Emmi Busch
Ein Bündel Briefe
1980 © Aussaat- und Schriftenmissions-Verkag GmbH, Wuppertal
Umschlag: Gerd Meussen, Essen
Satz: Bongers, Lünen
Druck: Aussaat-Druckerei, Wuppertal ISBN: 3-7958-0839-1
Inhaltsverzeichnis
Ein
Erlebnis-Bericht anstelle eines Vorworts
Ein alter Brief - ganz aktuell
Johanna
Busch an ihre Hülbener Verwandten
Zum Abschied von der ersten Gemeinde
Gereimte
Geburtsanzeige und Gratulationen
Friedrich
Busch an seinen Neffen Wilhelm Busch
Von
Elisabeth Krieger (Schwester von Wilhelm Busch), Edmonton/Kanada, an ihre
erkrankte Nichte
Mittragen
und Mitstreiten im Kirchenkampf
Buschs Freunde Hagelloch grüßten den Gefangenen mit einem
ganz besonderen Bibelwort
Nach der Entlassung aus dem Gefängnis
Wilhelm
Busch schreibt im Gefängnis in Gelsenkirchen
Wilhelm
Busch an die Eltern seines Patensohnes Heinz Stöffler, als dieser im Kriege
gefallen war
Aus
Briefen während des Krieges in Essen
Wilhelm
Busch zum Geburtstag der Mutter
Pastor
Martin Niemöller schrieb an Wilhelm Busch
Vom
Soldaten Wilhelm Busch jun. aus Russland
Als
Wilhelm Busch jun. gefallen war, schrieb ein Glied der Marktkirchen-Gemeinde
Rundbrief
von Pastor Hans Dannenbaum von der Berliner Stadtmission Weihnachten 1944
Erste Berichte nach Kriegsende
Von Margarete Busch an Familie Stöffler
Von
Friedrich Müller, Rektor in Geliershagen bei Bielefeld, Vater von Emmi Busch
Emmi
Busch über ihren kranken Mann
Von
Pastor Raeder, Berliner Stadtmission
Bericht
über ein aufregendes Erlebnis
Aus
dem Wirken einer Heimmutter
Von
dem Kirchentagspräsidenten Reinold von Thadden-Triegiaff
Von
einer dankbaren Kirchentagsbesucherin.
Wilhelm
Busch an seinen Onkel Albrecht Kullen.
Wilhelm
Busch an seinen Schwiegersohn
Ein
erschütterndes Echo auf eine Evangelisation
Vom
Freund, Bruder und Mitstreiter Pastor D. Paul Tegtmeyer
Nach einer Tersteegensruh-Konferenz
Elisabeth
Busch an.ihre Schwester
Ein
Briefwechsel zwischen Schriftleiter und Leser
Zeilen
von Gustav W. Heinemann
Nach
dem Heimgang von Wilhelm Busch
Von
Oberkirchenrat Werner de Boor
Elisabeth
Krieger, eine Schwester von Wilhelm Busch, schreibt aus einem Altenheim in
Kanada
An
die kranke Großmutter von einer Enkelin
Die
junge Mutter Irmgard Kuhn lässt ihr Kleinkind erzählen
Die
alte China-Missionarin Marie Linz schreibt von ihrer Geburtstagsfeier
Von
Volkhard und Gerlinde Scheunemann, Batu/Indonesien
Präses
Karl Immer an die Pfarrwitwen
Brief
einer Zinti (Zigeuner)-Missionarin
Hanna
Stöffier berichtet über Luizhausener Weihnachten 1979
Von
Jakob Friedrich Kullen an Zeugmacher Rothfuß in Schönbronn
Wie glücklich sind wir nun fast zehn Jahre hindurch an unserer
Wohnung in der Richard-Wagner-Straße gewesen! Jetzt bricht eine große Sorge
herein:
Die Straße soll Zufahrt zur Autobahn werden, es muss mit
einer Zunahme des jetzt schon starken Verkehrs um 100% gerechnet werden, nachts
werden ratternde LKWs den Schlaf stören, die Luft wird von Autogasen erfüllt
sein – ob wir dabei leben können?
Der Bürgerbauverein als Hausbesitzer legt den Mietern nahe,
eine Eingabe zu machen und Einspruch zu erheben. Auf Bitte der anderen
Hausbewohner soll ich diesen Brief schreiben, liege nun nachts stundenlang wach
und bewege die ganze Angelegenheit. Wie kann ich unser Anliegen dringend genug
machen, wie drücke ich es aus, amtlich und zugleich mit Herz? Wer soll das
Ganze vorschriftsmäßig tippen? Und was soll werden, wenn die Stadt ihre Pläne
doch durchführt trotz allen Protestes?
Die Sorge um unsere liebe Wohnung wird zu einem Alpdruck für
mich. Mit meiner Unruhe gehe ich in den neuen Tag – und erlebe wieder einmal
die wunderbare Hilfe Gottes: Als ich am Morgen unseren Briefkasten aufschließe,
um die Post zu holen, fällt mir ein großes Kuvert von meiner Schwägerin in die
Hand. Sie schickt mir die Abschrift eines Briefes meiner Schwiegermutter vom
19. Dezember 1921, den sie nach deren Heimgang im Jahre 1954 bei der Auflösung
des Haushaltes mit mancherlei anderem Nachlass von Hülben mitnahm. Erst jetzt
sei sie dazu gekommen, die alten Sachen zu ordnen, habe dabei nach fast 25
Jahren den wertvollen Brief gefunden und für die Geschwister abgeschrieben.
Mit Bewegung lese ich, wie meine Schwiegermutter ihren neuen
Witwenstand schildert: „Witwe. – Das heißt weites Weh."
Ergreifend beschreibt sie ihr tiefes Weh, aber daneben die
Geborgenheit im Herrn. Und dann lese ich den Satz, der meinem eigenen unruhigen
Herzen einen schweren Stoß versetzt „Ich habe keine Angst vor schlechter
Wohnung, wir warten ja auf die Stadt, die einen Grund hat, deren Schöpfer und
Baumeister Gott ist…"
Das ist mir wie vom Himmel zugerufen, jetzt, gerade in
meiner Situation. Darum musste dieser Brief mehr als 57 Jahre verborgen
bleiben, damit ich ihn durch Engeldienste in diesem Augenblick in die Hand
bekäme, da er mir zur entscheidenden Hilfe werden sollte.
Natürlich kann ich diese Erfahrung nicht für mich behalten, erzähle
meinen Lieben davon und lese den kostbaren Brief auch einem guten Freunde vor…
Ohne mein Wissen berichteter bei einer Besprechung im Schriftenmissions-Verlag
davon, und kurze Zeit darauf erreicht mich ein Brief vom Verlag, in dem er mich
bittet, von solchen Wertstücken „ein Bündel Briefe" zur Verfügung zu
stellen zur Freude und zur Hilfe für Interessierte.
Gern komme ich hiermit dieser Aufforderung. nach, obwohl es
sich dabei leider nicht ganz vermeiden lässt, dass die Familie Busch ein wenig
in den Vordergrund gerückt wird. Doch wurde ich in meinem Vorhaben bestätigt
durch ein Wort meines Mannes, das ich in einem Briefe las. Da schreibt er als
junger Vikar im Jahre 1922 an seine Mutter: „Manchmal ist es mir ganz
überwältigend, dass eine solche Frau, die so Briefe schreibt, sich diese Mühe
nur mir zuliebe macht. Du treibst die großartigste Verschwendung, indem Du
solchen Reichtum nur mir zuteil werden lässt…" So ist es gewiss in seinem
Sinne, wenn wir hiermit auch andere an diesem Reichtum teilhaben lassen.
Nur damit wäre er gewiss nicht einverstanden, dass die Liebe vielleicht sein Bild verklärt. Er selbst würde vielmehr betonen:
„An mir und meinem Leben
ist nichts auf dieser Erd!
Was Christus mir gegeben,
das ist der Liebe wert."
Essen, im Frühjahr 1980 Emmi Busch
Frankfurt, den 19.
Dezember 1921
Meine Teuren!
„Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich:
Freuet euch! Eure Lindigkeit lasset kund sein allen
Menschen. Der Herr ist nahe! Sorget nichts! Sondern in allen Dingen lasset eure
Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden. Und der Friede
Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in
Christo Jesu." –
Leset dies einmal Satz für Satz so durch, als habt Ihr's
noch nie gehört.
Nun bin ich Witwe. – Das heißt: „weites Weh". Ich hatte
furchtbares Mitleiden mit den Witwen durch meinen ganzen Ehestand hindurch, ich
dachte, ich könnte nicht mehr ohne meinen Mann leben. Aber weich weites Weh es
ist, weiß ich jetzt erst. Es ist soweit, wie die ganze Welt und der Himmel weit
ist, und so tief, viel tiefer als das tiefste Meer, es ist so unendlich und so
unsagbar, solch ein Weh, dass man es gar keinem einzigen Menschen sagen kann,
nur einem könnte man's sagen, und der ist ja nicht mehr da. Aber dem Heiland
kann man's sagen, und er deckt mich mit seinen Wunden und seiner Liebe so, dass
ich nur Sekunden lang ins „Weh" sah bis jetzt und nur unseres lieben
Heilandes größte Liebe sehe. „Er ist auf Erden kommen arm, dass er unser sich
erbarm."
Nach dem Tod meines lieben Mannes stürzte ich mich in die
Arbeit, wollte noch etwas räumen von all dem, was sich in den 15 Jahren von
Ballast angesammelt hatte. Da fiel ich auf nassem, frisch geputztem Boden im
Hausgang so, dass ich nicht mehr aufstehen konnte. Meine Kinder trugen mich ins
Bett und hatten großen Schrecken und ich Schmerzen am Knie bei jeder Bewegung.
Ich lag 14 Tage, jetzt humple ich wieder herum, es ist fast gut, doch noch
nicht völlig. Ich sah erst, was wir zu danken haben, dass unser lieber Papa
keine Pflege brauchte, er konnte allein aus dem und ins Bett bis in die letzte
Stunde. Ich hatte es sehr gut. Mit viel Liebe gepflegt von meinen teuren
Kindern. Sehr viele Besuche, denen ich allen von dem seligen Sterben meines
lieben Mannes erzählte.
Es ist rührend, wie Hoch und Nieder bei mir um meinen Mann
weint. Frau Geheimrat Spieß, die Frau des ersten Professors Dr. med. hier,
sagte: „Er war ein Fels für uns in Frankfurt" – und saß an meinem Bett und
weinte, ebenso wie Donners Dienstmädchen, die so gern ins Stündle
kam: „Er war uns ja allen ein Vater." Die alte
Ex. Schmidt und die junge Frau Major, deren Mann gefallen ist, trafen sich bei
mir, kannten sich nicht, aber weinten zusammen, und die junge Frau sagte, er
war uns nicht nur Pfarrer, er verstand uns so menschlich, wie ein Freund und
Bruder trug er mit uns. Frau Gräfin saß an meinem Bett und sagte: „Ich habe am
Sarg Ihres Mannes ihm noch gedankt, dass er mir half, dass ich jetzt ein
anderes Verhältnis hab' zu meiner Schwägerin." Sie wolle es auch mir aussprechen,
dass sie es nur meinem lieben Mann danke. – Sie schrieb einmal, und darauf
hatte ihr mein Mann so sehr deutlich und so klar, wie es scheint's Gräfinnen
sonst nicht hören, gesagt, was der Christen erste Pflicht sei, dass sie Frieden
halten und Liebe üben.
Auch ein Theologe aus Württemberg saß an meinem Bett, die
Kinder sagten: „Du musst ihn noch sprechen, er besucht ja fast nur liberale
Pfarrer hier." Auch ganzarme Weiblein kamen, die man unterstützte, und
drückten ihre Liebe aus, und Eisenbahners Frauen, die ein Körble
Kartoffeln und Gemüse brachten, nur weil Herr Pfarrer sie so oft besuchte, als
sie in Krankheitsnot waren. Ganz weltliche Männer, die nie zur Kirche kamen,
jammern den Küster an: „Warum haben Sie denn unsern Pfarrer Busch sterben lassen,
was fangen wir denn an, wenn wir den nicht mehr haben'?"
So höre ich nur von Liebe und Teilnahme. Und wenn ich allein
bin, habe ich Gemeinschaft mit der oberen Schar, da kann ich nicht trauern, das
ist himmlische Herrlichkeit. Offenbarung 21, 22 und Lukas 12, 37 freuten mich
besonders. Aber auch die Glaubenshelden Hebräer 11. Und ich habe keine Angst vor schlechter Wohnung, wir warten ja auf die
Stadt, die einen Grund hat deren Schöpfer und Baumeister Gott ist.
Ja, wir haben diesen Herbst die kolossale Teuerung auch
gemerkt. Als mir der Landwirt absagte, wo ich Kartoffeln bestellt hatte, so
spät, dass ich nur noch zum Händler konnte, da sagte ich zu Herrn Schröder: „Wo
soll das hinaus? Als ich nach Frankfurt kam, kostete 1 Zentner Kartoffeln 3
Mark, und jetzt 130 Mark."
Aber als das Weh über mich kam, wurden alle anderen Sorgen
verdeckt. Ich weiß, dass ich keinen Versorger mehr habe, aber ehe mein lieber
Mann ging, hat er uns so ans reiche Vaterherz Gottes gelegt, dass ich auch noch
dort liege, wenigstens ihm unser äußeres Leben voll und ganz in Ruhe überlasse.
Es ist mir so vollkommen einerlei, und ich möchte mit Paulus sagen: „Ich habe
gelernt, worin ich bin, mir genügen zu lassen. Ich kann niedrig sein und kann
hoch sein, ich bin in allen Dingen geschickt, beides, satt sein und hungern.
Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus."
Aber ich habe jetzt noch gut reden, sitze noch in unserer
Villa, dem schönsten Haus Frankfurts, und habe noch das alte Gehalt. Und Ihr
Lieben schicktet mir Butter, und hier haben sie Hasen
für uns geschossen. Wir leben besser als zu Papas Zeiten, aber das ist ja kein
Wohlleben für mich, es tut mir wehe, dass er's nicht besser hatte, mein süßer
Schatz.
Wenn ich mich dem Schmerz hingebe, versäume ich etwas an meinen
Kindern. Z. B. gestern Morgen erwachte ich und dachte, ich hätte nach den
Konfirmandenstunden mit einer Erfrischung bereitstehen sollen, ehe er wieder
ins Marthahaus oder zu seinen „Brüdern" oder in eine Sitzung ging. Da fiel
mein Blick in der Kirche auf meinen Sohn Wilhelm, der so elend da saß, und mir
fiel ein, dass er ohne Morgensuppe ins Vereinshaus stürzte, wo er
Frühgottesdienst hatte, und von dort gleich in Greiners Predigt ging, da sie
denselben Text hatten, hörte er's besonders gern. Da hätte ich ja lieber meinen
Sohn abpassen sollen mit einem Teller warmer Suppe, als über Versäumtes Leid zu
tragen.
Wie viel wollte ich Euch noch erzählen.
Es ist mir zum Dank, dass wir noch so schöne Jahre zusammen
hatten, mein Mann und ich. Ich stand nicht mehr so im heißen Mittag des Lebens,
ich konnte mich viel meinem Mann widmen. Wir haben es genossen wie Brautleute, dass
wir z. B. keine Kohlen haften und mein Mann bei uns im Esszimmer arbeitete, war
zu schön für mich. Oft begleitete ich ihn auf den Friedhof öder Baslerhof, nur
um bei ihm zu sein.
Frau Schopf schrieb, mein Mann habegesagt: „Es wird immer
schöner bei uns." Wir haben unser großes Glück unendlich genossen, unsere
Liebe wurde immer grüner und jünger. Und die hat nicht aufgehört. Der Liebste
ist beim Heiland, und ich bin auch beim Heiland, es ist nicht diese Kluft, wie
ich's gedacht hätte.
Ich fragte Johannes kürzlich, was denn Papa noch gesagt
habe, als er die erste Nacht wachte. Da sagte er, Papa habe gesagt: „Was ist
es, wenn die Ewigkeit über einem Haus steht!" Und dann: „Ihr müsst Mama
auf Händen tragen." – „Ihr müsst sehr zart mit Mama sein, sie kann's fast
nicht tragen." – „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den
großen Nöten, die uns getroffen haben. Dennoch soll die Stadt Gottes fein
lustig bleiben mit ihren Brünnlein."
Im Kinderzimmer ist ein Indianerzelt aufgeschlagen. Da
spielen Friedrich, Mäxle und Eberhard mit Schild und
Speer, mit Helm und Panzer. – Oder es durften alle 5 Buben von 4 Eiern Springerlein ausdrücken und ziemlich Teig versuchen. Es
sind ja alles Halbwaisen, sie sollen Freude haben, so gut es geht. Eurer
Teilnahme und Fürbitte bedürftig
Eure Frankfurter
Frau Johanna Busch,
geb. Kullen, Mutter von drei Theologen-Söhnen Wilhelm, Johannes, Friedrich und
von fünf verheirateten Töchtern stand im lebhaften Brief-Verkehr mit ihren
Kindern, zunächst von Frankfurt aus, später aus ihrer Heimat Hüben.
Eine Auswahl davon
findet sich in dieser Zusammenstellung, zum Teil in Auszügen. Liebevoll
verfolgt sie den Weg ihrer Kinder.
6. August 1924
Meine herzlieben
Kinder!
Meine Seele ist tief bewegt vor Freude und Dank, aber auch
von Wehmut, dass doch manches in der Welt so schnell vorübergeht. Aber weil
alles so ganz ungesucht und ungewollt an Euch herangetreten ist und die Wahl so
unerwartet auf Dich fiel, wollen wir glauben, dass Gottes gnädiger Wille Euch
nun nach Essen ruft.
Und wenn Er sagt: „Gehe aus! ", dann geht eben ein
Abraham mit seiner Sara, auch wenn das Ausgehen manche Mühsale und ein großes Dahintenlassen von viel Lieben bedeutet. Und ich möchte von
ganzem Herzen beten: „Hebe an zu segnen! Was Du, Herr, segnest, das ist
gesegnet ewiglich."
Sein Segen setze Euch jetzt noch zu reichem Segen noch jeden
Augenblick, den Ihr Lieben in dem mir so lieben Petri-Pfarrhaus und
Gemeindehaus sein dürft. An Kranken und Gesunden mögen Eure Worte Kraft, Frucht
und Leben schaffen! Es ist so viel Verzagtheit und Verzweiflung durch
Arbeitslosigkeit und Geldmangel. Möget Ihr noch denen begegnen, denen Ihr von
unserem lieben reichen Heiland sagen dürft, so dass sie Ihn auch aufnehmen und
Gottes Kinder werden.
Gott setze Euch zum Segen für Eure Jugend, die Euch der
liebe Gott in den Vereinen schenkte, dass Ihr ihnen noch die eine köstliche
Perle zeigen dürft, dass sie nicht länger suchen, sondern alles andere
verkaufen und sich dieses köstlichen Kleinods freuen und ihre Jugend und ihr
Alter dadurch selig wird.
Gott segne Euch beide und erfülle Eure Herzen jeden Morgen
mit Seinem Heiligen Geist, dass Euer Lebensschifflein
so im Heiland verankert ist, dass die kleinen täglichen Übungen und
Unvollkommenheiten des Lebens Euch nicht berühren noch wankend machen dürfen,
und dass es immer mehr heißt wie in dem württembergischen Trauformular: „… dass
jeder darauf bedacht sein möge, dass eins das andere mit sich in den Himmel
führe."
Ich wollt, ich wäre noch mal junge Pfarrfrau und könnte die
Arbeit meines Mannes betend begleiten, betend hinter ihm stehen bei jeder
Konfirmandenstunde, bei jeder Sitzung, jedem Hausbesuch etc. Da habe ich viel
versäumt. Bei Predigten tat ich's schon, das spürte Papa. Gott mache Dich,
liebstes Emmilein, zu solcher stillen Beterin, dann
wirst Du Wunder erleben…
Nun soll Gottes Segen mit Euch ziehen, Euch tüchtig machen,
dem armen besetzten Volk von der Freiheit der Kinder Gottes zu sagen, die in
Ketten singen und Gott loben dürfen. Den armen Arbeitern, dass sie Könige und
Priester schon auf dieser Welt sein dürfen.
Gott schenke Euch Seinen Geist, dass Er Euch lehre, was
nützlich ist und wie Ihr mit den Müden zu rechter Zeit reden könnt, das Rechte
dem Armen und dem Reichen zu sagen.
Machet Euch nur recht in die Bibel hinein, in die Schriften der Alten, die aus der rechten Quelle tranken, dann wirst Du Dich nie auspredigen, mein Herzenssohn. Er schenke Euch auch die Liebe Eurer Kollegen und erhalte sie Euch!
„Wer fein niedrig einherschleicht,
wird von keinem Fall gebeugt,
wer gering ist ohne Pracht
und allein die Demut acht',
der ist Gottes lieber Knecht,
Seine Weisheit führt ihn recht",
schrieb ein alter Vater Kullere seinem Sohn ins Notenbuch.
Innig
Eure Mama
5. November 1924
Meine geliebten
Kinder!
Morgen ziehet Ihr in Essen ein. Ich begleite Euch die ganze
Woche des Abschieds, auch mir tut's weh, dass Ihr das bequeme, kleine, sonnige
Heim nun verlassen müsst. Aber der Gott, der Euch bis jetzt so reich gesegnet
hat, Er wird mit Euch ziehen und wird die Hand nicht abtun noch Euch verlassen.
Er stellt nun Euren Fuß auf weiten Raum. Möge Euch Essen eine
ebenso liebe, traute Heimat werden – soweit die Erde uns Heimat ist –, dass es
Euch wohl und warm wird und allen, die unter Eurem Dache einkehren, dass jeder
etwas von dem spürt, dass bei Euch ewige Heimatluft weht und Ihr nur Gäste und Fremdlinge
auf dieser Welt seid, aber allen den Weg zur wahren Heimat zeigen möchtet.
Gott rüste Euch aus mit Seinem Heiligen Geist. Es sehen so
viele auf Euch, und so vieles stürmt zusammen. Mögen Eure Seelen im Heiland
verankert sein und nicht unruhevoll schwanken bei den Umzugsstürmen!
Gott beschütze namentlich auch Euer süßes Kindlein, dass
sich's nicht erkältet auf der Winterreise und ihm der Wechsel nicht schadet.
Ich las heute Abend vom König Saul. Gott bewahre uns vor uns selbst und schenke uns Demut, Sanftmut, Mut und Kraft!
Ich lese, es schläft noch alles – 6 Uhr morgens – meine 2
Kapitel. 2. Korinther 5 und 6. Es ist alles wie für Dich, mein lieber Sohn. Er
hat auch Dir das schöne Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Werde ein
rechter Einlader, dass die Tische einst auch durch Dein Einladen voll werden!
Gott helfe Dir, dass Du allen zeigen kannst, dass des Heilands Gerechtigkeit
das hochzeitliche Kleid ist. Bete um Weisheit, dass Dir der liebe Gott die
Worte schenke, die jeder versteht, nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem
Herzen.
Wie ist Gottes Wort so köstlich! Ich erlabe mich daran mit
allen Zügen. Kapitel 6, 10. Und der Schluss möge sich an Euch herrlich
erfüllen: „Ich will unter ihnen wohnen und unter ihnen wandeln…" Es kam
mir so gar schön vor, wenn der allmächtige Herr als Vater Eure noch kahlen
Zimmer durchwandelt und Euch alles heimisch und himmlisch schön macht mit
Seiner Nähe und Liebe.
O, meine lieben Kinder, was wünsche ich Euch alles! Leget
Euch kindlich fröhlich in des lieben Heilands Schoß, und seid immer nur lieb
mit allen, auch mit den Hausgenossen!
Innig küsst Euch
Eure Mama
Die jungen Eltern
Wilhelm und Emmi Busch zeigten die Geburt ihres dritten Kindes mit einem Vier-Zeiler an.
„Wir fordern alle Lieben auf,
sich recht mit uns zu freu'n,
denn Gottes Güte schenkt' uns heut
ein herzig's Töchterlein!"
Darauf erhielten sie viel
fröhliches gereimtes Echo.
Z. B.:
„Da lacht mein altes Onkelherz
und freut sich wie noch nie:
Ein herzig's Töchterlein ist da,
und Onkel bin ja i."
(Johannes Busch)
Oder:
„Wir haben uns mit Euch gefreut.
Gott segne Eure Kleine.
Wir wünschen Euch, Ihr lieben Leut,
so jedes Jahr noch eine."
(Wilhelm Böhm)
Ganz besonders
originell war der Brief ihres alten Bielefelder Kollegen Kortmann
von der Petrigemeinde (am Finkenbach):
Bielefeld, den 2.
Februar 1927
Lieber Bruder Busch!
Wohl mancher seufzt in unsrer Mitte:
„Mein Gott, in Essen schon das Dritte!"
und schüttelt sorgenvoll den Kopf
und denkt an Buschens Suppentopf!
Doch Onkel Petrus mit Bedacht –
seht nur, wie er vergnüglich lacht –
zieht breit den Mund und denkt dabei
an eigne Kinderkriegerei.
Kaum, dass das erste richtig lief,
das zweite noch nicht „Papa" rief,
so war, eh' man sich des versah,
auch schon, juchhei, das dritte da.
Und kaum war das ganz stubenrein,
da hört man schon das vierte schrein.
Und wiederum nach kurzer Dauer
stand schon das fünfte auf der Lauer.
Und kaum verstrich nach dem ein Jahr,
kommt Nr. sechs zur kleinen Schar.
Ein halbes Dutzend in der Reihe,
drei Söhne und der Töchter dreie.
An allen Ecken krabbelt's rum,
mit Staunen sieht's das Publikum.
So werd's auch Euch von Gott beschert.
Er ist's, der gibt und auch ernährt.
Und gibt er mehr, auch Nr. sieben,
ganz ohne Ende ist sein Lieben.
Ja, wären's acht, ja, neun und zehn,
stets größere Wunder sollt Ihr sehn.
Und würde gar das Dutzend voll –
man kriegt ja, wie man's haben soll –,
er hebt und trägt in treuster Pflege,
bahnt unserm Fuß des Lebens Wege,
gibt Speise uns für Leib und Seele
und sorgt, dass es an keinem fehle.
So sprich bei jedem froh: „Willkommen,
du bist hier gastlich aufgenommen.
Doch schlag mir nicht so lauten Krach,
und mach mir nicht die andern wach!
Und drängt dich etwas innerlich,
mein Freund, beizeiten melde dich!"
Also, mit altem Bergmannsgruß
„Glückauf" für Herz und Hand und Fuß.
Gott mög in seiner Gnade walten
ob all den Jungen wie den Alten.
Er geb dem Jüngsten froh Gedeihn
und Stärkung seinem Mütterlein.
Das wünscht Euch allen unvergessen
im fernen kruppberühmten Essen
mit allen unter seinem Dach
der
Onkel an dem Finkenbach
Johanna Busch an ihren Sohn Wilhelm
22. März 1932
Mein Herzenssohn!
Heute ist solch heller Sonnenschein, da gehen meine Gedanken
zurück nach Eiberfeld zu dem wunderbar strahlenden,
blühenden, grünenden Frühling, wie ich ihn vorher nie gesehen hatte, als Du mir
von Gott geschenkt wurdest. Der Einstand in Elberfeld war in Kälte und Trauer,
da die liebe Tante Elisabeth starb von 3 Kinderlein
weg, und wir waren so arm. Aber da war Deine Ankunft, als habe sich für mich
die ganze Welt in lauter Freude und überirdischen Frühling verwandelt. Das
Pfarrhaus stand so hoch und unter uns nur Gärten mit blühenden Obstbäumen.
Ich hatte als Braut in Frl. Holzrichters Garten schon einmal
solch einen unbeschreiblichen Blick gehabt von ihrem Haus aus auf den erwachten
Frühling und alle Jugend, die im Garten spielte. Aber in Elberfeld im März
war's noch herrlicher, weiter der Blick und größer die Wonne an unserm
Buschsohn.
Ich danke Dir für alle Freude, die Du Deinen Eltern bereitet
hast. Wie konntest Du dich freuen an ganz Kleinem, und wie stehst Du vor mir so
zierlich süß, als Du nach einer Krankheit zum zweiten Mal das Gehen lerntest
und Dich an dem kleinen Fensterle auf dem Treppenabsatz im alten Schulhaus in
Hülben, wo man auf den Speicher geht, unterhalten hast im gelben Kleidlein mit roten Pünktchen.
Wie hatte ich Zeit, als ich das Bein gebrochen hatte und Du
so klein warst, Deinem fleißigen Spiel mit Wonne zuzusehen! Wie warst Du später
der große Bruder, erfüllt mit den schönsten Plänen zum wunderbaren Spiel, das
durfte ich erleben.
Als ich die wunderschönsten Männerchöre gehört hatte, die
der liebe Kaiser mit der goldenen Kette und mit seiner Anwesenheit ehrte, und
davon heimkam – Papa war gerade von seinen Amtshandlungen her auch hinter dem
Haus bei Euch und so überglücklich –, da dachte ich: „Wie konnte ich nur weggehen,
so schön wie bei uns ist's ja gar nirgends auf der Welt!"
Gott hat Dein Leben bewahrt und Dir solch köstliche liebe Familie
geschenkt, ein herrliches Amt und Freudigkeit dazu. Gott erfülle Dich täglich
mit seinen hohen Geistesgaben, dass Du allen Menschen so wohl tun kannst, wie
Du mir wohlgetan hast im Januar.
Er schenke Dir solchen Segen bei jedem Wort, wie ich gesegnet
wurde in Essen. Was Du den Arbeitslosen sagtest in der Bibelstunde, kommt mir
wie die schönste Zusammenstellung der Heilslehre vor, die ich je hörte: 1. Mose
1. Nach dem Ebenbild Gottes erschaffen…
in Liebe
Deine Mama
Ende Januar 1933 mussten
die glücklichen jungen Eltern Busch ihren Lieben mitteilen:
„Gottes Hand liegt schwer auf uns. Wir fanden unseres Hauses Sonnenschein, unser liebes Eberhardlein, tot in seinem Bettchen."
Darauf gaben ihnen
viele liebe Briefe reichen Ewigkeitstrost.
Gertrud Pape:
„Gottes Hand" ist es, die nimmt, wie sie gibt. – Unbegreiflich
in spendendem Schenken – unbegreiflich in jähem Abbrechenlassen
des eben geschaffenen Lebens.
„Was unser Gott geschaffen hat, das will er auch
erhalten", haben wir bei Eberhards Taufe gesungen. Und das ist ja sicher
wahr – aber nicht für Euch in Eurem
irdischen Leben. Nicht durch Euch in fürsorgender Liebe und Treue – sondern wie Gott diese,
seine Menschenschöpfung erhält und vollendet, das ist sein Geheimnis, in das
wir nicht schauen können. Davor stehen wir nun als die Glaubenden – im Glauben
an den Schöpfer, den Erlöser, den Heiligen Geist.
„Ich will sie in Seilen der Liebe leiten", war der Text
der Taufrede. Ihr dachtet es Euch anders bei der wunderschönen Taufe. Aber
sicher gehört auch dies uns unbegreifliche Tun Gottes hinein in das Leiten in
Seilen der Liebe.
Nun müsst ihr vielleicht durch dies dunkle Tal gehen, damit
Ihr 2. Korinther 1, 3-4 noch besser lernt – auch im Hinblick auf den Dienst an
der Gemeinde, zu der Ihr berufen seid.
Für Eberhardlein darf man sicher
am wenigsten klagen. „Seine Seele gefiel Gott wohl, darum eilt er mit ihm
hinweg aus diesem bösen Leben." So könnte man immer noch sagen. Ihr lest gewiss
mit tiefer Bewegung alle Paul Gerhardts schöne Liederausklänge, die unsere
Herzen hineinrufen in den himmlischen Garten, wo der himmlische Gärtner ein
jedes Blümelein hegt und pflegt, dass es etwas ist zu
Lob und Preis seines Schöpfers.
Jetzt ist die andere Welt, von der Ihr so gern gesungen,
Euch so nahgerückt Euer eigen Fleisch und Blut, Euer
Jüngstes geht Euch voran, um mit seinen schwachen Händlein
Euch die Tür immer so ein wenig offen zu halten, dass „der Morgenglanz der
Ewigkeit" noch leuchtender und wirklicher hineinflute in Euren Alltag, und
zwar so, dass Euch eine andere Seite von Gottes Wirken, Gottes Welt, von dem
Leben, das er schafft und erhält, aufgeht in dem Stückweisen Erkennen – des
Wandelns im Glauben und nicht im Schauen.
Gott weiß warum. Und Ihr werdet Euch auch jetzt von ihm
führen lassen in Seilen der Liebe. Wenn auch Seile zuweilen reiben und
verwunden können…
Lydia Busch:
Ich habe nur immer wieder schreien können: „Mein Gott, warum
hast Du uns verlassen" – bis ich heute Abend den Vers aufschlug: „Er wird
seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird seine Lämmer in seine Arme sammeln
und an seinem Busen tragen."
Sollten wir solche Seligkeit Eurem lieben Sohn nicht gönnen?
Fritz Bopp:
Was Gott tut, ist uns, die Seine Gnade trägt und bewegt,
nicht „rätselhaft', sondern „wunderbar". Wer von uns weiß, wo jetzt hier
das Wunder liegt? Der Herr wird es offenbar machen zu Seiner Zeit. Der Name des
Herrn sei gelobt!
So müssen wir ringen, dass wir stille werden. Mir geht der
Vers durch den Sinn: „Du weißt, woher der Wind so stürmisch weht."
Fritz Busch:
Was hülfe meine Teilnahme, wenn ich nur davon zu schreiben
hätte, Euch; die Euch vielleicht in diesen Tagen die natürliche Öde im Herzen
und der Anschein der Sinnlosigkeit bei diesem Sterben zu einer satanischen
Versuchung wird, die gefährlicher und tödlicher sein könnte als der Tod selbst.
ich würde es nicht wagen, das bittere Schweigen; das Euch umgibt, mit eigenem
Bemühen, des Todes Bitterkeit zu vertreiben, zu unterbrechen.
Aber wenn wir überhaupt durch Gottes Gnade füreinander
Botschafter an Christi Statt werden dürfen, dann lasst es Euch mit aller Kraft
durch meinen schwachen Mund zurufen: Auch Trübsal geschieht Euch zu Trost und
Heil. Jesus lebt! „Er reißet durch den Tod!"
Und wenn Euch jetzt alles den Keim des Todes in sich zu
tragen und das ganze Leben verbittert zu sein erscheint, dann denkt doch daran,
dass Christen den Keim des Lebens in sich tragen, dass sie ihre Häupter erheben
dürfen, weil sich ihre Erlösung naht, gerade wenn Trübsal, Traurigkeit, der
große Kampf des Leidens, wovon das Neue Testament immer spricht, den Höhepunkt
erreichen.
Werft Euer Vertrauen nicht weg! Um Eurer anderen Kinder
willen lasst Euch durch den Schmerz nicht übermannen. Jesus hat's ja gesagt:
„In der Welt habt ihr Angst." Es ist das Grundgesetz des Reiches Gottes, dass
es nach dem Kreuz zur Auferstehung kommt, dass es durch viel Trübsale zur
Herrlichkeit geht.
Und wenn Ihr nun im Sichtbaren, im Leiden, zu Nachfolgern
Christi werdet, dann möge Euch auch der Blick für das verborgene Leben mit
Christus in Gott geöffnet werden, für das Leben, das am Kreuz angefangen hat.
Wir sehen nur Tod. Gott aber verheißt, dass Er auch diesen „nichtigen
Leib", der nicht länger leben konnte, den kleinen Eberhard, verklären
werde, dass er ähnlich werde dem verklärten Leibe Jesu.
Und wenn Euch dieser Blick verdunkelt ist und Ihr Gottes
freundliches Angesicht nicht seht, dann denket, dass im Sturm, Feuer, Erdbeben
Gott ja gar nicht ist, dass das nur Gottes Vorboten sind. Gott kommt erst
hinterher, und wo Er kommt, da ist Sein Angesicht voll Leben und Gnade. Er
kommt im stillen, sanften Sausen.
Unsere Zeit steht in Gottes Händen. So wie Ihr das Kind in
Euren liebenden Armen getragen habt, so hat Gott jetzt die Zeit dieses Kindes umfasst,
umspannt mit Seinen Händen. Und das schnelle Ende dieses kleinen Lebens ist
nicht weniger von diesen Händen getragen als sein fröhlicher Anfang.
„So wein ich, wenn ich wein', doch noch mit Loben,
das Loben schickt sich fein zu solchen Proben.
Man kann den Kummer sich vom Herzen singen.
Nur Jesus freuet
mich, dort wird es klingen."
Elisabeth Krieger:
Als unser Kindlein starb, sagte ich zu Hannes: „Nun muss es
sich entscheiden, ob unser Glaube nur Bluff war oder eine gewisse Hoffnung des,
das man nicht sieht." Aber wie oft mussten wir unter Tränen sagen wie
jener bekümmerte Vater: „Ich glaube, lieber Herr, hilf meinem Unglauben."
Wir bitten und flehen sehr für Euch, dass Ihr immer die
starken Heilandshände festhalten könnt. Dann bleibt Ihr auch stets in nächster
Verbindung mit Eurem Söhnlein. Denn Er trägt es in Seinen Armen, und es darf
ruhen in Seinem Schoß.
„Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist
alle Morgen neu, und Seine Treue ist groß. Der Herr ist mein Heil, spricht
meine Seele, darum will ich auf ihn hoffen."
Gottlob Mayer:
Professor Kähler von hier, der in
letzter Zeit vorübergehend Preußischer Kultusminister war, verlor vor einem
halben Jahr sein Lieblingskind, die an Pastor Pfannschmidt
verheiratete jüngste Tochter Luise. Sie wurde auf dem Dorffriedhof neben der
Kirche, wo ihr Mann noch heute Pastor ist, beerdigt. Als letzter trat zum
Erdwurf Professor Kähler, der Vater, ans Grab.
Totenbleich. Mit fester Stimme aber sagte er: „Wer lange lebt, bleibt lang im
Leide. Wer frühe stirbt, kommt bald zur Freude. Lebe wohl, mein Kind!" Das
machte auf die große Trauergemeinde den tiefsten Eindruck.
Gott tröste Euch Eltern mit der Gewissheit, dass das, was
wir in Gottes Hände zurückgeben, uns ewig unverloren bleibt. Das Vöglein ist
nur über den Gartenzaun geflogen und singt in einem schöneren Garten weiter.
Elisabeth Hege:
Noch nie habe ich den Vers „Wenn kleine Himmelserben in
ihrer Unschuld sterben, so büßt man sie nicht ein, sie werden nur dort oben vom
Vater aufgehoben, damit sie unverloren sein!" so verstanden wie jetzt. Ist
es doch solch tröstlicher Gedanke, dass er „daheim" ist. Ob auch er jetzt
nicht denkt: „Das Los ist mir gefallen aufs Liebliche"?
Was mag dies kleine Menschenleben uns wohl zu sagen haben?
Denn für sich selbst hat es Gott doch gewiss nicht für so kurze Zeit auf diese
Erde geschickt. Ob es nicht darum kam, dass sein Leben und sein Sterben seiner
Umgebung etwas zu sagen hätte? Ich weiß noch so genau, wie Du, liebe Emmi,
einige Tage nach der Geburt sagtest: „Gott hat uns bisher nur Freude beschert,
was muss Er noch alles an Leid für uns bereit haben." Und nun ist es durch
den kleinen Eberhard so greifbar deutlich zu Euch gekommen, ohne dass Du es
damals wohl geahnt hättest.
Gott führe Euch nun zu Seinem Licht, in dem Ihr Trost und
Kraft findet für Euren Schmerz.
Theodor Barner:
So dunkel Gottes Tun oder Zulassen in solchen Fällen ist,
wir halten doch fest, dass Seine heilige Liebe dahinter steht. Wäre es uns
selbst zumute, als ob ein Gericht Gottes sich über uns da offenbarte, so wäre
es doch ein Gericht verbunden mit Gnade, der ganzen vollen Gnade. Und so
sollten wir nicht den Richter, sondern den Vater sehen in solchem Leid. Den
Vater, der nicht weichlich ist und der Seine Kinder hart züchtigen kann, der
aber Seine Gnade ihnen nicht entzieht, sondern väterlich gesinnt bleibt.
Mir sagte einmal vor Jahren ein Amtsbruder, den ich nach
seinem Familienstand fragte: „Ich habe sieben Kinder, sechs auf Erden und eins
im Himmel." So habt Ihr auch noch Eure fünf Kinder. Nur eines davon im
Himmel. Ihr werdet merken, dass das auch noch ein Reichtum ist.
„Der Herr machet arm und machet
reich." Es war mir bei diesem Wort immer tröstlich, dass das Reichmachen
das Letzte ist. So wird es Euch auch gehen. Das „Armgemachtsein",
das Ihr jetzt spürt, führt zum „Reichgemachtwerden",
ja es trägt das „Reichwerden" schon in sich.
Friedrich Busch war
der jüngste der drei „Theologensöhne". Seit dem Jahre 1936 leitete er das
Gemeinschaftsbruderhaus in Preußisch-Bahnau. Er ist
1944 in Russland gefallen. Bei dem Neffen handelt es sich um den Sohn von
Wilhelm und Emmi Busch.
im Jahre 1938
Lieber Konfirmand
Wilhelm!
So gerne hätte ich an Deiner Konfirmation teilgenommen, sind
wir doch als alte Freunde Hülbens eng verbunden. Und
sowie wir beide untereinander verbunden sind dadurch, dass wir gemeinsam diesen
Ort so lieb haben, so sollten wir wohl auch verbunden sein dadurch, dass wir
gemeinsam den Herren lieb haben, zu dem Du Dich in der Konfirmation bekennen
wirst, dem Dein lieber Vater mit seinem Leben und Beruf dient, dem Deine
Mutter, Deine Großeltern dienen und dem auch ich dienen möchte.
Eine der törichtsten Angewohnheiten des menschlichen Herzens
ist der Zweifel. Besonders in den Jahren nach der Konfirmation spielt er eine
Rolle. So wie man bei jedem Spiel mit einem „Wurf" würfelt, so wird man,
wenn man mit „zwei" herumspielt, zweifeln; d. h. wenn man nie weiß, was
man machen soll, wenn man immer zwei Möglichkeiten hat, wenn man sich immer
überlegen muss, welchen Weg man gehen soll, ob man nicht doch eine andere
Richtung einschlagen soll als die, die richtig ist. Das Gegenteil von diesem „Zwei"-feln ist die Gewissheit. Wenn ein Richter eine
zweifelhafte Angelegenheit durch seine Untersuchung aufdeckt, so dass alles
ganz klar wird, dann sagt man: „Er hat den Angeklagten überführt." Dann
ist zwischen ihm und dem Angeklagten gar nichts Unklares mehr, sondern alles
ist taghell, es gibt nicht mehr zwei Möglichkeiten, sondern nur noch eine
Wahrheit.
Die Bibel sagt, wenn wir in Umgang kommen mit den Worten des
Herrn Jesus, dann werden wir immer mehr überführt, dann ist zwischen uns und
dem himmlischen Richterstuhl alles taghell. Ich wünsche Dir zu Deiner
Konfirmation diese Helligkeit und dass sie über Deinem Leben bleibe. Die Bibel
nennt diese Helligkeit „Gnade und Wahrheit". Dann wird es immer heißen:
„Ich bin gewiss"! Dann fragt man nicht bei jedem kleinen Seitenweg: „Darf
ich den beschreiten?" Man fragt überhaupt nicht dauernd: „Was darf
ich?", sondern man fragt jeden Morgen: „Was muss ich?" Da gibt es dann
nicht 1000 Wege und Abwege, sondern immer den einen guten Willen Gottes.
In Eile
Dein Onkel Fritz
Meine sehr liebe Lisa,
durch Deine liebe Mutter hörte ich, dass Du so sehr viel und
schwer leiden musst in großen Schmerzen. Das ist mir leid um Dich und alle
Deine Lieben.
Ich besuchte eine Frau. Sie leidet schwere Schmerzen und ist
ganz verkrüppelt an Rheumatoid Arthritis. Ihr Mann
starb plötzlich, und nun wird sie scheint's blind. Am Blindsein verzweifelt
sie. Es war einst solch schönes elegantes Paar.
Sie saß am Fenster in ihrem Einzelzimmer, ich sah die
hoffnungslose Verzweiflung in ihr wie nie zuvor. Da erzählte sie mir, sie habe
alles Glück dieser Erde genossen, sei im höchsten Glück mit ihrem Mann gewesen,
beinah unirdisch, nun müsse ihr Gott so viel Jammer geben, dass sich das
ausgleiche. „Verstehen Sie das auch so, Mrs. Krieger?" Ich schrie zu Gott:
„Lass mir was halbwegs Gescheites einfallen!" Ich sagte: „Die Bildhauer
haben Lieblingsstücke. Da hämmern und klopfen und schlagen sie herum, bis das
herrlichste Bild herauskommt.
Wenn Du daheim wärst, dann würdest Du Dich sorgen um Dein
Haus, Essen kochen, Böden putzen, Besuche, Kinder… Nun hast Du gar nichts als
Deine große Not. Und da schafft nun in aller Stille der große Meister ein Bild
in Dir, so wundersam und herrlich, wie Du das gar nicht ahnen und begreifen
kannst. Das wird aus Dir herausstrahlen in solch unfassbarer Schönheit, dass
alles nur den großen Meister rühmen kann."
„Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine
ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit, uns…" Dein Heiland wird
Dir so groß und herrlich und reich werden, dass wir Dich noch alle beneiden
möchten.
Viel denkt an Dich in Liebe
Deine Tante Elisabeth in Kanada
In der Zeit des
Dritten Reiches stand Wilhelm Busch in der vordersten Front. Als Prediger des
Evangeliums fühlte er sich verpflichtet, die Gemeinde vor Menschenlehren zu
warnen, er hielt vollmächtige Predigten, aufrüttelnde Vorträge und schrieb
Flugblätter, die zu Tausenden verbreitet wurden, so dass die Geheime
Staats-Polizei ihn als einen „systematischen Volksaufwiegler und
Volksverhetzer" ansah. Besonders angefeindet wurde er als Jugendpfarrer,
der in Essen eine große evangelische Jugendarbeit hatte. Um seiner Verkündigung
und um seines Dienstes willen musste Wilhelm Busch durch viel Not und
Verfolgung gehen und saß auch dreimal im Gefängnis.
Hülben, den 14. Juni 1933
Meine Herzensschätze!
Frühe bin ich erwacht und las meinen Psalm, indem ich an
Euch dachte. Ich wollte, ihr holtet Euch auch Kraft, Stärke, Feindesliebe,
Frieden und Freude aus der lieben Bibel.
Psalm 57-60 kam bei mir an die Reihe. Leset's
auch in Ruhe! In der Fabrik hier haben Frauen schon um Dich, mein liebster
Sohn, geweint aus Teilnahme. Ich kann's nicht so schwer ansehen.
Du sagtest im Winter: „Ich freue mich auf den Himmel, wenn
niemand mehr etwas von mir will", dass Du etwa schreiben oder reden
sollst. Nun schenkt Dir der liebe Gott schon auf Erden solche Zeit. Ich wünsche
so sehr, dass Du es aus Seiner Hand annehmen kannst und nicht auf die Menschen
siehst, die es ausführen.
Genieße in vollen Zügen Deine geliebte Familie (Hausarrest).
– Schlafe und ruhe. Lies die Bibel durch und die alten Bücher: Bengel, Roos,
Arndt, Paul Gerhardts Leben und keinerlei Zeitung, würde ich fast raten.
Überdenke Dein Leben und freue Dich Deines Glücks.
Ich habe schon Schwereres erlebt. Papas früher Heimgang und Eberhardles schnelles Heimeilen. Aber dies ist jetzt noch
nicht so schwer, wie sie es hier alle auffassen.
Ob ich Euch Herrn Pfarrer Hahns Brief nicht gesandt habe? Er
tat mir sehr gut. Ich meinte auch in meinem Teil, mich gegen die Deutschen
Christen ereifern zu müssen. Da tat mir der Zuspruch so gut: zu schweigen und
zu beten. Nur wenn man es aus Gottes Hand nimmt und wie David sagt: „Lass ihn
fluchen, der Herr hat's ihn geheißen", wird man still.
Johannes der Täufer kam ins Gefängnis und um sein Leben
völlig unschuldig. Aber es tut uns so schmerzlich wehe, dass unser liebes
Vaterland so geführt wird, dass die Ungerechtigkeit überhandnimmt.
Hülben, den 28. Juli
1933
Mögt Ihr vor Gott stehen. Dass Euch dieser Schirm und
Schatten schützt und Ihr Zuversicht und Burg habt.
Es freut mich, dass Du Dich, lieber Wilhelm, mit einem der
„Deutschen Christen" freundschaftlich ausgesprochen hast. Könntest Du es
nicht auch mit Herrn Pastor Graf Korff, falls Du ihn
persönlich beleidigt hast? Ich freue mich, dass Ihr, Johannes und Du, keine
Schmach scheut um des Evangeliums willen. Aber vielleicht war Dein Kämpfen
gerade Korff gegenüber nicht ganz aus der Liebe, die
alles verträgt, alles duldet, alles hofft. „Wenn dein Bruder von einem Fehler
übereilt wird, so helfet ihm zurecht, ihr, die ihr
geistlich seid."
Gott leite Euch und fülle Euch mit Seinem Heiligen Geist und
Seiner hohen Weisheit: „Es war ein hoher Geist in ihm."
Ich zehre noch so sehr von Deinem Besuch und dachte, Deine
Jünglinge haben stets gute Kost, Du führst sie auf eine gute Weide und grüne Lebensau.
Hülben, den 8. März
1934
Es hat mich heute Nacht tief bewegt. Ich verstehe ja gar
nichts, aber ich dachte doch in den letzten Wochen, ob dem lieben Gott der
ganze Pfarrernotbund nicht gefallen habe? Ich habe ja Niemöller
so lieb und sehe, dass die ersten und besten Männer abgesetzt sind. Aber ob sie
ganz recht stehen? Herr Pfarrer Plath sagte, er verlese das Wort zur Lage nicht
von der Kanzel, es sei nicht „geheiligt" genug oder wie er sich ausdrückte.
Ich hörte mit so großem Segen die Predigt von Herrn Pfarrer
Gräber, vom Blinden, der am Wege bettelte. Wie oft erzählte ich's schon weiter,
wie er sagte: Auch wir sitzen noch so oft am Wege, blind und betteln um die
Pfennige unserer eigenen Ehre, unseres Rechtes, unseres Ansehens usw. Und wir
könnten doch längst die Herrlichkeit Gottes sehen usw. Und nach dieser geisterfüllten
Predigt las Herr Pfarrer Gräber das gegen den Reichsbischof. Darauf erhoben
sich SA-Leute, trabten durch den Gang hinaus und riefen: „Alle
Nationalsozialisten raus!" und ganz laut, dass es mir heute noch durch
Mark und Bein geht: "Unerhört!"
Es war mir schmerzlich, dass der Eindruck dieser Predigt
noch so abgestreift wurde. Ob es wirklich wert war, was verlesen wurde, so zu
reizen? Wenn verboten wäre, das Evangelium rein und lauter zu verkündigen, dann
würde ich auch kämpfen und austreten. Aber die Pfarrer haben doch noch dazu das
Recht … Hitler hat scheint's alle bezaubert. „Galater 3, 1."
Ich möchte Dich, mein lieber Sohn, gar nicht beeinflussen,
aber unaufhörlich für Dich zu Gott rufen, dass Er Dir Seinen Heiligen Geist
schenkt und Seine Weisheit, dass Du nicht andere richtest.
Wenn es in Württemberg noch heißt: „Du deckst sie in deiner
Hütte zur bösen Zeit und verbirgst sie heimlich in deinem Zelte", ist's
ein Geschenk Gottes. Das ist doch nicht nötig, dass sie selbst ihr Haus in
Brand stecken. Die Württemberger Brüder beten ja so ernstlich für die
norddeutschen Brüder, die der erste Schlag trifft.
Hülben, den 9. März
1934
Ich bin froh, dass Du, mein herzliebster Sohn, aus dem Amt
bist. Es ist mir lieber, als wenn Du selbst ausgetreten wärst. Betreibt nur
nicht den Kirchenaustritt. Das kommt schon alles von selbst. Der liebe Gott
schließe Euch alte in Sein Erbarmen ein und lasse Euch in Seinem Frieden ruhen.
Meine Gedanken sind Tag und Nacht so viel bei Euch.
„Lass die Wellen höher schwellen, wenn du nur bei Jesus
bist." Ich wollte, ich könnte Euch alles Schwere abnehmen. Dass Du nicht
weiter predigen sollst, tut mir wehe. Aber Gott möge selbst mit Euch reden und
Euch sagen: „Ich habe dich lieb!"
Hülben, den 16. April
1937
So tief hat mich bis jetzt noch nichts bewegt als Deine Not,
wie Du schreibst, ob Du nach Königsberg sollst oder nicht. Wann ist dort die
Evangelische Woche? Raten kann Dir da nur Gott. Er
soll Dich mit Seinem Heiligen Geist erfüllen, dass Du gewisse Tritte tun kannst
und Deinen Weg hell erleuchtet siehst.
Theodor Lipps hat eine Tischrede gehalten. Er erzählte, als
der liebe Großvater Mayer um seine erste Braut in Korntal warb, war diese Minna
sehr unsicher, ob sie die Anstaltsmutter für 80 Kinder werden könne. Sie betete
mit einer Freundin bis in die Nacht, Gott solle ihr Seinen Willen zeigen. Als
dann der Nachtwächter auf der Straße sang: „Um 11 Uhr sprach der Herr das Wort,
geht auch in den Weinberg fort", war es ihr ins Herz gefallen. Sie stand
von den Knien auf, sagte: „Ich soll in den Weinberg des Herrn, ins
Hardthaus" und wurde ganz sicher, Gott habe ihr diesen Mann und dieses
große Haus gegeben.
So wird der liebe Gott auch unser Flehen und Schreien hören
und Dir ganz klar Seinen heiligen Willen zeigen. „Sei nur getrost und sehr
freudig, derer sind mehr, die bei uns sind, denn die bei ihnen sind."
Diese himmlischen Heerscharen umgeben Dich und nehmen Dir alle Furcht.
Eure/Deine Mama
Hülben, den 17. April 1937
Mein Herzenssohn!
Tag und Nacht gehe ich mit Dir um. Gott soll Dir den Frieden
schenken, den die Weit nicht kennt und der Leib und
Seele gesund erhält. Wie schrecklich dauerst Du mich in der Ungewissheit, ob Du
nach Königsberg sollst oder nicht. Wenn gerade die Evangelische Woche verboten
ist, könnte man's nicht anders heißen?
Die Bekenntnisgottesdienste sind doch bis jetzt erlaubt.
Du dachtest auch, Dein Jugendhaus höre auf. Dann hast Du es
bis heute unter dem Namen „Stadtmission" fortgeführt in großem Segen.
Es ist mir zurzeit das Wichtigste: Johannes 14, 27, dass wir in Gottes Frieden ruhen. Jener sterbende Offizier ließ sich von seinem Burschen dies aufschlagen und lesen und sagte: „Diesen Frieden habe ich."
Deine Mama
Hülben, den 14. Juni 1937
Lieber Wilhelm!
Gestern früh las ich Offenbarung 2, 10. Da machten mir die
Worte einen besonderen Eindruck: „Siehe, der Teufel wird etliche von euch ins
Gefängnis werfen." Aber ich hatte keine Ahnung, dass zu diesen auch schon
mein Patensohn gehöre.
Als ich nachher mit Renate im Garten draußen arbeitete, kam
die Post, und Deine liebe Mama las uns Emmis Zeilen vor. Es hat mich Tränen
gekostet. Merkwürdig, wie gelassen Deine liebe Mutter die Nachricht aufnahm!
Mir ist nun der ganze Vers wichtig für Dich: „Fürchte dich
vor der keinem, dass du leiden wirst." Und namentlich auch das: „Und
werdet Trübsal haben 10 Tage." Wie manchmal haben uns die lieben Brüder
das so ausgelegt, die Trübsalszeit sei also schon
vorher bestimmt, wie lange sie dauern dürfe.
Von Oetinger las ich neulich, des Teufels Werk gleiche nur
einem Unwetter. Auch sagte er, Gottes Werk werde oftmals so verdeckt
durchgeführt, dass der Teufel trotz all seiner List und seinem Zerstörungstrieb
nicht dahinter komme, was Großes und Herrliches der Herr Himmels und der Erde
vorhabe.
So ist nun mein größter Wunsch für Dich, lieber Wilhelm,
dies: Dass Du in der abgemessenen Trübsal immer wieder Blicke bekommen mögest
in den großen Gottesplan.
Und ganz äußerlich gesprochen, dass Deine Nerven die schwere
Sache ertragen.
Wie froh wirst Du an Deiner lieben Frau sein! In herzlicher,
fürbittender Teilnahme
Deine, Eure Tante Pauline
1. Mose 28, 16:
„Gewisslich ist der Herr an diesem Ort, und ich wusste es nicht."
Hülben, den 21. Juni 1937
Meine Herzenskinder!
Es ist mir wie den Träumenden. Erst noch den so sehr lieben
Brief von Dir, Herzensemmilein, dass Du keine
Hoffnung hattest, und nun diese Freude.
Ich setzte Astern im Garten und dachte, ob sie blühen zu dem
Geburtstag im August. Da kam Onkel Albrecht angeradelt mit dem Telegramm. Er
konnte nichts sprechen, nur weinen.
„Wenn die Stunden sich gefunden, bricht die Hilf' mit Macht
herein, und dein Grämen zu beschämen, wird es unversehens sein."
Ob Du gleich ins Amt gingst oder ein bissel Ruhe hattest?
Möge es Dir jetzt nicht gehen wie Mose, als er vom Berg kam, wo er so nahe bei
Gott war, und unten das Kalb sah. Der Herr schenke Dir Erquickungszeit. „Ruhet
ein wenig."
Innigst erfreut, Sein Lob soll
immerdar in meinem Munde sein.
Hülben, den 28. Juni 1937
Liebster Wilhelm!
Schone Dich auch! Auch eine Weile nichts schreiben. Nur
ruhen! Keine Romane lesen! Höchstens Deinen Kindern sehr schöne, biblische
Geschichten erzählen. Ich las heute die fürstliche Beerdigung von Jakob, dem Erzvater.
Eure/Deine Mama
20.10.1940 – 10.11.1940
Meine liebe Frau,
das ist schon ein herzbewegliches Geschäft, unter solchen
Umständen seiner Frau aus der Jugendzeit zu erzählen:
Im Elberfelder Garten bekamen wir Kinder Beete. Ich erinnere
mich dunkel, dass meine Sache nie etwas Rechtes wurde, weil ich zu ungeduldig
war. Gerade noch die schnell wachsende Kresse, die jedes von uns in der Form
des Anfangsbuchstabens seines Namens säen durfte, interessierte mich. Aber
alles andere gedieh nicht, weil ich zu viel daran herummachte, um es dann nach
einiger Enttäuschung ganz Liegenzulassen und es zu vernachlässigen. Ich war
eben von jeher ungeduldig. Und es ist mir wunderbar zu beobachten, welch ein
guter Gärtner Gott ist, weiche Pflege Er jedem Pflänzlein
angedeihen lässt, dass Er mich gerade hier so sehr Geduld lernen
lässt.
Es verrinnt Stunde um Stunde, Tag um Tag. All mein Berechnen
ist zu Schanden geworden. Unmut und Zorn würden meine Lage nur verschlechtern.
Außerdem steht dem entgegen das Wort meines Herrn: „Bittet für die, so euch
beleidigen und verfolgen" – was zu tun ich mich bemühe. Kurz, so muss ich
lernen, was ich an meinem Gärtlein nicht lernte:
Geduld. Und was hätte ich als Pfarrer und Jugendpfarrer wohl nötiger als
Geduld!
Aus meiner Erinnerung steigen Bilder auf aus den Jahren, wo
wir in Elberfeld wohnten. Es ist Nacht, für mein Gefühl tiefe, tiefe Nacht. Man
hat uns Kinder aus den Betten geholt, weil vor der Stadthalle ein Feuerwerk
abgebrannt wurde. Unser Haus lag ja oben am Berg. Da sah man über das ganze Tal
mit seinen Schieferdächern und hämmernden Fabriken, über die rauchenden Schlote
und die stillen – sie erschienen mir immer still – Kirchtürme. Und gegenüber am
Berg zog sich auch noch endlos die Stadt hin. Und da lag die Stadthalle, vor
der das Feuerwerk stieg. Es war aufregend und gewaltig: Wachsein in der Nacht
(In Wahrheit wird's Abend gewesen sein. Aber ich hatte schon lange geschlafen.)
– die feurigen Räder, die Raketen.
Ich habe mich von früh auf vor der Welt gefürchtet. Heute
weiß ich wohl, dass sie wie ein bissiger Hund ist. Geht man sie furchtlos und
sieghaft an, gibt sie kurzerhand den Weg frei zu ihren Gärten.
Aus frühester Jugend ist mir ein Bild besonders deutlich in
Erinnerung: Ich schlief in einem Gitterbettchen im Zimmer meiner Eltern. Für
mein Gefühl war es mitten in der Nacht, da ich aufwachte, als mein Vater zu
Bett ging. Draußen war die schreckliche finstere Nacht. Aber hier gab die Kerze
– man hatte noch kein elektrisches Licht – so einen heimeligen Schein. Ich lag
ganz still. An der Decke gab es gespenstische Schatten, wenn mein Vater hin und
her ging. Aber ich war ja so unaussprechlich geborgen in meinem Bett und in der
Nähe des Vaters. Als er im Bett lag, hat er mit der Hand die Kerze ausgewedelt.
Das gab putzige Schatten, dass ich fast lachen musste. Aber ich lag ganz still
in Furcht und unaussprechlicher Geborgenheit.
In unserem Garten gab es einen großen Kirschbaum. Einmal war
zur Kirschenernte meine Lehrerin eingeladen. Das war festlich und beängstigend.
Ich bin in meinem Leben viel „in der Menschen Hände gefallen". Und ich
hatte immer Angst davor. Darum erschien es mir wunderbar, dass solch ein
gefährlicher Mensch wie meine Lehrerin harmlos unter dem Kirschbaum tat, als ob
sie sich freute. Dass das Verstellung sein müsse, war mir ja klar. Aber – welche
Macht mussten die Eltern haben, dass sie das zuwege brachten!
Das Wunderbarste im Garten aber waren wohl die Lorbeerbäume.
Das heißt, sie standen nicht immer da. Die gehörten in den Kirchensaal und
standen in grünen Kübeln. Ab und zu stellte der bärtige Küster Zarges sie hinter den Saal in unseren Garten. Vielleicht
sollten sie mal in die frische Luft, so wie man uns hier ab und zu in den Hof lässt.
Da laufen wir hintereinander her im Kreise herum. Nun, das taten die
Lorbeerbäume nicht. Sie standen in Reih und Glied – fremde, geheimnisvolle
Kinder eines anderen wärmeren Himmels.
Es liegt ein wundersamer Glanz über den
Samstag-Spaziergängen der Familie. Ich erinnere mich an eine spätere Zeit in
Frankfurt, wo ich mich genierte, mit „Papa und Mama und dem ganzen Tross"
die Forsthaus-Straße hinunterzuziehen, vorbei an dem Haus meines Schulkameraden
und an ähnlichen Klippen. Aber wenn das vorbei war, war es überaus herrlich. Der
schöne stille Stadtwald, die überschäumende Freude meines starken Vaters, das
strahlende Glück meiner Mutter. Es war wie im Paradies. Dahinten lagen die
Schulängste und Lernnöte. Dahinten lag alles, was Angst machte und schmutzig
war, und alles, mildem ich nicht fertig wurde. Hier waren nur Freude und Liebe,
die zwei Mächte, die im Himmel sein werden. – O Gott, wo bin ich jetzt! An der
Stelle, wo die Welt am freudlosesten und lieblosesten ist. Und doch, in meiner
Zelle sind Freude und Liebe, das macht: „Jesus ist kommen, die Quelle der
Gnaden."
Wir Kinder hatten den Eindruck, dass unser Pfarrhaus in
Frankfurt ein sehr vornehmes Haus sei. Vorgärten wie hier gab es in Elberfeld
nur bei den feinen Leuten. Und dann war da, ein wenig hinter der Haustür, um
die Ecke eine zweite Haustüre, die direkt mit einem kleinen Trepplein
in die Küche führte: „Für Lieferanten." Man sah ja ordentlich im Geist,
wie die „Lieferanten" hier Geflügel, Wein, Obst abgaben, und wie
weißgekleidete Köchinnen die „Herrlichkeiten" für die „Herrschaften",
die vorne rein durften, herrichteten. – Meine liebe Mutter hat dafür gesorgt, dass
die zweite Haustür ihr besonderes Gepräge bekam. Es wurde die Tür der Stromer,
Landstreicher, Bettler und aller „Brüder von der Landstraße". Hier kriegte
jeder was zu essen. Und das war in den Hungerzeiten des Krieges und nach dem
Krieg nichts Geringes. O, das wurde so, dass einige Herren groß Getöse und
Beschwerde machten, wir zögen das Gesindel in die vornehme Gegend. Das war
wahr. Man sah diese Gestalten da heranziehen. Aber als diese Beschwerde kam,
sah ich meine Mutter zornig. Und es blieb alles, wie es war. Da saßen sie, oft
3-4, auf der kleinen Treppe, die von der Lieferantentür zur Küche führte.
O, wie ist diese Welt mir hier nah geworden. Zwischen diesen
Lieblingen Gottes lebe ich. Ihr Hab und Gut geht in ihre Taschen. Aber was man
je und dann braucht, haben sie. Meine Zahnbürste wird mit Kopfschütteln
betrachtet.
Heute Morgen hatte ich eine schwere Stunde. Weißt Du noch,
wie der Cerberus uns am Freitag andeutete, ich würde am Samstag früh entlassen?
Nun wartete ich, zwang mich zum Gebet und lauschte auf jedes Geräusch. Und dann
kommen Schritte, Schlüssel klirren. Meine Riegel knallen zurück. Der Wärter
steht da – nimmt das alte Handtuch mit, gibt mir ein neues und geht.
Und wieder dies quälende Warten und Ringen mit meiner
Ungeduld. Noch einmal kommt er – und bringt Post. „Und – die Freiheit?"
„Morgen Nachmittag", sagt er und knallt die Eisentür zu. Ich sank auf
meine Pritsche… Ich wurde vor Gott zum Rebell. „An mir und meinem Leben ist
nichts auf dieser Erd." „Darum bekannte ich dir meine Sünde – – da
vergabst du mir."
Gott ist sehr gnädig. Er schließt den Aufrührer nicht ein.
Ich sang: „Heut schleust er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis…"
Die Tür ist offen…
„Gehet zu seinen Toren ein mit Danken"!
Ihr Lieben!
Eben las ich die Briefe von Heinz durch und dahinter die erschütternde
Botschaft in Mamas Brief. Ich kann es gar nicht fassen und glauben. Meine
Gedanken sind immer in Köngen, und es wird mir schwer, hier weiterzumachen, als
sei nichts geschehen. Ich wurde unterbrochen. Es kam ein Bub, dem vor einiger
Zeit die Mutter starb. Er brachte einen Brief, dass der Bruder gefallen sei.
Der Vater wisse noch nichts. Ich möge es ihm sagen.
In meiner Seele streiten sich Grimm, Not, Verzweiflung,
Verzagtheit. In den Tod mit alledem! Jetzt heißt es „geistlich gesinnt
sein"! Jetzt kommt die Probe, die ans Letzte geht. Jetzt zeigt sich, ob
„es Wahrheit sei, was die Schrift verspricht". Sind wir schwach – Er ist
stark. Sind wir betrübt – Er ist „voll Trostes, Licht und Gnade". Fällt
alles – Er nicht. Er ist Schild und Zuflucht.
Ich schreibe voll Verwirrung. Aber ich will Euch sagen, dass
wir den Himmel stürmen wollen, dass Er Euch durchbringt, nicht als Leute, „die
Haltung bewahren", sondern als Getröstete!
Euer Wilhelm
An Johanna Busch in
Hülben oder an die evakuierten Kinder
Essen, den 15. Mai 1942
Liebste Mama!
Wir hatten in der letzten Woche einen wilden Betrieb und
sind trotzdem herrlich und reich gesegnet. Meine Kinder sagten einmütig: ,,Wie
schade, dass es vorbei ist." Obwohl sie doch auch viel Arbeit damit hatten.
Es war also unsere Evangelisation in 10 Kirchen.
Obwohl wir kaum werben konnten, war der Besuch ungeheuer. Am
Samstagabend war die Auferstehungskirche, in der Dr. Lilje sprach, überfüllt, dass
die Menschen auf den Treppen saßen. In einem bisher toten Vorort kam es richtig
zu einer kleinen Bewegung. Ich habe den Eindruck, dass der steife Pfarrer sich
bekehrte. Er betete so herzlich in der morgendlichen Zusammenkunft, die jeden
Tag bei mir stattfand.
Bei uns wohnten Dr. Lilje aus Berlin, Pastor Juhl aus Hamburg und Herr Klammt
aus Hamburg.
Mit Lilje war ich vor vielen Jahren in Finnland, mit Klammt in Amerika. Juhl ist der
Mann, mit dem ich so großen Krach hatte, Johannes' Vorgänger im Westbund. Es
war ein unwirklich schönes Zusammensein. Es klappte äußerlich alles so
herrlich, und ich kann gar nicht sagen, welch eine innige Liebe unter den
Brüdern war. Sie reisten alle ganz erhoben ab.
Am Freitag hatten wir alle acht Evangelisten zum
Mittagessen. Am Samstagnachmittag hatten wir ein paar gebildete Leute zu Lilje
in unser Haus eingeladen. Da brachte auf einmal noch jeder Gäste mit, so dass
über 100 Gäste da waren. Es war einfach unvorstellbar. Und was für prominente
Leute, aus der Stadtverwaltung, Wirtschaft und Offiziere! Es war ganz herrlich,
wie Lilje dann das Wort ergriff und einen Querschnitt durch die geistige Lage
der Zeit gab und dabei den Leuten ungemein Mut machte, Christen zu sein.
Die ganze Woche war wie ein Fest in Jerusalem, zu dem der
Herr Jesus auch so gern ging.
Köstlich war auch am Mittwochabend der Soldatenkreis. Es gab
ein großes Gelächter, als ich mit Dr. Lilje nach Hause ging, da hatten wir ein
großes Gefolge: Hinter uns gingen zwei Offiziere, dann kamen drei Feldwebel,
dann zwei Unteroffiziere und dann noch ein paar Gefreite und Soldaten. Es sah
richtig pompös aus. Ich bin überglücklich, dass Gott uns die Tage so schenkte.
Ich hatte es gar nicht zu hoffen gewagt.
Am Samstag kam dann ein Soldat, ein junger Pfarrer aus
Sachsen, der bis Sonntag bei uns über Nacht blieb. Fast schwierig wurde die
Situation, als am Mittwoch gegen Abend noch ein Offizier und Gefreiter kamen
und bei uns übernachten wollten. Wir haben sie nun auch noch glücklich
untergebracht.
Nun genug für heute. Bitte schlachte diesen Brief nicht
allzu sehr aus, er ist nur für Dich bestimmt. Wenn wir allzu viel Geschrei um
die Sache machen, kriegen wir sie im nächsten Jahr verboten. Aber du sollst
Dich doch mit mir freuen.
Dein Wilhelm
Essen, den 20.
September 1942
Meine liebe Hanna!
Gestern Nachmittag machte ich mich mit Gretel und Renate auf
zu einem Wochenbesuch bei Riehls. Vorige Woche kam strahlend Herr Riehl und
berichtete, dass sie ihr 6. Kindchen kriegten.
Frau Riehl hatte mir in den letzten Monaten so viel von
ihrem neuen Eigenheim erzählt, mit dem schönen Garten und dem Blick über ganz
Essen, dass ich richtig gespannt war. Wir packten so allerlei Mitbringsel für
die Kinder zusammen und freuten uns auf das Familienglück. Dann kamen wir an
das Häuschen – und fanden es zerstört und leer. Gegenüber war eine Luftmine
niedergegangen:
Das vergesse ich mein Leben nicht, wie ich das Häuschen
suchte und suchte und auf einmal an dem zerstörten die
angegebene Nr. 22 las.
Man wies mich dann ins Krankenhaus, wohin Frau Riehl
gebracht war. Ich hatte kaum Mut, zu ihr hineinzugehen. Aber ich fand sie
wunderbar gefasst. Sie sagte, sie weiß nicht, wie das Leben morgen weitergeht,
aber bis heute hat der Herr wunderbar geholfen, dass bei der Zerstörung niemand
der Ihren zu Schaden kam.
Es ist herrlich, wie der Herr seine Kinder über alles hinweg
heben kann.
Ich habe in der Nacht noch lange wach gelegen, so war ich erschüttert von der Vergänglichkeit alles irdischen Glücks. „Wir sind hier fremde Gäste und müssen bald hinaus."
Innigst
Deine Mama
Essen, den 13. Januar
1943
Liebe Mama!
Am letzten Samstagabend hatten wir den ersten beträchtlichen
Fliegerangriff. Es waren ein paar Jungens bei uns im Hause, und als wir mal
sehen wollten, ob noch nichts passiert sei, und aus dem Keller gingen, da
krachte es, und ein Luftstoß fegte uns förmlich die Treppe hinunter. Dann
schellte es, und einer kam gerannt und rief, wir sollten nach der Feuerwehr
telefonieren, die Weigle-Straße brenne überall.
Nach 20 Minuten war der Angriff zu Ende. Wir rannten auf die
Straße. Da kam auch schon die Feuerwehr. Aber es war schon alles von den Leuten
gelöscht.
Auch ins Weigle-Haus waren Brandbomben gefallen, die der
Onkel Hermann mit ein paar Jungens gleich gelöscht hatte. Wir stiegen dann auf
das Dach des Weigle-Hauses. Von da aus überschaut man die ganze Stadt. An
vielen Steifen brannte es fürchterlich. Wir kamen uns vor wie der Kaiser Nero
beim Brande Roms.
Weil es in der Nähe der Marktkirche brannte, machten wir,
Wilhelm, Gottfried Dühr und einige Jungens, uns auf,
um zusehen, ob ich am nächsten Morgen den Gottesdienst halten könne oder ob die
Marktkirche auch zerstört sei. Es sah furchtbar aus in der Innenstadt. Man lief
nur über Glas. Es waren geradezu apokalyptische Bilder: die finsteren Straßen,
die verstörten Menschen, dann wieder aus der Seitenstraße helles Licht von einem
Brand.
In der Marktkirche war nicht ein Gläslein
zersprungen. Wir haben sehr die bewahrende Hand Gottes erfahren.
Weil die Angriffe meist jetzt gegen 7.00 Uhr abends kommen,
leidet meine Arbeit sehr. Die Leute lassen ihre Jungens
verständlicherweise kaum mehr aus dem Haus.
Herzlichst
Dein Wilhelm
Essen, den 16. März 1943
Meine lieben Kinder!
Hanna schrieb nach dem Angriff schon von unserem schönen
Gottesdienst. Der Papa sagte vorher, Staub und Brandreste und kaputte Scheiben
können nicht hindern, dass die Herrlichkeit Gottes den Raum erfüllt. Und so war
es denn auch. Es ist mir wichtig geworden, dass wir nicht wie die Kriegsknechte
dauernd mit dem „Kleiderbündel" herummachen, sondern auf Ihn schauen und
erquickt werden.
Onkel Erich hatte eigentlich schon mit dem 8.00 Uhr-Zug nach
Bielefeld fahren wollen, hat sich dann aber doch mit uns an dem herrlichen
Gottesdienst erfreut. Wie sind wir reich, dass wir einen Heiland haben!
Anschließend rannten wir zum Hauptbahnhof. Da hieß es, die D-Züge gehen über Essen-Nord.
So ging's zum neuen Run durch die Stadt. Das war nicht so einfach, da immer
wieder Stücke abgesperrt sind. Ihr macht Euch keine Vorstellung von der
Zerstörung. In der Weigle-Straße sind ja vielleicht 12 Häuser ausgebrannt. Das
ist aber noch ganz großartig gegenüber andern Straßen, wo man nur noch den
Eindruck hat: Stalingrad!
Der Papa blieb daheim, Onkel Erich, Wilhelm, Hanna und ich
haben uns als „Fliegergeschädigte" in ein leeres Wehrmachtsabteil gesetzt.
Erst wollte uns die Zugwache hinauswerfen. Doch hat uns der Oberleutnant dann
geduldet.
Der Angriff vorgestern Abend war wieder schrecklich. Eine
ganz, ganz schwere Bombe fiel noch einmal auf den Rest des Kohlensyndikats, so dass
im Esszimmer und in meinem Zimmer die Scheiben herausfielen.
Als besondere Freundlichkeit Gottes empfanden wir es, dass im Wohnzimmer und in
der Küche alles heil blieb. Die beiden Räume sind doch „unsere Wohnung".
Ihr müsstet gerade mal gucken, wie wir uns in den Trümmern eingerichtet haben:
In der Küche auf dem Tisch liegt ein schönes Tischtuch, ein Strauß Narzissen
steht darauf, und rundum sitzt dann immer die fröhliche Tischrunde: Papa, der
Vikar, Onkel Erich, Wilhelm, Hanna, Elsbeth und ich.
Wir sind überfroh an unserm Herd, dass wir richtig kochen
können. Das Loblied nach Tisch mit der Stimme von vier kräftigen Männern hallt
dermaßen in der kahlen Küche, dass es eine Freude ist. Wir genießen es zu arg, dass
unser Urlauber da ist. Am 24. muss er wieder weg.
Neben meiner Kocherei habe ich Aufräumungsarbeiten, während Elsbeth
das Herumstehen auf dem Wirtschaftsamt besorgt. Gestern fand ich auch Gretels
Alltagsschuhe, nach denen ich schon tagelang gesucht hatte, unter dem Gerümpel.
Die Schuhe vom Schuster konnte man noch nicht holen, weil da auch die Jalousien
kaputt sind und in unserem Viertel kein Licht brennt. Wir behelfen uns abends
notdürftig mit einem kleinen Rest geretteter Weihnachtskerzen.
Hoffentlich kriegt Ihr unsere Post! Gestern konnte die Post
nicht arbeiten, weil an der Post sechs Blindgänger lagen. Heute standen allein
98 Todesanzeigen in der Zeitung.
Ach, meine lieben Schätze, wir haben recht Heimweh nach
Euch. Aber beim Angriff am Freitagabend waren wir wieder so sehr froh und
dankbar, dass Ihr in Köngen sein könnt.
Innigst
Eure Mama
Essen, im April 1943
Liebe Mama!
In meinem Studierzimmer sind nun gestern zum dritten Mal
seit Anfang April die Scheiben eingesetzt worden. Für wie lange? Unser Leben
ist sehr wunderlich. Ich war einen Vormittag unterwegs um ein paar Nägel und
Bretter. Dazu braucht man Kommissare, Scheine, Beziehungen, und am Ende heißt's: „Kirchliche Sachen sind nicht kriegswichtig" –
und ganz am Ende hat man doch alles.
Mein Weigle-Haus ist uns nun ganz genommen. Nun wollen wir
versuchen, aus den Trümmern von Weigle-Straße 9 noch etwas herzurichten für die
Jugendarbeit.
Sonntag der Gottesdienst: Der Saal war mal wieder ohne
Fenster, es bläst herein wie verrückt, auf allen Stühlen Staub und Kalk, denn
nachdem alles gerichtet war, war wieder eine Bombe in der Nähe gefallen. Und
darin Menschen! Menschen! Der Saal ist voll. Selbst auch der Flur, die Treppen,
von wo man in den Himmel sieht, weil das Dach längst futsch ist. Und dann ein
Gesang über den Trümmern! Ach, man muss das erleben, um zu wissen, ich hab's
doch schön. Nur dass man die Kinder nicht hat.
Ich war heute an Eberhards Grab. Der Friedhof ist arg
verwüstet, aber das Gräblein sehr nett mit Stiefmütterchen.
Dein Wilhelm
Essen, den 28. Dezember 1943
Liebe Mama!
Wir hatten unbeschreibliche Festtage, und ich bedaure, dass sicherlich 100 unbeantwortete Briefe auf meinem Schreibtisch liegen, meist von Soldaten, denn ich möchte Dir am liebsten stundenlang erzählen von unserer Christmette in dem überfüllten Saal des Weigle-Hauses, bei der nichts klappte, aber auch alles danebenging, und die am Ende doch eine herrliche Feier war. Oder von meinem Bibelkurs, der jetzt im WH läuft und zu dem der Redner, Herr Klammt aus Hamburg, im letzten Augenblick absagen musste, weil er keine Reiseerlaubnis bekam von der Polizei. Ich fuhr nach Barmen, um einen Redner zu kriegen, entsetzte mich über die Zerstörung (doch steht auch noch viel) und bekam für einen Abend einen Missionar, der gestern Abend vor 50 Jungen gut sprach. Im übrigen mache ich die Sache nun einfach mit Urlaubern, lasse jeden Abend vier Urlauber sprechen, Fliegerleutnants mit Orden, Gefreite, Unteroffiziere, Marinemaat usw. Auch nicht schlecht. Und sprechen manche nicht fließend, so macht doch das Zeugnis der Nichttheologen tiefen Eindruck.
Dein Wilhelm
Essen, den 27. August 1944
Liebe Kinder!
Für nachmittags um 5.00 Uhr hatte der Papa die Gemeinde
bestellt zum Ziegelschleppen. Es war eine solch phantastische Hitze, dass man
es kaum aushalten konnte, wenn man nur ganz still saß und nichts zu tun hatte.
Und nun Ziegelschleppen – es war unvorstellbar! Ich nahm meine Wäsche ab und
fuhr dann mit Hannas Rad – meines hatte eine Panne – zum Weigle-Haus, wo Bewundernswerterweise
sich doch allerlei Volk versammelt hatte (Oma Bolz, Päule,
Frau Balzereit, Noth, Papa
Laser, Schefflers usw.).
Der Papa hielt zu Beginn eine kleine Rede mit dem Vers: „Wir
woll'n uns gerne wagen". Dann wurde eine Leiter
zum halben 1. Stock hinaufgestellt. Herr Noth stellte
sich auf das kaputte Dach über der Eingangstür und gab dann mit seinen langen
Armen durchs Fenster die Ziegel hinein. Weiter ging's eine Etage hinauf, wo der
lange Herr Jansen auf einem Stuhl postiert wurde, wodurch man wieder zwei
Treppen einsparte.
Es war trotz der wahnsinnigen Hitze ein fröhliches Schaffen
am Tempelbau. In 1½ Stunden waren die 3000 Ziegel oben. Ich fuhr um 6.00 Uhr
heim, als neue Hilfen kamen, war dann aber schwer erschöpft. Herr Noth kam noch zum Abnehmen der Leine und aß dann gern mit
uns Abendbrot. Er genoss unser etwas kühleres Zimmer, da bei ihm 32° C im
Zimmer waren.
Später kam der todmüde, aber fröhliche Papa heim mit einem
Soldaten, einem alten Leiter. Er hatte noch ein Gespräch mit ihm und lud ihn
zum nächsten Abend zum Abendbrot ein.
So richtete ich für Donnerstagabend eine tüchtige dicke
Suppe, um den Urlauber Sattzukriegen, Kartoffeln, Klops und Salat, und für die
Leute nach der Bibelstunde Apfelbrei und einen Berg Printen,
die ich bei Brass erstanden hatte. Es war gut, dass ich reichlich vorgesorgt
hatte.
Zwischen 6.00 und 7.00 Uhr nachmittags war ich unten im
Kabuff beim Bügeln, da hörte ich's oben schellen. Beim Öffnen sehe ich: Da
stehen ja unsere Freunde aus Langenberg, Vater, Mutter und der sehr erwachsen
gewordene Urlauber Dietrich. Wir setzen uns gemütlich ins Studierzimmer, da
lockte der Papa mich schnell heraus fand flüsterte mir zu: „Die habe ich
feierlich zum Abendbrot eingeladen." Er hatte vergessen, es mir zu sagen.
Zehn Minuten vor 7.00 Uhr war es, Gretel noch nicht zurück aus der Schule. Aber
Gott ließ es gelingen. ½ Stunde später saß alles am festlich gedeckten Tisch.
Der „Soldatenurlauber" war inzwischen auch eingelaufen, und es ging nach
dem Exempel im Reich Gottes: „Sie aßen alle und wurden satt."
Gestern Morgen widmete ich mich mit Inbrunst meiner
Samstagsputzerei, da rief ein junger Kollege an, er sei auf Urlaub hier. Sehr
dankbar nahm er unsere Einladung zum Mittagessen an mit Frau und zwei Kindern.
So musste ich schnell mein vorgesehenes Blindhuhn ums Doppelte vermehren, es
schmeckte allen ausgezeichnet. Wir tranken dazu unsere sauer gewordene
Magermilch und aßen hinterher mein Geburtstagsobst. Allerdings kam ich dann
erst um 4.00 Uhr in die Küche. Außerdem war der Sack mit Bohnen von
Ostfriesland gekommen, die auch gestern noch eingemacht werden mussten.
So saß ich abends um 11.00 Uhr noch in der Küche, als der
Alarm kam, und um 0.30 Uhr bei der Entwarnung war ich gerade mit meinen Bohnen
fertig. Ich bin überfroh daran, mein Topf ist voll.
Eure Mama
Essen, den 24. November
1944
Liebe Mama!
Von den Beschwernissen unseres Daseins möchte ich nicht viel
schreiben. Wir haben noch sehr viel Grund zum Danken. Unser Haus gehört zu den
wenigen, wo zurzeit alle Ziegel darauf liegen, so dass es nicht hereinregnet.
Unsere kleine Etagenwohnung ist voll Leben.
Am Donnerstag z. B. kam zum Kaffee ein Dr. Danker, hauptsächlich Parteigenosse und armer Hungerleider.
Er freut sich immer so sehr an jeder Mahlzeit bei uns.
Um 6.00 Uhr zum Abendbrot kamen eine junge Frau Kolimann und Ewald Hofstatt, ein Schulfreund von Wilhelm.
Doch kaum hatten alle ihre Kartoffeln und Klopse auf den Teller gefüllt, da kam
Alarm, die Kinder sausten ab. Wir Großen zogen die Läden hoch, aßen in der
Diele noch unsere Teller leer. Aber bei der Meldung eines feindlichen Verbandes
mussten auch wir los.
Als wir wiederkamen, fanden wir einen Soldaten, einen sehr
netten Ingenieur aus Hannover, vor, der auch zum Abendbrot kommen sollte. Dann
folgte die restliche Esserei.
Wir waren sehr glücklich, dass um vor 7.45 Uhr die Huyssenstift-Andacht stattfinden konnte. Hinterher kamen
noch alle möglichen Leute mit. Wir saßen zu 12 im Wintergarten. Ich hatte von
einem festlichen Dampfnudel-Mittagessen sieben Stück übrig behalten, die ich
eigentlich ganz hatte anbieten wollen. So schnitt ich sie in viele kleine
Stückchen und bot sie als Kuchen an. Doch kaum hatten wir die Teegläser
gefüllt, und die Gemütlichkeit sollte beginnen – da kam wieder Alarm,
Feindverbände! Alles sauste los. Doch gab's schon kurz vor 10.00 Uhr
Entwarnung. Da fand sich alles wieder ein. Und von 10.00 bis 11.30 Uhr
unterhielt mein Mann die verschiedenen Leute aufs trefflichste.
Als ich mir die Runde so ansah, hat mich's
in Gedanken an unseren Wilhelm ganz überkommen, wie wahr das Psalmwort ist:
„Und ihre Stätte kennet sie nicht mehr." Außer Ewald Hofstatt kennt von
diesen Leuten niemand mehr unseren Sohn, mit dem doch unser ganzes Leben so
verknüpft war. Gut, dass wir in dem Urlauberzug „Zur Heimat" sind.
Deine Emmi
Essen, den 4. Dezember 1944
Liebe Mama!
Am letzten Mittwoch wurde unser Haus sehr mitgenommen. Jetzt
ist es wieder dicht. Und wir haben Licht. Wasser müssen wir uns holen in der
Nachbarschaft.
Nach der schweren Woche habe ich noch selbst mit einem Dr.
Heinemann zusammen das Dach gedeckt. Am Sonntag das herrliche Jugendfest.
Dein Wilhelm
Essen, den 22. September 1943
Liebe Mama!
So ganz hinten in einem Winkelchen meines Herzens hatte ich
immer noch die leise Idee, ich könnte vielleicht doch zu Deinem Geburtstag nach
HüIben fahren. Aber die Schrecken der Heimreise
trieben mir jede Hoffnung aus. Eine Reise ist eine solche Tortur, dass man's
nicht zweimal im Monat schaffen kann, ohne kaputtzugehen. So muss ich Deinen
Geburtstag mit den Meinen hier feiern. Vielleicht vertreten mich meine lieben
Kinder würdig.
Als kleinen Geburtstagsgruß habe ich Dir ein paar
Andachtsbücher geschickt. Hoffentlich kommen sie gut und vor allem rechtzeitig
an.
Meine Wünsche stehen in Habakuk 2, 18. Dazu muss ich aber
weiter ausholen. Du hast gewiss gehört, dass manche Betriebe von Krupp verlegt
worden sind. So kam auch ein Betrieb nach M… im Elsass. Und da bekam ich nun
vor ein paar Tagen einen Brief von dort her, unterschrieben von 5
Krupp-Arbeitern. Sie erzählen mir, dass sie meine Predigten bekommen und
zusammen lesen. Und einer hat hinter seinen Namen diese Stelle aus Habakuk
geschrieben. Als ich den Brief bekam; war ich aus allerlei Gründen etwas
deprimiert. Da fiel dieser köstliche Brief – ich lege ihn Dir als seltsames
Geburtstagsgeschenk bei – bei mir aufs rechte Plätzle.
Und vor allem die Habakuk-Stelle. Schon das „Aber"! „Aber ich will mich
freuen des Herrn…"! Dies „Aber" – nachdem in den Kapiteln vorher
aller Jammer der letzten Zeit aufgezählt ist!
Und so wünsche ich Dir, liebe Mama, dass, wenn der Jammer
der Welt und die Unruhe Deines Lebens Dir zu viel werden wollen, Du durch alles
durchbrechen kannst zu dem: „Aber ich will mich freuen des Herrn…" Es
kommt mir das Wort vor, wie wenn ein von Bomben Verschütteter sich zum Licht
herausarbeitet.
Also: Mein Wunsch für Dich ist, dass Dir die Lust zu diesem
„Aber" nicht ausgeht.
Und nun wünsche ich Euch ein schönes Fest. Im Geist feiern
wir feste mit.
Viele Grüße und Küsse
Dein Sohn Wilhelm
eine Karte, die dieser
jahrelang an seinem Schreibtisch immer vor Augen hatte
„Unsre Wege wollen wir / nun in Jesu Namen gehen.
Geht uns dieser Leitstern für, / so wird alles wohl bestehen
und durch seinen Gnadenschein / alles voller Segen sein."
Der Herr selber lasse es uns gelingen!
In Treue und in herzlichem Dank für all Ihr Mittragen
Ihr Martin Niemöller
Abs. M. Niemöller
Berlin Moabit
Untersuchungsgefängnis Nr. 1325
20. Dezember 1943
Meine Lieben,
nachträglich, da, wie ich glaube, dieser Brief trotz
Luftpost später als am Heiligabend eintreffen wird, möchte ich Euch ein
schönes, gesegnetes Weihnachtsfest wünschen. Es wird mir sehr schwer fallen, dass
ich nicht mit Euch feiern kann. Aber trotzdem freue ich mich schon sehr auf
unsere Weihnachtsfeier, wobei die ganze Reiterschwadron mitsamt dem Tross teilnehmen
wird. Und zwar zerfällt die Feier in zwei Teile, in einen ernsten und einen
heiteren. Im ersten Teil werden Lieder gesungen („O du fröhliche", „Stille
Nacht" usw.), ferner Gedichte vorgetragen, wobei zwei von mir sind.
Den zweiten Teil habe hauptsächlich ich zu leiten, und zwar
spiele ich auf dem Klavier die Lieder, die gesungen werden. ich übe mit
mehreren einen Kanon ein, ich bin Regisseur bei einer kleinen Aufführung, die
ich vor Jahren im WH sah und noch ziemlich im Kopf habe. Ich wirke ferner in
einer Unterhaltung auf dem Podium mit, spiele auf dem Klavier den Donau-Walzer
und lese als Clou die Bierzeitung vor, die ein Kamerad und ich zusammengestellt
haben. Gestern musste ich zum Chef und sie ihm
vorlesen. Ich hatte nun in dieser Zeitung manche Vorgesetzten nicht allzu gut
behandelt, und so fürchtete ich, er würde mir auf den Kopf kommen. Doch er war
restlos begeistert und sehr erstaunt ob dieser Qualität… Man merkt doch den Einfluss
des WH erst hier beim Kommiss, was hatte das WH auf Lager für seine Feiern!
25. Dezember 1943
Meine Lieben,
nun ist alles vorbei. Gestern Abend war die Feier. Das von
mir aufgestellte Programm rollte planmäßig ab ohne Hinzuziehung von geistigen
Getränken. Ich hatte meine wahre Freude, zumal alles das, was ich leitete,
nämlich die Aufführungen, das Singen usw., sehr gut klappte. Und die
Bierzeitung wirkte.
Dann begann der gemütliche Teil. Schnapsflaschen in rauen
Mengen rollten heran – und der Schnaps stieg in die Köpfe! Als dann der Tumult
solche Formen annahm, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen konnte,
verzog ich mich. Dieses war insofern von Vorteil, als ich heute morgen bei
Dämmerung aufstand, während sich die anderen grölend, schreiend, zankend ins
Bett warfen, um wohl – wie anzunehmen ist – vor heute Abend sich nicht mehr zu
erheben.
Eine Totenstille herrscht hier im Hause. „Alles schläft,
einsam wacht" – Wilhelm Busch und schreibt Briefe, nachdem er sich von
Gott in Seinem Wort einen rechten fröhlichen Weihnachtssegen geholt hat. Mein
Weg führte mich auch heute Morgen in den kleinen Saal, in dem diese Nacht
getobt wurde. Doch ich erkannte ihn nicht mehr: Die Tische und Stühle bis ins
Kleinste zerschlagen, sämtliches Geschirr zerbrochen auf dem Boden, eine
Unmasse von Papierresten, Schnapsgläsern – kurz: ein Trümmerhaufen! Nur das
Klavier stand noch in der Ecke wie vorher. Ich setzte mich daran und spielte in
diese mehr schnaps- als freudetrunkene Welt Weihnachtschoräle. Mir traten die
Tränen fast in die Augen, so erfüllte es mich auf einmal: Dieser Gegensatz.
Dort die arme Welt, gezeichnet durch das Chaos in diesem Raum – und dagegen
unsere Weihnachtsfeiern daheim! Die Choräle und Gottes Wort sprengten die
Fesseln, sie wirkten befreiend und erlösend. Und dann habe ich für mich Weihnachten
gefeiert. Ich spielte den „Bach", den Mama mir in einem Paket schickte…
Viele Grüße
Euer Wilhelm
Im Februar 1944
Wir haben ihn alle sehr lieb gehabt. Nicht nur aus dem
persönlichen Sehen und Sprechen und Zuhören, sondern auch aus allem, was er
unserm Sohn Dietrich gewesen ist und gegeben hat. Es ist sehr schmerzlich für
uns alle, dass wir nun nicht mehr sein frisches, christ-fröhliches
Orgelspiel in der Kirche hören werden, mit dem er so sehr zu dem frohen
Siegessingen in Ihrer Gemeinde beigetragen und es beflügelt hat.
Es ist überaus schmerzlich, dass solche jungen Leute, die zu
anderem, Höherem, Gesegneterem in diesem Leben
bestimmt waren, ihr junges Leben in einem schrecklichen Krieg hingeben müssen.
Aber es ist überaus tröstlich zu wissen, dass damit für uns nicht alle doch so
unsicheren Hoffnungen begraben sind, sondern dass damit die einzig sichere, auf
Golgatha besiegelte und mit Christi Blut unterzeichnete Hoffnung der Ewigkeit
zu ihrem ungetrübten und wahren Recht kommt, und dass der letzte männliche Spross
Ihres lieben Gebüsch's nicht verdorrt und verwelkt
ist, sondern nur umgetopft wurde, um einst in der Herrlichkeit seine Knospen
und Blütenansätze zur rechten und unverwelklichen
Entfaltung zu bringen. Gerade die Musiker werden im Himmel begehrt und
angesehen sein, wenn es gilt, das gemeinsame Hosianna aller Völkerscharen vor
Gottes heiligem Thron anzustimmen.
Wie tröstlich sind die Worte seiner Ihnen als Vermächtnis
hinterlassenen Dichtung! Möge der Heiland auch die Tränen seiner Angehörigen
trocknen, schon hier in der Hoffnung, aber einst viel herrlicher, wenn Er
selbst persönlich unser aller Tränen abwischen wird und an Seiner Hand uns, die
wir leben, überbleiben – und wenn Er noch zu unseren Lebzeiten kommen sollte,
entrückt werden, Ihm entgegen –, die wieder zuführen wird, die uns
vorangegangen sind. Ja, das wird Freude sein. Der Herr helfe uns allen bald
dazu. ja, komme bald, Herr Jesu!
Liebe Leidgeläuterte
Geschwister!
Weihnachten ist doch das seltsamste aller Feste. Da brechen
noch mehr als am Totensonntag und Karfreitag auch die vernarbten Wunden wieder
auf, die uns das Leben schlug. Auch wenn nicht der Glanz der Weihnachtskerzen
mit geheimnisvoller Zauberkraft die schlafenden Sehnsüchte weckt, sondern erst
recht dann, wenn das alles fehlt, fängt der Brunnen wehmütiger Gedanken an zu
sprudeln und läuft in kleinen Bächlein von Tränen über die Wangen. Das geht
denen in der Fremde so, die sich nach der Heimat sehnen, und geht der Heimat
so, die zu den Fronten hindenkt, und geht erst recht wohl Ihnen so, die Sie bis
in die andere Welt hinwandern müssen, um dort Ihr Liebstes zu suchen.
„Wenn bei der Einfahrt eines Pilgrims in jene bessere Welt
die Türe aufgeht, so streichet allemal denen, die es nahe angeht, ein Himmelslüftlein entgegen, das sie stärket, bis die Reihe
auch an sie kommt" (Johann Albrecht Bengel).
Solch ein Himmelslüftlein aber
umweht in dieser Weihnacht Sie ganz besonders und trocknet alle Tränen.
Diejenigen unter Euch, die ihr Liebstes am Ziele wissen, trösten sich
vielleicht schneller und leichter als die, denen das Zwielichtwort „vermisst"
das bange Herz mit Fragen quält. In der Bibel steht aber, dass Jesus über Tote
und Lebendige Herr sei. Die unser Sehnen nicht erreicht, das wie ein Irrlicht
jenseits der Grenzen durch die Lande läuft, die erreicht der Herr auf jeden
Fall und überall. Seiner segnenden Heilandshand und Weihnachtshuld befehlen wir
die Lebenden und Toten, die Vermissten und Gefangenen, die Verwundeten und
Kämpfenden. Wir kennen den, der nach ihnen allen sieht. Das ist genug!
Mehr willst Du nicht von mir, so oft ich frage,
als dass ich, Gott, zu Dir mein Amen sage!
In stillem Mitgefühl und in besonderer Fürbitte jetzt, wo
die Weihnachtsbotschaft uns bewegt,
Ihr Hans Dannenbaum
Essen, den 18. Mai 1945
Liebste Mama!
O, wie oft sind die Gedanken in den letzten Wochen zu Euch
gewandert: Ob Ihr noch lebt, ob Ihr fröhlich seid, ob Ihr Not zu leiden habt,
ob Hülben noch steht, ob… es gäbe so viel zu fragen. Aber es ist mir, als hörte
ich Onkel Albrecht sagen: „Schwätz net lang und sag,
was mit euch los ist."
Nun, uns geht es gut. Die letzten Tage brachten noch mal
viele Nöte: Ein furchtbarer Terrorangriff am 11.03. zerstörte mein Weigle-Haus
und mein Gärtlein, verwüstete stark unsre Wohnung.
Schlimm war auch, als die Ari nach Essen Hereinschoss und eine Nacht lang Schuss
auf Schuss in den Garten des Huyssenstifts ging und
ich zwischen zwei Salven mit den ängstlichen beiden Jüngsten durch diesen
Garten in den Kellerdes H-Stiftes jagte – nun, das
alles ist vorbei. Neue Nöte tauchen auf.
Aber wir leben in all dem herrlich und in Freuden. Jeder
beneidet uns. Wir haben alle Kinder hier. Es gibt keine Schulen. So lernen sie
bei Emmi und helfen im Haushalt. Der ist schwierig. Man muss das Wasser weit
herschleppen. Man muss Schlange stehen für jeden Dreck. So ist es arg
geschickt, dass die Mutter so feste Hilfen hat. Jeden Tag erscheint auch Hanna
und wird immer mit Freudengeschrei begrüßt.
Die Hauptnot ist die Hungersnot. Aber uns ergeht es wie Elia
am Bach Krith. „Habt ihr auch je Mangel gehabt?" – „Nie, keinen!"
Ich bin wieder voll in der Arbeit. Der Druck des Redeverbots
ist von mir genommen. An Himmelfahrt hatte ich die Jugend Essens zu einem
großen Treffen und Missionsfest nach Steele
eingeladen. Wir zitterten tagelang, ob das Wetter gut werde. Und dann kam der
strahlend schöne Tag. Mein Volk zog zu Fuß hin. Ich rechnete mit 100
Jugendlichen. Hatte vorher zwei überfüllte Gottesdienste. Fuhr dann in einem
Bäckerauto hin. Und denkt euch: Da waren über 1000 junge Leute versammelt auf
einer Wiese. Posaunen bliesen: „Siegesfürst und Ehrenkönig." Ich predigte
über Psalm 110. Mir ging das Herz auf. Und doch kamen mitunter die Tränen, wenn
ich die Lücken bei den jungen Männern sah. Und wie hätte Wilhelm so einen Tag
genossen!
Nach dem Gottesdienst war allgemeines Essen und Spielen,
dann Singen. Und dann unter alten Bäumen das eigentliche Missionsfest, zu dem
noch viele Leute kamen. 6000 Mark Kollekte. Viele Redner. Es war wie im Himmel.
Von weit her war das Volk zusammengeströmt, bis von Düsseldorf und Neviges und Velbert.
Und nun ist meine Jugendarbeit im Aufblühen.
Evangelisationen in allen Gemeinden werden vorbereitet. Kurz, ich bin wieder
mit Volldampf in der Arbeit.
Leider fehlt mir sehr meine Kirche, die zerstört wurde. Ich
hielt zuerst meine Gottesdienste im Keller des Weigle-Hauses. Aber da hatten
nur 100 Leute Platz. Dann bekam ich einen Saal im Hotel Vereinshaus am Bahnhof
mit 160 Plätzen. Auch zu klein. Nun nahm ich noch einen Leerstehenden Saal im
Süden der Stadt dazu mit 250 Plätzen. Der war auch gleich voll. Da fing ich
auch einen Kindergottesdienst an, der aufblühte. Nun kam gestern der Schlag: Da
kommen in das ganze Viertel Polen in die Wohnungen. Die Leute müssen räumen.
Der amerikanische Captain erklärte mir, er könne
nicht mehr garantieren für die Sicherheit der Kirchgänger in meinem Saal, und
ich müsse raus. Nun bin ich heute los und habe mit dem Hotel Vereinshaus einen
neuen Saal festgemacht mit 500 Plätzen. Da muss ich aber erst den Schutt
rausschaffen und Fenster einsetzen. Da wollen wir nun mit der ganzen Gemeinde
am Mittwoch nach Pfingsten ran. In dem Saal wollen wir auch die Tersteegensruh-Konferenz am 31.05. abhalten, die so lange
Zeit verboten war.
So ist also unser Leben recht das von Kindern Gottes in der
gefallenen Welt: Viel Freude im Herrn, viel Durchhilfe
und Herrlichkeit – und dabei der tägliche Kampf mit lauter kleinen und großen
Schwierigkeiten, die „nicht wert sind der Herrlichkeit, die an uns soll
geoffenbart werden".
Wir sind froh, dass wir nicht mehr täglich die Sirenen hören
müssen und dass wir nicht mehr um unser Leben rennen müssen. Ich stehe morgens
gern früh um 6 Uhr auf und schippe den Riesenkrater im Garten zu. „Im
Garten" ist falsch. Der ganze Garten ist ein Krater. Aber bald ist er zu. Und ich überlegte heute schon, wie
ich ihn neu anlegen will. Ich habe so gern diese stillen Morgenstunden…
Dein Wilhelm
Essen, den 13. Juni 1945
Liebste Mama!
Ach, wie ist das Heimkommen schön! Ich kam kürzlich von Brass,
wo ich für die ganze Woche unser Brot geholt hatte, damit wir nicht täglich die
langen Brotschlangen abstehen müssen. Da fuhr ich mit meinem Rad an einem Haus
vorbei, wo gerade so ein braungebrannter junger Heimkehrer von den Hausgenossen
vor der Tür strahlend begrüßt wurde. Auf einmal sehe ich, wie im 1. Stock eine
grauhaarige Frau ans Fenster gestürzt kommt, dann ein Jubelschrei – unbeschreiblich!
Ich habe laut geweint auf meinem Rade, dass ich meinen Sohn hier nicht mehr
erwarten darf. Aber dann fiel mir auf einmal mein Korb mit den Broten hinten
vom Rad. Das kam mir vor wie eine Mahnung Gottes: „Was weinst du um den, den
jetzt nicht mehr hungert und dürstet, du hast ja noch eine fünfköpfige Familie,
für die du sorgen und an der du dich freuen darfst!" So hilft Gott täglich
hindurch zur Freude.
In den meisten Fällen ist das Heimkommen hier in Essen erschütternd.
Das Heim ist zerstört, die Familienfort dann rennen die armen Kerle tagelang
herum, um festzustellen, ob ihre Lieben alle umkamen oder wohin sie gegangen
sind. Gestern besuchte uns ein befreundeter CVJMer,
der aus dem Gefangenenlager als ein gebrochener Mann heimkehrte. Von seinem
Häuschen stehen noch drei Zimmer. Die sind aber von anderen bewohnt. Für ihn
blieb keine Ecke. In seinen Betten schlafen die anderen. So ist's allermeist.
Die Not mit den Wohnungen schreit gen Himmel. Und wir werden täglich mehr
dankbar, dass unser Häuschen bewahrt blieb. Wenn auch die Wände kaputt sind und
der Regen durchs offene Dach hereinströmt, wir haben noch ein Heim. Am Rande
unseres ganz zerstörten Gartens blühen sogar jetzt die Rosen, und eines Tages
kriegen wir auch vielleicht wieder Wasser, das wir nun schon seit Monaten
herbeischleppen müssen.
So geht's uns sehr gut. Der Bombenterror ist doch vorbei.
Wir singen oft: „Er weiß viel tausend Weisen, zu retten aus dem Tod, er nährt und
gibet Speisen zur Zeit der Hungersnot."
Es ist wunderbar, wie wir täglich durchgebracht werden. Wir
hatten schon oft für morgen keine Kartoffel mehr. Aber immer „für heute".
Jetzt sind die Essener ganz glücklich: Zum ersten Mal seit Februar gab es letzte
Woche pro Person 3 Pfund Kartoffeln. Gott sorgt auch immer noch für unsere
Gäste. So hätte ich z. B. an der Tersteegensruh-Konferenz
gern etliche Auswärtige mitgenommen, aber mein Keller war leer. Da bekam ich
von der rührenden Anneliese Becker bei meinem Besuch in Langenberg gelbe Rüben
geschenkt und am Vorabend der Konferenz von lieben Bekannten einen großen Eimer
Kartoffeln, so dass ich einen großen Topf voll Eintopf kochen konnte.
Der Tag der Konferenz war ein richtiger Freuden- und
Festtag. Als vor Jahren die Konferenz verboten wurde, dachten wir, ob wir wohl
in unserer Generation noch erleben, dass wir wieder zusammenkommen? Und nun ist
das „ewige" Dritte Reich schon überstanden. Es war solch eine Freude des
Volkes Gottes am Wiedersehen.
Deine Emmi
Essen, den 30. August 1945
Ihr lieben „Köngener!"
Heute sollt Ihr doch mal wieder was von unserem Leben hier
erfahren.
So fange ich nun mit dem Haupt der Familie, mit Papa an, der
augenblicklich auf einer sehr interessanten Reise ist. Vier Tommies (darunter
zwei englische Pfarrer) holten ihn in einem eleganten Wägelchen ab, um ihn in
ein Pfarrer-Gefangenenlager in Wesel zu bringen. Hier soll er die Pfarrer
heraussuchen, die sich besonders gut zur Gefangenenbetreuung gebrauchen lassen.
Die übrigen werden entlassen. Der Papa ist froh an solchen Aufträgen, wo er so
allerhand erleben kann, und außerdem… na ja, ist die Verpflegung, die er dort
bekommt, sicher nicht schlecht – – –
Papa hatte in der letzten Woche eine BKler-Freizeit
(20 junge Männer in einem Heim bei Siegen). In der Kirche hatte Papa um
Lebensmittel gebeten. Da war so allerhand zusammengekommen. Unter anderem auch
23 Brote und ein Marmeladeneimer. So musste keiner der Jungen Hunger leiden. Es
muss eine wunderschöne Freizeit gewesen sein. Dazu kam noch, dass es drei
Wochen geregnet hatte und dass es in der Woche gerade schön war.
So…! Thema Papa wäre erledigt.
Mama ist augenblicklich sehr „in Rage", da Maurer,
Schreiner und ihre Schwester Elisabeth (die mit den 11 kleinen Kindern) zur
Erholung da ist. So ist ein ziemlicher Betrieb hier, und nicht nur Betrieb,
sondern auch ein Mordsdreck. In sämtlichen Zimmern werden sämtliche Wände
zugemauert, und das ist bei unserer kleinen, überfüllten Wohnung ziemlich schwierig.
Außerdem leben wir augenblicklich ohne Türen, die sind alle in eine
Möbelwerkstatt zur Reparatur geschafft worden. So könnt Ihr Euch einigermaßen
Mamas Dreh vorstellen. Aber sie hat ja noch Töchter, und die werden nun tüchtig
angespannt. „Perfektere Hausfrauen als Lisa und mich kenne ich gar nicht."
Ich konzentriere mich ja augenblicklich auf das
Klavierspiel, aber oft schon finde ich nicht die Zeit, mich eine Stunde ans
Klavier zu setzen. Die Schule soll für Elisabeth, Renate und mich am 1. Oktober
anfangen, doch glaube ich noch nicht recht daran. Kohlen werden nicht
geliefert, die Schüler müssen mit ihren Lehrern auf den Trümmern Holz suchen
(Na, viel Vergnügen). Eben solch Vergnügen wünsche ich mir heut Nachmittag.
Papa, Mama, Lisa und ich haben eine Aufforderung vom Polizeirevier erhalten,
heute um 6.00 Uhr mit Schaufel und Spaten zur Trümmeraufräumung zu erscheinen.
Selbstverständlich treten nur Lisa und ich an, aber Lust bei dem Regenwetter
haben wir absolut nicht, hoffentlich werden wir bei solcher Männerarbeit nicht
zu geschunden – – –
Gestern waren wir zum ersten Mal wieder in einem Konzert im
Waldtheater. Da in Essen kein Saal mehr steht, musste das Konzert im Freien
stattfinden. Die ganze Stimmung und Feierlichkeit fehlte. Die Männer rauchten
die Mutz, die Mädels kamen in Dirndlkleidern und ohne
Strümpfe, und die Musik, es war nicht das wie im Saalbau, die leisen Stellen
verwehten ganz. Es war schade um die Musik, die an und für sich gut dargestellt
wurde.
Ich möchte schließen, bzw. ich muss schließen. „Die Pflicht
ruft."
Mit herzlichsten Grüßen
Eure Gretel
Essen, den 4. Dezember 1945
Liebe Mama!
… Hier bin ich schrecklich in der Arbeit. Neben dem
Gewöhnlichen so allerhand Extradinge: So habe ich regelmäßig biblische
Vorlesungen in der Sozialen Frauenschule in Gelsenkirchen. Dann habe ich den
Religionsunterricht in der Oberklasse einer Höheren Schule zweimal die Woche.
Das sind ja alles „alte Krieger". Sie baten ihren
Direktor, er möge erlauben, dass sie mich bäten. Und nun ist das ganz herrlich
mit diesen 15 jungen Kerlen, meist früheren Offizieren, die nun ihr Abitur
nachmachen müssen. Wie tun sie mir leid! Darunter ist der Sohn von dem
Oberregierungsrat, der einst Papa in Elberfeld bat, er möge einen BK übernehmen,
als er an einem Samstag so beschäftigt war. Der Vater erwartete mich gestern
vor der Schule und sagte mir, sein Sohn sei so dabei, dass es ihn an die Zeit
erinnere, als er so begeistert in Papas BK ging.
Am Sonntag hatten wir unser Jugendfest. Als es morgens so
schauerlich goss, war ich sehr traurig und dachte, ich sei ganz von Gott
verworfen, was ja kein Wunder wäre, und dann war der Gottesdienst übervoll. Am
Nachmittag mussten wir nach Werden, weil in Essen keine Kirche mehr heil und
mein Saal zu klein ist. Aber bei dem Regen, so dachte ich, hätte mein Saal
genügt. Es schüttete wie mit Kübeln. Aber wie ein Wunder war es, dass dann
gegen Mittag die Sonne kam. Und Menschenströme fuhren mit den Vorortzügen nach
Werden. Obwohl diese Kirche auch keine Fenster hat und ich fürchtete, es sei
unerträglich kalt, wurde es auch so wunderlich warm über Mittag. Kurz, es war
herrlich! Die Riesenkirche übervoll und dann so, dass ein Ingenieur mir nachher
ganz bewegt sagte: „Sie kündigten ein ,Jugendfest' an,
aber es war ein ,Jesusfest'."
Die Kinder sind jetzt in der Schule. Es ist so schwierig,
weil alle zu so verschiedenen Zeiten gehen müssen. Da ist das Mittagessen
manchmal wie in einer Wirtschaft, der eine kommt, der andere geht. Aber das
sind ja keine Sorgen. Wir haben es inmitten dieses Elendes
wunderschön, dass ich oft denke, es könne gar nicht so bleiben.
Gestern Abend hatte ich z. B. meine Bibelstunde über
Offenbarung 2. Es regnete schauerlich. Das ist bei uns so schlimm, weil die verkraterten Straßen dann wirklich unergründlich dreckig
und auch bei der Dunkelheit sehr gefährlich sind. Ich muss eine Straße laufen,
wo fünf bis sechs Meter tiefe Löcher sind, und da führen nur schmale Fußwege
entlang, und in den Trümmern ist ja kein Mensch um den Weg. Wenn man da in diese
aufgerissenen Kanäle stürzt, dann kann man ganz nett umkommen. Und da war mein
Saal zu meinem Erstaunen rappelvoll. Eine treue Gemeinde, wo sich jede
gründliche Vorbereitung lohnt.
Heute Abend hat Emmi allerlei einsame Leute zum Musizieren
eingeladen. Wir haben nur selten geheizt. Und wenn die Heizung an ist, dann
wird das ausgenutzt. Als wir überschlugen, stellten wir fest, dass nun an die
25 Leute kämen. Aber sie sind alle so dankbar, weil die meisten wie die
Zigeuner hausen! Noths und der Studienrat Spieker und
die Kinder vom Pfarrer Neil und Herr Kurz mit Sohn. Die Frau ist in Pfrandorf, und der Mann wohnt hier in einem schrecklichen
Hotel. Er muss mit einem anderen zusammenwohnen. Vorige Woche hat sich sein
Schlafgenosse aus dem Fenster gestürzt, weil sein Sohn vermisst ist, und war
tot. Und der Herr Kurz hat daneben geschlafen und nichts gemerkt. Ein typisches
Bild der Zeit. Der Sohn von dem Studienrat Spieker ist Arzt. Da hatte ich vor
kurzem eine Taufe. Er erzählte, bei ihm im Krankenhaus seien jetzt sieben
Männer gestorben, die hatten auf dem Schwarzen Markt Schnaps gekauft und
zusammen ausgetrunken. Und das war Methylalkohol, von dem Verkäufer regelrecht
Mord. Eine schauerliche Welt.
Und wir leben wie Joseph im Gefängnis: „Der Herr war mit
ihm, dass er ein glückseliger Mann ward."
Vor meinem Fenster das Alltagsbild. Da ist mal wieder ein
Auto im Dreck eines oberflächlich zugeworfenen Kraters stecken geblieben. Und
nun quälen sich die Männer damit ab. Seid froh, dass Hülben einigermaßen heil
ist! Im Nebenhaus sind meine Nachbarn jetzt daran, ihre letzten Habseligkeiten
zu bergen und wegzuziehen. Es war so eine nette Villa. Und am 11.03. bekam sie
einen Volltreffer. Nun haben sie bis jetzt in den Trümmern gehaust, aber nun
ziehen sie fort. Es tut uns so leid, weil es so nette Leute waren, mit denen
wir oft in ihrem Keller, der so gut ausgebaut war, saßen bei den Angriffen. Es
sind Katholiken, und mir gefiel es, dass sie ein Kruzifix in ihrem Keller
hatten. Das hat uns mal bei einem Angriff alle so getröstet. Ja, nun gehen sie
fort.
Behüt Dich Gott
Innigst Dein Wilhelm
Essen, den 27. Dezember 1945
Liebe Großmama!
… Nun will ich nur unsere Christmette noch ein wenig
beschreiben, denn sie war für uns mal wieder ein Erlebnis. Wir machten gar
keine Propaganda dafür, sondern luden nur immer für den Weihnachtsgottesdienst
um 8.30 Uhr ein. Als wir dann um 6.00 Uhr in den Saal kamen, waren wir wirklich
„platt", wie der Essener sagt. Wir kamen kaum mehr bis zum Altar durch.
Und dann strömte es unmenschlich. Die Gänge waren so voll, dass niemand mehr
herein konnte. Kurz und bündig fasste Papa den Entschluss, mehr Platz zu
schaffen. Dann packten zwei starke Männer schnell entschlossen den
Weihnachtsbaum und warfen ihn zum Fenster hinaus, was zwar unfeierliches, aber
fröhliches Lachen bei der versammelten Gemeinde hervorrief. So konnten noch mal
wieder 20 Leute in den Saal hinein. Und trotzdem standen die Leute bis auf die
Straße hinunter.
Es lag eine fröhliche Feststimmung über dem ganzen Gedränge.
Reinhard Neil, mit dem wir eine kleine Weihnachtsmusik eingeübt hatten, kam
sehr frühzeitig und stand nur etliche Schritte von uns entfernt im Gang. Aber
es war unmöglich für ihn, mit seiner „Oma" (d. h. seinem Cello) bis zu uns
vorzudringen. Und dann wurde gesungen, posaunt und aufgesagt, dass einem das
Herz aufging. Papa hielt eine kurze Predigt über die Gestalt des Joseph, es war
alles so wunderschön, dass man es mit Würde trug, dass bei dem Gedränge das
Programm nicht so gut klappte wie ein Konzert. Man sang sich so richtig die
Weihnachtsfreude ins Herz.
Dann sangen wir Mädels noch in einem Bunker, in dem
Ostflüchtlinge untergebracht sind. Ein kaum vorzustellendes Elend dort! Papa
ist gerade wieder zum Bibelkurs, zu dem gestern Abend 95 Jungens da waren. Was
für ein Unterschied gegen das vorige Jahr! Seid alle herzlich gegrüßt von
Eurer Elisabeth
Essen, den 6. Juni 1946
Liebe Mama!
Schon lange drückt es mich, dass ich nicht zum Schreiben
kam. Nun bin ich um 5.00 Uhr aufgestanden, um endlich diese Schuld loszuwerden.
Wir hatten so sehr viel. Neben all den Schwierigkeiten, die die vielen
Verhandlungen mit den Behörden bringen, waren es zwei Ereignisse, die uns
bewegten:
Die Evangelisation in 20 Kirchen und Sälen. Eine Woche fang
waren etwa 12000 Menschen unserer Stadt unter Gottes Wort. Wenig, wenn man auf
die ganze Bevölkerung und auf unseren Aufwand von Plakaten, Zeitungsinseraten
und Handzetteln sieht, viel, wenn man sieht, wie stumpf und hungrig die Leute
sind.
Dr. Lilje, der gerade von London kam, und der Emdener Jugendpfarrer
haben bei uns gewohnt. Viele aßen bei uns. Jeden Morgen ließ ich die
Evangelisten durch Autos zusammenholen zur Gebetsgemeinschaft und
Bibelbetrachtung. Es war eine wundervolle Festzeit für uns. In einigen
Gemeinden wurde aus der Evangelisation heraus ein Jugendkreis ins Leben
gerufen. So in Werden, wo Vetter Braun die Sache famos machte.
Lilje hatte nebenher DCSV-Tagung,
die bei uns im Hause endigte. Kurz, es war schon ein großer Angriff auf eine
Stadt, der die Gemüter bewegte, nicht nur meines.
Dann hatte ich an Himmelfahrt ein großes Jugendmissionsfest
in Essen-Steele. Morgens meinen eigenen Gottesdienst.
Als ich davon kam, war der Essener Bahnhofsplatz erfüllt mit jungem Volk, das
nach Steele fuhr. Einfach aufregend schön! Es kamen
etwa 3000 Jugendliche, obwohl es am Morgen leider regnete. Die riesige Kirche,
in der Johannes evangelisiert hatte, überfüllt mit Jugend. Ich predigte.
Am Mittag noch mal ein furchtbarer Guss. Ich war in großer
Not. Aber dann kam die Sonne heraus, und dann ging es in endlosem Zug durch die
Ruhrwiesen zu einem Festplatz an einem Berghang. Es wurde so schön, dass man im
Freien lagern konnte. Es sprachen drei Redner, der Ortspfarrer, ein Missionar
und Gedat. Ich leitete. Fast 4000,- Mark Kollekte und
nur junges Volk!
Jetzt kommt die Tersteegensruh-Konferenz
in Werden, weil hier kein Saal ist. Die meisten Redneressen bei uns. Es ist wunderbar,
wie der liebe Gott immer wieder sorgt. Gestern kam eine Kiste Kartoffeln aus
Ägypten. Dabei ist hier eine arge Hungersnot, und wir dürfen noch einladen. Ich
sende Dir ein Programm.
Dann muss noch eine Reihe Jugendfreizeiten jetzt vorbereitet
werden. Teils gehen wir auf Dörfer im Lipperland,
teils in Heime, wo ich die Lebensmittel Zusammenfechten muss. Die Quäker holten
mir Kartoffeln, die ich im Bergischen Land sammeln ließ für die Freizeiten.
Einiges bekomme ich aus der Schwedenhilfe. Es ist eine rechte Quälerei. Aber
ich halte die Bibelarbeiten so wichtig für die Jugendarbeit.
Zu all dem kommen viele schriftstellerische Arbeiten und nun
noch die normale Arbeit. Volle, übervolle Gottesdienste. Das schöne Erleben in
den wachsenden Jugendkreisen, das ermüdende Herumlaufen um Baugenehmigungen für
Jugendhaus und Kirchsaal.
Kurz, es ist ein herrliches und reiches Leben. Ich schwimme
wieder im Strom und muss nur sehr ringen um Stille und rechte Führung. Es gibt
so viel schwere Entscheidungen…
Und nun behüt Dich Gott! Wenn ich auch ein fauler Schreiber
war, so bin ich doch viel in Gedanken bei Dir und denke bei so manchem Mal, wie
wünschte ich, dass Mama es miterlebte.
Herzlichst
Dein Wilhelm
Essen, den 7. Juli 1946
Liebste Mama!
… Unsere Tersteegensruh-Konferenz
war reich gesegnet. Ich erlebte im Haus wieder rechte Speisungswunder.
Kartoffeln und Gemüse für die Tagung hatte ich vorher geschenkt bekommen. Aber
es war erstaunlich, dass Gott mir auf meine Bitte um eine Fett-Sonderzuteilung
nicht antwortete. Vielleicht war das noch Größere, dass trotzdem alle satt
wurden. Wir hatten vier Wochen lang von unserem Fleisch gespart, und dafür
bekam ich, seit Monaten war das nicht dagewesen,
einen schönen Schweinebraten, der war so fett, dass es nicht nur eine gute Soße
gab, sondern auch Fett zum Gemüse und zur Suppe.
Pastor Tegtmeyer aus Bethel und
Pastor Damrath, ein junger Pfarrer, den v. Reden zur
Vertretung schickte, kamen schon Dienstagmorgen. Mittwochs waren wir zu 14 und
Donnerstag zu 10.
Das ist für unsere heutigen Essener Begriffe gewaltig, und
Du kannst Dir denken, wie wunderbar es mir war, dass wir erleben durften: „Sie
aßen alle und wurden satt."
Es war eine feine Gemeinschaft unter den Brüdern. Gott hat
doch immer wieder Leute, die Er braucht in Seinem Dienst. All die alten,
gesegneten Brüder, die sonst die Konferenz trugen, sind in den letzten Zeiten
heimgegangen. Und nun war zu meiner Verwunderung wieder ein neuer großer Kreis
da von „mittelalterlichen".
Als bei der Abendmahlsfeier, an der vielleicht 800 Leute teilnahmen,
am Schluss alle sangen: „Wenn nach der Erde Leid, Arbeit und Pein / ich in die
goldenen Gassen zieh ein", kam es mir vor, als stünden wir schon an den
Toren des himmlischen Jerusalem.
Über all den Referaten lag ein großer Ernst. Wer kann
wirklich von sich sagen, dass er „in den Fußstapfen des Glaubens Abrahams"
wandelt!
Innigst
Deine Emmi
Essen, den 4. Februar 1947
Liebste Mama!
… Der alte Inspektor Hoffman ließ sich von mir in die Hand
versprechen, dass ich nie Oberkirchenrat oder so was würde. Er meinte: „Wen der
Teufel gar nicht anders mundtot machen kann, den macht er zum
Konsistorialrat."
Nun, der Teufel hat auch noch andre Mittel. Ich bin oft
recht betrübt, dass meine körperliche Kraft so klein geworden ist. Ich mache
jede Woche einen Liegetag. Und auch sonst muss ich viel liegen. Sonst geht es
nicht.
Zurzeit habe ich eine anstrengende Sache. Da hatte ich eine
Evangelisation in Duisburg übernommen. Die musste wegen meiner Krankheit zwei
Tage vorher abgesagt werden. Nun hole ich sie jetzt nach. Und nun gerade diese
Kälte, wo man bei der Glätte so schlecht Auto fahren kann. Jeden Abend eine
Stunde hin, Vortrag und eine Stunde zurück.
Emmi war gestern Abend mit. Wir waren vorher bei dem Pfarrer
Diehl, reizende Leute. Sie ist eine geborene Reber.
Sie hatten köstliche Spätzle und eine Fleischbüchse aufgemacht.
Herrlich die übervolle Kirche und die schönen Männerchöre!
Es sind meist Bergleute. Es hat mich gerührt, wie scharenweise junge Burschen
eng gedrängt stehen. Aber bei der Rückfahrt war ekliges Glatteis. Und heute Abend
wieder alles gefroren. Nun, ich werde auch den letzten Abend noch überstehen…
Mein großes Erleben der letzten Zeit war ein Vortrag im
„Haus der Technik", der wegen meiner Krankheit nun im Januar stieg. Damit
Du eine Ahnung hast, lege ich Dir einen Prospekt bei. Es war übervoll, die
Leute standen bis vor die Tür. Alles aus Industrie usw. war da. Der Leiter,
Professor Reisner, sagte zu Anfang, man habe ihn
angegriffen, dass er solche Vorträge halten ließe. Und ich spürte ihm eine
ziemliche Sorge an, ob ich ihn nicht blamierte. Er bat: „Schimpfen Sie nicht
auf die Technik." Ich sagte: „Mein Vortrag ist jetzt ausgearbeitet. Den
kann ich nicht mehr ändern." Es wurde eine Evangelisation für Gebildete.
Emmi staunte, wie ich schließlich, nachdem ich etwas wissenschaftlich
angefangen hatte, die einfachsten evangelistischen Geschichtlein
erzählte. Und die Leute hörten 65 Minuten atemlos zu. Jetzt schrieb mir der
Professor Reisner, der große Widerhall ließe ihn mich
bitten, im nächsten Semester wieder einen Vortrag zu halten. Ich war froh, wie
es vorbei war. Es schlauchte mich doch sehr.
Die Zeitungen brachten alle Berichte, sehr verworren. Aber
das hatten sie doch begriffen, dass es voll war und dass von Jesus die Rede
war.
Lebewohl. 10000 Küsse!
Dein Wilhelm
Ein Vermächtnis
Meine lieben Kinder!
(Zu meinem 75. Geburtstage!)
75 Jahre – Dreivierteljahrhundert – meines Lebens liegen
hinter mir. Es waren Jahre der Gnadenführung meines treuen Herrn und Heilandes.
Allerdings gab’s darin auch Zeiten schweren Leides, und dennoch muss ich bekennen:
„Was hat Dich bewogen, dass Du mich vorgezogen!?“
Wie lange, liebe Kinder, ich noch unter Euch bleiben darf,
steht in des Herrn Hand. Ob Er mich von meiner
gegenwärtigen Krankheit mit den oft heftigen Schmerzen noch mal will gesund
werden lassen, weiß Er allein. Mich bewegte in dieser Zeit die Liedstrophe:
„Ewigkeit, in die Zeit leuchte hell herein, dass mir werde klein das Kleine und
das Große groß erscheine, selge Ewigkeit!“
Wenn dann ich rückschauend mein Leben überblickte, trat auch
alles das hervor, worin ich gefehlt, was anders hätte sein können und sollen. Der Herr aber in Seiner Gnade hat alles Falsche und
Versäumte zugedeckt. Darob will ich Ihm ewig danken!
Liebe Kinder, mir sind im Leben folgende Bibelstellen unter vielen anderen wichtig gewesen und immer wichtiger geworden:
Hebräer 13, 9: „Lasset euch nicht
mit mancherlei fremden Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass
das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade."
2. Timotheus 2, 8: „Halt im Gedächtnis
Jesum Christum, der auferstanden ist von den Toten!"
1. Korinther 3, 11: „Einen andern
Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus
Christus!"
Und nun, liebe Kinder, will ich unter Gottes gnädigem Geleit
hineingehen in den neuen Lebensabschnitt, den mir mein geliebter Herr und
Heiland vielleicht noch zu schenken gedenkt. Sollte Er's aber anders
beschlossen haben, dann möge das Verslein mich geleiten: „Christi Blut und
Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid, damit will ich vor Gott bestehn, wenn ich zum Himmel werd eingehn."
Meine lieben Kinder, nehmt diese Zeilen Eures alten Vaters
als ein Zeichen herzlicher Liebe und inniger Verbundenheit mit Euch entgegen.
Vielleicht sind sie später einmal Euch eine liebe Erinnerung, weshalb ich sie
auch mit der Hand und nicht mit der Maschine geschrieben habe.
Bielefeld, zum 14. März 1943
Euer getreuer Vater
Friedrich Müller
Essen, den 26. Oktober 1946
Liebste Mama!
Ich sitze hier im Huyssenstift bei
meinem liebsten Mann. Er löffelt sehr behaglich zum Abendbrot seinen dicken
Milchbrei, den er hier alle Abend bekommt und über den ich für ihn immer so
froh bin, weil wir ja nur einmal die Woche ¼ Liter Magermilch kriegen. Wir
sprachen heute noch davon, ob ich ihn nicht heimholen solle. Aber daheim bei
uns wäre es zu kalt, weil wir die Heizung nicht anstecken können. Man versucht,
ihn mit Heizkissen, heißen Bädern usw. zu kurieren, was ihm sehr wohl tut. So
haben die Schmerzen im Rücken sehr nachgelassen. Sein Kopf macht uns die meiste
Sorge. Er hat immer noch so Kopfschmerztage, dass er am liebsten den ganzen Tag
schlummert. Überhaupt kommt es mir vor, als sei er jetzt in einem vollkommenen
Erschöpfungszustand, wo er nur Ruhe und Stille braucht. Manche Besucher meinen,
sie müssten ihn trösten, dass er hier im Bett liegen muss. Aber das ist ihm gar nicht schwer und bitter. Er genießt richtig das
Ausruhen dürfen. Man kann nur Gott bitten, dass Er diese Zeit segnet und neue
Kraft schenkt. Wir leben ganz von Seiner Gnade. Die Zinzendorf- und
Hillerlieder fallen recht aufs Plätzle. Und am
liebsten sind ihm die Besucher, die ein Bibelwort lesen und kurz beten.
Man lernt in dieser Zeit etliches über das Krankenbesuchemachen. Mir sind alle Besuche so interessant.
Ich könnte ganze Bände darüber schreiben:
Da kommen Dienstmädchen aus der Waschküche herauf: „Wir
wollten Pastor Busch besuchen, das ist nämlich unser liebster Freund." –
Da kommt ein Herr, der irgendwie am 20. Juli damals
beteiligt war und in Moabit im Gefängnis saß. Von dieser Zeit kommt er im Geist
nicht los und erzählt immer wieder davon. Als er ein schweres Verhör vor sich
hatte, wo es um seinen Kopf ging, sagte ihm ein Bibelforscher, der seine Zelle
reinigen musste: „Wenn es bei Ihnen um eine Sache des Reiches Gottes ginge,
dann könnten Sie jetzt ganz ruhig und fröhlich sein, aber Sie haben sich in
weltliche Händel gemischt, da müssen Sie das jetzt ausbaden." –
Oder es kommt der Gärtner, ein wortkarger Schlesier, mit dem
wir anfänglich immer Kniest hatten, aber scheint's hat ihm jetzt Wilhelm das
Herz abgewonnen, dass er ihm im schönsten Sonntagsanzug
einen Besuch macht. –
Da kommt ein junger Mann, nicht ganz arisch, der nun mit
1000 Freuden in Marburg studiert und vom Leben der Studentengemeinde berichtet.
–
Oder der gute Bäckermeister Braß
bringt ihm ein Stück Kuchen und möchte ein tröstendes Wort von meinem Mann. Er
hatte einen sehr geliebten Sohn in russischer Gefangenschaft und bekam nun von
Kameraden die Nachricht, dass der dort gestorben sei. Der Vater kommt schier
nicht darüber hinweg. Jedes Mal, wenn er mir Brot bringt, müssen wir von diesem
Herzleid sprechen, während der Professor hier, wenn er zu Besuch kommt, gar
nicht seinen Schmerz um den Sohn angetastet haben will. –
Da kommt ein Herr v. W., sehr angesehenes Gemeindeglied und
Vorsitzender in vielen christlichen Vereinen. –
Ein großes Ereignis ist's auch, als die „Klara" kommt:
Altes Faktotum im Haus. Ihre Freundin in Altenessen gab ihr einen Blumenstrauß
für den Pastor mit. –
Strahlend erscheint ein junger Mann, Leiter im Weigle-Haus.
Er kam am Tag vorher aus der Gefangenschaft heim und stellt sich nun gleich
wieder für die Arbeit zur Verfügung. –
Irgendjemand kriegte ein Paket aus Amerika und schickt eine
englische Zigarette herein. –
Der Superintendent Held sitzt freundschaftlich stundenlang
am Bett. –
Die Tochter Renate kommt vor der Flötenstunde eben hereingehüpft.
Sie hat eine Zwei geschrieben in Mathematik. Das muss doch eben berichtet
werden. –
Dr. H., großer CDU-Mann, bedeutend auf allen Gebieten, schaut
herein und prägt über eine kleine Sache, die mit großem Getöse verfochten wird,
den kostbaren Ausspruch: „Seeschlacht im Eimer." –
Ein freikirchlicher Prediger fragt, ob er mit seinem Chor
draußen im Flur singen dürfe…
Es ist nur eine kleine Auslese. Aber dies Dasein ist auch
nicht uninteressant. Doch möchte Wilhelm am liebsten ganz ruhen. So, jetzt lese
ich ihm noch ein Abendlied, und dann gehe ich heim.
Innigst
Deine Emmi
Mit Pastor Raeder verband Wilhelm Busch das Engagement für den
evangelistischen Dienst und das Interesse für die Schriftenmission. Jahrelang
„bestellte" Pastor Raeder monatlich je vier
Beiträge für sein Verteilblatt „Kraft und Licht".
Berlin, den 17. Januar 1948
Lieber Bruder Busch!
Dein Brief hat mich ganz eigenartig berührt. Endlich sind
wir beide wieder nach langer Pause in Verbindung getreten. Es war aber auch
Zeit. Mensch, Du musst nicht so viel übernehmen und ein langsameres
Arbeitstempo einschlagen, sonst ist es natürlich kein Wunder, dass Du dauernd
auf der Nase liegst. Hast Du denn keine Frau mehr, die Dich bremst? Oder hast
Du eine neue Frau, die noch keinen Einfluss auf Dich hat? Deine alte grüße
sehr. Sage ihr, ich hätte sie in anderer Erinnerung, warum sie jetzt keine
Kommandogewalt mehr über Dich hat.
Nun zur Sache. Dass Du über 50 bist, rührt mich nicht. Ich
bin es auch. Dein Bruder Leib rächt sich nur nach all den Sünden, die Du an ihm
begangen hast. Wir hier von der Stadtmission haben aber so viel Erbarmen mit
Dir, dass wir Dich für dieses Jahr freigeben. Du siehst, wie anständig wir
sind. Aber für nächstes Jahr bittet Bruder Damrath
Dich darum, die Woche nach unserem Jahresfest, also 2. Märzwoche, für eine
Fahrt zur Evangelisation hierher Dir freizuhalten. Bitte sei so gut und
schreibe Dir dies gleich für 1949 auf.
Ich bin bereit, diese Woche bei dir abzuarbeiten. Habt Ihr
in diesem Frühjahr wieder eine Gesamtevangelisation?
Ich will versuchen, in der Woche vom 8.-14. Februar, wo ich
ganz in Deiner Nähe bin, zu Dir herüberzukommen. Dann können wir alles noch
mündlich durchsprechen.
Bis dahin grüßt Deine liebe Frau und Dich herzlich
Dein Raeder
Jesus lebt!
Jesus siegt!
5. Juni 1949
Sehr geehrter Herr Pfarrer,
kürzlich bekam ich Ihr Büchlein „Kleine Erzählungen"
geschenkt, und da wir zu der Erzählung „Zirkus Sarrasani"
sozusagen eine Fortsetzung erlebten, dachte ich, es würde Ihnen vielleicht
Freude machen, wenn ich es Ihnen erzähle. Diese Geschichte stand ja vor dem
Krieg schon einmal in einem evangelischen Blatt. Damals las ich sie meinem
Jungmädchen-Bibelkreis vor, und es machte den Mädchen einen besonderen
Eindruck, dass man den Namen „Jesus" in fast allen Sprachen versteht.
Nun war ein junges Mädchen in meinem Kreis, das in einer
Gärtnerei angestellt war und mit der Tochter der Gärtnersleute
unseren Kreis besuchte. Da kam 1945, kurz nach der Zerstörung unserer Stadt,
die Besetzung durch die Schwarzen. Diese Gärtnerei liegt sehr einsam, weitab
von der Stadt oder andern Häusern. Als nun eines Tages die Familie beim
Mittagessen war, stand plötzlich ein Schwarzer da, der so leise gekommen war, dass
ihn niemand gehört hatte, und versuchte, die beiden Mädchen fortzuziehen, indem
er ihnen sagte: „Mitkommen, mitkommen!" Da kam natürlich ein großer
Schrecken und eine Angst über alle, die Tochter des Hauses fing an zu weinen,
die Eltern waren ratlos, denn sie wussten ja, dass alles Wehren in diesem Fall
unmöglich war. In diesem aufregenden Augenblick fiel dem jungen Mädchen die
Geschichte vom Zirkus Sarrasani ein und dass ich ihnen
gesagt hatte, den Namen „Jesus" verstünde man so ziemlich in allen
Sprachen. So fing sie einfach an, laut zu beten. Sie sagte mir nachher: „Was
ich gebetet habe, weiß ich gar nicht mehr, ich habe nur recht oft den Namen ,Jesus' gesagt." Als sie aufhörte mit beten,
stand der Schwarze ganz andächtig und freundlich da, ging zu ihr hin und gab
ihr einen festen Kuss und verschwand so lautlos, wie er gekommen war.
Als sie mir das alles erzählte, war sie sehr verlegen, aber
sie sagte lachend in ihrem schwäbischen Dialekt – sie ist von Ludwigsburg –: „Des
han i doch net denkt, dass
i in mein' Leben einmal en Kuss kriegte von einem Schwarze!" Für sie aber
und die ganze Familie war es ein großes Erleben, wie Gott nach so langen Jahren
sie in diesem Augenblick an Ihr Erlebnis erinnerte und es dazu benutzte, um 2
junge Mädchen in großer Gefahr zu bewahren. Wir wissen ja nicht, ob der Mann
verstanden hat, was hier vor sich ging, ob er spürte, dass hier gebetet wurde,
ob er überhaupt den Namen „Jesus" heraushörte. Aber Sie können sich
denken, wie froh es uns alle machte, als wir erlebten, dass der Herr Jesus auch
heute noch Wunder tut und Mittel und Wege hat, um seine Kinder zu schützen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Elisabeth Denzel
Schaffhausen, den 7. Mai 1951
Sehr geehrter, lieber
Herr Pfarrer!
Schon lange hat es mich gedrängt, Ihnen einmal Dank zu
sagen.
Seit 18 Jahren bin ich Heimmutter in einem Mädchenheim.
Werfen Sie einen Blick in unser Heim hinein:
Da haben am Sonntag 32 Frauen und Töchter zu Mittag
gegessen. Die Hausmutter sagt vor dem Aufstehen vom Tisch: „Nun, ihr Lieben,
ist unser Magen gut gesättigt, so wollen wir noch etwas für unsere Seele
haben." Sie liest eine Begebenheit aus ihren „Kleinen Erzählungen"
vor. Alle halten den Atem an. Alle, auch die Lautesten und Gleichgültigsten,
werden ganz still. Dann ein kurzes Dankgebet, einige Lieder, und alles zerstreut sich wieder. Im Herzen der Hausmutter aber ist ein
stilles, tiefes Freuen darob, dass in ihrem Dienst nicht nur für den Magen
gesorgt werden muss, sondern dass auch etwas weitergegeben werden darf für die
Seele.
Oder am Donnerstagabend: Da kommen sie von nah und fern zur
Töchterzusammenkunft ins Heim. Seien es Schweizerinnen, Deutsche oder
Österreicherinnen. Wir singen, schwatzen, lesen vor. „Nun sollt ihr noch ein
Erlebnis von Pfarrer Busch in Essen hören." Ich lese. Man erlebt alles so lebendig
mit. Die Jugend horcht gespannt. Die Hausmutter merkt, es dringt ein in die
Herzen, sie nehmen etwas mit. Am Schluss noch eine 5-Minuten-Andacht. Ganz aus
dem Alltag im Dialekt. Ein Gebet und ein Lied. Sie gehen, ein jedes wieder in
das Seine. Man durfte ihnen geistige Speise mitgeben, und das macht das Herz so
froh.
Die tiefsten Freuden aber sind immer dann, die Sie, in
Christo Jesu, lieber Herr Pfarrer, so reichlich kennen, wenn auch die Engel im
Himmel sich freuen über einen Sünder, der Buße tut, über ein Menschenkind, das
seinen Heiland findet.
Möge der Heiland Sie uns allen noch lange erhalten und zum
Segen setzen! Möge Er Ihnen tiefste Erntefreuden gewähren trotz aller
Satansmächte. Es ist und bleibt ja doch dabei:
„Uns die Ohnmacht,
Satan die Großmacht,
Gott aber die Allmacht."
Es grüßt Sie freundlich
Ihre M. Siegenthaler
Wilhelm Busch hat an
den Kirchentagen nach dem Kriege gern Verkündigungsdienste übernommen.
Mit dem Präsidenten
und dem Generalsekretär, Pastor Heinrich Giesen, dem späteren Leiter der
Berliner Stadtmission, verbanden ihn eine herzliche Freundschaft und die Freude
über diese volksmissionarische Möglichkeit.
Fulda, den 28. Mai 1951
Lieber Wilhelm!
Hab sehr herzlichen Dank für Deinen lieben Brief an Heinrich
Giesen! Ich antworte Dir kurz darauf, weil Heinrich z. Zt. in Urlaub ist und
ich gern möchte, dass Du schnell ein Echo der Freude und Dankbarkeit empfängst.
Ja, wir haben Gott von Herzensgrund zu danken für das, was
Er unter uns in den Berliner Tagen getan hat. Menschenlob ist zu schwach, um
auszudrücken, was wir empfinden. Nach meiner Überzeugung ist der Berliner
Kirchentag das größte volkskirchliche Ereignis (im Sinne des Alten Testaments
und der Reformation) gewesen, das wir seit vier Jahrhunderten erlebt haben. Das
zwingt uns nicht zur Überheblichkeit und zum Stolz, wohl aber zur Buße, zur
Demut und zur Dankbarkeit.
Mit Sicherheit werden wir noch allerhand Not haben. Aber der
Kirchentag steht fest und ist heute nicht mehr beliebig wegzupusten. Vielleicht
gelingt es uns mit der Zeit, uns die Liebe unserer Kritiker zu gewinnen. Wir
wollen gern alles tun, um Spannungen auszugleichen, um Unrecht zu vergeben und Vertrauen
zu gewinnen.
Wenn Du ein gutes Wort in „Licht und Leben" in dieser
Richtung schreiben magst, dann freuen wir uns von Herzen. Aber nicht im Geiste
des Hochmutes und der Unversöhnlichkeit, sondern in dem Geiste, den uns der
Herr Christus vorgelebt hat.
Sei für heute in warmer Dankbarkeit für Deinen wichtigen
Dienst, den Du dem Kirchentag in Berlin geleistet hast, und in alter Liebe
herzlich gegrüßt
Reinold Thadden
Bei dem Kirchentag
1958 in München hielt Wilhelm Busch morgendliche Bibelarbeiten und abends
volkstümliche Evangelisationen im gedrängt vollen Zirkus Krone, die vielen zum
Erlebnis wurden. Auch einer alten Dame aus dem Baltikum.
München, den 18. März 1959
Liebe, sehr verehrte
Frau Pastor!
Nun ist die schöne Zeit des Kirchentags bereits verklungen.
Aber der Nachklang ist vielleicht noch von größerer Bedeutung als die
unmittelbaren, starken Eindrücke. Er ist auch tiefer und begleitet ein in
diesen Zeiten der Katastrophen, Überschwemmungen, menschliches Elend als Hort
und Halt, der uns von Gott gegeben ist.
Und da ist man so dankbar, einmal auch die große, große
Gemeinschaft zu spüren und dieses Gnadengeschenk aus Gottes Hand zu erhalten,
wie es z. B. die Persönlichkeit Ihres Mannes ist – so hinreißend, überzeugend,
voll Innerlichkeit und Stärke. Sein Feuer springt über und erleuchtet den
Alltag, und plötzlich weckt er neue Kräfte und Zuversicht. Denn Reden hört man
viele und sehr schön geformte, intellektuelle Reden; aber hinter ihrer Glätte
steckt oft so wenig Überzeugung.
In meinem langen Leben habe ich nur dreimal Prediger gekannt
mit einer Flamme, welche ihnen Gott gab, und die opferbereit waren, sie anderen
zu übermitteln:
Einen evangelischen Pfarrer in Petersburg, welcher kämpfend
für den Bau eines Waisenhauses ein Tintenfass in eine flaue Versammlung von
Kirchenräten schleuderte und ungeachtet ihrer Empörung dennoch das Waisenhaus
erhielt.
Einen russischen Priester, der während der letzten Synode in
Russland gegen Stalin auftrat, von der Gemeinde versteckt wurde und nach
Deutschland floh, hier in München Gefängnisprediger wurde und solche
Bekehrungen erlebte, dass Amerika hierher Experten schickte, um die
„Wunder" zu untersuchen. Stalin erwähnte ihn in seinen Memoiren als seinen
gefährlichsten Feind.
Und nun noch Ihren Mann, der auch den gleichen Weg geht und
sein Leben ebenso dem Heiland weiht.
So dankt man dem Herrn für die Gnade, dass Er solche
Arbeiter in Sein Feld geschickt hat.
Mit innigem, innigem Gruß
Ihre Renate Zehder
Lieber Onkel Albrecht!
Ich habe gerade ein halbes Stündchen Zeit, dann muss ich
zwei Jungscharen besuchen. Die Zeit kommt mir gerade gelegen, um Dir für Deinen
lieben Brief zu danken. Es tut mir sehr leid, dass Du mit meinem
Geburtstagsbrief Mühe gehabt hast mit der Dankerei.
Aber Dein Brief hat mich außerordentlich beschäftigt. Ich
habe noch nie einen Menschen gesehen, der sich selbst so völlig falsch
eintaxiert, wie Du es mit Dir tust. Ich bin ja vielmehr ein Kullen als ein
Busch (mein Bruder Johannes ist ein ganzer Busch-Mann), und darum kann ich Dich
gut verstehen. Aber Du siehst sicher einiges verkehrt. Ich habe von Dir und mir
und allen richtigen Kullens den Eindruck: Es ist
unsre Eigenart, dass wir nicht vielerlei tun können. Aber an eine einzige Sache
rücken wir unsre ganze Seele. Darum stoßen wir immer bei den Leuten an, die
noch etwas andres und mehr von uns verlangen. Und das macht uns dann ganz
elend.
So kann ich z. B. nur evangelisieren: In meiner
Jugendarbeit, in meiner Predigt und wo es ist. Aber ich kann z. B. gar nicht
organisieren. Und sollte es doch können. Nun habe ich mich damit abgefunden, dass
ich nur eins kann. Und Du hast Dich bis heute nicht damit abgefunden, trotzdem
Du viel älter bist als ich. Wenn ich z. B. sehe, wie viel Johannes leistet,
dann kriege ich richtig „das arme Tier", wie man bei uns sagt. Aber jetzt
weiß ich, dass ich nicht so vielerlei kann und bin zufrieden. Man muss sich
selbst auch nehmen, wie einen der liebe Gott geschaffen hat.
So hast Du nun auch eine einzige Sache neben Deiner Schule
aufs Herz genommen. Und das war: Ein offenes Haus für alle, die kommen wollen.
Und das ist Dir so herrlich gelungen, dass es Tausende gibt, deren Augen
leuchten, wenn sie vom Schulhaus sprechen. Das habe ich doch selber so und so
oft erlebt. Was tut es da, wenn Du nun daneben kein Redner geworden bist! Ich
meine, dass der himmlische Vater uns unsre Platzanweisung gibt. Und da sollten
wir uns keine grauen Haare wachsen lassen über dem, was die Menschen noch Unbilligerweise
von uns verlangen und erwarten. Ich habe den Mut bekommen, zu sein, wie ich
bin. Und – Du hast diesen Mut ja auch schon lange. Nur ab und zu – na ja, so
geht es mir dann auch manchmal, wenn ich sehe, wie die Organisation meiner
Jugendarbeit oder manches andre nicht so ist, wie es meine Amtsbrüder von mir
fordern.
Ich jedenfalls will Dir bei dieser Gelegenheit bekennen, dass
Du mir und meinen Geschwistern stets ein Ideal warst mit dem offenen Haus und
mit dem Anteilnehmen an allen Menschen und ihren Nöten. Du bist und bleibst für
uns der Idealonkel, dem wir die herrlichsten Stunden und Tage unserer
Jugendzeit verdanken.
Und im Übrigen: Dass Gott uns demütigt und klein macht, dass
Er uns zeigt, dass wir nur wirklich die Vergebung brauchen, das ist ja auch
gut. Ich freue mich, dass ich einen Heiland habe, dessen Gerechtigkeit – für
mich mit – so überschwänglich ist, dass ich – wie Luther sagte – gar nicht
weiß, wo ich mit soviel Gerechtigkeit vor Gott hin soll.
So, da werde ich abberufen. Du brauchst mir nicht mehr zu
antworten. Ich meinte nur, Dein Brief erfordere noch eine Antwort. Ich habe in
Armut geschrieben. Und es ist ja dumm, wenn ein junger Neffe seinen alten Onkel
belehren will. Nimm's gütig auf, wie Du immer zu mir
geduldig und gütig warst.
Herzlichst
Dein Wilhelm
Essen, den 24. April
Mein Lieber!
An Deinem Geburtstag wird's turbulent zugehen. Aber ich
möchte doch gern, dass Du mich unter den Gratulanten entdeckst. Und da will ich
Dir eine kleine Rede halten, die – wie üblich – 3 Teile hat.
Überschrift: Geburtstags-Freude,
Text: Ps. 84,8.
1. Freude des
Schwiegervaters
Ja, ich darf mich mitfreuen, dass Du geboren bist. Und wenn
ich daran denke, wie viel Gutes Du mir und meiner Frau getan hast, dann fließt
mein Herz über voll Freude und Dank. Und dass Du meine Renate so glücklich
machst! Und dass… und dass… und dass Du nicht ein „moderner Theologe"
bist, sondern dem Worte Gottes alles zutraust! Also viel Freude des
Schwiegervaters!
2. Freude des
Geburtstagskindes
Du darfst dankbar zurücksehen auf das vergangene Jahr. Wie
hat Gott Dich gesegnet in allem: Deine Arbeit blüht auf. Du hast eine liebe
Familie und viel Gutes. Kurz, freue Dich! Freue Dich vor allem über die
Verheißung Psalm 84, 8.
Mit dieser Verheißung grüße ich Dich. Nimm sie ganz persönlich!
Sie begleitete mich in die 1. große Schlacht mit Freidenkern in Bielefeld.
3. Freude Gottes
Er freut sich, an dir Psalm 84, 8 Wahrzumachen.
Er freut sich, Dich im neuen Jahr mit Seinen Siegen zu
überraschen und zu beschenken. Und Er freut sich, dass Du ihm Siege zutraust.
Schluss: „… dass man sehen muss, der rechte Gott sei zu
Zion." (Nicht: „… der rechte Pastor sei zu Rotthausen.") Seid ihr nur
recht Zion und gebt Ihm alle Ehre!
Das wurde nun fast eine Predigt. Möge sie Dir ein wenig
meine Liebe zeigen.
Herzlichst
Dein P.
Schöner könnte ich meine Wünsche auch nicht ausdrücken. Ich
freue mich an Dir und an Euch und mit Dir und mit Euch: Lasset uns miteinander
Seinen Namen preisen.
Deine Mama
27. Januar 1966
Sehr geehrter Herr
Busch!
Schon über ein Jahr wollte ich Ihnen schreiben. Wo soll ich
nun anfangen?
Zuerst muss ich Ihnen sagen, dass Sie mich und meine Familie
nur zweimal ganz kurz gesehen haben. Und zwar in der Berghalde in Hirscheck im Walsertal im Sommer 1964 zur Zeit Ihrer Evangelisation in
Oberstdorf. Wir waren mit unseren drei Kindern dort. Vielleicht erinnern Sie
sich noch der Siegerländer Familie.
Weshalb ich nun schreibe? Unser Kleinster, damals 11 Jahre,
fuhr mit einer solchen Begeisterung damals mit nach Oberstdorf in die Kirche.
Er war so voller Freude und hätte sich nicht zurückhalten lassen. Wieder zu
Hause, glaubte ich eine Veränderung an dem Kleinen zu bemerken. Während er
vorher immer knurrte, wenn er mit in die Versammlung gehen sollte, hörte man
nichts mehr davon. Er war überhaupt verändert. Er hat kurz darauf bekannt, bekehrt
zu sein. Ich glaube immer noch, dass er es in Oberstdorf wurde. In dieser Gewissheit
ist er nun am 5. Dezember 1964 heimgegangen. Er hat erst einen Blick in den
Himmel tun dürfen. Was hat der Junge gelitten. Er war nur acht Wochen krank und
hatte Krebs. Mit welcher Geduld er seine Krankheit trug, das ist kaum zu
glauben. Immer wieder hat er bekannt, gläubig zu sein. Johannes 17, 24 hat er
sich als seinen Spruch ausgesucht. Oft hat er Pastor Busch erwähnt, und seine
schwarzen Augen glänzten dabei. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass sich die
Evangelisation damals gelohnt hatte.
Mein Mann war ein gebrochener Mann nach dem Verlust des
Jungen. Er war hirnverletzt und zuckerkrank und außerdem noch herzkrank. Diesen
Schlag hat er nicht verwinden können. Oft hat er gesagt, wenn ich doch bei dem
Jungen wäre. Nun ist er am 22. Dezember 1965 heimgegangen und mit dem Jungen
vereint.
Unser fröhliches Haus ist still geworden. Wir können es noch
immer nicht fassen, dass nun die Stütze auch von uns genommen wurde. Ich kann Ihnen
sagen, es ist nicht leicht, immer „Ja" zu sagen. Wir bedürfen jetzt der
Fürbitte, dass wir nicht mutlos und bitter werden und nicht verzagen.
Ihre…
Pastor D. Paul Tegtmeyer war viele Jahre Leiter des Brüderhauses Nazareth
in Bethel und mit Wilhelm Busch besonders verbunden durch den gemeinsamen
Dienst bei der Tersteegensruh-Konferenz, deren
Teilnehmern er durch seine Bibelarbeiten und die patriarchalische, seelsorgerliche
Gestaltung der Abendmahlsfeiern in dankbarer Erinnerung geblieben ist.
Bethel, den 21. Mai 1948
Liebe Geschwister!
In der Reihe derer, die unterwegs sind, möchten meine Frau
und ich Euch in herzlicher Freude zu Eurem Freuden- und Danktag grüßen.
Ruth 1, 19: „Also gingen die beiden miteinander, bis sie gen
Bethlehem kamen", zur Krippe des Kindes, zum Kreuz des Sohnes, zum Dienst
des Herrn, zur Krone des Königs.
Menschen, die solche Führung auf dem gemeinsamen Wege
erfuhren, dürfen und sollen ein Gedächtnis dieser Wunder aufrichten.
In geschwisterlicher und dankbarer Verbundenheit gedenken Euer
Eure getreuen Paul und Maria Tegtmeyer
Bethel, den 9. März
1954
… Wie ich höre, seid Ihr wegen Eurer alten Mutter recht in
Sorge. Wenn es sich bei der Krankheit im Mund um Zungenkrebs handeln sollte,
dann würde das freilich für Euch Kinder eine schmerzliche Sorge und Not sein.
Da könnte man nur bitten: „Mach End', o Herr, mach Ende!"
Wir sollen die Heiligen Gottes nicht auf ihrer Reise
aufhalten. Freilich dürfen wir auch nicht Gottes gute Hand hindern, an den
Seinen bis zum Eingang in das Reich das zu tun, was Er nach Seiner ewigen
Weisheit für richtig hält. Er zieht das hochzeitliche Kleid der Vollendung
niemals über die alten Lumpen unseres natürlichen Menschen. Er entkleidet,
damit wir überkleidet werden. Und das Entkleiden ist immer eine schmerzliche
Angelegenheit. Danach die Herrlichkeit!
Dein getreuer Paul Tegtmeyer
Bethel, den 1. Juli
1960
… Wir alle zusammen werden in der Bahn gehalten, die Jesus
Christus als Mitte bestimmt. Ich habe mich in all den Jahren als nichts anderes
als einen kleinen Helfer angesehen. Paulus nennt seine Freunde Mithelfer. Ich
benenne die Abkürzung meines theologischen Doktors „D" nicht mit „Doktor"
sondern mit „Diakon" und sage mit Paulus 1. Korinther 3: „Wer ist nun
Paulus, wer ist Apollos? Diener sind sie, durch welche ihr seid gläubig
geworden. Und das, wie der Herr einem jeglichen gegeben hat." Der Herr
erhalte und mehre uns für die Tersteegen-Konferenz
dieses „Team" der Treue, der Bescheidenheit, der Freude! In den Staub
gebeugte Sünder sind die besten Kanäle, durch die Gottes Botschaft
hindurchfließen kann.
Meine Frau muss jetzt viel allein sein. Aber sie ist meine
treuste Mitarbeiterin. Sie betet. Das spüre ich unaufhaltsam bei jedem Dienst,
den ich hier oder draußen noch tun darf. Sie lässt Euch alle, besonders Deine
liebe Frau, grüßen. Es geht ihr wechselnd. Dies Wetter im Wechsel von Regen,
Sturm, Sonne, Kälte macht ihr viel Not. Ihr Herz gleicht meiner alten, vom
Vater ererbten Taschenuhr – sie hat die Kriege von 66 und 70 – 71 mitgemacht –,
die immer öfter stehen bleibt vor Schwäche und Müdigkeit. Aber trotzdem rappelt
sie sich immer wieder auf und läuft wieder munter. Doch rechnen wir ohne Furcht
und Zweifel, dass dies müde Herz meiner Frau eines Tages von selber stehen
bleibt. Endgültig. Sie wird im September 80 Jahre. „Und wenn mein Herz in
Stücke bricht, wirst Du mein Herze bleiben."
Meine Frau ruft zum Essen. Behüt Dich Gott! Er segne Deinen
Dienst mit Frucht. Wie Dein Tag, so Deine Kraft. Christen haben unerschöpfliche
Kraftreserven, weil sie einen unerschöpflich reichen Herrn haben.
In Liebe und Treue
Dein Paul Tegtmeyer
Bethel, den 23. Februar
1961
… Du weißt, warum Du warten musstest. Als meine Frau vom
Todestag bis zum Beerdigungstag noch neben mir in der Wohnstube im Sarg
schlief, konnte ich keinen Brief schreiben. Es gab keine Ruhe. Aber Gottes
Friede war da.
Und nach dem Beerdigungstag – er war ein Zeugnis von Gottes
Herrlichkeit! – musste ich am Dienstag in der Frühe in den Odenwald abfahren.
Da warteten sie bereits seit zwei Tagen auf mich. 80 ehemalige und jetzige
süchtige Männer. Die durfte ich nicht im Stich lassen. Manche Menschen haben
mich missbilligend gefragt, warum ich denn nun gleich nach dem Begräbnis wieder
losginge, statt in der Ruhe zu bleiben? Jesus selber hat mir die
rechtfertigende Antwort gegeben. Wir haben noch nie solch eine mit der Macht
des rettenden Wortes gefüllte Freizeit da oben in der Trinkerheilstätte gehabt.
Nach der stillen Abendmahlsfeier am letzten Abend verabschiedete ich mich von
den Männern. Da kam ein junger, kleiner Kerl an mir vorüber; 20 Jahre alt, im
Delirium befindlich ins Heim gekommen. Er flüsterte mir im Vorbeigehen ins Ohr:
„Ich habe meinen Strick verbrannt!" Es handelte sich um einen Strick, mit
dem er seinem verpfuschten Leben ein Ende machen wollte…
Um diesen einen hatte Jesus mir am Grabe meiner Frau gesagt:
„Steh auf und geh' hin auf die Straße von Jerusalem nach Gaza, die da wüste
liegt."
Vorgestern Abend kam ich nach hier in mein „leeres",
stilles Haus zurück. Aber gestern war ich auf dem Jahresfest der jungen
Frauenhilfe in der „Sennestadt". Und heute habe ich ein Referat auf unserer
4. Nazareth-Brüderfreizeit. Heute Abend Bibelarbeit im Betheler
CVJM.
Dazwischen laufen täglich nun 100 Briefe ein, z. T.
troststarke, wunderbar tiefe Grüße: „Ströme, die rückwärts fließen." Aus
dem langen Leben meiner Frau in meine Situation. Was ist es doch um die
Gemeinschaft der Heiligen! Ich danke Dir und Deiner Frau ganz herzlich für Eure
Grüße. Sie waren die ersten: „Wie Tau Gottes aus der Morgenröte der anderen
Welt." Ich kann nicht ausdrücken, wie sie mich „aufgehoben" haben.
Es geht mir körperlich nicht gut. Das befreite Herz in
seiner Jesusnähe legt auf den Körper ab, was es nicht zu einer inneren
Behinderung werden lassen will. „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist
freut sich Gottes, meines Heilandes."
Ich gehe zu den Schwerleidenden und Sterbenden, um ihnen zu
erzählen, wie wunderbar Jesus Seine Leute bis ans Tor der Herrlichkeit leitet
und sie dann selber hindurchträgt ins helle, schöne
Licht. Das letzte Wort meiner Frau auf dieser Erde war bei brechenden Augen:
„Heiland, erbarme Dich!" Er hat's getan. „Erbarmung ist's und weiter
nichts!"
Indankbarer Liebe
Dein und Euer Paul Tegtmeyer
Bethel, den 10. Juli
1962
… Ich bekomme auch viele dankbare Randbemerkungen zur Tersteegensruh-Konferenz, mündlich und schriftlich. Und
lese sie als Hinweise darauf, dass der Herr selber „irdene, zerbrechliche
Gefäße" wieder einmal gebrauchte, um etwas von Seinem Schatz
hineinzulegen. Wir sind nicht mehr, aber auch nicht weniger als „Tontöpfe
Gottes", nach Gebrauch wegzuwerfen. Ich werde bald soweit sein, dass Er
mich für diese Welt nicht mehr verwendet.
Daneben kommen dann Erwägungen wie die vorn alten Sirach: „Ich bin wie einer, der im Herbst Trauben
nachliest, und Gott hat mir seinen Segen dazu gegeben, dass ich meine Kelter
noch einmal voll gemacht habe." Dabei überkommt mich ein beglückendes
Gefühl kindlicher Dankbarkeit: Weil wir einen solchen reichen Vater haben,
deswegen sind wir reiche Kinder, Miterben Christi.
Zurzeit habe ich keine größeren Unternehmungen unter der
Hand. Aber mein Tag ist mit so viel Kleinarbeit gefüllt, dass ich mich an jedem
Abend wundere, wie voll er war. Dabei treibt mein altes Lebensschifflein
immer, immer schneller auf dem Strom der Zeit der „Mündung" zu. „Dass ich
mit Heil anlände in jenem Vaterland."
Grüße die Deinigen! „Lass Deine Seele guter Dinge sein in
deiner Arbeit." Prediger 2. Das ist Gnade! Der Prediger fügt hinzu: „Aber
solches sah ich auch, dass es von Gottes Hand kommt." So was macht man
nicht, es wird geschenkt.
Gott befohlen
Dein Paul Tegtmeyer
Wilhelm und Emmi Busch
hatten zwar ihre beiden Söhne verloren, es waren ihnen aber noch vier Töchter
geblieben.
Weihnachten 1956
Liebe Gretel!
Situation: Rene liegt in ihrem schönen, roten Kleid längs
auf dem Teppich und findet alle zwei Minuten etwas anderes im neuen Radio, was
sie zu Papas Kummer hören will. Papa liegt auf seinem Sofa und liest ein Buch
nach dem anderen. Auch Hanna hat sich in ein Buch vertieft, und Mama treibt
uns, Weihnachtsmusik zu machen, wozu wir ja auch gern bereit wären, wenn uns
unsere Magenschmerzen infolge zu ausführlichen Kaffeetrinkens nicht daran
hindern würden. So kommst Du zu einem Brief. Alles schweigt, außer meiner
Maschine, die ein alltägliches Getöse macht. Du fehlst! … Hoffentlich genießt
Du das Dasein so wie wir!
Freitag hatte Papa BK-Tag. Nichts klappte, doch war es sehr
schön, und alle Zeitungen berichteten davon. Abends kam er wie ein rohes Ei
nach Hause, setzte sich mit einem Seufzer der Erleichterung aufs Bett und – krachte
mitsamt diesem Möbel in die Tiefen. Kriegsware!
Gestern Nachmittag legte die ganze Familie sich schlafen. Am
ausgiebigsten besorgte das die Hanna, die doch den Baum schmücken sollte. Als
sie damit beginnen wollte, merkte sie, dass unser Hausfreund ihn schief in den
Ständer produziert hatte. Den Papa regte das auf. Er legte sich auf den Boden,
ächzte und stöhnte, drehte das Stück fünfmal um sich selber, es wurde immer
schiefer, das Gestöhne immer lauter, die Finger immer dreckiger, die Menge der Hilfestellungsleistenden
Menschen immer größer. Dann endlich stand der Baum fast gerade. Und so ließ man
ihn. Ich glaube, schiefer ist er vorher auch nicht gewesen. Aber das sage ich
natürlich nicht laut. Hanna schmückte ihn nur mit goldenen Sternen und roten
Kerzen. Er macht sich ganz phantastisch und apart. Und das Schmücken nahm lange
nicht so viel Zeit in Anspruch.
Gerade erscheinen die Geschwister von oben. Aus ist es mit
der Ruhe!
Die Bescherung gestern war mal wieder klassisch wie immer. Großes
Geschrei beim Paketeauspacken. Papa bekam von der
Mama einen Feldstecher für die Ferien, genannt „Krim-Stecher". Mit diesem
orientierte er sich von seinem Sessel aus über die Bezeichnung der
Weihnachtsmusik, die wir fabrizierten, mehr oder weniger gelungen, oder über
den Titel von dem Buch, das „Röschen" las.
Außerdem begeisterte er sich an einem Regencape, das man auf
die Größe einer Faust zusammenrollen kann. Er legte sich längs auf den Teppich
und rollte es im Schweiße seines Angesichts wieder auf ein Minimum zusammen,
wobei sich immer noch Luft in den verschwiegenen Ecken festsetzte. Nun wird es
im Auto deponiert und wird ihn vor einem Aufweichen bei einem plötzlich
eintretenden Guss bewahren. Welches Glück!
Gestern Nachmittag erschien ein Knilch schwer beladen. Er
schleppte ein riesiges Vogelhaus, gestiftet von der Miss. Unter allgemeiner
Freude stellten wir es im Garten auf, damit die Vögel, die uns im Sommer alle
Früchte wegfressen, auch gut durch den Winter kommen. Immerhin legte Miss eine originelle
Karte bei, in der es hieß, dass wir, wenn wir unseren Spaß an dem Ding gehabt
hätten, es ruhig gleich zu Brennholzverarbeiten lassen könnten. Wir werden uns
hüten! Es ist die Zierde unseres Gartens und Objekt für unseren Krim-Stecher.
Inzwischen ist die Hanna dazu übergegangen, mit der Ingrid
Klavier- und Flötenmusik vom Stapel zu lassen, während Mama mit Söhni ein Ludwig-Richter-Buch besieht.
Heute Morgen war mal wieder ein schöner Gottesdienst. Sehr
voll, viele Menschen standen und die Luft auch, zumal ein plötzlicher Guss alle
Leute ohne Schirm überrascht hatte. Nach dem Gottesdienst mit einer Predigt
über „Denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge" blieb etwa die
Hälfte der Gemeinde zurück zum Singen. Man schmetterte mit Begeisterung die möglichsten
und unmöglichsten Lieder.
Übrigens müssen wir dem Klaus noch ganz herzlich danken für
seine Bildersendung. Es sind wirklich nette Fabrikate. Kein Gast wird
verschont, er muss zu diesen Bildern Stellung nehmen, und wir freuen uns riesig
daran.
Der Weihnachtsstern ist der Schmuck des Wintergartens. Er
erfreut uns sehr…
Herzlichst
Deine Lisa
Als langjähriger
Schriftleiter des Evangelischen Monatsblattes" Licht und Leben" hat
Pfarrer Wilhelm Busch einen regen Briefwechsel mit seinen Lesern geführt. Hier
ein Beispiel.
November 1965
Lieber Herr Pfarrer
Busch!
Auf der Suche nach der Wahrheit und durch Not bin ich unter vielen
Schwierigkeiten zum Glauben an den Heiland gekommen. Dies war vor ca. 5-6 Jahren.
Ich bin jetzt 48 Jahre alt.
Ich habe noch viel Anfechtung, besonders wegen der Lehre von
der Allversöhnung, an die in den beiden Gemeinschaften, die ich besuche,
geglaubt wird.
Mein Lesestoff sind fast durchweg die Bibel und Schriften darüber.
Es ist meine Gewohnheit, morgens zu beten, Gottes Wort zu lesen und darin zu
forschen, auch höre ich die Wortverkündigung im Radio. Aber nach vielen Jahren
frage ich mich heute: Bin ich wirklich erweckt, bekehrt und wiedergeboren? Wo
steckt denn die geheime oder offene Sünde, dass ich nichtvöllig Frieden und
Freude habe?
Es ist mir ernst. Als ich immer wieder in eine Sünde fiel,
habe ich mich meinem Heiland mit meinem Blut zum völligen Gehorsam
verschrieben. Dies Blatt halte ich in Gedanken dem Teufel entgegen, wenn er
mich zur Sünde verleiten will. Und er hat mich dann nicht überwältigen dürfen.
Ich habe sicherlich schon manches gehört und gelesen über
die Wiedergeburt. Aber dennoch frage ich mich: Was ist ein wirklicher Christ
nach dem Willen Gottes? Was ist die wahre Wiedergeburt und keine eingebildete?
Ein Bibelwort aus dem Johannes-Brief sagt: „Wer aus Gott
geboren ist, der tut nicht Sünde, und er kann nicht sündigen."
Könnten Sie mir ein Buch zu nachfolgenden Themen empfehlen?
Erweckung, Bekehrung, Wiedergeburt, eingebildete Wiedergeburt, fehlende
Wiedergeburt. Was ist wahres göttliches Leben?
Der Heiland wolle uns segnen!
Mit freundlichem Gruß
Auf diesen Brief hat
der Schriftleiter geantwortet
Lieber Bruder,
herzlich danke ich Ihnen für Ihren Brief. Ich will
versuchen, ihn nach meiner Erkenntnis zu beantworten. Dabei weiß ich wohl, dass
alles, was wir in solchen Dingen tun, in viel Schwachheit geschieht. Aber ich
möchte doch auch wiederum sagen: „Ich habe auch den Heiligen Geist und kann
geistliche Dinge geistlich richten" (1. Korinther 2, 13).
Zunächst: Die Allversöhnung kann ich nicht glauben. Wenn sie
klar in der Bibel bezeugt wäre, wären sich alle Kinder Gottes in dieser Sache
einig. Sie können es aber nicht werden. So muss man die Sache lassen und sich
dem zuwenden, was klar ist. Aber es ist eine Erfahrung: Wo die Allversöhnung
betont verkündigt wird, stirbt das geistliche Leben ab. Davon könnte ich viele
Beispiele bringen. Aber ich habe mir vorgenommen, über die Allversöhnung nicht
mehr zu diskutieren. Da sei jeder seiner Meinung gewiss.
Doch nun zu Ihnen: Ich will Ihnen sagen, wo es bei Ihnen
nach meiner Meinung sehr fehlt. Sie haben Ihr Herz zu wenig auf die Erlösung
und Versöhnung und Rechtfertigung des Sünders auf Golgatha gestellt Zum
Beispiel würde ich dem Teufel in meinen Anfechtungen nicht meine Verschreibung
an den Heiland entgegenhalten. Ich schaue auf den Heiland am Kreuz und sage
dann dem Teufel: „Ich bin erkauft! Es ist alles bezahlt! Du hast nichts mehr zu
fordern!" Dann sagt der Teufel: „Aber gestern hast du wieder
gesündigt!" Antwort: „Ich bin erkauft mit dem Blut Jesu! Darum gehöre ich
Ihm! Die Sache meiner Sünde mache ich mit Ihm aus. Auch dafür hat Er schon
bezahlt!"
Ein Gotteskind hat immer zwei Strömungen in der Seele. Einmal: Es ist noch nicht erreicht, was das Ziel ist (Im Himmel wird's sein!). 1. Johannes 3, 2: „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, dass wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er ist." Und weil das noch nicht erreicht ist, ist die Seele betrübt und seufzt. Zum andern aber ist die Seele voll Freude, weil sie – ohne Verdienst, aus Gnaden – angenommen, gereinigt und erkauft ist. Das wird so schön gesagt in einem Vers von Woltersdorf:
„Wenn ich mich selbst betrachte,
So wird mir angst und weh,
Wenn ich auf Jesum achte,
So steig ich in die Höh',
Dann freut sich mein erlöster
Geist,
Der durch das Blut des Lammes
Gerecht und selig heißt."
Ich habe kürzlich in einer Predigt gesagt: Alle Religionen
sagen, was der Mensch tun soll. So
fragen die Leute an Pfingsten: „Was sollen wir tun?" Und der Kerkermeister in Philippi fragt: „Was soll ich tun?"
Antwort: Gar nichts! Der Heiland hat alles getan! Glaube das
endlich ganz fest! Es heißt in einem Lied: „Auf dem Lamm ruht meine Seele …" Es heißt nicht: Meine Seele „zappelt"
oder „quält sich". „Auf dem Lamm ruht
meine Seele…"
Der gesegnete Pietist im Wuppertal, Johann Peter Diedrichs,
hat gesagt: „Man darf den Grund seines Friedens nicht in sich und seinen Empfindungen
suchen, sondern außer sich in Christo."
Und der Erweckungsprediger Gottfried Daniel Krummacher sagte: „Im Anfang des Christenstandes pflegt man
noch viel selbst zu können. Man fasst edelmütige Vorsätze und gedenkt, sie treu
auszuführen, was auch ziemlich gelingt. Der Weg aber läuft umgekehrt: Man wird
nicht heiliger, sondern immer sündiger in seinen eigenen Augen. So wächst das
Recht an dem Seligmacher in dem Maße, als wir unserer Sündenschaft
gewahr werden."
Gewiss steht im 1. Johannes-Brief: „Wer aus Gott geboren
ist, der tut nicht Sünde." Ich glaube, dass wir das so verstehen müssen:
Wer aus Gott geboren ist, steht nicht mehr unter der Herrschaft der Sünde und
lebt nicht mehr bewusst in der Sünde.
Wenn Sie mir nun erwidern: „Das führt zur toten Gleichgültigkeit
in Heiligungsfragen!", dann antworte ich: Wenn Sie endlich sich
ausschließlich stützen auf das Verdienst Jesu, dann haben Sie den Heiligen
Geist. Und der erlaubt nicht Faulheit in der Heiligung. Der eifert in uns und
will das Bild Jesu in uns gestalten.
Es bleibt also bis zum Himmel so: „Wenn ich mich selbst
betrachte, / So wird mir angst und weh, / Wenn ich auf Jesum achte, / So steig
ich in die Höh'…"
All unser Ringen, Seufzen und Streben nach Heiligung darf
geschehen auf der Grundlage: „Ich bin mit Blut erkauft und habe es
angenommen." Man ringt als Kind Gottes um Heiligung und nicht wie ein Draußenstehender, der sich mit der Heiligung erst den
Eingang erzwingen will!
Sie fragen nach einem guten Buch in diesen Dingen. Ich
möchte Ihnen den Predigtband des badischen Erweckungspredigers D. Aloys Henhöfer „Der Heilsweg" empfehlen. Dieses Buch ist
erschienen im Verlag der Schriftenmission des Volksmissionarischen Amtes der
badischen Landeskirche.
Herzlichst
Ihr W. Busch
Gustav W. Heinemann
war lange Jahre Predigthörer im Weigle-Haus bei den Gottesdiensten von Wilhelm
Busch. Er sandte ihm eines seiner Bücher mit den folgenden Zeilen
Neujahr 19651/66
Verehrter lieber
Pastor Busch!
In Dankbarkeit für Ihren Zeugendienst sei Ihnen dieses Wort
aus den Händeln der Weit gewidmet, das ohne das Hören auf das Wort nicht möglich wäre.
Ihr Gustav W. Heinemann
Auf der Heimreise von
einem evangelistischen Dienst in der DDR wurde Pastor Wilhelm Busch am 20. Juni
1966 von Gott heimgeholt. Die Nachricht davon erfüllte viele mit Trauer und
Dank. Das kommt auch nachdrücklich zum Ausdruck in den folgenden
Brief-Auszügen.
Hilchenbach, den 8. Juli 1966
Sehr verehrte, liebe
Frau Pastor!
Ihr lieber Gatte ist nicht mehr. Wie diese Nachricht mich
selbst und alle die getroffen und bewegt hat, die ihn hier in der Gemeinde
kannten!
Um Sie wird es jetzt sehr, sehr einsam sein. Ist diese Lücke
ja – menschlich gesehen – in Haus, Jugendarbeit, Evangelisation, ja im ganzen
Lande nicht zu schließen. Und doch – der Herr hat gehandelt, und da können wir
alle einfach nur eingehen in die große Stille vor dem Herrn, unsere Hand auf
den Mund legen und schweigen, wie es Hiob tat.
Sie selbst aber und die Ihrigen dürfen, so oft auch die
Trauer durch Haus und Herz gehen will, erst dreimal danken und anbeten ob
alledem, was sein Gott aus seiner Kraft und allem Tun gemacht hat. Seine Treue
hat ihn zu einem weithin brennenden und scheinenden Licht gemacht, unter dem
die Gemeinde Jesu wahrhaft froh geworden ist.
Ich habe es nicht vergessen, wie er einst, als der Ruf in
seine Arbeit ihn erreichte, mich in Siegen auf dem Bahnsteig traf, im Ruck, als
mein Zug schon abfuhr, aufsprang und mich in fühlbarem Bangen vor dem „Ja"
fragte, ob ich nicht in den Dienst eintreten wolle. Ganz knapp, er wollte nur
bis zur nächsten Station Weidenau mitfahren, sagte
ich ihm mein klares „Nein", und schon sprang er aus dem Abteil, noch auf
dem Trittbrett mit mir ringend. Und er sprang in ein gewaltiges Werk und in die
Fülle des göttlichen Segens.
Hier war Legitimation von oben. Klarer, göttlicher Ruf und
die hohe Hand, die ihn führte. Diese Gewissheit darf ausreichen, Sie zu trösten
und zu warten auf die jubelnde Fortsetzung in der Ewigkeit.
Ihr für Sie betender, Mittragender
H. Müller
Pastor Dr. Müller, Hilchenbach,
ein begnadeter Evangelist aus dem Siegerland, auf Kreisfesten und
Glaubenskonferenzen als Redner sehr begehrt.
Weidenau an der Sieg, den 22. Juni 1966
Sehr verehrte, liebe
Frau Pastor Busch!
Wenn wir keinen Heiland hätten, der uns teuer erkauft hat
und uns liebt, keinen Vater im Himmel, der „der Vater der Barmherzigkeit und
Gott allen Trostes ist", dessen Wege und Tun vollkommen sind und von dem
der Sohn sagt „Der Vater hat euch lieb!" – dann wären wir arme
hoffnungslose Geschöpfe.
Aber wir wissen es, wir sind reich gemacht in Ihm. Mitbürger
der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Fähig gemacht zum Erbteil der Heiligen im
Licht. Im Voraus bestimmt, dem Sohn gleichgestaltet
zu sein. Erben Gottes und Miterben Christi!
Das stand vor mir, im Herrn Jesus geliebte Schwester Busch,
als mich der Schmerz über den so plötzlichen Heimgang Ihres lieben und so teuren,
unvergesslichen Mannes, unseres soweithin im
Siegerland geliebten Bruders packen wollte. Ich sah den Herrn, der Seinen
Knecht in die Freude führte. Den König, der den siegreichen, Narben des Kampfes
tragenden Streiter in den Frieden Gottes, in die Ruhe des Volkes Gottes führte.
Den Vater, der die, die dem Sohne dienen und gedient haben, ehren wird.
Dann las ich noch einmal die Losung von Dienstag und abends
den Kalenderzettel, Ruth 2, 12, da war ich im inneren Gleichgewicht. Ich habe
Ihren Schmerz und das Leid Ihrer Kinder dem Herrn hingelegt, dass Er
Glaubensdurchblick, Kraft und das stille Ruhen in Seinem Willen schenke.
Ihnen und Ihren Kinder herzliche Grüße
Ihr verbundener Jakob Schmitt
Rektor Jakob Schmitt, Weidenau, ein Siegerländer Original, der sich „in Jesu
Dienst gestellt" wusste und jahrzehntelang das Gemeinschaftsleben seiner
Heimat geprägt hat.
Bethel, den 22. Juni 1966
Sehr verehrte Frau
Pastor! Meine liebe Schwester!
Gestern Abend – ich kam von einer Tagung in Kassel – sagte
mir meine Tochter, dass Pastor Wilhelm Busch unterwegs in Lübeck heimgerufen
sei zum Sammelplatz aller Kinder Gottes, die auf ihren Herrn warten. Sie können
sich denken, welch ein tiefer Schmerz und was für eine große Freude durch mein
Herz jagten.
„Das ist vom Schönen doch das
Beste,
dass wir als königliche Gäste
zu Gottes ewigem Feste geladen
sind."
Nun schreibe ich Ihnen und Ihren Kindern aus einem
beharrlichen Gedenken vor dem Herrn für Sie alle. Kein Mensch kann Sie trösten.
Aber Jesus tut es durch Sein Wort und durch Seinen Geist. Wir Kinder Gottes
dürfen uns gegenseitig auf diesen Herrn hinweisen, wenn wir durch die „Täler
des Weinens" stolpern. Ja, wir sollen dort sogar „Brunnen des Lebens"
füreinander machen und aus ihnen Wasser des Lebens schöpfen. „Ich glaube an die
Gemeinschaft der Heiligen im Tod und auch im Leben."
Gerade vor 14 Tagen nahm ich Abschied von Ihrem Mann: im
Saalbau auf dem Podium. Er hatte soeben die Nachmittagsversammlung geschlossen.
Ich hörte draußen in der Wandelhalle sein letztes „geistliches Wort", das
mich sehr erquickte und stärkte. Es ging mir körperlich so schlecht, dass ich
Angst hatte, die große Abendmahlsfeier nicht durchhalten zu können. Beim Flügel
auf dem Podium, mitten im flutenden Gedränge begegneten wir uns. Er hatte
seinen Dienst beendet, ich sollte den meinigen beginnen. Er war müde und
entschuldigte sich, dass er nicht am Abendmahl teilnehmen könne, sondern
schnell nach Hause müsse. Ich sah an seinem Gesicht, an seinen Augen, an seinen
unruhigen Händen, wie groß noch die Spannung in ihm war. So sagte ich ihm
schnell die letzten Worte auf dieser Erde: „Nimm den Segen dieser kostbaren
Tage von hier mit hinüber in die Zone, grüße die Brüder! Wir beten für deinen
Dienst." Und dann legte ich meine Hand auf seine unruhige, heiße Hand und
sagte: „Der Herr segne und behüte dich!"
Nun hat der gute Hirte diesen Abschiedssegen erfüllt: Anders
als wir dachten, aber viel, viel schöner. Die Arbeitssichel Ihres Mannes sollte
nicht an der dunklen Ecke einer Scheunenwand des Alters langsam verrosten. Sie
zerbrach auf dem Acker Gottes, wo Säen, Schneiden, Ernten zugleich geschieht,
mitten im Dienst und sank zwischen den Garben zu Boden.
Welch ein herrliches Sterben für diesen auserwählten
Arbeiter und Streiter Gottes! Der alte Hiller im Schwabenland sagt's im Lied: „Sie gehn dahin
und liegen – wie Streiter nach dem Kriegen."
Es wird am Freitag für mich eine sehr stille, besinnliche
Fahrt nach Essen werden.
1924 war ich als junger Vorsteher des Brüderhauses Nazareth
zum ersten Mal auf der Tersteegen-Konferenz. Aber
erst nach dem Zweiten Weltkrieg fanden Ihr Mann und ich so richtig zusammen,
als es darum ging, nach dem furchtbaren Zusammenbruch die verstörte, zerrissene
Gemeinde Jesu im Industriegebiet neu zu sammeln. "Ruf mich, so komme
ich!" So hieß der Gebetsruf, den wir hinauf zum Herrn richteten. Der Herr
rief! So fing's neu an. Wilhelm Busch wurde der Rufer
Gottes in der Wüste, und wir durften mit vielen anderen seine Helfer und Brüder
sein.
Wenn ich auf die zwanzig Jahre der Wunder Gottes zurückschaue,
klingt der Zinzendorf-Vers durch mein Herz:
"O ihr Gottesstreiter, wisst
ihr, was ihr sollt?
Ihr seid Wegbereiter, wo sein
Wagen rollt,
dass er desto grader möchte vor
sich gehn,
hört ihr seiner Räder rollendes Getön?"
Wir haben's in Essen unter der Botschaft Ihres Mannes immer
wieder gehört, dies Rollen. Darum: „Man singt mit Freuden vom Sieg in den
Zelten der Gerechten." „Die Rechte des Herrn behält den Sieg!" „Ich
werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen!"
Der Herr sei Ihnen am Freitag Sonne und Schild!
In großer, dankbarer Liebe
Ihr Paul Tegtmeyer
Korntal, den 24. Juni 1966
Liebe Emmi!
„In den Sielen sterben" – das, was sich mancher große
Mann gewünscht hat, unserem lieben Wilhelm ist es zuteilgeworden.
Er folgte auch darin seinem Vater nach, der von einer Evangelisation in
Metzingen todkrank heimkam, nach ca. acht Tagen abgerufen wurde… nur dass der
Vater den Abschied und die tentatio noch ganz
durchkosten musste, während das Wilhelm scheint's erspart blieb. Aber von
beiden gilt: Es ging aus einem reichen Leben in ein noch reicheres.
„Als die Hinwegeilenden" – das schien zu seinem
Lebensstil zu gehören. Von dem Grab der Mutter in Frankfurt weg eilte er, um
seine Evangelisation in einer norddeutschen Stadt am Abend fortzusetzen. – Bei
der Kirchweihmontagsstunde hat er in Hüben 1965 Tante Elise herzlich begrüßt,
die sich sehr über sein Kommen freute, hielt dann seine Ansprache in der Reihe
der anderen Brüder, wartete aber den Schluss nicht ab, sondern verschwand! – Das
war uns schwerblütigeren Leuten manchmal verwunderlich, aber er konnte wohl nur
so das leisten, was er tatsächlich leistete. – Nun ist er plötzlich von uns
gegangen. Auch als ein Hinwegeilender.
Wir schauen ihm nach und empfinden: Viel, viel haben wir hergegeben.
Zwar von dem Hauptzweig seiner Lebensarbeit, vom Weigle-Haus, hatte er sich
schon losgemacht. Und es ist wohl gut so. Aber die unermüdliche
Evangelisationsarbeit! Ich sehe ihn vor mir in den banal wirkenden Zelten einer
Brauerei in Weissach, in Magstadt und zuletzt im Kursaal Cannstatt. Überall
strömte es geradezu. Dabei sagte er nichts anderes als alle gläubigen Zeugen.
Aber es klang alles so erlebt, so neu, so aus dem Eigensten heraus, dass das
Wort einfach elementar wirkte.
Und einen Konfessor, einen
Bekenner, haben wir verloren. Die Monate der Gefangenschaft, die ihn seine absolut
klare Stellung im Dritten Reich kostete, waren eine Qual gerade für ihn, der
die Berührung mit der Natur, die Luft und Freiheit einfach brauchte. Dass ihn
da Gott vor Verbitterung bewahrte, dass er durch Fensterluken doch Zeuge sein
durfte, ist doch etwas ganz Großes. – Und jetzt stand er wieder im Kampf um das
reine Bekenntnis, um die volle Gültigkeit des Wortes und damit im Ringen mit
der neuen Theologie. Sein Zeugnis war auch da ganz klar, aber nicht
oberflächlich. Im Hintergrund stand eine tiefe Trauer, dass das in der
deutschen Christenheit möglich ist nach all dem, was Gott an uns getan und uns hindurchgetragen hat.
Wir grüßen Euch und Dich, liebe Emmi, besonders mit der
Bitte, dass Gott Euch das unbeirrbare Wissen erhalte: „Werden Sohn Gottes hat,
der hat ,wirklich' das Leben!" Er bleibt, wenn
alles andere wankt und fällt.
Euer
Gottlob Lang
Pfarrer Gottlob Lang,
ein echter Schwabe, pflegte nicht nur verwandtschaftliche Beziehungen zu
Wilhelm Busch, sondern war ihm auch geistlich sehr verbunden.
Wuppertal-Barmen, den
22. Juni 1966
Sehr verehrte, liebe
Frau Busch!
Nun hat Gott Ihren Mann heimgerufen!
Die Batakchristen sagen im
Unterschied zu den Nichtchristen, wenn jemand heimgegangen ist: Nunga djumolo ibana,
d. h.: Er ist vorausgegangen. Mohammedaner und Heiden werden sagen: Er ist
gestorben. Christen aber sagen: Er ist vorausgegangen. Welch ein göttliches
Bekenntnis der Hoffnung, die wir Christen haben dürfen!
Auch Ihr lieber Mann ist „vorausgegangen"; mit anderen
Worten, wir hoffen auf die Zeit, dahin wir uns alle ausstrecken.
Unser Herr sei in diesen Tagen des Abschiednehmens von Ihrem
lieben Mann Ihnen besonders nahe. Er lasse es Sie fühlen und spüren, dass Er
steht zu all den Verheißungen, die Er gerade Witwen und Waisen in so großer
Zahl in der Heiligen Schrift gegeben hat.
Viele werden Sie in diesen Tage in besonderer Weise umgeben
mit ihrer Fürbitte und den Herrn bitten, dass Er selber Öl und Wein gießen möge
in die Wunden, die Er geschlagen hat.
Zu denen, die Ihrer vor unseres
Herrn Thron gedenken, gehöre auch ich.
In auf richtiger Teilnahme
Ihr H. F. de Kleine
Missionsinspektor de
Kleine, der auf vielen Tersteegensruh-Konferenzen,
die Wilhelm Busch leitete, die Herzen der Teilnehmer bei seinen
Missions-Berichten mitriss zu warmer Teilnahme und fröhlichem Opfern.
Oberkirchenrat Werner
de Boor war ein begnadeter Schriftausleger, dessen
theologische Kommentare sehr hilfreich sind zum Bibelstudium, ein Evangelist,
der besonders in der DDR die Gemeinden einlud, und ein gesegneter Seelsorger,
der auch der Witwe Busch durch seinen Zuspruch entscheidend weiterhalf.
Schwerin, den 19. August 1966
Liebe Schwester Busch!
Nun wird es stiller geworden sein, stiller und wohl auch
schwerer eben durch die größere Stille und durch das Erfassen der Endgültigkeit
der irdischen Trennung. Da darf ich doch noch einmal schreiben.
Vielleicht ist es für Sie doch immer wieder einmal ein
quälender Gedanke, dass Sie nach einem solchen Leben der Gemeinsamkeit nicht
beim Sterben dabei sein durften. Aber es war ja gar kein „Sterben", bei
dem die Hand des andern zu halten und noch ein Wort zu sagen war. Jesus hat es
so wunderbar gemacht, dass gerade hier eigentlich kein Fragen bleibt.
Eine Hörerin, die extra nach Saßnitz kam, mit Papier und
Bleistift zum Nachschreiben, hat den Bleistift nicht benutzen können, weil sie
den Blick nicht von dem Angesicht des Boten wenden konnte, das von Freude über
diese Botschaft strahlte. Von solchem' feuchtenden Angesicht her, ohne Verfall
durch ein Krankenlager zu seines Herren Freude eingehen dürfen, was ist das
doch!
Und ich denke an Wilhelms letztes Buch. Das waren gerade
nicht „Plaudereien" eines alt Gewordenen, der eben nur noch ein wenig zu
plaudern vermag. Das war ein Werk von solcher Frische und frohen Reife, dass es
in erstaunlicher Weise „Jugend" und „Alter" verbindet. Dass Wilhelm
uns das noch schenken konnte! Und dass dahinter nun kein Absinken kam, kein
schmerzliches „Es geht nicht mehr!".
Welch ein Leuchten, welch ein Danken ist in unsern Herzen,
wenn wir den lieben Namen „Wilhelm Busch" aussprechen!
Aber immer sind Sie dann mit dabei. Vielleicht ist das bei
mir besonders so, weil ich aus dem eigenen Leben und der eigenen Ehe weiß, was
unsre Frau für uns und unsern ganzen Dienst bedeutet.
Freilich, dann ist es bei Ihnen so, wie es Paulus von einem anderen
Grunde her von sich selber sagt: „… dass ich große Traurigkeit und Schmerzen
ohne Unterlass in meinem Herzen habe." Wie gut, dass es so sein darf und
nicht „unchristlich" ist! Der Schmerz hat als die andere Seite tiefer
Freude sein volles Recht, das niemand ihm nehmen soll. Aber das hindert nicht
das „Freuet euch in dem Herrn allewege! Noch einmal sage ich: Freuet
euch", das der gleiche Paulus schrieb. Er fasste es selber zusammen: „Als
die Traurigen, aber allezeit fröhlich".
So denken wir an Sie und erbitten es für Sie, dass dieser
Reichtum an Freude und Schmerz Sie in Ihren Aufgaben sehr segnet und Sie
zubereitet für das, was an Herrlichkeit vor Ihnen liegt.
In dankbarer Verbundenheit
Ihr Werner de Boor
Schwerin, den 1. Oktober 1966
Herzlich verehrte und
liebe Schwester Busch!
Man hat den 126. Psalm ein „Halleluja unter Tränen"
genannt. So sieht nun auch Ihr Leben aus.
Wenn Sie immer und immer wieder Ihres Mannes reiches,
wirksames Leben vor Augen haben, dann geht es auch immer neu durch Ihr Herz:
„Halleluja! Danke, danke!" Und wenn Sie dann sehen, wie Ihr eigenes Leben
damit verknüpft war, wie Sie teilhatten an dem ganzen Reichtum und zugleich
selber diesen Mann reich machen durften als seine Frau und Gefährtin und
Beterin, dann klingt es aufs neue in Ihrem Herzen: „Danke, danke!
Halleluja!"
Aber dabei tropfen die Tränen, weil dies alles unersetzbar vorbei
ist und die Größe des Vermissens und Entbehrens der ganzen Fülle des einstigen
Besitzes entspricht. Doch dann spricht Gott mit Seinem Kind von dem Kommenden,
Bleibenden, Vollkommenen.
Und es ist so schön, dass dabei im Wort der Schrift die
menschlichen Verbundenheiten nicht zu kurz kommen. Paulus nennt 1. Thessalonicher
2, 19-20 die Thessalonicher seine Hoffnung und Freude, seinen Ruhmeskranz und
seine Ehre vor Jesus bei Seiner Parusie; und
umgekehrt war Paulus gewiss die Freude und der Ruhm der Thessalonicher.
Wird es dann nicht so sein, dass auch zwei Menschen, die so
miteinander gelebt, geglaubt, gelitten haben, wie Sie beide es taten, in der
Herrlichkeit jubelnd füreinander danken und einander dankend rühmen vor dem
Angesicht Jesu? Wenn „das Mädchen, das Wilhelm Busch noch heute liebt",
daran denkt, dann werden die Tränen wieder hell von dem stillen Halleluja des
Herzens im Blick auf jenen Tag.
Wir gedenken Ihrer und freuen uns, dass wir mit Ihnen und
Ihrem so herzlich verehrten Mann in Jesu zusammengehören dürfen!
Ihr Werner de Boor
Liebe Schwester Busch!
… Wir sind nicht noch einmal zu Ihnen gekommen. In diesem
Jahr mussten wir die Reise erheblich einschränken und viele Besuche lassen, die
uns sehr am Herzen lagen. Aber nach einer Krankheitszeit im Winter merke ich
das Alter. Ich bin aber dankbar, dass ich wieder an der Auslegungsarbeit für
die „Studienbibel" sitzen kann. Es sind die Johannesbriefe, die mich
intensiv beschäftigen.
Wie mag es Ihnen gehen? Der Weg wird kürzer und mühsamer.
Aber die großen Taten Gottes werden uns nur immer herrlicher. Ich habe es in
den schlaflosen Nächten im Krankenhaus immer wieder in der einfachen
Katechismuswahrheit vor mich hingestellt: „… erworben, gewonnen von allen
Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels… mit seinem heiligen, teueren
Blut und seinem unschuldigen Leiden und Sterben, auf dass ich sein eigen sei…!"
Es war mir so wunderbar, dass das „mein" Bekenntnis sein konnte und dass
ich mit ihm doch in der großen Schar aus allen Zeiten und allen Völkern stand,
die es mit mir in Lob und Dank bekannten.
Meine Frau und ich, wir denken mit dankbarer Freude an die
guten Stunden bei Ihnen und sind im Geschenk der Verbundenheit mit Ihnen
Ihre Werner und Toni de Boor
Ihr Mann war jahrelang
Pfarrer in Kanada. Sie war mit Leib und Seele Pfarrfrau und ist es geblieben
bis ins Altenheim.
Edmonton, den 23. März 1977
Meine geliebten
Schwestern und alle!
Ich hatte die große Freude, dass ich ein Einzelzimmer bekam.
Ich bin oben im 3. Stock, 27 Stufen hoch. Alle, die vor mir an der Reihe
gewesen waren, wollten nicht so hoch steigen. Es ist gerade, was ich wollte, so
friedlich und still hier oben. Auch hatte ich nie gehofft, dass ich noch mal so
gesund würde. Mein Herz ist angegriffen durch die lange, schwere Krankheit. So
bin ich etwas schnaufig und schwelle etwas an bis zum
Abend. Aber ich kann allein Trambahn fahren.
Gestern Mittag besuchte ich eine 85-jährige vom Heim hier im
Krankenhaus. Sie hatte eine Lunge heraus und Gallensteine. Aber sie können
nicht operieren, weil sie zu elend ist. Nun bekam sie obendrein noch
Gürtelrose. Sie küsste mich immer wieder, weil sie sich so freute, dass ich kam
und mit ihr betete.
Heute ging ich ins Universitätskrankenhaus, wo auch eine
Frau von hier lag und am Star operiert war. Auch sie war ganz überwältigt, dass
ich so weit kam.
Meine Kinder nahmen mich mit zur herrlichen Chormusik an der
Universität. Samstag holte mich Ruth. Es war arg schönes, gemütliches Holzfeuer
im offenen Kamin, köstliches Nachtessen. Gerade als sie mich im Auto heimfahren
wollten, kamen zwei Paare zu Besuch. Ein Paar, denke ich, waren Pfingstler, die anderen auch liebe, junge Sabbatisten. Sie waren in einer Versammlung zusammen
gewesen. Erst hatten wir so gemütlich Saft und Backwerk, dann brach die Disputation
los. Jeder holte seine Bibel und wusste seine Beweise, aber keiner überzeugte
den anderen. Ich dachte, wenn ich so glücklich, so selig sterbe wie mein Vater
und mein Mann, mehr will ich nicht – und sagte nichts.
Es war beinahe Mitternacht, da fuhr Marco mich heim. Mitten
auf der Hauptstraße stoppte das Auto. Kein Gas. Da es nach Mitternacht war, musste
er weit springen, weil alle Garagen zu waren. Ich wurde sehr kalt. Als ich ins
Haus kam und schon in meiner Stube war, kam die Nachtwache so lieb herauf:
„Willst du nicht warmen Tee?" Da saßen wir bis beinahe 2.00 Uhr. Sie
erzählte so interessant von Holland und freute sich, dass ich ihr die Nacht
verkürzen half.
Sonntagmorgen so herrlicher Gottesdienst hier von einem
Professor. „Ich bin kein Pastor, aber ein Christ."
Dann holt mich immer ein junger Mann ab in seinem eleganten
Auto zur Presbyterianerkirche. Unter dem liberalen Dr. White war die Kirche
jämmerlich leer geworden. Nun füllt sie sich langsam wieder unter der stillen,
frommen Art eines Jüngeren. Ich hörte jetzt, dass unsere Kollekte jeden Sonntag
etwas über 1000 Dollar einbringt. Der Schatzmeister sagte in der
Gemeindeversammlung, um alle Kosten zu bestreiten, Gehälter für Pastor, Küster,
Organist, Heizung, Reparaturen, brauchen wir über 3000 Dollar den Monat. Wir
haben auf der Liste 541 Glieder, aber die kommen ja gar nicht immer in die
Kirche.
Herzlichst
Eure Elisabeth
Edmonton, den 29. August 1978
Meine liebe Emmi!
In unserem Alter ist die eigene Kraft recht unzuverlässig.
Wenn ich morgens aufwache, dann denke ich aus, was ich alles tun will, und bis
ich gebadet und angezogen bin, ist mir schon wieder das Kräftle
vergangen. Aber die gute Tasse Kaffee beim Frühstück rüttelt mich wieder auf.
Gleich nach dem Frühstück war bisher ½ Stunde Andacht. Nun
haben sie die Andacht auf den Abend verlegt, was aber scheinbar nicht so passt.
Dann kommen immer zu mir zwei Frauen herauf (aus Polen), Deutsche. Ich lese die
Bibel mit ihnen und bete. Die eine Frau ist katholisch und betet immer
polnisch. Nun hörte ich endlich von der anderen, dass sie da immer zur Maria
bete.
Ich schreibe diesen Brief mit Unterbrechungen.
Dreimal die Woche spiele ich dann mit drei anderen Scrabble. Die eine, eine frühere Lehrerin, läuft immer
hinter mir her: „When do we
play?" Wenn wir dann spielen, sitzt sie so
gemütlich dabei in meinem Sessel und schläft ein. Wenn es ihre Reihe ist, ein
Wort zu setzen, muss man sie erst aufwecken. Ihr gegenüber sitzt eine, die kann
oft ihr Zimmer nicht finden, spielt aber noch gern, aber nur kleine Worte,
sieht nie ihre besonderen Vorteile. So ist es in der Hauptsache zwischen mir
und meinem Gegenüber, einer früheren Lehrerin. Ihr ist es sehr wichtig zu
gewinnen, mir ist es wichtig, mein Gehirn am Leben zu erhalten. Ich sehe bei
vielen hier, die geben alles auf, leben, essen,
schlafen. Aber im Übrigen sind sie schon tot.
Um 4.00 Uhr gehe ich gewöhnlich hinunter zu einer
94jährigen. Ihre Augen werden anscheinend blind am Star. Und dann lese ich ihr
aus der Zeitung das Wichtigste.
Dann bat mich die Leiterin, ich möge mich annehmen um eine
Schwermütige. Sie war eine Pfingstlerin.
Diese alten Leute, alles Damen, viele über 90, tun meistens
nichts von selber, und die Leiterin des Heimes ist mir so dankbar, wenn ich sie
von ihren Betten bringe, dass sie was tun. Jede einzelne hat ja irgendeinen
Krankheitsschaden, der sie sehr mit sich selbst beschäftigt. Sie fragen nichts
nach dem anderen, und niemand fragt nach ihnen. Da freuen sie sich, wenn sie
mir ihre Leiden erzählen können.
Herzlichst
Deine Elisabeth
Edmonton,
den 6. Juli 1979
Liebe Emmi!
Vielen tausend Dank für Deinen lieben Geburtstagsbrief…
Ich denke oft, was bieten wir unserer modernen Jugend in
Schulen, in Fernsehen, sogar in der modernen Kleidung. Es ist alles so
Geschlechter aufreizend, dass ich mich wundern muss, wenn die Kinder heil
durchkommen.
Dann denke ich an eine Frau in Hülben, die kam zu mir, als
ich krank lag. Da erzählte sie mir von ihrem Sohn, der viel trinkt. Ein wilder
Atheist. „Frau Pfarrer, sagen Sie mir, kann ein Sohn so vieler Gebete verloren
gehen?" „Nein", sage ich, „in der Bibel steht ganz deutlich immer
wieder: ,Bittet, so wird euch gegeben.' Wenn Ihr den
Vater ernstlich bittet, so wird Gott ihn gewiss retten. Kann sein, dass es erst
nach Eurem Tod ist. Aber es bleibt dabei: Bittet, so wird euch gegeben."
Liebe Emmi, deshalb müssen wir alten Großmütter noch immer
leben in all unserer Schwachheit. Auch wir haben die wichtigste Aufgabe – und
sie wird mit jedem Jahr größer und reicher: für unsere Familie zu beten.
Auf Wiedersehen in den himmlischen Palästen.
Herzlichst
Deine Elisabeth
Essen, den 26. April 1968
Meine Teuren!
Ist heute nicht Euer Hochzeitstag? Da möchte ich doch in
Dank und Fürbitte mitfeiern.
Gestern räumte ich mal wieder meinen Glasschrank auf mit all
den vielen köstlichen kleinen Sachen. Dabei fiel mir eine kleine
Hochzeitskutsche hin, die ich mal aus dem Erzgebirge als Heimatkunst bekam. Es
passierte nichts dabei, als dass das junge Ehepaar herausfiel,
und bei diesem Unglück zeigte es sich, dass beide durch den Sturz nicht
getrennt wurden, weil sie zusammengeklebt sind.
Ich hatte meinen Spaß an diesem symbolischen Erlebnis, und
mir fiel der Vers ein, den wir bei meiner Hochzeit gesungen haben:
„Käm
alles Wetter gleich auf uns zu schlan,
Wir sind gesinnt, beieinander zu stahn.
Krankheit, Verfolgung, Betrübnis
und Pein
Soll unsrer Liebe Verknotigung sein."
Also!
Innigst
Eure Mama
„Und ob ich schon
wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein
Stecken und Stab trösten mich."
Liebe Oma!
Ich kann Dir leider keinen tröstlicheren Bibelvers sagen als
den, den ich oben geschrieben habe. Aber ich bin sicher, dass Du selbst einen
viel besseren weißt.
Ich kann mir denken, was für ein dunkles Tal sich für Dich
öffnete, als Du hörtest, dass Du ins Krankenhaus musst. Jeder von uns weiß
genau, wie gern Du zu Hause bliebst. Du musst einfach immer daran denken, dass
Du wieder aus dem dunklen bzw. finsteren Tal herauskommst und zusätzlich noch
gesund und hoffentlich auch munter bist. Ich weiß, dass es kein schönes Gefühl
ist, im Krankenhaus zu liegen, und ich bewundere Dich, weil Du so tapfer bist.
Du musst wahnsinnige Schmerzen gehabt haben und haben, und kaum einer von uns
hat es gemerkt, weil Du tust, als sei nichts geschehen.
Ich kann nur sagen: Ich habe eine tolle Oma!
Gute Besserung! Tschüss!
Deine Antje
PS: Ich weiß. nicht,
ob es angebracht ist, dass die unerfahrene Enkeltochter der erfahrenen Oma
schreibt. Aber ich habe es einfach versucht, und ich weiß, dass ich Dir einfach
schreiben musste.
Prien, den 31. Dezember 1968
Liebe Tante Emmi!
Heute soll ich Dir mal was von meinem Alltagsleben erzählen.
Ich bin jetzt noch nicht ganz 1,5 Jahre alt, aber schon ein ganz großer
Schlingel. Auf Bildern sehe ich immer so brav und lieb aus, dass die Leute
stets von meiner Person begeistert sind. Aber Mutti ist aus der Erfahrung her
nicht mehr so ganz überzeugt davon. Sie hat schon gesagt, dass sie mal ein Buch
über mich schreiben wollte mit dem Titel: „Die Zähmung der
Widerspenstigen."
Das muss ich Dir nun aber doch näher erklären, damit Du
keinen allzu schlechten Eindruck von mir bekommst. Mutti erinnert sich noch
sehr genau an einen Satz, den ihr die Hebamme in der Klinik sagte, und zwar
schon an dem 3. Tag nach meiner Geburt: „Meine Zeit, was haben Sie für eine
energische Tochter, die wird sich im Leben aber mal kräftig durchsetzen." –
Tja, und nun fängt das schon an. Mutti will immer genau das, was ich nicht will…
Ich rede ja schon viel, aber leider kann Mutti das nicht
immer verstehen. Sie sagt dann schon mal, dass ich ihr mein Kinderlatein doch
übersetzen möchte, aber das kann ich leider auch noch nicht. So muss ich es mit
Gesten tun… Morgens um 11 Uhr werde ich müde. Da möchte ich am liebsten ins
Bett. Aber Mutti möchte mich vor dem Mittagessen nicht mehr ins Bett legen,
damit sie nach dem Mittagessen noch ein wenig Ruhe vor mir hat. Aber ich will!!
Und das gebe ich ihr deutlich zu verstehen. Wenn die Tür zum Kinderzimmer offen
steht, hole ich aus meinem Puppenwagen ein Kissen und lege mich darauf und
stecke den Daumen in den Mund. Wenn aber die Tür zu meinem Kinderzimmer
verschlossen ist, ziehe ich aus dem Kohlenkasten in der Küche eine Zeitung und
lege mich darauf. Das hat bisher immer noch gewirkt. Anschließend trug mich
Mutti in mein vielbegehrtes Bett.
Seit ein paar Wochen habe ich ein richtiges Kinderzimmer. In
einer Ecke steht mein Bett, und in der anderen Ecke hängt ein großes
Bücherregal. Da stehen zwar noch viele Bände von Vati und Mutti mit drin, aber
ich habe auch meine eigenen Spielfächer, die mit meinen Spielsachen vollgefüllt
sind. Damit kann ich mich jetzt schon stundenlang allein beschäftigen. Doch,
wenn ich zu still bin, ahnt Mutti nichts Gutes – und plötzlich geht dann die
Türe auf – und ich sehe dann mal wieder Muttis entgeistertes
Gesicht vor mir – und setze dementsprechend schon ein schuldbewusstes Gesicht
auf. Irgendetwas scheint mal wieder nicht zu stimmen. Es ist zu dumm, dass ich
Vatis und Muttis Sachen noch nicht von meinen unterscheiden kann. Aber in
diesem Fall war Mutti selbst schuld daran. Ja, da lagen über meinen
Spielfächern Muttis und Vatis Weihnachtsoratorium, Matthäus- und Johannespassion,
H-Moll-Messe und viele andere Sachen mehr, wohlgeordnet und gestapelt. Nun habe
ich die Bachwerke nicht nur herausgezogen und durcheinander gebracht, sondern,
was viel schlimmer ist – so meint Mutti jedenfalls –, meine „eigenen
Werke" daraus gemacht. Ich war von lauter zerfetztem Notenpapier umgeben
und eingehüllt.
Mutti ist überhaupt manchmal recht entsetzt, wie es in
meinem Kinderzimmer aussieht, alles durcheinander, wie auf einem Schlachtfeld.
Aber ich muss jetzt schon ganz schön allein aufräumen. Das tue ich nicht
besonders gern, aber Mutti hilft mir dann dabei und lässt nicht eher locker,
bis alles wieder an seinem Platz ist. Dafür räume ich lieber in der Küche auf.
Aber das hat Mutti mal wieder nicht so gern. Ich habe beobachtet, dass Mutti
bei Gelegenheit vieles im Mülleimer verschwinden lässt, und zwar alles das, was
so herumliegt. Warum soll ich das nicht auch können? Aber schrecklich ist das,
ich mache noch soviel verkehrt. Mutti zieht immer wieder die Topflappen, den
Gasanzünder oder Bestecke aus dem Mülleimer hervor. Dann stehe ich immer ganz
fassungslos dabei und kapiere nicht, warum das so ist. Ja, und wenn ich dann
mal eine alte Konservenbüchse oder ein altes Kaffeeglas aus dem Kruscht hervorziehen will, dann ist es auch wieder nicht
richtig. O, die Welt der Erwachsenen ist so schwer zu verstehen. Aber lasst
nur, eines Tages werde ich auch noch dahinter kommen.
Lass Dich von uns drei Prienern
recht herzlich grüßen.
Deine Gabriele
Wuppertal, den 15. Januar 1973
Meine lieben
Verwandten, Freunde und Schwestern!
Wie schnell ist wieder Epiphanias geworden, wieder ein Jahr
vorüber! Und doch, wie reich, wie gefüllt mit Licht von oben, trotz allem
Erdendunkel, dem Verlust geliebter Menschen und allem Wirrsal und Unfrieden
dieser Zeit. „Der Stern ging vor ihnen hin", heißt wieder die Losung im
neuen Jahr. Und er zeigt das Ziel!
Zuerst danke ich Ihnen allen, die Sie meiner gedacht und den
Tag so schön und liebevoll gestalteten. Wie oft hätte ich da in China sagen
müssen: m hom tong! = ich
bin's nichtwert! Und auch dieses Mal hatte ich das Gefühl, allen Dank und alle
Liebe weiterzugeben an die obere Adresse, von der ja alles kam. Und das tat ich
auch.
85 Jahre! Und der Stern leuchtet weiter! War es nicht so im
vergangenen Jahr? Wohl spürt man die abnehmende Kraft und mancherlei
Beschwerden. Aber das Licht von oben ist da. „Gott rüstet mich mit Kraft",
ist die Jahreslosung des D.F.M.G.B., und die
Verheißung für 1973: „Mein Geist soll unter euch bleiben…" Konnte man da
nicht fröhlich feiern?
Und so fing die Vorfreude schon am Vortage an, als Schwester
Lucie Olpp mit drei unserer Schwestern erschien, die
mir eine „Putzhilfe" in Gestalt einer aufdekorierten Saftflasche als „prima
Küchenfrau" zur Hilfe mitbrachten. Das war eine fröhliche Begrüßung, ein
lebendiger Austausch, bei dem es dann auch chinesische Leckereien, gerade aus
Hongkong gesandt, zum Probieren gab. – Auch Missionar Mohrmann kam als
verfrühter Gratulant, während Missionar Kempgen
leider fehlen musste.
Und dann gab es am 6. ein lebendiges Aus und Ein! Liebe
Gäste aus der Nachbarschaft am Morgen, Blumen, die den grauen Alltag zum
bunten, duftenden Frühling machten, Anrufe von nah und fern, Post aus aller
Welt, Grüße treuen Verbundenseins und dankbaren Erinnerns…
Am Nachmittag war es nur ein kleiner Kreis, liebe nächste
Verwandte und Freunde, der sich bei Kaffee und Kuchen zu gemeinsamem Loben und
Danken vereinigte. Wie bereichernd waren dann die Besuche unseres lieben
Pastors Dr. Weth und unseres treuen Pastors
Reinhardt! Wie konnte man da manch Wertvolles erfragen und erfahren über China,
Hongkong, Formosa, die Weltlage! – – Geht es nicht
immer mehr abwärts, in den Untergang, ins Chaos?? Ja und nein! Denn für uns, die
wir Gottes Reichspläne und Seine wunderbaren Verheißungen in naher Erfüllung zu
sehen meinen, gilt ja das Wort: „Hebet eure Häupter auf, weil sich eure
Erlösung naht!"
So war es dennoch – trotz der verlöschenden Kerzen – ein
frohes Epiphaniaslied, das uns ermutigte, dem kommenden König entgegenzugehen. –
So sangen wir noch das alte Wuppertaler Lied: „Stern, auf den ich schaue…"!
Und dann verabschiedeten wir uns, wie ich es auch jetzt tue,
mit dankbarem Herzen, weil wir wissen und darin verbunden bleiben:
„Weil denn weder Ziel noch Ende
sich in Gottes Liebe findt,
ei, so heb ich meine Hände
zu dir Vater, als dein Kind,
bitte, wollst mir Gnade geben,
dich aus aller meiner Macht
zu umfangen Tag und Nacht
hier in meinem ganzen Leben,
bis ich dich nach dieser Zeit
lob und lieb in Ewigkeit!"
Eure Marie
Bastian van Aalst
(genannt „Bas“) war jahrelang Hausmeister im Weigle-Haus in Essen – dem
Klubhaus für Jungen –, das von Pastor Busch geleitet wurde. Er lebte später in
Holland, als schwerkranker Mann.
Essen, im Juli 1947
Heiß brannte die Sonne über den kümmerlichen Resten des
Weigle-Hauses. Einige Bauarbeiter tun, als ob sie arbeiten. Viel saß nicht
dahinter. Es war ja eine schreckliche Zeit. Kein vernünftiges Material. Kaum
was zu essen. Und keine Moral. Aber es wurde gebaut, obwohl man das WH
abgeschrieben hatte.
Sollte aus diesem kümmerlichen Schutthaufen wieder ein
Jugendhaus werden? Ob es noch mal fertig wurde? Und wenn, dann brauchte man
einen Hausmeister. Ob man einen finden würde?
Es wurde einer gefunden. Sogar ein Holländer, ein
Maurerpolier, ein unbekehrter Reformierter. Und das war ich. Der
Bas. So ist mein abgekürzter Vorname. Man sprach später nur noch von
Familie Bas, obwohl ich van Aalst heiße. Aber schön war der Name Bas, und dabei
blieb es.
Jetzt bekomme ich als Maurer einen Pastor als Chef. Und was für einen. Habe nie gewusst, dass es so was gab.
Den Haag, im Juli 1966
Die Jahre mit P. B. als Chef waren die schönsten meines Lebens…
Wie schön und wie viel wurde im Weigle-Haus mit Pastor Busch
gesungen! O ja, ich weiß, dass viele Kirchenmusiker entsetzt waren über dies
Gesanggebrüll. Und doch – in den Ohren Gottes waren es ganz bestimmt „liebliche
Lieder".
Und nun glaubt mir sicher keiner, wenn ich behaupte, dass
Pastor Busch unheimlich schön singen konnte, zumal auch seine Freunde ihm
sagten: „Du singst nicht schön, aber laut!"
Ich werde versuchen, es deutlich zu machen, aber es wird
schwer sein. Vieles habe ich an Pastor Busch beobachtet, auch sein Singen. Und
da kann ich es nicht anders sagen als so: Nur ein Kind Gottes kann so schön
singen!
Ich habe noch nie ein Himmelfahrtsfest so erlebt wie im
Weigle-Haus. Dann stand er voller Anbetung vor seinem Herrn und sang:
„Siegesfürst und Ehrenkönig,
Höchstverklärte Majestät,
Alle Himmel sind zu wenig,
Du bist drüber hoch erhöht;
Sollt ich nicht zu Fuß dir fallen
Und mein Herz vor Freude wallen,
Wenn mein Glaubensaug betracht't
Deine Glorie, deine Macht?"
Ja, seitdem kann ich auch mit Freuden Himmelfahrt feiern.
Oder ich denke an einen Spaziergang in Idar-Oberstein. Es
war ein Tag im Mai, ein strahlender Morgen. Nach einer Wanderung durch
herrlichen Wald kamen wir in ein Tal, ein Tal so schön, wie ich es nie gesehen
hatte. Es war eine herrliche Blütenpracht. Und da war Pastor Busch nicht zu
halten. Und in den stillen Morgen hinein sang ein Kind Gottes Loblieder. Das
war kein Singen, das war Jauchzen, das war ein großer Jubel.
So habe ich vieles von Pastor Busch gelernt. Auch dies:
Unser Singen muss echt sein, sonst sollten wir besser schweigen.
Wie schön war es immer in der Advents- und Weihnachtszeit! Ich höre Pastor Busch noch betend singen:
„Komm, o mein Heiland Jesu Christ,
Meins Herzens Tür dir offen ist…"
Und über den Gemeindegesang hinaus hörte ich Pastor Buschs
Stimme: „Fröhlich soll mein Herze springen / Dieser Zeit, / Da vor Freud / Alle
Engel singen…
Lieber Pastor Busch! Ich danke Ihnen, Sie haben mich singen
gelehrt!
Aber einmal habe ich ihm gesagt: „Lieber Pastor Busch, wenn
Sie etwas von Ihrem Bas annehmen wollen, so ist es dies: Singen Sie nie die
Strophe, in der die Zeilen vorkommen: ,Im Himmel soll
es besser werden, / Wenn ich bei deinen Engeln bin.' Besser braucht
nicht!"
Und wenn ich jetzt an meinen heimgegangenen „Chef"
denke, dann muss ich doch mit Paul Gerhardt singen:
„Welch hohe Lust, welch heller Schein
Wird wohl in Christi Garten sein!
Wie muss es da wohl klingen,
Da so viel tausend Seraphim
Mit unverdrossnem Mund und Stimm
Ihr Halleluja singen!"
So möchte ich gern einmal mit Pastor Busch in der Ewigkeit
das Lob Jesu singen!
Den Haag, den 12. März 1973
Liebe Frau Pastor!
Sie haben bestimmt gedacht: Der Bas will nicht mehr. Er
bricht endgültig mit Essen. Aber so ist es nicht. Ich habe mich sehr gefreut
über die Grüße zu Weihnachten und zum Geburtstag. Ich war einfach nicht mehr
fähig, einen Brief zu schreiben, weil ich durch meine Krankheit total fertig
war.
Für eine Treppe wie bei Ihnen brauche ich 5 Minuten zum Raufgehen
und eine Viertelstunde zum Beikommen. Gesundheitlich bin ich ein armer Mann
geworden.
Wenn man monatelang Atemnot hat, dass die Menschen in der
Straßenbahn sofort aufstehen, wenn man einsteigt, dass man jeden Abend total abgemattet und unfähig, einen Handschlag zu tun, ins Bett
kriecht, dann wird man so mutlos, dass man an nichts mehr Interesse hat. Und
wenn man auch nicht mehr in die Kirche gehen kann, dann ist man so ziemlich am
Ende.
Nicht, dass ich nun den Glauben verloren habe, aber man ist
nicht mehr fröhlich, sowie ich es so gerne sein möchte. Ich hoffe so sehr, dass
Gott mich lehrt, fröhlich dies Kreuz zu tragen.
Ich hoffe so sehr, dass wenn das Wetter besser wird, es mit
dem Asthma was leichter wird.
Ich habe an meiner Frau eine große Hilfe. Einfach
fantastisch.
Darf ich es vorläufig hierbei lassen? In einem nächsten
Brief schreibe ich Ihnen, wie es hier auf allen Fronten knallt.
Herzliche Grüße, auch von meiner Frau
Ihr Bas
Den Haag, den 5. Februar 1975
Liebe Frau Pastor!
Hier bin ich dann. Wenn auch erst nach Monaten.
Man ist wie ein Autofahrer. Der weiß ja auch nicht, was ihn
hinter der Kurve erwartet.
Man meint, es geht ja wieder, und dann liegt man wieder im
Krankenhaus oder zuhause im Bett. Und durch die viele Medizin (20 Tabletten pro
Tag) wird man oft so beberich, dass ich öfters eine
Tasse Kaffee oder Tee über das Bettlaken schüttete und an Schreiben überhaupt
nicht zu denken war. Darum bin ich so froh, dass ich eine Maschine habe, womit
das Schreiben einigermaßen geht.
Als ich das letzte Mal aus dem Krankenhaus kam, ging es mir
so gut, dass wir es gewagt haben, nach Jochen in Bergisch Gladbach zu fahren
und dort über die Feiertage zu bleiben. Wir wurden mit einem herrlichen Wagen
geholt, und ab ging es. O, was war ich froh, dass ich mal was anderes sehen
durfte! Jochen hat ein schönes Haus mit allem Drum und Dran. Am 6. Dezember
waren wir dort, am 10. Dezember musste der Arzt geholt werden. Bis zum 28.
Dezember lag ich in Bergisch Gladbach im Bett.
Wenn ich keinen Heiland gehabt hätte, wäre dieses
Weihnachten das erbärmlichste gewesen, das ich jemals erlebt habe. Obwohl ich Radio
und Fernseher auf dem Zimmer hatte, habe ich kein schönes Weihnachtslied
gehört, von einer Predigt zu schweigen. O, was eine Armut!
Ach, wie froh war ich da, wie ich zuhause an Silvester eine
herrliche Sendung des Evangeliums-Rundfunks mitmachen durfte. Wie ich so oft
gesagt habe: Wir Kranke sind so dankbar, dass wir Radio und Fernsehen haben
dürfen.
Ja, und nun muss ich Ihnen zuerst herzlich danken für das
herrliche Büchlein, das Sie mir schickten („Gegenstände der Passion"). So
steht dann auch dieses Buch bei den vielen Wilhelm-Busch-Büchern. Ich nenne
diese Sammlung „Meine himmlische Imbissstube".
Das Asthma macht doch ziemlich zu schaffen. Aber ich kann
noch immer einer Arbeit nachgehen, und das ist was ganz Feines. Ich habe einen
prima Chef. Schade, dass es so ‘n gottloser Hund ist. Er kommt öfters schon mal
eine Tasse Kaffee holen. Er hat mich so gern, aber er will nichts von Gott und
Erlösung wissen.
Ich habe es fertig gebracht, für das Personal ein Blatt auf
die Beine zu bringen. Es hat 500 Leser. In diesem Blatt habe ich einer
Verkäuferin gratuliert zu ihrer Hochzeit mit einem Bibelwort aus Psalm 68. Da
kamen viele böse Briefe drauf. Die habe ich beantwortet. Ich habe geschrieben:
„Beste Kollegen, dieses Fräulein hat kirchlich geheiratet. Ich weiß nicht, ob
sie es tut. Aber sie hat eine Bibel mitgekriegt. Die Bibel hat sie gekriegt, um
darin zu lesen und nach der Bibel zu leben. Darum ein Bibelwort als
Gratulation." Hierauf kam keine Reaktion mehr. So versuche ich, doch noch
ein Segen zu sein für meine Kollegen.
Ja, nun dies noch. Ich habe sehr viele Mühe mit dem
Deutschen. Bitte, nehmen Sie es nicht übel, wenn ich mich mal unglücklich
ausdrücke. Im Geschäft schreibe ich jeden Tag sehr viele holländische Briefe,
und dann wird das Deutsch immer schlechter. Aber ich weiß, Sie nehmen es nicht
so genau, und Sie wissen, was ich schreibe, kommt aus einem Herzen, das in
voller Liebe Frau Busch zugetan ist.
Ich grüße auch im Namen von meiner Frau ganz herzlich. Und
ich möchte schließen mit dem Wort aus der Bibel: „Ich will mich freuen des
Herrn und fröhlich sein in Gott, meinem Heil" (Habakuk 3, 18).
Gerne
Ihr Bas
Den Haag, den 2. Juni 1976
Liebe Frau Pastor!
Vielen Dank für die herrliche Karte. Die kam gerade richtig.
Die 12. Woche ist angefangen, aber es bleibt so, wie wir im Kindergottesdienst
so oft sangen: „Jesus ist schöner, Jesus ist reiner, der unser traurig Herz
erfreut." Gott gibt mir schlechte Lungen, aber ein fröhliches Herz, womit
ich anderen Patienten Freude bereite.
Herzliche Grüße
Ihr Bas
Den Haag, den 12. September 1976
Liebe Frau Pastor!
Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie mich nicht vergessen.
Jetzt liege ich wieder im Roten-Kreuz-Krankenhaus. Meine Lungen sind dermaßen
schlecht, dass auch die Professoren in Rotterdam nichts machen können. Ich war
ein paar Tage zu Hause, aber die Atemnot war so groß, dass ich wieder ins
Krankenhaus musste.
Gott geht mit uns sehr schwere Wege. Ich schreibe „mit
uns", denn auch Sie kennen diesen Weg. Gott hat Ihnen das Allerliebste und
Kostbarste genommen, zwei Söhne und Ihren Mann.
Aber Gott gab Ihnen Kraft nach Kreuz und Kreuz nach Kraft.
Ach, was sind wir doch kleine Menschen! Wir können nur zu Gott schreien und
rufen um Erbarmung.
Wissen Sie, Frau Pastor, ich bin kein Massenmensch mehr. Ich
habe, da ich nun schon 5 Monate im Krankenhaus liege, erfahren, dass wir in
unserer nächsten Nähe wahnsinnig viel für Jesus tun können. Wie herrlich ist
es, wenn man Patienten mit ein paar Worten trösten und helfen darf! Aber wie
schrecklich ist es, wenn sie Gott und alle Menschen verfluchen! O, ich bin so
froh und dankbar, dass Gott mir bei aller Not und allem Elend noch soviel
Freude schenkt!
Ich hoffe, bald eine Parterrewohnung zu bekommen, denn ein
Treppensteigen ist kaum noch möglich. Ja, und wenn es so weitergeht, wird es
wohl ein Leben im Rollstuhl. Und wenn Gott nun den Rollstuhl fährt, darf ich
nicht meckern…
Herzliche Grüße für Sie und die ganze Schar.
Ihr Bas
Einmal schrieb Bas auf
einer Karte, die leider abhanden gekommen ist:
Gott gibt mir eine bittere Arznei zu trinken, aber weil sie
aus Seiner Apotheke kommt, muss sie ja gut für mich sein.
Den Haag, den 24. Mai 1977
Liebe Frau Pastor!
Es war mit mir so weit, dass ich schon von allem Abschied
genommen hatte. Auch meine Familie hätte nicht gedacht, dass ich mal in die
neue Wohnung ziehen würde. Ich war ja bis auf einige Wochen ein Jahr lang im
Krankenhaus. Und es ging immer schlechter. Und nun bin ich wieder zuhause. Ein
Wunder? Wirtschaftswunder gehen vorbei, Gotteswunder nicht. Nein, es ist
einfach eine Gebetserhörung. Es gibt keine Grenzen an Gottes Macht,
Professoren, Doktoren tun, was sie können, und das ist nicht wenig. Aber sie
sind ganz kleine Knaben, wenn der Herr ihre Arbeit nicht segnet. Leider glauben
das nur ganz wenige. Und das ist das, was ich im Krankenhaus immer wieder
sagte: „Freunde, unsere Doktoren können viel, und wir müssen ihnen dankbar
sein, dass sie sich so viel Mühe machen, aber das alt-modische Wort bleibt
wahr: ,An Gottes Segen ist alles gelegen'."
Natürlich bin ich noch sehr schwach und kann nichts tun,
aber ich bin zuhause und darf nun die schöne Parterrewohnung mit Garten
genießen, wo auch ein Birnen- und ein Apfelbaum stehen. Und nicht zu vergessen
die Vögel. Einfach herrlich. Sie sehen, ich habe für vieles zu danken. Auch mit
meiner Frau, die auch im Krankenhaus war, und der es wieder gut geht. Jeden
Morgen kommt eine Krankenschwester, die mir hilft, mich zu waschen und
anzuziehen. Ich hoffe, dass Gott mir noch wieder so viel Kraft gibt, dass ich
ein paar hundert Meter laufen kann.
In einem nächsten Brief werde ich Ihnen mal schreiben über
die Gespräche mit Kranken, auch mit denen, die sterben mussten. Ich habe
erfahren dürfen: Kinder Gottes haben einen Auftrag. Und den müssen sie
ausführen. Wenn sie es nicht tun, sind es Nullen.
Immer
Ihr Bas
Den Haag, den 26.
September 1977
Liebe Frau Pastor!
Ich war wieder so krank, dass ich nicht in der Lage war zu
schreiben. Aber nun geht es wieder einigermaßen.
Ich kann nun aber auch gar nichts mehr vornehmen. Immer
kommt es anders, als ich es mir gedacht habe. Und dann kommt es soweit, dass
man sagt: „Herr, zeige nun endlich, was du mit allem, was ich tragen muss,
bezweckst – und sonst lasse mich in Ruhe." Aber er gibt keine Antwort. Und
er kann das, denn er ist ja Gott und ist uns Menschen keine Verantwortung
schuldig. Ja, und dann bleibt nur eins übrig: stille zu werden und sich
festzuhalten an seinem Wort „Meine Gnade sei dir genügend" und wieder mit
einem betenden Herzen zu singen: „Und was er tut und lässt geschehn,
das nimmt ein gutes End."
Immer
Ihr Bas
Den Haag, den 23. November 1977
Liebe Frau Pastor!
Wie schön ist es, dass wir unsere Augen auf einen Berg
werfen dürfen. Denn ein Berg steht und bleibt stehen. Er ist nie kaputtzumachen.
Aber es wird einem nicht leicht gemacht, diesen Berg zu besteigen. Und doch ist
es so, dass wir schon angefangen sind mit Steigen.
Wilhelm Busch ist schon oben und braucht nicht mehr runter.
Nein, es ist keine Spinnerei, wenn ich schreibe, dass er oben auch arbeitet und
Andacht und Bibelstunde hält. Es gibt keine Faulenzerei im Himmel. Wenn Jesus
sagt: „Mein Vater und ich arbeiten", dann dürfen wir mitarbeiten. Nur mit
dem herrlichen Unterschied, dass wir keinen Unterschied mehr kennen. Keinen
Professor, Doktor oder Bundespräsidenten und – Gott sei Dank – keinen Präses
oder Superintendenten oder auch Hausmeister mehr, sondern alle nur noch Kinder
auf einer Treppe.
Aber wohl ist es so, wie es in der Bibel steht, dass der
eine höher steht als der andere. Aber mir ist es piepegal, ob ich auf der untersten
Stufe stehe oder ganz oben. Ich darf Jesus sehen!
O, mir laufen die Griebels über
die Grabbels, wenn ich dann mit dem Finger auf P. B.
zeigend sagen kann: „Herr Jesus, dasteht der Mann, der mich zu dir geführt
hat." Unser Herr weiß das jetzt schon, aber ich freue mich, wenn ich es
ihm so ins Gesicht sagen darf. Und keine Atemnot!! Was sind wir reich!
Ihr Bas
Den Haag, den 27. Dezember 1977
Liebe Frau Pastor!
Ich habe im letzten Brief geschrieben darüber, was uns im
Himmel erfreuen wird und dass wir auch dort unsere Lieder singen werden und
Bibelstunde haben. Wenn Gott uns hier auf der Er-de schon so vieles gibt, damit
unser Leben in keiner Beziehung langweilig wird, wie viel wird er uns dann
geben, wenn wir bei ihm sind!
Und weil sein Wort ewig ist und immer wieder neu, wird auch
die Gemeinschaft der Heiligen nie aufhören. Wie das gehen soll, weiß ich nicht,
aber schön wird es. Ja, es steht auch in der Bibel, dass wir, wenn wir bei
Jesus sind, nicht alle gleich sind. Ich glaube, dass, wenn ein Mensch, kurz
bevor er stirbt, zum Glauben gekommen ist, er im Himmel weiter in der Heilstat
gebildet wird.
Es ist immer wieder schade, dass ich die deutsche Sprache so
schlecht beherrsche, holländisch könnte ich mich besser ausdrücken.
Ich habe dieses Jahr keine Weihnachtswünsche verschickt,
denn Kinder Gottes feiern immer gute Weihnacht, weil sie es tun bei einer
Krippe, worin ein Heiland liegt.
Ihr Bas
Den Haag, den 3. Mai 1978
Liebe Frau Pastor!
Wenn man so über alles nachdenkt, kann man nur sagen: Wie
schön, dass Gott jeden Menschen so geschaffen hat, dass es nie langweilig wird,
miteinander zu leben! Und so ist es ja auch in der Natur. Nicht auszudenken,
wenn es nur Nelken gäbe, wenn es nur Spatzen gäbe, wenn es nur Hunde gäbe, wenn
es nur Tannenbäume gäbe. So kann man weitermachen. Aber das Allergrößte ist, dass über allen ein Herr steht, der die Haare auf meinem
Kopf zählt und der sogar bestimmt, wann ein Spatz sterben muss.
Und was nicht zu begreifen ist: dass er Menschen den Auftrag
gibt, dies alles zu verwalten. Denn diese Menschen machen ja alles kaputt, wir
sehen es ja täglich. Und es ist nicht zu begreifen, dass Gott nicht die Geduld
verliert. Denn es sind ja Menschen, die sagen: „Es gibt ja gar keinen
Gott."
Nicht zu fassen, dass er so eine Welt liebt! Aber er tut es
und wirft uns seinen Sohn hin und ladet alles, was
Sünde ist, auf ihn. Wie glücklich sind wir, dass wir sagen dürfen: „Ich bin ein
Kind Gottes. Ich habe einen Herrn. Aber halleluja, auch einen Heiland!"
Ich grüße Sie auch von meiner Frau mit Psalm 116, aber ganz.
In treuer Verbundenheit
Ihr Bas
Den Haag, den 23. Juli 1978
Liebe Frau Pastor!
Ihre Briefe machen mir soviel Mut, dass ich beim Erwachen
zum Spiegel laufe und sage: „Guten Morgen, Bas, du bist wieder da. Dankeschön,
lieber Herr."
Ich habe oft gedacht, das Leben sei sinnlos, aber im Krankenhaus
kann Gott uns so gut brauchen. Ich habe sehr vielen Kranken von Jesus sagen
dürfen und ihnen damit Mut gemacht. Und wenn man mich fragt: „Wie kommt es, dass
Sie immer so fröhlich sind und nicht den Mut verlieren?", sage ich immer:
„In Essen steht ein Haus für die Jugend, und in diesem Haus war ein Pastor, der
mich an den Haaren zu Jesus schleppte. Und seitdem habe ich einen Herrn und
Heiland, der mir nicht die Krankheit wegnimmt, aber der all meinen Dreck und
meine Sünde zudeckt mit seinem Blut, der sich sogar ans Kreuz hat schlagen
lassen, aber wieder auferstanden ist und einmal dem Teufel den Kopf zertreten
wird und mich dann in den Himmel bringt. Wie es da oben ist, weiß ich nicht,
aber es gibt dort keine Atemnot, sondern nur Freude und Wonne, und ich darf
endlich meinen Heiland sehen. Wie schön, dass in der Bibel nicht steht, wie es
dort nun genau zugeht. Das bleibt für die Kinder Gottes eine Überraschung.
Darauf dürfen wir uns freuen wie ein Kind auf Weihnachten. Wie schön, dass wir
in diesen Dingen noch Kinder sind!"
Ich habe trotz allem Elend noch vieles zum Danken. Ich werde
von Doktoren, Schwestern und Patienten wahnsinnig verwöhnt. Ich bin für alle
„Unser lieber Onkel Bassie". Welch ein
Gottesgeschenk, wenn Menschen einen lieb haben! Es ist eine sehr große Hilfe,
die Krankheit zu tragen.
Ich bleibe gern mit einem Gruß aus Nehemia 8, 10
Ihr Bas
Den Haag, den 12. Oktober 1978
Liebe Frau Pastor!
Obwohl die Atemnot mir sehr zu schaffen macht, werde ich
doch versuchen, Ihnen ein paar Teile zu schreiben.
Wie schön ist es, mit einem Herrn und Heiland alt zu werden!
Wissen Sie, was mir so wichtig ist? Dass wir mit Jesus wandern dürfen.
Also nicht jagen und jachten im
Mercedes oder Moped, dass man nichts sieht von der schönen Gegend. Ich habe oft
mit zwei Mitarbeitern ein Lager vorbereitet. Die beiden fuhren auch in der
schönsten Gegend immer wie Idioten. Ich saß da und sah nichts vom schönen
Sauerland. Wohl hatte ich Angst, wenn sie mit 100 Sachen eine Kurve nahmen. Und
wenn ich dies schreibe, denke ich an die herrlichen Spaziergänge mit P. B.,
Dorr und May in Idar-Oberstein. Was haben wir dort die Schönheit Gottes in der
Natur gesehen! O, das Wandern ist etwas ganz Großes. Mir wird es immer deutlicher,
warum Wilhelm und Johannes Busch so gerne wanderten.
Und nun ist es mir ganz klar, was es heißt, mit Jesus zu
wandern. Der lässt uns alles sehen. Höhen und Tiefen. Er zeigt uns das
Paradies. Aber auch Golgatha. Und – Gott sei Dank – auch ein leeres Grab und
die Himmelfahrt. Es ist nicht zu fassen, dass er zum Himmel gefahren ist, um
uns einen Platz zu bereiten. Und dieser Platz ist zigtausend mal
schöner als das Tal in Idar-Oberstein. Welch ein Evangelium: Wir dürfen mit
Jesus wandern in den Himmel hinein!
Ihr Bas
Den Haag, den 6. März 1979
Liebe Frau Pastor!
Gott geht mit mir sehr schwere Wege. Die Atemnot ist seit 3
Wochen bald nicht mehr zu ertragen. Und wenn ich diesen Brief schreibe, bin ich
gerade von der Sauerstoff-Flasche los. Ich bin bald soweit, dass ich den Mut
verliere und nicht mehr um Besserung bete. Das heißt nicht, dass ich an Gott
verzweifle, aber dass ich dies Kreuz tragen muss, bis dass er mich aufnimmt in
die ewige Heimat.
Von meiner Frau bekam ich einen Papagei. Trotz aller Not
habe ich viel Freude an diesem Tierchen. Ich bin ein Tierfreund. Wissen Sie
noch, die Rotkehlchen im Saal? Wie die ausgerechnet sonntags morgens mal durch
den Kirchsaal flogen, wie P. B. sagte: „Wie bringe ich dem Bas bei, dass so was
nicht geht?" Auch ich habe so viele schöne Erinnerungen an diese Zeit. Was
haben wir für Stunden erlebt!
Leider werden wir uns nicht mehr sehen. Ich bin so froh, dass
Sie noch da sind und dass wir uns hierauf dieser Erde schreiben können. Sehen
werden wir uns beim Heiland.
Ich kann es nicht mehr singen, aber wohl noch sagen: „Ewig
wird deine Treu bestehen, lass uns nicht verloren gehen." Ich habe oft
Angst davor. Aber Psalm 84 macht mich fröhlich und nimmt mir die Angst. Wissen
Sie, was an Ihrem Mann oft unheimlich war? Die felsenfeste Heilsgewissheit.
Wenn ich nur die Hälfte hätte!
Ich werde jetzt müde. Liebe Frau Pastor, ich grüße Sie
herzlich mit dem Lied: „Welch ein Freund ist unser Jesus…"
In treuer Verbundenheit
Ihr Bas
Batu, den 8. April 1974
Liebe Frau Busch!
Was haben wir doch Ihrem lieben Mann zu verdanken! Dadurch, dass
er mich in der Seelsorge nach seiner Evangelisation in Göttingen 1955 in die
SMD schickte, stellte Gott die entscheidenden Weichen in meinem Leben. Dort wuchs
ich hinein in eine geistliche Gemeinschaft, lernte meinen Mann kennen und wurde
auf unsere Aufgabe in Indonesien vorbereitet.
Als ich später einmal in Ihrem Haus zu Gast sein durfte und
wir zur Kirche fuhren, kurbelte Ihr Mann die Fenster des Wagens herunter und
lud bei Rotlicht an der Straßenkreuzung zum Gottesdienst ein. Das machte mir
damals einen großen Eindruck.
Aber den tiefsten Eindruck hat bei mir ein kurzer Brief
hinterlassen, den er uns nach Jahren einmal nach Indonesien schrieb, dass er
regelmäßig für uns bete. Bei so viel Arbeit, soviel Begegnungen! Möchte der
Herr auch uns so treu machen in der Fürbitte!
Seit wir zurück sind – gerade drei Monate –, haben wir viel
Treue des Herrn erleben dürfen. Es fiel uns nicht leicht, ohne einen Weg für
die Schulausbildung der Kinder zu sehen, hinauszugehen. Aber der Herr hat
diesen Glaubensschritt mehr als vergolten! Alle drei Jungen sind an der besten
Schule Indonesiens aufgenommen worden, die der Universität für
Erziehungswissenschaften angeschlossene Musterschule für die Schulentwicklung
im ganzen Land. Für den 20 km langen Schulweg stellte uns eine andere Mission
Auto und Fahrer kostenlos zur Verfügung. Ein unerhofftes Angebot! Wie auch die
niedrigen Schulgelder der Kinder, die uns ganz ohne unser Zutun abverlangt
wurden. Kurz zuvor war oben hinein eine befreundete deutsch-amerikanische
Familie von Singapur ganz in die Nähe der Schule gezogen. Dort können unsere
Kinder aufeinander und auf das Auto warten und kommen sä trotz ihres langen Schultages
(sie gehen 6.15 Uhr aus dem Haus und kommen 13.45 Uhr zurück) nicht übermüdet
heim. Dass gerade in den kritischen Fächern Lehrer unterrichten, die vor kurzem
zum Glauben kamen bzw. suchend und dem Evangelium offen sind und sich deshalb
mit besonderer Liebe der Kinder annehmen, ist ein ebensolches Wunder.
Eine Kette von Wundern! Jeden Tag gehen die Kinder gern zur
Schule, und ich kann nur voll Dankbarkeit sagen: „Wer sich auf den Herrn verlässt,
den wird Güte umfangen." Das steht an unserer Schlafzimmertür. Auf der
anderen Seite: „Wirf dein Anliegen auf den Herrn." Und in den ersten Tagen
hier im Januar, als wir noch nicht wussten, wie wunderbar der Herr alles regeln
würde, ging ich wie ein Lahmer an den Krücken dieser Worte. Ich hatte wirklich
Angst, dass die Kinder, die so gern in Deutschland geblieben wären, nun
Ablehnung gegen uns, unser Land, ja Gott selbst entwickeln würden, weil Er uns
geboten hatte, wieder hinauszugehen und mit ihnen. Stattdessen haben sie miterlebt,
wie wunderbar Er alles, aber auch alles geregelt hat, und sind fröhlich vom
Morgen bis zum Abend. Und den ersten Zeugnissen, die diese Woche erteilt
werden, dürfen wir schon getrost entgegensehen.
Lob und Dank! Lob und Dank!
In der Arbeit beginnt auch in Erfüllung zu gehen, was wir
seit Jahren als Schau empfingen, dass indonesische Missionare an die Enden der
Weit gehen sollen. Es ist ja ein solches Umdenken!
Mission war Sache der Weißen. Jetzt geht den erweckten Christen auf, dass sie
ebenso an die Arbeit gerufen sind. In dieser Woche konnten wir die ersten
indonesischen Missionare aussenden. Ein Ehepaar nach Suriname.
Ein anderes bereitet sich auf Brasilien vor. Um Pfingsten wird mein Mann mit
ihnen in der Molukkenkirche, der ältesten Kirche
Indonesiens, Reisedienst tun. Wir beten seit Jahren um diese Kirche, in der
Glaube und heidnischer Ahnenkult untrennbar verquickt sind. Möge der Herr einen
Einbruch schenken in diese Dunkelheit!
Eine Gruppe von fünf Missionaren, ein japanisches, ein
indonesisches Ehepaar und eine indonesische Missionarin, wollten in dieser
Woche ins Innere von Borneo vorstoßen, aber der Feind greift an. Plötzlich
stellt sich heraus, dass das dreijährige japanische Mädchen einen Herzfehler
hat, der siebenmonatige indonesische Säugling TBC, die japanische Frau hat seit
drei Wochen nicht abklingende Blutungen…
Da lernen wir neu beten und glauben.
Im Missionshaus sind von elf Kandidaten acht übrig geblieben,
die um Klarheit über den Ort ihres Einsatzes ringen.
Nach Ostern beginnt daneben der Einführungskursus für acht
junge Missionare aus Deutschland, Japan, Australien. Wie sehr benötigen wir die
Weisheit von oben! Wir sind so dankbar für Fürbitte!
Ihnen ganz herzliche Grüße und dem Herrn befohlen
Ihre Volkhard und Gerlinde Scheunemann
Batu, den 29. Oktober 1979
Liebe Frau Busch,
… Ihr lieber Brief auf unseren Bericht von Nias hin hat uns sehr froh und dankbar gemacht, dass Sie
mit anderen zusammen weiter im Gebet einstehen für die neugeborenen Kinder im
Herrn.
Wir erhalten immer wieder Briefe von dort, die zeigen, dass
der Herr weiterwirkt.
Eine große Schar Jugendlicher folgt einem schriftlichen
Bibelkurs, den wir ihnen vermitteln konnten, und wir beten darum, dass im
Januar Bruder Böker zu einem Nachfolgedienst hingehen kann. Auch von Mentawai kam nun schon ein Hilferuf.
Ach, offene Türen gibt es so viel! Wo sind die Arbeiter für
diese riesige Ernte? Wir stehen immer im Konflikt: die Aufgaben am Ort,
Unterrichten der Studenten vernachlässigen – oder die vielen Bitten um Dienste
abschlagen. Vor allem werden Bibellehrer gebraucht. Sowohl in den Gemeinden als
auch an der Schule. Es ist eine dringende Notwendigkeit, einen Oberkurs
aufzustocken, damit die evangelikale Stimme nicht übertönt wird von den aus dem
Ausland zurückkehrenden Liberalen, deren Stimme – vor einigen Jahren noch
erfolgreich zurückgedrängt – immer hörbarer und einflussreicher wird. Kalimantan braucht eine Bibelschule zur Versorgung der fast
monatlich neu entstehenden Gemeinden. Und obwohl unsere Lehrer hier alle
überlastet sind, haben wir diese beiden Rufe aufgegriffen. Beten Siedoch mit um Lehrer! Fertige! Auf die man nicht jahrelang
warten muss.
Daneben brauchen wir auf der Bibel gegründete theologische
Bücher. Es gibt kaum etwas.
Ab 1. November wird jeden Donnerstag ein Frauenprogramm
gesendet, das ich mit einer lieben indonesischen Christin zusammen begonnen
habe. Ich hoffe, dass sie es immer selbständiger weiterführen kann…
Und endlich möchte ich Ihnen ganz herzlich danken, vor allem
für alle treue Fürbitte. Allein daran zu denken, dass Sie für uns die Hände
falten, ist mir oft eine Kraftquelle.
So grüßen wir Sie herzlich, in Jesu Liebe verbunden
Ihre Volkhard und Gerlinde Scheunemann
Schwerin, im März 1976
Zu Beginn der Evangelisationstätigkeit meines Mannes nach
1945 stand bei jeder Abreise in mir die Angst auf um sein heiles Heimkommen.
Wir hatten bis dahin im Pfarrhausdienst und in der Familie ganz zusammengelebt.
Jetzt lastete die Verantwortung für die Familie oft allein auf mir, und das in
einer noch fremden Umwelt und ohne Rückhalt in einer Gemeinde.
Die Bibel sagt: „Alle eure Sorgen werfet auf ihn." So
haben wir damals auch diese Sorge auf Jesus geworfen mit der Bitte, dass wir
aber beim Sterben zusammen sein dürften. Die Angst war von da an fort, und die
Erfüllung unserer Bitte erlebten wir jetzt, und zwar über „Bitten und
Verstehen". Damals hatten wir nur an das Sterben gedacht, so wie Gott es
schenkte, dass ich am Sterbetag unseres geliebten 19jährigen Sohnes Peter 1946
über die Grenztrennung hinweg hatte zu ihm kommen können. Jetzt war es ein
Zusammensein die ganze Sterbezeit hindurch.
Nach den mancherlei ernstlichen Erkrankungen meines Mannes
in den letzten Jahren standen wir im Herbst vorigen Jahres bei dem erneuten
Aufflackern des CA sehr bald vor der Unausweichlichkeit des Sterbenmüssens.
Wir erlebten, dass auch für einen alten Evangelisten nach so vielen Jahren
bezeugten und erlebten Evangeliums der Glaube nicht selbstverständlicher,
sachlicher Besitz ist. Aber die Aussage der Bibel „Euer Vater weiß, was ihr
bedürft" fing an, eine Tieftröstende Wirklichkeit vor uns zu werden.
Durch eine Karte, auf der das Wort Johannes 14, 27, die
Gestalt Jesu andeutend, geschrieben war, wurde uns dieses Wort der lebendige
und tragende Zuruf. Jesus Christus selbst trat uns entgegen aus seinem Wort, in
seinem Wort, als der Auferstandene, gestern, heute und in Ewigkeit derselbe. Er
selber sprach zu uns: „Meinen Frieden gebe ich euch!"
Wir konnten alles Notwendige klar durchsprechen. Wir durften
aus dem Frieden der Vergebung leben. Wir durften bewusst jeden Tag des
Nochbeieinanderseins dankend haben und konnten in diesem Frieden miteinander
durch alle Mühsal der fortschreitenden Krankheit kommen.
Wie ganz gehörte Dorothea Vogts Einsatz im Helfen zu diesem
Frieden dazu, auch in der steten Bereitschaft zur Mitarbeit bei der Post und am
Manuskript zum Kommentar für den 2. Petrusbrief, mit dem mein Mann bis in die
letzten Monate hinein noch beschäftigt gewesen ist.
In den letzten Wochen wurde es ein feierliches Staunen, in
welcher stillen Weite der Herr die Bitte erfüllte, zum Sterben beieinander sein
zu dürfen. Nicht nur, dass mein Mann nach einer Operation im Januar die letzten
Wochen wirklich hierzu Hause sein durfte bis zum Sterben, sondern wir durften
all das zusammen erleben, was sonst nach dem Tod für den Zurückbleibenden ein
schmerzlich tröstendes Durchleben bedeutet: die Teilnahmebriefe, in denen Dank
und Erinnerung aufklingt, die Blumengrüße, die sonst bald auf dem Grab
verwelken. Wir konnten zusammen die viele Post lesen mit dem Dank, der Liebe,
der Fürbitte, dem Erinnern und den guten Worten. Wir konnten uns gemeinsam an
den vielen, vielen Blumen und Stärkungsgrüßen freuen. Wir sahen alles hineingenommen in die Erfüllung unserer Bitte.
Sogar über das Sterben hinaus kamen noch Blumen als herzbewegende
Grüße in die leere Wohnung.
Unsere Kinder haben diese letzte Zeit ganz bewusst mit uns
durchlebt und jede Möglichkeit des Kommens und Hier seins genutzt. Unsere
älteste Tochter Anne konnte für die beiden letzten Wochen mit ihrer Berufserfahrung
in der Kranken- und Siechenpflege ganze Hilfe hier sein.
Nach viel Unruhe, Schmerzen und Schwäche – wir brauchten
aber kein Morphium zu geben – wurde das Sterben am Vormittag des 18. März so,
wie es im Liede heißt: „Du kannst durch des Todes Türen träumend führen und
machst uns auf einmal frei."
Den Dank für alle Teilnahme schreibe ich in der Gewissheit, dass
des Herrn Zusage auch Sie umschließen will: „Meinen Frieden gebe ich
euch."
Ihre Toni de Boor
Düsseldorf, im Dezember
1976
Die Nachricht – vor allen anderen Nachrichten – heißt:
„Siehe, Dein König
kommt zu Dir,
ein Gerechter und ein
Helfer!"
Wenn man's in Ruhe überlegt:
Wir haben jeden Tag
mehr Grund zum Danken als zum Klagen,
mehr Grund zum Hoffen als zum Bangen,
mehr Grund, Verantwortung zu übernehmen,
als den Dingen ihren Lauf zu lassen.
Ihnen verbunden
Ihr Karl Immer
Kaufmann Dr. Wilhelm
Jung, Siegen, der seine kaufmännische Begabung nicht nur fürs eigene Geschäft
nutzte, sondern sie jahrelang bis ins hohe Alter einsetzte für die Geschäfte
des Reiches Gottes.
Siegen, den 14.
Dezember 1976
Liebe Frau Busch!
Schon seit längerer Zeit habe ich mir vorgenommen, bei den
Besuchen, die ich mache, und den vielen Briefen, die ich schreibe, nicht davon
zu reden, was uns mit Recht Sorge macht im Blick auf unsere Kirche, auf unser
Volk und Land und die Dinge in dieser Welt, auch nicht im Blick auf Menschen,
sondern dass ich auf Dinge zu sprechen komme, die uns Freude machen. Unter der
Überschrift „Das schönste Erlebnis im vergangenen Jahr" möchte ich Ihnen
folgendes weitergeben:
Im Januar schrieb ich Ihnen unter anderem von dem
schwerkranken jungen Bekannten, dem ich damals das Andachtsbuch Ihres lieben
Mannes „365 x ER" schenken wollte. Er musste nach der bösen Darmoperation
mit neuem Ausgang noch 12-mal operiert werden. Oft, wenn ich ihn besuchte, wand
er sich unterunerträglichen Schmerzen, die weder durch Medikamente noch durch
Spritzen von den Ärzten beseitigt werden konnten. Er stammte aus gläubigem
Elternhaus, sein Vater war mit mir in der Jugend Mitglied des Jünglingsvereins
in meinem Heimatdorf Eiserfeld… Er gehörte zu den
Menschen, die nie ein Wort über ihr inneres Leben sagten. Damals schenkte ich
ihm das Andachtsbuch. Bei meinen Besuchen habe ich im Anschluss an das Gespräch
immer mit ihm gebetet. Auf seinen Wunsch brachte ich ihm einmal die Losungen
der Brüdergemeine mit. Als ich ihn zehn Tage vor seinem Tode besuchte (er ging
am 1. September dieses Jahres heim), fragte ich ihn: „Haben Sie schon die
Andacht gelesen?" Er antwortete: „Nein, das konnte ich nicht, lesen Sie
bitte vor." Nachdem ich das getan und mit ihm gebetet hatte, sagte er mit
kaum vernehmbarer Stimme: „ich bin froh, dass ich Jesus habe." Können Sie
sich vorstellen, wie dankbar ich war, das aus dem Munde des Todgeweihten zu
hören, der früher nie mit einem Wort über seinen inneren Zustand gesprochen
hatte? Ich habe ihm gesagt: „Nun haben Sie den größten Besitz, den je ein
Mensch haben kann: Jesus unser einziger Trost im Leben und im Sterben."
Die Familie hatte in der Todesanzeige geschrieben, dass die
Beerdigung im engsten Kreis stattfinden solle. Trotzdem waren einige hundert
Leute, hauptsächlich aus der Wirtschaft, erschienen, die nach der Beerdigung
von der Familie in die Siegerlandhalle eingeladen waren. Ich habe lange
überlegt, ob ich wohl das letzte Gespräch mit dem Heimgegangenen in diesem
Kreis bekannt geben dürfe oder müsse, und habe mich dann schließlich doch dazu
entschlossen. Mich hat es sehr beeindruckt, wie die vielen „weltlichen
Brüder" ganz still wurden, und nun dürfen wir es sicher der Barmherzigkeit
Gottes überfassen, ob das Bekenntnis des sterbendes Freundes Frucht trägt.
Grüßen Sie bitte Ihre Kinder und Kindeskinder! Ich verbleibe
in treuer Verbundenheit
Ihr Wilhelm Jung
Liebe Frau Busch!
Zu unserem Heimatschriftsteller Baurat Eduard
Schneider-Davids aus Eiserfeld, der vor einigen
Jahren in Köln im Alter von 100 ½ Jahren starb, unterhielt ich
freundschaftliche Beziehungen. Als er 100 Jahre alt wurde, schrieb ich ihm in Eiserfelder Platt u. a.:
„Mir säe de Träne de Backe ronner gejiggelt, dat en ahler Idersäller säd, ech hädde se noch all binanner." Er erzählte – dies wurde in unserem Eiserfelder Heimatblatt veröffentlicht – unter der Überschrift „Oos Ädde (Vater) sääde, mir seile sparn" folgendes, das einen Einblick gibt in die Armut, in der er aufgewachsen ist. In Eiserfelder Platt ist das natürlich noch viel anschaulicher, als wenn ich das jetzt hochdeutsch weitergebe:
Einmal wurden wir in der Schule
abfotografiert. Das war eine große Sache. Das Bild kostete 6 Groschen. Ich
hatte viel Spaß an dem Bild. Alle nahmen eins, nur ich bekam keins; mein Vater
lehnte ab. Ich tat dem Fotografen leid; er zeigte mir einen Abzug, von dem er
sagte, der wäre nicht ganz geraten, den könnte ich für 4 Groschen haben. Ich
lief „im Sturm" mit dem Bild zu der Eisensteingrube, wo mein Vater am
Scheidstock saß. All mein Gejammer und Weinen half nichts, mein Vater sagte:
„Für diesen Bildchenkram habe ich kein Geld, und zudem steht wörtlich in der
Bibel: ,Du sollst dir kein Bildnis noch Gleichnis
machen'." Vielleicht war das der Grund; er ging nämlich in die
außerkirchliche Versammlung; aber seine Freunde nahmen es nicht so eng und
ließen Familienbilder machen. Wir haben kein einziges Bild von meinen Eltern.
So lebte mein Vater streng in seinem Glauben, war gerecht und grundehrlich und
aufrichtig. Im Grunde war er duldsam und weich von Herz und Gemüt. Wir durften
sogar, als wir größer waren, in die Kirche gehen; mein Vater sagte dazu: „Do hern se nix Schleechtes."
An diese schiefe Auslegung von Gottes Wort habe ich mich
nicht gehalten. Auf einer Reise nach Schweinfurt ließ ich vor meinem 82.
Geburtstag noch einmal ein Foto machen, von dem ich Ihnen einen Abzug zur
Erinnerung beifüge.
In alter Verbundenheit herzliche Grüße auch an Ihre Kinder von
Ihrem Wilhelm Jung
Essen, im Dezember 1979
„Wir wissen aber, dass
denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen." Römer 8, 28
Diese Worte des Apostel Paulus gehören zum Marschgepäck jedes
Gotteskindes. Wer Gott lieb hat, erfährt, dass auch die Nöte und Probleme, das
Zerstörerische in dieser Welt, unter dem wir leiden, zum Guten mitwirkt. Diese Worte gilt es in
die Praxis umzusetzen und sie immer wieder neu durchzubuchstabieren. Alles soll
uns zum Besten dienen, weil Gott unsere Schwächen benutzt, um unser Leben zu
vertiefen und um anderen zu helfen. Daraus wird Segen von Gott.
Hinter mir liegen bewegte Monate, in denen ich viel Treue des
Herrn in den kleinen Dingen des Alltags erfahren durfte. Vor drei Jahren
begannen wir neben dem bestehenden Platz in Gelsenkirchen/Tiefenbachstraße mit
der intensiven Missionsarbeit in einer nahe gelegenen Obdachlosensiedlung/Katernberger Straße. Hier leben ca. 200 Zigeunerfamilien
und andere Problemgruppen. Wir haben dort ein Ladenlokal gemietet, das uns als
Versammlungsraum für Kinder- und Bibelstunden und zur Durchführung von Kinder-
und Bibelwochen dient.
Heute steht die Arbeit fest, und sie ist nicht mehr so
leicht wegzupusten. Der Herr hat diesen Glaubensschritt gesegnet. Ich stelle
immer wieder fest, dass Kinder das Kostbarste sind, was Gott uns anvertrauen
kann. Wie viel Vertrauen bringen sie einem entgegen! Wenn ich am frühen
Nachmittag (14 Uhr) zu ihnen auf den Platz fahre, erwarten sie mich meistens
mit viel Lärm. Obgleich die Essener Zintikinder ganz genau die Reihenfolge der
Familienkinderstunden durch Jahre hindurch kennen, betteln sie doch jedes Mal:
„Bei uns zuerst!", oder in Gelsenkirchen sagen sie: „Halleluja, hast du
wieder eine Geschichte mitgebracht?"
Da solche Familienkinderstunden häufig unterbrochen werden,
schicke ich meistens ein Stoßgebet nach oben, bevor ich eine Türklinke
hinunterdrücke. „Bitte, Herr, geh Du zuerst durch!" Nicht selten erwartet
mich ein großes Durcheinander. Unsere Kinder sind es nicht gewohnt,
stillzusitzen und konzentriert zuzuhören. In ihrem Temperament sind sie ganz
impulsiv, naiv und auch phantasievoll. – Es ist gut, dass der Herr Jesus ein
guter Pädagoge ist, denn von ihnen gibt es immer etliche, die während der
Verkündigung für meine innere und äußere Beweglichkeit sorgen.
Verschiedene Lehrer haben festgestellt, dass die allgemeine
Aufnahmefähigkeit von Wissen mit dem 12. Lebensjahr bei Zintikindern praktisch
beendet ist. Meine tägliche Bitte ist es, dass sie das Wort Gottes im Herzen
bewahren, das sie durch viele Jahre hindurch gehört haben. Sie haben es alle
nötig, dass man sie umbetet. Vielen Dank dafür!
Eine große Hilfe ist mir meine Gitarre. Zigeuner lieben zwar
die Musik, singen aber selbst nie. Erst das Evangelium hat es möglich gemacht, dass
sie angefangen haben, Sein Lob zu vermehren und sich auf diese Weise auf- und
auszurichten. Durch Singen und Spielen findet man leicht einen Weg zu ihren
Herzen, aber ebenso ist verstehendes Zuhören und das Durchschauen von
Zusammenhängen eine gute Brücke.
Von einigen Kindern weiß ich, dass sie auch im Alltag
versuchen, mit Jesus zu leben. Die starke seelische Verhaftung des einzelnen im
Sippenverband und die okkulten Bindungen machen es ihnen schwer, echte
Nachfolge zu praktizieren.
Oft bedrückt es mich, wenn ich spüre, wie langsam die
gläubigen Erwachsenen im Verstehen biblischer Wahrheiten sind. Wir alle lieben
Erfolge, Zahlen und andere Bestätigungen für unsere Arbeit. Mit wie viel Geduld
hat Jesus den schwachen Glauben Seiner Jünger ertragen! Er hat auch Misserfolge
und Enttäuschungen erlebt, aber Er hörte deswegen nicht auf, zu lieben und zu
lehren, zu tragen und für sie zu bitten.
Zu Seiner Zeit kommt auch die Ernte. Von uns aus gesehen mag
der eine pflanzen, der andere begießen. Doch Gott gibt das Gedeihen.
Nun wünsche ich Ihnen allen eine mit Freude erfüllte
Advents- und Weihnachtszeit. Herzlichen Dank für alles Mitgehen im Gebet!
Ihre dankbare
Schwester Erika Schönbörner
Hanna Stöffler ist die Tochter der ältesten Schwester von Wilhelm
Busch, Frau Dekan Stöffler in Luizhausen.
Ihr Lieben!
Eine alte Tradition zwischen Mama und mir: Bei Mamas übergroßen
Aufgaben hatte ich als Kind immer zitternde Angst, ob sie fertig werden könne
zum Fest. Und jedes Mal atmete ich befreit auf, wenn sie irgendwann einmal
sagte: „Es lichtet sich!"
Seit sie das von mir wusste, kam jedes Jahr, wo ich auch
war, in Witten oder Stuttgart oder in Kaiserswerth,
eine Karte nur mit einem Satz: „Es lichtet sich."
Dies Jahr, wo sie so wenig Kraft hat und doch an so viele
Menschen denkt, kam diese Nachricht durchs Telefon. Diesmal sagte sie: „Es
lichtet sich rasend!" und „Wir freuen uns königlich auf euch!"
Als wir auf dem zugigen Düsseldorfer Bahnhof standen, dachte
ich: Wer von all diesen Menschen wird s o erwartet! Ursi
stand in Ulm und fuhr uns durch das weiß überzuckerte Land. Als der Zwiebelturm
Luizhausens sichtbar wurde, sagte sie, es sei zu wenig Schnee, dies Jahr brauchten
wir uns die Finger nicht abfrieren zu lassen für die Schneeballenkerzen, dafür
stehe jetzt ein großer brennender Christbaum mitten im Kirchhof.
Mama empfing uns strahlend, obwohl sie nachher sagte, sie habe
eine so schlechte Nacht gehabt, dass sie gemeint habe, uns nicht mehr zu sehen.
Im warmen, wunderschönen Zimmer war alles voller Blumen, am Fußende des Bettes
hatte Ruth einen herrlichen Christbaum geschmückt. Meine Krippe war liebevoll
auf dem Flügel aufgestellt, und Heinzens schönes Transparent leuchtete wie
immer aus der Ecke hinter dem Tisch.
Dies Jahr war kein Pfarrer bei der Christvesper.
Ein Lektor hatte aber den Gottesdienst sorgfältig vorbereitet und leitete ihn. Kinder
füllten dies Jahr spielend und singend das ganze Kirchlein:
Der Steuereinnehmer kam drohend den Gang herab, sein
Holzschwert ziehend, die Hirten standen frierend am Eingang, und der Engel rief
gewaltig von der kleinen Empore herab.
Mama hatte am Radio oder Fernsehen schöne Gottesdienste
erlebt und fühlte sich mit so vielen verbunden, betete für die Geiseln und
verfolgte alles, was den gemaßregelten Prof. Küng
betraf, sagte einmal: „Die Einsamkeit wird immer größer."
Als wir Päckchen um Päckchen aufmachten, Brief um Brief lasen,
langsam, denn Mama und wir alle wollten alles ganz in uns aufnehmen, sagte sie:
,,Was sind wir für reiche Leute" oder „Das Schönste ist doch die
Verbundenheit" oder „Wie dankbar können wir sein, dass wir Weihnachten
feiern können" oder mitten im Auspacken: „Kommt, lasst uns einen Vers
singen, der ist mir so wichtig" und fing an „Nun singet und seid froh…"
Wie bewegte sie, was sie von den Enkeln hörte, von Sabines
liebevollem Pflegedienst an den Kranken, von Christians Wald-Weihnachten mit
200 kleinen Jungscharbuben und Hanns-Eugens Orgelspiel bei den
Festgottesdiensten.
Eine ganz große Überraschung war, dass einer der
Luizhausener Männer am 2. Feiertag den ganzen Chor nochmals zusammengerufen
hatte, nur um bei Mama zu singen. Sie füllten so strahlend das große Zimmer und
sangen voll Freude alle Verse von „Es ist ein Ros entsprungen" und „Freut
euch, ihr lieben Christen". Mama bedankte sich, dass sie dieses Opfer
gebracht hatten. Sie erzählte dann, neulich sei ein junger Mann aus Ulm dagewesen und habe so teilnehmend gefragt, wenn sie jetzt
fast drei Jahre im Bett liege, habe sie doch sicher keinen Kontakt mit dem Dorf
mehr? Ein großes Gelächter brach im Chor los, und jener Herr hätte nur sehen
sollen, in welcher Weise jeder zum Bett kam und mit Mama sprach.
Später lag Mama da, ganz erschöpft vor Freude: „Was für eine
Liebe! – – Dass es so etwas gibt auf dieser armen Erde, wo sie doch frei
haben" …später: „Ich bin ganz ergriffen von diesen Leuten, ich könnt
heulen, ich bin's nicht wert – – – aber an Weihnachten geht's nicht um die
Wertigkeit."
Wir drei Schwestern müssen genauso sagen, dass wir es nicht
wert sind, Ruths Fürsorge und ihre Verwöhnung immer wieder aufs neue zu genießen.
Der Flöter auf der Vorderseite des
Briefes gehört zur Krippe, die Mama vom Bett aus sehen kann, und das
„Springerle" am Schluss kommt aus einem der vielen Freundesgrüße. Seine
Inschrift „Friede auf Erden" fasst alle Wünsche zusammen, die wir haben – für
uns und für Euch alle und für die ganze arme Welt.
Eure Hanna Stöffler
Im alten Schulhaus in
Hülben fanden sich Briefe von Wilhelm Buschs Ur-Ur-Großvater Jakob Friedrich
Kullen (1758-1818):
Hülben, den 16. Oktober 1801
Liebwertester Bruder!
… Was meine Führung in Ansehung des Christentums betrifft,
so muss ich sagen, dass mich der liebe Heiland gar wohl aufgeben dürfte und
wohl schon viele 1000 x hätte aufgeben und Seinen Rücken zukehren dürfen;
allein neue Blicke, die Er mir in Seinem Wort in und außer der Gemeinschaft gibt,
sind mir immer der Beweis, dass ich noch in Gnaden bei Ihm stehe.
Meine täglichen bösen Gedanken, Lüste und Begierden, Worte
und Werke wollen aber meine Zuversicht gegen unseren lieben Herrn oft schwächen
und mich gegen Seine Gnade bedenklich machen. Aber doch, wenn ich mit gebeugter
und demütiger Seele mit meinem Elend durch Seine Gnade mich hingebe und in der
Stille Seiner Güte warte, so finde ich mich wohl und genieße im Innern (oft ehe
ich mich zuversichtlich aufrichten kann) einen verborgenen Frieden von Gott in
meinem Herzen.
Hier hast Du einen Fingerzeig von meiner Führung; es laufen
aber doch auch dann und wann Sachen vor, in und unter meiner Führung, die ich
darum nicht gleich an den gehörigen Ort legen kann, die mich plagen und unruhig
machen können. Wenn ich sie auch bald da, bald dorthin verlege, so kommen sie
doch gleich wieder. Warum? Sie sind nicht an den rechten Ort gelegt.
Ich habe gefunden, wie nötig es ist, füreinander zu beten.
Denn wir haben eben doch einen Feind, der ein Verstörer
des Friedens, der Liebe und der Hoffnung ist. Und ach, wie ist einer voll Dank,
wenn der Herr ihm in der Versuchung zu Hilfe kommt und kommen ist.
Ich habe in dem Krieg, den ich innerlich hatte, öfters auch
den Gedanken gehabt, wenn Bruder Rothfuß doch nicht so weit weg wäre, so wollte
ich ihn besuchen, damit ich ihm meine betrübliche Lage erzählen könne, denn
Mose sagt auch einmal zu seinem Schwager: „Bleib bei uns, denn du weißt, wo wir
uns lagern sollen." So ist es auch unter den Kindern Gottes. Es gibt auch
Seelen, welche wissen, wo man sich lagern solle, welches der Weg zur Ruhe sei,
wie man sich in diesem oder jenem zu verhalten habe…
Hülben, den 25. Oktober
1802
… Gott Lob, dass die Kinder Gottes
doch noch immer Anspruch auf mein Haus machen und mich und mein Weib auch in
ihre Reihe zählen. Ich zähle mich je und je nicht mehr darunter. Wenn ich aber
unter ihnen bin, so finde und spüre ich, dass ich auch darunter gehöre. Mein
Lauf vor Gott sieht eben so aus, dass ich immer Ursache habe, auf Seine bloße
Güte zu warten…
Hülben, den 13. Februar
1803
… Aus Deinem Brief habe ich. ersehen, und zwar mit Vergnügen
ersehen, dass auch Du mit dem schwer beladenen Wagen nicht nur nach Belieben
bergab und bergauf fahren könnest, sondern dass Du auch Hilfe nötig hast und
Dir oft auch andere Brüder eine Schnur in Deine Geißel machen müssen, damit Du
wieder knallen und fahren kannst…
… Es ist wahr, der Heiland hat ein Magazin, wo Mittel genug
sind, die einem Forthelfen können, dass alles glücklich vonstatten gehen muss,
wenn Er eins oder das andere an die Hand gibt…
… Gestern war ich auch wieder ein Missetäter. Meine Seele
war sehr betreten, dass ich doch nichts als Übles tun könne. Es wurde aber ein
Wort Gottes gelesen, da hieß es: „Die Kinder Israel taten fürder übel vordem
Herrn. Da ließ der Herr alle Völker über sie kommen. Da schrieen sie zum Herrn,
und er half ihnen."
Durch meinen Fehler, den ich machte, kam ich innerlich
gleichsam auch unter Völker, die mich gegen das Herz Gottes mutlos machten.
Aber als ich vernahm, dass ihnen der Herr (nachdem sie geschrieen) geholfen
habe, so schrie ich auch und habe wieder das kindliche Herz gegen Gott
bekommen, so dass ich alle Sünde, mit der ich zu streiten habe, von meinem
Herzen Wegbekennen konnte.
In Ihm kann ich mich immer wieder fassen, so der Herr mir
ein Wort zum Segen aufgehen lässt…
Hülben, den 11. August
1803
… Meine große Tochter, 15 Jahre alt, hat ein Nervenfieber angefallen,
und dies ist eine so schwere Krankheit, dass es nicht zu beschreiben ist. Schon
gegen 8-10 Tage hat sie sehr heftige Schmerzen. Beten und Arzneien brauchen wir
sehr streng. Allein Gott verhielt sich als ein unbeweglicher Fels gegen uns.
Was für innerliche Versuche vom Satan auf mich losstürmten von Unglauben,
Zaghaftigkeit, Mutlosigkeit, das lässt sich nicht aufs Papier bringen. Je und
je sah ich noch in der größten Ferne im Wort Gottes ein Licht, das mir ein
Standort war und mich vor dem Versinken bewahrte.
In unserer Gemeinschaft sagte ein fremder Bruder, ein
krankes Kind habe ihn auch einmal so in Verlegenheit gebracht, bis er endlich
von Noah las, er habe aus dem Kasten eine Taube fliegen lassen, ob das Gewässer
nicht auch einmal abgenommen habe. Allein die Taube sei wiedergekommen, ohne dass
er etwas von Hilfe hätte schließen können. „Und Noah wartete noch sieben
Tage!" – „Und Noah harrte noch sieben Tage" – und die 3. Taube kam
nicht wieder zu ihm. Und so vernahm Noah, dass das Wasser abgelaufen sei, und
er tat das Dach vom Kasten, in welchem der Herr ihn verschlossen hatte. Das,
sagte der Bruder, habe ihn gestärkt, nämlich „sieben Tage und abermals sieben
Tage".
Und das hat auch mich gestärkt, denn, lieber Bruder, ehe
sieben Tage vergangen sind, wollte ich schon das Dach wegtun. Deswegen brauchte
ich den Doktor so streng, und weil ich und der Doktor dem Dach nichts
abbrachen, so riefen ich, mein Weib und die Kinder den Herrn an. Ich befahl
mich auch ins Gebet anderer Kinder Gottes. Allein es scheint, dass es immer
noch auf andere sieben Tage zu warten abgesehen sei. Auch jetzt noch, während
ich schreibe.
Ich kann nicht sagen, dass der Herr uns bis jetzt im Stich
gelassen habe. Nein, wir fühlten Ihn öfters aus der finsteren Wolke, in der Er
war. Aber doch wurden wir unter der Zeit inne, wie wir ein so gar trotzig und verzagt Herz haben…
Hülben, den 9. März
1804
… Soll ich mein Christentum in Kürze fassen, so muss ich
sagen, dass ich eben immer neue Gnade brauche. Ich muss alle Abend singen:
„Denn ich bin noch voll von Sünden in Gedanken, Wort und Tat." Ich meine
immer, es sollte doch auch einmal ein anderes mit mir werden. Je heiliger und
je braver ich werden will, desto unheiliger und unbraver muss ich mich finden!
Wenn das Wort Gottes nicht immer wieder den gnädigen Ausschlag gäbe, an dem ich
mich fassen könnte, so wüsste ich nicht, wie es ginge…
Hülben, den 9. Juli
1804
… Der alte Bruder Paulus, der uns kürzlich zweimal
nacheinander besuchte, kommt mir zu meiner Stärkung sehr wohl. Ich habe ihn
doch so gern in der Mitte, denn die alten Brüder sind wie die alten
Lagerbücher, aus denen man die Grenzsteine der Felder am besten finden kann.
Dahin rechne ich auch meinen lieben Bruder Rothfuß. Ich wünschte, Dich auch
näher bei mir zu haben. Doch meine ich, Du würdest mir zu hell sein. Doch, was
sage ich aber? Der Heiland ist noch heller, mit dem ich zu tun habe…
… Schreibt mir, inwiefern Ihr mit mir ansteht, damit ich
entweder gestärkt oder aber mehr erleuchtet werde. Ihr habt hier etwas
Gemeinschaftliches von meinem Lauf. Mein Weib sagt, sie sollte freilich auch
von ihrem Lauf etwas beisetzen, aber sie wisse keinen Anfang, viel weniger
einen Ausgang…
Hülben, Ende des
Sommers 1807
… In der Epistel vom letzten Feiertag schreibt Paulus 2. Korinther
4, 10: „Wir tragen allezeit das Sterben des Herrn Jesu an unserm Leib, auf dass
auch das Leben des Herrn Jesu an unserem Leibe offenbar werde." Also die
Lebenskraft Jesu bricht erst im Tode hervor. Wer sich demnach täglich in
Christi Tod hingibt, der wird auch des Lebens Jesu wesenhaft inne.
In unserer Gemeinschaft wurde vieles im Segen davon geredet.
Davon reden und das Geheimnis einsehen, ist zwar leicht, aber das Sterben ist
schwer. Ach Bruder, wie wehrt sich meine Natur dagegen…
Hülben, den 4. November 1807
… Letzthin hieß es in der Ordnung, in der wir
gemeinschaftlich in meinem Haus täglich lesen, Matthäus 4, 23: „Er machte alle
gesund, was auch einer oder der andere für eine Seuche an sich hatte." Ob
etwa einer seine Krankheit auch an sich hingesoffen
oder hingefressen oder hingehurt, so machte Er sie
doch alle gesund, ohne dass Er einem Vorwürfe gemacht hätte.
Ein solcher Heiland, dachte ich, ist doch der Mühe wert, dass man Ihn für einen Heiland ausschreit! Dass nur recht viel herbeikommen, um Sein Heil zu genießen…
Hülben, den 29. Januar
1812
… Unsere Gemeinschaft geht so in ihrem sehr müden Gang fort.
Fremde Brüder, die zu uns kommen, tun immer noch sehr gute Dienste, sonst würde
es noch elender aussehen…
... Ach wie wahr ist es doch, wenn man die vielerlei
Hindernisse betrachtet, die dem Reich Gottes im Wege stehen: Satan, der sinnet
auf allerlei Ränke, wie er die gute Sache entweder störe oder wenigstens
kränke.
Dem Satan sollten wir in unserer Zeit seinen Fleiß auch
ablernen. Wie er in seinem bösen Teil so ernstlich für seinen Vorteil sorgt, so
sollten auch wir im Guten sorgen, dass für die Ehre Jesu Christi und auch für
uns mehr Vorteil herauskäme.
Aber, lieber Bruder, ich muss zu meiner Schande sagen, dass
mich der Satan weit hinunter sticht. Ihm ist es ernst, für sein Reich zu
sorgen. Ich bin sehr fahrlässig, für das Himmelreich zu sorgen, für mich und
für andere. Ihr werdet denken, mein Ruhm sei nicht fein, und in der Tat, es ist
Wahrheit. Der liebe Gott schenke mir doch auch mehr Feuer und Ernst, die Sache
Christo umzutreiben, damit ich wenigstens nicht
zuschanden werde…
Hülben, den 20. März 1818
(Fünf Monate vor seinem
Heimgang)
Vielgeliebter Bruder!
In unserer Gemeinschaft geht es wie in einem Spital, wo es
verschiedene Patienten gibt. Gut ist es, dass sie alle dem Heiland gehören. Er
wird wissen, über alle Seinen Ruhm zu erhalten. Und daher empfehlen wir uns
immer aufs Neue Ihm und Seiner Gnade.
Was meine kränklichen Umstände betrifft, so weiß ich selbst
nicht, was noch daraus werden wird. Ich brauche schon geraume Zeit Arzneien.
Aber was sie gewirkt, verstehe ich selbst nicht. „Gott will's machen, dass die
Sachen gehen, wie es heilsam ist."
Mit diesem grüße ich Euch samt Weib und Kindern, wie auch
die ganze Gemeinschaft.
Euer Bruder Schulmeister Kullen