Am 27. März wäre ein großer Evangelist 125 Jahre alt geworden: Wilhelm Busch (1897– 1966). Der Jugendpfarrer wirkte vor allem im Essener Weigle-Haus. Seine Evangelisationen in ganz Deutschland zogen Tausende an. Sein daraus resultierendes Buch „Jesus unser Schicksal“ erlebte bis heute Millionenauflagen in über 40 Sprachen. Matthias Hilbert erzählt unbekanntere Episoden aus dem Leben Wilhelm Buschs. Wenn bei Christen von Wilhelm Busch die Rede ist, werden sie kaum den gleichnamigen Humoristen meinen, sondern wahrscheinlich den einstigen Essener Evangelisten. Er leitete als „ältester Jugendpfarrer der Welt“ – so bezeichnete er sich gerne selbst – bis zu seiner Pensionierung 1962 in Essen das Weigle-Haus. Ein auch heute noch bekanntes christliches Jugendheim, das zu Buschs Zeiten eine ungeheure Zugkraft auf (männliche) Jugendliche ausübte. Busch bot ihnen nicht nur ein vielfältiges Freizeitprogramm, sondern wusste sie auch für Christus zu begeistern. Das galt auch für seine Evangelisationen, in denen er mit seiner kompromisslosen „Jesus unser Schicksal“-Botschaft die Zuhörer in seinen Bann zog. Doch es gibt auch noch einen „anderen“ Busch. An ihn soll hier erinnert werden. Die „Universität für Erwerbslose“ So ließen Busch in der Zeit der großen Weltwirtschaftskrise die Not und Perspektivlosigkeit der arbeitslosen jungen Männer in seiner Stadt keine Ruhe. 1931 reifte in ihm der Plan, eine „Universität für Erwerbslose“ zu gründen. Schon bald versammelten sich jeden Tag etwa 500 junge Arbeitslose in den Räumen des großen Jugendhauses. Das „Kollegangebot“ war vielfältig: Es reichte von Fremdsprachen- und Mathematikunterricht über Lehrgänge in Landwirtschaft, Architektur und Stenografie bis hin zu Musik- oder Sport-Angeboten. Jeden Morgen gab es für die hungrige „Studentenschaft“ ein Frühstück, das sich Busch erfolgreich zusammenzubetteln wusste. Und so hatten diese jungen Leute nicht nur wieder einen strukturierten Alltag, sondern sie eigneten sich auch neue Kenntnisse an. Es war eine bunt gemischte Schar junger Männer, die auf dieser „Hochschule“ miteinander auskommen musste: SA-Leute und Kommunisten, Atheisten und überzeugte Jesus-Jünger. Manchmal ging es hoch her. Nicht zuletzt in der wöchentlichen „Weltanschauungsstunde“. In ihr verkündigte Busch in einer kurzen Ansprache das Evangelium, wobei Gelegenheit zu anschließender Diskussion gegeben war. Auseinandersetzung mit Hitler-Jugend Zwei Jahre später kamen in Deutschland die Nazis an die Macht. Die neuen Machthaber wollten von Anfang an die Jugend unter ihre Kontrolle bekommen und sie in die Hitler- Jugend (HJ) eingliedern. Doch Busch versuchte, unbeirrt mit seiner Jugendarbeit weiterzumachen. Daraus ergaben sich allerlei Konflikte. Einmal drohte sogar die Gefahr, dass die HJ das Weigle-Haus okkupieren würde. Anfang 1934 war es in Essen Mode geworden, dass die HJ nachts irgendein katholisches oder evangelisches Jugendheim überfiel und besetzte. Das war zwar illegal, doch die Polizei stellte sich blind und die Justiz taub. Der ehemalige Frontoffizier und Freikorpsangehörige Busch wollte aber auf keinen Fall sein Jugendheim kampflos der Hitler-Jugend überlassen. Er beschloss mit seinen Mitarbeitern, es im Notfall zu verteidigen, und richtete bis zu 50 Personen starke Nachtwachen ein. Eines Nachts ging es wirklich los. Angehörige der HJ versammelten sich vor dem Haus und versuchten, es gewaltsam einzunehmen. Doch auf den erbitterten Widerstand der zum Teil mit Gummischläuchen bewaffneten Weigle-Haus-Verteidiger waren sie nicht vorbereitet. Busch: „Ich hatte meinen Jungs gesagt: ‚Wenn schon, denn schon.‘“ Am Ende mussten die Angreifer Hals über Kopf flüchten. Schmerzhafte Erkenntnisse Busch und seinen Jungen war also in der Anfangszeit der Naziherrschaft ein Husarenstück geglückt. Da stieß er kurz darauf auf ein Buch des reformierten Pfarrers Joseph Chambon über die Geschichte der im 17. und 18. Jh. so grausam verfolgten Hugenotten. Ihr Versuch, sich mit Gewalt dem Unrecht zu widersetzen, war am Ende gescheitert. Und sie mussten die Erfahrung machen, dass Gott nicht den Weg des gewalttätigen Widerstandes segnet. Wilhelm Busch: „In unserem Jugendkreis wurde das Buch studiert. (…) Wir begriffen plötzlich, was das heißt im Neuen Testament: ‚Wir sind geachtet wie Schlachtschafe. Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen.‘ (…) Wir begriffen auf einmal, was es heißt: Ich stell mich hin und lass mich schlagen und beschimpfen. Das ist der Weg Jesu, wie er nach Golgatha ging. (…) Das waren schmerzhafte Erkenntnisse.“ „Busch ist unverbesserlich“ Dass Busch es in der Folgezeit verstand, das mittlerweile erfolgte Verbot kirchlicher Jugendarbeit immer wieder fintenreich zu umgehen, verärgerte die Gestapo gewaltig. Und auch manches, was er in Wort und Schrift äußerte, wurde von ihr moniert. In einem im Mai 1936 verfassten Gutachten des NSDAP-Kreisleiters über die politische Zuverlässigkeit Buschs heißt es u. a.: „Busch ist unverbesserlich. Es ist höchste Zeit, dass ihm der Einfluss auf die Jugend genommen wird. (…) Die politische Zuverlässigkeit wird unbedingt verneint.“ Mehrmals war er im Verlauf der Nazizeit Verhören und vorübergehenden Inhaftierungen ausgesetzt. Andersdenkende stehenlassen Unter den Eindrücken des Zweiten Weltkrieges wurde Busch zum Pazifisten. Gemeinsam mit Gustav Heinemann, dem langjährigen Vorsitzenden des Trägervereins des Weigle-Hauses und späteren Bundespräsidenten, setzte er sich in der Adenauer-Ära gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und gegen die atomare Aufrüstung ein. In dem von ihm redigierten Blatt „Licht und Leben“ positionierte er sich in diesen Fragen deutlich. Doch Busch sprach politisch Andersdenkenden nicht ihr Christsein ab, stattdessen war ihm an einem offen ausgetragenen Diskurs und gegenseitigem Respekt gelegen. So meinte er einmal in Bezug auf die Remilitarisierung Westdeutschlands: „Ich habe wirklich Brüder im Glauben, die meine Ausführungen empörend finden. Sie werden trotzdem meine Brüder sein und ich der ihrige. Ich sehe also an ihnen, dass man als Christ über die Aufrüstungsfrage auch anders denken kann. Aber wir wollen uns alle im Folgenden einig sein: – Dass man in der Gemeinde Jesu über die Fragen sprechen muss; – dass wir unser Urteil bilden müssen vor Gott, frei von (…) rechthaberischem Wesen; – dass die Einheit der Gemeinde Jesu im Glauben gegeben ist.“ Und dass Busch in seinen Predigten oder in seiner Jugendarbeit nicht politisierte, sondern stets die christliche Heilsbotschaft in den Mittelpunkt stellte, auch das kann als durchaus nachahmenswert empfohlen werden. p Busch widersetzte sich den Nationalsozialisten. Am 1. Mai 1933 fand ein Weigle-Haus-Aufmarsch auf dem Essener Burgplatz statt. Wilhelm Busch Als junger Leutnant fand Wilhelm Busch in den Schrecken des Ersten Weltkrieges zum Glauben an Jesus Christus. In den 1920er Jahren war er Gemeindepfarrer in einem Bergarbeiterbezirk in Essen. 1930 wurde er zum Jugendpfarrer und Leiter des Essener Jugendhauses – später Weigle-Haus genannt – berufen. Während des Nationalsozialismus war er Anhänger der Bekennenden Kirche. Nach seinem Tod erschienen im Jahr 1967 unter dem Titel „Jesus unser Schicksal“ 17 evangelistische Vorträge Buschs. Er war verheiratet und hatte vier Töchter und zwei Söhne, von denen der eine im Kleinkindalter verstarb und der andere als Soldat in Russland fiel. Wilhelm Busch (l.) im Gespräch mit Jugendlichen am Rande der Gründungsveranstaltung „Kein anderes Evangelium“ in der Dortmunder Westfalenhalle Matthias Hilbert (Gladbeck) ist Lehrer i. R. Er ist Verfasser des 2021 erschienenen Buches „Unvergessene Pastoren und Evangelisten. Sechs Lebensbilder“ (Adlerstein- Verlag/BoD | 132 Seiten | ISBN 978-3- 7534-4223-5 | 9,90 Euro) IDEA DAS CHRISTLICHE SPEKTRUM 12.2022 © Foto(s) EPD-BILD / HANS LACHMANN; PRIVAT