Emmi Busch

 

Ein Bündel Briefe

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1980 © Aussaat- und Schriftenmissions-Verkag GmbH, Wuppertal

Umschlag: Gerd Meussen, Essen

Satz: Bongers, Lünen

Druck: Aussaat-Druckerei, Wuppertal ISBN: 3-7958-0839-1


Inhaltsverzeichnis

 

Ein Erlebnis-Bericht anstelle eines Vorworts. 4

Ein alter Brief - ganz aktuell 4

Johanna Busch an ihre Hülbener Verwandten. 6

Briefe der Mutter 10

Zum Abschied von der ersten Gemeinde. 10

Zum Umzug in die neue Stadt 12

Gereimte Geburtsanzeige und Gratulationen. 14

Ein Geburtstagsbrief 17

Zum Verlust eines Sohnes. 19

Friedrich Busch an seinen Neffen Wilhelm Busch. 24

Von Elisabeth Krieger (Schwester von Wilhelm Busch), Edmonton/Kanada, an ihre erkrankte Nichte  26

Mittragen und Mitstreiten im Kirchenkampf 27

Briefe der Mutter 27

Pauline Kullen, die Schwester von Johanna Busch und Patentante von Wilhelm Busch, schrieb ihm ins Gefängnis. 31

Buschs Freunde Hagelloch grüßten den Gefangenen mit einem ganz besonderen Bibelwort 32

Nach der Entlassung aus dem Gefängnis. 32

Wilhelm Busch schreibt im Gefängnis in Gelsenkirchen. 34

Wilhelm Busch an die Eltern seines Patensohnes Heinz Stöffler, als dieser im Kriege gefallen war 38

Aus Briefen während des Krieges in Essen. 39

Wilhelm Busch zum Geburtstag der Mutter 48

Pastor Martin Niemöller schrieb an Wilhelm Busch. 50

Vom Soldaten Wilhelm Busch jun. aus Russland. 51

Als Wilhelm Busch jun. gefallen war, schrieb ein Glied der Marktkirchen-Gemeinde  53

Rundbrief von Pastor Hans Dannenbaum von der Berliner Stadtmission Weihnachten 1944  54

Aus Briefen nach dem Kriege. 55

Erste Berichte nach Kriegsende. 55

Von Margarete Busch an Familie Stöffler 58

Weitere Nachkriegsberichte. 60

Von Friedrich Müller, Rektor in Geliershagen bei Bielefeld, Vater von Emmi Busch  67

Emmi Busch über ihren kranken Mann. 69

Von Pastor Raeder, Berliner Stadtmission. 72

Bericht über ein aufregendes Erlebnis. 74

Aus dem Wirken einer Heimmutter 76

Von dem Kirchentagspräsidenten Reinold von Thadden-Triegiaff 78

Von einer dankbaren Kirchentagsbesucherin. 80

Wilhelm Busch an seinen Onkel Albrecht Kullen. 82

Wilhelm Busch an seinen Schwiegersohn. 84

Ein erschütterndes Echo auf eine Evangelisation. 86

Vom Freund, Bruder und Mitstreiter Pastor D. Paul Tegtmeyer 88

Zur Silberhochzeit 88

Zur Erkrankung der Mutter 88

Von Diener zu Diener 89

Nach dem Heimgang der Ehefrau. 90

Nach einer Tersteegensruh-Konferenz. 91

Elisabeth Busch an.ihre Schwester 93

Ein Briefwechsel zwischen Schriftleiter und Leser 96

Zeilen von Gustav W. Heinemann. 100

Nach dem Heimgang von Wilhelm Busch. 101

Von Oberkirchenrat Werner de Boor 108

Elisabeth Krieger, eine Schwester von Wilhelm Busch, schreibt aus einem Altenheim in Kanada  111

Zum Hochzeitstag der Kinder 115

An die kranke Großmutter von einer Enkelin. 116

Die junge Mutter Irmgard Kuhn lässt ihr Kleinkind erzählen. 117

Die alte China-Missionarin Marie Linz schreibt von ihrer Geburtstagsfeier 119

Briefe von „Bas". 121

Von Volkhard und Gerlinde Scheunemann, Batu/Indonesien. 133

Von Frau Toni de Boor 137

Präses Karl Immer an die Pfarrwitwen. 139

Von Dr. Wilhelm Jung. 140

Brief einer Zinti (Zigeuner)-Missionarin. 143

Hanna Stöffier berichtet über Luizhausener Weihnachten 1979. 145

Von Jakob Friedrich Kullen an Zeugmacher Rothfuß in Schönbronn. 148

 


Ein Erlebnis-Bericht anstelle eines Vorworts

 

Ein alter Brief - ganz aktuell

 

Wie glücklich sind wir nun fast zehn Jahre hindurch an unserer Wohnung in der Richard-Wagner-Straße gewesen! Jetzt bricht eine große Sorge herein:

Die Straße soll Zufahrt zur Autobahn werden, es muss mit einer Zunahme des jetzt schon starken Verkehrs um 100% gerechnet werden, nachts werden ratternde LKWs den Schlaf stören, die Luft wird von Autogasen erfüllt sein – ob wir dabei leben können?

Der Bürgerbauverein als Hausbesitzer legt den Mietern nahe, eine Eingabe zu machen und Einspruch zu erheben. Auf Bitte der anderen Hausbewohner soll ich diesen Brief schreiben, liege nun nachts stundenlang wach und bewege die ganze Angelegenheit. Wie kann ich unser Anliegen dringend genug machen, wie drücke ich es aus, amtlich und zugleich mit Herz? Wer soll das Ganze vorschriftsmäßig tippen? Und was soll werden, wenn die Stadt ihre Pläne doch durchführt trotz allen Protestes?

Die Sorge um unsere liebe Wohnung wird zu einem Alpdruck für mich. Mit meiner Unruhe gehe ich in den neuen Tag – und erlebe wieder einmal die wunderbare Hilfe Gottes: Als ich am Morgen unseren Briefkasten aufschließe, um die Post zu holen, fällt mir ein großes Kuvert von meiner Schwägerin in die Hand. Sie schickt mir die Abschrift eines Briefes meiner Schwiegermutter vom 19. Dezember 1921, den sie nach deren Heimgang im Jahre 1954 bei der Auflösung des Haushaltes mit mancherlei anderem Nachlass von Hülben mitnahm. Erst jetzt sei sie dazu gekommen, die alten Sachen zu ordnen, habe dabei nach fast 25 Jahren den wertvollen Brief gefunden und für die Geschwister abgeschrieben.

Mit Bewegung lese ich, wie meine Schwiegermutter ihren neuen Witwenstand schildert: „Witwe. – Das heißt weites Weh."

Ergreifend beschreibt sie ihr tiefes Weh, aber daneben die Geborgenheit im Herrn. Und dann lese ich den Satz, der meinem eigenen unruhigen Herzen einen schweren Stoß versetzt „Ich habe keine Angst vor schlechter Wohnung, wir warten ja auf die Stadt, die einen Grund hat, deren Schöpfer und Baumeister Gott ist…"

Das ist mir wie vom Himmel zugerufen, jetzt, gerade in meiner Situation. Darum musste dieser Brief mehr als 57 Jahre verborgen bleiben, damit ich ihn durch Engeldienste in diesem Augenblick in die Hand bekäme, da er mir zur entscheidenden Hilfe werden sollte.

Natürlich kann ich diese Erfahrung nicht für mich behalten, erzähle meinen Lieben davon und lese den kostbaren Brief auch einem guten Freunde vor… Ohne mein Wissen berichteter bei einer Besprechung im Schriftenmissions-Verlag davon, und kurze Zeit darauf erreicht mich ein Brief vom Verlag, in dem er mich bittet, von solchen Wertstücken „ein Bündel Briefe" zur Verfügung zu stellen zur Freude und zur Hilfe für Interessierte.

Gern komme ich hiermit dieser Aufforderung. nach, obwohl es sich dabei leider nicht ganz vermeiden lässt, dass die Familie Busch ein wenig in den Vordergrund gerückt wird. Doch wurde ich in meinem Vorhaben bestätigt durch ein Wort meines Mannes, das ich in einem Briefe las. Da schreibt er als junger Vikar im Jahre 1922 an seine Mutter: „Manchmal ist es mir ganz überwältigend, dass eine solche Frau, die so Briefe schreibt, sich diese Mühe nur mir zuliebe macht. Du treibst die großartigste Verschwendung, indem Du solchen Reichtum nur mir zuteil werden lässt…" So ist es gewiss in seinem Sinne, wenn wir hiermit auch andere an diesem Reichtum teilhaben lassen.

Nur damit wäre er gewiss nicht einverstanden, dass die Liebe vielleicht sein Bild verklärt. Er selbst würde vielmehr betonen:

 

„An mir und meinem Leben

ist nichts auf dieser Erd!

Was Christus mir gegeben,

das ist der Liebe wert."

 

Essen, im Frühjahr 1980                                                        Emmi Busch

 


Johanna Busch an ihre Hülbener Verwandten

 

Frankfurt, den 19. Dezember 1921

 

Meine Teuren!

„Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen. Der Herr ist nahe! Sorget nichts! Sondern in allen Dingen lasset eure Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden. Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu." –

Leset dies einmal Satz für Satz so durch, als habt Ihr's noch nie gehört.

Nun bin ich Witwe. – Das heißt: „weites Weh". Ich hatte furchtbares Mitleiden mit den Witwen durch meinen ganzen Ehestand hindurch, ich dachte, ich könnte nicht mehr ohne meinen Mann leben. Aber weich weites Weh es ist, weiß ich jetzt erst. Es ist soweit, wie die ganze Welt und der Himmel weit ist, und so tief, viel tiefer als das tiefste Meer, es ist so unendlich und so unsagbar, solch ein Weh, dass man es gar keinem einzigen Menschen sagen kann, nur einem könnte man's sagen, und der ist ja nicht mehr da. Aber dem Heiland kann man's sagen, und er deckt mich mit seinen Wunden und seiner Liebe so, dass ich nur Sekunden lang ins „Weh" sah bis jetzt und nur unseres lieben Heilandes größte Liebe sehe. „Er ist auf Erden kommen arm, dass er unser sich erbarm."

Nach dem Tod meines lieben Mannes stürzte ich mich in die Arbeit, wollte noch etwas räumen von all dem, was sich in den 15 Jahren von Ballast angesammelt hatte. Da fiel ich auf nassem, frisch geputztem Boden im Hausgang so, dass ich nicht mehr aufstehen konnte. Meine Kinder trugen mich ins Bett und hatten großen Schrecken und ich Schmerzen am Knie bei jeder Bewegung. Ich lag 14 Tage, jetzt humple ich wieder herum, es ist fast gut, doch noch nicht völlig. Ich sah erst, was wir zu danken haben, dass unser lieber Papa keine Pflege brauchte, er konnte allein aus dem und ins Bett bis in die letzte Stunde. Ich hatte es sehr gut. Mit viel Liebe gepflegt von meinen teuren Kindern. Sehr viele Besuche, denen ich allen von dem seligen Sterben meines lieben Mannes erzählte.

Es ist rührend, wie Hoch und Nieder bei mir um meinen Mann weint. Frau Geheimrat Spieß, die Frau des ersten Professors Dr. med. hier, sagte: „Er war ein Fels für uns in Frankfurt" – und saß an meinem Bett und weinte, ebenso wie Donners Dienstmädchen, die so gern ins Stündle kam: „Er war uns ja allen ein Vater." Die alte Ex. Schmidt und die junge Frau Major, deren Mann gefallen ist, trafen sich bei mir, kannten sich nicht, aber weinten zusammen, und die junge Frau sagte, er war uns nicht nur Pfarrer, er verstand uns so menschlich, wie ein Freund und Bruder trug er mit uns. Frau Gräfin saß an meinem Bett und sagte: „Ich habe am Sarg Ihres Mannes ihm noch gedankt, dass er mir half, dass ich jetzt ein anderes Verhältnis hab' zu meiner Schwägerin." Sie wolle es auch mir aussprechen, dass sie es nur meinem lieben Mann danke. – Sie schrieb einmal, und darauf hatte ihr mein Mann so sehr deutlich und so klar, wie es scheint's Gräfinnen sonst nicht hören, gesagt, was der Christen erste Pflicht sei, dass sie Frieden halten und Liebe üben.

Auch ein Theologe aus Württemberg saß an meinem Bett, die Kinder sagten: „Du musst ihn noch sprechen, er besucht ja fast nur liberale Pfarrer hier." Auch ganzarme Weiblein kamen, die man unterstützte, und drückten ihre Liebe aus, und Eisenbahners Frauen, die ein Körble Kartoffeln und Gemüse brachten, nur weil Herr Pfarrer sie so oft besuchte, als sie in Krankheitsnot waren. Ganz weltliche Männer, die nie zur Kirche kamen, jammern den Küster an: „Warum haben Sie denn unsern Pfarrer Busch sterben lassen, was fangen wir denn an, wenn wir den nicht mehr haben'?"

So höre ich nur von Liebe und Teilnahme. Und wenn ich allein bin, habe ich Gemeinschaft mit der oberen Schar, da kann ich nicht trauern, das ist himmlische Herrlichkeit. Offenbarung 21, 22 und Lukas 12, 37 freuten mich besonders. Aber auch die Glaubenshelden Hebräer 11. Und ich habe keine Angst vor schlechter Wohnung, wir warten ja auf die Stadt, die einen Grund hat deren Schöpfer und Baumeister Gott ist.

Ja, wir haben diesen Herbst die kolossale Teuerung auch gemerkt. Als mir der Landwirt absagte, wo ich Kartoffeln bestellt hatte, so spät, dass ich nur noch zum Händler konnte, da sagte ich zu Herrn Schröder: „Wo soll das hinaus? Als ich nach Frankfurt kam, kostete 1 Zentner Kartoffeln 3 Mark, und jetzt 130 Mark."

Aber als das Weh über mich kam, wurden alle anderen Sorgen verdeckt. Ich weiß, dass ich keinen Versorger mehr habe, aber ehe mein lieber Mann ging, hat er uns so ans reiche Vaterherz Gottes gelegt, dass ich auch noch dort liege, wenigstens ihm unser äußeres Leben voll und ganz in Ruhe überlasse. Es ist mir so vollkommen einerlei, und ich möchte mit Paulus sagen: „Ich habe gelernt, worin ich bin, mir genügen zu lassen. Ich kann niedrig sein und kann hoch sein, ich bin in allen Dingen geschickt, beides, satt sein und hungern. Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus."

Aber ich habe jetzt noch gut reden, sitze noch in unserer Villa, dem schönsten Haus Frankfurts, und habe noch das alte Gehalt. Und Ihr Lieben schicktet mir Butter, und hier haben sie Hasen für uns geschossen. Wir leben besser als zu Papas Zeiten, aber das ist ja kein Wohlleben für mich, es tut mir wehe, dass er's nicht besser hatte, mein süßer Schatz.

Wenn ich mich dem Schmerz hingebe, versäume ich etwas an meinen Kindern. Z. B. gestern Morgen erwachte ich und dachte, ich hätte nach den Konfirmandenstunden mit einer Erfrischung bereitstehen sollen, ehe er wieder ins Marthahaus oder zu seinen „Brüdern" oder in eine Sitzung ging. Da fiel mein Blick in der Kirche auf meinen Sohn Wilhelm, der so elend da saß, und mir fiel ein, dass er ohne Morgensuppe ins Vereinshaus stürzte, wo er Frühgottesdienst hatte, und von dort gleich in Greiners Predigt ging, da sie denselben Text hatten, hörte er's besonders gern. Da hätte ich ja lieber meinen Sohn abpassen sollen mit einem Teller warmer Suppe, als über Versäumtes Leid zu tragen.

Wie viel wollte ich Euch noch erzählen.

Es ist mir zum Dank, dass wir noch so schöne Jahre zusammen hatten, mein Mann und ich. Ich stand nicht mehr so im heißen Mittag des Lebens, ich konnte mich viel meinem Mann widmen. Wir haben es genossen wie Brautleute, dass wir z. B. keine Kohlen haften und mein Mann bei uns im Esszimmer arbeitete, war zu schön für mich. Oft begleitete ich ihn auf den Friedhof öder Baslerhof, nur um bei ihm zu sein.

Frau Schopf schrieb, mein Mann habegesagt: „Es wird immer schöner bei uns." Wir haben unser großes Glück unendlich genossen, unsere Liebe wurde immer grüner und jünger. Und die hat nicht aufgehört. Der Liebste ist beim Heiland, und ich bin auch beim Heiland, es ist nicht diese Kluft, wie ich's gedacht hätte.

Ich fragte Johannes kürzlich, was denn Papa noch gesagt habe, als er die erste Nacht wachte. Da sagte er, Papa habe gesagt: „Was ist es, wenn die Ewigkeit über einem Haus steht!" Und dann: „Ihr müsst Mama auf Händen tragen." – „Ihr müsst sehr zart mit Mama sein, sie kann's fast nicht tragen." – „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein."

Im Kinderzimmer ist ein Indianerzelt aufgeschlagen. Da spielen Friedrich, Mäxle und Eberhard mit Schild und Speer, mit Helm und Panzer. – Oder es durften alle 5 Buben von 4 Eiern Springerlein ausdrücken und ziemlich Teig versuchen. Es sind ja alles Halbwaisen, sie sollen Freude haben, so gut es geht. Eurer Teilnahme und Fürbitte bedürftig

Eure Frankfurter

 


Briefe der Mutter

 

Frau Johanna Busch, geb. Kullen, Mutter von drei Theologen-Söhnen Wilhelm, Johannes, Friedrich und von fünf verheirateten Töchtern stand im lebhaften Brief-Verkehr mit ihren Kindern, zunächst von Frankfurt aus, später aus ihrer Heimat Hüben.

Eine Auswahl davon findet sich in dieser Zusammenstellung, zum Teil in Auszügen. Liebevoll verfolgt sie den Weg ihrer Kinder.

 

Zum Abschied von der ersten Gemeinde

 

6. August 1924

 

Meine herzlieben Kinder!

Meine Seele ist tief bewegt vor Freude und Dank, aber auch von Wehmut, dass doch manches in der Welt so schnell vorübergeht. Aber weil alles so ganz ungesucht und ungewollt an Euch herangetreten ist und die Wahl so unerwartet auf Dich fiel, wollen wir glauben, dass Gottes gnädiger Wille Euch nun nach Essen ruft.

Und wenn Er sagt: „Gehe aus! ", dann geht eben ein Abraham mit seiner Sara, auch wenn das Ausgehen manche Mühsale und ein großes Dahintenlassen von viel Lieben bedeutet. Und ich möchte von ganzem Herzen beten: „Hebe an zu segnen! Was Du, Herr, segnest, das ist gesegnet ewiglich."

Sein Segen setze Euch jetzt noch zu reichem Segen noch jeden Augenblick, den Ihr Lieben in dem mir so lieben Petri-Pfarrhaus und Gemeindehaus sein dürft. An Kranken und Gesunden mögen Eure Worte Kraft, Frucht und Leben schaffen! Es ist so viel Verzagtheit und Verzweiflung durch Arbeitslosigkeit und Geldmangel. Möget Ihr noch denen begegnen, denen Ihr von unserem lieben reichen Heiland sagen dürft, so dass sie Ihn auch aufnehmen und Gottes Kinder werden.

Gott setze Euch zum Segen für Eure Jugend, die Euch der liebe Gott in den Vereinen schenkte, dass Ihr ihnen noch die eine köstliche Perle zeigen dürft, dass sie nicht länger suchen, sondern alles andere verkaufen und sich dieses köstlichen Kleinods freuen und ihre Jugend und ihr Alter dadurch selig wird.

Gott segne Euch beide und erfülle Eure Herzen jeden Morgen mit Seinem Heiligen Geist, dass Euer Lebensschifflein so im Heiland verankert ist, dass die kleinen täglichen Übungen und Unvollkommenheiten des Lebens Euch nicht berühren noch wankend machen dürfen, und dass es immer mehr heißt wie in dem württembergischen Trauformular: „… dass jeder darauf bedacht sein möge, dass eins das andere mit sich in den Himmel führe."

Ich wollt, ich wäre noch mal junge Pfarrfrau und könnte die Arbeit meines Mannes betend begleiten, betend hinter ihm stehen bei jeder Konfirmandenstunde, bei jeder Sitzung, jedem Hausbesuch etc. Da habe ich viel versäumt. Bei Predigten tat ich's schon, das spürte Papa. Gott mache Dich, liebstes Emmilein, zu solcher stillen Beterin, dann wirst Du Wunder erleben…

Nun soll Gottes Segen mit Euch ziehen, Euch tüchtig machen, dem armen besetzten Volk von der Freiheit der Kinder Gottes zu sagen, die in Ketten singen und Gott loben dürfen. Den armen Arbeitern, dass sie Könige und Priester schon auf dieser Welt sein dürfen.

Gott schenke Euch Seinen Geist, dass Er Euch lehre, was nützlich ist und wie Ihr mit den Müden zu rechter Zeit reden könnt, das Rechte dem Armen und dem Reichen zu sagen.

Machet Euch nur recht in die Bibel hinein, in die Schriften der Alten, die aus der rechten Quelle tranken, dann wirst Du Dich nie auspredigen, mein Herzenssohn. Er schenke Euch auch die Liebe Eurer Kollegen und erhalte sie Euch!

 

„Wer fein niedrig einherschleicht,

wird von keinem Fall gebeugt,

wer gering ist ohne Pracht

und allein die Demut acht',

der ist Gottes lieber Knecht,

Seine Weisheit führt ihn recht",

 

schrieb ein alter Vater Kullere seinem Sohn ins Notenbuch.

Innig

Eure Mama

 


Zum Umzug in die neue Stadt

 

5. November 1924

 

Meine geliebten Kinder!

Morgen ziehet Ihr in Essen ein. Ich begleite Euch die ganze Woche des Abschieds, auch mir tut's weh, dass Ihr das bequeme, kleine, sonnige Heim nun verlassen müsst. Aber der Gott, der Euch bis jetzt so reich gesegnet hat, Er wird mit Euch ziehen und wird die Hand nicht abtun noch Euch verlassen.

Er stellt nun Euren Fuß auf weiten Raum. Möge Euch Essen eine ebenso liebe, traute Heimat werden – soweit die Erde uns Heimat ist –, dass es Euch wohl und warm wird und allen, die unter Eurem Dache einkehren, dass jeder etwas von dem spürt, dass bei Euch ewige Heimatluft weht und Ihr nur Gäste und Fremdlinge auf dieser Welt seid, aber allen den Weg zur wahren Heimat zeigen möchtet.

Gott rüste Euch aus mit Seinem Heiligen Geist. Es sehen so viele auf Euch, und so vieles stürmt zusammen. Mögen Eure Seelen im Heiland verankert sein und nicht unruhevoll schwanken bei den Umzugsstürmen!

Gott beschütze namentlich auch Euer süßes Kindlein, dass sich's nicht erkältet auf der Winterreise und ihm der Wechsel nicht schadet.

Ich las heute Abend vom König Saul. Gott bewahre uns vor uns selbst und schenke uns Demut, Sanftmut, Mut und Kraft!

Ich lese, es schläft noch alles – 6 Uhr morgens – meine 2 Kapitel. 2. Korinther 5 und 6. Es ist alles wie für Dich, mein lieber Sohn. Er hat auch Dir das schöne Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Werde ein rechter Einlader, dass die Tische einst auch durch Dein Einladen voll werden! Gott helfe Dir, dass Du allen zeigen kannst, dass des Heilands Gerechtigkeit das hochzeitliche Kleid ist. Bete um Weisheit, dass Dir der liebe Gott die Worte schenke, die jeder versteht, nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem Herzen.

Wie ist Gottes Wort so köstlich! Ich erlabe mich daran mit allen Zügen. Kapitel 6, 10. Und der Schluss möge sich an Euch herrlich erfüllen: „Ich will unter ihnen wohnen und unter ihnen wandeln…" Es kam mir so gar schön vor, wenn der allmächtige Herr als Vater Eure noch kahlen Zimmer durchwandelt und Euch alles heimisch und himmlisch schön macht mit Seiner Nähe und Liebe.

O, meine lieben Kinder, was wünsche ich Euch alles! Leget Euch kindlich fröhlich in des lieben Heilands Schoß, und seid immer nur lieb mit allen, auch mit den Hausgenossen!

Innig küsst Euch

Eure Mama

 


Gereimte Geburtsanzeige und Gratulationen

 

Die jungen Eltern Wilhelm und Emmi Busch zeigten die Geburt ihres dritten Kindes mit einem Vier-Zeiler an.

 

„Wir fordern alle Lieben auf,

sich recht mit uns zu freu'n,

denn Gottes Güte schenkt' uns heut

ein herzig's Töchterlein!"

 

Darauf erhielten sie viel fröhliches gereimtes Echo.

 

Z. B.:

„Da lacht mein altes Onkelherz

und freut sich wie noch nie:

Ein herzig's Töchterlein ist da,

und Onkel bin ja i."

(Johannes Busch)

 

 

Oder:

„Wir haben uns mit Euch gefreut.

Gott segne Eure Kleine.

Wir wünschen Euch, Ihr lieben Leut,

so jedes Jahr noch eine."

(Wilhelm Böhm)

 

Ganz besonders originell war der Brief ihres alten Bielefelder Kollegen Kortmann von der Petrigemeinde (am Finkenbach):

 

 

Bielefeld, den 2. Februar 1927

 

Lieber Bruder Busch!

Wohl mancher seufzt in unsrer Mitte:

„Mein Gott, in Essen schon das Dritte!"

und schüttelt sorgenvoll den Kopf

und denkt an Buschens Suppentopf!

Doch Onkel Petrus mit Bedacht –

seht nur, wie er vergnüglich lacht –

zieht breit den Mund und denkt dabei

an eigne Kinderkriegerei.

Kaum, dass das erste richtig lief,

das zweite noch nicht „Papa" rief,

so war, eh' man sich des versah,

auch schon, juchhei, das dritte da.

Und kaum war das ganz stubenrein,

da hört man schon das vierte schrein.

Und wiederum nach kurzer Dauer

stand schon das fünfte auf der Lauer.

Und kaum verstrich nach dem ein Jahr,

kommt Nr. sechs zur kleinen Schar.

Ein halbes Dutzend in der Reihe,

drei Söhne und der Töchter dreie.

An allen Ecken krabbelt's rum,

mit Staunen sieht's das Publikum.

So werd's auch Euch von Gott beschert.

Er ist's, der gibt und auch ernährt.

Und gibt er mehr, auch Nr. sieben,

ganz ohne Ende ist sein Lieben.

Ja, wären's acht, ja, neun und zehn,

stets größere Wunder sollt Ihr sehn.

Und würde gar das Dutzend voll –

man kriegt ja, wie man's haben soll –,

er hebt und trägt in treuster Pflege,

bahnt unserm Fuß des Lebens Wege,

gibt Speise uns für Leib und Seele

und sorgt, dass es an keinem fehle.

So sprich bei jedem froh: „Willkommen,

du bist hier gastlich aufgenommen.

Doch schlag mir nicht so lauten Krach,

und mach mir nicht die andern wach!

Und drängt dich etwas innerlich,

mein Freund, beizeiten melde dich!"

Also, mit altem Bergmannsgruß

„Glückauf" für Herz und Hand und Fuß.

Gott mög in seiner Gnade walten

ob all den Jungen wie den Alten.

Er geb dem Jüngsten froh Gedeihn

und Stärkung seinem Mütterlein.

Das wünscht Euch allen unvergessen

im fernen kruppberühmten Essen

mit allen unter seinem Dach

der

Onkel an dem Finkenbach

 


Ein Geburtstagsbrief

 

Johanna Busch an ihren Sohn Wilhelm

 

22. März 1932

 

Mein Herzenssohn!

Heute ist solch heller Sonnenschein, da gehen meine Gedanken zurück nach Eiberfeld zu dem wunderbar strahlenden, blühenden, grünenden Frühling, wie ich ihn vorher nie gesehen hatte, als Du mir von Gott geschenkt wurdest. Der Einstand in Elberfeld war in Kälte und Trauer, da die liebe Tante Elisabeth starb von 3 Kinderlein weg, und wir waren so arm. Aber da war Deine Ankunft, als habe sich für mich die ganze Welt in lauter Freude und überirdischen Frühling verwandelt. Das Pfarrhaus stand so hoch und unter uns nur Gärten mit blühenden Obstbäumen.

Ich hatte als Braut in Frl. Holzrichters Garten schon einmal solch einen unbeschreiblichen Blick gehabt von ihrem Haus aus auf den erwachten Frühling und alle Jugend, die im Garten spielte. Aber in Elberfeld im März war's noch herrlicher, weiter der Blick und größer die Wonne an unserm Buschsohn.

Ich danke Dir für alle Freude, die Du Deinen Eltern bereitet hast. Wie konntest Du dich freuen an ganz Kleinem, und wie stehst Du vor mir so zierlich süß, als Du nach einer Krankheit zum zweiten Mal das Gehen lerntest und Dich an dem kleinen Fensterle auf dem Treppenabsatz im alten Schulhaus in Hülben, wo man auf den Speicher geht, unterhalten hast im gelben Kleidlein mit roten Pünktchen.

Wie hatte ich Zeit, als ich das Bein gebrochen hatte und Du so klein warst, Deinem fleißigen Spiel mit Wonne zuzusehen! Wie warst Du später der große Bruder, erfüllt mit den schönsten Plänen zum wunderbaren Spiel, das durfte ich erleben.

Als ich die wunderschönsten Männerchöre gehört hatte, die der liebe Kaiser mit der goldenen Kette und mit seiner Anwesenheit ehrte, und davon heimkam – Papa war gerade von seinen Amtshandlungen her auch hinter dem Haus bei Euch und so überglücklich –, da dachte ich: „Wie konnte ich nur weggehen, so schön wie bei uns ist's ja gar nirgends auf der Welt!"

Gott hat Dein Leben bewahrt und Dir solch köstliche liebe Familie geschenkt, ein herrliches Amt und Freudigkeit dazu. Gott erfülle Dich täglich mit seinen hohen Geistesgaben, dass Du allen Menschen so wohl tun kannst, wie Du mir wohlgetan hast im Januar.

Er schenke Dir solchen Segen bei jedem Wort, wie ich gesegnet wurde in Essen. Was Du den Arbeitslosen sagtest in der Bibelstunde, kommt mir wie die schönste Zusammenstellung der Heilslehre vor, die ich je hörte: 1. Mose 1. Nach dem Ebenbild Gottes erschaffen…

in Liebe

Deine Mama

 


Zum Verlust eines Sohnes

 

Ende Januar 1933 mussten die glücklichen jungen Eltern Busch ihren Lieben mitteilen:

 

„Gottes Hand liegt schwer auf uns. Wir fanden unseres Hauses Sonnenschein, unser liebes Eberhardlein, tot in seinem Bettchen."

 

Darauf gaben ihnen viele liebe Briefe reichen Ewigkeitstrost.

 

 

Gertrud Pape:

„Gottes Hand" ist es, die nimmt, wie sie gibt. – Unbegreiflich in spendendem Schenken – unbegreiflich in jähem Abbrechenlassen des eben geschaffenen Lebens.

„Was unser Gott geschaffen hat, das will er auch erhalten", haben wir bei Eberhards Taufe gesungen. Und das ist ja sicher wahr – aber nicht für Euch in Eurem irdischen Leben. Nicht durch Euch in fürsorgender Liebe und Treue – sondern wie Gott diese, seine Menschenschöpfung erhält und vollendet, das ist sein Geheimnis, in das wir nicht schauen können. Davor stehen wir nun als die Glaubenden – im Glauben an den Schöpfer, den Erlöser, den Heiligen Geist.

„Ich will sie in Seilen der Liebe leiten", war der Text der Taufrede. Ihr dachtet es Euch anders bei der wunderschönen Taufe. Aber sicher gehört auch dies uns unbegreifliche Tun Gottes hinein in das Leiten in Seilen der Liebe.

Nun müsst ihr vielleicht durch dies dunkle Tal gehen, damit Ihr 2. Korinther 1, 3-4 noch besser lernt – auch im Hinblick auf den Dienst an der Gemeinde, zu der Ihr berufen seid.

Für Eberhardlein darf man sicher am wenigsten klagen. „Seine Seele gefiel Gott wohl, darum eilt er mit ihm hinweg aus diesem bösen Leben." So könnte man immer noch sagen. Ihr lest gewiss mit tiefer Bewegung alle Paul Gerhardts schöne Liederausklänge, die unsere Herzen hineinrufen in den himmlischen Garten, wo der himmlische Gärtner ein jedes Blümelein hegt und pflegt, dass es etwas ist zu Lob und Preis seines Schöpfers.

Jetzt ist die andere Welt, von der Ihr so gern gesungen, Euch so nahgerückt Euer eigen Fleisch und Blut, Euer Jüngstes geht Euch voran, um mit seinen schwachen Händlein Euch die Tür immer so ein wenig offen zu halten, dass „der Morgenglanz der Ewigkeit" noch leuchtender und wirklicher hineinflute in Euren Alltag, und zwar so, dass Euch eine andere Seite von Gottes Wirken, Gottes Welt, von dem Leben, das er schafft und erhält, aufgeht in dem Stückweisen Erkennen – des Wandelns im Glauben und nicht im Schauen.

Gott weiß warum. Und Ihr werdet Euch auch jetzt von ihm führen lassen in Seilen der Liebe. Wenn auch Seile zuweilen reiben und verwunden können…

 

Lydia Busch:

Ich habe nur immer wieder schreien können: „Mein Gott, warum hast Du uns verlassen" – bis ich heute Abend den Vers aufschlug: „Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird seine Lämmer in seine Arme sammeln und an seinem Busen tragen."

Sollten wir solche Seligkeit Eurem lieben Sohn nicht gönnen?

 

Fritz Bopp:

Was Gott tut, ist uns, die Seine Gnade trägt und bewegt, nicht „rätselhaft', sondern „wunderbar". Wer von uns weiß, wo jetzt hier das Wunder liegt? Der Herr wird es offenbar machen zu Seiner Zeit. Der Name des Herrn sei gelobt!

So müssen wir ringen, dass wir stille werden. Mir geht der Vers durch den Sinn: „Du weißt, woher der Wind so stürmisch weht."

 

Fritz Busch:

Was hülfe meine Teilnahme, wenn ich nur davon zu schreiben hätte, Euch; die Euch vielleicht in diesen Tagen die natürliche Öde im Herzen und der Anschein der Sinnlosigkeit bei diesem Sterben zu einer satanischen Versuchung wird, die gefährlicher und tödlicher sein könnte als der Tod selbst. ich würde es nicht wagen, das bittere Schweigen; das Euch umgibt, mit eigenem Bemühen, des Todes Bitterkeit zu vertreiben, zu unterbrechen.

Aber wenn wir überhaupt durch Gottes Gnade füreinander Botschafter an Christi Statt werden dürfen, dann lasst es Euch mit aller Kraft durch meinen schwachen Mund zurufen: Auch Trübsal geschieht Euch zu Trost und Heil. Jesus lebt! „Er reißet durch den Tod!"

Und wenn Euch jetzt alles den Keim des Todes in sich zu tragen und das ganze Leben verbittert zu sein erscheint, dann denkt doch daran, dass Christen den Keim des Lebens in sich tragen, dass sie ihre Häupter erheben dürfen, weil sich ihre Erlösung naht, gerade wenn Trübsal, Traurigkeit, der große Kampf des Leidens, wovon das Neue Testament immer spricht, den Höhepunkt erreichen.

Werft Euer Vertrauen nicht weg! Um Eurer anderen Kinder willen lasst Euch durch den Schmerz nicht übermannen. Jesus hat's ja gesagt: „In der Welt habt ihr Angst." Es ist das Grundgesetz des Reiches Gottes, dass es nach dem Kreuz zur Auferstehung kommt, dass es durch viel Trübsale zur Herrlichkeit geht.

Und wenn Ihr nun im Sichtbaren, im Leiden, zu Nachfolgern Christi werdet, dann möge Euch auch der Blick für das verborgene Leben mit Christus in Gott geöffnet werden, für das Leben, das am Kreuz angefangen hat. Wir sehen nur Tod. Gott aber verheißt, dass Er auch diesen „nichtigen Leib", der nicht länger leben konnte, den kleinen Eberhard, verklären werde, dass er ähnlich werde dem verklärten Leibe Jesu.

Und wenn Euch dieser Blick verdunkelt ist und Ihr Gottes freundliches Angesicht nicht seht, dann denket, dass im Sturm, Feuer, Erdbeben Gott ja gar nicht ist, dass das nur Gottes Vorboten sind. Gott kommt erst hinterher, und wo Er kommt, da ist Sein Angesicht voll Leben und Gnade. Er kommt im stillen, sanften Sausen.

Unsere Zeit steht in Gottes Händen. So wie Ihr das Kind in Euren liebenden Armen getragen habt, so hat Gott jetzt die Zeit dieses Kindes umfasst, umspannt mit Seinen Händen. Und das schnelle Ende dieses kleinen Lebens ist nicht weniger von diesen Händen getragen als sein fröhlicher Anfang.

 

„So wein ich, wenn ich wein', doch noch mit Loben,

das Loben schickt sich fein zu solchen Proben.

Man kann den Kummer sich vom Herzen singen.

Nur Jesus freuet mich, dort wird es klingen."

 

Elisabeth Krieger:

Als unser Kindlein starb, sagte ich zu Hannes: „Nun muss es sich entscheiden, ob unser Glaube nur Bluff war oder eine gewisse Hoffnung des, das man nicht sieht." Aber wie oft mussten wir unter Tränen sagen wie jener bekümmerte Vater: „Ich glaube, lieber Herr, hilf meinem Unglauben."

Wir bitten und flehen sehr für Euch, dass Ihr immer die starken Heilandshände festhalten könnt. Dann bleibt Ihr auch stets in nächster Verbindung mit Eurem Söhnlein. Denn Er trägt es in Seinen Armen, und es darf ruhen in Seinem Schoß.

„Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und Seine Treue ist groß. Der Herr ist mein Heil, spricht meine Seele, darum will ich auf ihn hoffen."

 

Gottlob Mayer:

Professor Kähler von hier, der in letzter Zeit vorübergehend Preußischer Kultusminister war, verlor vor einem halben Jahr sein Lieblingskind, die an Pastor Pfannschmidt verheiratete jüngste Tochter Luise. Sie wurde auf dem Dorffriedhof neben der Kirche, wo ihr Mann noch heute Pastor ist, beerdigt. Als letzter trat zum Erdwurf Professor Kähler, der Vater, ans Grab. Totenbleich. Mit fester Stimme aber sagte er: „Wer lange lebt, bleibt lang im Leide. Wer frühe stirbt, kommt bald zur Freude. Lebe wohl, mein Kind!" Das machte auf die große Trauergemeinde den tiefsten Eindruck.

Gott tröste Euch Eltern mit der Gewissheit, dass das, was wir in Gottes Hände zurückgeben, uns ewig unverloren bleibt. Das Vöglein ist nur über den Gartenzaun geflogen und singt in einem schöneren Garten weiter.

 

Elisabeth Hege:

Noch nie habe ich den Vers „Wenn kleine Himmelserben in ihrer Unschuld sterben, so büßt man sie nicht ein, sie werden nur dort oben vom Vater aufgehoben, damit sie unverloren sein!" so verstanden wie jetzt. Ist es doch solch tröstlicher Gedanke, dass er „daheim" ist. Ob auch er jetzt nicht denkt: „Das Los ist mir gefallen aufs Liebliche"?

Was mag dies kleine Menschenleben uns wohl zu sagen haben? Denn für sich selbst hat es Gott doch gewiss nicht für so kurze Zeit auf diese Erde geschickt. Ob es nicht darum kam, dass sein Leben und sein Sterben seiner Umgebung etwas zu sagen hätte? Ich weiß noch so genau, wie Du, liebe Emmi, einige Tage nach der Geburt sagtest: „Gott hat uns bisher nur Freude beschert, was muss Er noch alles an Leid für uns bereit haben." Und nun ist es durch den kleinen Eberhard so greifbar deutlich zu Euch gekommen, ohne dass Du es damals wohl geahnt hättest.

Gott führe Euch nun zu Seinem Licht, in dem Ihr Trost und Kraft findet für Euren Schmerz.

 

Theodor Barner:

So dunkel Gottes Tun oder Zulassen in solchen Fällen ist, wir halten doch fest, dass Seine heilige Liebe dahinter steht. Wäre es uns selbst zumute, als ob ein Gericht Gottes sich über uns da offenbarte, so wäre es doch ein Gericht verbunden mit Gnade, der ganzen vollen Gnade. Und so sollten wir nicht den Richter, sondern den Vater sehen in solchem Leid. Den Vater, der nicht weichlich ist und der Seine Kinder hart züchtigen kann, der aber Seine Gnade ihnen nicht entzieht, sondern väterlich gesinnt bleibt.

Mir sagte einmal vor Jahren ein Amtsbruder, den ich nach seinem Familienstand fragte: „Ich habe sieben Kinder, sechs auf Erden und eins im Himmel." So habt Ihr auch noch Eure fünf Kinder. Nur eines davon im Himmel. Ihr werdet merken, dass das auch noch ein Reichtum ist.

„Der Herr machet arm und machet reich." Es war mir bei diesem Wort immer tröstlich, dass das Reichmachen das Letzte ist. So wird es Euch auch gehen. Das „Armgemachtsein", das Ihr jetzt spürt, führt zum „Reichgemachtwerden", ja es trägt das „Reichwerden" schon in sich.

 


Friedrich Busch an seinen Neffen Wilhelm Busch

 

Friedrich Busch war der jüngste der drei „Theologensöhne". Seit dem Jahre 1936 leitete er das Gemeinschaftsbruderhaus in Preußisch-Bahnau. Er ist 1944 in Russland gefallen. Bei dem Neffen handelt es sich um den Sohn von Wilhelm und Emmi Busch.

 

 

im Jahre 1938

 

Lieber Konfirmand Wilhelm!

So gerne hätte ich an Deiner Konfirmation teilgenommen, sind wir doch als alte Freunde Hülbens eng verbunden. Und sowie wir beide untereinander verbunden sind dadurch, dass wir gemeinsam diesen Ort so lieb haben, so sollten wir wohl auch verbunden sein dadurch, dass wir gemeinsam den Herren lieb haben, zu dem Du Dich in der Konfirmation bekennen wirst, dem Dein lieber Vater mit seinem Leben und Beruf dient, dem Deine Mutter, Deine Großeltern dienen und dem auch ich dienen möchte.

Eine der törichtsten Angewohnheiten des menschlichen Herzens ist der Zweifel. Besonders in den Jahren nach der Konfirmation spielt er eine Rolle. So wie man bei jedem Spiel mit einem „Wurf" würfelt, so wird man, wenn man mit „zwei" herumspielt, zweifeln; d. h. wenn man nie weiß, was man machen soll, wenn man immer zwei Möglichkeiten hat, wenn man sich immer überlegen muss, welchen Weg man gehen soll, ob man nicht doch eine andere Richtung einschlagen soll als die, die richtig ist. Das Gegenteil von diesem „Zwei"-feln ist die Gewissheit. Wenn ein Richter eine zweifelhafte Angelegenheit durch seine Untersuchung aufdeckt, so dass alles ganz klar wird, dann sagt man: „Er hat den Angeklagten überführt." Dann ist zwischen ihm und dem Angeklagten gar nichts Unklares mehr, sondern alles ist taghell, es gibt nicht mehr zwei Möglichkeiten, sondern nur noch eine Wahrheit.

Die Bibel sagt, wenn wir in Umgang kommen mit den Worten des Herrn Jesus, dann werden wir immer mehr überführt, dann ist zwischen uns und dem himmlischen Richterstuhl alles taghell. Ich wünsche Dir zu Deiner Konfirmation diese Helligkeit und dass sie über Deinem Leben bleibe. Die Bibel nennt diese Helligkeit „Gnade und Wahrheit". Dann wird es immer heißen: „Ich bin gewiss"! Dann fragt man nicht bei jedem kleinen Seitenweg: „Darf ich den beschreiten?" Man fragt überhaupt nicht dauernd: „Was darf ich?", sondern man fragt jeden Morgen: „Was muss ich?" Da gibt es dann nicht 1000 Wege und Abwege, sondern immer den einen guten Willen Gottes.

In Eile

Dein Onkel Fritz

 


Von Elisabeth Krieger (Schwester von Wilhelm Busch), Edmonton/Kanada, an ihre erkrankte Nichte

 

Meine sehr liebe Lisa,

durch Deine liebe Mutter hörte ich, dass Du so sehr viel und schwer leiden musst in großen Schmerzen. Das ist mir leid um Dich und alle Deine Lieben.

Ich besuchte eine Frau. Sie leidet schwere Schmerzen und ist ganz verkrüppelt an Rheumatoid Arthritis. Ihr Mann starb plötzlich, und nun wird sie scheint's blind. Am Blindsein verzweifelt sie. Es war einst solch schönes elegantes Paar.

Sie saß am Fenster in ihrem Einzelzimmer, ich sah die hoffnungslose Verzweiflung in ihr wie nie zuvor. Da erzählte sie mir, sie habe alles Glück dieser Erde genossen, sei im höchsten Glück mit ihrem Mann gewesen, beinah unirdisch, nun müsse ihr Gott so viel Jammer geben, dass sich das ausgleiche. „Verstehen Sie das auch so, Mrs. Krieger?" Ich schrie zu Gott: „Lass mir was halbwegs Gescheites einfallen!" Ich sagte: „Die Bildhauer haben Lieblingsstücke. Da hämmern und klopfen und schlagen sie herum, bis das herrlichste Bild herauskommt.

Wenn Du daheim wärst, dann würdest Du Dich sorgen um Dein Haus, Essen kochen, Böden putzen, Besuche, Kinder… Nun hast Du gar nichts als Deine große Not. Und da schafft nun in aller Stille der große Meister ein Bild in Dir, so wundersam und herrlich, wie Du das gar nicht ahnen und begreifen kannst. Das wird aus Dir herausstrahlen in solch unfassbarer Schönheit, dass alles nur den großen Meister rühmen kann."

„Unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit, uns…" Dein Heiland wird Dir so groß und herrlich und reich werden, dass wir Dich noch alle beneiden möchten.

Viel denkt an Dich in Liebe

Deine Tante Elisabeth in Kanada

 


Mittragen und Mitstreiten im Kirchenkampf

 

Briefe der Mutter

 

In der Zeit des Dritten Reiches stand Wilhelm Busch in der vordersten Front. Als Prediger des Evangeliums fühlte er sich verpflichtet, die Gemeinde vor Menschenlehren zu warnen, er hielt vollmächtige Predigten, aufrüttelnde Vorträge und schrieb Flugblätter, die zu Tausenden verbreitet wurden, so dass die Geheime Staats-Polizei ihn als einen „systematischen Volksaufwiegler und Volksverhetzer" ansah. Besonders angefeindet wurde er als Jugendpfarrer, der in Essen eine große evangelische Jugendarbeit hatte. Um seiner Verkündigung und um seines Dienstes willen musste Wilhelm Busch durch viel Not und Verfolgung gehen und saß auch dreimal im Gefängnis.

 

 

Hülben, den 14. Juni 1933

 

Meine Herzensschätze!

Frühe bin ich erwacht und las meinen Psalm, indem ich an Euch dachte. Ich wollte, ihr holtet Euch auch Kraft, Stärke, Feindesliebe, Frieden und Freude aus der lieben Bibel.

Psalm 57-60 kam bei mir an die Reihe. Leset's auch in Ruhe! In der Fabrik hier haben Frauen schon um Dich, mein liebster Sohn, geweint aus Teilnahme. Ich kann's nicht so schwer ansehen.

Du sagtest im Winter: „Ich freue mich auf den Himmel, wenn niemand mehr etwas von mir will", dass Du etwa schreiben oder reden sollst. Nun schenkt Dir der liebe Gott schon auf Erden solche Zeit. Ich wünsche so sehr, dass Du es aus Seiner Hand annehmen kannst und nicht auf die Menschen siehst, die es ausführen.

Genieße in vollen Zügen Deine geliebte Familie (Hausarrest). – Schlafe und ruhe. Lies die Bibel durch und die alten Bücher: Bengel, Roos, Arndt, Paul Gerhardts Leben und keinerlei Zeitung, würde ich fast raten. Überdenke Dein Leben und freue Dich Deines Glücks.

Ich habe schon Schwereres erlebt. Papas früher Heimgang und Eberhardles schnelles Heimeilen. Aber dies ist jetzt noch nicht so schwer, wie sie es hier alle auffassen.

Ob ich Euch Herrn Pfarrer Hahns Brief nicht gesandt habe? Er tat mir sehr gut. Ich meinte auch in meinem Teil, mich gegen die Deutschen Christen ereifern zu müssen. Da tat mir der Zuspruch so gut: zu schweigen und zu beten. Nur wenn man es aus Gottes Hand nimmt und wie David sagt: „Lass ihn fluchen, der Herr hat's ihn geheißen", wird man still.

Johannes der Täufer kam ins Gefängnis und um sein Leben völlig unschuldig. Aber es tut uns so schmerzlich wehe, dass unser liebes Vaterland so geführt wird, dass die Ungerechtigkeit überhandnimmt.

 

 

Hülben, den 28. Juli 1933

 

Mögt Ihr vor Gott stehen. Dass Euch dieser Schirm und Schatten schützt und Ihr Zuversicht und Burg habt.

Es freut mich, dass Du Dich, lieber Wilhelm, mit einem der „Deutschen Christen" freundschaftlich ausgesprochen hast. Könntest Du es nicht auch mit Herrn Pastor Graf Korff, falls Du ihn persönlich beleidigt hast? Ich freue mich, dass Ihr, Johannes und Du, keine Schmach scheut um des Evangeliums willen. Aber vielleicht war Dein Kämpfen gerade Korff gegenüber nicht ganz aus der Liebe, die alles verträgt, alles duldet, alles hofft. „Wenn dein Bruder von einem Fehler übereilt wird, so helfet ihm zurecht, ihr, die ihr geistlich seid."

Gott leite Euch und fülle Euch mit Seinem Heiligen Geist und Seiner hohen Weisheit: „Es war ein hoher Geist in ihm."

Ich zehre noch so sehr von Deinem Besuch und dachte, Deine Jünglinge haben stets gute Kost, Du führst sie auf eine gute Weide und grüne Lebensau.

 

 

Hülben, den 8. März 1934

 

Es hat mich heute Nacht tief bewegt. Ich verstehe ja gar nichts, aber ich dachte doch in den letzten Wochen, ob dem lieben Gott der ganze Pfarrernotbund nicht gefallen habe? Ich habe ja Niemöller so lieb und sehe, dass die ersten und besten Männer abgesetzt sind. Aber ob sie ganz recht stehen? Herr Pfarrer Plath sagte, er verlese das Wort zur Lage nicht von der Kanzel, es sei nicht „geheiligt" genug oder wie er sich ausdrückte.

Ich hörte mit so großem Segen die Predigt von Herrn Pfarrer Gräber, vom Blinden, der am Wege bettelte. Wie oft erzählte ich's schon weiter, wie er sagte: Auch wir sitzen noch so oft am Wege, blind und betteln um die Pfennige unserer eigenen Ehre, unseres Rechtes, unseres Ansehens usw. Und wir könnten doch längst die Herrlichkeit Gottes sehen usw. Und nach dieser geisterfüllten Predigt las Herr Pfarrer Gräber das gegen den Reichsbischof. Darauf erhoben sich SA-Leute, trabten durch den Gang hinaus und riefen: „Alle Nationalsozialisten raus!" und ganz laut, dass es mir heute noch durch Mark und Bein geht: "Unerhört!"

Es war mir schmerzlich, dass der Eindruck dieser Predigt noch so abgestreift wurde. Ob es wirklich wert war, was verlesen wurde, so zu reizen? Wenn verboten wäre, das Evangelium rein und lauter zu verkündigen, dann würde ich auch kämpfen und austreten. Aber die Pfarrer haben doch noch dazu das Recht … Hitler hat scheint's alle bezaubert. „Galater 3, 1."

Ich möchte Dich, mein lieber Sohn, gar nicht beeinflussen, aber unaufhörlich für Dich zu Gott rufen, dass Er Dir Seinen Heiligen Geist schenkt und Seine Weisheit, dass Du nicht andere richtest.

Wenn es in Württemberg noch heißt: „Du deckst sie in deiner Hütte zur bösen Zeit und verbirgst sie heimlich in deinem Zelte", ist's ein Geschenk Gottes. Das ist doch nicht nötig, dass sie selbst ihr Haus in Brand stecken. Die Württemberger Brüder beten ja so ernstlich für die norddeutschen Brüder, die der erste Schlag trifft.

 

 

Hülben, den 9. März 1934

 

Ich bin froh, dass Du, mein herzliebster Sohn, aus dem Amt bist. Es ist mir lieber, als wenn Du selbst ausgetreten wärst. Betreibt nur nicht den Kirchenaustritt. Das kommt schon alles von selbst. Der liebe Gott schließe Euch alte in Sein Erbarmen ein und lasse Euch in Seinem Frieden ruhen.

Meine Gedanken sind Tag und Nacht so viel bei Euch.

„Lass die Wellen höher schwellen, wenn du nur bei Jesus bist." Ich wollte, ich könnte Euch alles Schwere abnehmen. Dass Du nicht weiter predigen sollst, tut mir wehe. Aber Gott möge selbst mit Euch reden und Euch sagen: „Ich habe dich lieb!"

 

 

Hülben, den 16. April 1937

 

So tief hat mich bis jetzt noch nichts bewegt als Deine Not, wie Du schreibst, ob Du nach Königsberg sollst oder nicht. Wann ist dort die Evangelische Woche? Raten kann Dir da nur Gott. Er soll Dich mit Seinem Heiligen Geist erfüllen, dass Du gewisse Tritte tun kannst und Deinen Weg hell erleuchtet siehst.

Theodor Lipps hat eine Tischrede gehalten. Er erzählte, als der liebe Großvater Mayer um seine erste Braut in Korntal warb, war diese Minna sehr unsicher, ob sie die Anstaltsmutter für 80 Kinder werden könne. Sie betete mit einer Freundin bis in die Nacht, Gott solle ihr Seinen Willen zeigen. Als dann der Nachtwächter auf der Straße sang: „Um 11 Uhr sprach der Herr das Wort, geht auch in den Weinberg fort", war es ihr ins Herz gefallen. Sie stand von den Knien auf, sagte: „Ich soll in den Weinberg des Herrn, ins Hardthaus" und wurde ganz sicher, Gott habe ihr diesen Mann und dieses große Haus gegeben.

So wird der liebe Gott auch unser Flehen und Schreien hören und Dir ganz klar Seinen heiligen Willen zeigen. „Sei nur getrost und sehr freudig, derer sind mehr, die bei uns sind, denn die bei ihnen sind." Diese himmlischen Heerscharen umgeben Dich und nehmen Dir alle Furcht.

Eure/Deine Mama

 

 

Hülben, den 17. April 1937

 

Mein Herzenssohn!

Tag und Nacht gehe ich mit Dir um. Gott soll Dir den Frieden schenken, den die Weit nicht kennt und der Leib und Seele gesund erhält. Wie schrecklich dauerst Du mich in der Ungewissheit, ob Du nach Königsberg sollst oder nicht. Wenn gerade die Evangelische Woche verboten ist, könnte man's nicht anders heißen?

Die Bekenntnisgottesdienste sind doch bis jetzt erlaubt.

Du dachtest auch, Dein Jugendhaus höre auf. Dann hast Du es bis heute unter dem Namen „Stadtmission" fortgeführt in großem Segen.

Es ist mir zurzeit das Wichtigste: Johannes 14, 27, dass wir in Gottes Frieden ruhen. Jener sterbende Offizier ließ sich von seinem Burschen dies aufschlagen und lesen und sagte: „Diesen Frieden habe ich."

Deine Mama

 

 

Pauline Kullen, die Schwester von Johanna Busch und Patentante von Wilhelm Busch, schrieb ihm ins Gefängnis

 

Hülben, den 14. Juni 1937

 

Lieber Wilhelm!

Gestern früh las ich Offenbarung 2, 10. Da machten mir die Worte einen besonderen Eindruck: „Siehe, der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen." Aber ich hatte keine Ahnung, dass zu diesen auch schon mein Patensohn gehöre.

Als ich nachher mit Renate im Garten draußen arbeitete, kam die Post, und Deine liebe Mama las uns Emmis Zeilen vor. Es hat mich Tränen gekostet. Merkwürdig, wie gelassen Deine liebe Mutter die Nachricht aufnahm!

Mir ist nun der ganze Vers wichtig für Dich: „Fürchte dich vor der keinem, dass du leiden wirst." Und namentlich auch das: „Und werdet Trübsal haben 10 Tage." Wie manchmal haben uns die lieben Brüder das so ausgelegt, die Trübsalszeit sei also schon vorher bestimmt, wie lange sie dauern dürfe.

Von Oetinger las ich neulich, des Teufels Werk gleiche nur einem Unwetter. Auch sagte er, Gottes Werk werde oftmals so verdeckt durchgeführt, dass der Teufel trotz all seiner List und seinem Zerstörungstrieb nicht dahinter komme, was Großes und Herrliches der Herr Himmels und der Erde vorhabe.

So ist nun mein größter Wunsch für Dich, lieber Wilhelm, dies: Dass Du in der abgemessenen Trübsal immer wieder Blicke bekommen mögest in den großen Gottesplan.

Und ganz äußerlich gesprochen, dass Deine Nerven die schwere Sache ertragen.

Wie froh wirst Du an Deiner lieben Frau sein! In herzlicher, fürbittender Teilnahme

Deine, Eure Tante Pauline

 

 

Buschs Freunde Hagelloch grüßten den Gefangenen mit einem ganz besonderen Bibelwort

 

1. Mose 28, 16:

„Gewisslich ist der Herr an diesem Ort, und ich wusste es nicht."

 

 

Nach der Entlassung aus dem Gefängnis

 

Hülben, den 21. Juni 1937

 

Meine Herzenskinder!

Es ist mir wie den Träumenden. Erst noch den so sehr lieben Brief von Dir, Herzensemmilein, dass Du keine Hoffnung hattest, und nun diese Freude.

Ich setzte Astern im Garten und dachte, ob sie blühen zu dem Geburtstag im August. Da kam Onkel Albrecht angeradelt mit dem Telegramm. Er konnte nichts sprechen, nur weinen.

„Wenn die Stunden sich gefunden, bricht die Hilf' mit Macht herein, und dein Grämen zu beschämen, wird es unversehens sein."

Ob Du gleich ins Amt gingst oder ein bissel Ruhe hattest? Möge es Dir jetzt nicht gehen wie Mose, als er vom Berg kam, wo er so nahe bei Gott war, und unten das Kalb sah. Der Herr schenke Dir Erquickungszeit. „Ruhet ein wenig."

Innigst erfreut, Sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.

 

 

Hülben, den 28. Juni 1937

 

Liebster Wilhelm!

Schone Dich auch! Auch eine Weile nichts schreiben. Nur ruhen! Keine Romane lesen! Höchstens Deinen Kindern sehr schöne, biblische Geschichten erzählen. Ich las heute die fürstliche Beerdigung von Jakob, dem Erzvater.

Eure/Deine Mama

 


Wilhelm Busch schreibt im Gefängnis in Gelsenkirchen

 

20.10.1940 – 10.11.1940

 

Meine liebe Frau,

das ist schon ein herzbewegliches Geschäft, unter solchen Umständen seiner Frau aus der Jugendzeit zu erzählen:

Im Elberfelder Garten bekamen wir Kinder Beete. Ich erinnere mich dunkel, dass meine Sache nie etwas Rechtes wurde, weil ich zu ungeduldig war. Gerade noch die schnell wachsende Kresse, die jedes von uns in der Form des Anfangsbuchstabens seines Namens säen durfte, interessierte mich. Aber alles andere gedieh nicht, weil ich zu viel daran herummachte, um es dann nach einiger Enttäuschung ganz Liegenzulassen und es zu vernachlässigen. Ich war eben von jeher ungeduldig. Und es ist mir wunderbar zu beobachten, welch ein guter Gärtner Gott ist, weiche Pflege Er jedem Pflänzlein angedeihen lässt, dass Er mich gerade hier so sehr Geduld lernen lässt.

Es verrinnt Stunde um Stunde, Tag um Tag. All mein Berechnen ist zu Schanden geworden. Unmut und Zorn würden meine Lage nur verschlechtern. Außerdem steht dem entgegen das Wort meines Herrn: „Bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen" – was zu tun ich mich bemühe. Kurz, so muss ich lernen, was ich an meinem Gärtlein nicht lernte: Geduld. Und was hätte ich als Pfarrer und Jugendpfarrer wohl nötiger als Geduld!

Aus meiner Erinnerung steigen Bilder auf aus den Jahren, wo wir in Elberfeld wohnten. Es ist Nacht, für mein Gefühl tiefe, tiefe Nacht. Man hat uns Kinder aus den Betten geholt, weil vor der Stadthalle ein Feuerwerk abgebrannt wurde. Unser Haus lag ja oben am Berg. Da sah man über das ganze Tal mit seinen Schieferdächern und hämmernden Fabriken, über die rauchenden Schlote und die stillen – sie erschienen mir immer still – Kirchtürme. Und gegenüber am Berg zog sich auch noch endlos die Stadt hin. Und da lag die Stadthalle, vor der das Feuerwerk stieg. Es war aufregend und gewaltig: Wachsein in der Nacht (In Wahrheit wird's Abend gewesen sein. Aber ich hatte schon lange geschlafen.) – die feurigen Räder, die Raketen.

Ich habe mich von früh auf vor der Welt gefürchtet. Heute weiß ich wohl, dass sie wie ein bissiger Hund ist. Geht man sie furchtlos und sieghaft an, gibt sie kurzerhand den Weg frei zu ihren Gärten.

Aus frühester Jugend ist mir ein Bild besonders deutlich in Erinnerung: Ich schlief in einem Gitterbettchen im Zimmer meiner Eltern. Für mein Gefühl war es mitten in der Nacht, da ich aufwachte, als mein Vater zu Bett ging. Draußen war die schreckliche finstere Nacht. Aber hier gab die Kerze – man hatte noch kein elektrisches Licht – so einen heimeligen Schein. Ich lag ganz still. An der Decke gab es gespenstische Schatten, wenn mein Vater hin und her ging. Aber ich war ja so unaussprechlich geborgen in meinem Bett und in der Nähe des Vaters. Als er im Bett lag, hat er mit der Hand die Kerze ausgewedelt. Das gab putzige Schatten, dass ich fast lachen musste. Aber ich lag ganz still in Furcht und unaussprechlicher Geborgenheit.

In unserem Garten gab es einen großen Kirschbaum. Einmal war zur Kirschenernte meine Lehrerin eingeladen. Das war festlich und beängstigend. Ich bin in meinem Leben viel „in der Menschen Hände gefallen". Und ich hatte immer Angst davor. Darum erschien es mir wunderbar, dass solch ein gefährlicher Mensch wie meine Lehrerin harmlos unter dem Kirschbaum tat, als ob sie sich freute. Dass das Verstellung sein müsse, war mir ja klar. Aber – welche Macht mussten die Eltern haben, dass sie das zuwege brachten!

Das Wunderbarste im Garten aber waren wohl die Lorbeerbäume. Das heißt, sie standen nicht immer da. Die gehörten in den Kirchensaal und standen in grünen Kübeln. Ab und zu stellte der bärtige Küster Zarges sie hinter den Saal in unseren Garten. Vielleicht sollten sie mal in die frische Luft, so wie man uns hier ab und zu in den Hof lässt. Da laufen wir hintereinander her im Kreise herum. Nun, das taten die Lorbeerbäume nicht. Sie standen in Reih und Glied – fremde, geheimnisvolle Kinder eines anderen wärmeren Himmels.

Es liegt ein wundersamer Glanz über den Samstag-Spaziergängen der Familie. Ich erinnere mich an eine spätere Zeit in Frankfurt, wo ich mich genierte, mit „Papa und Mama und dem ganzen Tross" die Forsthaus-Straße hinunterzuziehen, vorbei an dem Haus meines Schulkameraden und an ähnlichen Klippen. Aber wenn das vorbei war, war es überaus herrlich. Der schöne stille Stadtwald, die überschäumende Freude meines starken Vaters, das strahlende Glück meiner Mutter. Es war wie im Paradies. Dahinten lagen die Schulängste und Lernnöte. Dahinten lag alles, was Angst machte und schmutzig war, und alles, mildem ich nicht fertig wurde. Hier waren nur Freude und Liebe, die zwei Mächte, die im Himmel sein werden. – O Gott, wo bin ich jetzt! An der Stelle, wo die Welt am freudlosesten und lieblosesten ist. Und doch, in meiner Zelle sind Freude und Liebe, das macht: „Jesus ist kommen, die Quelle der Gnaden."

Wir Kinder hatten den Eindruck, dass unser Pfarrhaus in Frankfurt ein sehr vornehmes Haus sei. Vorgärten wie hier gab es in Elberfeld nur bei den feinen Leuten. Und dann war da, ein wenig hinter der Haustür, um die Ecke eine zweite Haustüre, die direkt mit einem kleinen Trepplein in die Küche führte: „Für Lieferanten." Man sah ja ordentlich im Geist, wie die „Lieferanten" hier Geflügel, Wein, Obst abgaben, und wie weißgekleidete Köchinnen die „Herrlichkeiten" für die „Herrschaften", die vorne rein durften, herrichteten. – Meine liebe Mutter hat dafür gesorgt, dass die zweite Haustür ihr besonderes Gepräge bekam. Es wurde die Tür der Stromer, Landstreicher, Bettler und aller „Brüder von der Landstraße". Hier kriegte jeder was zu essen. Und das war in den Hungerzeiten des Krieges und nach dem Krieg nichts Geringes. O, das wurde so, dass einige Herren groß Getöse und Beschwerde machten, wir zögen das Gesindel in die vornehme Gegend. Das war wahr. Man sah diese Gestalten da heranziehen. Aber als diese Beschwerde kam, sah ich meine Mutter zornig. Und es blieb alles, wie es war. Da saßen sie, oft 3-4, auf der kleinen Treppe, die von der Lieferantentür zur Küche führte.

O, wie ist diese Welt mir hier nah geworden. Zwischen diesen Lieblingen Gottes lebe ich. Ihr Hab und Gut geht in ihre Taschen. Aber was man je und dann braucht, haben sie. Meine Zahnbürste wird mit Kopfschütteln betrachtet.

Heute Morgen hatte ich eine schwere Stunde. Weißt Du noch, wie der Cerberus uns am Freitag andeutete, ich würde am Samstag früh entlassen? Nun wartete ich, zwang mich zum Gebet und lauschte auf jedes Geräusch. Und dann kommen Schritte, Schlüssel klirren. Meine Riegel knallen zurück. Der Wärter steht da – nimmt das alte Handtuch mit, gibt mir ein neues und geht.

Und wieder dies quälende Warten und Ringen mit meiner Ungeduld. Noch einmal kommt er – und bringt Post. „Und – die Freiheit?" „Morgen Nachmittag", sagt er und knallt die Eisentür zu. Ich sank auf meine Pritsche… Ich wurde vor Gott zum Rebell. „An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd." „Darum bekannte ich dir meine Sünde – – da vergabst du mir."

Gott ist sehr gnädig. Er schließt den Aufrührer nicht ein. Ich sang: „Heut schleust er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis…"

Die Tür ist offen…

„Gehet zu seinen Toren ein mit Danken"!

 


Wilhelm Busch an die Eltern seines Patensohnes Heinz Stöffler, als dieser im Kriege gefallen war

 

Ihr Lieben!

Eben las ich die Briefe von Heinz durch und dahinter die erschütternde Botschaft in Mamas Brief. Ich kann es gar nicht fassen und glauben. Meine Gedanken sind immer in Köngen, und es wird mir schwer, hier weiterzumachen, als sei nichts geschehen. Ich wurde unterbrochen. Es kam ein Bub, dem vor einiger Zeit die Mutter starb. Er brachte einen Brief, dass der Bruder gefallen sei. Der Vater wisse noch nichts. Ich möge es ihm sagen.

In meiner Seele streiten sich Grimm, Not, Verzweiflung, Verzagtheit. In den Tod mit alledem! Jetzt heißt es „geistlich gesinnt sein"! Jetzt kommt die Probe, die ans Letzte geht. Jetzt zeigt sich, ob „es Wahrheit sei, was die Schrift verspricht". Sind wir schwach – Er ist stark. Sind wir betrübt – Er ist „voll Trostes, Licht und Gnade". Fällt alles – Er nicht. Er ist Schild und Zuflucht.

Ich schreibe voll Verwirrung. Aber ich will Euch sagen, dass wir den Himmel stürmen wollen, dass Er Euch durchbringt, nicht als Leute, „die Haltung bewahren", sondern als Getröstete!

Euer Wilhelm

 


Aus Briefen während des Krieges in Essen

 

An Johanna Busch in Hülben oder an die evakuierten Kinder

 

 

Essen, den 15. Mai 1942

 

Liebste Mama!

Wir hatten in der letzten Woche einen wilden Betrieb und sind trotzdem herrlich und reich gesegnet. Meine Kinder sagten einmütig: ,,Wie schade, dass es vorbei ist." Obwohl sie doch auch viel Arbeit damit hatten. Es war also unsere Evangelisation in 10 Kirchen.

Obwohl wir kaum werben konnten, war der Besuch ungeheuer. Am Samstagabend war die Auferstehungskirche, in der Dr. Lilje sprach, überfüllt, dass die Menschen auf den Treppen saßen. In einem bisher toten Vorort kam es richtig zu einer kleinen Bewegung. Ich habe den Eindruck, dass der steife Pfarrer sich bekehrte. Er betete so herzlich in der morgendlichen Zusammenkunft, die jeden Tag bei mir stattfand.

Bei uns wohnten Dr. Lilje aus Berlin, Pastor Juhl aus Hamburg und Herr Klammt aus Hamburg.

Mit Lilje war ich vor vielen Jahren in Finnland, mit Klammt in Amerika. Juhl ist der Mann, mit dem ich so großen Krach hatte, Johannes' Vorgänger im Westbund. Es war ein unwirklich schönes Zusammensein. Es klappte äußerlich alles so herrlich, und ich kann gar nicht sagen, welch eine innige Liebe unter den Brüdern war. Sie reisten alle ganz erhoben ab.

Am Freitag hatten wir alle acht Evangelisten zum Mittagessen. Am Samstagnachmittag hatten wir ein paar gebildete Leute zu Lilje in unser Haus eingeladen. Da brachte auf einmal noch jeder Gäste mit, so dass über 100 Gäste da waren. Es war einfach unvorstellbar. Und was für prominente Leute, aus der Stadtverwaltung, Wirtschaft und Offiziere! Es war ganz herrlich, wie Lilje dann das Wort ergriff und einen Querschnitt durch die geistige Lage der Zeit gab und dabei den Leuten ungemein Mut machte, Christen zu sein.

Die ganze Woche war wie ein Fest in Jerusalem, zu dem der Herr Jesus auch so gern ging.

Köstlich war auch am Mittwochabend der Soldatenkreis. Es gab ein großes Gelächter, als ich mit Dr. Lilje nach Hause ging, da hatten wir ein großes Gefolge: Hinter uns gingen zwei Offiziere, dann kamen drei Feldwebel, dann zwei Unteroffiziere und dann noch ein paar Gefreite und Soldaten. Es sah richtig pompös aus. Ich bin überglücklich, dass Gott uns die Tage so schenkte. Ich hatte es gar nicht zu hoffen gewagt.

Am Samstag kam dann ein Soldat, ein junger Pfarrer aus Sachsen, der bis Sonntag bei uns über Nacht blieb. Fast schwierig wurde die Situation, als am Mittwoch gegen Abend noch ein Offizier und Gefreiter kamen und bei uns übernachten wollten. Wir haben sie nun auch noch glücklich untergebracht.

Nun genug für heute. Bitte schlachte diesen Brief nicht allzu sehr aus, er ist nur für Dich bestimmt. Wenn wir allzu viel Geschrei um die Sache machen, kriegen wir sie im nächsten Jahr verboten. Aber du sollst Dich doch mit mir freuen.

Dein Wilhelm

 

 

Essen, den 20. September 1942

 

Meine liebe Hanna!

Gestern Nachmittag machte ich mich mit Gretel und Renate auf zu einem Wochenbesuch bei Riehls. Vorige Woche kam strahlend Herr Riehl und berichtete, dass sie ihr 6. Kindchen kriegten.

Frau Riehl hatte mir in den letzten Monaten so viel von ihrem neuen Eigenheim erzählt, mit dem schönen Garten und dem Blick über ganz Essen, dass ich richtig gespannt war. Wir packten so allerlei Mitbringsel für die Kinder zusammen und freuten uns auf das Familienglück. Dann kamen wir an das Häuschen – und fanden es zerstört und leer. Gegenüber war eine Luftmine niedergegangen:

Das vergesse ich mein Leben nicht, wie ich das Häuschen suchte und suchte und auf einmal an dem zerstörten die angegebene Nr. 22 las.

Man wies mich dann ins Krankenhaus, wohin Frau Riehl gebracht war. Ich hatte kaum Mut, zu ihr hineinzugehen. Aber ich fand sie wunderbar gefasst. Sie sagte, sie weiß nicht, wie das Leben morgen weitergeht, aber bis heute hat der Herr wunderbar geholfen, dass bei der Zerstörung niemand der Ihren zu Schaden kam.

Es ist herrlich, wie der Herr seine Kinder über alles hinweg heben kann.

Ich habe in der Nacht noch lange wach gelegen, so war ich erschüttert von der Vergänglichkeit alles irdischen Glücks. „Wir sind hier fremde Gäste und müssen bald hinaus."

Innigst

Deine Mama

 

 

Essen, den 13. Januar 1943

 

Liebe Mama!

Am letzten Samstagabend hatten wir den ersten beträchtlichen Fliegerangriff. Es waren ein paar Jungens bei uns im Hause, und als wir mal sehen wollten, ob noch nichts passiert sei, und aus dem Keller gingen, da krachte es, und ein Luftstoß fegte uns förmlich die Treppe hinunter. Dann schellte es, und einer kam gerannt und rief, wir sollten nach der Feuerwehr telefonieren, die Weigle-Straße brenne überall.

Nach 20 Minuten war der Angriff zu Ende. Wir rannten auf die Straße. Da kam auch schon die Feuerwehr. Aber es war schon alles von den Leuten gelöscht.

Auch ins Weigle-Haus waren Brandbomben gefallen, die der Onkel Hermann mit ein paar Jungens gleich gelöscht hatte. Wir stiegen dann auf das Dach des Weigle-Hauses. Von da aus überschaut man die ganze Stadt. An vielen Steifen brannte es fürchterlich. Wir kamen uns vor wie der Kaiser Nero beim Brande Roms.

Weil es in der Nähe der Marktkirche brannte, machten wir, Wilhelm, Gottfried Dühr und einige Jungens, uns auf, um zusehen, ob ich am nächsten Morgen den Gottesdienst halten könne oder ob die Marktkirche auch zerstört sei. Es sah furchtbar aus in der Innenstadt. Man lief nur über Glas. Es waren geradezu apokalyptische Bilder: die finsteren Straßen, die verstörten Menschen, dann wieder aus der Seitenstraße helles Licht von einem Brand.

In der Marktkirche war nicht ein Gläslein zersprungen. Wir haben sehr die bewahrende Hand Gottes erfahren.

Weil die Angriffe meist jetzt gegen 7.00 Uhr abends kommen, leidet meine Arbeit sehr. Die Leute lassen ihre Jungens verständlicherweise kaum mehr aus dem Haus.

Herzlichst

Dein Wilhelm

 

 

Essen, den 16. März 1943

 

Meine lieben Kinder!

Hanna schrieb nach dem Angriff schon von unserem schönen Gottesdienst. Der Papa sagte vorher, Staub und Brandreste und kaputte Scheiben können nicht hindern, dass die Herrlichkeit Gottes den Raum erfüllt. Und so war es denn auch. Es ist mir wichtig geworden, dass wir nicht wie die Kriegsknechte dauernd mit dem „Kleiderbündel" herummachen, sondern auf Ihn schauen und erquickt werden.

Onkel Erich hatte eigentlich schon mit dem 8.00 Uhr-Zug nach Bielefeld fahren wollen, hat sich dann aber doch mit uns an dem herrlichen Gottesdienst erfreut. Wie sind wir reich, dass wir einen Heiland haben! Anschließend rannten wir zum Hauptbahnhof. Da hieß es, die D-Züge gehen über Essen-Nord. So ging's zum neuen Run durch die Stadt. Das war nicht so einfach, da immer wieder Stücke abgesperrt sind. Ihr macht Euch keine Vorstellung von der Zerstörung. In der Weigle-Straße sind ja vielleicht 12 Häuser ausgebrannt. Das ist aber noch ganz großartig gegenüber andern Straßen, wo man nur noch den Eindruck hat: Stalingrad!

Der Papa blieb daheim, Onkel Erich, Wilhelm, Hanna und ich haben uns als „Fliegergeschädigte" in ein leeres Wehrmachtsabteil gesetzt. Erst wollte uns die Zugwache hinauswerfen. Doch hat uns der Oberleutnant dann geduldet.

Der Angriff vorgestern Abend war wieder schrecklich. Eine ganz, ganz schwere Bombe fiel noch einmal auf den Rest des Kohlensyndikats, so dass im Esszimmer und in meinem Zimmer die Scheiben herausfielen. Als besondere Freundlichkeit Gottes empfanden wir es, dass im Wohnzimmer und in der Küche alles heil blieb. Die beiden Räume sind doch „unsere Wohnung". Ihr müsstet gerade mal gucken, wie wir uns in den Trümmern eingerichtet haben: In der Küche auf dem Tisch liegt ein schönes Tischtuch, ein Strauß Narzissen steht darauf, und rundum sitzt dann immer die fröhliche Tischrunde: Papa, der Vikar, Onkel Erich, Wilhelm, Hanna, Elsbeth und ich.

Wir sind überfroh an unserm Herd, dass wir richtig kochen können. Das Loblied nach Tisch mit der Stimme von vier kräftigen Männern hallt dermaßen in der kahlen Küche, dass es eine Freude ist. Wir genießen es zu arg, dass unser Urlauber da ist. Am 24. muss er wieder weg.

Neben meiner Kocherei habe ich Aufräumungsarbeiten, während Elsbeth das Herumstehen auf dem Wirtschaftsamt besorgt. Gestern fand ich auch Gretels Alltagsschuhe, nach denen ich schon tagelang gesucht hatte, unter dem Gerümpel. Die Schuhe vom Schuster konnte man noch nicht holen, weil da auch die Jalousien kaputt sind und in unserem Viertel kein Licht brennt. Wir behelfen uns abends notdürftig mit einem kleinen Rest geretteter Weihnachtskerzen.

Hoffentlich kriegt Ihr unsere Post! Gestern konnte die Post nicht arbeiten, weil an der Post sechs Blindgänger lagen. Heute standen allein 98 Todesanzeigen in der Zeitung.

Ach, meine lieben Schätze, wir haben recht Heimweh nach Euch. Aber beim Angriff am Freitagabend waren wir wieder so sehr froh und dankbar, dass Ihr in Köngen sein könnt.

Innigst

Eure Mama

 

 

Essen, im April 1943

 

Liebe Mama!

In meinem Studierzimmer sind nun gestern zum dritten Mal seit Anfang April die Scheiben eingesetzt worden. Für wie lange? Unser Leben ist sehr wunderlich. Ich war einen Vormittag unterwegs um ein paar Nägel und Bretter. Dazu braucht man Kommissare, Scheine, Beziehungen, und am Ende heißt's: „Kirchliche Sachen sind nicht kriegswichtig" – und ganz am Ende hat man doch alles.

Mein Weigle-Haus ist uns nun ganz genommen. Nun wollen wir versuchen, aus den Trümmern von Weigle-Straße 9 noch etwas herzurichten für die Jugendarbeit.

Sonntag der Gottesdienst: Der Saal war mal wieder ohne Fenster, es bläst herein wie verrückt, auf allen Stühlen Staub und Kalk, denn nachdem alles gerichtet war, war wieder eine Bombe in der Nähe gefallen. Und darin Menschen! Menschen! Der Saal ist voll. Selbst auch der Flur, die Treppen, von wo man in den Himmel sieht, weil das Dach längst futsch ist. Und dann ein Gesang über den Trümmern! Ach, man muss das erleben, um zu wissen, ich hab's doch schön. Nur dass man die Kinder nicht hat.

Ich war heute an Eberhards Grab. Der Friedhof ist arg verwüstet, aber das Gräblein sehr nett mit Stiefmütterchen.

Dein Wilhelm

 

 

Essen, den 28. Dezember 1943

 

Liebe Mama!

Wir hatten unbeschreibliche Festtage, und ich bedaure, dass sicherlich 100 unbeantwortete Briefe auf meinem Schreibtisch liegen, meist von Soldaten, denn ich möchte Dir am liebsten stundenlang erzählen von unserer Christmette in dem überfüllten Saal des Weigle-Hauses, bei der nichts klappte, aber auch alles danebenging, und die am Ende doch eine herrliche Feier war. Oder von meinem Bibelkurs, der jetzt im WH läuft und zu dem der Redner, Herr Klammt aus Hamburg, im letzten Augenblick absagen musste, weil er keine Reiseerlaubnis bekam von der Polizei. Ich fuhr nach Barmen, um einen Redner zu kriegen, entsetzte mich über die Zerstörung (doch steht auch noch viel) und bekam für einen Abend einen Missionar, der gestern Abend vor 50 Jungen gut sprach. Im übrigen mache ich die Sache nun einfach mit Urlaubern, lasse jeden Abend vier Urlauber sprechen, Fliegerleutnants mit Orden, Gefreite, Unteroffiziere, Marinemaat usw. Auch nicht schlecht. Und sprechen manche nicht fließend, so macht doch das Zeugnis der Nichttheologen tiefen Eindruck.

Dein Wilhelm

 

 

Essen, den 27. August 1944

 

Liebe Kinder!

Für nachmittags um 5.00 Uhr hatte der Papa die Gemeinde bestellt zum Ziegelschleppen. Es war eine solch phantastische Hitze, dass man es kaum aushalten konnte, wenn man nur ganz still saß und nichts zu tun hatte. Und nun Ziegelschleppen – es war unvorstellbar! Ich nahm meine Wäsche ab und fuhr dann mit Hannas Rad – meines hatte eine Panne – zum Weigle-Haus, wo Bewundernswerterweise sich doch allerlei Volk versammelt hatte (Oma Bolz, Päule, Frau Balzereit, Noth, Papa Laser, Schefflers usw.).

Der Papa hielt zu Beginn eine kleine Rede mit dem Vers: „Wir woll'n uns gerne wagen". Dann wurde eine Leiter zum halben 1. Stock hinaufgestellt. Herr Noth stellte sich auf das kaputte Dach über der Eingangstür und gab dann mit seinen langen Armen durchs Fenster die Ziegel hinein. Weiter ging's eine Etage hinauf, wo der lange Herr Jansen auf einem Stuhl postiert wurde, wodurch man wieder zwei Treppen einsparte.

Es war trotz der wahnsinnigen Hitze ein fröhliches Schaffen am Tempelbau. In 1½ Stunden waren die 3000 Ziegel oben. Ich fuhr um 6.00 Uhr heim, als neue Hilfen kamen, war dann aber schwer erschöpft. Herr Noth kam noch zum Abnehmen der Leine und aß dann gern mit uns Abendbrot. Er genoss unser etwas kühleres Zimmer, da bei ihm 32° C im Zimmer waren.

Später kam der todmüde, aber fröhliche Papa heim mit einem Soldaten, einem alten Leiter. Er hatte noch ein Gespräch mit ihm und lud ihn zum nächsten Abend zum Abendbrot ein.

So richtete ich für Donnerstagabend eine tüchtige dicke Suppe, um den Urlauber Sattzukriegen, Kartoffeln, Klops und Salat, und für die Leute nach der Bibelstunde Apfelbrei und einen Berg Printen, die ich bei Brass erstanden hatte. Es war gut, dass ich reichlich vorgesorgt hatte.

Zwischen 6.00 und 7.00 Uhr nachmittags war ich unten im Kabuff beim Bügeln, da hörte ich's oben schellen. Beim Öffnen sehe ich: Da stehen ja unsere Freunde aus Langenberg, Vater, Mutter und der sehr erwachsen gewordene Urlauber Dietrich. Wir setzen uns gemütlich ins Studierzimmer, da lockte der Papa mich schnell heraus fand flüsterte mir zu: „Die habe ich feierlich zum Abendbrot eingeladen." Er hatte vergessen, es mir zu sagen. Zehn Minuten vor 7.00 Uhr war es, Gretel noch nicht zurück aus der Schule. Aber Gott ließ es gelingen. ½ Stunde später saß alles am festlich gedeckten Tisch. Der „Soldatenurlauber" war inzwischen auch eingelaufen, und es ging nach dem Exempel im Reich Gottes: „Sie aßen alle und wurden satt."

Gestern Morgen widmete ich mich mit Inbrunst meiner Samstagsputzerei, da rief ein junger Kollege an, er sei auf Urlaub hier. Sehr dankbar nahm er unsere Einladung zum Mittagessen an mit Frau und zwei Kindern. So musste ich schnell mein vorgesehenes Blindhuhn ums Doppelte vermehren, es schmeckte allen ausgezeichnet. Wir tranken dazu unsere sauer gewordene Magermilch und aßen hinterher mein Geburtstagsobst. Allerdings kam ich dann erst um 4.00 Uhr in die Küche. Außerdem war der Sack mit Bohnen von Ostfriesland gekommen, die auch gestern noch eingemacht werden mussten.

So saß ich abends um 11.00 Uhr noch in der Küche, als der Alarm kam, und um 0.30 Uhr bei der Entwarnung war ich gerade mit meinen Bohnen fertig. Ich bin überfroh daran, mein Topf ist voll.

Eure Mama

 

 

Essen, den 24. November 1944

 

Liebe Mama!

Von den Beschwernissen unseres Daseins möchte ich nicht viel schreiben. Wir haben noch sehr viel Grund zum Danken. Unser Haus gehört zu den wenigen, wo zurzeit alle Ziegel darauf liegen, so dass es nicht hereinregnet. Unsere kleine Etagenwohnung ist voll Leben.

Am Donnerstag z. B. kam zum Kaffee ein Dr. Danker, hauptsächlich Parteigenosse und armer Hungerleider. Er freut sich immer so sehr an jeder Mahlzeit bei uns.

Um 6.00 Uhr zum Abendbrot kamen eine junge Frau Kolimann und Ewald Hofstatt, ein Schulfreund von Wilhelm. Doch kaum hatten alle ihre Kartoffeln und Klopse auf den Teller gefüllt, da kam Alarm, die Kinder sausten ab. Wir Großen zogen die Läden hoch, aßen in der Diele noch unsere Teller leer. Aber bei der Meldung eines feindlichen Verbandes mussten auch wir los.

Als wir wiederkamen, fanden wir einen Soldaten, einen sehr netten Ingenieur aus Hannover, vor, der auch zum Abendbrot kommen sollte. Dann folgte die restliche Esserei.

Wir waren sehr glücklich, dass um vor 7.45 Uhr die Huyssenstift-Andacht stattfinden konnte. Hinterher kamen noch alle möglichen Leute mit. Wir saßen zu 12 im Wintergarten. Ich hatte von einem festlichen Dampfnudel-Mittagessen sieben Stück übrig behalten, die ich eigentlich ganz hatte anbieten wollen. So schnitt ich sie in viele kleine Stückchen und bot sie als Kuchen an. Doch kaum hatten wir die Teegläser gefüllt, und die Gemütlichkeit sollte beginnen – da kam wieder Alarm, Feindverbände! Alles sauste los. Doch gab's schon kurz vor 10.00 Uhr Entwarnung. Da fand sich alles wieder ein. Und von 10.00 bis 11.30 Uhr unterhielt mein Mann die verschiedenen Leute aufs trefflichste.

Als ich mir die Runde so ansah, hat mich's in Gedanken an unseren Wilhelm ganz überkommen, wie wahr das Psalmwort ist: „Und ihre Stätte kennet sie nicht mehr." Außer Ewald Hofstatt kennt von diesen Leuten niemand mehr unseren Sohn, mit dem doch unser ganzes Leben so verknüpft war. Gut, dass wir in dem Urlauberzug „Zur Heimat" sind.

Deine Emmi

 

 

Essen, den 4. Dezember 1944

 

Liebe Mama!

Am letzten Mittwoch wurde unser Haus sehr mitgenommen. Jetzt ist es wieder dicht. Und wir haben Licht. Wasser müssen wir uns holen in der Nachbarschaft.

Nach der schweren Woche habe ich noch selbst mit einem Dr. Heinemann zusammen das Dach gedeckt. Am Sonntag das herrliche Jugendfest.

Dein Wilhelm

 


Wilhelm Busch zum Geburtstag der Mutter

 

Essen, den 22. September 1943

 

Liebe Mama!

So ganz hinten in einem Winkelchen meines Herzens hatte ich immer noch die leise Idee, ich könnte vielleicht doch zu Deinem Geburtstag nach HüIben fahren. Aber die Schrecken der Heimreise trieben mir jede Hoffnung aus. Eine Reise ist eine solche Tortur, dass man's nicht zweimal im Monat schaffen kann, ohne kaputtzugehen. So muss ich Deinen Geburtstag mit den Meinen hier feiern. Vielleicht vertreten mich meine lieben Kinder würdig.

Als kleinen Geburtstagsgruß habe ich Dir ein paar Andachtsbücher geschickt. Hoffentlich kommen sie gut und vor allem rechtzeitig an.

Meine Wünsche stehen in Habakuk 2, 18. Dazu muss ich aber weiter ausholen. Du hast gewiss gehört, dass manche Betriebe von Krupp verlegt worden sind. So kam auch ein Betrieb nach M… im Elsass. Und da bekam ich nun vor ein paar Tagen einen Brief von dort her, unterschrieben von 5 Krupp-Arbeitern. Sie erzählen mir, dass sie meine Predigten bekommen und zusammen lesen. Und einer hat hinter seinen Namen diese Stelle aus Habakuk geschrieben. Als ich den Brief bekam; war ich aus allerlei Gründen etwas deprimiert. Da fiel dieser köstliche Brief – ich lege ihn Dir als seltsames Geburtstagsgeschenk bei – bei mir aufs rechte Plätzle. Und vor allem die Habakuk-Stelle. Schon das „Aber"! „Aber ich will mich freuen des Herrn…"! Dies „Aber" – nachdem in den Kapiteln vorher aller Jammer der letzten Zeit aufgezählt ist!

Und so wünsche ich Dir, liebe Mama, dass, wenn der Jammer der Welt und die Unruhe Deines Lebens Dir zu viel werden wollen, Du durch alles durchbrechen kannst zu dem: „Aber ich will mich freuen des Herrn…" Es kommt mir das Wort vor, wie wenn ein von Bomben Verschütteter sich zum Licht herausarbeitet.

Also: Mein Wunsch für Dich ist, dass Dir die Lust zu diesem „Aber" nicht ausgeht.

Und nun wünsche ich Euch ein schönes Fest. Im Geist feiern wir feste mit.

Viele Grüße und Küsse

Dein Sohn Wilhelm

 


Pastor Martin Niemöller schrieb an Wilhelm Busch

eine Karte, die dieser jahrelang an seinem Schreibtisch immer vor Augen hatte

 

„Unsre Wege wollen wir / nun in Jesu Namen gehen.

Geht uns dieser Leitstern für, / so wird alles wohl bestehen

und durch seinen Gnadenschein / alles voller Segen sein."

 

Der Herr selber lasse es uns gelingen!

In Treue und in herzlichem Dank für all Ihr Mittragen

Ihr Martin Niemöller

 

Abs. M. Niemöller

Berlin Moabit

Untersuchungsgefängnis Nr. 1325

 


Vom Soldaten Wilhelm Busch jun. aus Russland

 

20. Dezember 1943

 

Meine Lieben,

nachträglich, da, wie ich glaube, dieser Brief trotz Luftpost später als am Heiligabend eintreffen wird, möchte ich Euch ein schönes, gesegnetes Weihnachtsfest wünschen. Es wird mir sehr schwer fallen, dass ich nicht mit Euch feiern kann. Aber trotzdem freue ich mich schon sehr auf unsere Weihnachtsfeier, wobei die ganze Reiterschwadron mitsamt dem Tross teilnehmen wird. Und zwar zerfällt die Feier in zwei Teile, in einen ernsten und einen heiteren. Im ersten Teil werden Lieder gesungen („O du fröhliche", „Stille Nacht" usw.), ferner Gedichte vorgetragen, wobei zwei von mir sind.

Den zweiten Teil habe hauptsächlich ich zu leiten, und zwar spiele ich auf dem Klavier die Lieder, die gesungen werden. ich übe mit mehreren einen Kanon ein, ich bin Regisseur bei einer kleinen Aufführung, die ich vor Jahren im WH sah und noch ziemlich im Kopf habe. Ich wirke ferner in einer Unterhaltung auf dem Podium mit, spiele auf dem Klavier den Donau-Walzer und lese als Clou die Bierzeitung vor, die ein Kamerad und ich zusammengestellt haben. Gestern musste ich zum Chef und sie ihm vorlesen. Ich hatte nun in dieser Zeitung manche Vorgesetzten nicht allzu gut behandelt, und so fürchtete ich, er würde mir auf den Kopf kommen. Doch er war restlos begeistert und sehr erstaunt ob dieser Qualität… Man merkt doch den Einfluss des WH erst hier beim Kommiss, was hatte das WH auf Lager für seine Feiern!

 

 

25. Dezember 1943

 

Meine Lieben,

nun ist alles vorbei. Gestern Abend war die Feier. Das von mir aufgestellte Programm rollte planmäßig ab ohne Hinzuziehung von geistigen Getränken. Ich hatte meine wahre Freude, zumal alles das, was ich leitete, nämlich die Aufführungen, das Singen usw., sehr gut klappte. Und die Bierzeitung wirkte.

Dann begann der gemütliche Teil. Schnapsflaschen in rauen Mengen rollten heran – und der Schnaps stieg in die Köpfe! Als dann der Tumult solche Formen annahm, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen konnte, verzog ich mich. Dieses war insofern von Vorteil, als ich heute morgen bei Dämmerung aufstand, während sich die anderen grölend, schreiend, zankend ins Bett warfen, um wohl – wie anzunehmen ist – vor heute Abend sich nicht mehr zu erheben.

Eine Totenstille herrscht hier im Hause. „Alles schläft, einsam wacht" – Wilhelm Busch und schreibt Briefe, nachdem er sich von Gott in Seinem Wort einen rechten fröhlichen Weihnachtssegen geholt hat. Mein Weg führte mich auch heute Morgen in den kleinen Saal, in dem diese Nacht getobt wurde. Doch ich erkannte ihn nicht mehr: Die Tische und Stühle bis ins Kleinste zerschlagen, sämtliches Geschirr zerbrochen auf dem Boden, eine Unmasse von Papierresten, Schnapsgläsern – kurz: ein Trümmerhaufen! Nur das Klavier stand noch in der Ecke wie vorher. Ich setzte mich daran und spielte in diese mehr schnaps- als freudetrunkene Welt Weihnachtschoräle. Mir traten die Tränen fast in die Augen, so erfüllte es mich auf einmal: Dieser Gegensatz. Dort die arme Welt, gezeichnet durch das Chaos in diesem Raum – und dagegen unsere Weihnachtsfeiern daheim! Die Choräle und Gottes Wort sprengten die Fesseln, sie wirkten befreiend und erlösend. Und dann habe ich für mich Weihnachten gefeiert. Ich spielte den „Bach", den Mama mir in einem Paket schickte…

Viele Grüße

Euer Wilhelm

 


Als Wilhelm Busch jun. gefallen war, schrieb ein Glied der Marktkirchen-Gemeinde

 

Im Februar 1944

 

Wir haben ihn alle sehr lieb gehabt. Nicht nur aus dem persönlichen Sehen und Sprechen und Zuhören, sondern auch aus allem, was er unserm Sohn Dietrich gewesen ist und gegeben hat. Es ist sehr schmerzlich für uns alle, dass wir nun nicht mehr sein frisches, christ-fröhliches Orgelspiel in der Kirche hören werden, mit dem er so sehr zu dem frohen Siegessingen in Ihrer Gemeinde beigetragen und es beflügelt hat.

Es ist überaus schmerzlich, dass solche jungen Leute, die zu anderem, Höherem, Gesegneterem in diesem Leben bestimmt waren, ihr junges Leben in einem schrecklichen Krieg hingeben müssen. Aber es ist überaus tröstlich zu wissen, dass damit für uns nicht alle doch so unsicheren Hoffnungen begraben sind, sondern dass damit die einzig sichere, auf Golgatha besiegelte und mit Christi Blut unterzeichnete Hoffnung der Ewigkeit zu ihrem ungetrübten und wahren Recht kommt, und dass der letzte männliche Spross Ihres lieben Gebüsch's nicht verdorrt und verwelkt ist, sondern nur umgetopft wurde, um einst in der Herrlichkeit seine Knospen und Blütenansätze zur rechten und unverwelklichen Entfaltung zu bringen. Gerade die Musiker werden im Himmel begehrt und angesehen sein, wenn es gilt, das gemeinsame Hosianna aller Völkerscharen vor Gottes heiligem Thron anzustimmen.

Wie tröstlich sind die Worte seiner Ihnen als Vermächtnis hinterlassenen Dichtung! Möge der Heiland auch die Tränen seiner Angehörigen trocknen, schon hier in der Hoffnung, aber einst viel herrlicher, wenn Er selbst persönlich unser aller Tränen abwischen wird und an Seiner Hand uns, die wir leben, überbleiben – und wenn Er noch zu unseren Lebzeiten kommen sollte, entrückt werden, Ihm entgegen –, die wieder zuführen wird, die uns vorangegangen sind. Ja, das wird Freude sein. Der Herr helfe uns allen bald dazu. ja, komme bald, Herr Jesu!


Rundbrief von Pastor Hans Dannenbaum von der Berliner Stadtmission Weihnachten 1944

 

Liebe Leidgeläuterte Geschwister!

Weihnachten ist doch das seltsamste aller Feste. Da brechen noch mehr als am Totensonntag und Karfreitag auch die vernarbten Wunden wieder auf, die uns das Leben schlug. Auch wenn nicht der Glanz der Weihnachtskerzen mit geheimnisvoller Zauberkraft die schlafenden Sehnsüchte weckt, sondern erst recht dann, wenn das alles fehlt, fängt der Brunnen wehmütiger Gedanken an zu sprudeln und läuft in kleinen Bächlein von Tränen über die Wangen. Das geht denen in der Fremde so, die sich nach der Heimat sehnen, und geht der Heimat so, die zu den Fronten hindenkt, und geht erst recht wohl Ihnen so, die Sie bis in die andere Welt hinwandern müssen, um dort Ihr Liebstes zu suchen.

„Wenn bei der Einfahrt eines Pilgrims in jene bessere Welt die Türe aufgeht, so streichet allemal denen, die es nahe angeht, ein Himmelslüftlein entgegen, das sie stärket, bis die Reihe auch an sie kommt" (Johann Albrecht Bengel).

Solch ein Himmelslüftlein aber umweht in dieser Weihnacht Sie ganz besonders und trocknet alle Tränen. Diejenigen unter Euch, die ihr Liebstes am Ziele wissen, trösten sich vielleicht schneller und leichter als die, denen das Zwielichtwort „vermisst" das bange Herz mit Fragen quält. In der Bibel steht aber, dass Jesus über Tote und Lebendige Herr sei. Die unser Sehnen nicht erreicht, das wie ein Irrlicht jenseits der Grenzen durch die Lande läuft, die erreicht der Herr auf jeden Fall und überall. Seiner segnenden Heilandshand und Weihnachtshuld befehlen wir die Lebenden und Toten, die Vermissten und Gefangenen, die Verwundeten und Kämpfenden. Wir kennen den, der nach ihnen allen sieht. Das ist genug!

 

Mehr willst Du nicht von mir, so oft ich frage,

als dass ich, Gott, zu Dir mein Amen sage!

 

In stillem Mitgefühl und in besonderer Fürbitte jetzt, wo die Weihnachtsbotschaft uns bewegt,

Ihr Hans Dannenbaum

Aus Briefen nach dem Kriege

 

Erste Berichte nach Kriegsende

 

Essen, den 18. Mai 1945

 

Liebste Mama!

O, wie oft sind die Gedanken in den letzten Wochen zu Euch gewandert: Ob Ihr noch lebt, ob Ihr fröhlich seid, ob Ihr Not zu leiden habt, ob Hülben noch steht, ob… es gäbe so viel zu fragen. Aber es ist mir, als hörte ich Onkel Albrecht sagen: „Schwätz net lang und sag, was mit euch los ist."

Nun, uns geht es gut. Die letzten Tage brachten noch mal viele Nöte: Ein furchtbarer Terrorangriff am 11.03. zerstörte mein Weigle-Haus und mein Gärtlein, verwüstete stark unsre Wohnung. Schlimm war auch, als die Ari nach Essen Hereinschoss und eine Nacht lang Schuss auf Schuss in den Garten des Huyssenstifts ging und ich zwischen zwei Salven mit den ängstlichen beiden Jüngsten durch diesen Garten in den Kellerdes H-Stiftes jagte – nun, das alles ist vorbei. Neue Nöte tauchen auf.

Aber wir leben in all dem herrlich und in Freuden. Jeder beneidet uns. Wir haben alle Kinder hier. Es gibt keine Schulen. So lernen sie bei Emmi und helfen im Haushalt. Der ist schwierig. Man muss das Wasser weit herschleppen. Man muss Schlange stehen für jeden Dreck. So ist es arg geschickt, dass die Mutter so feste Hilfen hat. Jeden Tag erscheint auch Hanna und wird immer mit Freudengeschrei begrüßt.

Die Hauptnot ist die Hungersnot. Aber uns ergeht es wie Elia am Bach Krith. „Habt ihr auch je Mangel gehabt?" – „Nie, keinen!"

Ich bin wieder voll in der Arbeit. Der Druck des Redeverbots ist von mir genommen. An Himmelfahrt hatte ich die Jugend Essens zu einem großen Treffen und Missionsfest nach Steele eingeladen. Wir zitterten tagelang, ob das Wetter gut werde. Und dann kam der strahlend schöne Tag. Mein Volk zog zu Fuß hin. Ich rechnete mit 100 Jugendlichen. Hatte vorher zwei überfüllte Gottesdienste. Fuhr dann in einem Bäckerauto hin. Und denkt euch: Da waren über 1000 junge Leute versammelt auf einer Wiese. Posaunen bliesen: „Siegesfürst und Ehrenkönig." Ich predigte über Psalm 110. Mir ging das Herz auf. Und doch kamen mitunter die Tränen, wenn ich die Lücken bei den jungen Männern sah. Und wie hätte Wilhelm so einen Tag genossen!

Nach dem Gottesdienst war allgemeines Essen und Spielen, dann Singen. Und dann unter alten Bäumen das eigentliche Missionsfest, zu dem noch viele Leute kamen. 6000 Mark Kollekte. Viele Redner. Es war wie im Himmel. Von weit her war das Volk zusammengeströmt, bis von Düsseldorf und Neviges und Velbert.

Und nun ist meine Jugendarbeit im Aufblühen. Evangelisationen in allen Gemeinden werden vorbereitet. Kurz, ich bin wieder mit Volldampf in der Arbeit.

Leider fehlt mir sehr meine Kirche, die zerstört wurde. Ich hielt zuerst meine Gottesdienste im Keller des Weigle-Hauses. Aber da hatten nur 100 Leute Platz. Dann bekam ich einen Saal im Hotel Vereinshaus am Bahnhof mit 160 Plätzen. Auch zu klein. Nun nahm ich noch einen Leerstehenden Saal im Süden der Stadt dazu mit 250 Plätzen. Der war auch gleich voll. Da fing ich auch einen Kindergottesdienst an, der aufblühte. Nun kam gestern der Schlag: Da kommen in das ganze Viertel Polen in die Wohnungen. Die Leute müssen räumen. Der amerikanische Captain erklärte mir, er könne nicht mehr garantieren für die Sicherheit der Kirchgänger in meinem Saal, und ich müsse raus. Nun bin ich heute los und habe mit dem Hotel Vereinshaus einen neuen Saal festgemacht mit 500 Plätzen. Da muss ich aber erst den Schutt rausschaffen und Fenster einsetzen. Da wollen wir nun mit der ganzen Gemeinde am Mittwoch nach Pfingsten ran. In dem Saal wollen wir auch die Tersteegensruh-Konferenz am 31.05. abhalten, die so lange Zeit verboten war.

So ist also unser Leben recht das von Kindern Gottes in der gefallenen Welt: Viel Freude im Herrn, viel Durchhilfe und Herrlichkeit – und dabei der tägliche Kampf mit lauter kleinen und großen Schwierigkeiten, die „nicht wert sind der Herrlichkeit, die an uns soll geoffenbart werden".

Wir sind froh, dass wir nicht mehr täglich die Sirenen hören müssen und dass wir nicht mehr um unser Leben rennen müssen. Ich stehe morgens gern früh um 6 Uhr auf und schippe den Riesenkrater im Garten zu. „Im Garten" ist falsch. Der ganze Garten ist ein Krater. Aber bald ist er zu. Und ich überlegte heute schon, wie ich ihn neu anlegen will. Ich habe so gern diese stillen Morgenstunden…

Dein Wilhelm

 

 

Essen, den 13. Juni 1945

 

Liebste Mama!

Ach, wie ist das Heimkommen schön! Ich kam kürzlich von Brass, wo ich für die ganze Woche unser Brot geholt hatte, damit wir nicht täglich die langen Brotschlangen abstehen müssen. Da fuhr ich mit meinem Rad an einem Haus vorbei, wo gerade so ein braungebrannter junger Heimkehrer von den Hausgenossen vor der Tür strahlend begrüßt wurde. Auf einmal sehe ich, wie im 1. Stock eine grauhaarige Frau ans Fenster gestürzt kommt, dann ein Jubelschrei – unbeschreiblich! Ich habe laut geweint auf meinem Rade, dass ich meinen Sohn hier nicht mehr erwarten darf. Aber dann fiel mir auf einmal mein Korb mit den Broten hinten vom Rad. Das kam mir vor wie eine Mahnung Gottes: „Was weinst du um den, den jetzt nicht mehr hungert und dürstet, du hast ja noch eine fünfköpfige Familie, für die du sorgen und an der du dich freuen darfst!" So hilft Gott täglich hindurch zur Freude.

In den meisten Fällen ist das Heimkommen hier in Essen erschütternd. Das Heim ist zerstört, die Familienfort dann rennen die armen Kerle tagelang herum, um festzustellen, ob ihre Lieben alle umkamen oder wohin sie gegangen sind. Gestern besuchte uns ein befreundeter CVJMer, der aus dem Gefangenenlager als ein gebrochener Mann heimkehrte. Von seinem Häuschen stehen noch drei Zimmer. Die sind aber von anderen bewohnt. Für ihn blieb keine Ecke. In seinen Betten schlafen die anderen. So ist's allermeist. Die Not mit den Wohnungen schreit gen Himmel. Und wir werden täglich mehr dankbar, dass unser Häuschen bewahrt blieb. Wenn auch die Wände kaputt sind und der Regen durchs offene Dach hereinströmt, wir haben noch ein Heim. Am Rande unseres ganz zerstörten Gartens blühen sogar jetzt die Rosen, und eines Tages kriegen wir auch vielleicht wieder Wasser, das wir nun schon seit Monaten herbeischleppen müssen.

So geht's uns sehr gut. Der Bombenterror ist doch vorbei. Wir singen oft: „Er weiß viel tausend Weisen, zu retten aus dem Tod, er nährt und gibet Speisen zur Zeit der Hungersnot."

Es ist wunderbar, wie wir täglich durchgebracht werden. Wir hatten schon oft für morgen keine Kartoffel mehr. Aber immer „für heute". Jetzt sind die Essener ganz glücklich: Zum ersten Mal seit Februar gab es letzte Woche pro Person 3 Pfund Kartoffeln. Gott sorgt auch immer noch für unsere Gäste. So hätte ich z. B. an der Tersteegensruh-Konferenz gern etliche Auswärtige mitgenommen, aber mein Keller war leer. Da bekam ich von der rührenden Anneliese Becker bei meinem Besuch in Langenberg gelbe Rüben geschenkt und am Vorabend der Konferenz von lieben Bekannten einen großen Eimer Kartoffeln, so dass ich einen großen Topf voll Eintopf kochen konnte.

Der Tag der Konferenz war ein richtiger Freuden- und Festtag. Als vor Jahren die Konferenz verboten wurde, dachten wir, ob wir wohl in unserer Generation noch erleben, dass wir wieder zusammenkommen? Und nun ist das „ewige" Dritte Reich schon überstanden. Es war solch eine Freude des Volkes Gottes am Wiedersehen.

Deine Emmi

 

 

Von Margarete Busch an Familie Stöffler

 

Essen, den 30. August 1945

 

Ihr lieben „Köngener!"

Heute sollt Ihr doch mal wieder was von unserem Leben hier erfahren.

So fange ich nun mit dem Haupt der Familie, mit Papa an, der augenblicklich auf einer sehr interessanten Reise ist. Vier Tommies (darunter zwei englische Pfarrer) holten ihn in einem eleganten Wägelchen ab, um ihn in ein Pfarrer-Gefangenenlager in Wesel zu bringen. Hier soll er die Pfarrer heraussuchen, die sich besonders gut zur Gefangenenbetreuung gebrauchen lassen. Die übrigen werden entlassen. Der Papa ist froh an solchen Aufträgen, wo er so allerhand erleben kann, und außerdem… na ja, ist die Verpflegung, die er dort bekommt, sicher nicht schlecht – – –

Papa hatte in der letzten Woche eine BKler-Freizeit (20 junge Männer in einem Heim bei Siegen). In der Kirche hatte Papa um Lebensmittel gebeten. Da war so allerhand zusammengekommen. Unter anderem auch 23 Brote und ein Marmeladeneimer. So musste keiner der Jungen Hunger leiden. Es muss eine wunderschöne Freizeit gewesen sein. Dazu kam noch, dass es drei Wochen geregnet hatte und dass es in der Woche gerade schön war.

So…! Thema Papa wäre erledigt.

Mama ist augenblicklich sehr „in Rage", da Maurer, Schreiner und ihre Schwester Elisabeth (die mit den 11 kleinen Kindern) zur Erholung da ist. So ist ein ziemlicher Betrieb hier, und nicht nur Betrieb, sondern auch ein Mordsdreck. In sämtlichen Zimmern werden sämtliche Wände zugemauert, und das ist bei unserer kleinen, überfüllten Wohnung ziemlich schwierig. Außerdem leben wir augenblicklich ohne Türen, die sind alle in eine Möbelwerkstatt zur Reparatur geschafft worden. So könnt Ihr Euch einigermaßen Mamas Dreh vorstellen. Aber sie hat ja noch Töchter, und die werden nun tüchtig angespannt. „Perfektere Hausfrauen als Lisa und mich kenne ich gar nicht."

Ich konzentriere mich ja augenblicklich auf das Klavierspiel, aber oft schon finde ich nicht die Zeit, mich eine Stunde ans Klavier zu setzen. Die Schule soll für Elisabeth, Renate und mich am 1. Oktober anfangen, doch glaube ich noch nicht recht daran. Kohlen werden nicht geliefert, die Schüler müssen mit ihren Lehrern auf den Trümmern Holz suchen (Na, viel Vergnügen). Eben solch Vergnügen wünsche ich mir heut Nachmittag. Papa, Mama, Lisa und ich haben eine Aufforderung vom Polizeirevier erhalten, heute um 6.00 Uhr mit Schaufel und Spaten zur Trümmeraufräumung zu erscheinen. Selbstverständlich treten nur Lisa und ich an, aber Lust bei dem Regenwetter haben wir absolut nicht, hoffentlich werden wir bei solcher Männerarbeit nicht zu geschunden – – –

Gestern waren wir zum ersten Mal wieder in einem Konzert im Waldtheater. Da in Essen kein Saal mehr steht, musste das Konzert im Freien stattfinden. Die ganze Stimmung und Feierlichkeit fehlte. Die Männer rauchten die Mutz, die Mädels kamen in Dirndlkleidern und ohne Strümpfe, und die Musik, es war nicht das wie im Saalbau, die leisen Stellen verwehten ganz. Es war schade um die Musik, die an und für sich gut dargestellt wurde.

Ich möchte schließen, bzw. ich muss schließen. „Die Pflicht ruft."

Mit herzlichsten Grüßen

Eure Gretel

 

 

Weitere Nachkriegsberichte

 

Essen, den 4. Dezember 1945

 

Liebe Mama!

… Hier bin ich schrecklich in der Arbeit. Neben dem Gewöhnlichen so allerhand Extradinge: So habe ich regelmäßig biblische Vorlesungen in der Sozialen Frauenschule in Gelsenkirchen. Dann habe ich den Religionsunterricht in der Oberklasse einer Höheren Schule zweimal die Woche. Das sind ja alles „alte Krieger". Sie baten ihren Direktor, er möge erlauben, dass sie mich bäten. Und nun ist das ganz herrlich mit diesen 15 jungen Kerlen, meist früheren Offizieren, die nun ihr Abitur nachmachen müssen. Wie tun sie mir leid! Darunter ist der Sohn von dem Oberregierungsrat, der einst Papa in Elberfeld bat, er möge einen BK übernehmen, als er an einem Samstag so beschäftigt war. Der Vater erwartete mich gestern vor der Schule und sagte mir, sein Sohn sei so dabei, dass es ihn an die Zeit erinnere, als er so begeistert in Papas BK ging.

Am Sonntag hatten wir unser Jugendfest. Als es morgens so schauerlich goss, war ich sehr traurig und dachte, ich sei ganz von Gott verworfen, was ja kein Wunder wäre, und dann war der Gottesdienst übervoll. Am Nachmittag mussten wir nach Werden, weil in Essen keine Kirche mehr heil und mein Saal zu klein ist. Aber bei dem Regen, so dachte ich, hätte mein Saal genügt. Es schüttete wie mit Kübeln. Aber wie ein Wunder war es, dass dann gegen Mittag die Sonne kam. Und Menschenströme fuhren mit den Vorortzügen nach Werden. Obwohl diese Kirche auch keine Fenster hat und ich fürchtete, es sei unerträglich kalt, wurde es auch so wunderlich warm über Mittag. Kurz, es war herrlich! Die Riesenkirche übervoll und dann so, dass ein Ingenieur mir nachher ganz bewegt sagte: „Sie kündigten ein ,Jugendfest' an, aber es war ein ,Jesusfest'."

Die Kinder sind jetzt in der Schule. Es ist so schwierig, weil alle zu so verschiedenen Zeiten gehen müssen. Da ist das Mittagessen manchmal wie in einer Wirtschaft, der eine kommt, der andere geht. Aber das sind ja keine Sorgen. Wir haben es inmitten dieses Elendes wunderschön, dass ich oft denke, es könne gar nicht so bleiben.

Gestern Abend hatte ich z. B. meine Bibelstunde über Offenbarung 2. Es regnete schauerlich. Das ist bei uns so schlimm, weil die verkraterten Straßen dann wirklich unergründlich dreckig und auch bei der Dunkelheit sehr gefährlich sind. Ich muss eine Straße laufen, wo fünf bis sechs Meter tiefe Löcher sind, und da führen nur schmale Fußwege entlang, und in den Trümmern ist ja kein Mensch um den Weg. Wenn man da in diese aufgerissenen Kanäle stürzt, dann kann man ganz nett umkommen. Und da war mein Saal zu meinem Erstaunen rappelvoll. Eine treue Gemeinde, wo sich jede gründliche Vorbereitung lohnt.

Heute Abend hat Emmi allerlei einsame Leute zum Musizieren eingeladen. Wir haben nur selten geheizt. Und wenn die Heizung an ist, dann wird das ausgenutzt. Als wir überschlugen, stellten wir fest, dass nun an die 25 Leute kämen. Aber sie sind alle so dankbar, weil die meisten wie die Zigeuner hausen! Noths und der Studienrat Spieker und die Kinder vom Pfarrer Neil und Herr Kurz mit Sohn. Die Frau ist in Pfrandorf, und der Mann wohnt hier in einem schrecklichen Hotel. Er muss mit einem anderen zusammenwohnen. Vorige Woche hat sich sein Schlafgenosse aus dem Fenster gestürzt, weil sein Sohn vermisst ist, und war tot. Und der Herr Kurz hat daneben geschlafen und nichts gemerkt. Ein typisches Bild der Zeit. Der Sohn von dem Studienrat Spieker ist Arzt. Da hatte ich vor kurzem eine Taufe. Er erzählte, bei ihm im Krankenhaus seien jetzt sieben Männer gestorben, die hatten auf dem Schwarzen Markt Schnaps gekauft und zusammen ausgetrunken. Und das war Methylalkohol, von dem Verkäufer regelrecht Mord. Eine schauerliche Welt.

Und wir leben wie Joseph im Gefängnis: „Der Herr war mit ihm, dass er ein glückseliger Mann ward."

Vor meinem Fenster das Alltagsbild. Da ist mal wieder ein Auto im Dreck eines oberflächlich zugeworfenen Kraters stecken geblieben. Und nun quälen sich die Männer damit ab. Seid froh, dass Hülben einigermaßen heil ist! Im Nebenhaus sind meine Nachbarn jetzt daran, ihre letzten Habseligkeiten zu bergen und wegzuziehen. Es war so eine nette Villa. Und am 11.03. bekam sie einen Volltreffer. Nun haben sie bis jetzt in den Trümmern gehaust, aber nun ziehen sie fort. Es tut uns so leid, weil es so nette Leute waren, mit denen wir oft in ihrem Keller, der so gut ausgebaut war, saßen bei den Angriffen. Es sind Katholiken, und mir gefiel es, dass sie ein Kruzifix in ihrem Keller hatten. Das hat uns mal bei einem Angriff alle so getröstet. Ja, nun gehen sie fort.

Behüt Dich Gott

Innigst Dein Wilhelm

 

 

Essen, den 27. Dezember 1945

 

Liebe Großmama!

… Nun will ich nur unsere Christmette noch ein wenig beschreiben, denn sie war für uns mal wieder ein Erlebnis. Wir machten gar keine Propaganda dafür, sondern luden nur immer für den Weihnachtsgottesdienst um 8.30 Uhr ein. Als wir dann um 6.00 Uhr in den Saal kamen, waren wir wirklich „platt", wie der Essener sagt. Wir kamen kaum mehr bis zum Altar durch. Und dann strömte es unmenschlich. Die Gänge waren so voll, dass niemand mehr herein konnte. Kurz und bündig fasste Papa den Entschluss, mehr Platz zu schaffen. Dann packten zwei starke Männer schnell entschlossen den Weihnachtsbaum und warfen ihn zum Fenster hinaus, was zwar unfeierliches, aber fröhliches Lachen bei der versammelten Gemeinde hervorrief. So konnten noch mal wieder 20 Leute in den Saal hinein. Und trotzdem standen die Leute bis auf die Straße hinunter.

Es lag eine fröhliche Feststimmung über dem ganzen Gedränge. Reinhard Neil, mit dem wir eine kleine Weihnachtsmusik eingeübt hatten, kam sehr frühzeitig und stand nur etliche Schritte von uns entfernt im Gang. Aber es war unmöglich für ihn, mit seiner „Oma" (d. h. seinem Cello) bis zu uns vorzudringen. Und dann wurde gesungen, posaunt und aufgesagt, dass einem das Herz aufging. Papa hielt eine kurze Predigt über die Gestalt des Joseph, es war alles so wunderschön, dass man es mit Würde trug, dass bei dem Gedränge das Programm nicht so gut klappte wie ein Konzert. Man sang sich so richtig die Weihnachtsfreude ins Herz.

Dann sangen wir Mädels noch in einem Bunker, in dem Ostflüchtlinge untergebracht sind. Ein kaum vorzustellendes Elend dort! Papa ist gerade wieder zum Bibelkurs, zu dem gestern Abend 95 Jungens da waren. Was für ein Unterschied gegen das vorige Jahr! Seid alle herzlich gegrüßt von

Eurer Elisabeth

 

 

Essen, den 6. Juni 1946

 

Liebe Mama!

Schon lange drückt es mich, dass ich nicht zum Schreiben kam. Nun bin ich um 5.00 Uhr aufgestanden, um endlich diese Schuld loszuwerden. Wir hatten so sehr viel. Neben all den Schwierigkeiten, die die vielen Verhandlungen mit den Behörden bringen, waren es zwei Ereignisse, die uns bewegten:

Die Evangelisation in 20 Kirchen und Sälen. Eine Woche fang waren etwa 12000 Menschen unserer Stadt unter Gottes Wort. Wenig, wenn man auf die ganze Bevölkerung und auf unseren Aufwand von Plakaten, Zeitungsinseraten und Handzetteln sieht, viel, wenn man sieht, wie stumpf und hungrig die Leute sind.

Dr. Lilje, der gerade von London kam, und der Emdener Jugendpfarrer haben bei uns gewohnt. Viele aßen bei uns. Jeden Morgen ließ ich die Evangelisten durch Autos zusammenholen zur Gebetsgemeinschaft und Bibelbetrachtung. Es war eine wundervolle Festzeit für uns. In einigen Gemeinden wurde aus der Evangelisation heraus ein Jugendkreis ins Leben gerufen. So in Werden, wo Vetter Braun die Sache famos machte.

Lilje hatte nebenher DCSV-Tagung, die bei uns im Hause endigte. Kurz, es war schon ein großer Angriff auf eine Stadt, der die Gemüter bewegte, nicht nur meines.

Dann hatte ich an Himmelfahrt ein großes Jugendmissionsfest in Essen-Steele. Morgens meinen eigenen Gottesdienst. Als ich davon kam, war der Essener Bahnhofsplatz erfüllt mit jungem Volk, das nach Steele fuhr. Einfach aufregend schön! Es kamen etwa 3000 Jugendliche, obwohl es am Morgen leider regnete. Die riesige Kirche, in der Johannes evangelisiert hatte, überfüllt mit Jugend. Ich predigte.

Am Mittag noch mal ein furchtbarer Guss. Ich war in großer Not. Aber dann kam die Sonne heraus, und dann ging es in endlosem Zug durch die Ruhrwiesen zu einem Festplatz an einem Berghang. Es wurde so schön, dass man im Freien lagern konnte. Es sprachen drei Redner, der Ortspfarrer, ein Missionar und Gedat. Ich leitete. Fast 4000,- Mark Kollekte und nur junges Volk!

Jetzt kommt die Tersteegensruh-Konferenz in Werden, weil hier kein Saal ist. Die meisten Redneressen bei uns. Es ist wunderbar, wie der liebe Gott immer wieder sorgt. Gestern kam eine Kiste Kartoffeln aus Ägypten. Dabei ist hier eine arge Hungersnot, und wir dürfen noch einladen. Ich sende Dir ein Programm.

Dann muss noch eine Reihe Jugendfreizeiten jetzt vorbereitet werden. Teils gehen wir auf Dörfer im Lipperland, teils in Heime, wo ich die Lebensmittel Zusammenfechten muss. Die Quäker holten mir Kartoffeln, die ich im Bergischen Land sammeln ließ für die Freizeiten. Einiges bekomme ich aus der Schwedenhilfe. Es ist eine rechte Quälerei. Aber ich halte die Bibelarbeiten so wichtig für die Jugendarbeit.

Zu all dem kommen viele schriftstellerische Arbeiten und nun noch die normale Arbeit. Volle, übervolle Gottesdienste. Das schöne Erleben in den wachsenden Jugendkreisen, das ermüdende Herumlaufen um Baugenehmigungen für Jugendhaus und Kirchsaal.

Kurz, es ist ein herrliches und reiches Leben. Ich schwimme wieder im Strom und muss nur sehr ringen um Stille und rechte Führung. Es gibt so viel schwere Entscheidungen…

Und nun behüt Dich Gott! Wenn ich auch ein fauler Schreiber war, so bin ich doch viel in Gedanken bei Dir und denke bei so manchem Mal, wie wünschte ich, dass Mama es miterlebte.

Herzlichst

Dein Wilhelm

 

 

Essen, den 7. Juli 1946

 

Liebste Mama!

… Unsere Tersteegensruh-Konferenz war reich gesegnet. Ich erlebte im Haus wieder rechte Speisungswunder. Kartoffeln und Gemüse für die Tagung hatte ich vorher geschenkt bekommen. Aber es war erstaunlich, dass Gott mir auf meine Bitte um eine Fett-Sonderzuteilung nicht antwortete. Vielleicht war das noch Größere, dass trotzdem alle satt wurden. Wir hatten vier Wochen lang von unserem Fleisch gespart, und dafür bekam ich, seit Monaten war das nicht dagewesen, einen schönen Schweinebraten, der war so fett, dass es nicht nur eine gute Soße gab, sondern auch Fett zum Gemüse und zur Suppe.

Pastor Tegtmeyer aus Bethel und Pastor Damrath, ein junger Pfarrer, den v. Reden zur Vertretung schickte, kamen schon Dienstagmorgen. Mittwochs waren wir zu 14 und Donnerstag zu 10.

Das ist für unsere heutigen Essener Begriffe gewaltig, und Du kannst Dir denken, wie wunderbar es mir war, dass wir erleben durften: „Sie aßen alle und wurden satt."

Es war eine feine Gemeinschaft unter den Brüdern. Gott hat doch immer wieder Leute, die Er braucht in Seinem Dienst. All die alten, gesegneten Brüder, die sonst die Konferenz trugen, sind in den letzten Zeiten heimgegangen. Und nun war zu meiner Verwunderung wieder ein neuer großer Kreis da von „mittelalterlichen".

Als bei der Abendmahlsfeier, an der vielleicht 800 Leute teilnahmen, am Schluss alle sangen: „Wenn nach der Erde Leid, Arbeit und Pein / ich in die goldenen Gassen zieh ein", kam es mir vor, als stünden wir schon an den Toren des himmlischen Jerusalem.

Über all den Referaten lag ein großer Ernst. Wer kann wirklich von sich sagen, dass er „in den Fußstapfen des Glaubens Abrahams" wandelt!

Innigst

Deine Emmi

 

 

Essen, den 4. Februar 1947

 

Liebste Mama!

… Der alte Inspektor Hoffman ließ sich von mir in die Hand versprechen, dass ich nie Oberkirchenrat oder so was würde. Er meinte: „Wen der Teufel gar nicht anders mundtot machen kann, den macht er zum Konsistorialrat."

Nun, der Teufel hat auch noch andre Mittel. Ich bin oft recht betrübt, dass meine körperliche Kraft so klein geworden ist. Ich mache jede Woche einen Liegetag. Und auch sonst muss ich viel liegen. Sonst geht es nicht.

Zurzeit habe ich eine anstrengende Sache. Da hatte ich eine Evangelisation in Duisburg übernommen. Die musste wegen meiner Krankheit zwei Tage vorher abgesagt werden. Nun hole ich sie jetzt nach. Und nun gerade diese Kälte, wo man bei der Glätte so schlecht Auto fahren kann. Jeden Abend eine Stunde hin, Vortrag und eine Stunde zurück.

Emmi war gestern Abend mit. Wir waren vorher bei dem Pfarrer Diehl, reizende Leute. Sie ist eine geborene Reber. Sie hatten köstliche Spätzle und eine Fleischbüchse aufgemacht.

Herrlich die übervolle Kirche und die schönen Männerchöre! Es sind meist Bergleute. Es hat mich gerührt, wie scharenweise junge Burschen eng gedrängt stehen. Aber bei der Rückfahrt war ekliges Glatteis. Und heute Abend wieder alles gefroren. Nun, ich werde auch den letzten Abend noch überstehen…

Mein großes Erleben der letzten Zeit war ein Vortrag im „Haus der Technik", der wegen meiner Krankheit nun im Januar stieg. Damit Du eine Ahnung hast, lege ich Dir einen Prospekt bei. Es war übervoll, die Leute standen bis vor die Tür. Alles aus Industrie usw. war da. Der Leiter, Professor Reisner, sagte zu Anfang, man habe ihn angegriffen, dass er solche Vorträge halten ließe. Und ich spürte ihm eine ziemliche Sorge an, ob ich ihn nicht blamierte. Er bat: „Schimpfen Sie nicht auf die Technik." Ich sagte: „Mein Vortrag ist jetzt ausgearbeitet. Den kann ich nicht mehr ändern." Es wurde eine Evangelisation für Gebildete. Emmi staunte, wie ich schließlich, nachdem ich etwas wissenschaftlich angefangen hatte, die einfachsten evangelistischen Geschichtlein erzählte. Und die Leute hörten 65 Minuten atemlos zu. Jetzt schrieb mir der Professor Reisner, der große Widerhall ließe ihn mich bitten, im nächsten Semester wieder einen Vortrag zu halten. Ich war froh, wie es vorbei war. Es schlauchte mich doch sehr.

Die Zeitungen brachten alle Berichte, sehr verworren. Aber das hatten sie doch begriffen, dass es voll war und dass von Jesus die Rede war.

Lebewohl. 10000 Küsse!

Dein Wilhelm

 


Von Friedrich Müller, Rektor in Geliershagen bei Bielefeld, Vater von Emmi Busch

 

Ein Vermächtnis

Meine lieben Kinder!

(Zu meinem 75. Geburtstage!)

 

75 Jahre – Dreivierteljahrhundert – meines Lebens liegen hinter mir. Es waren Jahre der Gnadenführung meines treuen Herrn und Heilandes. Allerdings gab’s darin auch Zeiten schweren Leides, und dennoch muss ich bekennen: „Was hat Dich bewogen, dass Du mich vorgezogen!?“

Wie lange, liebe Kinder, ich noch unter Euch bleiben darf, steht in des Herrn Hand. Ob Er mich von meiner gegenwärtigen Krankheit mit den oft heftigen Schmerzen noch mal will gesund werden lassen, weiß Er allein. Mich bewegte in dieser Zeit die Liedstrophe: „Ewigkeit, in die Zeit leuchte hell herein, dass mir werde klein das Kleine und das Große groß erscheine, selge Ewigkeit!“

Wenn dann ich rückschauend mein Leben überblickte, trat auch alles das hervor, worin ich gefehlt, was anders hätte sein können und sollen. Der Herr aber in Seiner Gnade hat alles Falsche und Versäumte zugedeckt. Darob will ich Ihm ewig danken!

Liebe Kinder, mir sind im Leben folgende Bibelstellen unter vielen anderen wichtig gewesen und immer wichtiger geworden:

 

Hebräer 13, 9: „Lasset euch nicht mit mancherlei fremden Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade."

2. Timotheus 2, 8: „Halt im Gedächtnis Jesum Christum, der auferstanden ist von den Toten!"

1. Korinther 3, 11: „Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus!"

 

Und nun, liebe Kinder, will ich unter Gottes gnädigem Geleit hineingehen in den neuen Lebensabschnitt, den mir mein geliebter Herr und Heiland vielleicht noch zu schenken gedenkt. Sollte Er's aber anders beschlossen haben, dann möge das Verslein mich geleiten: „Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid, damit will ich vor Gott bestehn, wenn ich zum Himmel werd eingehn."

Meine lieben Kinder, nehmt diese Zeilen Eures alten Vaters als ein Zeichen herzlicher Liebe und inniger Verbundenheit mit Euch entgegen. Vielleicht sind sie später einmal Euch eine liebe Erinnerung, weshalb ich sie auch mit der Hand und nicht mit der Maschine geschrieben habe.

Bielefeld, zum 14. März 1943

Euer getreuer Vater

Friedrich Müller

 


Emmi Busch über ihren kranken Mann

 

Essen, den 26. Oktober 1946

 

Liebste Mama!

Ich sitze hier im Huyssenstift bei meinem liebsten Mann. Er löffelt sehr behaglich zum Abendbrot seinen dicken Milchbrei, den er hier alle Abend bekommt und über den ich für ihn immer so froh bin, weil wir ja nur einmal die Woche ¼ Liter Magermilch kriegen. Wir sprachen heute noch davon, ob ich ihn nicht heimholen solle. Aber daheim bei uns wäre es zu kalt, weil wir die Heizung nicht anstecken können. Man versucht, ihn mit Heizkissen, heißen Bädern usw. zu kurieren, was ihm sehr wohl tut. So haben die Schmerzen im Rücken sehr nachgelassen. Sein Kopf macht uns die meiste Sorge. Er hat immer noch so Kopfschmerztage, dass er am liebsten den ganzen Tag schlummert. Überhaupt kommt es mir vor, als sei er jetzt in einem vollkommenen Erschöpfungszustand, wo er nur Ruhe und Stille braucht. Manche Besucher meinen, sie müssten ihn trösten, dass er hier im Bett liegen muss. Aber das ist ihm gar nicht schwer und bitter. Er genießt richtig das Ausruhen dürfen. Man kann nur Gott bitten, dass Er diese Zeit segnet und neue Kraft schenkt. Wir leben ganz von Seiner Gnade. Die Zinzendorf- und Hillerlieder fallen recht aufs Plätzle. Und am liebsten sind ihm die Besucher, die ein Bibelwort lesen und kurz beten.

Man lernt in dieser Zeit etliches über das Krankenbesuchemachen. Mir sind alle Besuche so interessant. Ich könnte ganze Bände darüber schreiben:

Da kommen Dienstmädchen aus der Waschküche herauf: „Wir wollten Pastor Busch besuchen, das ist nämlich unser liebster Freund." –

Da kommt ein Herr, der irgendwie am 20. Juli damals beteiligt war und in Moabit im Gefängnis saß. Von dieser Zeit kommt er im Geist nicht los und erzählt immer wieder davon. Als er ein schweres Verhör vor sich hatte, wo es um seinen Kopf ging, sagte ihm ein Bibelforscher, der seine Zelle reinigen musste: „Wenn es bei Ihnen um eine Sache des Reiches Gottes ginge, dann könnten Sie jetzt ganz ruhig und fröhlich sein, aber Sie haben sich in weltliche Händel gemischt, da müssen Sie das jetzt ausbaden." –

Oder es kommt der Gärtner, ein wortkarger Schlesier, mit dem wir anfänglich immer Kniest hatten, aber scheint's hat ihm jetzt Wilhelm das Herz abgewonnen, dass er ihm im schönsten Sonntagsanzug einen Besuch macht. –

Da kommt ein junger Mann, nicht ganz arisch, der nun mit 1000 Freuden in Marburg studiert und vom Leben der Studentengemeinde berichtet. –

Oder der gute Bäckermeister Braß bringt ihm ein Stück Kuchen und möchte ein tröstendes Wort von meinem Mann. Er hatte einen sehr geliebten Sohn in russischer Gefangenschaft und bekam nun von Kameraden die Nachricht, dass der dort gestorben sei. Der Vater kommt schier nicht darüber hinweg. Jedes Mal, wenn er mir Brot bringt, müssen wir von diesem Herzleid sprechen, während der Professor hier, wenn er zu Besuch kommt, gar nicht seinen Schmerz um den Sohn angetastet haben will. –

Da kommt ein Herr v. W., sehr angesehenes Gemeindeglied und Vorsitzender in vielen christlichen Vereinen. –

Ein großes Ereignis ist's auch, als die „Klara" kommt: Altes Faktotum im Haus. Ihre Freundin in Altenessen gab ihr einen Blumenstrauß für den Pastor mit. –

Strahlend erscheint ein junger Mann, Leiter im Weigle-Haus. Er kam am Tag vorher aus der Gefangenschaft heim und stellt sich nun gleich wieder für die Arbeit zur Verfügung. –

Irgendjemand kriegte ein Paket aus Amerika und schickt eine englische Zigarette herein. –

Der Superintendent Held sitzt freundschaftlich stundenlang am Bett. –

Die Tochter Renate kommt vor der Flötenstunde eben hereingehüpft. Sie hat eine Zwei geschrieben in Mathematik. Das muss doch eben berichtet werden. –

Dr. H., großer CDU-Mann, bedeutend auf allen Gebieten, schaut herein und prägt über eine kleine Sache, die mit großem Getöse verfochten wird, den kostbaren Ausspruch: „Seeschlacht im Eimer." –

Ein freikirchlicher Prediger fragt, ob er mit seinem Chor draußen im Flur singen dürfe…

Es ist nur eine kleine Auslese. Aber dies Dasein ist auch nicht uninteressant. Doch möchte Wilhelm am liebsten ganz ruhen. So, jetzt lese ich ihm noch ein Abendlied, und dann gehe ich heim.

Innigst

Deine Emmi

 


Von Pastor Raeder, Berliner Stadtmission

 

Mit Pastor Raeder verband Wilhelm Busch das Engagement für den evangelistischen Dienst und das Interesse für die Schriftenmission. Jahrelang „bestellte" Pastor Raeder monatlich je vier Beiträge für sein Verteilblatt „Kraft und Licht".

 

 

Berlin, den 17. Januar 1948

 

Lieber Bruder Busch!

Dein Brief hat mich ganz eigenartig berührt. Endlich sind wir beide wieder nach langer Pause in Verbindung getreten. Es war aber auch Zeit. Mensch, Du musst nicht so viel übernehmen und ein langsameres Arbeitstempo einschlagen, sonst ist es natürlich kein Wunder, dass Du dauernd auf der Nase liegst. Hast Du denn keine Frau mehr, die Dich bremst? Oder hast Du eine neue Frau, die noch keinen Einfluss auf Dich hat? Deine alte grüße sehr. Sage ihr, ich hätte sie in anderer Erinnerung, warum sie jetzt keine Kommandogewalt mehr über Dich hat.

Nun zur Sache. Dass Du über 50 bist, rührt mich nicht. Ich bin es auch. Dein Bruder Leib rächt sich nur nach all den Sünden, die Du an ihm begangen hast. Wir hier von der Stadtmission haben aber so viel Erbarmen mit Dir, dass wir Dich für dieses Jahr freigeben. Du siehst, wie anständig wir sind. Aber für nächstes Jahr bittet Bruder Damrath Dich darum, die Woche nach unserem Jahresfest, also 2. Märzwoche, für eine Fahrt zur Evangelisation hierher Dir freizuhalten. Bitte sei so gut und schreibe Dir dies gleich für 1949 auf.

Ich bin bereit, diese Woche bei dir abzuarbeiten. Habt Ihr in diesem Frühjahr wieder eine Gesamtevangelisation?

Ich will versuchen, in der Woche vom 8.-14. Februar, wo ich ganz in Deiner Nähe bin, zu Dir herüberzukommen. Dann können wir alles noch mündlich durchsprechen.

Bis dahin grüßt Deine liebe Frau und Dich herzlich

Dein Raeder

Jesus lebt!

Jesus siegt!


Bericht über ein aufregendes Erlebnis

 

5. Juni 1949

 

Sehr geehrter Herr Pfarrer,

kürzlich bekam ich Ihr Büchlein „Kleine Erzählungen" geschenkt, und da wir zu der Erzählung „Zirkus Sarrasani" sozusagen eine Fortsetzung erlebten, dachte ich, es würde Ihnen vielleicht Freude machen, wenn ich es Ihnen erzähle. Diese Geschichte stand ja vor dem Krieg schon einmal in einem evangelischen Blatt. Damals las ich sie meinem Jungmädchen-Bibelkreis vor, und es machte den Mädchen einen besonderen Eindruck, dass man den Namen „Jesus" in fast allen Sprachen versteht.

Nun war ein junges Mädchen in meinem Kreis, das in einer Gärtnerei angestellt war und mit der Tochter der Gärtnersleute unseren Kreis besuchte. Da kam 1945, kurz nach der Zerstörung unserer Stadt, die Besetzung durch die Schwarzen. Diese Gärtnerei liegt sehr einsam, weitab von der Stadt oder andern Häusern. Als nun eines Tages die Familie beim Mittagessen war, stand plötzlich ein Schwarzer da, der so leise gekommen war, dass ihn niemand gehört hatte, und versuchte, die beiden Mädchen fortzuziehen, indem er ihnen sagte: „Mitkommen, mitkommen!" Da kam natürlich ein großer Schrecken und eine Angst über alle, die Tochter des Hauses fing an zu weinen, die Eltern waren ratlos, denn sie wussten ja, dass alles Wehren in diesem Fall unmöglich war. In diesem aufregenden Augenblick fiel dem jungen Mädchen die Geschichte vom Zirkus Sarrasani ein und dass ich ihnen gesagt hatte, den Namen „Jesus" verstünde man so ziemlich in allen Sprachen. So fing sie einfach an, laut zu beten. Sie sagte mir nachher: „Was ich gebetet habe, weiß ich gar nicht mehr, ich habe nur recht oft den Namen ,Jesus' gesagt." Als sie aufhörte mit beten, stand der Schwarze ganz andächtig und freundlich da, ging zu ihr hin und gab ihr einen festen Kuss und verschwand so lautlos, wie er gekommen war.

Als sie mir das alles erzählte, war sie sehr verlegen, aber sie sagte lachend in ihrem schwäbischen Dialekt – sie ist von Ludwigsburg –: „Des han i doch net denkt, dass i in mein' Leben einmal en Kuss kriegte von einem Schwarze!" Für sie aber und die ganze Familie war es ein großes Erleben, wie Gott nach so langen Jahren sie in diesem Augenblick an Ihr Erlebnis erinnerte und es dazu benutzte, um 2 junge Mädchen in großer Gefahr zu bewahren. Wir wissen ja nicht, ob der Mann verstanden hat, was hier vor sich ging, ob er spürte, dass hier gebetet wurde, ob er überhaupt den Namen „Jesus" heraushörte. Aber Sie können sich denken, wie froh es uns alle machte, als wir erlebten, dass der Herr Jesus auch heute noch Wunder tut und Mittel und Wege hat, um seine Kinder zu schützen.

Mit freundlichen Grüßen

Ihre Elisabeth Denzel

 


Aus dem Wirken einer Heimmutter

 

Schaffhausen, den 7. Mai 1951

 

Sehr geehrter, lieber Herr Pfarrer!

Schon lange hat es mich gedrängt, Ihnen einmal Dank zu sagen.

Seit 18 Jahren bin ich Heimmutter in einem Mädchenheim. Werfen Sie einen Blick in unser Heim hinein:

Da haben am Sonntag 32 Frauen und Töchter zu Mittag gegessen. Die Hausmutter sagt vor dem Aufstehen vom Tisch: „Nun, ihr Lieben, ist unser Magen gut gesättigt, so wollen wir noch etwas für unsere Seele haben." Sie liest eine Begebenheit aus ihren „Kleinen Erzählungen" vor. Alle halten den Atem an. Alle, auch die Lautesten und Gleichgültigsten, werden ganz still. Dann ein kurzes Dankgebet, einige Lieder, und alles zerstreut sich wieder. Im Herzen der Hausmutter aber ist ein stilles, tiefes Freuen darob, dass in ihrem Dienst nicht nur für den Magen gesorgt werden muss, sondern dass auch etwas weitergegeben werden darf für die Seele.

Oder am Donnerstagabend: Da kommen sie von nah und fern zur Töchterzusammenkunft ins Heim. Seien es Schweizerinnen, Deutsche oder Österreicherinnen. Wir singen, schwatzen, lesen vor. „Nun sollt ihr noch ein Erlebnis von Pfarrer Busch in Essen hören." Ich lese. Man erlebt alles so lebendig mit. Die Jugend horcht gespannt. Die Hausmutter merkt, es dringt ein in die Herzen, sie nehmen etwas mit. Am Schluss noch eine 5-Minuten-Andacht. Ganz aus dem Alltag im Dialekt. Ein Gebet und ein Lied. Sie gehen, ein jedes wieder in das Seine. Man durfte ihnen geistige Speise mitgeben, und das macht das Herz so froh.

Die tiefsten Freuden aber sind immer dann, die Sie, in Christo Jesu, lieber Herr Pfarrer, so reichlich kennen, wenn auch die Engel im Himmel sich freuen über einen Sünder, der Buße tut, über ein Menschenkind, das seinen Heiland findet.

Möge der Heiland Sie uns allen noch lange erhalten und zum Segen setzen! Möge Er Ihnen tiefste Erntefreuden gewähren trotz aller Satansmächte. Es ist und bleibt ja doch dabei:

 

„Uns die Ohnmacht,

Satan die Großmacht,

Gott aber die Allmacht."

 

Es grüßt Sie freundlich

Ihre M. Siegenthaler

 


Von dem Kirchentagspräsidenten Reinold von Thadden-Triegiaff

 

Wilhelm Busch hat an den Kirchentagen nach dem Kriege gern Verkündigungsdienste übernommen.

Mit dem Präsidenten und dem Generalsekretär, Pastor Heinrich Giesen, dem späteren Leiter der Berliner Stadtmission, verbanden ihn eine herzliche Freundschaft und die Freude über diese volksmissionarische Möglichkeit.

 

 

Fulda, den 28. Mai 1951

 

Lieber Wilhelm!

Hab sehr herzlichen Dank für Deinen lieben Brief an Heinrich Giesen! Ich antworte Dir kurz darauf, weil Heinrich z. Zt. in Urlaub ist und ich gern möchte, dass Du schnell ein Echo der Freude und Dankbarkeit empfängst.

Ja, wir haben Gott von Herzensgrund zu danken für das, was Er unter uns in den Berliner Tagen getan hat. Menschenlob ist zu schwach, um auszudrücken, was wir empfinden. Nach meiner Überzeugung ist der Berliner Kirchentag das größte volkskirchliche Ereignis (im Sinne des Alten Testaments und der Reformation) gewesen, das wir seit vier Jahrhunderten erlebt haben. Das zwingt uns nicht zur Überheblichkeit und zum Stolz, wohl aber zur Buße, zur Demut und zur Dankbarkeit.

Mit Sicherheit werden wir noch allerhand Not haben. Aber der Kirchentag steht fest und ist heute nicht mehr beliebig wegzupusten. Vielleicht gelingt es uns mit der Zeit, uns die Liebe unserer Kritiker zu gewinnen. Wir wollen gern alles tun, um Spannungen auszugleichen, um Unrecht zu vergeben und Vertrauen zu gewinnen.

Wenn Du ein gutes Wort in „Licht und Leben" in dieser Richtung schreiben magst, dann freuen wir uns von Herzen. Aber nicht im Geiste des Hochmutes und der Unversöhnlichkeit, sondern in dem Geiste, den uns der Herr Christus vorgelebt hat.

Sei für heute in warmer Dankbarkeit für Deinen wichtigen Dienst, den Du dem Kirchentag in Berlin geleistet hast, und in alter Liebe herzlich gegrüßt

Reinold Thadden

 


Von einer dankbaren Kirchentagsbesucherin

 

Bei dem Kirchentag 1958 in München hielt Wilhelm Busch morgendliche Bibelarbeiten und abends volkstümliche Evangelisationen im gedrängt vollen Zirkus Krone, die vielen zum Erlebnis wurden. Auch einer alten Dame aus dem Baltikum.

 

 

München, den 18. März 1959

 

Liebe, sehr verehrte Frau Pastor!

Nun ist die schöne Zeit des Kirchentags bereits verklungen. Aber der Nachklang ist vielleicht noch von größerer Bedeutung als die unmittelbaren, starken Eindrücke. Er ist auch tiefer und begleitet ein in diesen Zeiten der Katastrophen, Überschwemmungen, menschliches Elend als Hort und Halt, der uns von Gott gegeben ist.

Und da ist man so dankbar, einmal auch die große, große Gemeinschaft zu spüren und dieses Gnadengeschenk aus Gottes Hand zu erhalten, wie es z. B. die Persönlichkeit Ihres Mannes ist – so hinreißend, überzeugend, voll Innerlichkeit und Stärke. Sein Feuer springt über und erleuchtet den Alltag, und plötzlich weckt er neue Kräfte und Zuversicht. Denn Reden hört man viele und sehr schön geformte, intellektuelle Reden; aber hinter ihrer Glätte steckt oft so wenig Überzeugung.

In meinem langen Leben habe ich nur dreimal Prediger gekannt mit einer Flamme, welche ihnen Gott gab, und die opferbereit waren, sie anderen zu übermitteln:

Einen evangelischen Pfarrer in Petersburg, welcher kämpfend für den Bau eines Waisenhauses ein Tintenfass in eine flaue Versammlung von Kirchenräten schleuderte und ungeachtet ihrer Empörung dennoch das Waisenhaus erhielt.

Einen russischen Priester, der während der letzten Synode in Russland gegen Stalin auftrat, von der Gemeinde versteckt wurde und nach Deutschland floh, hier in München Gefängnisprediger wurde und solche Bekehrungen erlebte, dass Amerika hierher Experten schickte, um die „Wunder" zu untersuchen. Stalin erwähnte ihn in seinen Memoiren als seinen gefährlichsten Feind.

Und nun noch Ihren Mann, der auch den gleichen Weg geht und sein Leben ebenso dem Heiland weiht.

So dankt man dem Herrn für die Gnade, dass Er solche Arbeiter in Sein Feld geschickt hat.

Mit innigem, innigem Gruß

Ihre Renate Zehder

 


Wilhelm Busch an seinen Onkel Albrecht Kullen

 

Lieber Onkel Albrecht!

Ich habe gerade ein halbes Stündchen Zeit, dann muss ich zwei Jungscharen besuchen. Die Zeit kommt mir gerade gelegen, um Dir für Deinen lieben Brief zu danken. Es tut mir sehr leid, dass Du mit meinem Geburtstagsbrief Mühe gehabt hast mit der Dankerei.

Aber Dein Brief hat mich außerordentlich beschäftigt. Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der sich selbst so völlig falsch eintaxiert, wie Du es mit Dir tust. Ich bin ja vielmehr ein Kullen als ein Busch (mein Bruder Johannes ist ein ganzer Busch-Mann), und darum kann ich Dich gut verstehen. Aber Du siehst sicher einiges verkehrt. Ich habe von Dir und mir und allen richtigen Kullens den Eindruck: Es ist unsre Eigenart, dass wir nicht vielerlei tun können. Aber an eine einzige Sache rücken wir unsre ganze Seele. Darum stoßen wir immer bei den Leuten an, die noch etwas andres und mehr von uns verlangen. Und das macht uns dann ganz elend.

So kann ich z. B. nur evangelisieren: In meiner Jugendarbeit, in meiner Predigt und wo es ist. Aber ich kann z. B. gar nicht organisieren. Und sollte es doch können. Nun habe ich mich damit abgefunden, dass ich nur eins kann. Und Du hast Dich bis heute nicht damit abgefunden, trotzdem Du viel älter bist als ich. Wenn ich z. B. sehe, wie viel Johannes leistet, dann kriege ich richtig „das arme Tier", wie man bei uns sagt. Aber jetzt weiß ich, dass ich nicht so vielerlei kann und bin zufrieden. Man muss sich selbst auch nehmen, wie einen der liebe Gott geschaffen hat.

So hast Du nun auch eine einzige Sache neben Deiner Schule aufs Herz genommen. Und das war: Ein offenes Haus für alle, die kommen wollen. Und das ist Dir so herrlich gelungen, dass es Tausende gibt, deren Augen leuchten, wenn sie vom Schulhaus sprechen. Das habe ich doch selber so und so oft erlebt. Was tut es da, wenn Du nun daneben kein Redner geworden bist! Ich meine, dass der himmlische Vater uns unsre Platzanweisung gibt. Und da sollten wir uns keine grauen Haare wachsen lassen über dem, was die Menschen noch Unbilligerweise von uns verlangen und erwarten. Ich habe den Mut bekommen, zu sein, wie ich bin. Und – Du hast diesen Mut ja auch schon lange. Nur ab und zu – na ja, so geht es mir dann auch manchmal, wenn ich sehe, wie die Organisation meiner Jugendarbeit oder manches andre nicht so ist, wie es meine Amtsbrüder von mir fordern.

Ich jedenfalls will Dir bei dieser Gelegenheit bekennen, dass Du mir und meinen Geschwistern stets ein Ideal warst mit dem offenen Haus und mit dem Anteilnehmen an allen Menschen und ihren Nöten. Du bist und bleibst für uns der Idealonkel, dem wir die herrlichsten Stunden und Tage unserer Jugendzeit verdanken.

Und im Übrigen: Dass Gott uns demütigt und klein macht, dass Er uns zeigt, dass wir nur wirklich die Vergebung brauchen, das ist ja auch gut. Ich freue mich, dass ich einen Heiland habe, dessen Gerechtigkeit – für mich mit – so überschwänglich ist, dass ich – wie Luther sagte – gar nicht weiß, wo ich mit soviel Gerechtigkeit vor Gott hin soll.

So, da werde ich abberufen. Du brauchst mir nicht mehr zu antworten. Ich meinte nur, Dein Brief erfordere noch eine Antwort. Ich habe in Armut geschrieben. Und es ist ja dumm, wenn ein junger Neffe seinen alten Onkel belehren will. Nimm's gütig auf, wie Du immer zu mir geduldig und gütig warst.

Herzlichst

Dein Wilhelm

 


Wilhelm Busch an seinen Schwiegersohn

 

Essen, den 24. April

 

Mein Lieber!

An Deinem Geburtstag wird's turbulent zugehen. Aber ich möchte doch gern, dass Du mich unter den Gratulanten entdeckst. Und da will ich Dir eine kleine Rede halten, die – wie üblich – 3 Teile hat.

Überschrift: Geburtstags-Freude, Text: Ps. 84,8.

 

1. Freude des Schwiegervaters

Ja, ich darf mich mitfreuen, dass Du geboren bist. Und wenn ich daran denke, wie viel Gutes Du mir und meiner Frau getan hast, dann fließt mein Herz über voll Freude und Dank. Und dass Du meine Renate so glücklich machst! Und dass… und dass… und dass Du nicht ein „moderner Theologe" bist, sondern dem Worte Gottes alles zutraust! Also viel Freude des Schwiegervaters!

 

2. Freude des Geburtstagskindes

Du darfst dankbar zurücksehen auf das vergangene Jahr. Wie hat Gott Dich gesegnet in allem: Deine Arbeit blüht auf. Du hast eine liebe Familie und viel Gutes. Kurz, freue Dich! Freue Dich vor allem über die Verheißung Psalm 84, 8.

Mit dieser Verheißung grüße ich Dich. Nimm sie ganz persönlich! Sie begleitete mich in die 1. große Schlacht mit Freidenkern in Bielefeld.

 

3. Freude Gottes

Er freut sich, an dir Psalm 84, 8 Wahrzumachen.

Er freut sich, Dich im neuen Jahr mit Seinen Siegen zu überraschen und zu beschenken. Und Er freut sich, dass Du ihm Siege zutraust.

Schluss: „… dass man sehen muss, der rechte Gott sei zu Zion." (Nicht: „… der rechte Pastor sei zu Rotthausen.") Seid ihr nur recht Zion und gebt Ihm alle Ehre!

Das wurde nun fast eine Predigt. Möge sie Dir ein wenig meine Liebe zeigen.

Herzlichst

Dein P.

 

Schöner könnte ich meine Wünsche auch nicht ausdrücken. Ich freue mich an Dir und an Euch und mit Dir und mit Euch: Lasset uns miteinander Seinen Namen preisen.

Deine Mama

 


Ein erschütterndes Echo auf eine Evangelisation

 

27. Januar 1966

 

Sehr geehrter Herr Busch!

Schon über ein Jahr wollte ich Ihnen schreiben. Wo soll ich nun anfangen?

Zuerst muss ich Ihnen sagen, dass Sie mich und meine Familie nur zweimal ganz kurz gesehen haben. Und zwar in der Berghalde in Hirscheck im Walsertal im Sommer 1964 zur Zeit Ihrer Evangelisation in Oberstdorf. Wir waren mit unseren drei Kindern dort. Vielleicht erinnern Sie sich noch der Siegerländer Familie.

Weshalb ich nun schreibe? Unser Kleinster, damals 11 Jahre, fuhr mit einer solchen Begeisterung damals mit nach Oberstdorf in die Kirche. Er war so voller Freude und hätte sich nicht zurückhalten lassen. Wieder zu Hause, glaubte ich eine Veränderung an dem Kleinen zu bemerken. Während er vorher immer knurrte, wenn er mit in die Versammlung gehen sollte, hörte man nichts mehr davon. Er war überhaupt verändert. Er hat kurz darauf bekannt, bekehrt zu sein. Ich glaube immer noch, dass er es in Oberstdorf wurde. In dieser Gewissheit ist er nun am 5. Dezember 1964 heimgegangen. Er hat erst einen Blick in den Himmel tun dürfen. Was hat der Junge gelitten. Er war nur acht Wochen krank und hatte Krebs. Mit welcher Geduld er seine Krankheit trug, das ist kaum zu glauben. Immer wieder hat er bekannt, gläubig zu sein. Johannes 17, 24 hat er sich als seinen Spruch ausgesucht. Oft hat er Pastor Busch erwähnt, und seine schwarzen Augen glänzten dabei. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass sich die Evangelisation damals gelohnt hatte.

Mein Mann war ein gebrochener Mann nach dem Verlust des Jungen. Er war hirnverletzt und zuckerkrank und außerdem noch herzkrank. Diesen Schlag hat er nicht verwinden können. Oft hat er gesagt, wenn ich doch bei dem Jungen wäre. Nun ist er am 22. Dezember 1965 heimgegangen und mit dem Jungen vereint.

Unser fröhliches Haus ist still geworden. Wir können es noch immer nicht fassen, dass nun die Stütze auch von uns genommen wurde. Ich kann Ihnen sagen, es ist nicht leicht, immer „Ja" zu sagen. Wir bedürfen jetzt der Fürbitte, dass wir nicht mutlos und bitter werden und nicht verzagen.

Ihre…

 


Vom Freund, Bruder und Mitstreiter Pastor D. Paul Tegtmeyer

 

Pastor D. Paul Tegtmeyer war viele Jahre Leiter des Brüderhauses Nazareth in Bethel und mit Wilhelm Busch besonders verbunden durch den gemeinsamen Dienst bei der Tersteegensruh-Konferenz, deren Teilnehmern er durch seine Bibelarbeiten und die patriarchalische, seelsorgerliche Gestaltung der Abendmahlsfeiern in dankbarer Erinnerung geblieben ist.

 

 

Zur Silberhochzeit

 

Bethel, den 21. Mai 1948

 

Liebe Geschwister!

In der Reihe derer, die unterwegs sind, möchten meine Frau und ich Euch in herzlicher Freude zu Eurem Freuden- und Danktag grüßen.

Ruth 1, 19: „Also gingen die beiden miteinander, bis sie gen Bethlehem kamen", zur Krippe des Kindes, zum Kreuz des Sohnes, zum Dienst des Herrn, zur Krone des Königs.

Menschen, die solche Führung auf dem gemeinsamen Wege erfuhren, dürfen und sollen ein Gedächtnis dieser Wunder aufrichten.

In geschwisterlicher und dankbarer Verbundenheit gedenken Euer

Eure getreuen Paul und Maria Tegtmeyer

 

 

Zur Erkrankung der Mutter

 

Bethel, den 9. März 1954

 

… Wie ich höre, seid Ihr wegen Eurer alten Mutter recht in Sorge. Wenn es sich bei der Krankheit im Mund um Zungenkrebs handeln sollte, dann würde das freilich für Euch Kinder eine schmerzliche Sorge und Not sein. Da könnte man nur bitten: „Mach End', o Herr, mach Ende!"

Wir sollen die Heiligen Gottes nicht auf ihrer Reise aufhalten. Freilich dürfen wir auch nicht Gottes gute Hand hindern, an den Seinen bis zum Eingang in das Reich das zu tun, was Er nach Seiner ewigen Weisheit für richtig hält. Er zieht das hochzeitliche Kleid der Vollendung niemals über die alten Lumpen unseres natürlichen Menschen. Er entkleidet, damit wir überkleidet werden. Und das Entkleiden ist immer eine schmerzliche Angelegenheit. Danach die Herrlichkeit!

Dein getreuer Paul Tegtmeyer

 

 

Von Diener zu Diener

 

Bethel, den 1. Juli 1960

 

… Wir alle zusammen werden in der Bahn gehalten, die Jesus Christus als Mitte bestimmt. Ich habe mich in all den Jahren als nichts anderes als einen kleinen Helfer angesehen. Paulus nennt seine Freunde Mithelfer. Ich benenne die Abkürzung meines theologischen Doktors „D" nicht mit „Doktor" sondern mit „Diakon" und sage mit Paulus 1. Korinther 3: „Wer ist nun Paulus, wer ist Apollos? Diener sind sie, durch welche ihr seid gläubig geworden. Und das, wie der Herr einem jeglichen gegeben hat." Der Herr erhalte und mehre uns für die Tersteegen-Konferenz dieses „Team" der Treue, der Bescheidenheit, der Freude! In den Staub gebeugte Sünder sind die besten Kanäle, durch die Gottes Botschaft hindurchfließen kann.

Meine Frau muss jetzt viel allein sein. Aber sie ist meine treuste Mitarbeiterin. Sie betet. Das spüre ich unaufhaltsam bei jedem Dienst, den ich hier oder draußen noch tun darf. Sie lässt Euch alle, besonders Deine liebe Frau, grüßen. Es geht ihr wechselnd. Dies Wetter im Wechsel von Regen, Sturm, Sonne, Kälte macht ihr viel Not. Ihr Herz gleicht meiner alten, vom Vater ererbten Taschenuhr – sie hat die Kriege von 66 und 70 – 71 mitgemacht –, die immer öfter stehen bleibt vor Schwäche und Müdigkeit. Aber trotzdem rappelt sie sich immer wieder auf und läuft wieder munter. Doch rechnen wir ohne Furcht und Zweifel, dass dies müde Herz meiner Frau eines Tages von selber stehen bleibt. Endgültig. Sie wird im September 80 Jahre. „Und wenn mein Herz in Stücke bricht, wirst Du mein Herze bleiben."

Meine Frau ruft zum Essen. Behüt Dich Gott! Er segne Deinen Dienst mit Frucht. Wie Dein Tag, so Deine Kraft. Christen haben unerschöpfliche Kraftreserven, weil sie einen unerschöpflich reichen Herrn haben.

In Liebe und Treue

Dein Paul Tegtmeyer

 

 

Nach dem Heimgang der Ehefrau

 

Bethel, den 23. Februar 1961

 

… Du weißt, warum Du warten musstest. Als meine Frau vom Todestag bis zum Beerdigungstag noch neben mir in der Wohnstube im Sarg schlief, konnte ich keinen Brief schreiben. Es gab keine Ruhe. Aber Gottes Friede war da.

Und nach dem Beerdigungstag – er war ein Zeugnis von Gottes Herrlichkeit! – musste ich am Dienstag in der Frühe in den Odenwald abfahren. Da warteten sie bereits seit zwei Tagen auf mich. 80 ehemalige und jetzige süchtige Männer. Die durfte ich nicht im Stich lassen. Manche Menschen haben mich missbilligend gefragt, warum ich denn nun gleich nach dem Begräbnis wieder losginge, statt in der Ruhe zu bleiben? Jesus selber hat mir die rechtfertigende Antwort gegeben. Wir haben noch nie solch eine mit der Macht des rettenden Wortes gefüllte Freizeit da oben in der Trinkerheilstätte gehabt. Nach der stillen Abendmahlsfeier am letzten Abend verabschiedete ich mich von den Männern. Da kam ein junger, kleiner Kerl an mir vorüber; 20 Jahre alt, im Delirium befindlich ins Heim gekommen. Er flüsterte mir im Vorbeigehen ins Ohr: „Ich habe meinen Strick verbrannt!" Es handelte sich um einen Strick, mit dem er seinem verpfuschten Leben ein Ende machen wollte…

Um diesen einen hatte Jesus mir am Grabe meiner Frau gesagt: „Steh auf und geh' hin auf die Straße von Jerusalem nach Gaza, die da wüste liegt."

Vorgestern Abend kam ich nach hier in mein „leeres", stilles Haus zurück. Aber gestern war ich auf dem Jahresfest der jungen Frauenhilfe in der „Sennestadt". Und heute habe ich ein Referat auf unserer 4. Nazareth-Brüderfreizeit. Heute Abend Bibelarbeit im Betheler CVJM.

Dazwischen laufen täglich nun 100 Briefe ein, z. T. troststarke, wunderbar tiefe Grüße: „Ströme, die rückwärts fließen." Aus dem langen Leben meiner Frau in meine Situation. Was ist es doch um die Gemeinschaft der Heiligen! Ich danke Dir und Deiner Frau ganz herzlich für Eure Grüße. Sie waren die ersten: „Wie Tau Gottes aus der Morgenröte der anderen Welt." Ich kann nicht ausdrücken, wie sie mich „aufgehoben" haben.

Es geht mir körperlich nicht gut. Das befreite Herz in seiner Jesusnähe legt auf den Körper ab, was es nicht zu einer inneren Behinderung werden lassen will. „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes."

Ich gehe zu den Schwerleidenden und Sterbenden, um ihnen zu erzählen, wie wunderbar Jesus Seine Leute bis ans Tor der Herrlichkeit leitet und sie dann selber hindurchträgt ins helle, schöne Licht. Das letzte Wort meiner Frau auf dieser Erde war bei brechenden Augen: „Heiland, erbarme Dich!" Er hat's getan. „Erbarmung ist's und weiter nichts!"

Indankbarer Liebe

Dein und Euer Paul Tegtmeyer

 

 

Nach einer Tersteegensruh-Konferenz

 

Bethel, den 10. Juli 1962

 

… Ich bekomme auch viele dankbare Randbemerkungen zur Tersteegensruh-Konferenz, mündlich und schriftlich. Und lese sie als Hinweise darauf, dass der Herr selber „irdene, zerbrechliche Gefäße" wieder einmal gebrauchte, um etwas von Seinem Schatz hineinzulegen. Wir sind nicht mehr, aber auch nicht weniger als „Tontöpfe Gottes", nach Gebrauch wegzuwerfen. Ich werde bald soweit sein, dass Er mich für diese Welt nicht mehr verwendet.

Daneben kommen dann Erwägungen wie die vorn alten Sirach: „Ich bin wie einer, der im Herbst Trauben nachliest, und Gott hat mir seinen Segen dazu gegeben, dass ich meine Kelter noch einmal voll gemacht habe." Dabei überkommt mich ein beglückendes Gefühl kindlicher Dankbarkeit: Weil wir einen solchen reichen Vater haben, deswegen sind wir reiche Kinder, Miterben Christi.

Zurzeit habe ich keine größeren Unternehmungen unter der Hand. Aber mein Tag ist mit so viel Kleinarbeit gefüllt, dass ich mich an jedem Abend wundere, wie voll er war. Dabei treibt mein altes Lebensschifflein immer, immer schneller auf dem Strom der Zeit der „Mündung" zu. „Dass ich mit Heil anlände in jenem Vaterland."

Grüße die Deinigen! „Lass Deine Seele guter Dinge sein in deiner Arbeit." Prediger 2. Das ist Gnade! Der Prediger fügt hinzu: „Aber solches sah ich auch, dass es von Gottes Hand kommt." So was macht man nicht, es wird geschenkt.

Gott befohlen

Dein Paul Tegtmeyer

 


Elisabeth Busch an.ihre Schwester

 

Wilhelm und Emmi Busch hatten zwar ihre beiden Söhne verloren, es waren ihnen aber noch vier Töchter geblieben.

 

 

Weihnachten 1956

 

Liebe Gretel!

Situation: Rene liegt in ihrem schönen, roten Kleid längs auf dem Teppich und findet alle zwei Minuten etwas anderes im neuen Radio, was sie zu Papas Kummer hören will. Papa liegt auf seinem Sofa und liest ein Buch nach dem anderen. Auch Hanna hat sich in ein Buch vertieft, und Mama treibt uns, Weihnachtsmusik zu machen, wozu wir ja auch gern bereit wären, wenn uns unsere Magenschmerzen infolge zu ausführlichen Kaffeetrinkens nicht daran hindern würden. So kommst Du zu einem Brief. Alles schweigt, außer meiner Maschine, die ein alltägliches Getöse macht. Du fehlst! … Hoffentlich genießt Du das Dasein so wie wir!

Freitag hatte Papa BK-Tag. Nichts klappte, doch war es sehr schön, und alle Zeitungen berichteten davon. Abends kam er wie ein rohes Ei nach Hause, setzte sich mit einem Seufzer der Erleichterung aufs Bett und – krachte mitsamt diesem Möbel in die Tiefen. Kriegsware!

Gestern Nachmittag legte die ganze Familie sich schlafen. Am ausgiebigsten besorgte das die Hanna, die doch den Baum schmücken sollte. Als sie damit beginnen wollte, merkte sie, dass unser Hausfreund ihn schief in den Ständer produziert hatte. Den Papa regte das auf. Er legte sich auf den Boden, ächzte und stöhnte, drehte das Stück fünfmal um sich selber, es wurde immer schiefer, das Gestöhne immer lauter, die Finger immer dreckiger, die Menge der Hilfestellungsleistenden Menschen immer größer. Dann endlich stand der Baum fast gerade. Und so ließ man ihn. Ich glaube, schiefer ist er vorher auch nicht gewesen. Aber das sage ich natürlich nicht laut. Hanna schmückte ihn nur mit goldenen Sternen und roten Kerzen. Er macht sich ganz phantastisch und apart. Und das Schmücken nahm lange nicht so viel Zeit in Anspruch.

Gerade erscheinen die Geschwister von oben. Aus ist es mit der Ruhe!

Die Bescherung gestern war mal wieder klassisch wie immer. Großes Geschrei beim Paketeauspacken. Papa bekam von der Mama einen Feldstecher für die Ferien, genannt „Krim-Stecher". Mit diesem orientierte er sich von seinem Sessel aus über die Bezeichnung der Weihnachtsmusik, die wir fabrizierten, mehr oder weniger gelungen, oder über den Titel von dem Buch, das „Röschen" las.

Außerdem begeisterte er sich an einem Regencape, das man auf die Größe einer Faust zusammenrollen kann. Er legte sich längs auf den Teppich und rollte es im Schweiße seines Angesichts wieder auf ein Minimum zusammen, wobei sich immer noch Luft in den verschwiegenen Ecken festsetzte. Nun wird es im Auto deponiert und wird ihn vor einem Aufweichen bei einem plötzlich eintretenden Guss bewahren. Welches Glück!

Gestern Nachmittag erschien ein Knilch schwer beladen. Er schleppte ein riesiges Vogelhaus, gestiftet von der Miss. Unter allgemeiner Freude stellten wir es im Garten auf, damit die Vögel, die uns im Sommer alle Früchte wegfressen, auch gut durch den Winter kommen. Immerhin legte Miss eine originelle Karte bei, in der es hieß, dass wir, wenn wir unseren Spaß an dem Ding gehabt hätten, es ruhig gleich zu Brennholzverarbeiten lassen könnten. Wir werden uns hüten! Es ist die Zierde unseres Gartens und Objekt für unseren Krim-Stecher.

Inzwischen ist die Hanna dazu übergegangen, mit der Ingrid Klavier- und Flötenmusik vom Stapel zu lassen, während Mama mit Söhni ein Ludwig-Richter-Buch besieht.

Heute Morgen war mal wieder ein schöner Gottesdienst. Sehr voll, viele Menschen standen und die Luft auch, zumal ein plötzlicher Guss alle Leute ohne Schirm überrascht hatte. Nach dem Gottesdienst mit einer Predigt über „Denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge" blieb etwa die Hälfte der Gemeinde zurück zum Singen. Man schmetterte mit Begeisterung die möglichsten und unmöglichsten Lieder.

Übrigens müssen wir dem Klaus noch ganz herzlich danken für seine Bildersendung. Es sind wirklich nette Fabrikate. Kein Gast wird verschont, er muss zu diesen Bildern Stellung nehmen, und wir freuen uns riesig daran.

Der Weihnachtsstern ist der Schmuck des Wintergartens. Er erfreut uns sehr…

Herzlichst

Deine Lisa


Ein Briefwechsel zwischen Schriftleiter und Leser

 

Als langjähriger Schriftleiter des Evangelischen Monatsblattes" Licht und Leben" hat Pfarrer Wilhelm Busch einen regen Briefwechsel mit seinen Lesern geführt. Hier ein Beispiel.

 

 

November 1965

 

Lieber Herr Pfarrer Busch!

Auf der Suche nach der Wahrheit und durch Not bin ich unter vielen Schwierigkeiten zum Glauben an den Heiland gekommen. Dies war vor ca. 5-6 Jahren. Ich bin jetzt 48 Jahre alt.

Ich habe noch viel Anfechtung, besonders wegen der Lehre von der Allversöhnung, an die in den beiden Gemeinschaften, die ich besuche, geglaubt wird.

Mein Lesestoff sind fast durchweg die Bibel und Schriften darüber. Es ist meine Gewohnheit, morgens zu beten, Gottes Wort zu lesen und darin zu forschen, auch höre ich die Wortverkündigung im Radio. Aber nach vielen Jahren frage ich mich heute: Bin ich wirklich erweckt, bekehrt und wiedergeboren? Wo steckt denn die geheime oder offene Sünde, dass ich nichtvöllig Frieden und Freude habe?

Es ist mir ernst. Als ich immer wieder in eine Sünde fiel, habe ich mich meinem Heiland mit meinem Blut zum völligen Gehorsam verschrieben. Dies Blatt halte ich in Gedanken dem Teufel entgegen, wenn er mich zur Sünde verleiten will. Und er hat mich dann nicht überwältigen dürfen.

Ich habe sicherlich schon manches gehört und gelesen über die Wiedergeburt. Aber dennoch frage ich mich: Was ist ein wirklicher Christ nach dem Willen Gottes? Was ist die wahre Wiedergeburt und keine eingebildete?

Ein Bibelwort aus dem Johannes-Brief sagt: „Wer aus Gott geboren ist, der tut nicht Sünde, und er kann nicht sündigen."

Könnten Sie mir ein Buch zu nachfolgenden Themen empfehlen? Erweckung, Bekehrung, Wiedergeburt, eingebildete Wiedergeburt, fehlende Wiedergeburt. Was ist wahres göttliches Leben?

Der Heiland wolle uns segnen!

Mit freundlichem Gruß

 

 

Auf diesen Brief hat der Schriftleiter geantwortet

 

Lieber Bruder,

herzlich danke ich Ihnen für Ihren Brief. Ich will versuchen, ihn nach meiner Erkenntnis zu beantworten. Dabei weiß ich wohl, dass alles, was wir in solchen Dingen tun, in viel Schwachheit geschieht. Aber ich möchte doch auch wiederum sagen: „Ich habe auch den Heiligen Geist und kann geistliche Dinge geistlich richten" (1. Korinther 2, 13).

Zunächst: Die Allversöhnung kann ich nicht glauben. Wenn sie klar in der Bibel bezeugt wäre, wären sich alle Kinder Gottes in dieser Sache einig. Sie können es aber nicht werden. So muss man die Sache lassen und sich dem zuwenden, was klar ist. Aber es ist eine Erfahrung: Wo die Allversöhnung betont verkündigt wird, stirbt das geistliche Leben ab. Davon könnte ich viele Beispiele bringen. Aber ich habe mir vorgenommen, über die Allversöhnung nicht mehr zu diskutieren. Da sei jeder seiner Meinung gewiss.

Doch nun zu Ihnen: Ich will Ihnen sagen, wo es bei Ihnen nach meiner Meinung sehr fehlt. Sie haben Ihr Herz zu wenig auf die Erlösung und Versöhnung und Rechtfertigung des Sünders auf Golgatha gestellt Zum Beispiel würde ich dem Teufel in meinen Anfechtungen nicht meine Verschreibung an den Heiland entgegenhalten. Ich schaue auf den Heiland am Kreuz und sage dann dem Teufel: „Ich bin erkauft! Es ist alles bezahlt! Du hast nichts mehr zu fordern!" Dann sagt der Teufel: „Aber gestern hast du wieder gesündigt!" Antwort: „Ich bin erkauft mit dem Blut Jesu! Darum gehöre ich Ihm! Die Sache meiner Sünde mache ich mit Ihm aus. Auch dafür hat Er schon bezahlt!"

Ein Gotteskind hat immer zwei Strömungen in der Seele. Einmal: Es ist noch nicht erreicht, was das Ziel ist (Im Himmel wird's sein!). 1. Johannes 3, 2: „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, dass wir ihm gleich sein werden; denn wir werden ihn sehen, wie er ist." Und weil das noch nicht erreicht ist, ist die Seele betrübt und seufzt. Zum andern aber ist die Seele voll Freude, weil sie – ohne Verdienst, aus Gnaden – angenommen, gereinigt und erkauft ist. Das wird so schön gesagt in einem Vers von Woltersdorf:

 

„Wenn ich mich selbst betrachte,

So wird mir angst und weh,

Wenn ich auf Jesum achte,

So steig ich in die Höh',

Dann freut sich mein erlöster Geist,

Der durch das Blut des Lammes

Gerecht und selig heißt."

 

Ich habe kürzlich in einer Predigt gesagt: Alle Religionen sagen, was der Mensch tun soll. So fragen die Leute an Pfingsten: „Was sollen wir tun?" Und der Kerkermeister in Philippi fragt: „Was soll ich tun?"

Antwort: Gar nichts! Der Heiland hat alles getan! Glaube das endlich ganz fest! Es heißt in einem Lied: „Auf dem Lamm ruht meine Seele …" Es heißt nicht: Meine Seele „zappelt" oder „quält sich". „Auf dem Lamm ruht meine Seele…"

Der gesegnete Pietist im Wuppertal, Johann Peter Diedrichs, hat gesagt: „Man darf den Grund seines Friedens nicht in sich und seinen Empfindungen suchen, sondern außer sich in Christo."

Und der Erweckungsprediger Gottfried Daniel Krummacher sagte: „Im Anfang des Christenstandes pflegt man noch viel selbst zu können. Man fasst edelmütige Vorsätze und gedenkt, sie treu auszuführen, was auch ziemlich gelingt. Der Weg aber läuft umgekehrt: Man wird nicht heiliger, sondern immer sündiger in seinen eigenen Augen. So wächst das Recht an dem Seligmacher in dem Maße, als wir unserer Sündenschaft gewahr werden."

Gewiss steht im 1. Johannes-Brief: „Wer aus Gott geboren ist, der tut nicht Sünde." Ich glaube, dass wir das so verstehen müssen: Wer aus Gott geboren ist, steht nicht mehr unter der Herrschaft der Sünde und lebt nicht mehr bewusst in der Sünde.

Wenn Sie mir nun erwidern: „Das führt zur toten Gleichgültigkeit in Heiligungsfragen!", dann antworte ich: Wenn Sie endlich sich ausschließlich stützen auf das Verdienst Jesu, dann haben Sie den Heiligen Geist. Und der erlaubt nicht Faulheit in der Heiligung. Der eifert in uns und will das Bild Jesu in uns gestalten.

Es bleibt also bis zum Himmel so: „Wenn ich mich selbst betrachte, / So wird mir angst und weh, / Wenn ich auf Jesum achte, / So steig ich in die Höh'…"

All unser Ringen, Seufzen und Streben nach Heiligung darf geschehen auf der Grundlage: „Ich bin mit Blut erkauft und habe es angenommen." Man ringt als Kind Gottes um Heiligung und nicht wie ein Draußenstehender, der sich mit der Heiligung erst den Eingang erzwingen will!

Sie fragen nach einem guten Buch in diesen Dingen. Ich möchte Ihnen den Predigtband des badischen Erweckungspredigers D. Aloys Henhöfer „Der Heilsweg" empfehlen. Dieses Buch ist erschienen im Verlag der Schriftenmission des Volksmissionarischen Amtes der badischen Landeskirche.

Herzlichst

Ihr W. Busch

 


Zeilen von Gustav W. Heinemann

 

Gustav W. Heinemann war lange Jahre Predigthörer im Weigle-Haus bei den Gottesdiensten von Wilhelm Busch. Er sandte ihm eines seiner Bücher mit den folgenden Zeilen

 

 

Neujahr 19651/66

 

Verehrter lieber Pastor Busch!

In Dankbarkeit für Ihren Zeugendienst sei Ihnen dieses Wort aus den Händeln der Weit gewidmet, das ohne das Hören auf das Wort nicht möglich wäre.

Ihr Gustav W. Heinemann

 


Nach dem Heimgang von Wilhelm Busch

 

Auf der Heimreise von einem evangelistischen Dienst in der DDR wurde Pastor Wilhelm Busch am 20. Juni 1966 von Gott heimgeholt. Die Nachricht davon erfüllte viele mit Trauer und Dank. Das kommt auch nachdrücklich zum Ausdruck in den folgenden Brief-Auszügen.

 

 

Hilchenbach, den 8. Juli 1966

 

Sehr verehrte, liebe Frau Pastor!

Ihr lieber Gatte ist nicht mehr. Wie diese Nachricht mich selbst und alle die getroffen und bewegt hat, die ihn hier in der Gemeinde kannten!

Um Sie wird es jetzt sehr, sehr einsam sein. Ist diese Lücke ja – menschlich gesehen – in Haus, Jugendarbeit, Evangelisation, ja im ganzen Lande nicht zu schließen. Und doch – der Herr hat gehandelt, und da können wir alle einfach nur eingehen in die große Stille vor dem Herrn, unsere Hand auf den Mund legen und schweigen, wie es Hiob tat.

Sie selbst aber und die Ihrigen dürfen, so oft auch die Trauer durch Haus und Herz gehen will, erst dreimal danken und anbeten ob alledem, was sein Gott aus seiner Kraft und allem Tun gemacht hat. Seine Treue hat ihn zu einem weithin brennenden und scheinenden Licht gemacht, unter dem die Gemeinde Jesu wahrhaft froh geworden ist.

Ich habe es nicht vergessen, wie er einst, als der Ruf in seine Arbeit ihn erreichte, mich in Siegen auf dem Bahnsteig traf, im Ruck, als mein Zug schon abfuhr, aufsprang und mich in fühlbarem Bangen vor dem „Ja" fragte, ob ich nicht in den Dienst eintreten wolle. Ganz knapp, er wollte nur bis zur nächsten Station Weidenau mitfahren, sagte ich ihm mein klares „Nein", und schon sprang er aus dem Abteil, noch auf dem Trittbrett mit mir ringend. Und er sprang in ein gewaltiges Werk und in die Fülle des göttlichen Segens.

Hier war Legitimation von oben. Klarer, göttlicher Ruf und die hohe Hand, die ihn führte. Diese Gewissheit darf ausreichen, Sie zu trösten und zu warten auf die jubelnde Fortsetzung in der Ewigkeit.

Ihr für Sie betender, Mittragender

H. Müller

 

Pastor Dr. Müller, Hilchenbach, ein begnadeter Evangelist aus dem Siegerland, auf Kreisfesten und Glaubenskonferenzen als Redner sehr begehrt.

 

 

Weidenau an der Sieg, den 22. Juni 1966

 

Sehr verehrte, liebe Frau Pastor Busch!

Wenn wir keinen Heiland hätten, der uns teuer erkauft hat und uns liebt, keinen Vater im Himmel, der „der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes ist", dessen Wege und Tun vollkommen sind und von dem der Sohn sagt „Der Vater hat euch lieb!" – dann wären wir arme hoffnungslose Geschöpfe.

Aber wir wissen es, wir sind reich gemacht in Ihm. Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Fähig gemacht zum Erbteil der Heiligen im Licht. Im Voraus bestimmt, dem Sohn gleichgestaltet zu sein. Erben Gottes und Miterben Christi!

Das stand vor mir, im Herrn Jesus geliebte Schwester Busch, als mich der Schmerz über den so plötzlichen Heimgang Ihres lieben und so teuren, unvergesslichen Mannes, unseres soweithin im Siegerland geliebten Bruders packen wollte. Ich sah den Herrn, der Seinen Knecht in die Freude führte. Den König, der den siegreichen, Narben des Kampfes tragenden Streiter in den Frieden Gottes, in die Ruhe des Volkes Gottes führte. Den Vater, der die, die dem Sohne dienen und gedient haben, ehren wird.

Dann las ich noch einmal die Losung von Dienstag und abends den Kalenderzettel, Ruth 2, 12, da war ich im inneren Gleichgewicht. Ich habe Ihren Schmerz und das Leid Ihrer Kinder dem Herrn hingelegt, dass Er Glaubensdurchblick, Kraft und das stille Ruhen in Seinem Willen schenke.

Ihnen und Ihren Kinder herzliche Grüße

Ihr verbundener Jakob Schmitt

 

Rektor Jakob Schmitt, Weidenau, ein Siegerländer Original, der sich „in Jesu Dienst gestellt" wusste und jahrzehntelang das Gemeinschaftsleben seiner Heimat geprägt hat.

 

 

Bethel, den 22. Juni 1966

 

Sehr verehrte Frau Pastor! Meine liebe Schwester!

Gestern Abend – ich kam von einer Tagung in Kassel – sagte mir meine Tochter, dass Pastor Wilhelm Busch unterwegs in Lübeck heimgerufen sei zum Sammelplatz aller Kinder Gottes, die auf ihren Herrn warten. Sie können sich denken, welch ein tiefer Schmerz und was für eine große Freude durch mein Herz jagten.

 

„Das ist vom Schönen doch das Beste,

dass wir als königliche Gäste

zu Gottes ewigem Feste geladen sind."

 

Nun schreibe ich Ihnen und Ihren Kindern aus einem beharrlichen Gedenken vor dem Herrn für Sie alle. Kein Mensch kann Sie trösten. Aber Jesus tut es durch Sein Wort und durch Seinen Geist. Wir Kinder Gottes dürfen uns gegenseitig auf diesen Herrn hinweisen, wenn wir durch die „Täler des Weinens" stolpern. Ja, wir sollen dort sogar „Brunnen des Lebens" füreinander machen und aus ihnen Wasser des Lebens schöpfen. „Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen im Tod und auch im Leben."

Gerade vor 14 Tagen nahm ich Abschied von Ihrem Mann: im Saalbau auf dem Podium. Er hatte soeben die Nachmittagsversammlung geschlossen. Ich hörte draußen in der Wandelhalle sein letztes „geistliches Wort", das mich sehr erquickte und stärkte. Es ging mir körperlich so schlecht, dass ich Angst hatte, die große Abendmahlsfeier nicht durchhalten zu können. Beim Flügel auf dem Podium, mitten im flutenden Gedränge begegneten wir uns. Er hatte seinen Dienst beendet, ich sollte den meinigen beginnen. Er war müde und entschuldigte sich, dass er nicht am Abendmahl teilnehmen könne, sondern schnell nach Hause müsse. Ich sah an seinem Gesicht, an seinen Augen, an seinen unruhigen Händen, wie groß noch die Spannung in ihm war. So sagte ich ihm schnell die letzten Worte auf dieser Erde: „Nimm den Segen dieser kostbaren Tage von hier mit hinüber in die Zone, grüße die Brüder! Wir beten für deinen Dienst." Und dann legte ich meine Hand auf seine unruhige, heiße Hand und sagte: „Der Herr segne und behüte dich!"

Nun hat der gute Hirte diesen Abschiedssegen erfüllt: Anders als wir dachten, aber viel, viel schöner. Die Arbeitssichel Ihres Mannes sollte nicht an der dunklen Ecke einer Scheunenwand des Alters langsam verrosten. Sie zerbrach auf dem Acker Gottes, wo Säen, Schneiden, Ernten zugleich geschieht, mitten im Dienst und sank zwischen den Garben zu Boden.

Welch ein herrliches Sterben für diesen auserwählten Arbeiter und Streiter Gottes! Der alte Hiller im Schwabenland sagt's im Lied: „Sie gehn dahin und liegen – wie Streiter nach dem Kriegen."

Es wird am Freitag für mich eine sehr stille, besinnliche Fahrt nach Essen werden.

1924 war ich als junger Vorsteher des Brüderhauses Nazareth zum ersten Mal auf der Tersteegen-Konferenz. Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg fanden Ihr Mann und ich so richtig zusammen, als es darum ging, nach dem furchtbaren Zusammenbruch die verstörte, zerrissene Gemeinde Jesu im Industriegebiet neu zu sammeln. "Ruf mich, so komme ich!" So hieß der Gebetsruf, den wir hinauf zum Herrn richteten. Der Herr rief! So fing's neu an. Wilhelm Busch wurde der Rufer Gottes in der Wüste, und wir durften mit vielen anderen seine Helfer und Brüder sein.

Wenn ich auf die zwanzig Jahre der Wunder Gottes zurückschaue, klingt der Zinzendorf-Vers durch mein Herz:

 

"O ihr Gottesstreiter, wisst ihr, was ihr sollt?

Ihr seid Wegbereiter, wo sein Wagen rollt,

dass er desto grader möchte vor sich gehn,

hört ihr seiner Räder rollendes Getön?"

 

Wir haben's in Essen unter der Botschaft Ihres Mannes immer wieder gehört, dies Rollen. Darum: „Man singt mit Freuden vom Sieg in den Zelten der Gerechten." „Die Rechte des Herrn behält den Sieg!" „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen!"

Der Herr sei Ihnen am Freitag Sonne und Schild!

In großer, dankbarer Liebe

Ihr Paul Tegtmeyer

 

 

Korntal, den 24. Juni 1966

 

Liebe Emmi!

„In den Sielen sterben" – das, was sich mancher große Mann gewünscht hat, unserem lieben Wilhelm ist es zuteilgeworden. Er folgte auch darin seinem Vater nach, der von einer Evangelisation in Metzingen todkrank heimkam, nach ca. acht Tagen abgerufen wurde… nur dass der Vater den Abschied und die tentatio noch ganz durchkosten musste, während das Wilhelm scheint's erspart blieb. Aber von beiden gilt: Es ging aus einem reichen Leben in ein noch reicheres.

„Als die Hinwegeilenden" – das schien zu seinem Lebensstil zu gehören. Von dem Grab der Mutter in Frankfurt weg eilte er, um seine Evangelisation in einer norddeutschen Stadt am Abend fortzusetzen. – Bei der Kirchweihmontagsstunde hat er in Hüben 1965 Tante Elise herzlich begrüßt, die sich sehr über sein Kommen freute, hielt dann seine Ansprache in der Reihe der anderen Brüder, wartete aber den Schluss nicht ab, sondern verschwand! – Das war uns schwerblütigeren Leuten manchmal verwunderlich, aber er konnte wohl nur so das leisten, was er tatsächlich leistete. – Nun ist er plötzlich von uns gegangen. Auch als ein Hinwegeilender.

Wir schauen ihm nach und empfinden: Viel, viel haben wir hergegeben. Zwar von dem Hauptzweig seiner Lebensarbeit, vom Weigle-Haus, hatte er sich schon losgemacht. Und es ist wohl gut so. Aber die unermüdliche Evangelisationsarbeit! Ich sehe ihn vor mir in den banal wirkenden Zelten einer Brauerei in Weissach, in Magstadt und zuletzt im Kursaal Cannstatt. Überall strömte es geradezu. Dabei sagte er nichts anderes als alle gläubigen Zeugen. Aber es klang alles so erlebt, so neu, so aus dem Eigensten heraus, dass das Wort einfach elementar wirkte.

Und einen Konfessor, einen Bekenner, haben wir verloren. Die Monate der Gefangenschaft, die ihn seine absolut klare Stellung im Dritten Reich kostete, waren eine Qual gerade für ihn, der die Berührung mit der Natur, die Luft und Freiheit einfach brauchte. Dass ihn da Gott vor Verbitterung bewahrte, dass er durch Fensterluken doch Zeuge sein durfte, ist doch etwas ganz Großes. – Und jetzt stand er wieder im Kampf um das reine Bekenntnis, um die volle Gültigkeit des Wortes und damit im Ringen mit der neuen Theologie. Sein Zeugnis war auch da ganz klar, aber nicht oberflächlich. Im Hintergrund stand eine tiefe Trauer, dass das in der deutschen Christenheit möglich ist nach all dem, was Gott an uns getan und uns hindurchgetragen hat.

Wir grüßen Euch und Dich, liebe Emmi, besonders mit der Bitte, dass Gott Euch das unbeirrbare Wissen erhalte: „Werden Sohn Gottes hat, der hat ,wirklich' das Leben!" Er bleibt, wenn alles andere wankt und fällt.

Euer

Gottlob Lang

 

Pfarrer Gottlob Lang, ein echter Schwabe, pflegte nicht nur verwandtschaftliche Beziehungen zu Wilhelm Busch, sondern war ihm auch geistlich sehr verbunden.

 

 

Wuppertal-Barmen, den 22. Juni 1966

 

Sehr verehrte, liebe Frau Busch!

Nun hat Gott Ihren Mann heimgerufen!

Die Batakchristen sagen im Unterschied zu den Nichtchristen, wenn jemand heimgegangen ist: Nunga djumolo ibana, d. h.: Er ist vorausgegangen. Mohammedaner und Heiden werden sagen: Er ist gestorben. Christen aber sagen: Er ist vorausgegangen. Welch ein göttliches Bekenntnis der Hoffnung, die wir Christen haben dürfen!

Auch Ihr lieber Mann ist „vorausgegangen"; mit anderen Worten, wir hoffen auf die Zeit, dahin wir uns alle ausstrecken.

Unser Herr sei in diesen Tagen des Abschiednehmens von Ihrem lieben Mann Ihnen besonders nahe. Er lasse es Sie fühlen und spüren, dass Er steht zu all den Verheißungen, die Er gerade Witwen und Waisen in so großer Zahl in der Heiligen Schrift gegeben hat.

Viele werden Sie in diesen Tage in besonderer Weise umgeben mit ihrer Fürbitte und den Herrn bitten, dass Er selber Öl und Wein gießen möge in die Wunden, die Er geschlagen hat.

Zu denen, die Ihrer vor unseres Herrn Thron gedenken, gehöre auch ich.

In auf richtiger Teilnahme

Ihr H. F. de Kleine

 

Missionsinspektor de Kleine, der auf vielen Tersteegensruh-Konferenzen, die Wilhelm Busch leitete, die Herzen der Teilnehmer bei seinen Missions-Berichten mitriss zu warmer Teilnahme und fröhlichem Opfern.

 


Von Oberkirchenrat Werner de Boor

 

Oberkirchenrat Werner de Boor war ein begnadeter Schriftausleger, dessen theologische Kommentare sehr hilfreich sind zum Bibelstudium, ein Evangelist, der besonders in der DDR die Gemeinden einlud, und ein gesegneter Seelsorger, der auch der Witwe Busch durch seinen Zuspruch entscheidend weiterhalf.

 

 

Schwerin, den 19. August 1966

 

Liebe Schwester Busch!

Nun wird es stiller geworden sein, stiller und wohl auch schwerer eben durch die größere Stille und durch das Erfassen der Endgültigkeit der irdischen Trennung. Da darf ich doch noch einmal schreiben.

Vielleicht ist es für Sie doch immer wieder einmal ein quälender Gedanke, dass Sie nach einem solchen Leben der Gemeinsamkeit nicht beim Sterben dabei sein durften. Aber es war ja gar kein „Sterben", bei dem die Hand des andern zu halten und noch ein Wort zu sagen war. Jesus hat es so wunderbar gemacht, dass gerade hier eigentlich kein Fragen bleibt.

Eine Hörerin, die extra nach Saßnitz kam, mit Papier und Bleistift zum Nachschreiben, hat den Bleistift nicht benutzen können, weil sie den Blick nicht von dem Angesicht des Boten wenden konnte, das von Freude über diese Botschaft strahlte. Von solchem' feuchtenden Angesicht her, ohne Verfall durch ein Krankenlager zu seines Herren Freude eingehen dürfen, was ist das doch!

Und ich denke an Wilhelms letztes Buch. Das waren gerade nicht „Plaudereien" eines alt Gewordenen, der eben nur noch ein wenig zu plaudern vermag. Das war ein Werk von solcher Frische und frohen Reife, dass es in erstaunlicher Weise „Jugend" und „Alter" verbindet. Dass Wilhelm uns das noch schenken konnte! Und dass dahinter nun kein Absinken kam, kein schmerzliches „Es geht nicht mehr!".

Welch ein Leuchten, welch ein Danken ist in unsern Herzen, wenn wir den lieben Namen „Wilhelm Busch" aussprechen!

Aber immer sind Sie dann mit dabei. Vielleicht ist das bei mir besonders so, weil ich aus dem eigenen Leben und der eigenen Ehe weiß, was unsre Frau für uns und unsern ganzen Dienst bedeutet.

Freilich, dann ist es bei Ihnen so, wie es Paulus von einem anderen Grunde her von sich selber sagt: „… dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe." Wie gut, dass es so sein darf und nicht „unchristlich" ist! Der Schmerz hat als die andere Seite tiefer Freude sein volles Recht, das niemand ihm nehmen soll. Aber das hindert nicht das „Freuet euch in dem Herrn allewege! Noch einmal sage ich: Freuet euch", das der gleiche Paulus schrieb. Er fasste es selber zusammen: „Als die Traurigen, aber allezeit fröhlich".

So denken wir an Sie und erbitten es für Sie, dass dieser Reichtum an Freude und Schmerz Sie in Ihren Aufgaben sehr segnet und Sie zubereitet für das, was an Herrlichkeit vor Ihnen liegt.

In dankbarer Verbundenheit

Ihr Werner de Boor

 

 

Schwerin, den 1. Oktober 1966

 

Herzlich verehrte und liebe Schwester Busch!

Man hat den 126. Psalm ein „Halleluja unter Tränen" genannt. So sieht nun auch Ihr Leben aus.

Wenn Sie immer und immer wieder Ihres Mannes reiches, wirksames Leben vor Augen haben, dann geht es auch immer neu durch Ihr Herz: „Halleluja! Danke, danke!" Und wenn Sie dann sehen, wie Ihr eigenes Leben damit verknüpft war, wie Sie teilhatten an dem ganzen Reichtum und zugleich selber diesen Mann reich machen durften als seine Frau und Gefährtin und Beterin, dann klingt es aufs neue in Ihrem Herzen: „Danke, danke! Halleluja!"

Aber dabei tropfen die Tränen, weil dies alles unersetzbar vorbei ist und die Größe des Vermissens und Entbehrens der ganzen Fülle des einstigen Besitzes entspricht. Doch dann spricht Gott mit Seinem Kind von dem Kommenden, Bleibenden, Vollkommenen.

Und es ist so schön, dass dabei im Wort der Schrift die menschlichen Verbundenheiten nicht zu kurz kommen. Paulus nennt 1. Thessalonicher 2, 19-20 die Thessalonicher seine Hoffnung und Freude, seinen Ruhmeskranz und seine Ehre vor Jesus bei Seiner Parusie; und umgekehrt war Paulus gewiss die Freude und der Ruhm der Thessalonicher.

Wird es dann nicht so sein, dass auch zwei Menschen, die so miteinander gelebt, geglaubt, gelitten haben, wie Sie beide es taten, in der Herrlichkeit jubelnd füreinander danken und einander dankend rühmen vor dem Angesicht Jesu? Wenn „das Mädchen, das Wilhelm Busch noch heute liebt", daran denkt, dann werden die Tränen wieder hell von dem stillen Halleluja des Herzens im Blick auf jenen Tag.

Wir gedenken Ihrer und freuen uns, dass wir mit Ihnen und Ihrem so herzlich verehrten Mann in Jesu zusammengehören dürfen!

Ihr Werner de Boor

 

 

Liebe Schwester Busch!

… Wir sind nicht noch einmal zu Ihnen gekommen. In diesem Jahr mussten wir die Reise erheblich einschränken und viele Besuche lassen, die uns sehr am Herzen lagen. Aber nach einer Krankheitszeit im Winter merke ich das Alter. Ich bin aber dankbar, dass ich wieder an der Auslegungsarbeit für die „Studienbibel" sitzen kann. Es sind die Johannesbriefe, die mich intensiv beschäftigen.

Wie mag es Ihnen gehen? Der Weg wird kürzer und mühsamer. Aber die großen Taten Gottes werden uns nur immer herrlicher. Ich habe es in den schlaflosen Nächten im Krankenhaus immer wieder in der einfachen Katechismuswahrheit vor mich hingestellt: „… erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels… mit seinem heiligen, teueren Blut und seinem unschuldigen Leiden und Sterben, auf dass ich sein eigen sei…!" Es war mir so wunderbar, dass das „mein" Bekenntnis sein konnte und dass ich mit ihm doch in der großen Schar aus allen Zeiten und allen Völkern stand, die es mit mir in Lob und Dank bekannten.

Meine Frau und ich, wir denken mit dankbarer Freude an die guten Stunden bei Ihnen und sind im Geschenk der Verbundenheit mit Ihnen

Ihre Werner und Toni de Boor

 


Elisabeth Krieger, eine Schwester von Wilhelm Busch, schreibt aus einem Altenheim in Kanada

 

Ihr Mann war jahrelang Pfarrer in Kanada. Sie war mit Leib und Seele Pfarrfrau und ist es geblieben bis ins Altenheim.

 

 

Edmonton, den 23. März 1977

 

Meine geliebten Schwestern und alle!

Ich hatte die große Freude, dass ich ein Einzelzimmer bekam. Ich bin oben im 3. Stock, 27 Stufen hoch. Alle, die vor mir an der Reihe gewesen waren, wollten nicht so hoch steigen. Es ist gerade, was ich wollte, so friedlich und still hier oben. Auch hatte ich nie gehofft, dass ich noch mal so gesund würde. Mein Herz ist angegriffen durch die lange, schwere Krankheit. So bin ich etwas schnaufig und schwelle etwas an bis zum Abend. Aber ich kann allein Trambahn fahren.

Gestern Mittag besuchte ich eine 85-jährige vom Heim hier im Krankenhaus. Sie hatte eine Lunge heraus und Gallensteine. Aber sie können nicht operieren, weil sie zu elend ist. Nun bekam sie obendrein noch Gürtelrose. Sie küsste mich immer wieder, weil sie sich so freute, dass ich kam und mit ihr betete.

Heute ging ich ins Universitätskrankenhaus, wo auch eine Frau von hier lag und am Star operiert war. Auch sie war ganz überwältigt, dass ich so weit kam.

Meine Kinder nahmen mich mit zur herrlichen Chormusik an der Universität. Samstag holte mich Ruth. Es war arg schönes, gemütliches Holzfeuer im offenen Kamin, köstliches Nachtessen. Gerade als sie mich im Auto heimfahren wollten, kamen zwei Paare zu Besuch. Ein Paar, denke ich, waren Pfingstler, die anderen auch liebe, junge Sabbatisten. Sie waren in einer Versammlung zusammen gewesen. Erst hatten wir so gemütlich Saft und Backwerk, dann brach die Disputation los. Jeder holte seine Bibel und wusste seine Beweise, aber keiner überzeugte den anderen. Ich dachte, wenn ich so glücklich, so selig sterbe wie mein Vater und mein Mann, mehr will ich nicht – und sagte nichts.

Es war beinahe Mitternacht, da fuhr Marco mich heim. Mitten auf der Hauptstraße stoppte das Auto. Kein Gas. Da es nach Mitternacht war, musste er weit springen, weil alle Garagen zu waren. Ich wurde sehr kalt. Als ich ins Haus kam und schon in meiner Stube war, kam die Nachtwache so lieb herauf: „Willst du nicht warmen Tee?" Da saßen wir bis beinahe 2.00 Uhr. Sie erzählte so interessant von Holland und freute sich, dass ich ihr die Nacht verkürzen half.

Sonntagmorgen so herrlicher Gottesdienst hier von einem Professor. „Ich bin kein Pastor, aber ein Christ."

Dann holt mich immer ein junger Mann ab in seinem eleganten Auto zur Presbyterianerkirche. Unter dem liberalen Dr. White war die Kirche jämmerlich leer geworden. Nun füllt sie sich langsam wieder unter der stillen, frommen Art eines Jüngeren. Ich hörte jetzt, dass unsere Kollekte jeden Sonntag etwas über 1000 Dollar einbringt. Der Schatzmeister sagte in der Gemeindeversammlung, um alle Kosten zu bestreiten, Gehälter für Pastor, Küster, Organist, Heizung, Reparaturen, brauchen wir über 3000 Dollar den Monat. Wir haben auf der Liste 541 Glieder, aber die kommen ja gar nicht immer in die Kirche.

Herzlichst

Eure Elisabeth

 

 

Edmonton, den 29. August 1978

 

Meine liebe Emmi!

In unserem Alter ist die eigene Kraft recht unzuverlässig. Wenn ich morgens aufwache, dann denke ich aus, was ich alles tun will, und bis ich gebadet und angezogen bin, ist mir schon wieder das Kräftle vergangen. Aber die gute Tasse Kaffee beim Frühstück rüttelt mich wieder auf.

Gleich nach dem Frühstück war bisher ½ Stunde Andacht. Nun haben sie die Andacht auf den Abend verlegt, was aber scheinbar nicht so passt. Dann kommen immer zu mir zwei Frauen herauf (aus Polen), Deutsche. Ich lese die Bibel mit ihnen und bete. Die eine Frau ist katholisch und betet immer polnisch. Nun hörte ich endlich von der anderen, dass sie da immer zur Maria bete.

Ich schreibe diesen Brief mit Unterbrechungen.

Dreimal die Woche spiele ich dann mit drei anderen Scrabble. Die eine, eine frühere Lehrerin, läuft immer hinter mir her: „When do we play?" Wenn wir dann spielen, sitzt sie so gemütlich dabei in meinem Sessel und schläft ein. Wenn es ihre Reihe ist, ein Wort zu setzen, muss man sie erst aufwecken. Ihr gegenüber sitzt eine, die kann oft ihr Zimmer nicht finden, spielt aber noch gern, aber nur kleine Worte, sieht nie ihre besonderen Vorteile. So ist es in der Hauptsache zwischen mir und meinem Gegenüber, einer früheren Lehrerin. Ihr ist es sehr wichtig zu gewinnen, mir ist es wichtig, mein Gehirn am Leben zu erhalten. Ich sehe bei vielen hier, die geben alles auf, leben, essen, schlafen. Aber im Übrigen sind sie schon tot.

Um 4.00 Uhr gehe ich gewöhnlich hinunter zu einer 94jährigen. Ihre Augen werden anscheinend blind am Star. Und dann lese ich ihr aus der Zeitung das Wichtigste.

Dann bat mich die Leiterin, ich möge mich annehmen um eine Schwermütige. Sie war eine Pfingstlerin.

Diese alten Leute, alles Damen, viele über 90, tun meistens nichts von selber, und die Leiterin des Heimes ist mir so dankbar, wenn ich sie von ihren Betten bringe, dass sie was tun. Jede einzelne hat ja irgendeinen Krankheitsschaden, der sie sehr mit sich selbst beschäftigt. Sie fragen nichts nach dem anderen, und niemand fragt nach ihnen. Da freuen sie sich, wenn sie mir ihre Leiden erzählen können.

Herzlichst

Deine Elisabeth

 

 

Edmonton, den 6. Juli 1979

 

Liebe Emmi!

Vielen tausend Dank für Deinen lieben Geburtstagsbrief…

Ich denke oft, was bieten wir unserer modernen Jugend in Schulen, in Fernsehen, sogar in der modernen Kleidung. Es ist alles so Geschlechter aufreizend, dass ich mich wundern muss, wenn die Kinder heil durchkommen.

Dann denke ich an eine Frau in Hülben, die kam zu mir, als ich krank lag. Da erzählte sie mir von ihrem Sohn, der viel trinkt. Ein wilder Atheist. „Frau Pfarrer, sagen Sie mir, kann ein Sohn so vieler Gebete verloren gehen?" „Nein", sage ich, „in der Bibel steht ganz deutlich immer wieder: ,Bittet, so wird euch gegeben.' Wenn Ihr den Vater ernstlich bittet, so wird Gott ihn gewiss retten. Kann sein, dass es erst nach Eurem Tod ist. Aber es bleibt dabei: Bittet, so wird euch gegeben."

Liebe Emmi, deshalb müssen wir alten Großmütter noch immer leben in all unserer Schwachheit. Auch wir haben die wichtigste Aufgabe – und sie wird mit jedem Jahr größer und reicher: für unsere Familie zu beten.

Auf Wiedersehen in den himmlischen Palästen.

Herzlichst

Deine Elisabeth

 


Zum Hochzeitstag der Kinder

 

Essen, den 26. April 1968

 

Meine Teuren!

Ist heute nicht Euer Hochzeitstag? Da möchte ich doch in Dank und Fürbitte mitfeiern.

Gestern räumte ich mal wieder meinen Glasschrank auf mit all den vielen köstlichen kleinen Sachen. Dabei fiel mir eine kleine Hochzeitskutsche hin, die ich mal aus dem Erzgebirge als Heimatkunst bekam. Es passierte nichts dabei, als dass das junge Ehepaar herausfiel, und bei diesem Unglück zeigte es sich, dass beide durch den Sturz nicht getrennt wurden, weil sie zusammengeklebt sind.

Ich hatte meinen Spaß an diesem symbolischen Erlebnis, und mir fiel der Vers ein, den wir bei meiner Hochzeit gesungen haben:

 

Käm alles Wetter gleich auf uns zu schlan,

Wir sind gesinnt, beieinander zu stahn.

Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein

Soll unsrer Liebe Verknotigung sein."

 

Also!

Innigst

Eure Mama

 


An die kranke Großmutter von einer Enkelin

 

„Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich."

 

 

Liebe Oma!

Ich kann Dir leider keinen tröstlicheren Bibelvers sagen als den, den ich oben geschrieben habe. Aber ich bin sicher, dass Du selbst einen viel besseren weißt.

Ich kann mir denken, was für ein dunkles Tal sich für Dich öffnete, als Du hörtest, dass Du ins Krankenhaus musst. Jeder von uns weiß genau, wie gern Du zu Hause bliebst. Du musst einfach immer daran denken, dass Du wieder aus dem dunklen bzw. finsteren Tal herauskommst und zusätzlich noch gesund und hoffentlich auch munter bist. Ich weiß, dass es kein schönes Gefühl ist, im Krankenhaus zu liegen, und ich bewundere Dich, weil Du so tapfer bist. Du musst wahnsinnige Schmerzen gehabt haben und haben, und kaum einer von uns hat es gemerkt, weil Du tust, als sei nichts geschehen.

Ich kann nur sagen: Ich habe eine tolle Oma!

Gute Besserung! Tschüss!

Deine Antje

 

PS: Ich weiß. nicht, ob es angebracht ist, dass die unerfahrene Enkeltochter der erfahrenen Oma schreibt. Aber ich habe es einfach versucht, und ich weiß, dass ich Dir einfach schreiben musste.

 


Die junge Mutter Irmgard Kuhn lässt ihr Kleinkind erzählen

 

Prien, den 31. Dezember 1968

 

Liebe Tante Emmi!

Heute soll ich Dir mal was von meinem Alltagsleben erzählen. Ich bin jetzt noch nicht ganz 1,5 Jahre alt, aber schon ein ganz großer Schlingel. Auf Bildern sehe ich immer so brav und lieb aus, dass die Leute stets von meiner Person begeistert sind. Aber Mutti ist aus der Erfahrung her nicht mehr so ganz überzeugt davon. Sie hat schon gesagt, dass sie mal ein Buch über mich schreiben wollte mit dem Titel: „Die Zähmung der Widerspenstigen."

Das muss ich Dir nun aber doch näher erklären, damit Du keinen allzu schlechten Eindruck von mir bekommst. Mutti erinnert sich noch sehr genau an einen Satz, den ihr die Hebamme in der Klinik sagte, und zwar schon an dem 3. Tag nach meiner Geburt: „Meine Zeit, was haben Sie für eine energische Tochter, die wird sich im Leben aber mal kräftig durchsetzen." – Tja, und nun fängt das schon an. Mutti will immer genau das, was ich nicht will…

Ich rede ja schon viel, aber leider kann Mutti das nicht immer verstehen. Sie sagt dann schon mal, dass ich ihr mein Kinderlatein doch übersetzen möchte, aber das kann ich leider auch noch nicht. So muss ich es mit Gesten tun… Morgens um 11 Uhr werde ich müde. Da möchte ich am liebsten ins Bett. Aber Mutti möchte mich vor dem Mittagessen nicht mehr ins Bett legen, damit sie nach dem Mittagessen noch ein wenig Ruhe vor mir hat. Aber ich will!! Und das gebe ich ihr deutlich zu verstehen. Wenn die Tür zum Kinderzimmer offen steht, hole ich aus meinem Puppenwagen ein Kissen und lege mich darauf und stecke den Daumen in den Mund. Wenn aber die Tür zu meinem Kinderzimmer verschlossen ist, ziehe ich aus dem Kohlenkasten in der Küche eine Zeitung und lege mich darauf. Das hat bisher immer noch gewirkt. Anschließend trug mich Mutti in mein vielbegehrtes Bett.

Seit ein paar Wochen habe ich ein richtiges Kinderzimmer. In einer Ecke steht mein Bett, und in der anderen Ecke hängt ein großes Bücherregal. Da stehen zwar noch viele Bände von Vati und Mutti mit drin, aber ich habe auch meine eigenen Spielfächer, die mit meinen Spielsachen vollgefüllt sind. Damit kann ich mich jetzt schon stundenlang allein beschäftigen. Doch, wenn ich zu still bin, ahnt Mutti nichts Gutes – und plötzlich geht dann die Türe auf – und ich sehe dann mal wieder Muttis entgeistertes Gesicht vor mir – und setze dementsprechend schon ein schuldbewusstes Gesicht auf. Irgendetwas scheint mal wieder nicht zu stimmen. Es ist zu dumm, dass ich Vatis und Muttis Sachen noch nicht von meinen unterscheiden kann. Aber in diesem Fall war Mutti selbst schuld daran. Ja, da lagen über meinen Spielfächern Muttis und Vatis Weihnachtsoratorium, Matthäus- und Johannespassion, H-Moll-Messe und viele andere Sachen mehr, wohlgeordnet und gestapelt. Nun habe ich die Bachwerke nicht nur herausgezogen und durcheinander gebracht, sondern, was viel schlimmer ist – so meint Mutti jedenfalls –, meine „eigenen Werke" daraus gemacht. Ich war von lauter zerfetztem Notenpapier umgeben und eingehüllt.

Mutti ist überhaupt manchmal recht entsetzt, wie es in meinem Kinderzimmer aussieht, alles durcheinander, wie auf einem Schlachtfeld. Aber ich muss jetzt schon ganz schön allein aufräumen. Das tue ich nicht besonders gern, aber Mutti hilft mir dann dabei und lässt nicht eher locker, bis alles wieder an seinem Platz ist. Dafür räume ich lieber in der Küche auf. Aber das hat Mutti mal wieder nicht so gern. Ich habe beobachtet, dass Mutti bei Gelegenheit vieles im Mülleimer verschwinden lässt, und zwar alles das, was so herumliegt. Warum soll ich das nicht auch können? Aber schrecklich ist das, ich mache noch soviel verkehrt. Mutti zieht immer wieder die Topflappen, den Gasanzünder oder Bestecke aus dem Mülleimer hervor. Dann stehe ich immer ganz fassungslos dabei und kapiere nicht, warum das so ist. Ja, und wenn ich dann mal eine alte Konservenbüchse oder ein altes Kaffeeglas aus dem Kruscht hervorziehen will, dann ist es auch wieder nicht richtig. O, die Welt der Erwachsenen ist so schwer zu verstehen. Aber lasst nur, eines Tages werde ich auch noch dahinter kommen.

Lass Dich von uns drei Prienern recht herzlich grüßen.

Deine Gabriele

 


Die alte China-Missionarin Marie Linz schreibt von ihrer Geburtstagsfeier

 

Wuppertal, den 15. Januar 1973

 

Meine lieben Verwandten, Freunde und Schwestern!

Wie schnell ist wieder Epiphanias geworden, wieder ein Jahr vorüber! Und doch, wie reich, wie gefüllt mit Licht von oben, trotz allem Erdendunkel, dem Verlust geliebter Menschen und allem Wirrsal und Unfrieden dieser Zeit. „Der Stern ging vor ihnen hin", heißt wieder die Losung im neuen Jahr. Und er zeigt das Ziel!

Zuerst danke ich Ihnen allen, die Sie meiner gedacht und den Tag so schön und liebevoll gestalteten. Wie oft hätte ich da in China sagen müssen: m hom tong! = ich bin's nichtwert! Und auch dieses Mal hatte ich das Gefühl, allen Dank und alle Liebe weiterzugeben an die obere Adresse, von der ja alles kam. Und das tat ich auch.

85 Jahre! Und der Stern leuchtet weiter! War es nicht so im vergangenen Jahr? Wohl spürt man die abnehmende Kraft und mancherlei Beschwerden. Aber das Licht von oben ist da. „Gott rüstet mich mit Kraft", ist die Jahreslosung des D.F.M.G.B., und die Verheißung für 1973: „Mein Geist soll unter euch bleiben…" Konnte man da nicht fröhlich feiern?

Und so fing die Vorfreude schon am Vortage an, als Schwester Lucie Olpp mit drei unserer Schwestern erschien, die mir eine „Putzhilfe" in Gestalt einer aufdekorierten Saftflasche als „prima Küchenfrau" zur Hilfe mitbrachten. Das war eine fröhliche Begrüßung, ein lebendiger Austausch, bei dem es dann auch chinesische Leckereien, gerade aus Hongkong gesandt, zum Probieren gab. – Auch Missionar Mohrmann kam als verfrühter Gratulant, während Missionar Kempgen leider fehlen musste.

Und dann gab es am 6. ein lebendiges Aus und Ein! Liebe Gäste aus der Nachbarschaft am Morgen, Blumen, die den grauen Alltag zum bunten, duftenden Frühling machten, Anrufe von nah und fern, Post aus aller Welt, Grüße treuen Verbundenseins und dankbaren Erinnerns…

Am Nachmittag war es nur ein kleiner Kreis, liebe nächste Verwandte und Freunde, der sich bei Kaffee und Kuchen zu gemeinsamem Loben und Danken vereinigte. Wie bereichernd waren dann die Besuche unseres lieben Pastors Dr. Weth und unseres treuen Pastors Reinhardt! Wie konnte man da manch Wertvolles erfragen und erfahren über China, Hongkong, Formosa, die Weltlage! – – Geht es nicht immer mehr abwärts, in den Untergang, ins Chaos?? Ja und nein! Denn für uns, die wir Gottes Reichspläne und Seine wunderbaren Verheißungen in naher Erfüllung zu sehen meinen, gilt ja das Wort: „Hebet eure Häupter auf, weil sich eure Erlösung naht!"

So war es dennoch – trotz der verlöschenden Kerzen – ein frohes Epiphaniaslied, das uns ermutigte, dem kommenden König entgegenzugehen. – So sangen wir noch das alte Wuppertaler Lied: „Stern, auf den ich schaue…"!

Und dann verabschiedeten wir uns, wie ich es auch jetzt tue, mit dankbarem Herzen, weil wir wissen und darin verbunden bleiben:

 

„Weil denn weder Ziel noch Ende

sich in Gottes Liebe findt,

ei, so heb ich meine Hände

zu dir Vater, als dein Kind,

bitte, wollst mir Gnade geben,

dich aus aller meiner Macht

zu umfangen Tag und Nacht

hier in meinem ganzen Leben,

bis ich dich nach dieser Zeit

lob und lieb in Ewigkeit!"

Eure Marie

 


Briefe von „Bas"

 

Bastian van Aalst (genannt „Bas“) war jahrelang Hausmeister im Weigle-Haus in Essen – dem Klubhaus für Jungen –, das von Pastor Busch geleitet wurde. Er lebte später in Holland, als schwerkranker Mann.

 

 

Essen, im Juli 1947

 

Heiß brannte die Sonne über den kümmerlichen Resten des Weigle-Hauses. Einige Bauarbeiter tun, als ob sie arbeiten. Viel saß nicht dahinter. Es war ja eine schreckliche Zeit. Kein vernünftiges Material. Kaum was zu essen. Und keine Moral. Aber es wurde gebaut, obwohl man das WH abgeschrieben hatte.

Sollte aus diesem kümmerlichen Schutthaufen wieder ein Jugendhaus werden? Ob es noch mal fertig wurde? Und wenn, dann brauchte man einen Hausmeister. Ob man einen finden würde?

Es wurde einer gefunden. Sogar ein Holländer, ein Maurerpolier, ein unbekehrter Reformierter. Und das war ich. Der Bas. So ist mein abgekürzter Vorname. Man sprach später nur noch von Familie Bas, obwohl ich van Aalst heiße. Aber schön war der Name Bas, und dabei blieb es.

Jetzt bekomme ich als Maurer einen Pastor als Chef. Und was für einen. Habe nie gewusst, dass es so was gab.

 

 

Den Haag, im Juli 1966

 

Die Jahre mit P. B. als Chef waren die schönsten meines Lebens…

Wie schön und wie viel wurde im Weigle-Haus mit Pastor Busch gesungen! O ja, ich weiß, dass viele Kirchenmusiker entsetzt waren über dies Gesanggebrüll. Und doch – in den Ohren Gottes waren es ganz bestimmt „liebliche Lieder".

Und nun glaubt mir sicher keiner, wenn ich behaupte, dass Pastor Busch unheimlich schön singen konnte, zumal auch seine Freunde ihm sagten: „Du singst nicht schön, aber laut!"

Ich werde versuchen, es deutlich zu machen, aber es wird schwer sein. Vieles habe ich an Pastor Busch beobachtet, auch sein Singen. Und da kann ich es nicht anders sagen als so: Nur ein Kind Gottes kann so schön singen!

Ich habe noch nie ein Himmelfahrtsfest so erlebt wie im Weigle-Haus. Dann stand er voller Anbetung vor seinem Herrn und sang:

 

„Siegesfürst und Ehrenkönig,

Höchstverklärte Majestät,

Alle Himmel sind zu wenig,

Du bist drüber hoch erhöht;

Sollt ich nicht zu Fuß dir fallen

Und mein Herz vor Freude wallen,

Wenn mein Glaubensaug betracht't

Deine Glorie, deine Macht?"

 

Ja, seitdem kann ich auch mit Freuden Himmelfahrt feiern.

Oder ich denke an einen Spaziergang in Idar-Oberstein. Es war ein Tag im Mai, ein strahlender Morgen. Nach einer Wanderung durch herrlichen Wald kamen wir in ein Tal, ein Tal so schön, wie ich es nie gesehen hatte. Es war eine herrliche Blütenpracht. Und da war Pastor Busch nicht zu halten. Und in den stillen Morgen hinein sang ein Kind Gottes Loblieder. Das war kein Singen, das war Jauchzen, das war ein großer Jubel.

So habe ich vieles von Pastor Busch gelernt. Auch dies: Unser Singen muss echt sein, sonst sollten wir besser schweigen.

Wie schön war es immer in der Advents- und Weihnachtszeit! Ich höre Pastor Busch noch betend singen:

 

„Komm, o mein Heiland Jesu Christ,

Meins Herzens Tür dir offen ist…"

 

Und über den Gemeindegesang hinaus hörte ich Pastor Buschs Stimme: „Fröhlich soll mein Herze springen / Dieser Zeit, / Da vor Freud / Alle Engel singen…

Lieber Pastor Busch! Ich danke Ihnen, Sie haben mich singen gelehrt!

Aber einmal habe ich ihm gesagt: „Lieber Pastor Busch, wenn Sie etwas von Ihrem Bas annehmen wollen, so ist es dies: Singen Sie nie die Strophe, in der die Zeilen vorkommen: ,Im Himmel soll es besser werden, / Wenn ich bei deinen Engeln bin.' Besser braucht nicht!"

Und wenn ich jetzt an meinen heimgegangenen „Chef" denke, dann muss ich doch mit Paul Gerhardt singen:

 

„Welch hohe Lust, welch heller Schein

Wird wohl in Christi Garten sein!

Wie muss es da wohl klingen,

Da so viel tausend Seraphim

Mit unverdrossnem Mund und Stimm

Ihr Halleluja singen!"

 

So möchte ich gern einmal mit Pastor Busch in der Ewigkeit das Lob Jesu singen!

 

 

Den Haag, den 12. März 1973

 

Liebe Frau Pastor!

Sie haben bestimmt gedacht: Der Bas will nicht mehr. Er bricht endgültig mit Essen. Aber so ist es nicht. Ich habe mich sehr gefreut über die Grüße zu Weihnachten und zum Geburtstag. Ich war einfach nicht mehr fähig, einen Brief zu schreiben, weil ich durch meine Krankheit total fertig war.

Für eine Treppe wie bei Ihnen brauche ich 5 Minuten zum Raufgehen und eine Viertelstunde zum Beikommen. Gesundheitlich bin ich ein armer Mann geworden.

Wenn man monatelang Atemnot hat, dass die Menschen in der Straßenbahn sofort aufstehen, wenn man einsteigt, dass man jeden Abend total abgemattet und unfähig, einen Handschlag zu tun, ins Bett kriecht, dann wird man so mutlos, dass man an nichts mehr Interesse hat. Und wenn man auch nicht mehr in die Kirche gehen kann, dann ist man so ziemlich am Ende.

Nicht, dass ich nun den Glauben verloren habe, aber man ist nicht mehr fröhlich, sowie ich es so gerne sein möchte. Ich hoffe so sehr, dass Gott mich lehrt, fröhlich dies Kreuz zu tragen.

Ich hoffe so sehr, dass wenn das Wetter besser wird, es mit dem Asthma was leichter wird.

Ich habe an meiner Frau eine große Hilfe. Einfach fantastisch.

Darf ich es vorläufig hierbei lassen? In einem nächsten Brief schreibe ich Ihnen, wie es hier auf allen Fronten knallt.

Herzliche Grüße, auch von meiner Frau

Ihr Bas

 

 

Den Haag, den 5. Februar 1975

 

Liebe Frau Pastor!

Hier bin ich dann. Wenn auch erst nach Monaten.

Man ist wie ein Autofahrer. Der weiß ja auch nicht, was ihn hinter der Kurve erwartet.

Man meint, es geht ja wieder, und dann liegt man wieder im Krankenhaus oder zuhause im Bett. Und durch die viele Medizin (20 Tabletten pro Tag) wird man oft so beberich, dass ich öfters eine Tasse Kaffee oder Tee über das Bettlaken schüttete und an Schreiben überhaupt nicht zu denken war. Darum bin ich so froh, dass ich eine Maschine habe, womit das Schreiben einigermaßen geht.

Als ich das letzte Mal aus dem Krankenhaus kam, ging es mir so gut, dass wir es gewagt haben, nach Jochen in Bergisch Gladbach zu fahren und dort über die Feiertage zu bleiben. Wir wurden mit einem herrlichen Wagen geholt, und ab ging es. O, was war ich froh, dass ich mal was anderes sehen durfte! Jochen hat ein schönes Haus mit allem Drum und Dran. Am 6. Dezember waren wir dort, am 10. Dezember musste der Arzt geholt werden. Bis zum 28. Dezember lag ich in Bergisch Gladbach im Bett.

Wenn ich keinen Heiland gehabt hätte, wäre dieses Weihnachten das erbärmlichste gewesen, das ich jemals erlebt habe. Obwohl ich Radio und Fernseher auf dem Zimmer hatte, habe ich kein schönes Weihnachtslied gehört, von einer Predigt zu schweigen. O, was eine Armut!

Ach, wie froh war ich da, wie ich zuhause an Silvester eine herrliche Sendung des Evangeliums-Rundfunks mitmachen durfte. Wie ich so oft gesagt habe: Wir Kranke sind so dankbar, dass wir Radio und Fernsehen haben dürfen.

Ja, und nun muss ich Ihnen zuerst herzlich danken für das herrliche Büchlein, das Sie mir schickten („Gegenstände der Passion"). So steht dann auch dieses Buch bei den vielen Wilhelm-Busch-Büchern. Ich nenne diese Sammlung „Meine himmlische Imbissstube".

Das Asthma macht doch ziemlich zu schaffen. Aber ich kann noch immer einer Arbeit nachgehen, und das ist was ganz Feines. Ich habe einen prima Chef. Schade, dass es so ‘n gottloser Hund ist. Er kommt öfters schon mal eine Tasse Kaffee holen. Er hat mich so gern, aber er will nichts von Gott und Erlösung wissen.

Ich habe es fertig gebracht, für das Personal ein Blatt auf die Beine zu bringen. Es hat 500 Leser. In diesem Blatt habe ich einer Verkäuferin gratuliert zu ihrer Hochzeit mit einem Bibelwort aus Psalm 68. Da kamen viele böse Briefe drauf. Die habe ich beantwortet. Ich habe geschrieben: „Beste Kollegen, dieses Fräulein hat kirchlich geheiratet. Ich weiß nicht, ob sie es tut. Aber sie hat eine Bibel mitgekriegt. Die Bibel hat sie gekriegt, um darin zu lesen und nach der Bibel zu leben. Darum ein Bibelwort als Gratulation." Hierauf kam keine Reaktion mehr. So versuche ich, doch noch ein Segen zu sein für meine Kollegen.

Ja, nun dies noch. Ich habe sehr viele Mühe mit dem Deutschen. Bitte, nehmen Sie es nicht übel, wenn ich mich mal unglücklich ausdrücke. Im Geschäft schreibe ich jeden Tag sehr viele holländische Briefe, und dann wird das Deutsch immer schlechter. Aber ich weiß, Sie nehmen es nicht so genau, und Sie wissen, was ich schreibe, kommt aus einem Herzen, das in voller Liebe Frau Busch zugetan ist.

Ich grüße auch im Namen von meiner Frau ganz herzlich. Und ich möchte schließen mit dem Wort aus der Bibel: „Ich will mich freuen des Herrn und fröhlich sein in Gott, meinem Heil" (Habakuk 3, 18).

Gerne

Ihr Bas

 

 

Den Haag, den 2. Juni 1976

 

Liebe Frau Pastor!

Vielen Dank für die herrliche Karte. Die kam gerade richtig. Die 12. Woche ist angefangen, aber es bleibt so, wie wir im Kindergottesdienst so oft sangen: „Jesus ist schöner, Jesus ist reiner, der unser traurig Herz erfreut." Gott gibt mir schlechte Lungen, aber ein fröhliches Herz, womit ich anderen Patienten Freude bereite.

Herzliche Grüße

Ihr Bas

 

 

Den Haag, den 12. September 1976

 

Liebe Frau Pastor!

Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie mich nicht vergessen. Jetzt liege ich wieder im Roten-Kreuz-Krankenhaus. Meine Lungen sind dermaßen schlecht, dass auch die Professoren in Rotterdam nichts machen können. Ich war ein paar Tage zu Hause, aber die Atemnot war so groß, dass ich wieder ins Krankenhaus musste.

Gott geht mit uns sehr schwere Wege. Ich schreibe „mit uns", denn auch Sie kennen diesen Weg. Gott hat Ihnen das Allerliebste und Kostbarste genommen, zwei Söhne und Ihren Mann.

Aber Gott gab Ihnen Kraft nach Kreuz und Kreuz nach Kraft. Ach, was sind wir doch kleine Menschen! Wir können nur zu Gott schreien und rufen um Erbarmung.

Wissen Sie, Frau Pastor, ich bin kein Massenmensch mehr. Ich habe, da ich nun schon 5 Monate im Krankenhaus liege, erfahren, dass wir in unserer nächsten Nähe wahnsinnig viel für Jesus tun können. Wie herrlich ist es, wenn man Patienten mit ein paar Worten trösten und helfen darf! Aber wie schrecklich ist es, wenn sie Gott und alle Menschen verfluchen! O, ich bin so froh und dankbar, dass Gott mir bei aller Not und allem Elend noch soviel Freude schenkt!

Ich hoffe, bald eine Parterrewohnung zu bekommen, denn ein Treppensteigen ist kaum noch möglich. Ja, und wenn es so weitergeht, wird es wohl ein Leben im Rollstuhl. Und wenn Gott nun den Rollstuhl fährt, darf ich nicht meckern…

Herzliche Grüße für Sie und die ganze Schar.

Ihr Bas

 

 

Einmal schrieb Bas auf einer Karte, die leider abhanden gekommen ist:

Gott gibt mir eine bittere Arznei zu trinken, aber weil sie aus Seiner Apotheke kommt, muss sie ja gut für mich sein.

 

Den Haag, den 24. Mai 1977

 

Liebe Frau Pastor!

Es war mit mir so weit, dass ich schon von allem Abschied genommen hatte. Auch meine Familie hätte nicht gedacht, dass ich mal in die neue Wohnung ziehen würde. Ich war ja bis auf einige Wochen ein Jahr lang im Krankenhaus. Und es ging immer schlechter. Und nun bin ich wieder zuhause. Ein Wunder? Wirtschaftswunder gehen vorbei, Gotteswunder nicht. Nein, es ist einfach eine Gebetserhörung. Es gibt keine Grenzen an Gottes Macht, Professoren, Doktoren tun, was sie können, und das ist nicht wenig. Aber sie sind ganz kleine Knaben, wenn der Herr ihre Arbeit nicht segnet. Leider glauben das nur ganz wenige. Und das ist das, was ich im Krankenhaus immer wieder sagte: „Freunde, unsere Doktoren können viel, und wir müssen ihnen dankbar sein, dass sie sich so viel Mühe machen, aber das alt-modische Wort bleibt wahr: ,An Gottes Segen ist alles gelegen'."

Natürlich bin ich noch sehr schwach und kann nichts tun, aber ich bin zuhause und darf nun die schöne Parterrewohnung mit Garten genießen, wo auch ein Birnen- und ein Apfelbaum stehen. Und nicht zu vergessen die Vögel. Einfach herrlich. Sie sehen, ich habe für vieles zu danken. Auch mit meiner Frau, die auch im Krankenhaus war, und der es wieder gut geht. Jeden Morgen kommt eine Krankenschwester, die mir hilft, mich zu waschen und anzuziehen. Ich hoffe, dass Gott mir noch wieder so viel Kraft gibt, dass ich ein paar hundert Meter laufen kann.

In einem nächsten Brief werde ich Ihnen mal schreiben über die Gespräche mit Kranken, auch mit denen, die sterben mussten. Ich habe erfahren dürfen: Kinder Gottes haben einen Auftrag. Und den müssen sie ausführen. Wenn sie es nicht tun, sind es Nullen.

Immer

Ihr Bas

 

 

Den Haag, den 26. September 1977

 

Liebe Frau Pastor!

Ich war wieder so krank, dass ich nicht in der Lage war zu schreiben. Aber nun geht es wieder einigermaßen.

Ich kann nun aber auch gar nichts mehr vornehmen. Immer kommt es anders, als ich es mir gedacht habe. Und dann kommt es soweit, dass man sagt: „Herr, zeige nun endlich, was du mit allem, was ich tragen muss, bezweckst – und sonst lasse mich in Ruhe." Aber er gibt keine Antwort. Und er kann das, denn er ist ja Gott und ist uns Menschen keine Verantwortung schuldig. Ja, und dann bleibt nur eins übrig: stille zu werden und sich festzuhalten an seinem Wort „Meine Gnade sei dir genügend" und wieder mit einem betenden Herzen zu singen: „Und was er tut und lässt geschehn, das nimmt ein gutes End."

Immer

Ihr Bas

 

 

Den Haag, den 23. November 1977

 

Liebe Frau Pastor!

Wie schön ist es, dass wir unsere Augen auf einen Berg werfen dürfen. Denn ein Berg steht und bleibt stehen. Er ist nie kaputtzumachen. Aber es wird einem nicht leicht gemacht, diesen Berg zu besteigen. Und doch ist es so, dass wir schon angefangen sind mit Steigen.

Wilhelm Busch ist schon oben und braucht nicht mehr runter. Nein, es ist keine Spinnerei, wenn ich schreibe, dass er oben auch arbeitet und Andacht und Bibelstunde hält. Es gibt keine Faulenzerei im Himmel. Wenn Jesus sagt: „Mein Vater und ich arbeiten", dann dürfen wir mitarbeiten. Nur mit dem herrlichen Unterschied, dass wir keinen Unterschied mehr kennen. Keinen Professor, Doktor oder Bundespräsidenten und – Gott sei Dank – keinen Präses oder Superintendenten oder auch Hausmeister mehr, sondern alle nur noch Kinder auf einer Treppe.

Aber wohl ist es so, wie es in der Bibel steht, dass der eine höher steht als der andere. Aber mir ist es piepegal, ob ich auf der untersten Stufe stehe oder ganz oben. Ich darf Jesus sehen!

O, mir laufen die Griebels über die Grabbels, wenn ich dann mit dem Finger auf P. B. zeigend sagen kann: „Herr Jesus, dasteht der Mann, der mich zu dir geführt hat." Unser Herr weiß das jetzt schon, aber ich freue mich, wenn ich es ihm so ins Gesicht sagen darf. Und keine Atemnot!! Was sind wir reich!

Ihr Bas

 

 

Den Haag, den 27. Dezember 1977

 

Liebe Frau Pastor!

Ich habe im letzten Brief geschrieben darüber, was uns im Himmel erfreuen wird und dass wir auch dort unsere Lieder singen werden und Bibelstunde haben. Wenn Gott uns hier auf der Er-de schon so vieles gibt, damit unser Leben in keiner Beziehung langweilig wird, wie viel wird er uns dann geben, wenn wir bei ihm sind!

Und weil sein Wort ewig ist und immer wieder neu, wird auch die Gemeinschaft der Heiligen nie aufhören. Wie das gehen soll, weiß ich nicht, aber schön wird es. Ja, es steht auch in der Bibel, dass wir, wenn wir bei Jesus sind, nicht alle gleich sind. Ich glaube, dass, wenn ein Mensch, kurz bevor er stirbt, zum Glauben gekommen ist, er im Himmel weiter in der Heilstat gebildet wird.

Es ist immer wieder schade, dass ich die deutsche Sprache so schlecht beherrsche, holländisch könnte ich mich besser ausdrücken.

Ich habe dieses Jahr keine Weihnachtswünsche verschickt, denn Kinder Gottes feiern immer gute Weihnacht, weil sie es tun bei einer Krippe, worin ein Heiland liegt.

Ihr Bas

 

 

Den Haag, den 3. Mai 1978

 

Liebe Frau Pastor!

Wenn man so über alles nachdenkt, kann man nur sagen: Wie schön, dass Gott jeden Menschen so geschaffen hat, dass es nie langweilig wird, miteinander zu leben! Und so ist es ja auch in der Natur. Nicht auszudenken, wenn es nur Nelken gäbe, wenn es nur Spatzen gäbe, wenn es nur Hunde gäbe, wenn es nur Tannenbäume gäbe. So kann man weitermachen. Aber das Allergrößte ist, dass über allen ein Herr steht, der die Haare auf meinem Kopf zählt und der sogar bestimmt, wann ein Spatz sterben muss.

Und was nicht zu begreifen ist: dass er Menschen den Auftrag gibt, dies alles zu verwalten. Denn diese Menschen machen ja alles kaputt, wir sehen es ja täglich. Und es ist nicht zu begreifen, dass Gott nicht die Geduld verliert. Denn es sind ja Menschen, die sagen: „Es gibt ja gar keinen Gott."

Nicht zu fassen, dass er so eine Welt liebt! Aber er tut es und wirft uns seinen Sohn hin und ladet alles, was Sünde ist, auf ihn. Wie glücklich sind wir, dass wir sagen dürfen: „Ich bin ein Kind Gottes. Ich habe einen Herrn. Aber halleluja, auch einen Heiland!"

Ich grüße Sie auch von meiner Frau mit Psalm 116, aber ganz.

In treuer Verbundenheit

Ihr Bas

 

 

Den Haag, den 23. Juli 1978

 

Liebe Frau Pastor!

Ihre Briefe machen mir soviel Mut, dass ich beim Erwachen zum Spiegel laufe und sage: „Guten Morgen, Bas, du bist wieder da. Dankeschön, lieber Herr."

Ich habe oft gedacht, das Leben sei sinnlos, aber im Krankenhaus kann Gott uns so gut brauchen. Ich habe sehr vielen Kranken von Jesus sagen dürfen und ihnen damit Mut gemacht. Und wenn man mich fragt: „Wie kommt es, dass Sie immer so fröhlich sind und nicht den Mut verlieren?", sage ich immer: „In Essen steht ein Haus für die Jugend, und in diesem Haus war ein Pastor, der mich an den Haaren zu Jesus schleppte. Und seitdem habe ich einen Herrn und Heiland, der mir nicht die Krankheit wegnimmt, aber der all meinen Dreck und meine Sünde zudeckt mit seinem Blut, der sich sogar ans Kreuz hat schlagen lassen, aber wieder auferstanden ist und einmal dem Teufel den Kopf zertreten wird und mich dann in den Himmel bringt. Wie es da oben ist, weiß ich nicht, aber es gibt dort keine Atemnot, sondern nur Freude und Wonne, und ich darf endlich meinen Heiland sehen. Wie schön, dass in der Bibel nicht steht, wie es dort nun genau zugeht. Das bleibt für die Kinder Gottes eine Überraschung. Darauf dürfen wir uns freuen wie ein Kind auf Weihnachten. Wie schön, dass wir in diesen Dingen noch Kinder sind!"

Ich habe trotz allem Elend noch vieles zum Danken. Ich werde von Doktoren, Schwestern und Patienten wahnsinnig verwöhnt. Ich bin für alle „Unser lieber Onkel Bassie". Welch ein Gottesgeschenk, wenn Menschen einen lieb haben! Es ist eine sehr große Hilfe, die Krankheit zu tragen.

Ich bleibe gern mit einem Gruß aus Nehemia 8, 10

Ihr Bas

 

 

Den Haag, den 12. Oktober 1978

 

Liebe Frau Pastor!

Obwohl die Atemnot mir sehr zu schaffen macht, werde ich doch versuchen, Ihnen ein paar Teile zu schreiben.

Wie schön ist es, mit einem Herrn und Heiland alt zu werden! Wissen Sie, was mir so wichtig ist? Dass wir mit Jesus wandern dürfen.

Also nicht jagen und jachten im Mercedes oder Moped, dass man nichts sieht von der schönen Gegend. Ich habe oft mit zwei Mitarbeitern ein Lager vorbereitet. Die beiden fuhren auch in der schönsten Gegend immer wie Idioten. Ich saß da und sah nichts vom schönen Sauerland. Wohl hatte ich Angst, wenn sie mit 100 Sachen eine Kurve nahmen. Und wenn ich dies schreibe, denke ich an die herrlichen Spaziergänge mit P. B., Dorr und May in Idar-Oberstein. Was haben wir dort die Schönheit Gottes in der Natur gesehen! O, das Wandern ist etwas ganz Großes. Mir wird es immer deutlicher, warum Wilhelm und Johannes Busch so gerne wanderten.

Und nun ist es mir ganz klar, was es heißt, mit Jesus zu wandern. Der lässt uns alles sehen. Höhen und Tiefen. Er zeigt uns das Paradies. Aber auch Golgatha. Und – Gott sei Dank – auch ein leeres Grab und die Himmelfahrt. Es ist nicht zu fassen, dass er zum Himmel gefahren ist, um uns einen Platz zu bereiten. Und dieser Platz ist zigtausend mal schöner als das Tal in Idar-Oberstein. Welch ein Evangelium: Wir dürfen mit Jesus wandern in den Himmel hinein!

Ihr Bas

 

 

Den Haag, den 6. März 1979

 

Liebe Frau Pastor!

Gott geht mit mir sehr schwere Wege. Die Atemnot ist seit 3 Wochen bald nicht mehr zu ertragen. Und wenn ich diesen Brief schreibe, bin ich gerade von der Sauerstoff-Flasche los. Ich bin bald soweit, dass ich den Mut verliere und nicht mehr um Besserung bete. Das heißt nicht, dass ich an Gott verzweifle, aber dass ich dies Kreuz tragen muss, bis dass er mich aufnimmt in die ewige Heimat.

Von meiner Frau bekam ich einen Papagei. Trotz aller Not habe ich viel Freude an diesem Tierchen. Ich bin ein Tierfreund. Wissen Sie noch, die Rotkehlchen im Saal? Wie die ausgerechnet sonntags morgens mal durch den Kirchsaal flogen, wie P. B. sagte: „Wie bringe ich dem Bas bei, dass so was nicht geht?" Auch ich habe so viele schöne Erinnerungen an diese Zeit. Was haben wir für Stunden erlebt!

Leider werden wir uns nicht mehr sehen. Ich bin so froh, dass Sie noch da sind und dass wir uns hierauf dieser Erde schreiben können. Sehen werden wir uns beim Heiland.

Ich kann es nicht mehr singen, aber wohl noch sagen: „Ewig wird deine Treu bestehen, lass uns nicht verloren gehen." Ich habe oft Angst davor. Aber Psalm 84 macht mich fröhlich und nimmt mir die Angst. Wissen Sie, was an Ihrem Mann oft unheimlich war? Die felsenfeste Heilsgewissheit. Wenn ich nur die Hälfte hätte!

Ich werde jetzt müde. Liebe Frau Pastor, ich grüße Sie herzlich mit dem Lied: „Welch ein Freund ist unser Jesus…"

In treuer Verbundenheit

Ihr Bas

 


Von Volkhard und Gerlinde Scheunemann, Batu/Indonesien

 

Batu, den 8. April 1974

 

Liebe Frau Busch!

Was haben wir doch Ihrem lieben Mann zu verdanken! Dadurch, dass er mich in der Seelsorge nach seiner Evangelisation in Göttingen 1955 in die SMD schickte, stellte Gott die entscheidenden Weichen in meinem Leben. Dort wuchs ich hinein in eine geistliche Gemeinschaft, lernte meinen Mann kennen und wurde auf unsere Aufgabe in Indonesien vorbereitet.

Als ich später einmal in Ihrem Haus zu Gast sein durfte und wir zur Kirche fuhren, kurbelte Ihr Mann die Fenster des Wagens herunter und lud bei Rotlicht an der Straßenkreuzung zum Gottesdienst ein. Das machte mir damals einen großen Eindruck.

Aber den tiefsten Eindruck hat bei mir ein kurzer Brief hinterlassen, den er uns nach Jahren einmal nach Indonesien schrieb, dass er regelmäßig für uns bete. Bei so viel Arbeit, soviel Begegnungen! Möchte der Herr auch uns so treu machen in der Fürbitte!

Seit wir zurück sind – gerade drei Monate –, haben wir viel Treue des Herrn erleben dürfen. Es fiel uns nicht leicht, ohne einen Weg für die Schulausbildung der Kinder zu sehen, hinauszugehen. Aber der Herr hat diesen Glaubensschritt mehr als vergolten! Alle drei Jungen sind an der besten Schule Indonesiens aufgenommen worden, die der Universität für Erziehungswissenschaften angeschlossene Musterschule für die Schulentwicklung im ganzen Land. Für den 20 km langen Schulweg stellte uns eine andere Mission Auto und Fahrer kostenlos zur Verfügung. Ein unerhofftes Angebot! Wie auch die niedrigen Schulgelder der Kinder, die uns ganz ohne unser Zutun abverlangt wurden. Kurz zuvor war oben hinein eine befreundete deutsch-amerikanische Familie von Singapur ganz in die Nähe der Schule gezogen. Dort können unsere Kinder aufeinander und auf das Auto warten und kommen sä trotz ihres langen Schultages (sie gehen 6.15 Uhr aus dem Haus und kommen 13.45 Uhr zurück) nicht übermüdet heim. Dass gerade in den kritischen Fächern Lehrer unterrichten, die vor kurzem zum Glauben kamen bzw. suchend und dem Evangelium offen sind und sich deshalb mit besonderer Liebe der Kinder annehmen, ist ein ebensolches Wunder.

Eine Kette von Wundern! Jeden Tag gehen die Kinder gern zur Schule, und ich kann nur voll Dankbarkeit sagen: „Wer sich auf den Herrn verlässt, den wird Güte umfangen." Das steht an unserer Schlafzimmertür. Auf der anderen Seite: „Wirf dein Anliegen auf den Herrn." Und in den ersten Tagen hier im Januar, als wir noch nicht wussten, wie wunderbar der Herr alles regeln würde, ging ich wie ein Lahmer an den Krücken dieser Worte. Ich hatte wirklich Angst, dass die Kinder, die so gern in Deutschland geblieben wären, nun Ablehnung gegen uns, unser Land, ja Gott selbst entwickeln würden, weil Er uns geboten hatte, wieder hinauszugehen und mit ihnen. Stattdessen haben sie miterlebt, wie wunderbar Er alles, aber auch alles geregelt hat, und sind fröhlich vom Morgen bis zum Abend. Und den ersten Zeugnissen, die diese Woche erteilt werden, dürfen wir schon getrost entgegensehen.

Lob und Dank! Lob und Dank!

In der Arbeit beginnt auch in Erfüllung zu gehen, was wir seit Jahren als Schau empfingen, dass indonesische Missionare an die Enden der Weit gehen sollen. Es ist ja ein solches Umdenken! Mission war Sache der Weißen. Jetzt geht den erweckten Christen auf, dass sie ebenso an die Arbeit gerufen sind. In dieser Woche konnten wir die ersten indonesischen Missionare aussenden. Ein Ehepaar nach Suriname. Ein anderes bereitet sich auf Brasilien vor. Um Pfingsten wird mein Mann mit ihnen in der Molukkenkirche, der ältesten Kirche Indonesiens, Reisedienst tun. Wir beten seit Jahren um diese Kirche, in der Glaube und heidnischer Ahnenkult untrennbar verquickt sind. Möge der Herr einen Einbruch schenken in diese Dunkelheit!

Eine Gruppe von fünf Missionaren, ein japanisches, ein indonesisches Ehepaar und eine indonesische Missionarin, wollten in dieser Woche ins Innere von Borneo vorstoßen, aber der Feind greift an. Plötzlich stellt sich heraus, dass das dreijährige japanische Mädchen einen Herzfehler hat, der siebenmonatige indonesische Säugling TBC, die japanische Frau hat seit drei Wochen nicht abklingende Blutungen…

Da lernen wir neu beten und glauben.

Im Missionshaus sind von elf Kandidaten acht übrig geblieben, die um Klarheit über den Ort ihres Einsatzes ringen.

Nach Ostern beginnt daneben der Einführungskursus für acht junge Missionare aus Deutschland, Japan, Australien. Wie sehr benötigen wir die Weisheit von oben! Wir sind so dankbar für Fürbitte!

Ihnen ganz herzliche Grüße und dem Herrn befohlen

Ihre Volkhard und Gerlinde Scheunemann

 

 

Batu, den 29. Oktober 1979

 

Liebe Frau Busch,

… Ihr lieber Brief auf unseren Bericht von Nias hin hat uns sehr froh und dankbar gemacht, dass Sie mit anderen zusammen weiter im Gebet einstehen für die neugeborenen Kinder im Herrn.

Wir erhalten immer wieder Briefe von dort, die zeigen, dass der Herr weiterwirkt.

Eine große Schar Jugendlicher folgt einem schriftlichen Bibelkurs, den wir ihnen vermitteln konnten, und wir beten darum, dass im Januar Bruder Böker zu einem Nachfolgedienst hingehen kann. Auch von Mentawai kam nun schon ein Hilferuf.

Ach, offene Türen gibt es so viel! Wo sind die Arbeiter für diese riesige Ernte? Wir stehen immer im Konflikt: die Aufgaben am Ort, Unterrichten der Studenten vernachlässigen – oder die vielen Bitten um Dienste abschlagen. Vor allem werden Bibellehrer gebraucht. Sowohl in den Gemeinden als auch an der Schule. Es ist eine dringende Notwendigkeit, einen Oberkurs aufzustocken, damit die evangelikale Stimme nicht übertönt wird von den aus dem Ausland zurückkehrenden Liberalen, deren Stimme – vor einigen Jahren noch erfolgreich zurückgedrängt – immer hörbarer und einflussreicher wird. Kalimantan braucht eine Bibelschule zur Versorgung der fast monatlich neu entstehenden Gemeinden. Und obwohl unsere Lehrer hier alle überlastet sind, haben wir diese beiden Rufe aufgegriffen. Beten Siedoch mit um Lehrer! Fertige! Auf die man nicht jahrelang warten muss.

Daneben brauchen wir auf der Bibel gegründete theologische Bücher. Es gibt kaum etwas.

Ab 1. November wird jeden Donnerstag ein Frauenprogramm gesendet, das ich mit einer lieben indonesischen Christin zusammen begonnen habe. Ich hoffe, dass sie es immer selbständiger weiterführen kann…

Und endlich möchte ich Ihnen ganz herzlich danken, vor allem für alle treue Fürbitte. Allein daran zu denken, dass Sie für uns die Hände falten, ist mir oft eine Kraftquelle.

So grüßen wir Sie herzlich, in Jesu Liebe verbunden

Ihre Volkhard und Gerlinde Scheunemann

 


Von Frau Toni de Boor

 

Schwerin, im März 1976

 

Zu Beginn der Evangelisationstätigkeit meines Mannes nach 1945 stand bei jeder Abreise in mir die Angst auf um sein heiles Heimkommen. Wir hatten bis dahin im Pfarrhausdienst und in der Familie ganz zusammengelebt. Jetzt lastete die Verantwortung für die Familie oft allein auf mir, und das in einer noch fremden Umwelt und ohne Rückhalt in einer Gemeinde.

Die Bibel sagt: „Alle eure Sorgen werfet auf ihn." So haben wir damals auch diese Sorge auf Jesus geworfen mit der Bitte, dass wir aber beim Sterben zusammen sein dürften. Die Angst war von da an fort, und die Erfüllung unserer Bitte erlebten wir jetzt, und zwar über „Bitten und Verstehen". Damals hatten wir nur an das Sterben gedacht, so wie Gott es schenkte, dass ich am Sterbetag unseres geliebten 19jährigen Sohnes Peter 1946 über die Grenztrennung hinweg hatte zu ihm kommen können. Jetzt war es ein Zusammensein die ganze Sterbezeit hindurch.

Nach den mancherlei ernstlichen Erkrankungen meines Mannes in den letzten Jahren standen wir im Herbst vorigen Jahres bei dem erneuten Aufflackern des CA sehr bald vor der Unausweichlichkeit des Sterbenmüssens. Wir erlebten, dass auch für einen alten Evangelisten nach so vielen Jahren bezeugten und erlebten Evangeliums der Glaube nicht selbstverständlicher, sachlicher Besitz ist. Aber die Aussage der Bibel „Euer Vater weiß, was ihr bedürft" fing an, eine Tieftröstende Wirklichkeit vor uns zu werden.

Durch eine Karte, auf der das Wort Johannes 14, 27, die Gestalt Jesu andeutend, geschrieben war, wurde uns dieses Wort der lebendige und tragende Zuruf. Jesus Christus selbst trat uns entgegen aus seinem Wort, in seinem Wort, als der Auferstandene, gestern, heute und in Ewigkeit derselbe. Er selber sprach zu uns: „Meinen Frieden gebe ich euch!"

Wir konnten alles Notwendige klar durchsprechen. Wir durften aus dem Frieden der Vergebung leben. Wir durften bewusst jeden Tag des Nochbeieinanderseins dankend haben und konnten in diesem Frieden miteinander durch alle Mühsal der fortschreitenden Krankheit kommen.

Wie ganz gehörte Dorothea Vogts Einsatz im Helfen zu diesem Frieden dazu, auch in der steten Bereitschaft zur Mitarbeit bei der Post und am Manuskript zum Kommentar für den 2. Petrusbrief, mit dem mein Mann bis in die letzten Monate hinein noch beschäftigt gewesen ist.

In den letzten Wochen wurde es ein feierliches Staunen, in welcher stillen Weite der Herr die Bitte erfüllte, zum Sterben beieinander sein zu dürfen. Nicht nur, dass mein Mann nach einer Operation im Januar die letzten Wochen wirklich hierzu Hause sein durfte bis zum Sterben, sondern wir durften all das zusammen erleben, was sonst nach dem Tod für den Zurückbleibenden ein schmerzlich tröstendes Durchleben bedeutet: die Teilnahmebriefe, in denen Dank und Erinnerung aufklingt, die Blumengrüße, die sonst bald auf dem Grab verwelken. Wir konnten zusammen die viele Post lesen mit dem Dank, der Liebe, der Fürbitte, dem Erinnern und den guten Worten. Wir konnten uns gemeinsam an den vielen, vielen Blumen und Stärkungsgrüßen freuen. Wir sahen alles hineingenommen in die Erfüllung unserer Bitte.

Sogar über das Sterben hinaus kamen noch Blumen als herzbewegende Grüße in die leere Wohnung.

Unsere Kinder haben diese letzte Zeit ganz bewusst mit uns durchlebt und jede Möglichkeit des Kommens und Hier seins genutzt. Unsere älteste Tochter Anne konnte für die beiden letzten Wochen mit ihrer Berufserfahrung in der Kranken- und Siechenpflege ganze Hilfe hier sein.

Nach viel Unruhe, Schmerzen und Schwäche – wir brauchten aber kein Morphium zu geben – wurde das Sterben am Vormittag des 18. März so, wie es im Liede heißt: „Du kannst durch des Todes Türen träumend führen und machst uns auf einmal frei."

Den Dank für alle Teilnahme schreibe ich in der Gewissheit, dass des Herrn Zusage auch Sie umschließen will: „Meinen Frieden gebe ich euch."

Ihre Toni de Boor

 


Präses Karl Immer an die Pfarrwitwen

 

Düsseldorf, im Dezember 1976

 

Die Nachricht – vor allen anderen Nachrichten – heißt:

 

„Siehe, Dein König kommt zu Dir,

ein Gerechter und ein Helfer!"

 

Wenn man's in Ruhe überlegt:

Wir haben jeden Tag

mehr Grund zum Danken als zum Klagen,

mehr Grund zum Hoffen als zum Bangen,

mehr Grund, Verantwortung zu übernehmen,

als den Dingen ihren Lauf zu lassen.

 

Ihnen verbunden

Ihr Karl Immer

 


Von Dr. Wilhelm Jung

 

Kaufmann Dr. Wilhelm Jung, Siegen, der seine kaufmännische Begabung nicht nur fürs eigene Geschäft nutzte, sondern sie jahrelang bis ins hohe Alter einsetzte für die Geschäfte des Reiches Gottes.

 

Siegen, den 14. Dezember 1976

 

Liebe Frau Busch!

Schon seit längerer Zeit habe ich mir vorgenommen, bei den Besuchen, die ich mache, und den vielen Briefen, die ich schreibe, nicht davon zu reden, was uns mit Recht Sorge macht im Blick auf unsere Kirche, auf unser Volk und Land und die Dinge in dieser Welt, auch nicht im Blick auf Menschen, sondern dass ich auf Dinge zu sprechen komme, die uns Freude machen. Unter der Überschrift „Das schönste Erlebnis im vergangenen Jahr" möchte ich Ihnen folgendes weitergeben:

Im Januar schrieb ich Ihnen unter anderem von dem schwerkranken jungen Bekannten, dem ich damals das Andachtsbuch Ihres lieben Mannes „365 x ER" schenken wollte. Er musste nach der bösen Darmoperation mit neuem Ausgang noch 12-mal operiert werden. Oft, wenn ich ihn besuchte, wand er sich unterunerträglichen Schmerzen, die weder durch Medikamente noch durch Spritzen von den Ärzten beseitigt werden konnten. Er stammte aus gläubigem Elternhaus, sein Vater war mit mir in der Jugend Mitglied des Jünglingsvereins in meinem Heimatdorf Eiserfeld… Er gehörte zu den Menschen, die nie ein Wort über ihr inneres Leben sagten. Damals schenkte ich ihm das Andachtsbuch. Bei meinen Besuchen habe ich im Anschluss an das Gespräch immer mit ihm gebetet. Auf seinen Wunsch brachte ich ihm einmal die Losungen der Brüdergemeine mit. Als ich ihn zehn Tage vor seinem Tode besuchte (er ging am 1. September dieses Jahres heim), fragte ich ihn: „Haben Sie schon die Andacht gelesen?" Er antwortete: „Nein, das konnte ich nicht, lesen Sie bitte vor." Nachdem ich das getan und mit ihm gebetet hatte, sagte er mit kaum vernehmbarer Stimme: „ich bin froh, dass ich Jesus habe." Können Sie sich vorstellen, wie dankbar ich war, das aus dem Munde des Todgeweihten zu hören, der früher nie mit einem Wort über seinen inneren Zustand gesprochen hatte? Ich habe ihm gesagt: „Nun haben Sie den größten Besitz, den je ein Mensch haben kann: Jesus unser einziger Trost im Leben und im Sterben."

Die Familie hatte in der Todesanzeige geschrieben, dass die Beerdigung im engsten Kreis stattfinden solle. Trotzdem waren einige hundert Leute, hauptsächlich aus der Wirtschaft, erschienen, die nach der Beerdigung von der Familie in die Siegerlandhalle eingeladen waren. Ich habe lange überlegt, ob ich wohl das letzte Gespräch mit dem Heimgegangenen in diesem Kreis bekannt geben dürfe oder müsse, und habe mich dann schließlich doch dazu entschlossen. Mich hat es sehr beeindruckt, wie die vielen „weltlichen Brüder" ganz still wurden, und nun dürfen wir es sicher der Barmherzigkeit Gottes überfassen, ob das Bekenntnis des sterbendes Freundes Frucht trägt.

Grüßen Sie bitte Ihre Kinder und Kindeskinder! Ich verbleibe in treuer Verbundenheit

Ihr Wilhelm Jung

 

 

Liebe Frau Busch!

Zu unserem Heimatschriftsteller Baurat Eduard Schneider-Davids aus Eiserfeld, der vor einigen Jahren in Köln im Alter von 100 ½ Jahren starb, unterhielt ich freundschaftliche Beziehungen. Als er 100 Jahre alt wurde, schrieb ich ihm in Eiserfelder Platt u. a.:

„Mir säe de Träne de Backe ronner gejiggelt, dat en ahler Idersäller säd, ech hädde se noch all binanner." Er erzählte – dies wurde in unserem Eiserfelder Heimatblatt veröffentlicht – unter der Überschrift „Oos Ädde (Vater) sääde, mir seile sparn" folgendes, das einen Einblick gibt in die Armut, in der er aufgewachsen ist. In Eiserfelder Platt ist das natürlich noch viel anschaulicher, als wenn ich das jetzt hochdeutsch weitergebe:

 

Einmal wurden wir in der Schule abfotografiert. Das war eine große Sache. Das Bild kostete 6 Groschen. Ich hatte viel Spaß an dem Bild. Alle nahmen eins, nur ich bekam keins; mein Vater lehnte ab. Ich tat dem Fotografen leid; er zeigte mir einen Abzug, von dem er sagte, der wäre nicht ganz geraten, den könnte ich für 4 Groschen haben. Ich lief „im Sturm" mit dem Bild zu der Eisensteingrube, wo mein Vater am Scheidstock saß. All mein Gejammer und Weinen half nichts, mein Vater sagte: „Für diesen Bildchenkram habe ich kein Geld, und zudem steht wörtlich in der Bibel: ,Du sollst dir kein Bildnis noch Gleichnis machen'." Vielleicht war das der Grund; er ging nämlich in die außerkirchliche Versammlung; aber seine Freunde nahmen es nicht so eng und ließen Familienbilder machen. Wir haben kein einziges Bild von meinen Eltern. So lebte mein Vater streng in seinem Glauben, war gerecht und grundehrlich und aufrichtig. Im Grunde war er duldsam und weich von Herz und Gemüt. Wir durften sogar, als wir größer waren, in die Kirche gehen; mein Vater sagte dazu: „Do hern se nix Schleechtes."

 

An diese schiefe Auslegung von Gottes Wort habe ich mich nicht gehalten. Auf einer Reise nach Schweinfurt ließ ich vor meinem 82. Geburtstag noch einmal ein Foto machen, von dem ich Ihnen einen Abzug zur Erinnerung beifüge.

In alter Verbundenheit herzliche Grüße auch an Ihre Kinder von

Ihrem Wilhelm Jung

 


Brief einer Zinti (Zigeuner)-Missionarin

 

Essen, im Dezember 1979

 

„Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen." Römer 8, 28

 

Diese Worte des Apostel Paulus gehören zum Marschgepäck jedes Gotteskindes. Wer Gott lieb hat, erfährt, dass auch die Nöte und Probleme, das Zerstörerische in dieser Welt, unter dem wir leiden, zum Guten mitwirkt. Diese Worte gilt es in die Praxis umzusetzen und sie immer wieder neu durchzubuchstabieren. Alles soll uns zum Besten dienen, weil Gott unsere Schwächen benutzt, um unser Leben zu vertiefen und um anderen zu helfen. Daraus wird Segen von Gott.

Hinter mir liegen bewegte Monate, in denen ich viel Treue des Herrn in den kleinen Dingen des Alltags erfahren durfte. Vor drei Jahren begannen wir neben dem bestehenden Platz in Gelsenkirchen/Tiefenbachstraße mit der intensiven Missionsarbeit in einer nahe gelegenen Obdachlosensiedlung/Katernberger Straße. Hier leben ca. 200 Zigeunerfamilien und andere Problemgruppen. Wir haben dort ein Ladenlokal gemietet, das uns als Versammlungsraum für Kinder- und Bibelstunden und zur Durchführung von Kinder- und Bibelwochen dient.

Heute steht die Arbeit fest, und sie ist nicht mehr so leicht wegzupusten. Der Herr hat diesen Glaubensschritt gesegnet. Ich stelle immer wieder fest, dass Kinder das Kostbarste sind, was Gott uns anvertrauen kann. Wie viel Vertrauen bringen sie einem entgegen! Wenn ich am frühen Nachmittag (14 Uhr) zu ihnen auf den Platz fahre, erwarten sie mich meistens mit viel Lärm. Obgleich die Essener Zintikinder ganz genau die Reihenfolge der Familienkinderstunden durch Jahre hindurch kennen, betteln sie doch jedes Mal: „Bei uns zuerst!", oder in Gelsenkirchen sagen sie: „Halleluja, hast du wieder eine Geschichte mitgebracht?"

Da solche Familienkinderstunden häufig unterbrochen werden, schicke ich meistens ein Stoßgebet nach oben, bevor ich eine Türklinke hinunterdrücke. „Bitte, Herr, geh Du zuerst durch!" Nicht selten erwartet mich ein großes Durcheinander. Unsere Kinder sind es nicht gewohnt, stillzusitzen und konzentriert zuzuhören. In ihrem Temperament sind sie ganz impulsiv, naiv und auch phantasievoll. – Es ist gut, dass der Herr Jesus ein guter Pädagoge ist, denn von ihnen gibt es immer etliche, die während der Verkündigung für meine innere und äußere Beweglichkeit sorgen.

Verschiedene Lehrer haben festgestellt, dass die allgemeine Aufnahmefähigkeit von Wissen mit dem 12. Lebensjahr bei Zintikindern praktisch beendet ist. Meine tägliche Bitte ist es, dass sie das Wort Gottes im Herzen bewahren, das sie durch viele Jahre hindurch gehört haben. Sie haben es alle nötig, dass man sie umbetet. Vielen Dank dafür!

Eine große Hilfe ist mir meine Gitarre. Zigeuner lieben zwar die Musik, singen aber selbst nie. Erst das Evangelium hat es möglich gemacht, dass sie angefangen haben, Sein Lob zu vermehren und sich auf diese Weise auf- und auszurichten. Durch Singen und Spielen findet man leicht einen Weg zu ihren Herzen, aber ebenso ist verstehendes Zuhören und das Durchschauen von Zusammenhängen eine gute Brücke.

Von einigen Kindern weiß ich, dass sie auch im Alltag versuchen, mit Jesus zu leben. Die starke seelische Verhaftung des einzelnen im Sippenverband und die okkulten Bindungen machen es ihnen schwer, echte Nachfolge zu praktizieren.

Oft bedrückt es mich, wenn ich spüre, wie langsam die gläubigen Erwachsenen im Verstehen biblischer Wahrheiten sind. Wir alle lieben Erfolge, Zahlen und andere Bestätigungen für unsere Arbeit. Mit wie viel Geduld hat Jesus den schwachen Glauben Seiner Jünger ertragen! Er hat auch Misserfolge und Enttäuschungen erlebt, aber Er hörte deswegen nicht auf, zu lieben und zu lehren, zu tragen und für sie zu bitten.

Zu Seiner Zeit kommt auch die Ernte. Von uns aus gesehen mag der eine pflanzen, der andere begießen. Doch Gott gibt das Gedeihen.

Nun wünsche ich Ihnen allen eine mit Freude erfüllte Advents- und Weihnachtszeit. Herzlichen Dank für alles Mitgehen im Gebet!

Ihre dankbare

Schwester Erika Schönbörner

 


Hanna Stöffier berichtet über Luizhausener Weihnachten 1979

 

Hanna Stöffler ist die Tochter der ältesten Schwester von Wilhelm Busch, Frau Dekan Stöffler in Luizhausen.

 

 

Ihr Lieben!

Eine alte Tradition zwischen Mama und mir: Bei Mamas übergroßen Aufgaben hatte ich als Kind immer zitternde Angst, ob sie fertig werden könne zum Fest. Und jedes Mal atmete ich befreit auf, wenn sie irgendwann einmal sagte: „Es lichtet sich!"

Seit sie das von mir wusste, kam jedes Jahr, wo ich auch war, in Witten oder Stuttgart oder in Kaiserswerth, eine Karte nur mit einem Satz: „Es lichtet sich."

Dies Jahr, wo sie so wenig Kraft hat und doch an so viele Menschen denkt, kam diese Nachricht durchs Telefon. Diesmal sagte sie: „Es lichtet sich rasend!" und „Wir freuen uns königlich auf euch!"

Als wir auf dem zugigen Düsseldorfer Bahnhof standen, dachte ich: Wer von all diesen Menschen wird s o erwartet! Ursi stand in Ulm und fuhr uns durch das weiß überzuckerte Land. Als der Zwiebelturm Luizhausens sichtbar wurde, sagte sie, es sei zu wenig Schnee, dies Jahr brauchten wir uns die Finger nicht abfrieren zu lassen für die Schneeballenkerzen, dafür stehe jetzt ein großer brennender Christbaum mitten im Kirchhof.

Mama empfing uns strahlend, obwohl sie nachher sagte, sie habe eine so schlechte Nacht gehabt, dass sie gemeint habe, uns nicht mehr zu sehen. Im warmen, wunderschönen Zimmer war alles voller Blumen, am Fußende des Bettes hatte Ruth einen herrlichen Christbaum geschmückt. Meine Krippe war liebevoll auf dem Flügel aufgestellt, und Heinzens schönes Transparent leuchtete wie immer aus der Ecke hinter dem Tisch.

Dies Jahr war kein Pfarrer bei der Christvesper. Ein Lektor hatte aber den Gottesdienst sorgfältig vorbereitet und leitete ihn. Kinder füllten dies Jahr spielend und singend das ganze Kirchlein:

Der Steuereinnehmer kam drohend den Gang herab, sein Holzschwert ziehend, die Hirten standen frierend am Eingang, und der Engel rief gewaltig von der kleinen Empore herab.

Mama hatte am Radio oder Fernsehen schöne Gottesdienste erlebt und fühlte sich mit so vielen verbunden, betete für die Geiseln und verfolgte alles, was den gemaßregelten Prof. Küng betraf, sagte einmal: „Die Einsamkeit wird immer größer."

Als wir Päckchen um Päckchen aufmachten, Brief um Brief lasen, langsam, denn Mama und wir alle wollten alles ganz in uns aufnehmen, sagte sie: ,,Was sind wir für reiche Leute" oder „Das Schönste ist doch die Verbundenheit" oder „Wie dankbar können wir sein, dass wir Weihnachten feiern können" oder mitten im Auspacken: „Kommt, lasst uns einen Vers singen, der ist mir so wichtig" und fing an „Nun singet und seid froh…"

Wie bewegte sie, was sie von den Enkeln hörte, von Sabines liebevollem Pflegedienst an den Kranken, von Christians Wald-Weihnachten mit 200 kleinen Jungscharbuben und Hanns-Eugens Orgelspiel bei den Festgottesdiensten.

Eine ganz große Überraschung war, dass einer der Luizhausener Männer am 2. Feiertag den ganzen Chor nochmals zusammengerufen hatte, nur um bei Mama zu singen. Sie füllten so strahlend das große Zimmer und sangen voll Freude alle Verse von „Es ist ein Ros entsprungen" und „Freut euch, ihr lieben Christen". Mama bedankte sich, dass sie dieses Opfer gebracht hatten. Sie erzählte dann, neulich sei ein junger Mann aus Ulm dagewesen und habe so teilnehmend gefragt, wenn sie jetzt fast drei Jahre im Bett liege, habe sie doch sicher keinen Kontakt mit dem Dorf mehr? Ein großes Gelächter brach im Chor los, und jener Herr hätte nur sehen sollen, in welcher Weise jeder zum Bett kam und mit Mama sprach.

Später lag Mama da, ganz erschöpft vor Freude: „Was für eine Liebe! – – Dass es so etwas gibt auf dieser armen Erde, wo sie doch frei haben" …später: „Ich bin ganz ergriffen von diesen Leuten, ich könnt heulen, ich bin's nicht wert – – – aber an Weihnachten geht's nicht um die Wertigkeit."

Wir drei Schwestern müssen genauso sagen, dass wir es nicht wert sind, Ruths Fürsorge und ihre Verwöhnung immer wieder aufs neue zu genießen.

Der Flöter auf der Vorderseite des Briefes gehört zur Krippe, die Mama vom Bett aus sehen kann, und das „Springerle" am Schluss kommt aus einem der vielen Freundesgrüße. Seine Inschrift „Friede auf Erden" fasst alle Wünsche zusammen, die wir haben – für uns und für Euch alle und für die ganze arme Welt.

Eure Hanna Stöffler

 


Von Jakob Friedrich Kullen an Zeugmacher Rothfuß in Schönbronn

 

Im alten Schulhaus in Hülben fanden sich Briefe von Wilhelm Buschs Ur-Ur-Großvater Jakob Friedrich Kullen (1758-1818):

 

 

Hülben, den 16. Oktober 1801

 

Liebwertester Bruder!

… Was meine Führung in Ansehung des Christentums betrifft, so muss ich sagen, dass mich der liebe Heiland gar wohl aufgeben dürfte und wohl schon viele 1000 x hätte aufgeben und Seinen Rücken zukehren dürfen; allein neue Blicke, die Er mir in Seinem Wort in und außer der Gemeinschaft gibt, sind mir immer der Beweis, dass ich noch in Gnaden bei Ihm stehe.

Meine täglichen bösen Gedanken, Lüste und Begierden, Worte und Werke wollen aber meine Zuversicht gegen unseren lieben Herrn oft schwächen und mich gegen Seine Gnade bedenklich machen. Aber doch, wenn ich mit gebeugter und demütiger Seele mit meinem Elend durch Seine Gnade mich hingebe und in der Stille Seiner Güte warte, so finde ich mich wohl und genieße im Innern (oft ehe ich mich zuversichtlich aufrichten kann) einen verborgenen Frieden von Gott in meinem Herzen.

Hier hast Du einen Fingerzeig von meiner Führung; es laufen aber doch auch dann und wann Sachen vor, in und unter meiner Führung, die ich darum nicht gleich an den gehörigen Ort legen kann, die mich plagen und unruhig machen können. Wenn ich sie auch bald da, bald dorthin verlege, so kommen sie doch gleich wieder. Warum? Sie sind nicht an den rechten Ort gelegt.

Ich habe gefunden, wie nötig es ist, füreinander zu beten. Denn wir haben eben doch einen Feind, der ein Verstörer des Friedens, der Liebe und der Hoffnung ist. Und ach, wie ist einer voll Dank, wenn der Herr ihm in der Versuchung zu Hilfe kommt und kommen ist.

Ich habe in dem Krieg, den ich innerlich hatte, öfters auch den Gedanken gehabt, wenn Bruder Rothfuß doch nicht so weit weg wäre, so wollte ich ihn besuchen, damit ich ihm meine betrübliche Lage erzählen könne, denn Mose sagt auch einmal zu seinem Schwager: „Bleib bei uns, denn du weißt, wo wir uns lagern sollen." So ist es auch unter den Kindern Gottes. Es gibt auch Seelen, welche wissen, wo man sich lagern solle, welches der Weg zur Ruhe sei, wie man sich in diesem oder jenem zu verhalten habe…

 

 

Hülben, den 25. Oktober 1802

 

… Gott Lob, dass die Kinder Gottes doch noch immer Anspruch auf mein Haus machen und mich und mein Weib auch in ihre Reihe zählen. Ich zähle mich je und je nicht mehr darunter. Wenn ich aber unter ihnen bin, so finde und spüre ich, dass ich auch darunter gehöre. Mein Lauf vor Gott sieht eben so aus, dass ich immer Ursache habe, auf Seine bloße Güte zu warten…

 

 

Hülben, den 13. Februar 1803

 

… Aus Deinem Brief habe ich. ersehen, und zwar mit Vergnügen ersehen, dass auch Du mit dem schwer beladenen Wagen nicht nur nach Belieben bergab und bergauf fahren könnest, sondern dass Du auch Hilfe nötig hast und Dir oft auch andere Brüder eine Schnur in Deine Geißel machen müssen, damit Du wieder knallen und fahren kannst…

… Es ist wahr, der Heiland hat ein Magazin, wo Mittel genug sind, die einem Forthelfen können, dass alles glücklich vonstatten gehen muss, wenn Er eins oder das andere an die Hand gibt…

… Gestern war ich auch wieder ein Missetäter. Meine Seele war sehr betreten, dass ich doch nichts als Übles tun könne. Es wurde aber ein Wort Gottes gelesen, da hieß es: „Die Kinder Israel taten fürder übel vordem Herrn. Da ließ der Herr alle Völker über sie kommen. Da schrieen sie zum Herrn, und er half ihnen."

Durch meinen Fehler, den ich machte, kam ich innerlich gleichsam auch unter Völker, die mich gegen das Herz Gottes mutlos machten. Aber als ich vernahm, dass ihnen der Herr (nachdem sie geschrieen) geholfen habe, so schrie ich auch und habe wieder das kindliche Herz gegen Gott bekommen, so dass ich alle Sünde, mit der ich zu streiten habe, von meinem Herzen Wegbekennen konnte.

In Ihm kann ich mich immer wieder fassen, so der Herr mir ein Wort zum Segen aufgehen lässt…

 

 

Hülben, den 11. August 1803

 

… Meine große Tochter, 15 Jahre alt, hat ein Nervenfieber angefallen, und dies ist eine so schwere Krankheit, dass es nicht zu beschreiben ist. Schon gegen 8-10 Tage hat sie sehr heftige Schmerzen. Beten und Arzneien brauchen wir sehr streng. Allein Gott verhielt sich als ein unbeweglicher Fels gegen uns. Was für innerliche Versuche vom Satan auf mich losstürmten von Unglauben, Zaghaftigkeit, Mutlosigkeit, das lässt sich nicht aufs Papier bringen. Je und je sah ich noch in der größten Ferne im Wort Gottes ein Licht, das mir ein Standort war und mich vor dem Versinken bewahrte.

In unserer Gemeinschaft sagte ein fremder Bruder, ein krankes Kind habe ihn auch einmal so in Verlegenheit gebracht, bis er endlich von Noah las, er habe aus dem Kasten eine Taube fliegen lassen, ob das Gewässer nicht auch einmal abgenommen habe. Allein die Taube sei wiedergekommen, ohne dass er etwas von Hilfe hätte schließen können. „Und Noah wartete noch sieben Tage!" – „Und Noah harrte noch sieben Tage" – und die 3. Taube kam nicht wieder zu ihm. Und so vernahm Noah, dass das Wasser abgelaufen sei, und er tat das Dach vom Kasten, in welchem der Herr ihn verschlossen hatte. Das, sagte der Bruder, habe ihn gestärkt, nämlich „sieben Tage und abermals sieben Tage".

Und das hat auch mich gestärkt, denn, lieber Bruder, ehe sieben Tage vergangen sind, wollte ich schon das Dach wegtun. Deswegen brauchte ich den Doktor so streng, und weil ich und der Doktor dem Dach nichts abbrachen, so riefen ich, mein Weib und die Kinder den Herrn an. Ich befahl mich auch ins Gebet anderer Kinder Gottes. Allein es scheint, dass es immer noch auf andere sieben Tage zu warten abgesehen sei. Auch jetzt noch, während ich schreibe.

Ich kann nicht sagen, dass der Herr uns bis jetzt im Stich gelassen habe. Nein, wir fühlten Ihn öfters aus der finsteren Wolke, in der Er war. Aber doch wurden wir unter der Zeit inne, wie wir ein so gar trotzig und verzagt Herz haben…

 

 

Hülben, den 9. März 1804

 

… Soll ich mein Christentum in Kürze fassen, so muss ich sagen, dass ich eben immer neue Gnade brauche. Ich muss alle Abend singen: „Denn ich bin noch voll von Sünden in Gedanken, Wort und Tat." Ich meine immer, es sollte doch auch einmal ein anderes mit mir werden. Je heiliger und je braver ich werden will, desto unheiliger und unbraver muss ich mich finden! Wenn das Wort Gottes nicht immer wieder den gnädigen Ausschlag gäbe, an dem ich mich fassen könnte, so wüsste ich nicht, wie es ginge…

 

 

Hülben, den 9. Juli 1804

 

… Der alte Bruder Paulus, der uns kürzlich zweimal nacheinander besuchte, kommt mir zu meiner Stärkung sehr wohl. Ich habe ihn doch so gern in der Mitte, denn die alten Brüder sind wie die alten Lagerbücher, aus denen man die Grenzsteine der Felder am besten finden kann. Dahin rechne ich auch meinen lieben Bruder Rothfuß. Ich wünschte, Dich auch näher bei mir zu haben. Doch meine ich, Du würdest mir zu hell sein. Doch, was sage ich aber? Der Heiland ist noch heller, mit dem ich zu tun habe…

… Schreibt mir, inwiefern Ihr mit mir ansteht, damit ich entweder gestärkt oder aber mehr erleuchtet werde. Ihr habt hier etwas Gemeinschaftliches von meinem Lauf. Mein Weib sagt, sie sollte freilich auch von ihrem Lauf etwas beisetzen, aber sie wisse keinen Anfang, viel weniger einen Ausgang…

 

 

Hülben, Ende des Sommers 1807

 

… In der Epistel vom letzten Feiertag schreibt Paulus 2. Korinther 4, 10: „Wir tragen allezeit das Sterben des Herrn Jesu an unserm Leib, auf dass auch das Leben des Herrn Jesu an unserem Leibe offenbar werde." Also die Lebenskraft Jesu bricht erst im Tode hervor. Wer sich demnach täglich in Christi Tod hingibt, der wird auch des Lebens Jesu wesenhaft inne.

In unserer Gemeinschaft wurde vieles im Segen davon geredet. Davon reden und das Geheimnis einsehen, ist zwar leicht, aber das Sterben ist schwer. Ach Bruder, wie wehrt sich meine Natur dagegen…

 

 

Hülben, den 4. November 1807

 

… Letzthin hieß es in der Ordnung, in der wir gemeinschaftlich in meinem Haus täglich lesen, Matthäus 4, 23: „Er machte alle gesund, was auch einer oder der andere für eine Seuche an sich hatte." Ob etwa einer seine Krankheit auch an sich hingesoffen oder hingefressen oder hingehurt, so machte Er sie doch alle gesund, ohne dass Er einem Vorwürfe gemacht hätte.

Ein solcher Heiland, dachte ich, ist doch der Mühe wert, dass man Ihn für einen Heiland ausschreit! Dass nur recht viel herbeikommen, um Sein Heil zu genießen…

 

 

Hülben, den 29. Januar 1812

 

… Unsere Gemeinschaft geht so in ihrem sehr müden Gang fort. Fremde Brüder, die zu uns kommen, tun immer noch sehr gute Dienste, sonst würde es noch elender aussehen…

... Ach wie wahr ist es doch, wenn man die vielerlei Hindernisse betrachtet, die dem Reich Gottes im Wege stehen: Satan, der sinnet auf allerlei Ränke, wie er die gute Sache entweder störe oder wenigstens kränke.

Dem Satan sollten wir in unserer Zeit seinen Fleiß auch ablernen. Wie er in seinem bösen Teil so ernstlich für seinen Vorteil sorgt, so sollten auch wir im Guten sorgen, dass für die Ehre Jesu Christi und auch für uns mehr Vorteil herauskäme.

Aber, lieber Bruder, ich muss zu meiner Schande sagen, dass mich der Satan weit hinunter sticht. Ihm ist es ernst, für sein Reich zu sorgen. Ich bin sehr fahrlässig, für das Himmelreich zu sorgen, für mich und für andere. Ihr werdet denken, mein Ruhm sei nicht fein, und in der Tat, es ist Wahrheit. Der liebe Gott schenke mir doch auch mehr Feuer und Ernst, die Sache Christo umzutreiben, damit ich wenigstens nicht zuschanden werde…

 

 

Hülben, den 20. März 1818

(Fünf Monate vor seinem Heimgang)

 

Vielgeliebter Bruder!

In unserer Gemeinschaft geht es wie in einem Spital, wo es verschiedene Patienten gibt. Gut ist es, dass sie alle dem Heiland gehören. Er wird wissen, über alle Seinen Ruhm zu erhalten. Und daher empfehlen wir uns immer aufs Neue Ihm und Seiner Gnade.

Was meine kränklichen Umstände betrifft, so weiß ich selbst nicht, was noch daraus werden wird. Ich brauche schon geraume Zeit Arzneien. Aber was sie gewirkt, verstehe ich selbst nicht. „Gott will's machen, dass die Sachen gehen, wie es heilsam ist."

Mit diesem grüße ich Euch samt Weib und Kindern, wie auch die ganze Gemeinschaft.

Euer Bruder Schulmeister Kullen