Die Apokryphen - Teil des Wortes Gottes?

 

 

Im Verlauf der letzten Jahre hat sich tendenzmäßig immer mehr gezeigt, dass Bibeln auf den Markt gebracht werden, die Hinweise enthalten wie: „Die Bibel, Altes und Neues Testament mit (bzw. ohne) die Spätschriften des Alten Testamentes“. Bei diesen sogenannten Spätschriften des Alten Testaments handelt es sich um die Apokryphen. Die katholische Kirche gibt ihnen die Bezeichnung Spätschriften des Alten Testaments oder deuterokanonische Bücher. Im protestantischen Raum werden sie traditionell Apokryphen genannt. Im weiteren Verlauf dieser Abhandlung bleiben wir bei der traditionellen Bezeichnung Apokryphen. Wir wollen der Frage nachgehen, ob diese Bücher wirklich zum Kanon der Heiligen Schrift gehören und dabei auf ihr Zeugnis selbst sowie auf die geschichtliche Überlieferung und Entwicklung eingehen.

 

Der Begriff „apokryph“ und die Anzahl der Bücher

 

Es handelt sich bei den Apokryphen um eine Sammlung von Schriften, die in der Zeit von 300 v. Chr. bis 100 n. Chr. entstanden sind. Die Originale waren in hebräischer Sprache verfasst. Die meisten gingen jedoch verloren und liegen heute nur noch in griechischer Übersetzung vor. Von den griechischen Manuskripten besitzen wir eine ganze Anzahl, die sich jedoch in der Länge oft unterscheiden. Daraus resultiert, dass sich bei unseren Übersetzungen Verschiebungen in der Verszählung ergeben, je nachdem, welches Manuskript der Übersetzer benutzt hat. Im hebräischen Kanon des Alten Testaments finden wir die Apokryphen nicht, jedoch in den ersten Übersetzungen der Heiligen Schrift in andere Sprachen, der griechischen Septuaginta, der syrischen Peschitta und der lateinischen Vulgata.

„Das Wort ‚apokryph’ stammt aus dem Griechischen und bedeutet ‚verborgen, geheim’. Es wurde zuerst von dem lateinischen Kirchenvater Hieronymus (gestorben im Jahre 420) auf bestimmte Bücher angewandt, die in den griechischen und lateinischen Bibeln vorkommen“ (Handbuch zur Bibel, Wuppertal: R. Brockhaus Verlag, S.461). Die Apokryphen werden auch, wie bereits erwähnt, „deuterokanonische Bücher“ genannt. Dieser Begriff wurde von Sisto Senese (gestorben 1556) geprägt, was „zweites Verzeichnis der inspirierten Bücher“ bedeutet (vgl. Roberto Wisbet, Das Evangelium sagt nicht so, Biberstein/Aargau: Verlag Freundesdienst, S.21). Zu den Apokryphen zählen folgende Bücher:

 

 1. Erstes Esrabuch (auch 3. Esra genannt),

 2. Zweites Esrabuch (auch 4. Esra genannt),

 3. Tobit (oder Tobias),

 4. Judith,

 5. Die Zusätze zum Buch Esther,

 6. Die Weisheit Salomos,

 7. Jesus Sirach,

 8. Baruch,

 9. Der Brief des Jeremia,

10. Der Gesang der drei Männer im Feuerofen,

11. Die Geschichte von Susanna und Daniel,

12. Vom Bel zu Babel,

13. Vom Drachen zu Babel,

14. Das Gebet Manasses,

15. Erstes und zweites Makkabäerbuch,

16. Das Gebet Asarjas.

 

Alles in allem haben wir es bei den Apokryphen mit einer beachtlichen Anzahl von Schriften zu tun. Man kann sie in vier Kategorien einteilen.

 

Die Geschichtsbücher

 

Zu dieser Kategorie zählen das erste (bzw. dritte) Esrabuch sowie das erste und das zweite Makkabäerbuch. Das erste Esrabuch entspricht inhaltlich im Großen und Ganzen dem kononischen Buch Esra. Der größte Zusatz ist „der Wettstreit der drei Pagen des Darius“. Er soll erklären, auf welche Art und Weise Serubbabel die Genehmigung des persischen Königs erhielt, den Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen.

Das erste und zweite Makkabäerbuch fällt in die Herrschaftszeit des syrischen Herrschers Antiochus Epiphanes (198 bis 165 v. Chr.) und berichtet von der syrischen Unterdrückung Israels und dem Aufstand der Makkabäer. Das erste Makkabäerbuch ist historisch gesehen ziemlich zuverlässig und hebt die Verdienste des Geschlechts der Makkabäer lobend hervor, während das zweite Makkabäerbuch die selben Ereignisse vom Standpunkt der Pharisäer aus und dogmatisch betrachtet und keinen so großen Wert auf historische Genauigkeit legt.

 

Legendäre Erzählungen

 

Hierunter fallen die Bücher Tobit (auch Tobias genannt), Judith, die Zusätze zum Buch Esther und die Zusätze zum Propheten Daniel (Susanna, Vom Bel und Vom Drachen zu Babel - in katholischen Bibelausgaben Kapitel 13 und 14 im Propheten Daniel) und die liturgischen Texte Der Gesang der drei Männer im Feuerofen (dieser steht in Bibelausgaben der katholischen Kirche zwischen den Versen 23 und 24 in Daniel 3) und Das Gebet Asarjas.

Das Buch Tobit (oder Tobias) ist offensichtlich kein historischer Bericht. Es stammt aus der Zeit um 150 v. Chr. und berichtet, wie Tobias von seiner Blindheit geheilt wird und wie sein Sohn aus Todesgefahr errettet wird. Das Buch war in der frühen Christenheit so beliebt, dass es aus dem Hebräischen ins Griechische, Lateinische, Armenische, Syrische und Äthiopische übersetzt wurde. Ein Vers aus Tobit ging als Sprichwort in die deutsche Sprache ein. Als Tobias am Tigris saß und seine Füße waschen wollte, soll ein großer Fisch aus dem Wasser „gefahren“ sein, der ihn verschlingen wollte. Völlig erschrocken soll Tobias geschrieen haben: „O Herr, er will mich fressen“ (vgl. Tobit 6, 1-3 Luthertext). Unter jungen Leuten, die vor der Wahl des Ehepartners stehen, ist besonders die Stelle Tobias 6, 18 bekannt: „Dir war sie bestimmt von Ewigkeit.“ Die Tatsache, dass es sich bei diesem Buch in gewisser Hinsicht um eine Liebesgeschichte handelt, erklärt vielleicht seine Beliebtheit in der Frühzeit der christlichen Kirche.

Das Buch Judith berichtet von einer jüdischen Witwe aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus, die den assyrischen Feldherrn Holofernes verführte und anschließend tötete, und die Stücke zu Daniel sind zum Teil Legenden über den weisen und gottesfürchtigen Daniel.

 

Weisheitsliteratur

 

Zur Weisheitsliteratur zählen die Bücher Jesus Sirach, Weisheit Salomos, Baruch und das Gebet Manasses.

Jesus Sirach entstand um 180 v. Chr. und ähnelt in seinem Aufbau den Sprüchen Salomos. Die vielen Ratschläge, die darin enthalten sind, sollen zur Führung eines gottesfürchtigen Lebens anleiten, z. B.: „Siehe, dass deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sei, und diene ihm nicht mit falschem Herzen“ (Sirach 1, 34 Luthertext), „siehe zu, dass du einen guten Namen behaltest; der bleibt dir gewisser denn tausend große Schätze Goldes“ (Sirach 41, 15 Luthertext), „drei schöne Dinge sind, die Gott und den Menschen wohlgefallen: wenn Brüder eins sind und die Nachbarn sich lieb haben und Mann und Weib miteinander wohl umgehen“ (Sirach 25, 1-2).

Die Weisheit Salomos entstand im ersten Jahrhundert vor Christus, wurde also nicht von Salomo geschrieben. Sie zählt zu den sogenannten Pseudepigraphen (= falsche Schriften, d. h. nicht von den angegebenen Verfassern), die in der damaligen Zeit häufig waren und verarbeitet sehr viel mehr griechisches Gedankengut als alle anderen Bücher der jüdischen Weisheitsliteratur.

Das Buch Baruch enthält ein Bußgebet, ein Loblied und einige tröstende Lieder. Sein Anhang bildet der Brief Jeremias, der eine Warnung vor dem Götzendienst ist.

Das Gebet Manasses ist eine Dichtung im Anschluss an ­2. Chronik 33, 13.19, wo es heißt: „Und als er bat, ließ sich der Herr erbitten und erhörte sein Flehen und brachte ihn wieder nach Jerusalem in sein Königreich. Da erkannte Manasse, dass der Herr Gott ist. Und sein Gebet und wie der Herr ihn erhörte und alle seine Sünde und Missetat und die Stätten, wo er die Opferhöhen baute und die Bilder der Aschera und Götzenbilder aufstellte, ehe er sich demütigte, siehe, das steht geschrieben in den Geschichten der Seher.“

 

Apokalyptische Schriften

 

„Nur eine solche Schrift gehört mit zu den Apokryphen: das 2. (bzw. 4.) Esrabuch, das wahrscheinlich im ersten Jahrhundert n. Chr. verfasst wurde. Es enthält einige christliche Kapitel, die die Ablehnung der Juden zugunsten der Kirche ‚vorhersagen’, und einen jüdischen Teil, der einige Zukunftsvisionen enthält, die Esra zugeschrieben werden“ (Handbuch zur Bibel, op. cit., S.463).

Nach diesem kurzen Abriss zum Inhalt der Apokryphen wollen wir uns der Bedeutung dieser Bücher zuwenden und uns zuerst die Frage stellen, ob sie in ihrer Gesamtheit inspiriertes Gotteswort sind. Die Frage nach ihrer Inspiration hat im Laufe der Geschichte der christlichen Kirche die Gemüter immer wieder bewegt. Auch heute herrscht keineswegs Einheit über diese Frage in den verschiedenen christlichen Benennungen. Dass das Alte Testament von Gottes Geist eingegeben ist, darüber herrscht in allen Kirchen Einmütigkeit; nur, wo sind die Grenzen des alttestamentlichen Kanons?

 

Die lutherische Auffassung

 

Martin Luther sagt von den Apokryphen: „Das sind Bücher, so der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten, und doch nützlich und gut zu lesen sind.“ Er macht also einen Unterschied zwischen den Apokryphen und dem alttestamentlichen Kanon. Dieser Unterschied schlägt sich darin nieder, dass die Apokryphen in den Lutherbibeln als gesonderter Block nach dem Alten Testament, falls sie überhaupt abgedruckt werden, zu finden sind.

 

Die reformierte Auffassung

 

In den reformierten Kirchen werden die Apokryphen noch strenger vom Kanon der Schrift abgesondert und als ganz gewöhnliche, von Menschen verfasste Schriften, angesehen. Deshalb erscheinen sie auch nicht in Bibelausgaben, die für ein reformiertes Umfeld herausgegeben werden.

 

Die frühkirchliche, katholische und evangelikale Auffassung

 

Für uns Gläubige heute bleibt die Frage im Raum stehen: „Wie sollen wir die Apokryphen ansehen?“ Ein Blick in die Kirchengeschichte wirft Licht auf diese Frage. Nicht nur haben die reformatorischen Kirchen die Apokryphen als inspiriert und damit Teil des Wortes Gottes abgelehnt, auch die frühe Kirche und die katholische Kirche bis ins Mittelalter hinein hat dies getan oder sie doch wenigstens gesondert behandelt. Der Kirchenvater Hieronymus (347 bis 420 n. Chr.) schreibt dazu: „Die Kirche heißt das Buch Tobias, Judith, Makkabäer, Baruch, Susanna, Weisheit, Sirach, den Gesang der drei Jünglinge und die Fabeln vom Bel und vom Drachen; aber sie nimmt sie keineswegs in das Verzeichnis der kanonischen Bücher auf; sie liest sie bloß, um daraus eine Belehrung für das Leben und ein Beispiel für gute Sitten zu schöpfen, nicht aber, um daraus eine Glaubenslehre zu stiften“ (Prologo a Graziano).

Erst am 3. April 1546, am Konzil von Trient, wurden die Apokryphen von der katholischen Kirche als inspiriert erklärt, was wohl teilweise eine Gegenreaktion auf die Reformation war. Schließlich fand man in den Apokryphen eine Rechtfertigung für gewisse Lehren, worauf im Folgenden noch eingegangen wird. „Es ist sonderbar“, schrieb der Mönch Paolo Sarpi, „dass fünf Kardinäle und vierzig Bischöfe so leichthin über allerwichtigste und grundlegende Fragen, worüber bisher nie entschieden worden war, Beschluss fassten, indem sie Bücher als ‚inspieriert’ erklärten, welche bis dahin als apokryph gegolten hatten“ (Storia del Concillio Tridentino 2:57). Wir sehen also, dass die Apokryphen von frühester Zeit an nie als kanonisch angesehen wurden, und es ist schon sonderbar, dass die Katholiken über 1000 Jahre lang nicht an die göttliche Eingebung dieser Bücher glauben mussten, dass sie dann aber plötzlich ab dem 3. April 1546 inspiriert sein sollen.

Beim Lesen des Neuen Testaments stellen wir fest, dass nie weder Jesus noch die Apostel aus irgend einem Buch der Apokryphen auch nur eine Stelle zitieren, um den Neuen Bund zu begründen oder zu erklären, wiewohl alle anderen Bücher des Alten Testaments mit Ausnahme von Esther und dem Hohenlied zitiert werden. Allein aus diesen Gründen schon gehen wir nicht fehl, wenn wir dem Beispiel der frühen Kirche und den reformatorischen Kirchen folgen und die Apokryphen als nicht inspiriert ansehen. Darüber hinaus haben wir im Neuen Testament einen Hinweis darauf, dass sie nicht zur Heiligen Schrift gehören. Über den Kanon des Alten Testaments hat nämlich nicht die christliche Gemeinde zu entscheiden, sondern die Juden. Und die Juden haben die Apokryphen abgelehnt! Es heißt in Römer 3, 1-2: „Was ist nun der Vorzug der Juden?... Ihnen sind die Worte Gottes anvertraut!“

Wenden wir uns nun der Frage zu, ob die Apokryphen im Einzelfall inspiriert sind. Dabei schauen wir uns einige Stellen an, die Widersprüche in sich selbst enthalten oder der Lehre der Bücher des biblischen Kanons widersprechen.

 

Die Berichte vom Tod des syrischen Königs Antiochus Epiphanes

 

Im 1. und 2. Makkabäerbuch wird der Tod des Königs Antiochus Epiphanes dreimal geschildert. In der ersten Stelle, 1. Makkabäer 6, 10.13-16, wird berichtet, dass er vor Kummer und Herzeleid starb, in der zweiten Stelle, 2. Makkabäer 1, 15-16, wird er bei verschlossenen Türen von den Priestern im Tempel gesteinigt, anschließend in Stücke gehauen und aus dem Tempel hinausgeworfen. Den dritten Bericht seines Todes finden wir in 2. Makkabäer 9, 5.28-29, wo er an einem Darmleiden „in einem fremden Land und in der Wildnis eines jämmerlichen Todes“ (V.28) starb.

Schon der gesunde Menschenverstand lehrt uns, dass ein Mensch nur einmal und nur auf eine Art und Weise stirbt. Wie können dann aber Bücher von Gottes Geist inspiriert sein, die drei sich widersprechende Berichte ein und desselben Vorgangs enthalten?

 

Das Almosengeben

 

In Tobias 4, 10 bzw. 11 lesen wir: „Denn die Almosen erlösen von allen Sünden, auch vom Tod, und lassen nicht in der Not“, Tobias 12, 9: „Die Almosen erlösen vom Tod, tilgen die Sünden, erhalten am Leben“ und Sirach 3, 30 bzw. 31: „Wie das Wasser ein brennendes Feuer, also tilgt das Almosen die Sünden.“ Der Ablassprediger Tetzel in den Tagen Martin Luthers hatte wahrscheinlich mit diesen Versen eine theologische Begründung seines Seelenhandels in der Hand nach der Methode: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer in den Himmel springt“.

Ähnlich wie bei den Almosen lehren die Apokryphen, wenn man Vater und Mutter ehrt: „Wer den Vater ehrt, erlangt Verzeihung der Sünden. Denn die Liebe zum Vater wird nicht vergessen, sie wird als Sühne für deine Sünden eingetragen. Zur Zeit der Bedrängnis wird sie dir vergolten werden; sie lässt deine Sünden schmelzen wie Wärme den Reif“ (Sirach 3, 3.14-15 Einheitsübersetzung).

Wir haben hier einen offenen Widerspruch zu einer der Zentrallehren der Heiligen Schrift, nämlich dass „das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde“ (1. Johannes 1, 7). Sein Blut, und nur dieses allein, erwirkt Vergebung der Sünden, nicht das Geben von Almosen oder das Ehren von Vater und Mutter, wie gewollt das alles von Gott ansonsten auch ist! Es ist ein untrügliches Kennzeichen jeder falschen Religion, Sekte oder jeden Irrglaubens, dass der Mensch meint, er müsse zu seinem Heil noch etwas tun! Es widerstrebt der unerlösten menschlichen Natur, dass ihre vermeintlich guten Werke in den Augen Gottes nichts zählen. An diesem Punkt wird der wahre Geist ganz deutlich, der die Apokryphen zumindest mitgeprägt hat. Es ist der „Mächtige, der in der Luft herrscht, nämlich der Geist, der zu dieser Zeit am Werk ist in den Kindern des Ungehorsams“ (Epheser 2, 2): Satan! Dies darf bei allem Guten, das in den Apokryphen sonst noch geschrieben steht, nicht übersehen werden!

 

Das Herz, die Leber und die Galle des Fisches

 

In Tobit 6, 1-10 wird berichtet, wie Tobias den Fisch fing, der ihn fressen wollte und wie ihm ein Engel den Auftrag gibt, das Herz, die Leber und die Galle aus dem Leib des Fisches herauszuschneiden. Der Rauch der auf Kohlen verbrannten Leber und Herz soll die Kraft haben, alle Dämonen von Mann und Frau zu vertreiben. Tobias bekommt den Auftrag, bei einem Mann namens Reguel einzukehren und um die Hand dessen Tochter Sara anzuhalten, die von einem Dämon besessen ist, der ihre sieben Männer, die sie bereits hatte, in der Hochzeitsnacht alle nacheinander tötete (Tobit 6, 12-15). Tobias gehorcht, nimmt Sara zur Frau und räuchert in der Hochzeitsnacht, indem er die Leber und das Herz auf Kohlen verbrennt. Es wird dann berichtet, dass „der Engel Raphael den Geist gefangen nahm und ihn in die Wüste fern in Ägypten band“ (Tobit 8, 3).

Im Gegensatz zu dem hier Berichteten lehrt das Neue Testament, dass Dämonen nur durch „Gebet und Fasten“ (Markus 9, 29) ausfahren und nicht durch irgendwelche Räucherriten. Solche geheimnisvollen Riten findet man in allen heidnischen Religionen bei deren Schamanen und Medizinmännern. Es ist die Frage zu stellen, ob hier nicht heidnisches, okkultes Gedankengut mit jüdischen Glaubensinhalten vermischt wurden.

Den Ernst der Lage erkennen wir auch aus Apostelgeschichte 19, wo berichtet wird, wie die sieben Söhne eines gewissen Hohenpriesters Skevas versuchten, einen Dämon auszutreiben. Dabei benutzten sie die Formel: „Ich beschwöre euch bei dem Jesus, den Paulus predigt“ (Apostelgeschichte 19, 13). Obwohl sie sich auf den beriefen, der wirklich Herr über die Dämonen ist, heißt es weiter: „Aber der böse Geist antwortete und sprach zu ihnen: ‚Jesus kenne ich wohl, und von Paulus weiß ich wohl; aber wer seid ihr?’ Und der Mensch, in dem der böse Geist war, stürzte sich auf sie und überwältigte sie alle und richtete sie so zu, dass sie nackt und verwundet aus dem Haus flohen“ (Apostelgeschichte 19, 15-16). Wer auf diesem Gebiet arbeiten will, benötigt mehr als auf allen anderen Gebieten die Vollmacht Gottes! Da nützen keine Räucherriten noch sonstigen Formeln, ja noch nicht einmal der rituelle Gebrauch des Namens Jesu!

Es wäre weiterhin vom medizinischen Standpunkt aus gesehen zu überprüfen, ob Galle zu Salbe verarbeitet, tatsächlich grünen oder grauen Star heilt oder dagegen vorbeugt, wie es in Tobias 6, 9 bzw. 10 berichtet wird.


 

Das Gebet für die Toten und die Fürbitte der Heiligen

 

Im Vorwort zu den beiden Makkabäerbüchern steht in der Jerusalemer Bibel: „Das Buch ist bedeutsam durch seine Aussagen über... das Gebet für die Toten,... die Fürbitte der Heiligen“ (Jerusalemer Bibel, Freiburg: Herder-Verlag, S. 659). Die katholische Kirche gründet also einige ihrer Lehren, die mit der Heiligen Schrift nicht in Übereinstimmung zu bringen sind, nicht nur auf die Tradition, sondern auch auf die Apokryphen und verstößt somit gegen das Gebot, nichts zur Heiligen Schrift hinzuzufügen (vgl. 5. Mose 4, 2; 5. Mose 13, 1; Sprüche 30, 5-6; Offenbarung 22, 18). Die römisch-katholischen Theologen wissen genau, dass sie sich mit den Dogmen der Fürbitte der sogenannten Heiligen und des Gebetes für die Toten im Widerspruch zur Bibel befinden. Eine Anmerkung in der Einleitung zu den Makkabäerbüchern in der Jerusalemer Bibel, die ja von der katholischen Kirche vertrieben wird, beweißt das deutlich: „Da sich diese Aussagen auf Fragen richten, die in den anderen Schriften des Alten Testamentes offengeblieben waren, rechtfertigen sie die Autorität, die die Kirche dem Buch zuerkannt hat“ (S.659).

Wir lesen in 2. Makkabäer 12, 40-45 bzw. 41-46 über das Sühnopfer für Erschlagene. Würden Erschlagene nicht auferstehen, so heißt es, „wäre es vergeblich und eine Torheit gewesen, für die Toten zu bitten“ (V.44). Die Tatsache der Auferstehung wird als Legitimation für das Gebet für die Toten angesehen, ja sogar „dass ihnen die Sünde vergeben würde“ (V.45 bzw. 46). Nirgendwo im Alten oder Neuen Testament ist eine Stelle zu finden, die uns auffordert, für bereits verstorbene Menschen zu beten, dass ihnen die Sünden nachgelassen werden. Im Gegenteil! Im Augenblick des Todes ist das Schicksal eines Menschen für ewig besiegelt: entweder Himmel oder Hölle, wie es Abraham dem reichen Mann in der Qual unmissverständlich entgegenhält: „Überdies besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüber will, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber“ (Lukas 16, 26).

In 2. Makkabäer 15, 12-16 wird berichtet, wie der Hohepriester Onias für das ganze Volk der Juden betet. Dabei soll ihm der Prophet Jeremia erschienen sein als alter herrlicher Mann in köstlichen Kleidern und in einer ganz herrlichen Gestalt. Es heißt in Vers 14: „Und Onias sprach zu den Juden: ‚Dieser ist Jeremia, der Prophet Gottes, der deine Brüder sehr lieb hat und betet stets für das Volk und die heilige Stadt.’“ Unter anderem entwickelte die katholische Kirche aus dieser Stelle das Dogma von der Anrufung Marias und der Heiligen als Mittlerpersonen zwischen Gott und den Menschen. Dem ist entgegenzuhalten, dass das Neue Testament eindeutig lehrt, dass nur „ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen ist, nämlich der Mensch Christus Jesus“ (1. Timotheus 2, 5).

Auch hier wird wieder deutlich, wie weit entfernt die Apokryphen davon sind, Gottes Wort zu sein und wie schädlich es für das ewige Heil ist, wenn man ihre Aussagen in den Rang von bindenden Lehraussagen erhebt!

 

Die Zitate aus dem Alten Testament

 

Die einzelnen Bücher der Apokryphen bringen immer wieder Zitate aus dem Alten Testament, die die Argumentation der Schreiber untermauern sollen, ähnlich wie in heutigen Büchern dogmatische Abhandlungen durch Bibelzitate belegt werden. Einige Beispiele:

In 2. Makkabäer 7 wird der Märtyrertod der sieben Brüder und ihrer Mutter berichtet. Als der erste Sohn gemartert wurde, ermahnen sich die anderen durch ein Zitat aus dem 5. Buch Mose: „Und seinen Knechten wird er gnädig sein“ (2. Makkabäer 7, 6). Sirach 1 redet von der Weisheit und Gottesfurcht und zitiert Psalm 111, 10; Sprüche 1, 7; 9, 10: „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang.“ In Baruch 2 finden wir in dem Bußgebet der gefangenen Juden in den Versen 19 bis 20 ein Zitat aus Daniel 9, 18: „Herr, unser Gott, wir liegen vor dir mit unserem Gebet, nicht um der Gerechtigkeit willen unserer Väter und unserer Könige, sondern um deiner Barmherzigkeit willen.“

Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen. Sie alle sind Belege dafür, dass die Verfasser der Apokryphen offenbar versucht haben, ihren Schriften erst durch die Unterstützung aus dem Alten Testament so recht Gewicht zu verleihen. Dies ist ein weiterer Hinweis für die mindere Qualität ihrer Bücher.

 

Das Bekenntnis des Verfassers des zweiten Makkabäerbuches

 

Nicht zuletzt sei noch erwähnt, dass der Verfasser des zweiten Makkabäerbuches selbst nicht den Anspruch erhebt, dass sein Werk von Gottes Geist inspiriert sei. Er schreibt: „Ist die Darstellung schön und geschickt ausgefallen, so ist mein Wunsch erfüllt. Ist sie aber mittelmäßig und schwach, so tat ich doch, was in meinen Kräften stand“ (2. Makkabäer 15, 38 Jerusalemer Bibel). Der Verfasser rechnet also von vornherein damit, dass sein Werk „schwach“ oder gar schlecht, mit anderen Worten, unvollkommen ist. Wie kann aber ein von Gottes Geist eingegebener Text unvollkommen sein? Gott ist vollkommen und irrtumsfrei! Deshalb ist das, was aus dem Geist Gottes kommt, ohne Fehler und nicht „mittelmäßig“ oder „schwach“: „Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit“ (2. Timotheus 3.16).

 

Die Lehren, die wir aus dem Festgestellten zu ziehen haben

 

Aus dem Herausgearbeiteten kann der aufmerksame Leser erkennen, dass die Apokryphen nicht im Geringsten irgendeinen Anspruch auf göttliche Inspiration in sich selbst enthalten noch ihnen ein solcher zusteht! Sie sind ein rein menschliches Produkt! Für das Verständnis gewisser ecclesiologischer, d. h. kirchengeschichtlicher Entwicklungen der letzten Jahrhunderte und zum besseren Verständnis der Zeit zwischen dem Abschluss des Alten Testaments (ca. 400 v. Chr.) und dem Beginn der neutestamentlichen Zeit kommt ihnen eine gewisse Bedeutung zu. Wiewohl sie einige legendäre Erzählungen enthalten, schimmert doch der historische Hintergrund ihrer Zeit noch durch.

Der gläubige Leser kann auch beim Lesen der Apokryphen durchaus einen geistlichen Segen empfangen, wie dies bei anderen Büchern ebenso der Fall ist. „Der englische Erbauungsschriftsteller John Bunyan (der Verfasser der Pilgerreise) berichtet einmal, dass er auf der Suche nach einem Vers ‚Sehet an die Beispiele der Alten und merket sie; wer ist jemals zu Schanden geworden, der auf ihn gehofft hat?’ zunächst überrascht und fast erschrocken war, als er merkte, dass er in den Apokryphen steht (Sirach 2, 10). Doch dann erkannte er, dass dieser Satz die Zusammenfassung aller Verheißungen ist und er daher seinen Trost annehmen musste. So konnte er nur Gott dafür danken, denn, so sagt er: ‚Es kam für mich von Gott’“ (Handbuch zur Bibel, op. cit., S.463).

Mehr darf aber nicht in die Apokryphen gelegt werden. Jeder, der sie dem Wort Gottes als authentisch hinzufügt, sündigt gegen den heiligen und lebendigen Gott! Die katholische Kirche hatte nicht das Recht, sie 1546 der Bibel einzuverleiben. Offenbarung 22 belegt jeden mit einem Fluch, der der Schrift irgend etwas hinzufügt oder etwas weglässt: „Ich bezeuge allen, die da hören die Worte der Weissagung in diesem Buch: Wenn jemand etwas hinzufügt, so wird Gott ihm die Plagen zufügen, die in diesem Buch geschrieben stehen. Und wenn jemand etwas wegnimmt von den Worten des Buches dieser Weissagung, so wird Gott ihm seinen Anteil wegnehmen am Baum des Lebens und an der heiligen Stadt, von denen in diesem Buch geschrieben steht“ (Offenbarung 22, 18-19).

Die Deutsche Bibelgesellschaft handelt deshalb auch im Widerspruch zum Willen Gottes, wenn sie die Apokryphen als „Spätschriften des Alten Testaments“ in ihre Bibelausgaben aufnimmt (auch wenn dies als gesonderter Block zwischen dem Alten und Neuen Testament geschieht) und somit suggeriert, dass sie ein Teil des Alten Testaments sind. Diese Handhabung passt zwar in ein Klima ökumenischer Vereinnahmung und Verführung, ist aber dem Geist Gottes zuwider. Der unbedarfte Bibelleser wird auch beim Gebrauch des Parallelstellenverzeichnisses bei den neueren Ausgaben der Bibel Verweisstellen auf die Apokryphen finden und diese unweigerlich den echten Parallelstellen gleichsetzen. Von dieser Praxis sollten sich Gläubige deutlich distanzieren und nach Bibeln ohne Apokryphen und ohne Verweisstellen auf die Apokryphen verlangen!

Wer die Apokryphen dennoch lesen möchte, kann sie ohne weiteres als gesonderten Band käuflich erwerben. Und wer trotz des Festgestellten eine katholische Ausgabe der Bibel benutzen möchte, sollte sich markieren, welche Bücher, Kapitel und Verse kein Gotteswort sind. Wohlgemerkt: In solchen Ausgaben der Bibel sind die apokryphen Texte unter das echte Wort Gottes gemischt und nicht ohne weiteres als apokryph erkennbar! Hier ist eine besonders sorgfältige Handhabung und Trennung dringend geboten! „Seht zu, dass euch nicht jemand verführe!“ (Matthäus 24, 4).