Wilhelm Busch

Die Suchaktion Gottes

Kurzgeschichten der Bibel

 

Von der seltsamen Sorge der Gläubigen

 

Psalm 31, 23: „Ich sprach in meinem Zagen: Ich bin von deinen Augen verstoßen. Dennoch hörtest du meines Flehens Stimme, da ich zu dir schrie.“

 

Vor kurzem erzählte jemand von einer Dame, die sich einen neuen Mantel gekauft hatte. Dann stellte es sich heraus, dass die Farbe des Mantels nicht zu dem Blau ihres Autos passte. Nun war sie ganz unglücklich und wusste nicht, ob sie ihren Mantel umtauschen oder den Wagen neu lackieren lassen sollte. Als die Geschichte erzählt wurde, sagte einer der Zuhörer trocken: „Wunderliche Sorgen haben die Leute!“

Wenn nun diese Dame hier wäre in unserm Gottesdienst, dann würde sie wahrscheinlich den Spieß umdrehen und von uns denken: „Wunderliche Sorgen haben die Leute!“

In unsrer Kurzgeschichte erzählt nämlich der König David von seiner großen Sorge in einer der dunkelsten Stunden seines Lebens: „Ich meinte in meiner Angst: Ich bin von den Augen Gottes verstoßen.“ Und es gibt keinen gläubigen Christen, der diese Angst nicht kennt.

Aber – erzählt das einmal einem unerweckten Weltmenschen! Er wird nur lächeln und sagen: „Komische Sorgen habt ihr!“ Also lasst uns heute sprechen von der seltsamen Sorge der Gläubigen!

 

1) Um welche Sorge handelt es sich?

 

Es ist die Angst, dass der lebendige Gott mich von seinen Augen verstoßen hat.

Diese schreckliche Angst kennt nur der Mensch, der von der Wirklichkeit Gottes weiß, dem es durch und durch gegangen ist: „Fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns.“ Vor kurzem sagte mir eine Frau: „Ich bin sehr religiös und habe auch meine Kinder religiös erzogen.“ Da habe ich ihr erwidert: „Sie kennen den lebendigen Gott ja gar nicht!“ Solange ich religiös bin, bin ich es, der Gedanken, Gefühle, Lehren annimmt oder verwirft.

Ich bin nicht religiös. Aber ich kenne Gott und weiß: Er kann mich annehmen oder verwerfen. Und vor dem „Verwerfen“ habe ich Angst.

Diese Angst kennt nur der Mensch, der die völlige Freiheit Gottes kennt, das wirklich zu tun. Einer der größten Glaubensmänner war Abraham. Mit diesem Abraham hat Gott einmal dreizehn furchtbare Jahre lang nicht mehr geredet, als er falsche Wege gegangen war. Wir sind nicht Abraham. Wäre es so wunderlich, wenn Gott uns ganz von seinen Augen verstieße?

Ein Weltmensch kann die Angst vor diesem „Verwerfen“ einfach darum nicht verstehen, weil er die Lebensnotwendigkeit Gottes für uns nicht kennt. Da steht vor meinem Geist so ein Märtyrer aus der ersten Christenheit. Man sagt ihm: „Schwöre deinem Gott ab, sonst nehmen wir dir Hab und Gut.“ Er überlegt: „Friede mit Gott ist mein Lebenselement. Was hilft mir mein Besitz, wenn ich nicht mehr atmen, beten und in Gott leben kann?“ „Du willst nicht?“ brüllt man ihn an. So werden wir dich den Löwen vorwerfen.“ Der Märtyrer denkt: „Was wäre das für ein Leben ohne Frieden mit Gott! Das wäre unerträglich. Und so geht er vor die Löwen – und bleibt im Leben.

Für einen Christen bedeutet der Friede mit Gott das Leben; dies ist die Luft, in der allein er atmen kann; es ist das Element, in dem allein er existieren kann.

Und darum ist es eine grauenvolle Vorstellung, Gott könnte mich nicht mehr wollen.

In diese Not ist David gekommen: „Ich sprach in meinem Zagen: Ich bin von deinen Augen verstoßen.“

 

2) Wozu führt diese Sorge?

 

David sagt es: „… da ich zu dir schrie …“

Ich habe in meiner Bibliothek viele Bücher über das Gebet. In fast allen ist die Rede von einem Beten, das aus der Stille kommt und in die Stille führt. Wohl uns, wenn wir solch ein Beten kennen! Aber davon ist hier nicht die Rede. „… da ich zu dir schrie …“ – da ist der Lärm abgründiger Verzweiflung, da ist ein Schreien aus schrecklicher Not.

Vor Jahren hatte ich einmal eine Freizeit in Caub am Rhein. Am ersten T ag gingen wir schwimmen. Kaum waren die ersten Jungen im Wasser, da wurden sie wirbelnd fortgerissen. Es war furchtbar. Nun, sie wurden durch Lotsen die in ihren Kähnen saßen, gerettet. Aber ich höre noch immer dies verzweifelte Schreien. So, – so verzweifelt drang das Schreien Davids an Gottes Ohr: „… da ich zu dir schrie.“

Wenn wir dies Schreien verstehen wollen, müssen wir fragen: „Wie kam David denn dazu, dass er sich von Gottes Augen verstoßen meinte?“ Darüber gibt uns der Psalm, aus dem unsre Kurzgeschichte stammt, Aufschluss.

Er kam in äußere, schwere Not. Er ist König, er trägt Verantwortung. Und nun geht alles schief. Er sagt: „Ich höre das Zischeln der Vielen, / Schrecken rings umher, / da sie gegen mich beraten, / sie wollen mir das Leben nehmen.“ O ja, äußere Nöte können in tiefe Dunkelheit, Einsamkeit und Verzweiflung führen. Aber David kennt ja den Ausweg: Gott ist doch noch da! Er will beten. Da – ja, da fällt ihm ein: Wie kann ich noch Hilfe finden? Ich habe ja leichtsinnig gesündigt. Er sagt: „Meine Kraft ist verfallen vor meiner Missetat.“ Nun ist die äußere Not gar nicht mehr so wichtig. Jetzt verklagt ihn sein Gewissen vor Gott. „Meine Sünden scheiden mich von meinem Gott.“ Von dieser Not heißt es in einem Lied: „Es gibt im Leben ein Herzeleid, / das ist wie die weite Welt so weit, / das ist wie Bergeslasten schwer, / das ist so tief wie das tiefe Meer. – Das ist das große Herzeleid, / wenn um die Sünde die Seele schreit …“ Ja, da fürchtet man es: „Ich bin von deinen Augen verstoßen.“

Nun muss ich etwas sehr Wichtiges sagen: Ich glaube, dass sehr viele Menschen mit einer verborgenen Verzweiflung im Herzen herumlaufen, weil sie – wie David – es wissen: Meine Sünden scheiden mich von meinem Gott. Aber dann bleiben sie dabei stehen.

Zwei Beispiele: Als ich in einer bergischen Stadt eine Evangelisation hatte, fragte ich einen jungen Mann: „Warum kommen Sie nicht in meine Versammlungen?“ Er zuckte die Schultern. „Glauben Sie, dass ein Gott ist?“ „Ja!“ erwiderte er. „Tun Sie seinen Willen?“ fragte ich. „Nein!“ antwortete er hart. Da war mir klar: Es geht ihm wie uns allen: Wir schieben die Frage nach Gott von uns, weil zwischen ihm und uns Schuld liegt.

Als ich jetzt in einem schwäbischen Städtchen Vorträge hielt, lud eine fromme Mutter ihren erwachsenen Sohn dazu ein. Da schrie der wild: „Nein! Ich will nicht hingehen! Der Mann dort hat Recht! Aber wenn ich hingehe, dann bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Da will ich lieber, dass mein Gewissen schläft. Dann habe ich wenigstens Ruhe!“

 

3) Welches große Wunder darf man bei solcher Sorge erleben?

 

Wenn ihr den ganzen Psalm 31 lest; dann werdet ihr finden: David schrie nicht vergeblich. Unser Text berichtet: „Du hörtest meines Flehens Stimme.“ Und in vielen andern Stellen will es mir vorkommen, als wenn ein Boot nach halsbrecherischer Fahrt in einen stillen Hafen einfährt: „Du verbirgst mich heimlich bei dir.“ „Ich freue mich und bin fröhlich über deine Gute.“ „Seid getrost und unverzagt, alle, die ihr des Herrn harret.“

Ja, „du hörtest meines Flehens Stimme“.

Wie geschah das? Ja, wie? Wie soll ich das klarmachen? Da kann ich doch nur bezeugen, wie es je und dann bei mir geschah, wenn ich meinte, ich sei von seinen Augen verstoßen:

Er zeigte mir, dass er an meiner Statt einen andern gestellt hat, der meine Missetat auf sich nahm und dann an meiner Statt verstoßen wurde von seinen Augen.

Da sah ich Jesus. am Kreuz. Ich sah ihn in der grauenvollen Nacht jenes unheimlichen Karfreitags am Kreuz. Und ich hörte wie er schrie in seinem Zagen: „Mein Gott! Mein Gott! Warum hast du mich verlassen?“

Und ich wusste die Antwort: „Um meinetwillen! Die Strafe hegt auf Ihm, auf dass ich Frieden hätte. Und durch seine wunden bin ich geheilt.“

Und nun kann im zum Schluss nur sagen wie David im 20. Vers: „Wie groß ist deine Güte, die du verborgen hast für die, welche die Angst vor dir kennen!“