Wilhelm Busch

Morija

 

„Und Gott sprach zu Abraham: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn daselbst zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde."                                                

1. Mose 22, 2

 

Manchmal packt mich die Angst, Gott und wir könnten aneinander vorbeireden. Wir schreien unsre Not zu Gott, dass Er uns helfe. Aber Gottes Wort antwortet: „Ich habe euch Heil gegeben in Jesus. In Ihm ist euch geholfen. Wie unter euren heidnischen Vorfahren das Kreuz aufgerichtet wurde, so muss es bei euch wieder geschehen." — Darauf antworten wir: „Ach nein, nicht das Kreuz! Wir brauchen Geld und Wohnungen und Gesundheit." Gottes Wort aber sagt: „Es ist in keinem andern Heil als in Christus, dem Gekreuzigten." Ob nicht alle unsre Heil-Losigkeit daher kommt, dass das Kreuz nicht in unsern Herzen aufgerichtet ist?

Darum wollen wir uns mühen um das Verständnis des Kreuzes Christi, weil wir glauben, dass das not-wendig ist, d. h. dass es die Not wendet.

 

 

Der geopferte Sohn

 

1. Also hat Abraham Gott geliebt, dass er seinen Sohn gab

Da fordert Gott eines Tages von Abraham: „Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn daselbst zum Brandopfer auf einem Berg, den ich dir sagen werde."

Die Bibel gibt nun keine psychologische Darstellung des Seelen­schmerzes. Sie berichtet nur: „Da machte sich Abraham frühe auf..." Wir sehen ihn schweigend ins Land Morija ziehen, begleitet von seinem Sohn und einem Knecht, der den Esel führt. Und der Esel trägt nicht nur den Proviant, sondern auch das Holz zum Opfer. Als sie an dem Fuß des geheimnisvollen Berges angelangt sind, lässt Abraham den Knecht mit dem Esel zurück, legt das Holz auf den Sohn, nimmt das Messer und das Feuer. Und dann gehen sie mit­einander.

Welch ein Weg! Einmal unterbricht der Sohn das Schweigen: „Mein Vater! Hier ist Feuer und Holz. Aber wo ist das Schaf zum Brand­opfer?" Was geht wohl in Abrahams Seele vor, als er antwortet: „Gott wird sich ein Opfer ersehen", — und als sie dann miteinander den Steinaltar bauen, — und als er seinen Sohn bindet? Das war ja ein besonderer Sohn. Gott hatte ihn verheißen, als Abra­ham noch jung war. Und ein langes Leben hindurch hatte Abraham auf diesen Sohn gewartet. Mit ihm sein Weib Sara. Doch erst, als sie alt waren und die Vernunft nicht mehr hoffte, da hatte ihnen Gott den Sohn gegeben. Ganz besondere Verheißungen ruhten auf ihm. Und nun ist Abraham bereit, ihn zu opfern, als Gott ihn fordert. Wie muss er Gott lieb haben!

Wir fordern nur immer etwas von Gott: Hilfe, Erlösung, Trost, Gaben. Und auch Rechenschaft verlangen wir von Gott, wenn Er tut, was wir nicht begreifen.

Abraham aber ist bereit, sein Liebstes zu opfern. Was für eine un­ermessliche Liebe zu Gott muss das sein!

 

2. Also hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen ein­geborenen Sohn gab

Jahrtausende sind seit dieser Geschichte ins Land gegangen. Das Land Morija — es ist die Gegend um Jerusalem her — hat manche Veränderung erfahren. Da wird auf jenem geheimnisvollen Berg — es ist der Berg Golgatha — wieder ein Altar aufgerichtet. Und wieder schickt sich ein Vater an, seinen geliebten Sohn zu opfern. Diesmal ist der opfernde Vater der heilige Gott selbst. Und das Opfer ist Jesus Christus, der Sohn Gottes. Wo einst Abraham seinen Isaak band, da steht nun Jesus, gebunden, bereit zum Opfer. So ist Isaak ein Vorbild auf den gekreuzigten Christus. Aber — wie viel wunderbarer ist das, was in Jesus geschieht! Zwar tat Abraham etwas, was uns unfassbar groß erscheint: Er opfert sein Liebstes Gott. Aber eben doch dem Gott, der es wert ist, dass man Ihm alles gibt, dem Gott, der Abraham gesegnet und geliebt hatte, dem Gott, der Abraham tausendmal das Herz abgewonnen hatte. Gott aber opferte Sein Liebstes einer Welt, die Ihn verachtet und be­leidigt hat; einer Welt, die Ihn hasst und verspottet, die Ihn vergisst oder wie einen bösen Knecht behandelt, einer Welt, die nicht wert ist, dass man sie liebt, einer Welt, die bestialisch, gemein, niedrig, ent­setzlich ist, die so ist, wie wir sind. „Also hat Gott diese Welt ge­liebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab ..." Was für eine unermessliche Liebe muss das sein! Wenn die Menschen auf den Jammer der Welt zeigen und rufen: „Da seht, Gott liebt uns nicht mehr!", dann weisen wir auf das Kreuz und rufen: „O seht, wie sehr Er uns liebt!"

Es ist nicht Spielerei, wenn ich euch von Isaaks Opferung zum Kreuze Jesu führe. Ein Größerer hat das schon getan: Paulus. In der alttestamentlichen Geschichte lobt Gott den Abraham: „Du hast deines einzigen Sohnes nicht verschont." Das gleiche Wort braucht Paulus in Römer 8, 32 und sagt: „Gott hat seines eingeborenen Sohnes nicht verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben." Und dann fährt er fort: „Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken!" Das heißt: Nimm jetzt nur erst einmal diesen fundamentalen Liebes­beweis Gottes im Glauben an! Von da aus lösen sich alle Fragen und Nöte.

Darum sagen wir: Der Blick auf das Kreuz ist not-wendig. Er wendet die Not deines Lebens.

Ein Missionar berichtet von einem Hottentotten. Der hatte mit Mühe Johannes 3, 16 gelernt: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen ein­geborenen Sohn gab..." Eines Tages trat er reisefertig vor den Mis­sionar: „Sende mich! Ich muss gehen und die gute Botschaft allen verkünden!" Der Missionar wandte ein: „Du kannst ja nichts als nur den einen Spruch." „Ist das nicht genug?" rief der Schwarze. „Wer­den die Leute sich nicht freuen und Herz und Ohr öffnen, wenn sie hören, dass Gott auch sie liebt?!"

 

3. Im Opfer ist die Versöhnung für unsere Sünden

Nun müssen wir auf die Abrahamsgeschichte zurückkommen. Ich habe sie noch nicht zu Ende erzählt: Abraham hatte seinen Sohn auf den Altar gelegt. Er ergriff das Messer, um ihn zu opfern. Da rief ihm der Engel des Herrn zu: „Lege deine Hand nicht an den Knaben! Nun sehe ich, dass du Gott fürchtest."

„Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder in der Hecke mit den Hörnern hangen. Und er nahm den Widder und opferte ihn."

Dieses Opfer hat mich beschäftigt. Man kann ja wirklich nicht sagen, dass dem Abraham dies Opfer ein gleichwertiger Ersatz für seinen Sohn war. Denn der Widder kostete ihn gar nichts. Den fand er. Was soll also dies Opfer noch?

Seht, in dieser Stunde stand Abraham in erschütternder Weise vor Gott. Und da wusste er, was jeder in solcher Lage weiß, dass ein Sün­der vor Gott nicht bleiben kann ohne Versöhnung. Die Bibel erzählt auch von Abrahams Sünde. Die stand in dieser Stunde groß vor ihm. Für die brauchte er jetzt die Versöhnung. Darum flüchtete er zum Opfer. Dies Widderopfer war dem Manne Gottes nur ein Hinweis auf das kommende, große Versöhnungsopfer Jesu am Kreuz. So können wir sagen: Er stellte sich unter das Kreuz, in die Versöhnung mit Gott. Da wurde ihm der Friede Gottes geschenkt. Das brauchen auch wir vor allem, diesen Frieden Gottes, der aus der Versöhnung kommt. Stürme gehen über die Welt. Wenn der Sturm den Ozean peitscht, bleibt doch die Tiefe des Meeres ganz ruhig. So ist einer, der im Frieden Gottes steht. Sein Leben ruht in Gott. Wie wünsche ich uns das!