lÄpgpEL%ß t. A.f W d« ' ‘Ul W i« kuut 4« a,, ^ ttT» .4.«*»» ■!» «*ki. 4U Wk irn Vm, Uo„,| £* «*U. 4k kk «» wfc Md» kk 4>x4 iHi >» L tu« ;«> W «kj. *?4 •• Wl 1«, mm • ts'Äiria •'■ ■*' *> “ *•'■ Wilhelm Busch HERR- zeige uns den Väter Ansprachen von Pastor Wilhelm Busch nach Tonbandaufzeichnungen VERLAG SCHULTE + GERTH ASSLAR © 1982 Verlag Schulte & Gerth, Asslar © 1989Verlag Klaus Gerth, Asslar ISBN 3-89437-626-0 Best.Nr. 15 626 1. Auflage Januar 1983 2. Auflage Mai 1983 3. Auflage 1984 4. Auflage 1985 5. Auflage 1987 6. Auflage 1988 7. Auflage 1989 Umschlaggestaltung und Foto: Gisela Scheer Satz:Typostudio Rücker + Schmidt. Langgöns Druck: Elsnerdruck. Berlin Printed in Germany Wie lebe ich richtig? Ansprache über Apostelgeschichte 16,9+10 7 Ein bedeutsames Gespräch Ansprache über Johannes 14,8 23 Unsere einsamste Stunde Ansprache über Richter 12,5+6 37 Gottes Bemühungen um uns Ansprache über Hosea 4+11 51 Wie lebe ich richtig? „Und es erschien dem Paulus in der Nacht ein Gesicht: Ein mazedonischer Mann stand vor ihm, bat ihn und sprach: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! Als er aber dieses Gesicht gesehen hatte, trachteten wir alsbald nach Mazedonien zu ziehen, indem wir daraus schlossen, daß uns der Herr berufen habe, ihnen das Evangelium zu predigen” (Apostelgeschichte 16,9+10). Meine Freunde, je älter ich werde, desto stärker beschäftigt mich eine ganz primitive und selbstverständliche Tatsache. Und zwar die Tatsache, daß jeder von uns nur ein einziges Leben hat. Wir haben nur ein einziges Leben! Wenn Sie ein Porzellanservice kaufen mit 12 Tellern, dann können Sie zwei kaputtschlagen und haben immer noch zehn. Aber Sie haben nur ein einziges Leben! Alle Theorien, die verkünden, daß man noch einmal wiederkommt und weiterlebt, sind nicht wahr. Wir haben nur ein Leben, das, um ein modernes Bild zu gebrauchen, mit einer Einbahnstraße zu vergleichen ist. Wenn ich einen Tag meines Lebens verpfuscht habe, dann möchte ich oftmals gern den Wagen meines Lebens zurücksetzen, um die Strecke erneut zu fahren; aber das funktioniert nicht! Ein Tag, der verpfuscht ist, bleibt verpfuscht in alle Ewigkeit! Das Leben geht in der Richtung der Einbahnstraße immer weiter. Wer das begreift, der wird über die Frage, wie er sein Leben richtig lebt, unruhig. Wenn Sie heute ein Plakat anschlagen würden, auf dem steht: „Pastor Busch spricht über das Thema: Wie lebe ich mein Leben richtig”, dann würden wohl alle Leute einen Vortrag über richtige Ernährung, Diät und Bircher Müsli erwarten. Keiner kommt auf die Idee, daß richtig leben mit mehr als Ernährung zu tun hat. Diese Gedankenlosigkeit spricht für das Abgestumpftsein der Menschen unserer Zeit. Dabei ist das richtige Verständnis dieser Frage und die richtige Antwort darauf so unwahrscheinlich wichtig, denn die Einbahnstraße unseres Lebens führt direkt zum Richterstuhl Gottes. Meine Freunde, es ist wohl ziemlich klar, und wir brauchen überhaupt nicht darüber zu reden, daß wir nicht auf der Welt sind, um viel Amüsement zu haben. Wir sind auch nicht auf der Welt, um zu arbeiten. Das ist ebenso klar. „Nur Arbeit war sein Leben”, das ist ... ich pflege zu sagen, das ist ein Nachruf auf ein Pferd, aber nicht auf einen Menschen! Wir sind auch nicht auf der Welt, um einen Haufen Geld zu verdienen oder um einen guten Job zu haben. Ich wünsche Ihnen, daß Sie Millionäre werden, aber der Sinn des Lebens ist das nicht. Es bleibt dabei: die Frage „Wie lebe ich richtig?” ist unendlich wichtig, weil wir nur dies einzige Leben haben. Im Zusammenhang mit dieser Frage bin ich auf ein Wort in der Bibel gestoßen, das im allgemeinen Sprachgebrauch eigentlich gar nicht vorkommt oder höchstens mißverständlich gebraucht wird. Es ist ein biblisches Wort, eins aus der „Sprache Kanaans”; dabei ist das übrigens nichts Schlechtes, wie man immer tut, das ist doch etwas Herrliches. Das Wort, das ich meine, heißt: Segen. Gott sagt zu Abraham: „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein!” Auch wenn wir gar nicht recht wissen, was ein Segen ist, empfinden wir: Das muß ein wichtiges Leben sein, über dem dieser Satz steht, wenn der lebendige Gott sagt: „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein!” Das wäre ein richtiges Leben! Dieses Wort gibt uns die allgemeine Richtung an, in der wir suchen müssen, wenn wir wissen wollen, was richtig leben heißt. Und darum überschreiben wir heute unsere Predigt mit der Frage: Wie wird mein einziges Leben ein gesegnetes Leben? Wir müssen richtig geführt werden Der erste Punkt der Antwort lautet: Wir müssen richtig geführt werden! Oder soll ich sagen, wir müssen uns richtig führen lassen? Ich will versuchen, alles zu erklären. Im Mit- telpunkt des Textes, den ich vorhin verlesen habe, steht der Apostel Paulus. Auch die Gottlosesten unter uns werden mir zustimmen, daß dieser Mann ein gesegnetes Leben lebte. Da wird wohl keiner ernsthaft daran zweifeln. Deswegen können wir aus dieser Geschichte lernen, wie unser einziges Leben ein gesegnetes Leben wird. Der Apostel Paulus steht hier in einer weltgeschichtlich entscheidenden Stunde! Er befindet sich in Troas - das liegt an der Küste Kleinasiens - und entschließt sich auf einen Ruf Gottes hin, nach Europa hinüberzugehen. Der erste Schritt auf dem Weg zum christlichen Abendland wird getan. Meine Freunde, wäre Paulus damals nicht aufgrund dieses Rufes Gottes von Troas nach Mazedonien hinübergereist, dann wäre die Weltgeschichte anders verlaufen. Dann gäbe es bei uns keine Dome und keine Kathedralen und es gäbe hier auch kein Weigle-Haus. Dann säßen wir nicht heute morgen zusammen in einem christlichen Gottesdienst. Dann hätte es keinen Albrecht Dürer gegeben und keinen Johann Sebastian Bach. Man kann stundenlang fortfahren, sich auszudenken, wie das Abendland aussehen würde, wenn Paulus nicht nach Mazedonien übergesetzt und das Evangelium dahin gebracht hätte. Der erste Schritt in Richtung christliches Abendland - ein bedeutsamer, weltgeschichtlicher Augenblick! Der Entschluß, den christlichen Glauben dem Abendland zu bringen, ist nicht aufgrund langer Beratungen und Erwägun- gen gefallen. Es war nicht so, daß die Kirchenräte, Oberkirchenräte und Bischöfe von Kleinasien einen Kirchentag abgehalten hätten und dabei dann die Frage aufgetaucht wäre, ob man vielleicht nach Europa fahren und dort missionieren sollte. Nicht einmal Paulus hat eine solche Aktion erwogen. In unserem Text heißt es ganz einfach und schlicht: „Wir trachteten zu reisen, gewiß, daß der Herr uns dorthin gerufen hatte!” Luther sagte einmal von sich: „Ich bin gestoßen worden wie ein blinder Gaul.” Stellen Sie sich das vor! Wie man einen blinden Gaul vorne zerrt und hinten stößt, er weiß gar nicht, wo es langgeht - so entstand das christliche Abendland. Meine Freunde, so beginnt es. Am Anfang stehen nicht Sitzungen und nicht Telephonate, sondern die Gewißheit, „daß der Herr uns dorthin gerufen hatte”. Verstehen Sie, was das bedeutet? Im Leben von Gotteskindern gibt es Momente, in denen sie blinde Gäule sind, und der Herr selber nimmt das Halfter in die Hand. Nicht nur damals bei Paulus, auch heute noch. Obwohl Maschinen sausen und die Welt voll Lärm ist, werden Menschen von Gott geführt. Ich muß es Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Sie sind arme Leute, wenn Sie das noch nicht erfahren haben. Dann tun Sie mir leid, auch wenn Sie draußen den schönsten Wagen stehen haben. Ein gesegnetes Leben kann doch nur ein Leben sein, das Gott in die Hand genommen hat, ganz real. Ein Leben, das er führt. Wer hätte so ein gesegnetes Leben nicht gerne! Meine Freunde, dazu sind natürlich einige Voraussetzungen nötig. Die will ich jetzt gleich nennen, damit keine Illusionen entstehen: Als erstes ist es notwendig, sich von einem Leben in Sünde und Selbstgerechtigkeit zum Herrn zu bekehren. Das ist das wichtigste. Man muß sich entschlossen haben, dem Herrn zu gehören. Paulus war solch ein Mann, der durch das Blut Christi Frieden mit Gott hatte. Das war schon wieder Sprache Kanaans. Heutzutage sagen alle, die Pfarrer sollen nicht die Sprache Kanaans reden. Aber man kann die Umkehrzu Gott nicht anders und doch genauso eindeutig ausdrücken. Sie müssen die verpönte Sprache Kanaans lernen, oder sie kapieren nie etwas von einem Leben aus Gott! Paulus war also ein Mann, der Frieden mit dem lebendigen Gott gefunden hatte, weil ihm die Sünden vergeben worden waren durch Jesu Blut. Es liegt auf der Hand: Ehe der Herr mein Leben führen kann, muß ich nach Hause kommen wie der verlorene Sohn. Von Natur aus sind Sie nicht zu Hause. Da können Sie noch so ein feiner Kerl sein, von Natur aus sind Sie nicht zu Hause. Da können Sie noch so gut und edel sein, von Natur aus sind Sie draußen! Die Tür, die in das Vaterhaus führt, ist das Kreuz Jesu Christi. Jesus sagt selbst: „Ich bin die Tür!” Man kann den ganzen Sachverhalt aber auch anders ausdrücken: Ehe die verborgene Hand Gottes mein Leben führen kann, muß ich in diese Hand hineingefallen sein! Überlegen Sie einmal, wo Sie stehen. Vor dem Vaterhaus oder in dem Vaterhaus? Wollen Sie sich weiter so durchs Leben wursteln, auf eigene Faust leben? Oder sollten Sie nicht einmal innehalten und sagen: „Das Entscheidende fehlt ja meinem Leben: Ich habe mich noch nicht zum Herrn bekehrt!” Und dann folgt eine zweite Voraussetzung, die erfüllt sein muß, damit man Führung Gottes in seinem Leben erfährt. Diese zweite Voraussetzung heißt Stille. Auch das will ich Ihnen am Beispiel des Apostels Paulus zeigen. Wie kam es eigentlich dazu, daß Paulus nach Mazedonien geführt wurde? Was geschah vorher? Paulus hatte in Troas ziemlich ratlos die Küste erreicht. Er wußte nicht, wohin sein Weg führen würde. Und was macht er, ein Mann mit einem solchen Lebensprogramm - da sind wir arme, kleine Leute dagegen - ein Mann, dessen Leben völlig ausgefüllt war, was macht er? Gar nichts! Dieser große Mann wartet ab. Und in der entstandenen Stille beginnt er mit seinem Herrn, mit seinem himmlischen Herrn, zu reden. Und wartet geduldig auf eine Antwort. Auf einmal hat der rastlose Paulus Zeit. Er kann stille sein. „Und es erschien dem Paulus in der Nacht ein Gesicht: Ein mazedonischer Mann stand vor ihm” - erkenntlich an der Kleidung, denn die Mazedonier trugen andere Kleidung als die Asiaten -, „der stand vor ihm, bat ihn und sprach: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!” Es gibt Ausleger, die meinen, es wäre ein Traum gewesen. Aber nichts spricht dafür, daß es tatsächlich nur ein Traum war; alles spricht dafür, daß Paulus hellwach war in der Nacht. Und der Herr zeigte ihm das Bild des Mazedoniers. Sehen Sie, das ist charakteristisch für Gottesmenschen. Sie gehen in die Stille und reden sogar nachts mit ihrem Herrn. Sie sind mit ihm auf du und du, und der Herr antwortet ihnen. Daran erkennen Sie wahre Christen. Sie können mit David sagen: „Da ich den Herrn suchte, antwortete er mir." Das ist das Gegenteil von den gejagten Menschen unserer Zeit mit ihren dik-ken Terminkalendern. Genau das Gegenteil. Ich kann mir vorstellen, daß so ein typischer Manager hier sitzt und sagt: „Aber lieber Pastor Busch, das paßt nun wirklich nicht mehr in unser gehetztes Zeitalter!” Dann antworte ich diesem Managertyp: „Ich frage mich nur, wobei mehr rauskommt? Bei ihrer Lebenshetze, die unweigerlich Kreislaufstörung, Herzinfarkt und Tod hervorruft, oder bei einem Leben, wie es der Apostel Paulus geführt hat, wo man in der Stille vor dem Herrn leben kann.” Was meinen Sie, wo kommt mehr heraus -oder wo sind größere Segensspuren erkennbar? Sie haben nur ein Leben. Wie wird mein einziges Leben ein gesegnetes Leben? Meinen Sie nicht, daß dieses ganze Zeitalter mit seiner Hetze verkehrt marschiert? Daß wir neu lernen müssen, stille zu sein, weil wir nicht mehr wissen, was Stille heißt? Stille sein. Gestern bin ich zum Sorpesee gefahren, in die wundervolle Einsamkeit, die Ruhe, die dort herrscht. Auf einem kleinen Plätzchen mitten im Wald, dort wo die Stille nur vom Gesang der Vögel unterbrochen wird, stand ein VW. In dem Auto saß ein Ehepaar, hatte das Radio angedreht, aus dem irgend etwas Blödsinniges kam. Da habe ich gedacht: „Man kann nicht mehr stille sein, man kann es nicht!” Wie schön, daß der Mensch das Kofferradio erfunden hat, damit er den Krach überallhin mitnehmen kann, wie schön! Überlegen Sie sich, wobei mehr herauskommt: bei der Stille oder beim Krach und der Hetze? Zum Schluß dieses Teils will ich es noch einmal ganz deutlich aussprechen: Was ist das für ein Wunder, für ein großes Wunder, daß der lebendige Gott, der die Sterne in ihren Bahnen hält, das Leben eines jeden Gotteskindes leitet! Er kennt mich mit Namen, er hat einen Plan, er führt mich, er bringt mich zurecht! Das ist für die Vernunft unfaßbar und doch wahr. Wir müssen die richtigen Augen bekommen Das ist der zweite, ganz wichtige Punkt. Ein großer Mann hat einmal gebetet: „Herr, gib mir Augen, die was taugen, rühre meine Augen an.” Wir wollen uns die Situation klarmachen, in der Paulus stand. Er kam aus dem - ich gebrau- che ein modernes Wort - unterentwickelten Palästina mitten in die reiche hellenistische Welt hinein. Paulus, wird dich das nicht blenden, wenn du nach Athen und nach Rom kommst? Wirst du nicht das Gefühl haben: „Junge, da paß ich mit meinem kleinen Christentum gar nicht hin, die sind da längst drüber hinaus!” Aber Paulus ist diesen Zweifeln, die er sicherlich hegte, nicht lange ausgesetzt. Denn der Herr nimmt sich seiner an und bereitet ihn durch dieses Gesicht vor. Ich will versuchen, diese Vorbereitung zu erklären. Hoffentlich gelingt es mir. Gott zeigt ihm einen Mazedonier, erkenntlich an seiner Tracht. Diese Mazedonier waren gleichsam die Repräsentanten der beiden großen Strömungen der damaligen Welt. Einerseits waren sie tief erfaßt von dem Strom der Kultur, der von Griechenland herkam. Ich glaube, wir machen uns nur eine schwache Vorstellung davon, wie stark die geistige Kraft war, die Athen in Kunst und Wissenschaft in die damalige Welt ausgestrahlt hat. Athen war der Mittelpunkt des kulturellen Lebens. Man verstand etwas von Philosophie. Da wurde nicht so dämlich philosophiert wie heute bei uns. Die verstanden auch etwas von Kunst! Von all dem wurden die Mazedonier beeinflußt. Sie lebten in einer hochgezüchteten Kultur. Auf der anderen Seite war da noch der Strom aus Rom. Er trug die Idee des großen Weltreichs mit sich. Vor den Römern waren es die Mazedonier selbst, die diese Idee eines großen Weltreichs hatten. Sie standen auch jetzt noch im Schatten Alexanders des Großen. Von dem hatten die Römer das Weltreich, das der Welt den Frieden bringen, das eine Sprache, eine Kultur, eine Wirtschaft repräsentieren und die ganze Welt konsolidieren sollte, abgeschaut. Beide Ströme treffen in den Mazedoniern zusammen: Sie sind gleichsam die Repräsentanten, die Verkörperung der damaligen hochgezüchteten Kultur und der sinnvoll eingesetzten Macht. Was wir erlebt haben an Machtpolitik, das war ja doof, nicht? Die Römer verstanden mehr davon! Sinnvoll eingesetzte Macht! Wer diese Zusammenhänge kennt, meine Freunde, den erschüttert das, was er nun zu sehen bekommt. Dieser Mazedonier, der Paulus erscheint, ist nicht etwa ein großer Feldherr in römischen Diensten, kein kultivierter Mann, der in Athen studiert hat, nein, sondern er erscheint als elender Mann, der die Arme ausstreckt: „Komm herüber und hilf uns!” Begreifen Sie, was das bedeutet? Gott zeigt dem Apostel Paulus in dem Gesicht, was hinter der glänzenden Fassade der europäischen Kultur steckte, nämlich das arme, friedlose, unerlö-ste, schuldbeladene, triebhaft gebundene Menschenherz. In dieser Vision sieht Paulus die europäische Welt, wie sie tatsächlich ist. Er sieht den Menschen in seiner Hoffnungslosigkeit, in seinen trüben Bindungen, aus denen er nicht herauskommt, seinem sexuellen Gepeitschtsein, seinem Schreien nach Lebensstandard, seinem Verlorensein vor Gott, seiner Flucht vor der Wahrheit, seinem Streit. Und von diesem Augenblick an weiß Paulus, daß diese europäische Welt mit ihrer würdevollen Fassade, die ihm wahrscheinlich ungemein imponieren wird, doch eine elende Welt ist, die kaputt geht, die im Herzen zugrunde geht. Er weiß, daß ihr nur noch mit einem zu helfen ist, nämlich mit der wundervollen Botschaft, die er verkündigen darf: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben!” Ich hoffe, Sie haben verstanden, daß ich nicht mehr von der Welt vor zweitausend Jahren spreche, sondern daß ich schon längst von unserer Zeit spreche. Denn wir haben ja auch eine glitzernde Fassade abendländischer Zivilisation aufgebaut, hinter der sich der elende, verlorene, arme Mensch verbirgt. Wir bauen sogar für uns selber Fassaden auf: Ziehen uns sonntags schön an, schauen in den Spiegel und freuen uns, wie gut wir aussehen. Aber dahinter steckt das ganze Elend! Wer hinter die Fassade seines eigenen Lebens gesehen und das Elend und die Sünde seines Herzens erkannt hat, der ist auf dem Wege und findet Jesus, den Mann von Golgatha, den Versöhner. Und damit sind wir auf dem Weg zu einem gesegneten Leben. Man muß richtige Augen bekommen, damit man nicht mehr von der Fassade geblendet wird. Paulus hat diese Augen bekommen. Er sieht diesen notvollen Mazedonier, der ihn ruft, er sieht die innere Not der abendländischen Welt -und geht nicht daran vorüber. Er läßt sich rufen und nimmt sich seiner Brüder in Europa an. Und wir? An wieviel Not gehen wir vorüber! An innerer und äußerer Not. Das wird immer so sein, solange wir uns um uns selber drehen. Ich, ich, ich! Es geht nur um unser Ich. Jeder dreht sich um sein Ich. Und dabei kann er sogar christliche Grundsätze haben. Ich kann mich auch christlich drehen. Aber das ist ein elendes Leben! Paulus dreht sich nicht mehr um sich! Er ist am Kreuz Jesu sich selber gestorben. Als er die inwendige Not der abendländischen Welt sieht, bricht ihm das Herz - wie seinem Heiland. Er springt auf, und da ist es vorbei mit der Stille. Es muß ein Geschrei von Jesus gemacht werden! Jeder muß den kennen, der Schuld vergibt, der uns von uns selber frei macht, der uns zu Gotteskindern macht. „Da trachteten wir alsbald, nach Mazedonien zu ziehen.” Wir müssen ein gehorsames Herz bekommen Schlagen Sie doch einmal Apostelgeschichte 16 auf und lesen Sie, was vor unserem Predigttext steht. Da wird uns nämlich erzählt, daß Paulus ganz konkrete Pläne hatte, als er zu dieser Reise aufbrach. Er wollte die kleinasiatischen Provin- zen und die Gemeinden dort besuchen, um zu missionieren. Und nun steht hier: „Als sie aber kamen bis nach Mysien, versuchten sie, nach Bithynien zu reisen; und der Geist Jesu ließ es ihnen nicht zu.” So kommt Paulus ziemlich ratlos nach Troas, von wo aus ihn der Herr nach Europa ruft. Nirgends wird davon berichtet, daß Paulus etwas gesagt hätte: „Herr, ich bin doch kein dummer Junge! Ich habe meine eigenen Pläne. Ich habe mir genau überlegt, wie ich reisen will.” Nirgendwo ein Wort der Klage darüber, daß Paulus seine großen Pläne in den Tod gibt, weil der Herr etwas anderes will. Hier hat ein Mann sein Herz dem Mann von Golgatha geopfert! Das hat nichts mit Schwäche zu tun, dazu gehört ein Mann von Format. Seinen Willen dem Herrn opfern! Ich fürchte, daß viele von uns noch in ganz großen Sünden leben - in einem Streit, in einer Unkeuschheitsgeschichte, in einem Ehebruch, im Mammonsdienst, im Sorgengeist, der nicht mit dem Herrn rechnet, oder was es sei. Und sie wissen genau: Jetzt sollte ich brechen und zum Herrn Jesus gehen und sagen: „Herr, hilf mir zu einem neuen Leben!” Und wir können es nicht. Weil wir kein Format haben wie Paulus. Hier liegt das Problem der meisten Christen in unserem Land: Sie sind nicht bereit, sich und ihren Willen dem Herrn zu opfern. Meine Freunde, wie können wir denn erwarten, die Winke unseres Herrn zu verstehen. wenn wir im Groben noch so ungehorsam sind? Wer im Groben dem Herrn trotzt, kann gar keine Führung und Winke erhalten. Das ist der springende Punkt. Paulus hat eine wirkliche Bekehrung zum Herrn erlebt, weil er seinen Willen geopfert hat! Das war ernst gemeint. Ich will es so ausdrücken: ein gesegnetes Leben ist ein beständiges Einüben im Gehorsam gegen unseren Herrn. Christ wird man, indem man sich zum Herrn bekehrt. Ein Christenleben führt man, indem man sich beständig übt, sich selbst zu verleugnen und dem Herrn gehorsam zu werden. Dem Herrn, der die unendlich reich macht, die es mit ihm wagen. Sie kommen nicht zu kurz dabei. Meine lieben Freunde, ich habe am Anfang gesagt, wir haben nur ein einziges Leben. Sehen wir zu, daß wir mit diesem Leben einmal vor dem Angesicht des heiligen Gottes bestehen können! Wir werden vor ihm stehen, Sie können sich darauf verlassen! Aber wenn wir von Paulus lernen, uns dem Herrn ganz zu übergeben, ganz anzuvertrauen, uns führen zu lassen, offene Augen schenken zu lassen für die Not der Brüder, dann werden wir ganz bestimmt ein reiches und erfülltes Leben führen. Tausendmal reicher und erfüllter als all die Leben, die sich hier im Irdischen verzehrt haben. s Ein bedeutsames Gespräch „Spricht zu ihm Philippus: Herr, zeige uns den Vater, so genügt es uns! Spricht Jesus zu ihm: So lange Zeit bin ich bei euch, und du kennst mich noch nicht, Philippus? Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen!” (Johannes 14,8). y Ich habe mir lange überlegt, ob ich diese Geschichte, diesen Text in solch einer großen Versammlung auslegen darf. Ich hatte ihn mir schon einmal vorgenommen, hatte dann aber immer wieder das instinktive Gefühl, dieses Gespräch sollte man nur für sich allein lesen. Ich will Ihnen das erklären. Wenn man zufällig Zeuge wird, wie ein paar Männer sich über die tiefsten Dinge aussprechen, dann wäre es doch schrecklich indiskret, dieses Gespräch nachher in die Öffentlichkeit zu bringen. Und hier belauschen wir wirklich solch ein ganz vertrauliches Gespräch. Jesus ist allein mit seinen Jüngern. Wirklich im engsten Kreis, sogar Judas hat das Zimmer verlassen. Es ist einer der Augenblicke, in denen sich die Herzen besonders weit öffnen. Jesus weiß und die Jünger ahnen, daß wenige Stunden später ihr Meister ganz verlassen, blutig und einsam am Kreuz hängen wird. Was das Heil der Welt wurde, stand vor ihnen wie eine Katastrophe. So wird dieses Gespräch gleichsam unter einem Druck, unter einer inneren Beklemmung geführt. Und in solchen Momenten öffnen sich die Herzen in besonderer Weise. Ein vertrautes, vertrauliches Gespräch unter Männern. Deswegen habe ich gezögert, darüber in einer Versammlung von tausend Leuten zu sprechen. Aber nun ist dieses Gespräch in die Bibel eingegangen. Es hat dem Heiligen Geist, der hinter der Bibel steht, gefallen, uns dieses Gespräch in der Bibel mitzuteilen. Und die Bibel ist ein Buch für alle, für die ganze Welt! Und natürlich besonders für die, die sich im Namen Jesu Christi versammeln. Darum dürfen wir dieses Gespräch trotz seiner Vertraulichkeit vornehmen, betrachten und auslegen. Aber ich wollte sie noch darauf hingewiesen haben, daß es sich hierbei um etwas überaus Bedeutsames handelt. Ich weiß nicht, ob Gott es mir schenkt, das in der Auslegung deutlich zu machen. Es scheint mir die größte Kunst von uns Predigern zu sein, daß wir die gewaltigsten Worte Gottes, die einem den Atem verschlagen, so lange hin und her drehen können, bis sie ganz armselig geworden sind. Zeige uns den Vater Ich möchte Ihnen die Situation deutlich vor Augen stellen: Jesus hat am Gründonnerstagabend mit seinen Jüngern das Abendmahl gefeiert. Es ist zu Ende. Judas ist entlarvt. Er ist hinausgegangen in die Nacht und hat die Tür hinter sich zugeknallt. Im hohenpriesterlichen Palast rüsten sich bereits die Kriegsknechte, um Jesus zu fangen. Und nun beginnt Jesus eine längere Rede. Sie ist in der Christenheit bekannt und wichtig geworden unter dem Namen: Die Abschiedsreden Jesu (Johannes 14-17). Jesus beginnt diese Rede mit wahrhaft gewaltigen, bedeutsamen Worten: „Glaubet an Gott und glaubet an mich!” Aber bevor er so richtig loslegt, wird er - beinahe mitten im Satz - unterbrochen von Philippus. Das ist ein Mann, den wir aus den übrigen Berichten als einen stillen, ernsten Menschen kennengelernt haben. Dieser Philippus ruft auf einmal etwas dazwischen. Aus seinen Worten können wir ein wenig von dem ahnen, was in ihm vorgeht. Philippus hört die Worte Jesu; und dabei wird es ihm fast unerträglich, quälend, mit welcher Selbstverständlichkeit Jesus von Gott redet, vom Vater. „Gott”, denkt Philippus, „Gott -das ist doch ein Problem!” ^ Wenn ich an all die Religionen, die es auf der Welt gibt, denke, dann kann ich Philippus nur zustimmen. Gott ist ein Problem! Gott, denkt er, um den muß ich ringen bis aufs Blut und bekomme doch keine Gewißheit. Gott, der ist doch so unsichtbar, so grauenvoll unsichtbar, so ungreifbar! Gott - man faßt doch eigentlich immer ins Leere, wenn man Gott sagt! Deswegen wird es ihm unerträglich, wie selbstverständlich Jesus von Gott redet. Und dann unterbricht er ihn: „Zeige uns den Vater! Zeige ihn uns doch!” Meine Freunde, in diesem Augenblick spricht Philippus für Millionen Menschen! Er macht sich zum Mund unzähliger Menschen aller Jahrhunderte, die alle sagen: „Zeige uns doch Gott!” Auch der Unglaube sagt: „Zeige uns den Vater!” Wenn man so ein alter Pfarrer geworden ist wie ich und denkt zurück an die unendlich vielen Gespräche, die man mit Männern geführt hat, dann erinnert man sich an diese Frage immer wieder. „Wo war denn Gott im Krieg, als Körper zerfetzt durch die Luft flogen?/Wo war er denn in Dresden, als in einer Nacht 130 000 Menschen umkamen?/^o war er denn in den Konzentrationslagern? Zeigen Sie mir doch Gott! Ich hab’ ihn noch nie gesehen!” Einer sagte zu mir: „Die größten Fernrohre haben den Himmel abgesucht, aber mit keinem hat man Gott entdeckt!” „Zeige uns doch den Vater!” sagt auch die große Sehnsucht der Menschenherzen. Es gibt im Psalmbuch ein wundervolles Lied, das beginnt: „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, nach dir!” Da spricht ein Mensch, der in die tiefste Dunkelheit gekommen ist - von außen oder innen, das wissen wir nicht. Und er sagt: „Wenn ich die Hand Gottes sehen könnte, wäre ja alles gut, aber ich sehe sie nicht!” Von dem bedeutenden deutschen Dichter Jean Paul, einem tiefsinnigen Mann, gibt es eine kleine Schrift, in der er einmal ausführt, wie das ist, wenn kein Gott ist, wo die Toten aufstehen und die Lebenden den Christus ausschicken und sagen: „Guck doch nach, ob Gott ist!” Und er geht durch alle Himmel, aber es ist keiner da. Und dann kommt er zurück: „Es ist kein Gott!” Und die Toten stöhnen und die Welt schreit: „Dann sind wir ganz allein gelassen!” Es ist keiner da, der Himmel ist leer! Wer das einmal gelesen hat oder wer einmal in wirklicher Dunkelheit gewesen ist, der versteht den Schrei des Psalmisten: „Wenn ich die Hand Gottes sehen könnte, wäre ja alles gut, aber sie ist nicht da! Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, nach dir!” ] X Zeige uns den Vater! Wir sehen nichts, der / Himmel ist leer! Philippus spricht in diesem Augenblick für sehr viele Menschen, er spricht auch für die klugen Leute, die es in der Welt der Phrasen nicht gut aushalten und wissen wollen, was wirklich los ist.---' Vielleicht habe ich schon einmal die Geschichte erzählt, die ich als ganz junger Hilfsprediger in Bielefeld erlebt hatte. Von der freidenkerischen Presse wurde ich ziemlich eingedeckt und be- schloß, ein Blatt herauszugeben, zweiseitig und nicht sehr groß. Weil ich keinen Pfennig hatte -es war Inflation, und ich habe selbst gehungert -mußte ich Inserate sammeln. Für die Rückseite Inserate, auf der Vorderseite konnte ich meine Sache schreiben. Das Blatt hat gewirkt, mehr als manche Zeitung! Aber ich mußte Inserate sammeln! Und so bin ich losgezogen. Eines Tages sitze ich in einem schicken Büro einem großen Kaufmann gegenüber. Der sagt kühl: „Tja, also, lieber, kleiner Pastor, wenn’s um ein Geschäft geht, dann sage ich nein. Ich brauche Ihre Inserate nicht! Mein Geschäft geht auch so gut! Und wenn’s um religiöse Sachen geht, sage ich zweimal nein. Mit Gott bin ich fertig!” „So”, antworte ich, „Gott ist aber mit Ihnen nicht fertig!” Da sagt er: „Aber ich! Sehen Sie, als junger Mensch habe ich gesehen, daß die Welt voll ist mit Religion und Kirchen, mit streitenden Priestern und Pfaffen. Da hab’ ich mich gefragt, ob etwas dahintersteckt oder nicht. Jeder sagte was anderes. Wie ist das mit Gott? Und darum fing ich an zu fragen, was denn Wirklichkeit ist. Ich wollte mich nicht irgendwie dumm machen lassen, ich fragte: Was ist Wirklichkeit? Ich geriet in solche Verzweiflung, daß ich dabei strich er eine Locke zurück, die die Stirn verdeckte, auf der nun eine gräßliche Narbe zu sehen war -„mir schließlich eine Kugel in den Kopf geschossen habe. Es ging schief”, fuhr er fort, „ich wurde gerettet. Aber seitdem weiß ich, daß man auf dieser Welt nichts Gewisses wissen kann! Man muß resignieren.” Im Geist sah ich diesen jungen Mann vor mir, wie er sich nicht vom Gerede der Pastoren einnebeln ließ, sondern tiefer bohrte, um an die Wahrheit zu gelangen. Und immer wieder tauchte die gleiche Sehnsucht auf: „Wenn es Gott gibt, dann muß ich ihm gehören; wenn es keinen gibt, dann trete ich aus der Kirche aus und mache Schluß. Ich muß es wissen!” *■------- Zeige uns den Vater!” Sehen Sie, als Philippus das sagte, sprach er im Namen ungezählter Menschen. Im Namen der Ungläubigen: „Wo ist denn Gott?”, im Namen der Sehnsüchtigen: „Wie der Hirsch schreit ... Zeige uns den Vater!”, im Namen der Nachdenkenden: „Zeige uns den Vater! Dann genügt es uns, dann wissen wir, wo wir dran sind!” Philippus hat einen bedeutsamen Einwurf gemacht. Wer mich sieht, der sieht den Vater! Meine Freunde, die Antwort, die Jesus dem Philippus gibt, ist meiner Meinung nach so beeindruckend, daß die Welt aufhorchen müßte, soweit sie sich nicht das Denken prinzipiell abgewöhnt hat! Leider ist sie jedoch auf dem besten Weg dazu. Trotzdem hoffe ich immer noch auf einige Trümmer der Menschheit, die von ihrem Gehirn noch Gebrauch machen. Und die sollten aufhorchen bei der Antwort, die Jesus gibt. Wir haben hier eine der Stellen des Neuen Testaments vor uns, in denen deutlich wird, wie unerhört und unergründlich die Bibel ist. „Zeige uns den Vater!” fordert Philippus und unterbricht Jesus. Sehen Sie, wenn Menschen und nicht der Geist Gottes die Bibel geschrieben hätten, dann würde hier eine Antwort stehen, wie wir sie geben würden: „Tja, mein lieber Philippus, zeigen kann ich dir Gott natürlich nicht, denn Gott ist in einer anderen Dimension, die unseren Sinnen nicht zugänglich ist. Lieber Philippus, niemand hat Gott je gesehen. Du mußt in die Natur hinausgehen, da findest du die Spuren von Gottes Tun. Du mußt in dich hineinhorchen, vielleicht hörst du seine Stimme im Gewissen.” Solchen und ähnlichen Unsinn würden wir reden. Alles Quatsch! Kein Wort von dieser Allerweltsbürgerweisheit steht hier im Johannes-Evangelium. „Zeige uns den Vater!” sagt Philippus, und Jesus antwortet: „Was denn, kennst du mich immer noch nicht? Ich bin doch schon so lange bei euch! Wer mich sieht, sieht den Vater! Wer mich sieht, sieht Gott!” Meine Freunde, das ist entweder Wahnsinn oder höchste Offenbarung. Hier sagt Jesus - der Mann, der wegen dieser Gotteslästerung gekreuzigt wurde - unüberhörbar deutlich: „In mir ist Gott unter euch getreten!” Deutlicher kann er es gar nicht sagen, daß in ihm Gott in unsere Mitte gekommen ist: „Wer mich sieht, sieht den Vater!” . Es ist mir so wichtig, daß Sie das verstehen. Ich sehe Gott nicht in der Natur. Das ist Unsinn! Ich sehe Gott nicht im Laufe der Geschichte. Die ist ein dunkles Buch! Ich höre in meinem Innern nicht die Stimme Gottes-da höre ich lauter wirres Zeug! Aber sehe ich Jesus, dann sehe ich Gott! Wenn der Unglaube höhnt: „Wo ist denn Gott? Wir haben noch nichts gesehen, die größten Fernrohre haben ihn nicht entdeckt”, dann können wir sagen: „Bitte, du mußt Jesus anse-hen, dann hast du das Angesicht Gottes erblickt.” Das gleiche können wir allen suchenden Herzen sagen,{die sich Kugeln in den Kopf schießen,/'und auch solchen, die es nicht tun,/deren Herz schreit in der Dunkelheit ihres Lebens, wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser. Denen können wir sagen: „Du suchst Gott? Wer Jesus sieht, sieht den Vater!” Lassen Sie mich das, was Jesus sagt, einmal an einem schrecklich simplen Beispiel verdeutlichen. Es ist so simpel, daß ich mich ein ganz klein bißchen geniere vor den gescheiten Leuten, die vor mir sitzen. Aber es kommt mir nicht darauf an, daß Sie heute von meiner Intelligenz überzeugt werden, sondern daß alle kapieren, was Jesus sagt. Stellen Sie sich vor, auf der Straße treffen sich zwei Frauen - sie haben eingekauft - vor einer Haustür und unterhalten sich übers Wetter. Über was sich Frauen sonst noch unterhalten, weiß ich nicht. Und dann kommt auf einmal ein Fremder und sagt: „Verzeihung, wohnt hier in dem Haus Frau Müller?” Die eine Frau zuckt die Achseln und sagt: „Frau Müller? Nie gehört. Ich weiß gar nicht, ob’s die gibt.” Aber die andere Frau sagt: „Natürlich gibt's ’ne Frau Müller, von der habe ich schon gehört, sehr bekannter Name. Aber ob die hier wohnt, weiß ich nicht.” In dem Augenblick kommt eine Frau aus der Haustür und sagt: „Ich höre gerade meinen Namen, ich bin Frau Müller.” Sehen Sie, in diesem Augenblick gibt es keine Diskussion mehr über Frau Müller. Ob es sie gibt und wo sie wohnt - die Situation ist klar. Denn Frau Müller ist mitten unter sie getreten. Und Gott, der lebendige Gott, ist auch kein Diskussionsgegenstand mehr, seitdem er in Jesus mitten unter uns getreten ist! In Psalm 40 heißt es: „Siehe, da ist euer Gott!” Da! Es ist der größte Wahnsinn, daß selbst in der evangelischen Kirche noch und noch über Gott und Gottes Wege diskutiert wird. Das ist verschwendeter Atem! Seitdem Gott in Jesus gekommen ist, ist Gott kein Diskussionsgegenstand mehr! Wer Jesus sieht, sieht den Vater! Und ich habe nicht eine Sache zu verkündigen, über die Sie dann diskutieren können, sondern ich habe eine Botschaft auszurichten und Ihnen zu sagen. Sie können weggucken, sie können weiter im Dunkeln bleiben, aber das will ich Ihnen gesagt haben: Wer Jesus sieht, sieht Gott! Hier bricht die ganze Welt Gottes und das ganze Licht Gottes herein - in diesem schlichten Mann Jesus, den man den Propheten aus Nazareth nannte. Nun, jetzt sitzt wahrscheinlich einer meiner Jungen hier und sagt: „Pastor Busch, schön und gut, das galt für die Jünger, denn die sahen Jesus. Wir sehen Jesus aber nicht. Wir sehen den Vater nicht, und wir sehen auch den Sohn nicht. Denn Jesus lebt ja nicht bei uns.” Und nun sage ich: „Doch!” Hören Sie mir gut zu! Das ist das Seltsame und Wunderbare und Eigenartige und Göttliche und Unfaßbare am Neuen Testament: Wenn ein hungriges Herz anfängt, es zu lesen, dann sieht es Jesus! Dann liest man nicht mehr von einer früheren Persönlichkeit, sondern dann ist er auf einmal da, er tritt aus den Blättern hervor. Er selbst! Das ist das Geheimnis der Bibel! Da können trockene Gelehrte nörgelnd dran rumkritisieren, sie können feststellen, daß die Evangelien auf essenische, jüdische Sekten zurückgehen, die man am Roten Meer ... und so’n Salat. Man kann feststellen, daß der Epheser-brief höchstwahrscheinlich unecht ist und der zweite Petrusbrief, ... was weiß ich alles. Und unsere armen, jungen Theologen müssen sich mit diesen Eierschalen rumschlagen. Wenn aber ein hungriges Herz anfängt, das Neue Testament zu lesen-aufrichtig, verstehen Sie: „Wer aus der Wahrheit ist”, sagt Jesus, „hört meine Stimme” - dann ist er selber da, dann sieht man ihn. O ja, du kannst Jesus sehen - und wer ihn sieht, sieht den Vater! Fangen Sie einmal an, das Neue Testament zu lesen! Es ist vielleicht das Wichtigste, was ich in meiner Jugendarbeit den Jungens mitgebe, mitgeben möchte - ob sie es nehmen weiß ich nicht -, daß sie jeden Tag eine stille Viertelstunde mit dem Neuen Testament haben und einfach verlangend lesen und darüber beten. Denn so sieht man Jesus und in ihm den Vater. Und dann wird alles klar. Vater Ich möchte noch ein drittes Wort des bedeutsamen Gesprächs unterstreichen. Es ist das Wort „Vater”. Meine Freunde, ich komme zu dem Allerwichtigsten. Gott schenke uns noch einmal Frische, diesen Teil aufzunehmen, auch wenn er nicht lang ist. Ich glaube, ich habe den Philippus noch nicht ganz richtig erklärt. Philippus war - lesen $ie einmal Johannes 1, seine Berufung - ein ganz einfaches schlichtes, gläubiges Herz. Er war der, der sich am einfachsten Jesus ergab. Und ich bin überzeugt, daß der Philippus keinen Augenblick an der Existenz Gottes gezweifelt hat. Im Gegenteil - er kannte Gott und seine Heiligkeit so gut, daß er Angst vor ihm hatte. Es ging ihm wie David: „Meine Sünde ist immer vor mir” oder Jesaja: „Ich bin unreiner Lippen.” Philippus kannte die Heiligkeit Gottes und wußte: „Es ist doch unser Tun umsonst, auch in dem besten Leben, ich bin immer wie ein Unreiner vor ihm.” Philippus hat Angst vor Gott. Und nun hört er Jesus reden: „Glaubet an Gott.” Und von dem Moment an sagt Jesus nicht mehr „Gott”, sondern immer „Vater”. Und der Philippus denkt: „Vater, sagt der immer, Vater ... Ach, muß das schön sein, keine Zweifel mehr über Gott zu haben und keine Angst vor ihm zu haben, sondern bei ihm geborgen zu sein und sagen zu können: Abba, lieber Vater!” Und so unterbricht er Jesus: „Zeige uns den Vater! Ich kenne den Richter, und ich kenne den Heiligen Gott, den Gesetzgeber. Aber zeig mir den Vater!” Ich glaube, es sind viele hier in dieser Versammlung, deren Herz auch nach Frieden mit Gott schreit. Es sind sicher viele hier, die nichts lieber möchten, als Kinder Gottes zu werden und sagen zu können: „Abba, lieber Vater!” Darum ist das Gespräch so bedeutsam. Jesus antwortet: „Wer mich sieht, der sieht nicht irgendeinen Gott, nicht einen Herrn, der sieht den Vater! In mir siehst du das Vaterherz Gottes!” Wenn du Jesus ansiehst, dann siehst du, wie Gott dich lieb hat. „So sehr hat Gott die Welt geliebt - der Vater -, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die sich ihm anvertrauen, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.” Die ausgebreiteten Arme Jesu am Kreuz sind Vaterarme Gottes, die auf Sie warten, der Sie irgendwo in der Irre rumschwirren. Jesus finden heißt, ein Kind Gottes werden und am Vaterherzen Gottes zur Ruhe kommen mit dem ganzen Leben. Ich will noch erklären, was ein Vater ist. Als meine Kinder noch klein waren, habe ich mich nicht viel um ihre Schularbeiten gekümmert. Das sagt nichts über die Qualität ihrer Schulleistungen aus, sondern heißt bloß, daß meine Frau sich darum gekümmert hat. Aber ich erinnere mich doch noch an eine kleine Szene: Ich ging durchs Kinderzimmer, und da heult eines. Ich frage: „Was ist los?” „Ich werde nicht mehr fertig!” Und da habe ich sofort gesagt: „Komm, setzen wir uns hin, ich will dir helfen!” So sagen doch Väter, nicht? Ich will dir helfen. Gott sagt in Jesus: „Ich will dir helfen.” In dem Mann von Golgatha, liebe Freunde, da hilft uns unser lebendiger Gott! Wer zum Kreuz Jesu und zum Auferstandenen gekommen ist und sagen kann: „Mir ist geholfen”, der bekennt sogleich: „Ich habe in Jesus den Vater gefunden!” Und das wünsche ich uns allen! Unser Herz schreit: „Zeige uns den Vater!” Und Jesus antwortet: „Wer mich sieht, sieht den Vater!” Da versteht man das Wort Jesu: „Ich bin die Tür, wer durch mich eingeht, wird selig werden.” Unsere einsamste Stunde „Und die Gileaditer besetzten die Furt des Jordans vor Ephraim. Wenn nun die flüchtenden Ephraimiter sprachen: Laß mich hinübergehen! so sprachen die Männer von Gilead: Bist du ein Ephraimiter? Wenn er dann antwortete: Nein! so sprachen sie zum ihm: Sage doch: Schibbolet! Sprach er alsdann „Sibbolet”, weil er es nicht recht aussprechen konnte, so fingen sie ihn und töteten ihn” (Richter 12,5+6). Bei einem Stadtbummel kam ich an einem großen Haus vorbei, in dem, nach meiner Schätzung, mindestens 12 - 15 Mietparteien wohnen. Gerade als ich vorbeiging, kam ein alter Mann heraus. Er sagte: „Guten Tag, Pastor!” „Guten Tag”, antwortete ich. „Wie geht’s?” Ich gebe zu, daß das keine sehr geistreiche Frage ist. Sie ist weder geistreich noch originell. Sie sollten einmal die Probe machen: Wenn Sie einer fragt, wie es geht, antworten Sie doch: „Mir geht's gut, solange ich Sie nicht sehe!” Das hört der andere gar nicht. Es hat noch nie ein Mensch darauf geachtet, was auf diese Frage geantwortet wird! Aber in diesem merkwürdigen Fall geschah es nun. Als ich so ganz dumm und oberflächlich frage, verzieht sich das Gesicht des alten Mannes schmerzlich und er sagt: „Ach, Pastor Busch, ich bin so einsam!” Und das in einem Haus mit sicher hundert Menschen! Wie muß die Einsamkeit den Menschen von heute drücken, daß sie ihm bei so einer dummen Frage auf die Lippen springt! Ich meine, es ist in unserer Zeit genug und übergenug über die Einsamkeit des Großstadtmenschen geredet worden. Über den Familienvater, der allein in seiner Familie steht und von dem keiner weiß, was ihn bewegt. Über die Hausfrau, die unverstanden neben ihrem Mann herlebt. Über die Jungen, die niemanden haben, mit dem sie sich aussprechen können, und die Mädchen und so weiter. Glauben Sie nicht, daß ich darüber reden möchte! Es ist viel wichtiger, etwas anderes ganz deutlich zu sagen: Tut euch nicht so wichtig mit eurem Unverstandensein und der Einsamkeit! Wenn wir mehr lieben würden, andere lieben -verstehen Sie mich richtig: Liebe schenken-wären wir nicht mehr einsam! Solange wir dastehen und uns beklagen, wie einsam und unverstanden wir sind, werden wir es immer bleiben! Warten wir nicht auf Liebe, sondern schenken wir einmal! Dann wird es sofort anders. Liebe Freunde, ich möchte also nicht über die gängige Einsamkeit des modernen Menschen reden. Aber ich möchte Ihnen sagen: Es gibt eine wirkliche und tiefe und letzte, notvolle und ver- zweifelte Einsamkeit, in der der Mensch ganz, ganz allein ist. Und die bleibt keinem erspart! Von dieser Einsamkeit ist in unserem Text die Rede. Eine furchtbare Situation Wir wollen uns zunächst noch einmal den Text vergegenwärtigen. Was ist das eigentlich für eine merkwürdige Geschichte mit dem Schibbolet? Es war eine trübe Zeit in Israel, eine sehr, sehr trübe Zeit. Die Ephraimiter hatten aus einem nichtigen Grund Krach mit dem Stamm der Gi-leaditer, die jenseits des Jordans wohnten, angefangen. Und dann waren die Ephraimiter einfach mit einem Heer über den Jordan gezogen, in Gilead eingefallen, hatten gebrannt und gesengt und geräubert. Schließlich wurde es den Gileaditern zuviel, sie sammelten sich unter ihrem gewaltigen Feldherrn Jephtah, und in einer fürchterlichen Schlacht schlugen sie diese räuberischen Ephraimiter aufs Haupt. Meine Freunde, es warein Bürgerkrieg. Wer so alt ist wie ich, hat auch einen Bürgerkrieg erlebt. Das Schlimmste war immer das: Wenn ein Gegner geschlagen wurde und floh, warf er sein Gewehr weg und markierte den friedlichen Bürger. Und man wußte auf einmal gar nicht mehr, wo er hingekommen war. Wenn’s schief geht, wirft man einfach das Gewehr weg und ist auf einmal völlig unbeteiligt. Und genauso machten es vor 3000 Jahren die Ephraimiter! Daran sehen Sie, daß die Welt sich nicht entscheidend ändert. Als sie nun geschlagen und zerstreut waren, warfen sie ihre Waffen weg und verwandelten sich plötzlich in harmlose Viehhändler, Touristen, Kaufleute, Reisende und was es sonst noch gab. Und sie sagten sich: „Jetzt nur schleunigst zu den Furten des Jordans und rüber ins rettende Ephraim!” Wissen Sie, was eine Furt ist? Damals gab es keine Brücken über den Jordan, sondern Furten. Eine Furt ist eine Stelle, an der man den Fluß durchwaten kann, weil das Wasser nicht so tief ist. Nun flohen die Ephraimiter also als harmlose Reisende an den Jordan. Aber da erwartete sie ein neuer Schrecken: Die Gileaditer hatten vor ihnen die Furten besetzt! Jetzt konnte bloß noch Frechheit helfen! Die Ephraimiter gingen hin und sagten: „Lassen Sie mich rüber, ich muß meinen Geschäften nachgehen!” Daraufhin fragten die Posten der Gileaditer: „Seid ihr nicht Ephraimiter? Gehört ihr nicht zu den Mordbrennern?” Jetzt half bloß noch Lügen, Lügen in Angst und Schrecken: „Nein! Da gehören wir nicht zu!” Und so hätten sich diese Ephraimiter retten können, wenn sich die Gileaditer nicht eine List ausgedacht hätten. Sie sagten: „Gut, du willst rüber. Also sag doch noch einmal: ,Laß mich bitte über den Strom!’” Strom heißt auf Hebräisch Schibbolet. „Laß mich bitte über den Schibbolet!” An dieser Stelle muß ich noch einflechten, daß jeder Stamm in Israel seine Sprachbesonderhei-ten hatte. Genauso wie es bei uns ist: Ein Sachse spricht entscheidend anders als ein Württember-ger, ein Bayer anders als ein Hannoveraner. Und so war das in Israel auch. Diese Ephraimi-ter hatten die Eigentümlichkeit, wie bei uns viele Niedersachsen, daß sie kein „Sch” sprechen konnten. Sie waren also die Niedersachsen von Israel. Und nun wurden sie in aller Harmlosigkeit aufgefordert, ihre Bitte vorzutragen. Und sie sagten: „Bitte, laß mich doch über den Strom, über den ,Sibbolet”’. Genau mit diesem Satz wurden sie entlarvt: „Ah, ihr gehört zu den ephraimitischen Eindringlingen! Jetzt habt ihr euch mit eurer Sprache verraten!” Und dann wurden sie niedergemacht. Es geschah ein schreckliches Morden. Im Text steht: „42 000 fielen da an den Furten.” Es war grauenvoll. Ich versuche, mir so einen ephraimitischen Mann vorzustellen. Er ist zuerst wahrscheinlich frischfröhlich in diesen Krieg gezogen. (Es hat noch nie einen Krieg gegeben, der nicht frischfröhlich begann und mit Grauen endete.) Und dann kam auf einmal die Not und der Jammer. Man muß fliehen. Auf der Flucht kommt man an den Jordan, sieht die Feinde, denkt sich aber: Ich bin schlau, ich werde mich durchschlängeln. „Ich bin ein harmloser Mann, laß mich durch!” Doch auf einmal blitzen die Schwerter: „Du hast dich mit deiner Sprache verraten! Du bist ein Ephraimiter!” Eine grauenvolle Situation! Ich sehe diesen Mann da am Jordan stehen. Er sieht, daß es keinen Ausweg gibt. Hinter ihm kommt Jephtah mit seinem blutigen Schwert, hinter ihm der Tod! Und vor ihm am Jordan das Gericht! Und keine Möglichkeit auszuweichen! Hier ist unsere Lage dargestellt, meine Freunde. Hier ist genau unsere einsamste Stunde geschildert. Ich muß an dieser Stelle noch einmal eine Zwischenbemerkung machen: Wenn ich diese Geschichte so auslege, dann sagt man mir: „Herr Pastor Busch, das ist Allegorie, und Sie interpretieren etwas hinein!” Im Neuen Testament steht ausdrücklich mehrmals, daß die Geschichten des Alten Testaments nicht irgendwelche Kriegsgeschichten sind wie Geschichten aus dem Siebenjährigen- oder Dreißigjährigen Krieg, sondern dort im Wort Gottes steht: „Dies ist uns geschrieben zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, daß ein Mensch Gottes sei geschickt zu allem guten Werk!” Dies ist uns geschrieben! Dann ist es ja wohl unsere Aufgabe zu fragen, was uns diese Geschichte hier sagen will. Und dann dürfen wir darüber nachdenken: Wieso ist in dieser fürchterlichen Lage der Ephraimiter am Jordan - hinter ihnen der Tod, vor ihnen das Gericht - unsere Lage geschildert? Bitte stellen Sie sich die Situation vor! Da steht so ein Ephraimiter am Jordan, ganz verlassen. Jetzt hilft ihm niemand mehr. Hinter ihm der Tod, Jephtah kommt heran mit seinen wilden Scharen. Vor ihm das Gericht! Das ist Ihre und meine Lage: Vor uns ist der Tod! Es ist keiner hier, der nicht mit jeder Sekunde, die verrinnt, auf den Tod zugeht. Oder besser, der Tod kommt näher- der Tod geht auf uns zu. Ich bin überzeugt, daß er vielen von uns schon sehr, sehr nahe gekommen ist. Und vor uns ist das Gericht! Ich glaube, das macht das Sterben so schwer, daß es dann kein Ausweichen mehr gibt. Sie können jetzt ausweichen. Sie können alles, was ich sage, in den Wind schlagen. Sie können sagen, es sei Pastorenart, mit dem Tod zu drohen. Aber die Tatsache bleibt bestehen: Das Sterben ist deswegen so schwer, weil dann das Ausweichen aufhört! Weil dann unausweichlich - trotz aller Spritzen, mit denen Sie sich betäuben können - deutlich wird: Hinter mir der Tod - vor mir Gottes Gericht. Als ich ganz junger Hilfsprediger in Bielefeld war, wohnte ein Mann in meinem Bezirk, der ein großer Spötter war. Immer wenn er mich traf, zog er mich auf. Ich war damals noch ein schüchterner und hilfloser Mann, und er hat sich über meinen Glauben und über meine Predigt lustig gemacht: „Pastor, Sie machen die Leute dumm, dafür kriegen Sie viel Geld!” Und so weiter. Eines Nachts klingelt mich eine Frau aus dem Bett. Es war vielleicht ein Uhr. Ihr Mann sei todkrank und liege im Sterben. Ich bin mit ihr durch die Nacht gelaufen und stand dann am Bett dieses Mannes, der mich immer verspottet hatte. Das ist lange her, aber ich vergesse es nie, wie ich auf einmal einen völlig erschütterten und entsetzten Mann vorfand. In solchen Momenten hört das Schwätzen auf! Jetzt war ihm klar geworden, wie die Lage des Menschen ist, jedes Menschen: Hinter ihm der Tod, der schon die Hand nach ihm ausstreckt, und vor ihm Gottes Gericht, bei dem die Sünden unter der Theke hervorgeholt und auf den Tisch gelegt werden. Glauben Sie mir, Gott macht mit keiner Sünde Frieden! In dem Augenblick, wenn die Einsamkeit beginnt, wenn wir unsere Lage, die Lage des Menschen - hinter mir der Tod, vor mir das Gericht -entdecken, dann kann mir kein Mensch mehr helfen. Kein Mensch! Luther hat es in seiner In-vokavit-Predigt, die er 1522 gehalten hat, ähnlich ausgedrückt: „Wir sind allesamt zum Tode gefordert und muß ein jeglicher für sich selbst sterben! Ich”, sagt Luther, „werde dann nicht bei dir sein noch du bei mir.” Es muß ein jeglicher für sich auf die Schanze treten. Vor mir das Gericht Gottes - hinter mir der Tod. Die Bibel sagt: „Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht!” Wenn wir uns dieser Tatsache stellen, beginnt unsere einsamste Stunde! Die Stunde, in der kein Mensch uns beistehen kann. Aber ich möchte Ihnen sagen: Es ist nicht notwendig, daß diese einsamste Stunde unsere Todesstunde ist. Im Gegenteil, es wäre schrecklich! Deshalb ist es gut, wenn wir diese einsamste Stunde, in der wir unsere Lage nüchtern sehen -hinter mir der Tod, vor mir das Gericht -, vorher erleben. Ich kann hier nur wieder persönlich bezeugen, wie Gott mir diese einsamste Stunde geschenkt hat. Ich war damals ein junger Mann und stand als Soldat auf dem Schlachtfeld des 1. Weltkriegs an der Leiche eines Freundes, der neben mir totgeschossen worden war. In diesem Augenblick sah ich meine Lage. Ich war so dumm und oberflächlich. Hinter mir der Tod - er streckte die Hand nach mir aus - und vor mir Gottes Gericht, das mich verdammen würde. Mir war völlig klar: Ich komme in die Hölle! Ich streite nicht darüber, ob es eine Hölle gibt. Ich mache keine theologischen Eiertänze mit! Wenn Jesus sagt, daß man ewig verloren gehen kann, dann kann man ewig verloren gehen! Von jener Stunde an begann ich verzweifelt, in der Bibel, die ich mir verschaffen konnte, zu lesen. Und ich fand solche atemberaubenden, erstaunlichen Worte wie: „Wer den Namen des Herrn Jesus anruft, soll errettet werden.” Um Errettung ging es mir. Meine Freunde, das möchte ich Ihnen einmal sehr deutlich sagen: Es geht im Evangelium um nicht mehr und nicht weniger als um Errettung! Es geht nicht um Religion und Feierlichkeit, nicht um Pastoren, Weihrauch und was weiß ich nicht alles. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um Errettung! Das kapiert man, wenn die einsamste Stunde anbricht! Wohl niemand kann ermessen, was diese Erkenntnis, diese furchtbare Gewißheit für mich in meiner einsamsten Stunde bedeutet hat: Hinter mir der Tod, vor mir das Gericht Gottes. Und in die Verzweiflung hinein wurde mir das Wort geschenkt: „Wer den Namen des Herrn anruft, soll errettet werden!” Meine Freunde, da entdeckte ich: es ist wie bei den Ephraimitern! Die ganze Geschichte spitzt sich darauf zu, daß es ein rettendes Wort gibt, ein „Schibbolet”! An einem Wort hängt das ganze Leben, an einem einfachen Wort! Und in der Bibel spitzt sich schließlich alles darauf zu, daß es ein Wort - ich will lieber sagen, einen Namen - gibt, an dem Leben und Tod hängt! Ich entdeckte in dem Augenblick, in dem ich meine schreckliche Lage erkannte: Dieser Name, dieses Wort heißt „Jesus”! Nicht der Herr Christus - das ist ein Titel. „Wer den Namen des Herrn” - nicht den Titel -„anruft, soll errettet werden” - Jesus. Für mich ist es so wundervoll und erstaunlich, daß diese Geschichte aus dem Alten Testament, aus dem blutigen Richterbuch, schon hinweist auf Jesus! Das rettende Wort in der Geschichte hieß Schibbolet, das bedeutet Strom. Und es ist auffallend, daß die gnädige, rettende Offenbarung Gottes in Jesus in der Bibel immer wieder mit einem kristallklaren Strom verglichen wird. Am schönsten beim Propheten Hesekiel, der einen Strom ausgehen sieht vom Thron. Und wo der Strom hinkommt, da wird es lebendig und gesund. Wir singen im Weigle-Haus gern ein Lied, das heißt: „Ich weiß einen Strom, dessen herrliche Flut fließt wunderbar stille durchs Land”. In einer Strophe des Liedes heißt es: Das Wasser des Lebens, das ist diese Flut, durch Jesus ergießet sie sich! Sein kostbares, teures und heiliges Blut, o Sünder, vergoß er für dich! O Seele, ich bitte dich, komm und such diesen herrlichen Strom ...! So weist dieses Wort Schibbolet schon hin auf das rettende Wort, auf das es letztendlich ankommt: die Gnadenoffenbarung, Gottes in Jesus! Meine Freunde, ich wünsche Ihnen allen, daß Sie nicht von der Massengesellschaft unserer Zeit weggeschwemmt werden und erst im Tode, wenn alles zu spät ist, Ihre Lage erkennen und die einsamste Stunde erleben! Die einsamste Stunde wird keinem von uns erspart. Gebe Gott, daß wir dann das rettende Wort kennen: „Jesus!” - unser Schibbolet. Es kommt alles auf die richtige Aussprache an! Nun kannten die Israeliten das Wort Schibbolet auch, aber sie sprachen es falsch aus. Sie sagten Sibbolet - und dann starben sie. Das Leben hing nicht nur an einem Wort, meine Lieben, sondern sogar an der Aussprache! Ich will es Ihnen ganz deutlich sagen: unsere Errettung aus der Situation zwischen Tod und Gericht Gottes spitzt sich am Ende auf die richtige Aussprache zu! Ob wir nämlich den Namen Jesus richtig aussprechen können. Ich meine das natürlich bildlich und will Ihnen gleich erklären, was falsche und richtige Aussprache des Namens Jesus ist: Es kamen einmal Schriftgelehrte zum Herrn Jesus, „daß sie ihn fingen in seiner Rede”. Sie wollten ihm eine Falle stellen. Sie fingen an: „Herr Jesus, wir wissen, daß du ein Lehrer bist, von Gott gekommen, und lehrst den Weg Gottes recht.” Soweit war alles richtig! Die sprachen den Namen Jesus aus. Ein Außenstehender hätte gedacht: „Okay. Alles in Ordnung!” Und trotzdem meinten sie ihn ja gar nicht! Sie wollten ihre eigene Gerechtigkeit statuieren, sie wollten nicht Sünder sein, sie wollten nicht die Gnade, sie wollten ihm ihr Leben nicht ausliefern! Und darum war es eine falsche Aussprache. Solange unser Herz unbekehrt bleiben will, solange es selbstgerecht ist, können wir getrost christliche* Leute sein. Aber wir haben eine ‘„Christlich!” Das Wort allein ist schon zum Sch wach werden! Was nicht grau ist, nennt man gräulich, was nicht blau ist, nennt man bläulich, was nicht Christ ist, nennt man christlich! falsche Aussprache, wir sagen „Sibbolet” - und kommen um! Nun gab es nicht nur Schriftgelehrte, sondern auch Menschen, die es ernst meinten mit Jesus. Zum Beispiel den Schächer am Kreuz. „Ich habe den Tod verdient, aber Herr Jesus, rette mich Sünder!” Und Jesus antwortet ihm: „Du bist gerettet!” Das ist die richtige Aussprache, die zur Rettung führt. Es kann einer eine wichtige Position in der Kirche haben, aber wenn sein Herz unzerbro-chen und unbekehrt ist, dann kann er „Schibbo-let” nicht recht aussprechen! Dagegen kann ein schlichter Christ die richtige Aussprache gelernt haben, wenn er aus Herzensgrund das Lied singt: „Ach, mein Herr Jesu, wenn ich dich nicht hätte und wenn dein Blut nicht für mich Sünder redte, wo wollt ich Ärmster unter den Elenden mich sonst hinwenden!” Das ist die richtige Aussprache - die rettende Aussprache. Es kann einer allerhand Christentum und Religionen haben und eine Menge religiöser Gedanken denken und doch nicht in der Lage sein, Jesus richtig auszusprechen. Gott schenke uns allen, daß wir den Namen Jesus nicht nur als den rettenden Namen kennen, sondern daß wir ihn durch den Heiligen Geist richtig aussprechen lernen als Leute, die über sich traurig sein können, die ihre Sünden bekannt, die sich ihm ausgeliefert haben! Und zwar hundertprozentig! Gott schenke es! Gottes Bemühungen um uns Heute wollen wir über eines der seltsamen Gleichnisse und Bilder des Propheten Hosea nachdenken. Da spricht der Herr in Hosea 11: „Ich ließ sie ein menschliches Joch ziehen.” Aber vorher, in Kapitel 4,16 heißt es: „Israel läuft wie eine tolle Kuh”. Und nun geht es gewissermaßen hier weiter: „Ich ließ sie ein menschliches Joch ziehen und ließ sie in Seilen der Liebe gehen.” Vor kurzem hatte ich ein langes Gespräch mit einem Mann, der mir all das sagte, was die Leute so sagen, wenn sie mit dem Pfarrer reden: Daß andere Religionen ja auch gut seien, wiez.B. der Islam oder die Lehre des Konfuzius, und all das dumme Zeug. Und schließlich sagte er: „Sehen Sie, wieviel Mühe und Arbeit hat doch Gott den Menschen gemacht! Wie haben sich die Menschen gequält mit ihren Religionen! Wie haben sie sich bis aufs Blut bemüht, um Gott zu finden und ihm zu dienen! Und wie haben sie sich angestrengt, Frieden mit Gott zu finden! Nein, nein”, sagte er, „die Menschen haben schon so viel Mühe mit Gott gehabt!” Und das war der Grund für ihn, jetzt Schluß zu machen. Er wollte nichts mehr mit Gott zu tun haben. „Die Menschen haben viel Mühe mit Gott gehabt!” Meine Freunde, ich habe gelacht und gesagt: „Das heißt ja nun wirklich die Dinge auf den Kopf stellen. Umgekehrt ist die Sache richtig! Der lebendige Gott hat viel Mühe mit uns! Bis zum heutigen Tag quält sich Gott um den Menschen! Um Sie und um mich! So herum ist es richtig!” Gott sagt schon durch den Mund des Propheten Jesaja-kennen Sie die Stelle?-„Ja, mir hast du Arbeit gemacht mit deinen Sünden und hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten.” Gott hat Mühe mit uns! Und sehen Sie, davon spricht auch unser wunderlicher Text. Also, wir haben uns vorgenommen, die ausgefallenen Gleichnisse des Hosea zu besprechen. Bitte - für nervenschwache Leute ist es vielleicht nichts. Dieser Text spricht von einer tollen Kuh. Gott hat Mühe mit uns! Das wollen wir vielleicht nicht hören. So etwas gehört nicht zu den „aktuellen Themen”, oder? Ich war neulich dabei, als eine Mutter mit ihrem Sohn sprach, der nicht richtig spurt. Dabei sagte sie ihm in ihrer Herzensnot, wie sie für ihn gesorgt und was sie alles für ihn getan habe. Doch da unterbricht sie der Junge ziemlich barsch und sagt: „Ach, hör auf damit!” Das ist die natürliche Reaktion. Wenn wir von den Bemühungen Gottes um uns sprechen, werden viele in ihrem Herzen - nicht laut - sagen: „Ach, hör auf damit! Das interessiert mich nicht!” Wir wollen es mit dem lebendigen Gott nicht so machen! Wir wollen wirklich still werden und hören, was er uns sagt über sein Mühen um uns. Das Thema dieser Predigt lautet: „Gottes Bemühungen um uns.” Damit jeder weiß, wo er dran ist, habe ich die Predigt in drei Teile gegliedert. Zuerst reden wir über die tolle Kuh. Jawohl, Sie haben richtig verstanden: K-U-H. 1. Die tolle Kuh Sehen Sie, als ich noch ein Junge war, durfte ich meine Ferien immer in einem Dörflein auf der Schwäbischen Alb verbringen. Meine Mitarbeiter, die jetzt für eine Woche mit mir in der Gegend waren, werden mir bestätigen, daß das eine Pfundsgegend ist. Es war schön dort auf der Schwäbischen Alb! Oh, wie habe ich, wenn ich wieder in Frankfurt war, geweint vor Heimweh nach der Alb! Wir waren also in einem kleinen Dörfchen, und da waren arme Bauern. Pferde hatten sie nicht, und Traktoren gab es damals noch nicht. Wenn also aufs Feld gefahren werden mußte, um etwas einzufahren, wurden Kühe eingespannt. Ich weiß noch, wie stolz ich war, als ich zum ersten Mal selbständig eine Kuh eingespannt habe. Ich war vielleicht zehn Jahre alt. Da wurde vor die Stirn dieser Kuh ein Joch gelegt - ein breites Brett -daran waren starke Riemen gebunden, die wur- den durch ein Ledergehäuse gezogen und dann hinten unter der Deichsel befestigt. Das war eine aufregende Sache, und ich war sehr stolz auf meine neuerworbenen Kenntnisse. Eines Tages ging ich zu unserem Nachbarn Franz, der auch seine Kühe gerade anspannte, und sagte: „Franz, i möcht’ helfe!” Und der Nachbar Franz antwortete: „Gang no weg, dees kaascht net. Die Kuh isch störrisch!” Und damit war es mit meiner Herrlichkeit zu Ende. Ich sah dann noch von weitem zu, wie der Franz sich mit seiner Kuh herumquälte, die stößig und störrig war. Und nun, in unserem Textwort, vergleicht der lebendige, heilige, majestätische Gott-nicht ein gemütlicher Herrgott, von dem die Leute reden, den gibt’s nicht! Ich rede von dem heiligen, schrecklichen Gott, der die Welten geschaffen hat durch ein Wort - dieser Gott vergleicht sich mit einem Bäuerlein, das sich mit einer störrischen Kuh herumquält. Und meine Freunde, mit der störrischen Kuh meint er uns! Sie und mich! Vorher, in Kapitel 4,16 steht: „Israel läuft wie eine tolle Kuh ...” Andere Ausleger übersetzen hier „... wie eine widerspenstige Kuh”. Dieses Bild von der Kuh, die nicht ins Gespann will, taucht immer wieder auf. Und weil ja der lebendige Gott durch dieses Wort zu uns redet - es ist ja nicht ein altes, antiquiertes Museumswort, das einmal irgendwo geredet wurde (diese Meinung können Sie den Theologieprofessoren überlassen) - darum können wir dieses beleidigende Wort getrost auf uns beziehen. Das ist eigentlich schrecklich. Ich kann Ihnen versichern, daß ich mich damit schon ganz schön gequält habe. Da sitzen vor mir nette, ordentliche, anständige Leute, treue Kirchensteuerzahler, die schließlich mein Gehalt aufbringen und die es ja wohl wert wären, daß ich freundliche und nette Worte zu ihnen sagte und ihr religiöses Gefühl vielleicht ein bißchen kitzelte - doch dann fährt der lebendige Gott dazwischen und sagt: „Hört mal: Ich möchte euch, dich, Menschenkind, vor meinen Wagen spannen. Aber du bist eine tolle, widerspenstige Kuh!” So sagt Gott hier! Da sollte man doch - wie man hier in Essen sagt - auf die Palme gehen, nicht wahr? Meine Freunde, man sollte nicht hochgehen. Man sollte bei so einem unerhörten Bibelwort ganz still werden und zugeben, daß Gott recht hat. Bitte überlegen Sie sich einmal Ihre Geschichte mit Gott. Denken Sie einmal über Ihr Leben nach. Hat Gott nicht recht? Wir wollen ja gar nicht unter seinem Joch gehen! Ein bißchen christlich sein-gut. Kirchlich sein-gut. Religiös sein - gut. Aber nicht unter dem Joch des lebendigen Gottes gehen! Daß unser Herz und Wille und Leben ihm gehört, wollen wir ja gar nicht! Wir wollen unsere Freiheit. Ist es nicht so? Und darum wehren sich unser Fleisch und Blut beständig gegen Gottes Willen und gegen Gottes Führung. Und meine Freunde, dabei merken wir vielleicht nicht einmal, daß wir durch unseren Widerstand gar nicht in die Freiheit kommen, sondern unter das harte Joch unserer Trie- be, unserer Gier, unter die Peitsche von Menschen, unter die Seile Satans. Wenn Gott hier sagt: „Ich ließ sie ein menschliches Joch ziehen und in Seilen der Liebe gehen”, dann könnte man von vielen Weltmenschen sagen: Der Teufel läßt sie ein unmenschliches Joch ziehen, wobei das Herz voller Qual ist. Er läßt uns in Seilen der Vereinsamung gehen, wo die Welt gegen uns steht und wir gegen die Welt. Hier steht also: Wir sind eine widerspenstige Kuh, und Gott ist der Bauer, der uns anspannen will. Doch wir wollen nicht. Das paßt uns nicht! Wir wollen vielleicht auf Gottes Weide gehen, aber nicht vor seinen Wagen gespannt werden! Und sehen Sie, das steht hier: Gott hat viel Mühe mit uns. Als ich bei der Vorbereitung an diese Stelle kam und darüber nachdachte, wieviel Mühe es Gott kostet, einen einzigen Menschen zu einem willigen Gotteskind zu machen, war ich erschüttert. Gott muß erwählen und rufen. Da muß so ein Menschenkind den Heiland finden, der mit seinem Blut alles neu macht und die Vergangenheit auslöscht, da muß der Heilige Geist das Herz in Besitz nehmen, da muß die ganze Macht des dreieinigen Gottes aufgeboten werden, damit ein einziger Mensch ein williges Gotteskind wird. So viel Mühe machen wir Gott! So viel Mühe kostet es ihn, einen einzigen Menschen von der Hölle zu erretten! Ja, wir sind die widerspenstige Kuh. Je mehr wir darüber nachdenken, desto deutlicher empfinden wir, daß das eigentlich ein unerhörtes, beleidigendes Wort ist, ein Schlag ins Gesicht. Und doch müssen wir ihm recht geben. Dieses Wort von der widerspenstigen Kuh ist ja ein Bild aus der Landwirtschaft. Und nun besteht die Gefahr, daß meine Jungens hier gleich abschalten, denn die können eine Kuh schon nicht mehr von einer Ziege unterscheiden - so wenig Ahnung haben sie von Landwirtschaft! Ich müßte ja eigentlich als Jugendpfarrer - denen man täglich predigt: „Ihr müßt die Sprache der Zeit reden” - diese Worte in unsere moderne Sprache übersetzen, in die Sprache der Technik. Etwa so: „Wir sind vor Gott wie ein Motor, der nicht anspringen will, oder wie ein Getriebe, bei dem man den zweiten Gang nicht reinkriegt ... Gott will den Motor anspringen lassen, aber du springst nicht an, Mensch!” So hieße es in unsere Sprache übersetzt. Aber, liebe Freunde, es hat seine Bedeutung, daß Gott hier von der Kuh spricht, daß hier ein Tier genannt wird. Das hängt nicht nur damit zusammen, daß damals, als dieses Wort zuerst gesprochen wurde, die Leute eben Ackerbauern waren. Es hat einen viel tieferen Sinn: Der Mensch, der sich gegen Gott wehrt, wird tierisch. Je weiter sich der Mensch von Gott entfernt, desto tierischer wird er. Du, widerspenstige Kuh, Israel, du wirst zum Biest, zum Tier! Ein bedeutender Mann hat einmal gesagt: „Humanität ohne Divinität gibt Bestialität.” Meine Freunde, wenn wir uns gegen Gottes Joch wehren, werden wir nicht nur friedelose und arme Leute, wir verlieren auch unser Menschenangesicht, und das scheint mir das schrecklichste Kennzeichen unserer Zeit zu sein. Gott weiß, warum er „Kuh” sagt. Nun kommt der zweite Teil: Das menschliche Joch Was jetzt folgt, ist nicht ganz einfach, darum müssen Sie besonders gut aufpassen. Sehen Sie, jetzt spricht Gott von seinen Bemühungen und sagt: „Ich ließ sie ein menschliches Joch ziehen!” Ist das nicht ein merkwürdiges Wort: ein menschliches Joch? Manche Ausleger sagen: „Das ist doch ganz einfach: Das menschliche Joch bedeutet ... nun ja, das Gegenteil wäre unmenschlich. Gott geht nicht unmenschlich mit den Menschen um. Gott ist nicht hart und böse und unmenschlich, sondern nett und freundlich und menschlich.” Ich glaube, daß dieses Wort einen viel tieferen Sinn hat. Und ich will versuchen, ihn zu erklären: Ich sagte schon, Gott will uns vor seinen Wagen spannen, und dann sagt er dieses merkwürdige Wort vom menschlichen Joch, das er uns auflegen will. Wenn wir das Wort „menschliches Joch” recht verstehen wollen, müssen wir uns klarmachen: Das Gegenteil ist nicht unmensch- lieh, sondern das Gegenteil von menschlich ist göttlich. Gott könnte mit dem widerspenstigen Herzen göttlich umgehen, daß er dein Herz zur Einsicht und zum Gehorsam bringt. Er hat einmal eine Kostprobe davon gegeben, bei der Sintflut. Wenn der Mensch vor Gott in die Knie geht, geht Gott majestätisch mit ihm um. Oder am Berg Sinai. Kennen Sie die Geschichte? Als der Berg rauchte und bebte und der Posaunenton immer durchdringender wurde, lief das Volk Israel davon und schrie: „Mose, wir können nicht mit Gott reden, rede du mit ihm!” Gott kann göttlich und majestätisch mit uns reden, so daß der Gottloseste und Eigensinnigste zerbricht und in die Knie geht! Das wird einst geschehen am jüngsten Tag. Verlassen Sie sich darauf! Aber nun sagt Gott: „Ich will anders mit den widerspenstigen Herzen umgehen.” Er verleugnet seine Göttlichkeit und geht menschlich auf uns ein, so wunderbar menschlich, daß er selbst ein Mensch wird! Gott wird Mensch. Da liegt ein Kindlein in der Krippe, und es ist doch Gott. „Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute. Gottes Kind, das verbind’t sich mit unserm Blute.” Gott verleugnet seine Göttlichkeit und geht menschlich auf uns ein. O meine Freunde, die Menschwerdung Gottes in Jesus ist das anbetungswürdigste Wunder in der Welt. Daß die Menschen nicht mehr darüber nachdenken, zeigt ihre bodenlose Borniertheit und Dummheit. Gott nähert sich uns ganz menschlich, und dieser Jesus, der da in der Krippe lag, der geht so menschlich auf uns ein, daß er unsere eigentlichen, menschlichen Nöte anpackt. Was sind denn unsere eigentlichen Nöte? Wenn ich die Zeitung lese oder die Leute frage, dann könnte man meinen, die eigentlichen Nöte der Menschen wären Gehaltsaufbesserung, Steuerreform, Ehe- und Familienprobleme - oder Zahnschmerzen. Meine Freunde, das ist Unsinn, das sind nicht die eigentlichen Nöte! Die eigentlichen Nöte unseres Herzens, die tiefste Not deines Herzens ist dein böses Gewissen, das sündigt! Du kannst nicht vor Gott bestehen, weder im Leben noch im Sterben noch im Gericht. Das unruhige, schuldbeladene Gewissen, das ist die tiefste Menschennot. Und nun tritt dieser Jesus neben uns und sagt: „Komm, jetzt sag mal: ,Ich habe gesündigt.’ Sag nicht: ,Meine böse Frau oder mein böser Mann, meine böse Nachbarin oder meine dumme Veranlagung,’ sondern sag: ,Ich habe gesündigt’ und leg mir deine Sünde hin. Ich, Jesus, will sie ans Kreuz tragen und schenke dir dafür meine Gerechtigkeit!” Die Vergebung der Sünden durch Jesu Blut ist die Lösung der größten und tiefsten Menschheitsnot, die es gibt. Wo Jesus Vergebung der Sünden schenkt, da fängt die Heilung dieser armen Welt an. Und ich möchte ein Zweites nennen - unsere eigentliche, tiefste Not ist unser böses, selbstsüchtiges Herz, mit dem wir alles verderben. Als ich die letzten vier Freizeiten hinter mir hatte und Bilanz machte, sagte ich: „Gott hat lauter Freude geschenkt. Das einzige Problematische war der Leiter der Unternehmung, der Pastor Busch.” So. Unser böses, ichsüchtiges Herz, mit dem wir alles verderben, ist die Ursache allen Übels. Kennen Sie das nicht? Hier liegt unsere Not. Darum werden wir mit dem Leben nicht fertig. Aber jetzt tritt Jesus neben uns und sagt: „Ich lebe. Gib mir, mein Sohn dein Herz! Ich will es zerbrechen und an seiner Statt in dir regieren.” Sie verstehen, in Jesus kommt Gott so herrlich menschlich zu uns, daß ein Kind begreifen kann, wie man in Jesus Heil, Leben und Frieden bekommt. Und sehen Sie, das ist das menschliche Joch. So menschlich will er uns zu sich ziehen in sein Gespann! So ganz nah kommt uns der Heiland. Darf ich einmal die Bibelkenner darauf aufmerksam machen, daß der Herr Jesus dieses Wort von Hosea aufgenommen hat. Kennen Sie es? Er hat doch gesagt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch ... denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.” 3. Seile der Liebe Gott spricht noch einmal von seinen Bemühungen: „Ich ließ sie in Seilen der Liebe gehen.” Da muß ich wieder an meine Kunststücke als Bauer denken. Wenn ich eine Kuh anschirrte, wurde ihr das breite Joch vor die Stirn gelegt, daran waren starke Stricke befestigt, die gingen an der ganzen Kuh entlang und wurden ziemlich weit hinter ihr am Wagen angebunden. Wenn man es so betrachtet, war die Kuh richtig eingeschlossen von diesen Seilen, und es ist wundervoll, wie Gott genau dieses Bild hier gebraucht: „Ich ließ sie in Seilen der Liebe gehen”. Das heißt: Mensch, ob du’s glaubst oder nicht, du bist eingeschlossen von der Liebe Gottes. Und wer es näher wissen will, der schaue auf Jesus, sein Kreuz und seine Auferstehung, dann weiß er es: „Gott ist die Liebe, läßt mich erlösen, Gott ist die Liebe, er liebt auch mich.” Ich bin eingeschlossen von der Liebe Gottes wie die Kuh von den Seilen. Sehen Sie, ich muß jetzt noch einmal an meinen Nachbarn Franz denken. Er lebt noch und leitet die Gemeinschaft in Hülben. Der Nachbar Franz hat also seine Kuh angespannt, die störri-ge und stößige Kuh. Nun soll’s losgehen, aber die Kuh will nicht. Sie steht quer in den Seilen, schlägt aus, strampelt, geht hinten und vorn hoch und wirft ihre Hörner auf - kurz, sie macht dem Franz viel Mühe. Aber eins kann sie nicht: Sie kommt nicht heraus aus den Seilen! „Ich ließ sie in Seilen der Liebe gehen.” Und wenn ein Mensch sich gegen Gott empört und sagt: „Ich will ja sündigen, es geht mich einen Dreck an, was die Bibel dazu sagt, ich will mich nicht um Gott kümmern!” - eins kann er nicht: Er kann nicht verhindern, daß der lebendige, schreckliche, heilige Gott ihn liebt. Das ist anbetungswürdig! Gott liebt diese Menschen. Nach 35 Jahren Pfarramt ist es einem nicht ganz leicht, das zu verstehen, aber Gott tut es! Glauben Sie mir, Gott liebt diese Menschen, er liebt auch mich. Das ist das Erstaunlichste, wenn man sich selbst kennt: Er liebt auch mich. Ein Sohn kann seinen Vater beleidigen und kränken, er kann schließlich weglaufen, aber eines kann er nicht verhindern: daß der Vater ihn liebhat. Und genauso ist es mit Gott. Wir können Gott kränken, wir können ihn beleidigen, wir können ihm trotzen, aber eins können wir nicht: verhindern, daß er uns liebt bis zu unserem letzten Atemzug. Diese schrankenlose und wahllose Liebe Gottes wird mir immer am deutlichsten, wenn ich einem Menschen, der mir widerspricht, sagen kann: „Jesus starb auch für dich. So lieb hat dich Gott!” Ich kann in Gefängnisse hineinrufen, in einen Karnevalssaal, wo gesündigt wird, daß die Sünde zum Himmel schreit: „Jesus starb auch für euch!” Es ist grauenvoll, dieses Wort in den Wind zu schlagen, denn nun komme ich zu dem, was mich so erschüttert. Wenn Sie das 11. Kapitel des Hosea durchlesen, finden Sie im Zusammenhang mit unserem Text drei Sätze, die schrecklich sind. „Ich ließ sie in Seilen der Liebe gehen, aber sie merkten es nicht.” Und dann ein paar Zeilen weiter „...aber sie wollen sich nicht bekehrenUnd zwei Verse weiter: „Und wenn man ihnen predigt, richtet sich keiner auf.” Das ist eine schauerliche Resignation Gottes vor einer Welt, die sich nicht helfen lassen will und darum so zugrunde geht, wie sie es wünscht. Als ich diese drei Sätze las: „Es merkt’s keiner, es bekehrt sich keiner und es richtet sich keiner auf, wenn man ihnen predigt”, da ging mir auf: Ich muß zu Gott rufen, er möge es mir doch ersparen, daß ich predigen muß wie Hosea: „Und wenn man ihnen predigt, richtet sich keiner auf”, es bleibt alles beim alten! „Herr, ich möchte nicht predigen müssen wie Hosea!” sagte ich zu Gott. „Ich möchte rufen und auch glauben, daß es bei uns heißt: Sie hören von den Seilen der Liebe und merken es auf einmal, die Augen gehen ihnen auf, und sie bekehren sich. Solche Menschen sagen: „Nein, es soll nicht beim alten bleiben!” Sie wenden sich um 180 Grad und laufen in die Arme dieses Herrn - wie der verlorene Sohn. Und wenn man ihnen predigt, richtet sich da und dort einer auf aus dem Schlaf des Todes und setzt seine Füße auf den Weg des Friedens. Ich bete darum, daß dies geschieht, und ich glaube, daß es geschehen wird. Und nun lassen Sie uns beten: „Herr, dein Wort ist sehr mächtig, aber du sagst selbst: Es wird gepredigt den einen als ein Geruch des Lebens zum Leben und den anderen als ein Geruch des Todes zum Tode. Herr, und ich bitte dich, laß diese bleibende Wirkung auch in dieser Gemeinde offenbar werden! Amen.” Wilhelm Busch wurde 1897 in Elberfeld geboren und wuchs in Frankfurt/Main auf. Dort besuchte er bis zum Abitur das Gymnasium. Während des Ersten Weltkriegs kam er an der Front zum lebendigen Glauben an Jesus Christus. Nach dem Krieg studierte er Theologie in Tübingen und war anschließend Gemeindepfarrer in Bielefeld. Danach wurde er nach Essen berufen, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1966 als Jugendpfarrer wirkte. Dieses Büchlein enthält Ansprachen über Apostelgeschichte 16,9+10; Johannes 14,8, Richter 12,5+6 und Verse aus Hosea 4 und 11, die wir von alten Tonbändern übernommen haben. Itcilic 3w zeigt auf verschiedene Art und Weise das erstaunliche, oft verblüffende Eingreifen Gottes in das Weltgeschehen und in das ganz persönliche Leben unserer Mitmenschen. Entdecken Sie in diesen Taschenbüchern das machtvolle, umgestaltende Handeln Gottes in unserer Zeit und was er durch diese Berichte und Zeugnisse in Ihrem eigenen Leben bewirken kann. ISBN 3-89437-626-0