg vorausgesetzte Zusammenhang mit Gen ^bestätigt die obige Übersetzung. Wie bereits vermerkt und durch viele Beobachtungen am Text deutlich wurde, geht es in Gen 2 nicht um Reihenfolgen (das ist u. a. Aussage von Gen 1), sondern um Zuordnungen. Neben Gen 2,19 gibt es eine Reihe weiterer gleichartiger Satzkonstruktionen im AT, in denen der Textzusammenhangebenfalls eine Wiedergabe durch den Plusquamperfekt fordert. So z. B. Josua 2,22: Nachdem die Kundschafter Israels durch die Hilfe der Hure Rahab aus Jericho entkommen konnten, heißt es dort:“Sie aber gingen weg und kamen aufs Gebirge und blieben drei Tage dort, bis die zurückgekommen waren, die ihnen nachjagten. Denn sie halten sie gesucht auf allen Straßen und doch nicht gefunden.” Eine Übersetzung durch “ünd sie such- ten sie... und fanden sie nicht” trifft den Sinn nicht. Die Satzkonstruktion ist hier identisch mit der Konstruktion in Gen 2,18f. Genesis 1 und 2 - eine inhaltliche Einheit Für die Einheit von Gen 1 und 2-3 spricht auch die Tatsache, daß beide Berichte für sich alleine jeweils unvollständig wären. Gen 1 allein würde die Frage offenlassen, wie es möglich ist, daß die sehr gute Schöpfung mit Leid und Tod angefüllt ist. Pohl sieht in diesem Punkt ein wichtiges Klammerstück, eine “innere Verkettung und Verzahnung”41. Gerade die innere Verklammerung beweise die literarische Einheit und den einheitlichen Verfasser. Gen 2 ohne Gen 1 fehlt ein Großteil der Schöpfungswerke und die Beschreibung der Schöpfung, wie sie aus Gottes Hand kam. Schlußfolgerungen Die Unterschiede zwischen Gen 1 und Gen 2 können durch den jeweils verfolgten Zweck der Texlabschnitte verstanden werden. Wenn man von der Einheit des Textes ausgeht, kommt man zu einer harmonischen, angemessenen Auslegung. “Widersprüche” entstehen erst bei einer angenommenen Quellenscheidung. Sie verkennt, daß Gen 1 beim Zeugnis von Gen 2 vorausgesetzt wird. Das heißt insgesamt: Die Merkmale der Texte erfordern nicht den Rückgriff auf die Annahme verschiedener unabhängiger Quellen. Die Relevanz auch für die reale Geschichte der Menschheit kann nicht durch die Unterschiede zwischen den beiden ersten Kapiteln der Bibel bestritten werden. Weltbild und Aussageinhalt biblischer Texte — eine Verhältnisbestimmung Um einer Antwort auf die aufgeworfene Frage, inwiefern biblische Darstellungen weltbildbedingt sind, näher zu kommen, und um Mißverständnisse zu vermeiden, sollen die beiden Begriffe 38 Vgl. Delitzsch, Genesis 76f. 39 Die Bedeutung des Waw-Konsekutiv-Imperfekts muß nach dem Zusammenhang bestimmt werden, “ln 2,19 ist der Bericht über die Erschaffung der Tiere dem Hauptthema, der Frage nach der Beendigung des Alleinseins des Menschen, unlergeordnet (Dohmen, Schöpfung und Tod 80). Vgl. DELrrzscH, Genesis 82: Hier werde nicht zeitlich Gefolgtes genannt, sondern auf die Ursache zurückgegangen. Wenn hier von einer Tierschöpfung die Rede wäre, müßte befremden, daß keine Kriech- und Wassertiere, sondern nur “Wild, Zahmvieh und Vögel” genannt werden. 40 Vgl. die Kritiker der Quellenscheidung Cassuto, Jacob, Rend-torff. 41 Pohl, a. a. O. 261. “Weltbild” und “Weltanschauung” voneinander unterschieden werden. Im folgenden soll unter “Weltbild” eint Vorstellung von der Beschaffenheit, dem Aufbau und Gesetzen der sichtbaren Welt verstanden werden. Es soll damit der jeweilige Wissensstand über die empirisch kontrollierbare räumliche Struktur des Kosmos gemeint sein, sein Aufbau und die Kräfte, die in ihm gegenwärtig wirken. Davon zu unterscheiden ist der Begriff “Weltanschauung”, womit eine Gesamtschau der Schöpfung einschließlich der erfahrungswissenschaftlich nicht erfaßbaren Aspekte und ihrer Wechselwirkungen mit dem Bereich der empirischen Wissenschaften gemeint sein soll, einschließlich der geschichtlichen Dimension. Zu dieser Begriffsklärung sollen einige Beispiele genannt werden: Erfahrungswissenschaftlich kann kein evolutives Weltbild begründet werden; es gibt wohl aber eine evolutionäre Weltanschauung (nämlich das Konzept einer Milliarden Jahre dauernden Geschichte von allmählicher Zunahme an Komplexität), die in Bezug zu Daten der empirischen Wissenschaften gesetzt werden kann. Entsprechend gibt es eine biblischheilsgeschichtliche Weltanschauung, die im Geschichtshandeln Gottes in Schöpfung, Gericht, Erlösung und Vollendung ihre Eckdaten besitzt. Die biblischen Berichte enthalten nurzeitgebun-dene Weltbilde/emenre, aus denen jedoch kein “biblisches Weltbild” erhoben werden kann.42 Die Unterscheidung zwischen “Weltbild” im Sinne kosmographischer Vorstellungen und “Weltanschauung” im Sinne einer Gesamtdeutung der Welt ist als Hilfsmittel zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen notwendig. Sie soll davor bewahren, alle naturkundlich anklingenden biblischen Beschreibungen (eingeschlossen die Texte, die die menschliche Frühgeschichte und darüber hinaus die ganze Kosmosgeschichte betreffen) pauschal mit der Kennzeichnung “Weltbildbedingtes” zu belegen. Damit dies vermieden werden kann, sind die folgenden vier Gesichtspunkte zu beachten. 1. Die in den Schilderungen geschichtlicher Ereignisse verwendete Ausdrucksweise kann nicht ver- wendet werden, um aus ihr ein “biblisches Weltbild” abzuleiten. In den Verhältnisbestimmungen von “Glaube und Naturwissenschaft”43 berufen sich zahlreiche Autoren weitgehend auf die Feststellung, das biblische Weltbild sei überholt, und verweisen auf Passagen wie Jos 10, wo berichtet wird, daß die Sonne und der Mond Stillständen. Diese Ausdrucksweise und dieses Geschehen sollen davon zeugen, daß der Autor dem veraltetengeozentrischen Weltbild anhing. Doch hier handelt es sich um ein Mißverständnis. Im Bericht Jos 10 wird Gottes Eingreifen bezeugt. Die Schilderung bedient sich der Sprache des Augenscheins. Die verwendete Sprache kann jedoch nicht ausgewertet werden, um damit ein biblisches Weltbild abzuleiten. Wenn in Jos 10 also vom Stillstehen der Sonne berichtet wird, so liegt dem offenbar ein astronomisches Ereignis zugrunde, dessen Vorgang mit Ausdrücken des Sinneseindrucks wiedergegeben wird, wie dies auch heute geschehen würde.44 In diesem Sinne gibt es heute genauso weltbildverhaftete Ausdrucksweisen, die wissenschaftlicher Erkenntnis “widersprechen”, ohne daß daraus auf ein zugrundeliegendes falsches Weltbild geschlossen wird. Wir reden beispielsweise vom Sonnenaufgang (statt umständlicher von einem Auftauchen der Sonne infolge der Erddrehung) oder davon, daß ein Stein zur Erde fällt (statt umständlicher, daß Stein und Erde sich auf ihren gemeinsamen Schwerpunkt zubewegen) usw. Wir bedienen uns der Sprache des Sinneseindrucks, wie sie der Alllagssprache angemessen ist.45 In dieser Sprache wird beim Naturwunder in Jos 10 gesagt, daß Sonne und Mond stehen blieben. Daraus kann man nicht ableiten, daß ,2 Mosis, Schöpfungsaussagen 12. *' Insbesondere in religionspädagogischen Konzepten. " Vgl. dazu Schoepfer, Bibel und Wissenschaft 15, 2h; Ouweneel, Evolution 364ff.; Messenger, Theolog/ 29,31.