Abschrift
des Vortrages von Arnold Fruchtenbaum,
Israelkonferenz 1992, gehalten am 10.01.1992
Ich lese ein paar Verse aus Hebräer 12
. . ,sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion
und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und
zu Zehntausenden von Engeln, zu der
Festversammlung und zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel
angeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten
Gerechten, und zu Jesus, dem Mittler des
neuen Bundes, und zu dem Blut der Besprengung, das Besseres redet als [das Blut] Abels.
Ich habe Tom gebeten, jetzt mit uns zu beten:
Vater wir danken Dir für das Vorrecht, das wir haben, einfach vor Dir zu stehen. Du Allerheiligster Israels, Du Schöpfer der ganzen Welt und des ganzen Weltenraumes, möchtest Gemeinschaft mit uns haben: Was für ein Wunder. Wir preisen und loben Dich für deine Gnade. Du hast uns in Deine Gemeinde gestellt aus reiner Gnade, Halleluja HERR. Wir loben und preisen Dich heute Abend. Und jetzt wo wir zu Deinem Wort kommen, HERR, öffne Du unser Herz, öffne Du unsere geistlichen Augen, rüste Du den Redner aus, rüste Du Dein Wort aus und lass es uns packen, wo wir es brauchen. Lehre Du uns HERR, wir sind hungrig; lass uns nicht hungrig weggehen, sondern erfülle uns mit Deinem Wort durch Deinen Geist. Nimm uns jetzt, HERR, so wie wir sind und wirke auf uns, und in uns und durch uns, zu Deiner Ehre. Im Namen Jesus, Amen.
Bitte schlagt eure Bibeln bei Lukas 5 auf. Unser Thema ist nach wie vor „das Leben Jesu aus einer jüdischen Perspektive“ und wir werden verschiedene Themen um diesen Punkt herum entwickeln. Heute Morgen haben wir mit den Lehren Jesu und seinen Schwierigkeiten mit den Pharisäern angefangen und diesen Punkt werden wir nun heute Abend weiterführen. Wir haben den größten Teil der Zeit damit verbracht, die Heilung des Aussätzigen zu betrachten und wie das zu der Phase der Beobachtung und der der Befragung führte. In Kapitel 5, in den Versen 33-39, finden wir den Konflikt zwischen Jesus und den Pharisäern über die jüdischen Traditionen. Und hier beginnen wir den Hauptbereich des Konfliktes zwischen Jesus und den Pharisäern zu sehen. Er hatte mit dem Aufbau von Traditionen und Gesetzen zu tun, der sich zuvor über 4 bis 4, 5 Jahrhunderte entwickelt hatte. Und zur Zeit Jesu hatte dieser schon die gleiche Autorität wie die Schrift selbst. Um zu verstehen, worum es sich bei diesem Konflikt handelt, müssen wir ein wenig in die jüdische Geschichte zurückgehen, um zu sehen, wie sich die pharisäische Theologie in den ersten Jahrhunderten Israels entwickelt hat.
Als die Juden aus der babylonischen Gefangenschaft zurückkehrten, hat die geistliche Führung anerkannt, dass der Grund für ihre Gefangenschaft im Ungehorsam gegen das mosaische Gesetz bestand. Die Juden kamen aus Babylon zurück, wir lesen das im Buch Esra, und sie gründeten eine Schule, die sich die Schule der Sopherim nannte, was Schriftgelehrte bedeutet. Sopherim ist die Pluralform, die Singularform ist Sopher[1]. Der ursprüngliche Zweck bestand darin, die geistlichen Führer zusammenzubringen, um Leute heranzubilden, die das Gesetz kennen und das Volk darin unterweisen würden. Sie nahmen jedes der 613 Gebote Mose und haben Erklärungen dazu abgegeben, was es bedeutet, diese Gebote zu halten und was es bedeutet, sie zu brechen. Durch Erkenntnis dieser Dinge würden sie das Gesetz halten, so dachten sie, und so würde es keine weitere babylonische Gefangenschaft mehr geben. So weit, so gut. Was sie bis dahin taten, war etwas, was jeder Bibellehrer tut, wenn er den Grundtext nimmt und seine Bedeutung erklärt.
Als die erste Generation der Sopherim vergangen war, hat die nächste Generation diesen Auftrag noch viel ernster genommen und sie sagten, es ist nicht genug, dass wir das Gesetz nur erklären, wir müssen weitergehen und einen Zaun um das Gesetz aufrichten. Sie hatten die Thora, die Moses gab, mit 613 einzelnen Geboten, und das Prinzip war, einen Zaum um diese Gesetze zu bauen. Woraus bestand nun dieser Zaun? Er bestand aus neuen Regeln und Vorschriften, die natürlicherweise auf den 613 Gesetzen aufbauten. Das waren die rabbinischen Gesetze, oder die Gesetze vom Zaun. Sie dachten folgendermaßen: Ein Jude mochte auf diese Weise zwar ein Gesetz des Zaunes brechen, aber es würde ihn davon abhalten, durch den Zaun zu brechen und ein originales mosaisches Gesetz zu übertreten, und auf diese Weise könnte man das göttliche Gericht vermeiden. Sie stellten diese neuen Regeln nach folgendem Prinzip auf: Zwei Sopherim können unterschiedlicher Meinung über eine Sache sein, aber sie können nicht der Thora widersprechen. Die Thora ist von Gott selbst an Mose gegeben worden und ist somit heilig. Darüber kann man nicht streiten. Da sie aber all diese neuen Regeln aufstellten, gab es genug Dinge, in denen sie unterschiedlicher Meinung sein konnten, solange, bis sie durch Mehrheitsbeschluss zu einer Entscheidung gekommen waren. Und nachdem diese Entscheidung durch Mehrheitsbeschluss getroffen war, wurde es zu einem Gesetz, dem alle Juden folgen mussten. Von da an gab es keine Alternative mehr. Man benutzte eine typische Form der Logik, die Pilpul hieß, was gepfeffert oder scharf bedeutet; es war eine Art rabbinischer Logik. Die Frage war, wie viele neue Gebote man aus den Originalgeboten herausziehen könnte. Durch dieses System hatten sie also für jedes der 613 Gebote, die durch Mose gegeben wurden, hunderte oder sogar tausende zusätzlicher neuer Gesetze. Lasst mich nun darstellen, wie die Pilpul-Logik funktioniert.
Ein mosaisches Gebot lautet, du sollst eine Ziege nicht in der Milch der Mutter kochen. Das Gebot wurde ursprünglich gegeben, um einen kanaanitischen Brauch zu vermeiden. In der kanaanitischen Religion hat man, wenn eine Ziege ihr Erstgeborenes bekam, das Zicklein von der Mutter getrennt, hat Milch von der Mutter genommen und es dann in der Milch seiner Mutter gekocht. Das war ein Erstlingsfrucht-Opfer für ihre Götter. Aber die Juden sollten diese Art von Götzendienst nicht praktizieren und deshalb sollten sie eine Ziege nicht in der Milch der Mutter kochen. Gott gab dieses Gebot an Mose im Jahre 1400 vor Christus. Die Sopherim entstanden erst um 400 vor Christus. Es waren also tausend Jahre vergangen seitdem; es waren keine Kanaaniter mehr da und den ursprünglichen Grund für dieses Gebot hatte man bereits vergessen. Die Sopherim stellten sich die Frage: Wie können wir sicherstellen, dass niemals, niemals, niemals ein Zicklein in der Milch seiner Mutter gekocht wird? Und so ist das Pilpul hineingekommen. Und so sagten sie, wenn man ein Stück Ziegenfleisch isst und mit diesem zusammen ein Glas Milch trinkt, dann besteht immer die Möglichkeit, dass die Milch von der Mutter dieser Ziege stammt. Wenn man nun beides zusammen hinunterschluckt, so kochen sie im Magen und man hat somit das Gesetz gebrochen. Und so kamen sie zu der Vorschrift, dass man fleischige und milchige Nahrungsmittel trennen muss. Bis zum heutigen Tage halten sich orthodoxe Juden bei ihren Mahlzeiten an dieses Gesetz. Ein koscheres Restaurant in Israel wird entweder Milch oder Fleisch anbieten. Es gab einmal ein koscheres Restaurant in Jerusalem, das beides anbot, aber es waren zwei Etagen, die untere war für Fleisch- und die obere für Milchprodukte. Man aß entweder oben oder unten, man konnte nicht zwischen den Etagen wechseln, denn man wurde beobachtet. Aber das Pilpul ging noch weiter. Nehmen wir einmal folgende Fragestellung an: Zum Mittagessen hast du ein Milchprodukt, du hast einen Teller und darauf ist ein Stückchen Käse und nach dem Mittagessen wäscht du diesen Teller natürlich, aber wie gut du diesen Teller auch wäschst, du kannst nicht vermeiden, dass vielleicht doch noch ein ganz kleines Stückchen Käse haften bleibt, das du nicht gesehen hast. Amos Abend hast du dann eine Fleischmahlzeit und du nimmst diesen gleichen Teller und tust das Essen darauf. Vielleicht klebt dann das kleine Stückchen Käse, das du übersehen hattest, an dem Fleisch fest und es ist dabei immer möglich, dass dieser Käse aus der Milch der Mutter dieses Tieres gemacht worden ist, dass du gerade isst. Und dann schluckt man es herunter und so kocht man wieder das Zicklein in der Milch der Mutter. Und so folgt das zweite Gesetz: Man muss mindestens zwei Geschirrsets haben, eines für Milchprodukte und eines für Fleisch. Und so haben bis zum heutigen Tag alle orthodoxen Juden zweierlei Geschirr. So ist es weiter und weiter gegangen und hunderte und tausende solcher Gesetze sind auf diese Weise entstanden. Die Sopherim haben diese Arbeit etwa 30 vor Christus beendet.
Und dann folgte eine zweite Schule der Rabbiner, bekannt als Tannaim. Der Singular davon ist Tanna[2], was Lehrer bedeutet. Sie schauten sich die Arbeit der Sopherim an und sagten, dass es immer noch viel zu viele Lücken in diesem Zaun gab. Und so fuhren sie mit dem Versuch fort, alle Lücken in diesem Zaun zu schließen. Aber sie änderten den Grundsatz der Handhabung. So war ja das Prinzip der Sopherim, dass ein Sopher zwar einem anderen Sopher widersprechen konnte, aber nicht der Thora. Die Tannaim sagten, ein Tanna kann einem anderen Tanna widersprechen, aber nicht einem Sopher. Und so wurde alles, was die Sopherim lehrten, ihre Gesetze, gleichwertig mit der Heiligen Schrift. Wie wir später in unserem Studium sehen werden, waren sie manchmal sogar gewichtiger als die Schrift selbst. Und deshalb mussten die Tannaim die Lehre der Sopherim verteidigen, um zu zeigen, dass sie die gleiche Wertigkeit haben wie die Schrift.
So entwickelten sie eine Lehre, die bis zum heutigen Tag alle orthodoxen Juden glauben, nämlich, dass Mose am Berg Sinai zwei Gesetze von Gott empfangen hat und nicht nur eines. Das erste ist das geschriebene Gesetz, das aus den 613 Geboten besteht, die Mose weitergegeben hatte, zu finden in 2.-5. Mose. Aber Gott gab Mose außerdem ein mündliches Gesetz und das wurde mündlich genannt, weil Mose es nicht niederschrieb, sondern sich nur eingeprägt hat. Mose gab es dann weiter an Josua, Josua an die Richtern, die Richter an die Propheten und die Propheten an die Männer der großen Synagoge, und das war die Schule der Sopherim. Die Sopherim haben die Gesetze also nicht entwickelt, sondern sie einfach nur weitergeführt, weil sie sie von den Propheten empfangen haben, die Propheten von den Richtern, diese wiederum von Josua, Josua von Mose und dieser von Gott. Sie haben entschieden sich selbst Bahnbrecher zu nennen, weil sie sich als diejenigen sahen, die im Judaismus neue Wege gebahnt haben. Ich bemerke diesen Punkt, weil in Galater 1, wo Paulus über sein Leben im Judaismus berichtet, er dort ein griechisches Wort benutzt, das auch Wegbereiter bedeutet. Was er sagt ist, dass er vor seiner Erlösung auch ein Tanna gewesen ist. Er war also daran beteiligt, diese Gesetze zu machen. Und in einigen seiner Briefe, z. B. Römer- oder Galaterbrief, benutzt Paulus besondere Formen der rabbinischen Logik. Die Tannaim begannen 30 v. Chr. und wirkten bis 220 n. Chr. Zu dieser Zeit wurden alle Gesetze, die über sechs Jahrhunderte formuliert wurden, niedergeschrieben. Bis dahin hat man sie sich ins Gedächtnis eingeprägt. Zur Zeit Jesu war das alles nur in den Köpfen und noch nicht niedergeschrieben.
Und dann kam eine dritte Schule, die Amoraim genannt wurde. Der Singular davon ist Amora[3], das ist ein alter aramäischer Ausdruck und bedeutet Lehrer. Sie schauten auf die Lehre der Tannaim und sie sagten, es gibt immer noch zu viele Löcher in diesem Zaun. Sie setzten diesen Prozess bis zum sechsten Jahrhundert nach Christus fort. Und sie haben das Prinzip wieder verändert. Ihr Prinzip lautete nun, ein Amora kann einem anderen Amora widersprechen, aber nicht einem Tanna und so wurden die Gesetze der Tannaim auch heilig und somit auf eine Stufe mit der Heiligen Schrift gestellt. Nun, was die Sopherim und Tannaim zusammengestellt haben, wird die Mischna genannt, und was die Amoraim zusammenstellten, die Gemara[4]. Und diese beiden zusammen machen wiederum den Talmud aus. Die Mischna ist auf Hebräisch geschrieben und umfasst etwa 1500 Seiten, die Gemara ist auf aramäisch geschrieben und ist so groß wie die Encyclopedia Britannica. Es ist also ein ziemlich umfangreiches Werk. In unserer Serie, das Leben Jesu aus jüdischer Sicht, interessieren wir uns nicht für die Gemara, da diese später entstanden ist.
Es ist dieser Körper, die Mischna, der die vielen Streitigkeiten verursacht hat. Laut der pharisäischen Theologie würde der Messias ein Pharisäer sein und an die Mischna und ihre Gesetze glauben. Und so erwarteten sie auch von Jesus die Unterwerfung unter die Autorität der Mischna. In den noch folgenden Teilen unserer Studien werde ich manche Begriffe austauschbar benutzen. Ich werde über das Gesetz der Mischna, das pharisäische Gesetz, das rabbinische Gesetz, das mündliche Gesetz reden und diese Begriffe austauschbar verwenden. Im Neuen Testament wird die Mischna bezeichnet durch den Begriff “Überlieferung der Alten“ oder „Die Tradition der Väter“. Das ist der neutestamentliche Begriff dafür, was die Juden die Mischna nennen. Unter diesen Bestimmungen der Mischna gab es auch die Tradition des Fastens. Die Pharisäer hatten den Brauch zweimal in der Woche zu fasten, montags und donnerstags. Das waren die pharisäischen Fastentage. Vers 33 sagt uns, dass die Jünger von Johannes dem Täufer diesen Brauch befolgten. Aber Jesus und seine Jünger taten dies nicht. Und sie wollten wissen warum. Jesus beantwortet dies, indem er vier Dinge sagt.
Zuerst sagt er in den Verse 34-35, dass man nicht zu einem Hochzeitsfest kommt um zu fasten, sondern um zu feiern. Der Bräutigam war anwesend. Solange er dort war, gab es keinen Grund zu fasten. Und von der Zeit an, als Jesus mit seiner öffentlichen Mission begann, bei seinem ersten Passahfest nach seiner Taufe, gibt es keine Aufzeichnung mehr darüber, dass Jesus gefastet hätte.
Zweitens sagt er in Vers 36, dass man nicht einen neuen Flicken auf ein altes Gewand setzt um ein Loch zu flicken, weil ein altes Kleid schon mehrmals gewaschen wurde und somit schon eingelaufen ist, soweit es einlaufen konnte. Wenn nun ein Loch entsteht, und man setzt ein Stück neuen Stoff darauf, dann wird dieses Stückchen beim nächsten Waschen einlaufen und das ganze Kleid zusammenziehen. Was er damit sagen will ist, dass er nicht gekommen ist, die Löcher des Pharisäertums zu flicken, er ist nicht gekommen, um die Löcher in dem Zaun der Pharisäer zu stopfen. Er präsentiert etwas, das ganz anders ist.
Drittens sagt er in den Versen 37 und 38, dass man nicht neuen Wein in alte Weinschläuche füllt, weil ein alter Weinschlauch so weit ausgedehnt ist, wie es nur geht. Neuer Wein ist Wein, der begonnen hat zu gären, aber der Prozess der Gärung ist noch nicht abgeschlossen. Wenn man einen alten Weinschlauch mit neuem Wein füllt, wird dieser, während er fortfährt zu gären, sich ausdehnen und den Weinschlauch zerreißen. Man wird beides verlieren, den Wein und den Weinschlauch. Was Jesus damit sagen will ist, dass er nicht gekommen ist, um seine Lehre in die Form des Pharisäertums zu legen. Er präsentiert etwas, das neu ist.
Viertens sagt er in Vers 39 voraus, dass sie das Neue ablehnen und mit dem Alten weitermachen würden.
In Lukas 6, Verse 1-5, haben wir die Auseinandersetzung über den Sabbat. Während Jesus und die Pharisäer über die Autorität der Mischna im Allgemeinen diskutieren, kommt hier ein besonderer Abschnitt des Mischna-Gesetzes ins Gespräch, der zum Hauptpunkt der Debatte wird. Und das sind die Mischna-Gesetze über den Sabbat. Zu einem Gebot, das Mose gegeben hat, den Sabbat zu beachten um ihn heilig zu halten, erließen die Pharisäer noch 1500 neue Sabbat-Regeln und -Bestimmungen. Der Sabbat wurde so wichtig, dass die Pharisäer lehrten, Israel wäre von Gott zu dem Zweck erschaffen worden, den Sabbat einzuhalten. Also wurde Israel für den Sabbat geschaffen. Im Pharisäertum wurde der Sabbat zu einer Person, im Bild der Königin oder der Braut. In Lukas 6, 1 steht:
Es geschah aber, dass er am zweiten Sabbat nach
dem ersten durch die Kornfelder ging; und seine
Jünger streiften Ähren ab, zerrieben sie mit
den Händen und aßen sie.
Und in Vers 2 kommen dann die Pharisäer und greifen Jesus an, denn indem die Jünger taten, was in Vers 1 beschrieben ist, brachen sie vier der 1500 Gebote des Sabbatgesetzes. Erstens waren sie schuldig am Sabbat geerntet zu haben, als sie die Körner von den Ähren abstreiften. Zweitens, als sie die Körner mit den Händen zerrieben, trennten sie das Korn von der Spreu, und waren somit schuldig am Sabbat gedroschen zu haben. Drittens, als sie in ihre Hände bliesen, um die Spreu wegzublasen, waren sie schuldig am Sabbat geworfelt zu haben. Viertens, als sie das Korn geschluckt haben, waren sie schuldig am Sabbat etwas eingelagert zu haben. So extrem sind sie also geworden. Jesus antwortet darauf, indem er sechs Dinge sagt. Nicht alle sechs stehen in Lukas, einige davon stehen auch in Matthäus und Markus, so werde ich euch die entsprechenden Stellen nennen, während wir fortfahren.
Erstens beruft er sich in den Versen 3 und 4 auf das, was David tat. Dieser hat auch das pharisäische Gesetz gebrochen, als er die Schaubrote aß. Moses hat nie gesagt, dass der Priester das Schaubrot nicht an einen Nicht-Leviten geben dürfe. Aber das pharisäische Gesetz hat dies gesagt. Und sie konnten sich nicht damit herausreden, dass David ja vor der Zeit der pharisäischen Gesetze gelebt hat, weil sie ja behaupteten, dass diese Gesetze durch Mose mündlich überliefert worden seien. Somit hat David auch das mündliche Gesetz gebrochen. Aber sie haben David nie dafür verdammt, dass er es tat. Wenn also David das mündliche Gesetz brechen kann, dann auch Davids übergeordneter Sohn.
Zweitens, und das steht in Matthäus 12, 5, zeigt er auf, dass bestimmte Arbeiten im mosaischen Gesetz erlaubt waren. Das Gebot der Sabbatruhe betraf nicht den Tempeldienst; die Priester mussten an diesem Tag arbeiten; sie mussten sogar härter arbeiten, als an den anderen Tagen. Es gab jeden Tag bestimmte Opfer, aber am Sabbat waren diese verdoppelt. Also selbst Mose macht bestimmte Ausnahmen bei dem Gebot der Sabbatruhe.
Sein dritter Punkt, in Matthäus 12, 6, lautet, dass der Messias noch größer ist als der Tempel. Wenn also der Tempel am Sabbat Arbeit erlaubt, könnte er das auch.
Sein vierter Einwand kommt in Matthäus 12, 7. Dort benennt er Hosea und zeigt auf, dass notwendige Tätigkeiten und auch Werke der Barmherzigkeit am Sabbat immer erlaubt waren. So war zum Beispiel Essen eine notwendige Tätigkeit, Heilung aber ein Akt der Barmherzigkeit und solche Tätigkeiten waren schon immer am Sabbat erlaubt.
Sein fünfter Verteidigungspunkt in Lukas 6, 5 ist, dass er als Messias auch der Herr über den Sabbat ist. Also könnte er erlauben, was sie nicht erlauben. und könnte verbieten, was sie erlauben.
Sein sechster Punkt steht in Markus 2, 27, wo er sagt, dass es nicht richtig sei, dass Israel für den Sabbat geschaffen wurde. Die Wahrheit ist, der Sabbat wurde für Israel gemacht. Der Zweck des Sabbats war, Israel zu erquicken und nicht, es zu versklaven. So hatten sie also den Zweck des Sabbats völlig missverstanden und mit ihren 1500 zusätzlichen Gesetzen Israel zum Sklaven des Sabbats gemacht.
Das, was die Pharisäer damals taten, haben auch die Kirchen getan. Auch sie haben die Bedeutung des Sabbats missverstanden. Ein häufiges Missverständnis lautet, der Sabbat sei gegeben worden, um Gott an diesem Tag gemeinsam anzubeten. Das wird man so nirgendwo im Gesetz Mose finden. Das stammt aus einer späteren rabbinischen Tradition. Der Sabbat war für Israel ein Tag der Ruhe und nicht ein Tag des gemeinsamen Gottesdienstes. Moses gebot den Juden, an diesem Tag zu Hause zu bleiben. Nach dem mosaischen Gesetz durfte man Gott nur an dem Ort zusammen anbeten, wo auch die Stiftshütte stand, erst in Shilo und später dann in Jerusalem. Wenn man also in Jerusalem wohnte, konnte man jeden Sabbat an einem gemeinsamen Gottesdienst teilnehmen. Aber nicht, wenn man z.B. in Galiläa wohnte, weil es eine Reise von drei Tagen benötigte, nach Jerusalem zu kommen. Und dann nochmals drei Tage für den Rückweg. Wenn dieser also jeden Sabbat am gemeinsamen Gottesdienst in Jerusalem teilnehmen wollte, so brauchte er drei Tage um dort hinzugehen, dann nahm er am Gottesdienst am Sabbat teil und danach ging er wieder drei Tage zurück. Aber dann musste er auch gleich wieder umkehren, um am nächsten Sabbat in Jerusalem zu sein. Er würde nicht sechs Tage lang arbeiten, sondern sechs Tage lang laufen. Und darum war laut mosaischem Gesetz nur dreimal im Jahr ein gemeinsamer Gottesdienst gefordert, zum Passahfest, zum Wochenfest und zum Laubhüttenfest.
Eine andere Art, wie die Kirche den Sabbat missdeutet hat, ist ihre Übertragung des Sabbatgesetzes von Samstag auf Sonntag. Und so wird oft der Sonntag Sabbat genannt. Aber es gibt so etwas wie einen christlichen Sabbat nicht, so wie es auch keinen jüdischen Sonntag gibt. Der Sabbat hat sich nie geändert. Es war immer so, dass er vom Sonnenuntergang am Freitag an bis zum Sonnenuntergang am Samstag dauerte und so wird auch immer sein. Und der Sonntag ist nicht der Sabbat, noch ist es ein neuer Tag der Ruhe. Und so müssen wir vorsichtig sein, über den Sabbat nicht eine falsche Lehre zu verbreiten, wie die Pharisäer dies gemacht haben. Die Bibel verlangt von uns, dass wir regelmäßig zu einem gemeinsamen Gottesdienst zusammenkommen, aber den Tag der Woche, an dem dies geschieht, kann jede Gemeinde selbst bestimmen. Es ist in Ordnung, sich gemeinsam am Sonntag zu treffen, es ist auch ganz in Ordnung dies an einem Sabbat zu tun, oder gemeinsam am Mittwoch sich zu treffen. Das kann jede lokale Gemeinde selbst entscheiden. Aber in der Bibel steht nichts davon, dass der Sonntag heilig wäre. Es ist wahr, dass die ersten jüdischen Gläubigen sich am ersten Tag der Woche trafen, aber das war nicht am Sonntagmorgen, das war am Samstagabend. Und das war für sie eine Frage der Bequemlichkeit. Wie wir wissen, gingen die gläubigen Juden weiterhin am Morgen des Sabbats in die Synagoge oder in den Tempel. Aber sie wollten sich auch miteinander als Gläubige treffen und es war angenehm für sie, dies am Samstagabend zu tun, was ja nach jüdischer Zeitrechnung bereits der erste Tag der Woche ist. Sonntagmorgen war bereits ein Arbeitstag. Apostelgeschichte 20, 7 sagt, dass die Gemeinde in Troas sich am ersten Tag der Woche traf. Aber das war nicht Sonntagmorgen, sondern Samstagabend, denn uns wird gesagt, dass es bei Nacht war. Es konnte nicht Sonntagnacht sein, weil das der zweite Tag der Woche gewesen wäre, nach jüdischer Zeitrechnung. Aber ein besonderer Tag in der Woche für die Zusammenkunft wird nicht erwähnt. Der Befehl lautet nur, dass wir uns gemeinsam treffen sollen.
Wir gehen nun zu Matthäus 5. Die drei Kapitel 5, 6 und 7 im Matthäusevangelium werden allgemein als „Bergpredigt“ bezeichnet. Das Problem mit dieser Bezeichnung ist, dass sie nichts über den Inhalt aussagt. Es sagt uns nur, wo Jesus geredet hat, nämlich auf einem Berg. Hätte ich einen Namen dafür ausgesucht, wo der Schwerpunkt auf dem Inhalt liegen würde, wäre es dieser: „die Autorität des Messias das Gesetz auszulegen“. Mein Ziel ist es nicht, alles was Jesus sagte, im Detail zu behandeln, vielmehr was diese Rede als Einheit für eine Bedeutung hat und welche Rolle sie im Konflikt mit den Pharisäern spielt. Es kam in der jüdischen Geschichte ein Punkt, als die Juden nach der messianischen Erlösung Ausschau hielten. Und die Pharisäer kamen und boten eine Form der Gerechtigkeit an. Nun, das Volk wusste von den Propheten des Alten Testamentes, dass der Eintritt ins messianische Reich durch das Mittel der Gerechtigkeit geschähe. Und die Pharisäer boten ihnen einen Weg der Gerechtigkeit an, der sehr breit und großzügig war, weil sie sagten, ganz Israel hat Anteil am kommenden Zeitalter. Nun ist Jesus gekommen und predigte die Gerechtigkeit und schon hat es einen Konflikt zwischen ihm und den Pharisäern über diesen Punkt gegeben. Etwa ein Jahr ist vergangen, seit er seine Mission begonnen hat. Und die jetzt aufkommende Frage war, ob Jesus die pharisäische Gerechtigkeit bestätigen wird. Und wenn nicht, welche Art von Gerechtigkeit ist erforderlich? Von dieser Perspektive aus gesehen, ist der Schlüsselvers in Kapitel 5, Vers 20, zu finden.
Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit
die der Schriftgelehrten und Pharisäer nicht weit übertrifft, so werdet
ihr gar nicht in das Reich der Himmel eingehen!
Mit dieser einen Aussage weist er das Pharisäertum in zweierlei Hinsicht zurück. Als erstes in ihrem Anspruch, eine ausreichende Gerechtigkeit für das Königreich zu besitzen, aber zweitens auch in ihrem Anspruch, die richtige Interpretation der Gesetzesgerechtigkeit zu besitzen. Als eine Einheit ist die Bergpredigt des Messias’ Interpretation der Gerechtigkeit des Gesetzes, im Gegensatz zu der pharisäischen Interpretation hiervon. Drei Dinge über den geschichtlichen Bezugsrahmen sind hier wichtig. Diese Rede gab er, nachdem er die Gruppe der zwölf Apostel ausgewählt hatte. Er hat diese Gruppe geschlossen, gerade bevor er diese Predigt hielt. Zweitens hat es nach dieser Zeit immer ein beständiges und starkes Interesse an Jesus gegeben, ein Interesse sowohl innerhalb- als auch außerhalb des Landes. Drittens hält er sie, nachdem es schon etliche Konflikte mit den Pharisäern über die Autorität der Mischna gegeben hatte. Lasst uns schauen, wie bestimmte Verse beginnen. Vers 21: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist“. Vers 27: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist“. Vers 31: „Es ist auch gesagt“. Vers 33: „Wiederum habt ihr gehört“. Vers 38: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist“. Vers 43: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist“. Wenn es um das mosaische Gesetz geht, ist die Formulierung: es steht geschrieben. Wenn es um das mündliche Gesetz geht, lautet die Formulierung, ihr habt gehört, dass gesagt wurde, weil auch zu dieser Zeit noch alles mündlich weitergegeben wurde und so hatten sie gehört und nicht gelesen. Was er die ganze Bergpredigt hindurch tut ist, ein Beispiel aus dem Gesetz Mose herauszuziehen und dann herauszustellen, wie er die Gerechtigkeit in diesem Gesetz interpretiert, im Gegensatz zu den Pharisäern.
Zum Beispiel steht in Vers 21: Du sollst nicht töten. Du sollst nicht eines geplanten Mordes schuldig werden. Nach der Art wie die Pharisäer die Gerechtigkeit dieses Gebotes interpretierten, war man nicht schuldig dieses Gesetz gebrochen zu haben, bevor man nicht die Tat ausgeführt hatte. Jesus sagt, dass dies eine falsche Interpretation ist. Es ist zwar wahr, dass man die Buchstaben des Gesetzes nicht übertritt, bevor man die Tat begangen hat, und man kann amtlich nicht bestraft werden, bevor nicht die Buchstaben des Gesetzes übertreten wurden, aber die Gerechtigkeit des Gesetzes ist schon vor der Tat gebrochen. Bevor jemand einen geplanten Mord begeht, muss er zuvor eine Abneigung dem Opfer gegenüber entwickeln. Sobald diese Abneigung im Inneren da ist, ist die Gerechtigkeit des Gebotes bereits gebrochen worden. In Vers 22 sagt er deshalb, wenn jemand seinen Bruder Raka nennt, (raka ist ein aramäisches Wort und bedeutet so etwas wie Hohlkopf), weil man eine Abneigung gegen ihn hat, hat man die Gerechtigkeit des Gebotes bereits gebrochen. Es ist die innerliche Ungerechtigkeit, die zu der äußeren Ungerechtigkeit, der Tat, führt. Der Mord im Herzen führt zur Tat des Mordes. Ob es jedoch zur Tat des Mordes kommt oder nicht, die Gerechtigkeit des Gebotes ist auf jeden Fall gebrochen worden.
Zweites Beispiel in Vers 27: Ihr sollt nicht Ehebrechen. Entsprechend der pharisäischen Auslegung war man des Ehebruchs nicht schuldig, bevor man ihn in die Tat umgesetzt hatte. Hier sagt Jesus wieder, dass diese Auslegung falsch ist. Es stimmt zwar, dass man die Buchstaben des Gesetzes nicht übertreten hat, bevor die Tat nicht begangen wurde, aber die Gerechtigkeit dieses Gebotes wurde schon früher gebrochen. Bevor ein Mann Ehebruch begeht, gelüstet ihn zuerst nach einer anderen Frau anstatt nach seiner eigenen. Und es ist die innerliche Lust, die dann zum tatsächlichen Ehebruch führt. Die innere Begierde kann zum Ausleben dieser Lust führen. Und wiederum, ob es nun dazu führt oder nicht, die Gerechtigkeit des Gebotes ist mit der inneren Lust schon verletzt. Und so geht es durch die ganze Bergpredigt. Sie sagen dies, ich sage das. Sie sagen so und ich sage etwas anderes. Und er stellt seine Lehren den Lehren der Pharisäer gegenüber. Er stellt die Theologie des Gesetzes in Frage und auch ihre Art, mit dem Gesetz umzugehen. Wenn wir zu Kapitel 7 gehen, Verse 24-27, dann sehen wir, dass er seine Predigt schließt, indem er dem jüdischen Volk ein Angebot zur Auswahl stellt. Sie können damit fortfahren, auf der pharisäischen Interpretation des Gesetzes ihre Gerechtigkeit aufzubauen, aber das wäre gleichbedeutend damit, ein Fundament auf Sand zu setzen. Und jedes auf dieses Fundament gegründete Gebäude würde einstürzen. Oder sie könnten auf seine Auslegung der Gerechtigkeit des Gesetzes aufbauen, das würde einem Fundament gleichen, das auf einem Felsen gegründet ist. Und ein Gebäude, das auf solch einem Fundament gebaut wäre, würde bestehen bleiben. Es ist also einerseits die Bergpredigt seine Interpretation der wahren Gerechtigkeit des mosaischen Gesetzes, als ein Gesamtpaket, aber dieses Paket ist andererseits auch seine Zurückweisung des Pharisäertums. Lasst uns die Verse 28 und 29 lesen.
Und es geschah, als Jesus diese Worte beendet hatte, erstaunte die Volksmenge über seine Lehre, denn er lehrte
sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie
die Schriftgelehrten.
Als er die Rede beendet hatte, waren die Leute von seiner Lehre sehr überrascht. Ihr Inhalt war ganz anders, als der Inhalt der Mischna, aber er lehrte sie auch auf eine andere Weise, nämlich als jemand, der Autorität hat und nicht wie die Schriftgelehrten. Wenn man wissen will, wie die Schriftgelehrten gelehrt haben, muss man nur ein paar Seiten der rabbinischen Literatur lesen. Wieder und wieder benutzen sie den gleichen Ausdruck: Rabbi soundso sagt im Namen Rabbi soundso dies und das. Denn jeder Rabbi hat auf der Basis der Autorität eines vorhergehenden Rabbiners gelehrt. Aber Jesus nennt keinen Rabbiner und keinen Schriftgelehrten und keinen Pharisäer. Er lehrt wie jemand, der die volle Autorität besitzt, das Gesetz auszulegen. Als die messianische Person, die das Gesetz gegeben hat, hat er diese Autorität. Also noch einmal: als eine Einheit ist dies seine Zurückweisung des Pharisäertums. Das wird jetzt wiederum zu ihrer Zurückweisung seines messianischen Anspruchs führen. Und diesen Punkt werden wir am Montag wieder aufnehmen, wenn wir unsere Studien fortsetzen.
[1] Sopher kommt von dem hebräischen Wort für Schreiber und bezog sich auf Lehrer und Abschreiber sowohl des Talmud als auch der späteren Schriften. In frühen Zeiten war ein Sopher ein gelehrter Forscher dessen Aufgabe es war, die religiöse Überlieferung zu lehren. Ab dem 1. Jahrhundert waren sie vor allem Lehrer für die Kinder.
[2] Tanna, aram. = Lehrer, von hebr. schana = wiederholen, lehren, lernen. Dieses hebräische Wort bedeutet wörtlich „Vorsager“ oder „Wiederholer“. Zu dieser Zeit wurde die Lehre mündlich durch ständige Wiederholung von den Rabbinern weitergegeben (daher tanna). Die Tannaim waren hauptsächlich als Gelehrte oder Lehrer des Mischnagesetzes tätig.
[3] Amora (aramäisch: אמורא; Plural אמוראים, Amora'im; „die Sprechenden“ oder „die über etwas
Berichtenden“) waren jüdische Gelehrte, die sich über das mündliche Gesetz
(mündliche Tora) „unterhalten“ oder über es „erzählt“
haben, von ungefähr 200 bis 500 n. Chr. in Babylonien und in Palästina. Ihre
Diskussionen wurden in der Gemara kodifiziert. Die Amoraim folgten den Tannaim in
der Reihe der jüdischen Gelehrten.