Wilhelm Busch – Die Ewigkeit soll unser Leben prägen

 

4. Sonntag nach Epiphanias

»Denn dein ist das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit

in Ewigkeit! Amen!« (Matthäus 6, 13)

 

Noch ist deutlich in meiner Erinnerung, wie ich als kleiner Junge einmal mit meiner älteren Schwester bei Nacht unter dem Sternenhimmel stand. Da erklärte sie mir, die Sterne seien große Welten. Und manche seien Tausende von Lichtjahren entfernt. Fast erschrocken schaute ich in die fernen Räume. Und dann fragte ich: »Was kommt denn da­hinter?« Sie schwieg. »Du, was kommt denn dahinter?« — »Ja, dahinter ist auch dasselbe — der endlos weite Raum!« — »Ja, aber irgendwo muss das doch aufhören?« -»Nein! Es hört nicht auf, der Raum ist unendlich.« Mir wurde schwindlig. Und ich begriff, wie wenig wir be­greifen können. So unfassbar wie die Unendlichkeit des Raumes ist uns die Unendlichkeit der Zeit — die Ewigkeit! »Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit -in Ewigkeit.« Es ist, als würden wir nun am Schluss des Va­terunsers an das Gestade eines Meeres geführt, wo sich der Blick verliert im Grenzenlosen.

Wir wollen aber dies Wort betrachten, indem wir es hinein­stellen in den Zusammenhang des Wortes Gottes.

 

 

»...in Ewigkeit.«

 

 

1 Ewigkeit — der Gegensatz zu allem Irdischen!

In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts machte sich der Kaufmann Heinrich Schliemann auf, um die alte Stadt Troja in Kleinasien auszugraben. Bei dem türkischen Dorf Hisserlik begann er zu graben. Da fand er sieben Städte untereinander. Welch ein Bild menschlicher Vergänglichkeit! Da entstand eine Stadt mit all ihrem brau­senden Leben. Und dann sinkt sie in Schutt. Eines Tages bauen andere auf den Trümmern. Und wieder Vergehen und Bauen und Vergehen.

Gottes Wort sagt: »Alles Fleisch ist wie Gras und alle seine Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras verdorrt und die Blume verwelkt.«

Vor ein paar Wochen stand ich in Württemberg auf den Ruinen eines römischen Kastells, das man ausgegraben hat. Da lag der Rest eines rostigen römischen Schwertes. Ich sah im Geist den römischen Krieger vor mir, wie er stolz sein Schwert faßte und »Roma aeterne« (ewiges Rom) sagte. Nun konnte man die Herrlichkeit für 0,20 RM. an­sehen. So ist alles Irdische.

Von Gott aber heißt es: »Dein ist die Herrlichkeit — in Ewigkeitl« Welch eine Kluft zwischen Mensch und Gott!

 

2. Ewigkeit — sie ragt in die Vergänglichkeit hinein

Stellt euch einen Ertrinkenden vor, der in einen reißenden Strom gestürzt ist. Nun reißt ihn die wirbelnde Strömung mit. Aber wenn er den Kopf über Wasser bekommt, dann sieht er fern die rettenden Ufer.

So sind wir: mitgerissen vom Strom der Vergänglichkeit. Und so ein Wort wie der Schluss des Vaterunser lässt uns sehnsüchtig hinüberschauen an die Gestade der Ewigkeit, der unvergänglichen Welt.

Aber, Freunde! Nun darf ich euch das Evangelium, die frohe Botschaft bringen. Es gibt einen Punkt, da ragt die Ewigkeit hinein in die vergängliche Welt. Eine Insel der Ewigkeit ragt hinein in den flutenden Strom der vergäng­lichen Zeit. Das ist das Kreuz Christi von Golgatha. Wer hier angekommen ist, der hat seine Füße auf den Felsgrund der Ewigkeit gestellt.

Zur Zeit der Ebbe hatte sich ein junger Mann zu weit auf den bloßgelegten Meeresgrund hinausgewagt. Plötzlich überraschte ihn die Flut. Er konnte den Strand nicht er­reichen. Da rief man ihm vom Ufer zu: »Retten Sie sich zum Kreuz!« Unfern von ihm war nämlich auf einer vor­springenden Landzunge zur Erinnerung an ein unterge­gangenes Schiff ein hohes eisernes Kreuz auf einem Steinsockel errichtet worden. Dahin drang er nun vor, kletterte an dem Kreuz empor und klammerte sich da fest — bis ein Boot ihn heimholte.

Jede meiner Predigten soll ein Ruf sein: »Rette dich zum Kreuz!« Hier ragt die Ewigkeit in die Zeit. Hier ist Halt im flutenden Strom der Zeit. Und hier ist der Ort, von wo aus der Herr seine Leute heimholt zur Herrlichkeit, in's ewige Vaterhaus.

 

3. Ewigkeit — sie soll das Leben der Christen prägen

Es gibt zweierlei Menschen: Weltmenschen und Ewigkeits­menschen. Das Leben der Weltmenschen ist geprägt vom Wesen dieser vergänglichen Zeit und Welt. Was ist denn das für ein Wesen? Wenn die Bibel das Wesen der vergäng­lichen Weltmächte schildern will, dann gebraucht sie das Bild von reißenden Tieren. Das Wesen der Welt ist tierisch, bestialisch.

Das Wesen der Ewigkeit aber ist durch ein anderes Tierbild geschildert. Wer Offenbarung 5 gelesen hat, der weiß: im Mittelpunkt der ewigen Welt ist »ein Lamm, wie wenn es geschlachtet wäre.« Das ist der gekreuzigte Heiland. Und nun werden Ewigkeitsmenschen nach seinem Bild geprägt, Das Ideal der Ewigkeitsmenschen ist es, dem Lamm« ähnlich zu werden.

Vor kurzem fuhr ich mit einem jungen Offizier, der das Ei­serne Kreuz erster Klasse trug, und der nun gefallen ist, im Zug. Als wir einen Augenblick im Gang standen, setzte sich ein frecher Kerl auf unseren Platz, obwohl wir den Platz belegt hatten. Ich wollte eben auffahren, da zog mich der junge Offizier, der ein Christ war, nur leise am Arm weg. Sein Gesicht war so unglücklich, dass ich so wenig dem Lamme ähnlich sei. Er sagte kein Wort. Aber mir ge­nügte es. Ich schämte mich. Der freche Mensch aber schaute erschrocken auf den jungen Offizier — es wurde ihm unbehaglich. Und dann stand er auf und ging. Er war auf eine neue Welt gestoßen. Oh, dass die Ewigkeit unser Leben prägte!

Was das bedeutet, will ich noch an einem anderen Beispiel zeigen. Das Wesen dieser Welt ist Friedlosigkeit. Ewigkeit aber — das ist Frieden. Vom Lamme Jesus geht ein großer Friede aus. Darum ist ein Ewigkeitsmensch in großen Frieden förmlich eingehüllt. »Sie schmecken den Frieden bei allem Getümmel.« Lest nur einmal die Apostelge­schichte 7, wie Stephanus gesteinigt wird. Mitten in dem Tumult steht dieser Mann mit einem himmlischen Frieden. Und wir können nur beten: »Schenk gleich Stephanus uns Frieden, mitten in der Angst der Welt, wenn das Los, das uns beschieden, in den schwersten Kampf uns stellt ... « Und noch eins: Ewigkeitsmenschen haben ihren Stand­punkt über den Dingen. Als einst das gewaltige römische Reich seine Macht einsetzte, die Christen auszurotten, da sagte ein erfahrener Christ: »nubicula — transibit!«(Es ist ein Wölkchen — es wird vorübergehen!) Ja, Ewigkeitsmenschen haben einen erhabenen Stand­punkt. Sie wissen um die Vergänglichkeit aller Dinge. Auch um die Vergänglichkeit des Leides.

Am Ende heißt es bei ihnen (Offenbarung 7, 17): »Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.«