Franz Stuhlhofer
"Das Ende naht!"
Die Irrtümer der Endzeitspezialisten
Inhalt
Einführung
Teil A:
FEHLER IM UMGANG MIT DEN BIBLISCHEN ENDZEITAUSSAGEN
1. Die Zeichen der Zeit -
schon 1521 sichtbar?
2. Männer Gottes
kritisieren?
3. Der erste Fehler:
Überbewertung schwacher Anhaltspunkte
a) Verfrühtes Ausrufen biblischer Erfüllung
b) Überbewertung bestimmter Tatbestände (z.B. Waren-Strichcode)
c) Korrekte Einschätzung eines Phänomens (Beispiel: New Age)
4. Die Zeugen Jehovas -
unsere Gesinnungsgenossen?
5. Wie kann der Wert eines
Endzeitbuches beurteilt werden?
6. Rückblick auf die
Vorhersagetätigkeit der Zeugen Jehovas
7. Der zweite Fehler: 'Wir
sind die letzte Generation!'
a) Ein gleichbleibendes Gefühl: Das Ende zieht herauf
b) Die heutige politische Konstellation als Ausgangsbasis
c) Welche Motive stehen hinter der Demnächsterwartung?
8. Der dritte Fehler:
Tendenziöse Zitat-Auswahl
a) Bevorzugt: 'In drei Jahren große Katastrophe!'
b) Korrektes Zitieren?
9. Biblische Beurteilung
von Fehlvorhersagen
10. Der vierte Fehler: Eigene Vermutungen als Dogma
a) Wie Sicherheit zum Ausdruck kommen kann
b) Zeitpunkt offengelassen oder einigermaßen festgelegt?
c) Fehlbarkeitseingeständnis nur als Lippenbekenntnis?
d) Nur die Vorhersagen der Bibel wiedergegeben?
e) Dispensationalismus
Teil B:
Die Folgen der Demnächsterwartung
1. Anfangs Eifer,
schließlich Resignation und Zweifel
2. Aktualität der Bibel
beeindruckt vorerst manche, schließlich kommt sie in Mißkredit
3. Die Erwartung des
Kommens Jesu sowie das Evangelium werden lächerlich gemacht
4. Eigentliche Aussagen
der Bibel kommen nicht mehr zur Geltung
5. Verzicht auf
Zukunftsvorsorge
6. Vernachlässigung
sozialer Aufgaben
7. Einseitig
pessimistische Einschätzung der Gegenwart
8. Angst
9. Politische Nebeneffekte
religiöser Propaganda
a) Förderung der Ausländerfeindlichkeit
b) Chaosfördernde Propaganda
10. Willkürliche Deutung des Zeitgeschehens
11. Interesse für politische Vorgänge, aber verzerrte Sicht
12. Überlegenheitsbewußtsein im politischen Urteilen
13. Willkürliche politische Unterstützung
14. Blinde politische Parteinahme für Israel
a) Taten und Fähigkeiten von Israeliten werden bewundert
b) Für Gott sein = für Israel und gegen Araber sein?
c) Mögliche politische Folgen der Israelbegeisterung
15. Israel wird automatische Nähe zu Gott zugeschrieben
a) Sind Juden und Christen gemeinsam das Volk Gottes?
b) Müssen Juden sich zu Jesus bekehren?
c) Wie offen für Gott sind die Juden derzeit?
16. Vorbehalte gegen größere Vereinigungen
17. Einfluß auf politische Entscheidungsträger
Teil C:
Haben wir aus den Fehlern gelernt?
1. Keine echte Umkehr
2. 'Jetzt stimmt es
wirklich!'
3. Niemand überprüft den
Vorhersage-Erfolg
4. Neugier verleitet zu
neuerlichen Vorhersagen
5. Falschvorhersagen als
erfolgreich hingestellt
6. Erfolgreiche
Vorhersagen?
Teil D:
Wie sollen wir nun wirklich mit den biblischen Endzeitaussagen
umgehen?
1. Wir blicken Jesus
entgegen
2. Was ist die richtige
Form von "Naherwartung"?
a) Hinweis auf die Bibel als Rechtfertigung eigener
Fehlvorhersagen
b) Evangelien-Lehrtexte mit Naherwartung
c) Naherwartung bei Paulus
d) Andere Bibeltexte zur Naherwartung
e) Verheißung mit Bedingungen?
3. Den Antichristen
frühzeitig erkennen?
4. Durch Zeichen
angekündigt oder unvorhersehbar?
a) Vor bestimmten Zeichen Kommen Jesu unmöglich?
b) "... Tag und Stunde ..."
c) Wachen, weil wir den Zeitpunkt nicht wissen?
5. Weltevangelisation als
Zeichen?
6. "Diese Generation
..."
a) Nahereignis und Fernereignis
b) Christen flohen aus Jerusalem
7. Sammlung Israels
a) "sammeln aus allen Ländern ..."
b) Sammlung im Schneckentempo
c) Rückkehr empfehlenswert?
8. Die "Zeichen der
Zeit"
a) Was keine Vorzeichen für Jesu Kommen sind
b) Was heißt "wachen"?
9. Wer kommt als Nächstes:
Jesus oder der Antichrist?
Teil E:
Untersuchung der verbreitetsten evangelikalen Endzeitautoren
1. Die Flugblatt-Szene
a) In jeder 7-Jahres-Periode ein Israel-Krieg
b) 'Gottes Pläne sind genau' - aber oft anders als unsere
2. Der meistgelesene Endzeitspezialist: Hal Lindsey
a) Präsentiert er seine
Aussagen als sicher?
b) Wann? ‚Heute’ bzw.
‚morgen’
c) ‚Bis etwa 1988 alles
vorüber’
d) ‚EG-Staaten bis 1980
politisch vereint’
e) ‚Westeuropa stärker
als USA’
f) ‚Afrika wird
kommunistisch, Ägypten der arabische Führer’
g) Sieben Vorhersagen,
null Treffer
h) 'der du nun einen
anderen lehrst ...'
3. Pastor im Gefolge Lindseys: William Goetz
a) Heutige politische Konstellation als Endzeit-Ausgangsbasis
b) Selbstkritische Risiko-Einschätzung
c) ‚Das Ende kommt schnell’
4. Verleger mit Schwerpunkt auf Endzeit: Klaus Gerth
a) ‚Der Antichrist
kommt, ja er ist schon da’
b) Was alles in den 80er
Jahren geschehen sollte
c) 'in den nächsten
Jahren …'
d) ‚Es kann kein halbes
Jahrhundert mehr dauern’
e) Zu jedem Ereignis ein
passender Bibelvers
5. Der Teen Challenge-Begründer als
Visionär: David Wilkerson
a) ‚jetzt’ und ‚heute’
b) Einige Unklarheiten
c) ‚Wirtschaft:
Währungen, christliche Programme, Gold, Banken’
d) ‚Wetter: Erdbeben und
Hungersnot in den USA, Epidemien’
e) ‚Moralischer Schmutz:
Sexuelle Liberalisierung’
f) ‚Jugend: Sexdroge
erfunden, andere Drogen nehmen ab’
g) ‚Christenverfolgung
auch im Westen, Super-Weltkirche entsteht’
h) 'Jesus warnt
ausdrücklich vor falschen Prophezeiungen'
i) Wilkersons Worte =
Gottes Worte?
j) Gott wird richten,
aber wir wissen nicht, wann
k) Großer Absatz, kleine
Hilfe
l) Wilkerson - ein
unbelehrbarer Prophet?
6. Heimkehr aller russischen Juden
angekündigt: Steven Lightle
a) Die Vision von 1974
b) Fehler der Vision
c) Wo die Erfüllung immer unwahrscheinlicher wird
d) Erfüllung jetzt im Gange?
e) Folgen der russischen Liberalisierung
f) Finnland
g) Vielfach bestätigt oder Massenverführung?
h) Vorbereitungen seit über zehn Jahren
i) Wann wird der Exodus geschehen?
j) Entrückung und Jesu Kommen auf lange Zeit verschoben
7. Missionar unter Moslems: Marius Baar
a) 'In einigen Monaten oder Jahren ...'
b) Die Tatsachen müssen sich dem vorgefaßten Bild beugen
c) Bewertung
8. Herausgeber verbreiteter Endzeitzeitschriften: Wim Malgo
a) Worauf legt der russische Bär demnächst seine Pranken?
b) ‚Der 3.Weltkrieg hat bereits begonnen!’
c) Ist Jesu Wiederkunft berechenbar?
d) Malgo ein Prophet?
e) Redet Gott durch Sterne, wirkt er durch UFOs?
f) ‚Deutschland wird vor Harmagedon nicht wiedervereinigt’
g) Hat Malgo umgedacht?
Schlußwort
Literatur
Einleitung
Es ist bekannt, daß es Glaubensgemeinschaften gibt, die bei der
Deutung der biblischen Endzeitaussagen voreilig waren: Zeugen Jehovas,
Neuapostolische, die Vorläufer der Adventisten ...: "Das Ende naht!"
Immer wieder konnte man diese Ankündigung hören, mitunter auf bestimmte Daten
präzisiert. Für einen solchen Umgang mit der Bibel gibt es auf seiten der
Evangelikalen auch scharfe Kritik. Wie reagieren wir jedoch, wenn in unseren
eigenen Reihen Ähnliches vorkommt? Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren,
daß wir hier oft mit zweierlei Maß messen. Was bei anderen - etwa Zeugen
Jehovas - scharf verurteilt wird, wird bei uns selbst wesentlich nachsichtiger
beurteilt: 'Irren ist menschlich', 'Natürlich gibt es manchmal Einseitigkeiten
- wer wäre da frei davon?', 'Man darf nicht vergessen, was der Betreffende
Positives gewirkt hat', so und ähnlich lauten die Reaktionen. Wer wegen solcher
'Geringfügigkeiten' einen Endzeitautor kritisiert, dem wird liebloses Verhalten
vorgeworfen, der verstoße - so heißt es - gegen den brüderlichen Umgang.
Vielleicht sollte ich
kurz den Begriff "evangelikal" erläutern. Darunter versteht man eine
Strömung innerhalb der evangelischen Christenheit, die dreierlei betont: Die
Erfahrung von Bekehrung und Wiedergeburt als grundlegend für eine Beziehung zu
Gott; die Autorität der Bibel als Ausdruck des Willens Gottes; die
Evangelisation als vorrangige Aufgabe.
In der christlichen Basis-Urkunde, der Bibel, finden wir starke
Warnungen davor, im Namen Gottes falsche Vorhersagen zu machen - Näheres dazu
in Kap.A,9. Wir werden darüber hinaus auch verschiedene negative Folgen mitbedenken
- Näheres dazu in Teil B.
In Teil E werde ich dann
im deutschen Sprachraum stark verbreitete evangelikale Endzeitautoren unter die
Lupe nehmen, um festzustellen, inwieweit ihre vor 10 oder 20 Jahren erfolgten
Vorhersagen eingetroffen sind: Hal Lindsey, David Wilkerson, Wim Malgo und
einige weitere. (Diese drei Autoren habe ich auszugsweise von Juli bis Nov.
1991 bereits in der Jugend-Zeitschrift PUNKT [heute dran] behandelt.) Ich habe
mich bei der Untersuchung auf jene Endzeitliteratur beschränkt, die in
deutscher Sprache vorliegt. Teils handelt es sich um original deutsch
geschriebene Bücher, teils um Übersetzungen aus dem Englischen.
Die genannten Autoren
sind aber nicht die einzigen - und schon gar nicht die ersten -, die sich bei
der Auslegung der biblischen Endzeitaussagen zu weit vorgewagt haben. Hier gibt
es im evangelischen Bereich schon eine lange Tradition, beginnend mit dem
Reformator Martin Luther. Wichtiger als alle Namen ist dabei aber die
Ermittlung der dahinterstehenden Faktoren: Welche Fehler waren es, die manche
von uns dazu verleitet haben, bei der Auslegung biblischer Endzeitaussagen zu
falschen Annahmen zu kommen? Diese Fehler sollen benannt und charakterisiert
werden, wobei uns die Zeugen Jehovas als negatives Vorbild dienen können. Es
handelt sich im wesentlichen um vier Fehler: eine Überbewertung schwacher
Anhaltspunkte, die fixe Annahme 'Wir sind die letzte Generation', eine
selektive Zitat-Auswahl, und die dogmatische Verkündigung der eigenen
Vermutungen.
In den weiteren Teilen
besprechen wir die Folgen dieser Art von Endzeitliteratur, weiters die Frage,
inwieweit sich Korrekturbereitschaft zeigt, und einige Leitlinien zum Umgang
mit den biblischen Endzeitaussagen.
Wenn der Leser sich durch
diese Teile durchgearbeitet hat, mag ihm der letzte Teil, die detaillierte
Untersuchung des Vorhersage-Ergebnisses der bekannteren evangelikalen
Endzeitautoren, weniger wichtig erscheinen. Ja, auch mir erscheint es durchaus
sinnvoll, wenn ein Leser sich auf die Lektüre der ersten vier Teile beschränkt
und vom Teil E nur die Behandlung jener Endzeitautoren liest, von denen er
schon Bücher gelesen hat. Ganz verzichten wollte ich auf eine umfassende
Untersuchung solcher Endzeitautoren jedoch nicht, und zwar aus folgendem Grund:
Bei der systematischen Betrachtung der verschiedenen Fehler, wie sie von
Endzeitautoren begangen werden, könnte ein Leser versucht sein zu denken: 'Ja,
bei diesen Endzeitautoren gab es gewisse Einseitigkeiten, aber im großen und
ganzen war ihre Endzeitauslegung doch wertvoll.' Um zu verhindern, daß manche
Leser vorschnell bei einem insgesamt positiven Eindruck stehenbleiben, war eine
solche gründliche Analyse nötig. Diese Analyse zeigt, daß konkrete, eine
Überprüfung ermöglichende Vorhersagen samt und sonders danebengegangen sind .
Teil A:
FEHLER IM UMGANG MIT DEN BIBLISCHEN ENDZEITAUSSAGEN
1. Die Zeichen der Zeit - schon 1521 sichtbar?
Die Erwartung des Kommens Jesu versetzt uns in eine Spannung:
Sollen wir für längere Zeit planen - oder eher damit rechnen, daß es bald aus
ist? In dieser Spannung gibt es Extreme: Die eine extreme Haltung wäre, mit dem
Knecht im Gleichnis Jesu zu sagen: "Mein Herr kommt noch lange
nicht." (Mt 24,48) Mit einer solchen Haltung würden wir uns all jenen
Menschen annähern, die überhaupt nicht mit dem Kommen Jesu rechnen. Es gibt
aber auch das andere Extrem: Sich darauf festzulegen, daß Jesu Kommen
unmittelbar bevorstehe, daß es sich in den allernächsten Jahren ereignen werde.
Dieses Extrem beobachten wir nicht bloß bei einigen exklusiven
"Sekten", sondern auch inmitten der evangelischen Bewegung.
Beginnen wir mit Martin Luther. Bei ihm können wir sehen, wie
alt das Empfinden, in der eigenen Gegenwart jene Zeichen beobachten zu können,
die als unmittelbare Vorboten des Endes zu werten seien, schon ist. So predigte
Luther am zweiten Adventsonntag 1521 über Jesu Endzeitrede nach Lukas 21:
"Ich will niemanden
zwingen oder drängen, mir zu glauben, ich will es mir aber auch von niemandem
nehmen lassen, daß ich halte, der jüngste Tag sei nicht ferne. Dazu bewegen
mich eben diese Zeichen und Worte Christi. Denn wenn jemand alle Chroniken
liest, so findet er von Christi Geburt an nichts, was den letzten hundert
Jahren dieser Welt gleicht." (In der Gesamtausgabe von Walch Bd.11; das
Deutsch habe ich behutsam modernisiert.)
Luther geht auf
verschiedene Erscheinungen ein, etwa auf die Wirtschaft: "Wer hat auch je
von einer solchen Kaufmannschaft gelesen, wie sie jetzt um die Welt fährt und
alle Welt verschlingt?" Was Luther wohl gesagt hätte, wenn er die heutige
Weltwirtschaft beobachten hätte können? Und auch auf geistlichem Gebiet meinte
Luther, daß es nicht mehr ärger werden könnte als zu seiner Zeit: "es ist
nicht möglich, daß noch größere Lügen, greulicherer Irrtum, schrecklichere
Blindheit, verstocktere Lästerung kommen werden, als sie jetzt schon in der
Christenheit regieren, durch Bischöfe, Klöster und Hochschulen, wo sogar der
tote blinde Heide Aristoteles die Christen lehrt und regiert, mehr als Christus
selbst." Wer heute als Christ apologetisch tätig ist, würde sich nach der
Zeit Luthers zurücksehnen! Damals war die Zahl der Irrlehren noch einigermaßen
überschaubar, Kurt Hutten hätte sich anstelle seiner 1000seitigen Sektenkunde
mit einer dünnen Broschüre begnügen können. (Genauere Literaturangaben finden
sich am Ende meines Buches.) Und die Vermischung mit aristotelischem Denken ist
auch nicht das einzige, wohl auch nicht das Ärgste, das dem christlichen
Glauben seither passiert ist.
Auch für die weiteren
Bestandteile der Endzeitrede Jesu hatte Luther seine Deutungen: Daß die Sonne
ihren Schein verlieren sollte, bezog er auf die häufiger werdenden
Sonnenfinsternisse, und den Feigenbaum, der blühen sollte, identifizierte er
mit der Bibel.
Man könnte noch viele
weitere Menschen der Vergangenheit nehmen, die glaubten, die auf das Ende
hindeutenden "Zeichen der Zeit" bereits wahrnehmen zu können. Das
Beispiel Luthers habe ich herausgegriffen, um deutlich zu machen, daß man auch
schon vor Jahrhunderten diesen Eindruck haben konnte. Diese Erfahrungstatsache
sollte uns vorsichtig machen.
2. Männer Gottes kritisieren?
Wir haben nun Martin Luther betrachtet - und gezeigt, daß er sich
geirrt hat. Zweifellos war Luther ein Mensch, den Gott gebraucht hat. Wenn so
jemand kritisiert wird, stellt sich bei vielen Christen ein Unbehagen ein.
Dieses Unbehagen artikuliert sich in verschiedenen Fragen:
* Dürfen wir einen
"Gesalbten Gottes antasten"? Legen wir uns damit nicht mit Gott
selbst an?
* Wer ist eigentlich
dieser Kritiker, der sich anmaßt, den Stab über diesen Mann Gottes zu brechen?
Was hat dieser Kritiker schon geleistet, um sich das erlauben zu können?
* Wo gesündigt wurde,
sollten wir vergeben (bzw. erforderlichenfalls das seelsorgerliche Gespräch
mit dem Betreffenden suchen). Aber wir sollten Sünden und Fehler nicht
öffentlich zur Schau stellen.
Was ist zu diesen
Einwänden zu sagen? Ganz sicher müssen wir festhalten: Wir können von denen,
die uns im Glauben vorangingen, viel lernen. Das betrifft aber nicht nur ihren
Einsatz, ihren Mut, ihr Gottesvertrauen, sondern auch ihre Fehler. Wenn sich
ein bestimmtes Verhalten - vielleicht sogar erst nach dem Tod des Betreffenden
- als Fehler herausgestellt hat, so kann uns eine Betrachtung dieses Fehlers
dahin führen, daß wir selbst ihn vermeiden. Die Bibel exerziert das vor: Wir
lesen von David oder Petrus nicht nur das Positive, das Vorbildliche, sondern
auch ihre Schwächen und Fehler. Und wir können davon lernen!
In diesem Sinne ist auch
alle noch folgende Kritik zu verstehen. Es geht nicht darum, andere Christen
schlecht zu machen; nicht darum, sich über sie zu erheben (im Sinne von: 'So
etwas könnte mir nie passieren!'), sondern es geht darum, aus ihren Fehlern zu
lernen. Sei es als Aktiver (als jemand, der sich selbst intensiv mit
Endzeitfragen beschäftigt und vielleicht sogar darüber publiziert), sei es als
Passiver (als jemand, der sich darüber Vorträge anhört und Bücher liest).
Ein Problem, das manche
beim Lesen von Kritik haben, liegt an ihrem mangelnden
Differenzierungsvermögen. Sie sehen Erscheinungen - und auch Menschen -
entweder als weiß oder als schwarz an. Ohne zu merken, wieviele Zwischenstufen
es da gibt! Lesen sie nun meine Kritik an einem Mann Gottes, so haben sie den
Eindruck, ich möchte diesen Mann als völlig schwarz hinstellen. Doch darum geht
es mir keinesfalls. Wenn jemand hingegeben im Dienst für Gott steht und dabei
manche Fehler macht, so will ich das alles nüchtern sehen. Ich will ihm weder
den Wert seiner Tätigkeiten absprechen und ihn als untauglich und unbiblisch
diffamieren, noch möchte ich seiner Verdienste wegen alle seine Fehler
krampfhaft leugnen oder verharmlosen.
Als Albert Betschel sich mit extremen
Charismatikern auseinandersetzte, widmete er auch einige Seiten der Frage:
"Sind geistliche Leiter unantastbar?" (In seinem Buch Verführerische
Lehren der Endzeit. 1991, S.37-39.) Darin betont er den Vorrang der Liebe (nach
1.Korinther 13) und wirft die Frage auf: "Haben wir das Recht, Männer im
Reiche Gottes zu beurteilen, die äußerlich gesehen anscheinend viel mehr
Resultate aufzuweisen haben als wir selbst?"
Betschel spricht also
eine Situation an, die auch für mich gilt, wenn ich dabei bin, Männer wie
Martin Luther, Billy Graham oder David Wilkerson zu beurteilen. Betschel gibt
zwei Dinge zu bedenken:
"Erstens: Niemand
ist so groß und unfehlbar oder so erfolgreich, daß seine Verkündigung nicht am
Worte Gottes geprüft werden müßte.
Zweitens: Aus einer
übergroßen Rücksichtnahme einzelnen Menschen gegenüber, in unserem Fall den
Bibellehrern und Predigern gegenüber, nehmen wir in Kauf, daß vielleicht
Tausende oder gar Millionen von anderen Menschen verführt werden."
Wenn wir in 1.Samuel 26
sehen, wie sich David weigert, König Saul zu töten, stellen wir beim
Weiterlesen mit Betschel fest: "Der David, der sagt, ich lege meine Hand
nicht an den Gesalbten des Herrn,
hat keine Probleme, Saul öffentlich vor dem ganzen Volk zur Rede zu stellen und
dabei die Gesinnung und das falsche Handeln des Saul ebenso öffentlich an den
Pranger zu stellen." Die Hemmung, den "Gesalbten Gottes
anzutasten", dürfen wir also nicht falsch verstehen.
In Kap.A,9 befassen wir
uns mit der biblischen Beurteilung von Fehlvorhersagen. Dort werden wir sehen,
was in 5.Mose 18,18-22 über falsche Propheten gesagt wird. Damals wurde
geboten, einen im Namen Gottes falsch Vorhersagenden zu steinigen. Es handelt
sich dabei demnach um eine sehr schwerwiegende Sache! Zur Zeit des AT wurde er
also gesteinigt, in unserer Gegenwart darf er nicht einmal kritisiert werden?
Es wäre auch zu prüfen,
ob es stimmt, "daß die meisten biblischen Schriften in der
Auseinandersetzung mit anderen Ansichten entstanden sind" (Alexander
Prieur im Vorwort zu Grier - genauere Literaturangaben finden sich am Ende
meines Buches). Wenn ja, dann könnte das Aufdecken der Mängel bestimmter
Ansichten und Vorgangsweisen nicht so leicht mit dem Hauch des
"Unchristlichen" umgeben werden.
3. Der erste Fehler: Überbewertung schwacher Anhaltspunkte
Wir können für Martin Luthers Erwartung durchaus Verständnis
aufbringen. Wenn wir Jesu Endzeitrede betrachten und uns in Luthers Zeit
zurückversetzen - gewisse Parallelen zwischen Jesu Aussagen und Luthers
Zeitereignissen waren damals schon zu erkennen. Die Parallelen waren jedoch
nicht zwingend, nicht so eindeutig, daß man hätte mit Sicherheit sagen können:
'Dies ist das'. Was lernen wir aus diesem Fehler? Wenn wir in unserer Gegenwart
gewisse Parallelen erkennen, wenn wir Anhaltspunkte beobachten, die mit
Endzeitaussagen Jesu in Verbindung stehen könnten, so dürfen wir nicht
vorschnell schlußfolgern, daß nun unbedingt das Ende vor der Tür stehen muß.
a) Verfrühtes Ausrufen biblischer Erfüllung
Eine Parallele zur Bibel ließ sich "erkennen" (besser:
vermuten), als die EG gerade 10 Mitglieder hatte. Das war der Fall, nachdem
Griechenland (1981) und bevor Spanien und Portugal dazugestoßen waren (1986).
Damals schrieb Klaus Gerth:
"Heute sind es zehn Staaten, so wie die zehn Zehen des Standbildes
Nebukadnezars es voraussagen." (S.149) Das ist typisch: Eine gegenwärtige
Erscheinung zeigt eine gewisse Analogie zu einem Bibelvers - sofort wird darin
die Erfüllung gesehen. Peinlich wird es aber, wenn der weitere Verlauf doch
anders ist: "Heute sind es zwölf Staaten." sagt Gerth 1989 an
derselben Stelle lapidar (S.156), ohne noch irgendeine biblische Parallele
heranzuziehen.
Mitunter wird in winzigen
Anhaltspunkten bereits die volle Erfüllung gesehen, etwa bei Wim Malgo: "Bitte unterschätzt die
antizionistische Resolution vom 11.November 1975 in der UNO nicht. Sie ist die
politische Erfüllung von Sacharja 14,2, wo der Herr sagt, daß Er alle Heiden
nach Jerusalem bringen wird. ... Weltpolitik gegen Zion bedeutet im Wesen
schon Weltkrieg gegen Zion." (Schatten 46). Zwischen einer Resolution und
einem Krieg ist doch ein wesentlicher Unterschied. Auch Marius Baar schließt aus dieser Resolution
sehr viel: "Die ganze Welt hat sich 1973 mit der Unterschrift vor der UNO
in das Lager des Islam begeben. Als nächstes verlangen die Araber den Ausschluß
Israels aus der UNO, und die Völker beugen sich. Sie haben es bereits getan,
als am 11.11.1975 der Zionismus verurteilt wurde." (S.22)
b) Überbewertung bestimmter Tatbestände (z.B. Waren-Strichcode)
Atomkrieg steht bevor
Wenn ein Außenminister
sagt, wofür sein Land eintritt, so bedeutet das nicht unbedingt, daß er bereit
wäre, dafür auch einen Atomkrieg zu riskieren. Zu solchen voreiligen
Schlußfolgerungen kommt es dann besonders leicht, wenn ein Autor die politische
Szene in der inneren Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Krieges von
Harmagedon beobachtet: "... 1974 sagte Gromyko bei seinem Besuch in
Damaskus: 'Ich brauche nicht noch zu versichern, daß die Sowjetunion für die
Beendigung der israelischen Besatzung in allen annektierten Gebieten eintritt.
Alle anderen Fragen sind im Vergleich zu dieser von sekundärer Bedeutung.' Ein
direktes, aktives militärisches Eingreifen russischer Streitkräfte in den Kampf
gegen Israel ist also angekündigt." (Baar 214)
1974 schrieb Malgo:
"Ägypten bekam einen Reaktor und den nötigen Brennstoff und ist trotz
amerikanischer Kontrolle imstande, selbst Atombomben herzustellen."
(Israel 165) Da Israel damals die Atombombe bereits besaß, konnte man sich
ausmalen, wie groß die Gefahr eines Atomkrieges im Nahen Osten schon damals
war. Seither sind jedoch fast 2 Jahrzehnte vergangen, und soweit wir wissen hat
Ägypten die Atombombe noch immer nicht. Malgo hat also zu früh Alarm geläutet.
Islam hat gesiegt
Marius Baar neigt zu
Übertreibungen. Wenn in einem Land begonnen wird, eine Moschee zu errichten,
bedeutet das bereits den Sieg des Islam und die Niederlage des Abendlandes.
"Nach 296 Jahren wird die siegreiche Schlacht bei Wien zur Niederlage, zur
Niederlage des Abendlandes! Im Jahre 1683 wurde in dieser Schlacht der Wesir
Cara Mustapha Pascha geschlagen." (S.102) Und weiter: "296 Jahre
nachdem der Islam bei Wien zu Tode verwundet wurde, erscheint seine Niederlage
als Sieg der islamischen Welt. Doch diesmal nicht durch den Krieg. Die erste
Moschee Österreichs wird zur Zeit in Wien, im Park an der Donau, errichtet.
König Khaled von Saudi-Arabien stiftete zu diesem Bau acht Millionen D-Mark.
Das Programm war also nur aufgeschoben!" (S.103)
Baar nennt hier ein
spezielles Jahr: 296 Jahre nach 1683, also 1979. Was geschah in diesem Jahr
Besonderes? Inwiefern sollte der Islam gerade in diesem Jahr den Sieg errungen
haben? Vom Bau einer Moschee in einem Land bis zur Islamisierung der ganzen
Bevölkerung ist doch ein weiter Weg!
666 im Waren-Strichcode
Die Neigung einiger
Endzeitautoren, in winzigen Anhaltspunkten viel zu sehen, hat auch den
Waren-Strichcode nicht verschont gelassen. Mit diesem wird die
"Europäische Artikelnummer" (abg. EAN) dargestellt. Als dieser Code
sich immer mehr verbreitete und jemand bemerkte, daß die jeweils zwei
Trennungsstriche am Anfang, am Ende und in der Mitte - diese dienen bloß der
Trennung, nicht der Darstellung bestimmter Ziffern - ähnlich aussehen wie jene
Striche, die für die Zahl 6 stehen, war es für manche sofort klar: Die Zahl 666
ist bereits auf den meisten Waren zu finden, das antichristliche Zeitalter
ist schon weit vorgerückt. Wim Malgo griff das sofort auf, übernehmend aus der
Zeitschrift Diagnosen (im Mitternachtsruf vom Nov. 1983, S.4f).
Dazu ist folgendes zu
sagen: Die erwähnten Striche (jeweils zwei parallel nebeneinander) ähneln
tatsächlich jenen schwarzen Strichen, unter denen die Zahl 6 steht. Der
jeweilige Zahlenwert ergibt sich allerdings nicht bloß aus den schwarzen
Strichen, sondern auch aus den weißen Zwischenräumen. Eine Ziffer ist durch die
Kombination von vier jeweils verschieden breiten, abwechselnd weißen und
schwarzen Balken codiert. Und da den Doppelstrichen am Beginn, in der Mitte und
am Ende keine eindeutige Gesamtbreite zugeordnet ist, kann für sie auch kein
Zahlenwert berechnet werden.
Die Ähnlichkeit mit der
Zahl 6 ist sicherlich auffallend, und auch, daß es sich um insgesamt drei
Doppelstriche handelt, so daß man tatsächlich auf den Gedanken kommen könnte,
hierin 666 zu sehen. Aber auf diesen Gedanken könnte man auch bei anderen
Gelegenheiten kommen. Wie soll man reagieren, wenn man in einer Telefonnummer
dreimal die Zahl 6 findet, vielleicht gar unmittelbar hintereinander? Sollen
wir annehmen, daß alle Inhaber solcher Telefonnummern Antichristen seien? Hier
wird doch deutlich, wohin es führt, wenn man winzige Anhaltspunkte sofort als
sichere Beweise nimmt.
In einem Aufsatz hat sich
Werner Gitt diesem Thema
zugewandt: Der Waren-Strichcode
und die Zahl 666 (factum Sept.1984, S.12-24), worin er den Waren-Strichcode
ausführlich erläutert und sich gegen die endzeitliche Ausdeutung ausspricht.
Ähnlich Martin Schweikert in
seinem Artikel Der Strichcode - Vorbote des Antichristen? (Bibel und Gemeinde
1985, S.300-307).
c) Korrekte Einschätzung eines Phänomens (am Beispiel New Age)
Durch welche Bewegung der Antichrist an die Macht kommen wird - ob
durch die UNO, die EG, den Islam, den Kommunismus oder die New Age-Bewegung -
bezüglich dieser Frage möchte ich mich keinesfalls festlegen. Bei dem folgenden
Fallbeispiel will ich lediglich zeigen, daß mitunter aufgrund geringfügiger
Anhaltspunkte feste Behauptungen aufgestellt werden - ohne zu bedenken, wieviel
diesen Behauptungen entgegensteht.
Im Zuge evangelikaler
Warnungen vor der New Age-Bewegung wurde gelegentlich auch die Ansicht
geäußert, daß der Antichrist mit Hilfe dieser Bewegung an die Macht kommen
werde. Diese Bewegung werde sich immer mehr ausbreiten, verschiedenste
Instanzen, ja selbst die Kirchen durchdringen, und somit eine geeignete Basis
für einen Weltführer gleicher Gesinnung darstellen. Wobei selten vergessen
wird, darauf hinzuweisen, wie rasch sich das alles schon ereignen werde. In
einem Artikel mit dem vielsagenden Titel Hat die Endzeit schon begonnen? nimmt
Ulrich SKAMBRAKS an, daß die New Age-Bewegung eine solche Funktion haben wird
(in: idea-spektrum 1991, Nr.5, S.15-17).
Inwieweit zeigt die New
Age-Bewegung (im folgenden abgekürzt mit NAB) entsprechende Voraussetzungen, um
eine entscheidende Vorreiterrolle für den demnächst auftretenden endzeitlichen
Antichristen spielen zu können? In mehrfacher Hinsicht begegnen wir hier einer
Übertreibung des tatsächlich Vorhandenen.
1. Was gehört zu New Age?
Wir müssen uns darüber im
Klaren sein, was überhaupt unter "New Age" zu verstehen ist. Es ist
wichtig, zwischen dem Gesamtbereich des Esoterischen einerseits und der New
Age-Bewegung andererseits zu unterscheiden. Was ist eigentlich die NAB?
"Die New-Age-Bewegung ist der von Kalifornien ausgehende Versuch von
Wissenschaftspublizisten, das sich seit den sechziger Jahren in allen
Lebensbereichen zeigende neue Denken und Handeln als ein zusammenhängendes
Denk- und Verhaltensmodell (Paradigma) zu beschreiben, weltweit bewußtzumachen
und netzwerkartig auszubreiten." (Günther SCHIWY in Entschluß 1988,
Nr.7-8, S.8)
Erinnern wir dazu noch an
das bereits im Namen "New Age" enthaltene Kennzeichen: Nämlich an
die Erwartung, daß wir nun am Beginn eines neuen Zeitalters stehen. Eine
Erwartung, die durchaus nicht von allen esoterischen Richtungen geteilt wird.
Mit den kalifornischen
Wissenschaftspublizisten sind vor allem Marilyn FERGUSON (deren Klassiker Die
sanfte Verschwörung 1980 erschien) und Fritjof CAPRA gemeint. Es handelt sich
jedenfalls um eine junge Bewegung. Dagegen gibt es viele esoterische Richtungen
(die nun z.T. von der NAB aufgegriffen und miteinander verbunden werden) seit
vielen Jahrhunderten. Horoskope wurden auch früher erstellt; wenn ich heute ein
Astrologie-Buch sehe, darf ich nun nicht voreilig denken: "Aha, New
Age!"
Sehr oft beziehen aber
Kritiker der NAB alles Esoterische in ihre Betrachtung mit ein - als ob all das
nun zur NAB gehören würde. Durch diesen Miteinbezug erscheint die NAB als eine
wesentlich größere Bewegung, als sie tatsächlich ist.
2. Wie verbreitet ist die New Age-Bewegung?
Die NAB im engeren Sinn
hat im Verlaufe ihrer jetzt etwa ein Jahrzehnt währenden Existenz zwar viel
Aufsehen in der westlichen Welt erregt, ist aber weit davon entfernt, so etwas
wie eine die gesamte Menschheit bewegende und erfassende Kraft zu sein.
Die wirkliche Verbreitung
wird von Wolfgang SIMSON realistisch umschrieben, wenn er sagt, "daß das
New-Age-Gedankengut vor allem in den westlichen Industrienationen Fuß gefaßt
hat" (Glauben an die neue Zeit? S.76). Der Großteil der Weltbevölkerung
weiß nichts von der NAB. Aber auch was die sog. westliche Welt betrifft,
"ist New Age erst für einen relativ geringen Teil der Bevölkerung von
Interesse" (Simson S.9). Und Helmut BURKHARDT urteilt in seinem Buch
Wiederkehr der Religiosität? (1990): "Der Säkularismus bleibt die Großmacht
unserer Zeit. Das sogenannte New Age ist Ausdruck einer gewissen Wellenbewegung
des kollektiven Gefühls, wie wir sie in der Geschichte immer wieder beobachten
können. ... Ein solcher Stimmungsumschwung kann aber so schnell wieder gehen,
wie er gekommen ist." (S.12f)
Wir dürfen also das
tatsächliche Ausmaß, in dem die NAB die Menschheit erfaßt hat, nicht
überschätzen. Es müßte noch ein umfassendes Umdenken stattfinden, bis die
gesamte Menschheit - etwa in Richtung NAB - gleichgeschaltet wäre. Da ist
einmal die Milliarde Moslems mit ihrer mitunter fanatischen Überzeugung, die
dem New Age-Denken keineswegs nahe steht. Was ist mit der Milliarde Chinesen,
die großenteils in einem Land mit atheistischer Beeinflussung aufwuchsen?
Werden diese alle ihre Erziehung so schnell und so völlig abschütteln? (Die
Proteste in China richten sich ja gegen Diktatur und Bevormundung, nicht primär
gegen den Atheismus.) Daß die atheistische Beeinflussung in kommunistischen
Gebieten durchaus Wirkung zeigt, kann an einem Vergleich zwischen West- und
Ostdeutschen festgestellt werden, also zwischen zwei Gruppen mit gemeinsamer
Geschichte und Sprache, die zudem geographisch benachbart sind. "Ich
glaube, daß es Gott gibt" sagen im Westen 61 %, im Osten dagegen nur 21 %
(lt. idea-spektrum 1990, Nr.47, S.8). Das ist doch ein enormer Unterschied!
Und schließlich die sog.
"westliche Welt": Zwar nimmt hier die Neigung zum Spirituellen wieder
zu, aber es gibt doch auch weiterhin einen beträchtlichen Anteil von
nichtreligiösen, rational-skeptischen Menschen. Auch deren Umdenken müßte erst
noch bewirkt werden. Diese Hinweise machen bewußt, daß der Weg zu einer
"gleichgeschalteten", einheitlich denkenden Menschheit noch sehr,
sehr weit ist.
3. Begünstigt die New-Age-Bewegung eine Diktatur?
Wir dürfen auch den
Charakter der NAB nicht falsch einschätzen. Handelt es sich um eine militante,
intolerante Bewegung? Auch wenn es Äußerungen in dieser Richtung gibt, wäre es
eine Verengung, nur noch diese Äußerungen zu sehen. Würde die NAB eine
zentrale, diktatorische Weltregierung begrüßen? Eine Umfrage unter Personen,
die Marilyn FERGUSON als der NAB zugehörig ansah, brachte folgendes Ergebnis:
"Eine dezentralisierte Regierung wurde von 89 Prozent befürwortet, eine
streng zentralistische Regierung von 11 Prozent." (In ihrem Buch Die
sanfte Verschwörung S.483f.) Nach dieser Umfrage sieht es also nicht so aus,
als ob die NAB eine einheitliche Weltregierung anstreben würde! Tatsächlich
geht die Grundtendenz der NAB dahin, gesellschaftliche Veränderungen nicht mit
Gewalt zu erreichen, sondern durch Bewußtseinsveränderung bei allen Menschen.
4. Wie homogen ist die esoterische Szene?
Die esoterischen Zweige
sind - insgesamt gesehen - zwar eine große und derzeit wachsende
"Bewegung", sie sind aber untereinander in vieler Hinsicht uneinig.
Eine derart in sich gespaltene "Bewegung" würde kaum eine starke,
geschlossene Unterstützung für einen Antichristen darstellen.
Führende Vertreter der
NAB versuchen es so darzustellen, als ob die verschiedenen esoterischen
Strömungen immer stärker erkennen, daß sie letztlich alle das gleiche wollen
und sich daher auch immer mehr miteinander verbünden. Was etwa Marilyn FERGUSON
als "Netzwerk" hinstellt, erweist sich aber bei näherem Hinsehen als
gelegentliche, vereinzelte Kontakte zwischen Angehörigen verschiedener
Strömungen. Kontakte solcher Art hat es schon immer gegeben - der Weg bis zu
einer wirklichen Zusammenarbeit ist aber noch sehr weit. Hier darf auch
folgendes nicht übersehen werden: Was aus der Ferne betrachtet wie eine
diffuse, einheitliche, (für uns Christen) fremdartige Masse erscheint, erweist
sich bei näherem Hinsehen als eine Anzahl verschiedenartiger, einander
widersprechender Gedankensysteme. Da gibt es die Horoskope schreibenden
Astrologen, deren Vorhersagen auch durchaus einschränkend sein können ('heute
ist ein ungünstiger Tag, keine Geschäfte abschließen!'), andererseits die New
Ageler, denen Einschränkungen dieser Art unsympathisch sind - es liegt ja ein
Reich der Freiheit vor uns! Da gibt es New Ageler, denen der Umweltschutz
wichtig ist, da gibt es andererseits politische Aktivisten, die zwar
gleichfalls den Umweltschutz als einen wichtigen Programmpunkt haben, die aber
befürchten, daß die NAB mit ihren irrationalen Spekulationen, mit ihrer Neigung
zur "Verinnerlichung", mit ihrer Erwartung eines "harmonischen
Wandels" und damit verbunden ihrer Abneigung gegen Konflikte und Kämpfe
die Anhänger von gezielten politischen Aktionen eher abhält. Da gibt es die
östlichen Meditationstechniken, in die man durch Gurus eingeführt wird - diese
Gurus haben dann eine dominierende Rolle. New Ageler lehnen eine solche
Verehrung einzelner Menschen ab, im Mittelpunkt steht bei ihnen das universelle
Bewußtsein. Und so könnte man fortfahren aufzulisten: Überall sind
Meinungsverschiedenheiten zu sehen, vom bevorstehenden Zusammenschluß dieser
letztlich doch sehr verschiedenartigen Strömungen zeigt sich keine Spur. Die
Gründung der Theosophischen Gesellschaft im Jahr 1875 wird oft als eine
wichtige Vorstufe der NAB angesehen. Wie sehen nun die gegenwärtigen Kontakte
zwischen diesen beiden Richtungen aus? Haben sie erkannt, daß sie ja auf genau
der gleichen Linie liegen? Weit gefehlt! Stephan HOLTHAUS hat in seinem Buch
über die Theosophie die Verbindungen untersucht: "Der Einfluß der
Theosophie auf die New-Age-Bewegung stellte sich auf organisatorischer Ebene
als unerwartet gering heraus. Eine organisatorische Abhängigkeit oder
Zusammenarbeit konnte nicht nachgewiesen werden, die theosophischen Kreise in
Deutschland zeigten sogar eine kritisch-distanzierte Einstellung gegenüber der
modernen New-Age-Welle." (S.168f)
d) Einseitige Nachrichtenauswahl
Bei der Bewertung einer bestimmten Erscheinung müssen wir also
immer das Umfeld der Erscheinung mitbedenken. Ein Hinweis darauf, daß die
New-Age-Bewegung bereits sehr verbreitet ist, darf nicht isoliert betrachtet
werden. Es gilt dann ihre Verbreitung abzugrenzen, also auch mitzubedenken, wo
überall diese Bewegung noch kaum bekannt bzw. einflußreich ist. Zur
Überbewertung einer bestimmten Erscheinung kann es also dort leichter kommen,
wo diese Erscheinung isoliert gesehen wird. Dazu kann es kommen, weil wir alle
die auf uns einströmenden Nachrichten filtern; mitunter registrieren wir nur
jene Nachrichten, die in unsere Erwartung hineinpassen. Das kann mehr oder
weniger beabsichtigt geschehen. So wird mitunter zwar zur Kenntnis genommen,
was für einen baldigen Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels spricht, alles
andere jedoch ignoriert: "nach unbestätigten Berichten sollen bereits
Steine dafür behauen und nach Jerusalem transportiert worden sein ..."
(Goetz 161) - Schlußfolgerung u.a. daraus: "es ist uns bekannt, daß ein
ziemlich starkes Interesse für einen Wiederaufbau des Tempels vorhanden
ist". Eine wichtige israelische Persönlichkeit spricht sich für den
Wiederaufbau des Tempels aus - Schlußfolgerung wie vorhin. Hal Lindsey berichtet davon, daß der
Historiker Israel Eldad gefragt wurde: "Trägt man sich heute in Israel
eigentlich mit dem Gedanken, den Tempel wieder aufzubauen?" (S.66)
Daraufhin meint Eldad, es werde dazu innerhalb einer Generation kommen. Daraus
schließt Lindsey: "Viele fromme Juden, manche von ihnen in einflußreichen
Regierungsämtern, hegen also die Absicht, bei sich bietender Gelegenheit ihren
Tempel wieder aufzubauen." Damit wird jedoch das Stimmungsbild sehr
einseitig wiedergegeben. Erstens machen die "frommen Israelis" nur
etwa ein Zehntel der israelischen Gesamtbevölkerung aus. Zweitens sind auch von
diesen viele gegen einen Wiederaufbau des Tempels: Zum Teil sind sie der
Meinung, daß nur der Messias persönlich den Tempel wiederaufbauen kann, und die
meisten können sich mit blutigen Tieropfern nicht anfreunden. Drittens schätzt
die Mehrheit der Israelis die Existenz der auf dem Tempelplatz stehenden
Moschee als Sicherheitsgarantie - gilt diese Moschee doch als eines der
wichtigsten moslemischen Heiligtümer. Eine massive Bombardierung von Jerusalem
ist daher seitens der Araber nicht zu erwarten, und schon gar nicht der Einsatz
einer Atombombe in der Umgebung von Jerusalem, wodurch ja auch der Tempel auf
Jahrzehnte hin unbenützbar werden würde. Hier macht Lindsey also aus einem
schwachen Anhaltspunkt - ein Israeli wird interviewt - eine sehr große Sache.
Etwas polemisch hat Samuele Bacchiocchi
gemeint: "Has the rebuilding of the great Temple already begun in any
form? To my knowledge, the only fabrication begun is not that of the Temple but
of stories about it." (S.40)
Diese Neigung, aus der
Mücke einen Elefanten zu machen, hängt also oft mit einer einseitigen Auswahl
von Nachrichten zusammen.
Wenn geringe Anhaltspunkte genügen, ist es dann nicht schwer, die
Endzeitereignisse schon heraufkommen zu sehen und das Ende unmittelbar
bevorstehend zu wissen. Die Erwartung des nahen Endes wurde mitunter auch
präzisiert, so daß sogar konkrete Jahreszahlen genannt wurden. Das kam im
Verlauf der Geschichte immer wieder vor, aber keine andere Gruppe hat derart
viele präzisen Voraussagen über das Ende gemacht wie die Zeugen Jehovas.
Diesen wenden wir uns jetzt zu.
4. Die Zeugen Jehovas - unsere Gesinnungsgenossen?
Zukunfts-Vorhersagen sind ein wesentliches Merkmal der Zeugen
Jehovas (abgeküzrt ZJ), und zwar von ihrem Beginn an: 1914, 1918, 1925, zuletzt
1975 - die Liste der präzisen Daten kann sich sehen lassen. Daneben gab es aber
auch immer wieder Ankündigungen, die kein präzises Jahr beinhalteten, aber
doch eine ungefähre Umgrenzung lieferten. Bis in die 1990er Jahre behaupteten
ZJ, daß jene Generation, die 1914 noch miterlebt hat, nicht vergehen werde,
bevor das Ende da ist.
Ich konnte die Zeugen
Jehovas dieses Verhaltens wegen kritisieren - ohne mir dessen voll bewußt zu
sein, daß ähnliche Verhaltensweisen auch in meiner eigenen Bewegung verbreitet
sind. Aber durch die Beschäftigung mit den Zeugen Jehovas war mein Blick geschärft,
so daß mir danach ähnliche Tendenzen im evangelikalen Raum viel schneller
auffielen. Durch zahlreiche Gespräche mit Zeugen Jehovas wurde ich außerdem mit
möglichen Rechtfertigungsversuchen für solche falschen Vorhersagen gut
vertraut - diese Vertrautheit kam mir auch jetzt bei der Beschäftigung mit
evangelikalen Endzeitautoren zugute, denn auch dort erleben wir z.T. ähnliche
"Verteidigungsstrategien".
Kurt Hutten hatte die Frage aufgeworfen, ob
die außerhalb der Kirche stehenden 'Sekten' vielleicht von Gott das Amt
bekommen haben, auf Lücken in der kirchlichen Verkündigung hinzuweisen, und
somit Mahner der Kirche zu sein (im Vorwort seines Seher, Grübler,
Enthusiasten). Abgesehen davon können diese 'Sekten' aber auch die Funktion
haben, daß wir uns bei ihrer Betrachtung selbst überprüfen können: Wir meinen
manches bei ihnen kritisieren zu müssen - gibt es vielleicht ähnliche Fehler
auch unter uns, eventuell in abgeschwächter Form?
Wenn ich hier einen
Vergleich mit den Zeugen Jehovas anstelle, so würde ich mich nun gerne beeilen
hinzuzufügen, daß man diese ZJ natürlich in keiner Weise mit evangelikalen
Endzeitautoren vergleichen kann. Leider kann ich das nicht hinzufügen, denn es
gibt eine ganze Reihe von Parallelen zu manchen Evangelikalen, nämlich:
1. Die fixe Annahme 'Wir sind die letzte Generation' - an diese Annahme haben
sich Bibelauslegung und Bewertung des Zeitgeschehens anzupassen (siehe Kap.A,7
oder C,1 und 2)
2. Ein leichtfertiger Umgang mit biblischen Aussagen, indem diese
aufgrund schwacher Analogien herangezogen werden, um vorgegebene Vorstellungen
zu stützen (Kap.B,4 oder E,4e)
3. Die Beziehung des Jesus-Wortes "diese Generation wird
nicht vergehen" auf das 20.Jahrhundert - bei ZJ die Generation, die 1914
erlebte, bei manchen Evangelikalen die Generation, die 1948 erlebte (Kap.E,2c
oder 8c)
4. Die einschränkende Auslegung von Jesu Wort ("niemand kennt
Tag oder Stunde") darauf, daß niemand den genauen Zeitpunkt kennt, wir
aber - aufgrund der "Zeichen der Zeit" - sehr wohl den ungefähren
Zeitraum erkennen (Kap.D,4b)
5. Das Nebeneinander der Ansicht, daß das Ende jetzt innerhalb der
nächsten Jahre kommen müsse, mit der Behauptung, den Zeitpunkt nicht zu kennen
(Kap.A,10b)
6. Mehrmalige Fehlvorhersagen - mit entsprechenden Folgen, z.B.
für das Image der Bibel (Kap.A,6)
7. Eine positive Sichtweise auch der fehlgeschlagenen
Demnächsterwartung (Kap.B,1)
8. Die wiederholte Anpassung der Vorhersagen an die neue
politische Situation (Kap.E,2c)
9. Die gelegentlich auftauchende Behauptung, richtig vorhergesagt
zu haben (Kap.C,5)
10. Das Miteinander von hohem Anspruch und Fehlbarkeitseingeständnis
(Kap.A,10c)
11. Die Ansicht, daß Gott jetzt am Ende der Zeit manchen Christen
besonderes Verständnis für die biblische Prophetie schenkt (Kap.A,10a)
12. Die Ansicht, bloß die Aussagen der Bibel wiederzugeben
(Kap.A,10d)
13. Die dogmatische Verkündigung der eigenen Vermutungen
(Kap.A,10)
14. Die Aufforderung des Endzeitautors bzw. des Verlages, daß
dessen Schriften wiederholt und intensiv zu lesen sind (Kap.A,10a)
15. Auch die ZJ sind Dispensationalisten, wie die hier in Teil E
untersuchten Autoren, und rechnen mit einem mehrmaligen Wiederkommen Jesu
(Kap.A,10e)
16. Eine tendenziöse Zitat-Auswahl: der jeweilige Autor liest sehr
viel und stellt dann einseitig solche Äußerungen zusammen, die seinem eigenen
Bild entsprechen (Kap.A,8)
17. Die negative Haltung gegenüber der UNO und überhaupt gegenüber
Friedenskonferenzen (Kap.B,12 oder 16)
18. Die Aufforderung, angesichts des nahen Endes sein Geld der
Mission zu spenden (Kap.B,5 oder E,8c)
Ich kann mir vorstellen, daß manche Leser entsetzt sind, wenn hier
Parallelen zwischen den ZJ einerseits und geachteten evangelikalen Größen
andererseits aufgezeigt werden. Keineswegs möchte ich behaupten, daß diese nun
in jeder Hinsicht vergleichbar seien. Es besteht eine Reihe von Unterschieden:
Die ZJ wollen das Heil in ihrer Organisation finden (Belege dazu in meiner
Russell-Biographie Kap.12); die ZJ-Publikationen stellen die Wirklichkeit
weitgehend so dar, daß die eigene Organisation nahezu vollkommen und alle
anderen Kirchen deutlich negativ erscheinen (Kap.13); bei der Darstellung der
eigenen Geschichte betreibt die Wachtturmgesellschaft mitunter eindeutige
Irreführung (Kap.7, 10 und 11). Derartiges ist mir bei evangelikalen
Endzeitautoren kaum aufgefallen.
Jedenfalls besteht eine
ganze Reihe von Parallelen, und wenn wir darüber entsetzt sind, dann umso
besser. Vielleicht führt dieses Entsetzen zu einer Abwendung von solchen
ZJ-ähnlichen Praktiken.
Angesichts solcher
Parallelen halte ich es für nötig, daß wir bei der Beurteilung zu einer
einheitlichen Linie finden. Entweder ist das leichtfertige Vorhersagen im Namen
Gottes nicht so schlimm, dann sollten wir es auch z.B. den ZJ nicht immer
wieder vorhalten. Oder es ist sehr wohl eine gefährliche und abzulehnende
Sache, dann sollten wir prüfen, inwieweit das auch unter uns vorkommt. Daß oft
mit zweierlei Maß gemessen wird, läßt sich etwa im Buch von William Goetz erkennen. Einerseits wird darin
das Buch Alter Planet Erde wohin von Hal Lindsey
empfohlen (S.47) - ein Buch mit vielen falschen Vorhersagen. Andererseits
werden die Zeugen Jehovas und andere ihrer falschen Vorhersagen wegen als
"Endzeit-Wirrköpfe" bezeichnet (S.19).
Wie es so schön heißt,
soll man ja zuerst vor der eigenen Tür kehren. Ich habe diese Reihenfolge, wie
ich gestehe, nicht ganz eingehalten. Aber nachdem ich bereits ausgiebig vor der
Tür der Zeugen Jehovas gekehrt habe (mit meinem Buch Charles T. Russell und die
Zeugen Jehovas. Der unbelehrbare Prophet, 1990), beeile ich mich nun, auch vor
der Tür der Evangelikalen einen Frühjahrsputz vorzunehmen.
Eine Beurteilung
abzugeben ist aber gar nicht so einfach, da auch eine Reihe von Unterschieden
zu beachten sind: Etwa der Unterschied, ob jemand eine bloße Vermutung äußert,
oder ob jemand mit dem Anspruch auftritt, Sicheres zu präsentieren. Der
Unterschied, ob jemand sagt, was kommen werde - unter Offenlassung des
Zeitfaktors, oder ob jemand die angekündigten Ereignisse für die unmittelbare
Zukunft, vielleicht auf einige Jahre, festlegt. Beim Feststellen dieser
Unterschiede ist aber noch in anderer Hinsicht zu unterscheiden, nämlich
zwischen Form und Inhalt: Manche Zugeständnisse sind bloß Lippenbekenntnisse
und ändern nichts am Inhalt. So wird gelegentlich Jesu Wort, daß niemand Tag
oder Stunde kennt, zitiert - der voreilige Leser könnte denken, daß der
betreffende Endzeitautor also die Zeitfrage völlig offenlassen möchte. Eine
genauere Betrachtung zeigt jedoch oft, daß dieses Wort Jesu dahingehend interpretiert
wird, daß niemand den ganz genauen Augenblick kennt, während aber - aufgrund
der "Zeichen der Zeit" - doch klar zu sein scheint, daß das Ende nun
in den nächsten Jahren kommen müsse. So gibt es also manches, was der Leser
zwecks korrekter Einschätzung sowie fairer Beurteilung eines Endzeitbuches
beachten muß.
5. Wie kann der Wert eines Endzeitbuches beurteilt werden?
Aus meiner Zeugen Jehovas-Beschäftigung ergab sich auch meine
Vorgangsweise: Wie ich den Zeugen Jehovas in meinem Buch Charles T. Russell und
die Zeugen Jehovas anhand der konkreten Ergebnisse ihrer Vorhersagetätigkeit
klarzumachen versuchte, daß diesbezüglich eine größere Zurückhaltung
angebracht wäre, versuche ich das nun auch hier. Ich untersuche also jene
evangelikalen Bücher, die vor ein oder zwei Jahrzehnten erschienen waren und
die aufgrund der damaligen politischen Konstellation das Ende als unmittelbar
bevorstehend darlegen wollten. Haben sich die damaligen Vorhersagen als
richtig herausgestellt? (Anstelle von "Vorhersagen" sollte ich
vielleicht präziser von den damaligen Versuchen der konkreten Ausdeutung
biblischer Endzeitaussagen sprechen.) Es handelt sich also um eine Art
empirische Erfolgskontrolle.
Ich möchte meine
Fragestellung noch etwas präzisieren. Es könnte ja sein, daß ein Autor im Jahr
1970 aufgrund der seinerzeitigen Weltsituation ein ganz konkretes
Endzeitszenarium entworfen hat, das sich etwa im Jahr 2000 wirklich erfüllt. In
gewisser Weise könnte man dann sagen, daß der Autor doch recht gehabt hat. Er
hat die Ereignisse vielleicht etwas zu nahe geglaubt, aber doch immerhin die
konkreten Beteiligten richtig identifiziert und Ereignisse, die irgendwann
tatsächlich eintreffen, vorhergesagt. Meine Frage ist nun nicht in erster
Linie, ob das von einem Autor Vermutete irgendwann doch einmal eintreffen wird
(was ich mit letzter Sicherheit ja nie ausschließen kann). Meine Fragestellung
lautet: War das von diesem Autor im Jahr 1970 Entworfene für seine damaligen
Leser eine Hilfe? Angenommen, er sagt Ereignisse vorher, die mehrere Jahrzehnte
danach tatsächlich eintreten, aber präsentiert sie seinen Lesern so, daß diese
damit rechnen, daß diese Ereignisse für die nächsten Jahre zu erwarten seien.
Die Leser stellen sich nun darauf ein, die Ereignisse bleiben aber
jahrzehntelang aus. In diesem Fall müssen wir urteilen, daß dieses Buch für die
damaligen Leser keine Hilfe war.
Ich möchte also objektiv
die Ergebnisse überprüfen. Ich werde feststellen, inwiefern Vorhersagen sich
erfüllt haben und inwiefern nicht. Getreu dem Motto: "Im nachhinein weiß
man es immer besser." Ich werde gelegentlich auch angeben, inwiefern die
bisherige Entwicklung eher in die andere Richtung geht. Damit will ich aber
nicht sagen, daß es nicht doch noch geschehen könnte. Ob ich selbst die
Erwartung einer bestimmten zukünftigen Entwicklung für wahrscheinlich halte
oder nicht, ist nicht wichtig. Ich möchte ja nicht selbst an dem
"Ratespiel" mitmachen.
Zu welchen Ergebnissen
hat meine "empirische Erfolgskontrolle" bei den ZJ geführt? Das betrachten
wir im folgenden Kapitel. Im Anschluß daran können wir prüfen, inwieweit es
dazu Parallelen auch im evangelikalen Raum gibt.
6. Rückblick auf die Vorhersagetätigkeit der Zeugen Jehovas
In meinem Buch über die Zeugen Jehovas habe ich mich besonders auf
deren Vorhersagen konzentriert. Für die Zeit bis 1914 hatte ihr Gründer Russell
vorhergesagt, daß es zu einer totalen Wende kommen werde: Die weltlichen
Regierungen werden abgesetzt, Jesus wird ab dann sichtbar und weltweit auf der
Erde regieren - das 1000jährige Friedensreich bricht an, während der Satan
gebunden ist. Tatsächlich brachte aber 1914 nicht den Frieden, sondern den bis
dahin größten Krieg.
Daraufhin wurde der
Zeitpunkt der Wende auf 1918 verschoben, danach auf 1925. Als auch dann die
Wende noch ausblieb, wurde kein konkretes Jahr mehr angegeben. Die weiterhin
aufrechterhaltene Demnächsterwartung manifestierte sich aber darin, daß ein
Haus gekauft wurde, das den Patriarchen des AT - deren Auferstehung erwartet
wurde - bei ihrer Rückkehr sofort zur Verfügung stehen sollte. Danach kamen
einige Jahrzehnte ohne besondere Vorhersage, bis neuerlich ein konkretes Jahr
ausgerufen wurde: 1975, allerdings vorsichtiger als früher - mit
Unsicherheitsklauseln versehen. Auch 1975 ging vorüber. Danach gaben die ZJ
kein konkretes Jahr mehr an, aber doch einen ungefähren Rahmen. Es wurde
behauptet, daß jene Generation, die 1914 miterlebt hat, auch das Ende (=
Harmagedon, Beginn des Millenniums) miterleben werde. Vor 1975 wurde das
dahingehend präzisiert, daß es um jene Menschen geht, die 1914 bewußt miterlebt
hatten - was ein Mindestalter von 12 Jahren bedeuten sollte. Außerdem wurde in
Anlehnung an Psalm 90 eine Generation mit 70 oder höchstens 80 Jahren umgrenzt.
Diese Deutung schien recht schön zu dem ohnedies verkündeten Ende für die Mitte
der 1970er Jahre zu passen. Als dieses nicht eintrat, begann eine schrittweise
Aufweichung sowohl der Länge einer Generation als auch des Mindestalters derer,
die 1914 miterlebt hatten: nur behutsam, Schritt für Schritt. Man gewinnt
folgenden Eindruck: Einerseits sollte der erwartete Endzeitpunkt hinausgeschoben
werden (und vertuscht werden, daß die bisherige Vorhersage eigentlich schon
danebengegangen war). Andererseits sollte die Demnächsterwartung
aufrechterhalten werden (im Sinne von: 'Es ist höchster Einsatz gefordert, bis
zum Ende ist es nur noch eine ganz kurze Zeit!').
Die konkrete Art und
Weise, wie Bibelstellen ausgelegt und kombiniert werden, hat sich also im Laufe
der Jahrzehnte gewandelt. Fest stand jedoch das Ergebnis: 'Jetzt gleich kommt
das Ende, wir sind die letzte Generation!' Hier sind wir also beim nächsten
Fehler, der aber leider nicht auf die ZJ beschränkt ist.
7. Der zweite Fehler: 'Wir sind die letzte Generation!'
a) Ein gleichbleibendes Gefühl: Das Ende zieht herauf
Ob in den 1980er Jahren oder 1953 oder 1930 - die Zeit scheint
stehengeblieben zu sein, denn immer hatten die Beobachter das Gefühl, nun
unmittelbar vor dem Ende zu stehen. Nach Jakob Zopfi (1982) kann es nicht mehr lange dauern: "Dieser
Diktator = Antichrist steht damit vor der Tür." (S.73) Nach William Goetz (1981) ist es "offenbar, daß
die prophetische Stunde weit vorgerückt ist. Harmagedon - die Kulissen werden
gesetzt, und zwar sehr schnell." (S.230) Das klingt dramatisch, und der
Leser erkennt, daß nicht mehr viel Zeit bleibt. Blickt er aber in ältere
Bücher, so findet er dort ganz ähnliche Formulierungen.
Bei Billy Graham konnte man schon 1953 lesen:
"Der Antichrist, vor dem die Propheten warnten, daß er in den letzten
Tagen erscheinen würde, wächst und nimmt Gestalt an vor unseren Augen"
(Ich zitiere nach der 10. Taschenbuchauflage 1971, S.151). Graham war sich
damals ziemlich sicher, daß die Endzeit-Ereignisse unmittelbar bevorstanden:
"Wir wissen, daß der Antichrist erscheinen und versuchen wird, die Seelen
und Herzen der Menschen zu verführen. Die Zeit rückt nahe, die Zielstrecke ist
schon abgesteckt - Verwirrung, Panik und Furcht herrschen draußen vor. Die
Anzeichen des falschen Propheten sind überall zu erkennen, und viele von uns
mögen lebendige Zeugen des furchtbaren Augenblicks werden, wenn der letzte Akt
dieses uralten Dramas beginnt. Es kann sehr wohl in unserer Zeit geschehen,
denn das Tempo ist sehr rasch, die Ereignisse überstürzen sich, ..."
(S.46; 1954er-Ausgabe S.56f).
Und wenn wir noch weiter
zurückgehen, nämlich bis 1930, lesen wir Ähnliches: "Wir können nur sagen,
daß heute sowohl auf politischem als auch auf wirtschaftlichem und religiösem
Gebiete geradezu fieberhaft gearbeitet wird, um das Erscheinen des Antichristen
vorzubereiten."
So zu lesen bei Friedrich
HEITMÜLLER: Die kommenden Dinge (Hamburg 1930, S.32). Er lebte von 1888-1965,
gehörte den freien evangelischen Gemeinden an und war in Norddeutschland im
Bereich Diakonie sowie Evangelisation tätig.
1981 hieß es also:
"die prophetische Stunde ist weit vorgerückt", aber schon 1953 war zu
lesen: "Die Zeit rückt nahe". 1981 hieß es: "die Kulissen werden
gesetzt, und zwar sehr schnell", aber bereits 1953 war zu lesen: "die
Zielstrecke ist schon abgesteckt ... das Tempo ist sehr rasch".
1953 hieß es also:
"Der Antichrist ... wächst und nimmt Gestalt an vor unseren Augen",
aber schon 1930 war zu lesen: Es wird "geradezu fieberhaft gearbeitet, um
das Erscheinen des Antichristen vorzubereiten".
Ob 1981 oder 1953 oder
1930: Immer konnte man den Eindruck haben, unmittelbar vor den allerletzten
Ereignissen zu stehen. Immer konnte man davon überzeugt sein, der letzten
Generation anzugehören. Diese Überzeugung führt dann dazu, daß alle Gegenwartserscheinungen
mit den biblischen Endzeitaussagen verknüpft werden - und siehe da, es scheint
immer zu passen! Man wird dabei an die Worte des Predigers 1,9 erinnert:
"Was man getan hat, wird man wieder tun: Es gibt nichts Neues unter der
Sonne." Diesen Ausspruch könnte man hier auf das Schema anwenden. Was
Subjekte - also Endzeitautoren - betrifft, sowie Objekte - also die Schauspieler
auf der Bühne des Endzeitdramas -, so gibt es durchaus Neues. Neue Namen treten
auf, und neue Kombinationen. Aber das Schema bleibt gleich:
Die Voraussetzung: Die
heutige politische Konstellation ist die unmittelbare Ausgangsbasis für die
Endzeitereignisse; bis dahin gibt es keine größeren politischen Veränderungen
mehr, sondern bloß ein Fortschreiten auf den absehbaren Bahnen.
Die Aufgabenstellung: Die
heutige politische Konstellation muß mit den biblischen Endzeitaussagen
kombiniert werden.
b) Die heutige politische Konstellation als Ausgangsbasis
Veränderte politische Konstellationen
Zu Heitmüllers Zeit gab
es den Völkerbund, den Vorläufer der UNO. Und da die damalige politische
Konstellation direkt in die Endzeitereignisse einmünden sollte, war auch für
den Völkerbund eine wichtige Aufgabe vorgesehen:
"Wenn ich recht
sehe, wird sich aus dem jetzigen Völkerbund der zukünftige Zehnstaaten-Bund
entwickeln, an dessen Spitze der Antichrist stehen wird." (S.32) Da
"der Zehnstaaten-Bund der Endzeit das wieder erstandene römische
Reich" sein soll (S.36) - und zwar in den damaligen Grenzen -, wird nicht
bloß das linksrheinische Gebiet weiterhin bei Frankreich bleiben, sondern auch
"Baden, Württemberg und der größte Teil von Bayern ... werden in kommenden
Tagen von Norddeutschland losgerissen werden und wieder zum römischen Reiche
gehören." (S.37)
Der Völkerbund ist
vergangen, das Ende ist noch immer nicht da. Und derzeit sieht es so aus, daß
sich auch der Kommunismus stalinscher Prägung aus Europa verabschiedet. 1953
sah das noch anders aus. Das Jahr, in dem William (= Billy) Franklin Grahams
Buch herauskam, ist gleichzeitig auch das Todesjahr Stalins. Graham hatte beim
Schreiben also die Sowjetunion zur Zeit ihrer größten politischen Macht vor
Augen:
"Vor allem stehen
wir der gewaltigen Macht des Kommunismus gegenüber - des größten,
bestorganisierten und unverhohlensten Feindes des Christentums, der der Kirche
seit den Tagen des heidnischen Roms entgegengetreten ist. Der Antichrist, vor
dem die Propheten warnten, daß er in den letzten Tagen erscheinen würde, wächst
und nimmt Gestalt an vor unseren Augen - ein kühner, eherner, gut bewaffneter
Antichrist, der sich nicht bücken wird, um seine Identität zu verhüllen oder
seine Absicht zu verdecken." (S.151f)
Die Einschätzung des
Kommunismus als mächtiger Christenfeind ist sicherlich richtig. Doch können wir
wirklich sicher sein, daß der Antichrist aus dem Lager des Kommunismus kommen
wird? Graham sagt es nicht ganz ausdrücklich, vom Zusammenhang her führt er den
Leser aber doch in diese Richtung. (Übrigens hat Wilhelm Busch im Geleitwort
auf diesen möglichen Kritikpunkt an Grahams Buch, die Verbindung des
Antichristen mit dem Kommunismus, hingewiesen.)
So beobachten wir bei
zahlreichen Endzeitautoren das, was Lindsey im Vorwort über Gerths Buch sagt:
"In seinen Ausführungen wird biblische Prophetie mit großer Genauigkeit,
Einfühlungsvermögen und geistlichem Durchblick auf die Ereignisse unserer Zeit
angewandt." (S.6) Das wird man Gerth und anderen Endzeitautoren durchaus
zugestehen. Aber ob man das tun soll - hier setze ich ein Fragezeichen. Die
permanenten Mißerfolge jener, die das versuchen, zeigen doch deutlich, daß wir
nicht die biblische Prophetie auf unsere jeweilige Gegenwart anwenden sollen,
um unsere Anwendungen dann alle paar Jahre wieder ändern zu müssen. Das hat
doch mit einem respektvollen Umgang mit den biblischen Aussagen nichts mehr zu
tun.
Diese Gefahr wird auch in
Gerths Warnung angerissen: "Bei der Einordnung von Ereignissen in das
Endzeitpuzzle müssen wir uns vor falscher und spekulativer Prognose
hüten." (S.80) Nun zeigt die Erfahrung, daß es für die
"Puzzlespieler" kaum möglich ist, vor "falscher und spekulativer
Prognose" bewahrt zu bleiben. Das gilt auch für Gerth selbst - auch ihm
ist es nicht gelungen, seine eigene Warnung zu befolgen. Daraus ergibt sich die
Frage, ob wir denn bei diesem Puzzle unbedingt mitspielen müssen? Hat Gott uns
dazu beauftragt?
In seinem Buch Armageddon
Now dokumentiert Dwight WILSON die Neigung, bestimmte Rollen im unmittelbar
bevorstehenden Harmagedon auf die jeweiligen zeitgenössischen Größen zu
verteilen, über viele Jahrzehnte hinweg.
Gleiche politische Konstellationen
Betrachten wir noch ein
konkretes Beispiel aus dem Jahr 1949. Dabei können wir beobachten, wie 1.
Demnächsterwartung, 2. Anhaltspunkte-Überbewertung und 3. Nachrichtenselektion
zusammenwirken. Ergebnis: 'Jetzt gleich ist es soweit!'
Fünning schrieb damals
sein Büchlein über Israel. Kurz nach der Staatsgründung Israels (1948) gab es
dort eine starke Einwanderung von Juden. Fünning zitiert verschiedene
Statistiken und Prognosen. Die einen rechnen mit 11000 Auswanderern monatlich,
andere mit 25000. Welche Zahl auch immer stimmte, bei ca. 3 Millionen europäischen
Juden war es jedenfalls offensichtlich übertrieben, was im American Hebrew
geschrieben wurde: "In einem Jahr oder mehr wird die sogenannte
Zerstreuung der Juden in Europa, die 2000 Jahre währte, ein Ding der
Vergangenheit sein." Das wird aber von Fünning alles getreulich vermerkt,
wie auch seine eigene Schlußfolgerung: "Bei diesem Tempo wird Europa in
einigen Jahren seine Juden verloren haben ..." (S.14) Das Tempo hat sich
verlangsamt, und auch heute hat Europa erst einen Teil seiner Juden verloren.
Aber auch 1980 war ein Endzeitautor in dieser Stimmung, als ob der Abschluß
dieser Sammlung schon bevorstände: "Je mehr sich aber die Sammlung der
Kinder Israels ihrer Vollendung nähert, desto mehr nähert sich auch die
kosmische Katastrophe, von der die Bibel spricht, ihrer Erfüllung."
(Malgo: Heil 40)
Bemerkenswert an Fünnings
Schrift aus dem Jahre 1949 ist vor allem der Vergleich mit der neueren
Endzeitliteratur. Wie sehr sich doch die Formulierungen gleichen! Auch damals
rechnete man mit dem Wiederaufbau des Tempels und registrierte alle möglichen
Anhaltspunkte dafür, auch wenn es sich vielleicht nur um unbestätigte Gerüchte
handelte: "Schon heute soll in Jerusalem ein Talmud-Seminar vorhanden
sein, in welchem die Tieropfer mit großem Eifer heimlich studiert werden, in
der Hoffnung, daß der salomonische Tempel bald wieder an seiner früheren
Stätte gebaut wird, in welchem sie dann die Tiere opfern wollen." (S.17)
Wie viele der damaligen Studenten werden heute wohl noch am Leben sein? Bemerkenswert
bei solchen Gerüchten ist: Das alles geschieht natürlich heimlich, d.h. auch
unüberprüfbar. In der Gerüchteküche brodelt es weiter, 1981 "ist uns
bekannt, daß ein ziemlich starkes Interesse für einen Wiederaufbau des Tempels
vorhanden ist (nach unbestätigten Berichten sollen bereits Steine dafür
behauen und nach Jerusalem transportiert worden sein ...)" (Goetz 161)
Für Fünning war es damals
"klar und deutlich, der Einfall Rußlands in Palästina rückt immer näher.
Ja, der Eifer, und die Leidenschaft, mit der Rußland im Osten vordringt, läßt
auf eine baldige gewaltsame Katastrophe schließen." (S.39) Deshalb sollten
sich die Juden auch nicht über die russische Absicht freuen, in Tel-Aviv ein
Konsulat einzurichten: "Wenn die Juden ihre eigene Bibel (z.B. Hes 38)
kennen würden, dann hätten sie sich nicht so gefreut. ... Das sind gründliche
Vorbereitungen für Hes 38,13." (S.15) Fünnings Befürchtung hätte sich dann
als sinnvoll erwiesen, wenn es wenige Jahre darauf tatsächlich zu diesem
russischen Angriff gekommen wäre. Wenn es aber zu diesem Angriff erst wesentlich
später kommt, so kann die Pflege diplomatischer Beziehungen mit Rußland über
ein halbes Jahrhundert hinweg für Israel durchaus nützlich sein. Im Jahr 1980
gilt dieser Angriff noch immer als unmittelbar bevorstehend: "Wenn bei der
Drucklegung dieser Zeilen die Sowjets noch nicht bis zum Persischen Golf
durchgestoßen sind und Israel noch nicht überrannt haben, so ist es unnötig zu
sagen, daß diese letzte Aggression der Russen bevorsteht." (Malgo:
Aufmarsch 97)
Rußland braucht Iran als
Verbündeten, um auf dem Landweg auf Israel zumarschieren zu können. Aber alles
das zeichnete sich 1949 schon ab: "Dann in Iran (Persien) fand kürzlich
ein Regierungswechsel statt; die neue Regierung ist russenfreundlich. ... Dies
ist ein weiterer Schritt zu den reichen Ölfeldern Irans, und für den Einfall in
Palästina." (S.37) Und 1980 hieß es: "Noch hat der 'russische Bär'
erst Afghanistan eingeheimst, aber bald schon wird er seine Pranke auf den Iran
legen." (Malgo: Aufmarsch 35)
An solchen Beispielen
sehen wir, daß die Demnächsterwartung der Endzeitliteratur sich nicht bloß auf
die Wiederkunft Jesu bezieht. Auch für ganz konkrete politische Ereignisse
gilt, daß sie immer wieder für die unmittelbar nächsten Jahre erwartet wurden.
Ist das wirklich unsere Aufgabe als Christen, uns selbst und andere in dieser
Dauerspannung zu halten?
Ich verwende den Begriff
"Demnächsterwartung" zur Kennzeichnung einer Haltung, die das Ende
und die damit zusammenhängenden Ereignisse für die nächsten Jahre erwartet.
Warum ich dafür nicht einfach den gebräuchlichen Begriff
"Naherwartung" verwende? Dadurch, daß oft davon gesprochen wird, daß
Jesus und seine Anhänger in einer Naherwartung lebten (und auch die späteren
Christen das tun sollen), auch wenn es bis zum Ende doch noch länger dauerte
(dauern könnte), ist dieser Begriff nicht mehr so gut mit einem auf wenige
Jahre eingeschränkten Sinn zu verbinden.
Fünning lebte in solch
einer Demnächsterwartung. 1949 schrieb er, "daß der Antichrist nun bald
erscheinen wird". Ist dieser vielleicht schon da? Fünning: "ich
glaube, daß derselbe schon am Leben ist, doch als Antichrist ist er noch nicht
geoffenbart worden ..." (S.4f; zuvor muß es ja zur Entrückung der Gemeinde
kommen.) 40 Jahre später schrieb Gerth über den Antichristen: "Ich gehe
davon aus, daß er irgendwo bereits lebt." (S.166) Die Äußerungen sind
nahezu austauschbar.
Wir sehen hier, wie die
Demnächsterwartung zu einer einseitigen Auswahl von Nachrichten führt.
c) Welche Motive stehen hinter der Demnächsterwartung?
Im Hintergrund der Demnächsterwartung scheint die Überzeugung
stehen, daß die Generation, der wir selbst angehören, eine ganz besondere
Bedeutung hat:
"Es ist beinahe
unglaublich: wir erleben ... eine Zeit menschlicher Geschichte mit, in der
eine solche Fülle von Prophetie ... vor unseren Augen buchstäblich Wirklichkeit
wird!" (Goetz 70)
"Vor unseren Augen entstehen
die Staatenbünde für dieses endzeitliche Geschehen! Vor unseren Augen erfüllt
sich das göttliche Prophetenwort." (Zopfi 65)
"Die Prophetie der
Bibel wird Geschichte, Gegenwartsgeschichte. Und wir sind Zeugen!" (Baar
12)
"Wenn wir offene
Augen und Ohren haben, um den gewaltigen Heilsplan Gottes zu verstehen, können
wir erkennen, daß wir in der aufregendsten Zeit der Weltgeschichte leben."
(Gerth 61)
Ähnliche Aussagen konnte
man aber auch schon 1949 lesen: "Wir leben heute in einer sehr wichtigen
Zeit. ... Weissagungen vor Jahrtausenden geschaut und gegeben, gehen heute in
Erfüllung. Das war vielen Geschlechtern vor uns nicht vergönnt, zu erleben, das
erleben wir." (Fünning 45)
Hinter dieser Überzeugung
kann vielleicht auch eine Überschätzung der eigenen Bedeutung stehen. So daß
ich also denke: 'Mit mir hat die Weltgeschichte ihren Höhepunkt erreicht, mit
mir muß sie auch enden, nach mir kann nichts mehr kommen.' Mitunter ist auch -
insbesondere bei älteren Menschen - der Wunsch damit verknüpft, nicht mehr
sterben zu müssen, sondern unmittelbar in das Reich Gottes hinübergehen zu
können.
Übrigens läßt sich der Pietist Johann Albrecht Bengel nicht hier einordnen. Zwar ist
er dafür bekannt, die Wiederkunft Jesu für 1836 berechnet zu haben, aber er
selbst lebte etwa ein Jahrhundert vor diesem Zeitpunkt. Bei ihm handelte es
sich also nicht um die Haltung 'Wir sind die letzte Generation'.
8. Der dritte Fehler: Tendenziöse Zitat-Auswahl
a) Bevorzugt: 'In drei Jahren große Katastrophe!'
Auch von der Bibel her argumentierende Autoren verwenden mitunter
gerne "weltliche Autoritäten", um die eigene Ansicht zu stützen. Das
geschieht aber meist nur selektiv. Derselbe Autor, der ein
"wissenschaftliches Ergebnis" zitiert, wo es sich zur Bestätigung
der eigenen Ansicht eignet, kann bei anderer Gelegenheit auch durchaus die
Unzuverlässigkeit aller Wissenschaft hervorheben - dort, wo seine Ansicht mit
wissenschaftlicher Meinung kollidiert.
In ähnlicher Weise führt
auch die Haltung 'Wir sind die letzte Generation!' dazu, bestätigende weltliche
Größen heranzuziehen, während aber alles andere, was nicht dazupaßt, als
unmaßgeblich beiseitegelassen wird. So verweist Fritz Hubmer, als er im Jahr 1958 das Ende bevorstehend fühlte, auf
Richard Wagner, der das ja schon lange zuvor geahnt zu haben schien: "Mit
einem überraschenden Scharfsinn hat Richard Wagner aus der damals sich
anbahnenden Entwicklung heraus geahnt, daß um die Mitte des 20.Jahrhunderts der
Lauf der Geschichte das endgeschichtliche Weissagungsbild der Offenbarung
Johannes erreicht haben könnte." (S.199)
Wird der kommunistische
Osten einmal Westeuropa überrollen? Heute können wir in Osteuropa nicht mehr
viel Kommunistisches erkennen, aber wie sah das 1988/89 aus? Damals war das
noch nicht so deutlich zu erkennen. Folgende Einschätzung werden zu diesem
Zeitpunkt aber nicht mehr viele Experten gehabt haben: "Henry Kissinger
hat sogar schon behauptet, daß ganz Westeuropa in einigen Jahren kommunistisch
sein werde." (Gerth S.90) Bei dem hier zitierten Kissinger handelt es sich
zweifellos um einen kompetenten Mann, aber dessen Äußerung liegt schon einige
Zeit zurück. Klaus Gerth hatte
dieses Zitat nämlich bereits 1982 gebracht (ohne Beleg und ohne Zeitangabe).
Wenn er dieses Zitat auch in der "vollständig überarbeiteten und
aktualisierten" Auflage von 1989 unverändert beibehielt, so nahm er damit
eine sehr einseitige Auswahl vor, denn dieses Zitat ist sicherlich nicht
repräsentativ für die Einschätzung der Situation um 1989 seitens der Experten.
Im Jahr 1982 gab es eine
seltene Planetenstellung: Alle Planeten unseres Sonnensystems standen genau in
einer Linie. Zu dieser Planetenkonstellation konnte man in Bibel und Gemeinde
(1985, S.305) recht scharfe Worte lesen: "Das war schon ein bemerkenswertes
Ereignis, aber zur Ursache für Katastrophen konnte es nur durch unwissende
Phantasten hochstilisiert werden." Tatsächlich brachte dieses Ereignis
auch keine Katastrophen. Nun zitierte Klaus Gerth in seinem 1982 erschienenen
(also wohl 1981 geschriebenen) Buch ausgerechnet einen solchen Astronomen, der
die Wirkung dieser Planetenparade äußerst stark veranschlagt hatte (nämlich
Heinz Kaminski, Honorar-Professor an der Gesamthochschule Essen; meines Wissens
hat er keine akademische Laufbahn durchlaufen, d.h. weder Promotion noch
Habilitation), der meinte: "Die starken Gravitationskräfte werden die Erde
regelrecht auseinanderziehen. ... Der Boden der künstlich angelegten Stauseen
wird dem ungeheuren Gravitationsdruck nicht gewachsen sein. Riesige Erdrisse
sind die Folgen." (S.23) Wenn Gerth gerade eine solche extreme
Einschätzung zitiert und sonst keine, geht er sehr selektiv vor.
Der durch Jimmy Carter
vermittelte Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel paßte überhaupt nicht
in die politische Erwartung von Wim Malgo
- hatte dieser doch mit dem Besitz der Sinai-Halbinsel durch Israel bereits den
von Gott gewollten Endzustand erreicht geglaubt. Daher meinte Malgo, daß dieser
Vertrag keinen wirklichen Frieden bringen werde. Als Gewährsmann (etwa als
"neutrale Autorität"?) dafür zitiert er Yassir Arafat (Heil 33).
Bei solchem Auswählen
erhält man folgenden Eindruck: Bevorzugt wird nicht der kompetenteste Fachmann,
sondern derjenige, der die schlimmsten Befürchtungen zum Ausdruck bringt.
Dadurch erhält der Leser ein verzerrtes Bild der Lage. Nun beurteile ich die
Weltsituation durchaus nicht als rosig. Aber niemandem ist gedient, wenn
Bücher mit der Ankündigung von zwar möglichen, aber nicht sehr wahrscheinlichen
militärischen Angriffen und ökologischen Katastrophen gefüllt und die Leser
damit in eine "apokalyptische Stimmung" versetzt werden. "Welch
apokalyptisches Bild!" ruft Marius Baar
(S.57). Richtig. Doch es war Baar, der durch eine Zusammenstellung
verschiedener Nachrichten dieses Bild erzeugt hat.
"Eine wahrlich
angstmachende Aussage!" Diese Charakterisierung Gerths trifft auf viele in
solchen Endzeitbüchern enthaltenen Aussagen zu. Gerth bezieht das auf die 1980
geäußerte Erwartung von Deng Xiao-ping, daß die Sowjetunion - unter Hinweis auf
die Invasion in Afghanistan - den Nahen Osten seiner Ölquellen wegen
beherrschen will: "Der starke Mann Chinas läßt uns noch wissen, daß sich
die Europäer mit der Hoffnung selbst betrügen, den Krieg vermeiden zu
können." (Gerth 1989, S.148) Warum brachte Gerth eine solche
"angstmachende Aussage" zu einem Zeitpunkt, wo sie sicherlich nicht
mehr aktuell war? (Ganz abgesehen davon, daß ein chinesischer Spitzenpolitiker
auch nicht derjenige ist, von dem eine objektive Beurteilung der Sowjetunion zu
erwarten ist.)
Es fällt auch auf, daß vorzugsweise solche Zitate zusammengestellt
werden, die von besonderen Gefahren in den unmittelbar bevorstehenden Jahren
sprechen. Dem Leser wird dadurch suggeriert, daß gemäß übereinstimmender
Ansicht auch weltlicher Experten gerade die nächsten Jahre eine besonders
dramatische Zuspitzung bringen werden. Das 1981 erschienene Buch von William Goetz zitiert eine Quelle, wonach die
Sowjetunion um 1983 einen vorübergehenden großen militärischen Vorsprung vor
den USA haben werde, woraus die Versuchung entstehen könnte, diesen Vorsprung
in einer Militäraktion auszunutzen (S.125f). Auch auf einem anderen Gebiet
werden die nächsten Jahre Dramatisches bringen: "Experten warnen, ... daß
Mitte der achtziger Jahre eine besonders starke Erdbebenhäufigkeit eintreten
könnte" (S.193).
b) Korrektes Zitieren?
Bei der Beurteilung der Auswahl von Zitaten ist auch die Frage
aufzuwerfen, ob die Zitate überhaupt stimmen. Abgesehen von Bibelversen,
verzichten viele Endzeitautoren teils ganz auf die Belege, teils bringen sie
diese nur ungenau. Oft weiß der Leser weder, wann sie geäußert wurden, noch
kann er den Zusammenhang nachlesen.
Eine Nachprüfung, ob die
Zitate überhaupt stimmen, ist dann auch nicht möglich. Ich nenne hier ein
Beispiel für einen zweifelhaften Sachverhalt. Klaus Gerth schrieb 1982:
"Vielleicht scheint uns das Wort 'Scherbenhaufen' ein wenig zu grob
gewählt. Aber betrachten wir nur den wirtschaftspolitischen Zustand der
Bundesrepublik Deutschland zum Zeitpunkt der Haushaltsdebatte im Deutschen
Bundestag im Sommer 1981, so finden wir diese Vokabel bestätigt. 'Untergang',
'finanzielles Fiasko', 'furchtbares Defizit', so und ähnlich lauteten die
Bezeichnungen der Bundestagsabgeordneten für die Wirtschafts- und
Finanzpolitik." (S.138) Sehen wir nun von der Frage ab, ob die
wirtschaftliche Situation der BRD durch die Wiedergabe solcher Kennzeichnungen
wirklich treffend charakterisiert wurde. In der neubearbeiteten Auflage von
1989 behielt Gerth diesen Abschnitt bei, ersetzte aber das in meinem Zitat
kursiv Gedruckte durch folgenden Text:
"mancher EG-Länder
(als Beispiel nenne ich Portugal und Griechenland)" (S.147)
Die von den
Bundestagsabgeordneten verwendeten Ausdrücke bleiben also gleich, nun erscheint
diese Diskussion aber so, als hätte sie sich um schwächere EG-Länder gedreht!
Subjekte und Ausdrücke bleiben gleich, das Objekt wurde ausgetauscht. Ein
solcher Austausch innerhalb eines Zitates wirkt mißtrauenswerweckend.
Auch Wim Malgo paßt
Zitate an die veränderte Situation an. 1984 zitierte er einen "neueren
Bericht", in dem z.B. "die jetzige Nachrüstung der USA durch
Präsident Reagan." angesprochen wurde (Bibel 29). In einer Neuauflage von
1990 wurde aus dem "neueren Bericht" einfach ein "Bericht".
Die Erwähnung Reagans würde dem Leser zeigen, daß der Bericht schon mehrere
Jahre alt ist, so daß die darin angesprochene "jetzige Nachrüstung der
USA" auf 1990 vielleicht gar nicht mehr zutrifft. Malgo verändert das
Zitat nun darin, daß der einfach "die jetzige Nachrüstung der USA."
sagt, ohne aber die Auslassung "durch Präsident Reagan" zu
kennzeichnen. Und an späterer Stelle des Zitates schreibt er anstelle von
Reagan-Administration einfach US-Administration. Darf der Leser nicht wissen,
daß sich dieses Zitat auf die Zeit Reagans bezieht? Soll dem Leser der Eindruck
vermittelt werden, daß es auch 1990 in den USA noch eine Nachrüstung gibt,
obwohl das vielleicht gar nicht mehr stimmt? (Falls es doch stimmt, könnte
Malgo sich ja auf eine aktuellere Quelle beziehen.) Hier zeigt sich eine äußerst
bedenkliche Methode des Zitierens! Wie sehr können wir uns auf Zitate
verlassen, wenn sich der Zitierende frei fühlt, diese an manchen Stellen zwecks
Aktualisierung einfach auszubessern?
Im selben Buch bringt
Malgo auch das fälschlich Heinrich Heine zugeschriebene Gedicht:
"Zerschlagen ist die
alte Leier
am Felsen, welcher Christus heißt, ..." (S.125)
Die Quellenangabe fehlt,
eine solche wäre auch kaum möglich. Peter Walter
ist den religiösen Äußerungen Heines sowie dem Ursprung dieses Gedichtes
nachgegangen (veröffentlicht im factum 1987, Sept. und Okt.). Dabei zeigt er,
daß ein Gedicht dieses Inhaltes erstens in der Heine-Forschung völlig unbekannt
ist und zweitens zu Heines Denken, auch jenem der späteren Jahre, nicht passen
würde. Den Ursprung dieses Gedichtes konnte er bis 1973 zurückverfolgen, wo es
(ohne Quellenangabe!) auftaucht. Seither hat es sich in der evangelistischen
Literatur verbreitet und scheint dort nicht mehr auszurotten zu sein. Daran
wird auch Walters Artikel nicht schlagartig etwas ändern, denn das factum
erscheint in einer Auflage von knapp 10000 Stück, das Buch Malgos hat die
Million bereits deutlich überschritten (und wurde in über 20 Sprachen
übersetzt). Malgos Text ist also 100mal so verbreitet wie der von Walter.
Bei dieser Art der
Textproduktion ist auch an die warnenden Worte von Weyer-Menkhoff zu erinnern:
"Können christliche Prediger und Schriftleiter es verantworten, so ungenau
mit der Wahrheit umzugehen, Prediger, die doch Stimme dessen sein wollen, der
die Wahrheit ist?" (S.5)
Die Tatsache, daß diese
Art von Endzeitliteratur eine so enorme Verbreitung findet, war in Verbindung
mit den gewichtigen Mängeln dieser Literatur ein starkes Motiv für mich, mein
Buch zu verfassen.
9. Biblische Beurteilung von Fehlvorhersagen
Das Schema 'Wir sind die letzte Generation' führt auch immer
wieder zu Präzisierungen, die sich jedenfalls in der Vergangenheit durchwegs
als Irrtümer erwiesen haben. Wie sollen wir solche Irrtümer beurteilen? Handelt
es sich einfach um Irren, das ja bekanntlich menschlich ist - und daher
verständlich und entschuldbar? Oder messen wir hier mit zweierlei Maß - je
nachdem, ob es sich um 'Sektierer' oder um anerkannte Evangelisten handelt?
Erinnern wir uns nochmals
an die lange Geschichte der falschen Vorhersagen der Zeugen Jehovas. Da fallen
uns auch harte Urteile ein. Wie heißt es doch in 5.Mose 18,20-22:
"Ein Prophet, der
sich anmaßt, in meinem Namen ein Wort zu verkünden, dessen Verkündigung ich ihm
nicht augetragen habe, oder der im Namen anderer Götter spricht, ein solcher
Prophet soll sterben. Und wenn du denkst: Woran können wir ein Wort erkennen,
das Jahwe nicht gesprochen hat?, dann sollst du wissen: Wenn ein Prophet im
Namen Jahwes spricht und sein Wort sich nicht erfüllt und nicht eintrifft, dann
ist es ein Wort, das nicht Jahwe gesprochen hat. Der Prophet hat sich nur
angemaßt, es zu sprechen."
Auf dieses Kriterium
weisen evangelikale ZJ-Kritiker regelmäßig hin. Nun sind die ZJ auch nicht auf
den Mund gefallen, und so finden sie zahlreiche Wege der Verteidigung. Der
erste Weg heißt Möglichkeit, nicht Sicherheit: 'Die damaligen ZJ hatten
lediglich von der Möglichkeit gesprochen, daß es so kommen könnte.'
Inwieweit das stimmt,
prüfen wir im nächsten Kapitel. Jedenfalls sind wir hier auf einen wichtigen
Unterschied aufmerksam geworden, indem wir stets fragen: Mit welchem Anspruch
verkündet jemand seine Endzeitdeutungen?
Denn wir müssen uns davor
hüten, jemanden vorschnell als "falschen Propheten" zu etikettieren.
Wie ist jemand zu beurteilen, der sich beim Lesen der biblischen
Endzeitaussagen darüber Gedanken macht, wie diese gemeint sein könnten, diese
Gedanken jedoch für sich behält; was ist, wenn sich seine Gedanken nachträglich
als falsch herausstellen? War dieser Bibelleser nun ein "falscher
Prophet"?
In einem solchen Fall
wäre eine solche Bezeichnung nicht treffend. Denn es ist sicherlich zu
unterscheiden, ob jemand für sich persönlich von einer bestimmten Erwartung
überzeugt ist (eventuell auch mit einem vertrauten Freund darüber spricht),
oder ob er seine Vorhersage öffentlich bekanntmacht, indem er sie etwa in einem
Buch mit hoher Auflage verbreiten läßt. Nur in letzterem Fall tritt er ja
wirklich als Prophet auf. Ein weiteres Kriterium hatten wir schon angesprochen:
Es ist zu unterscheiden, ob jemand seine Vorhersage als etwas Sicheres oder
doch zumindest sehr Wahrscheinliches hinstellt oder bloß von einer Möglichkeit
spricht. Dann gibt es noch ein drittes Kriterium: Es ist zu unterscheiden, ob
sich jemand auf Gott beruft als Quelle seiner Vorhersage, ob er also "im
Namen Gottes" spricht. Wenn jemand etwas vorhersagt, ohne sich dabei auf
Gott als seine Quelle zu berufen, ist er kein "falscher Prophet" im
Sinne von 5.Mose. Dabei denke ich etwa an Vorhersagen in den Bereichen von
Sport, Wirtschaft oder Politik ('ich nehme an, daß die Partei xy bei dieser
Wahl nicht mehr die absolute Mehrheit bekommen wird ...'). Entscheidend ist, ob
er sich auf Gott als seine Quelle beruft. Wie dabei der Weg aussieht, auf dem
er die Vorhersage von Gott bekommen haben will, scheint mir nicht so wichtig zu
sein. Ob er sich also auf eine Vision beruft, oder ob er meint, beim Bibellesen
von Gott so erleuchtet worden zu sein, daß er bisher unentdeckte Zusammenhänge
erkennt und nun durch Kombination und neuartige Ausdeutung verschiedener
Bibelstellen auf diese Vorhersage kommt - in beiden Fällen beruft er sich
letztlich auf Gott, der ihm diese Vorhersage übermittelt hat. Etwas anderes ist
es natürlich, wenn diese Vorhersage expressis verbis in der Bibel enthalten ist
und ein Bibelleser darauf stößt und nun andere darauf hinweist - sollte diese
Vorhersage dann nicht eintreffen, so läge die Schuld nicht bei dem Bibelleser,
sondern bei der Bibel selbst. Das sollen sich auch alle Endzeitautoren vor
Augen halten, wenn sie ihre Auslegungen im Sinne von 'ich lege nur dar, was
die Bibel sagt' präsentieren. Ein Versagen ihrer Auslegungen würde dann umso
stärker die Bibel belasten.
Betrachten wir noch ein -
auch von der WTG selbst zitiertes - konkretes Beispiel für einen falschen
Propheten, wie er im Buch Jeremia beschrieben wird. Noch bevor der babylonische
König Nebukadnezar Jerusalem erobert hatte, sagte Hananja das baldige Ende
dieses Königs voraus. Jeremia dazu: "Der Prophet aber, der Heil weissagt -
an der Erfüllung des prophetischen Wortes erkennt man den Propheten, den der
Herr wirklich gesandt hat." (Jeremia 28,9) Im Bericht heißt es weiter:
"Da nahm der Prophet Hananja das Jochholz vom Nacken des Propheten Jeremia
und brach es entzwei. Vor dem ganzen Volk erklärte Hananja: `So spricht Jahwe:
Ebenso nehme ich binnen zwei Jahren das Joch Nebukadnezzars, des Königs von
Babel, vom Nacken aller Völker und zerbreche es.' Der Prophet Jeremia ging
seines Weges."
Man könnte nun versuchen,
die Vorhersage Hananjas noch irgendwie mit folgender Begründung zu
rechtfertigen: `Gut, seine Zeitangabe hat zwar nicht ganz gestimmt, aber der
Inhalt seiner Botschaft war ja doch richtig. Zwar nicht innerhalb von zwei
Jahren, aber doch innerhalb eines Jahrhunderts ging seine Vorhersage in
Erfüllung.' Das könnte man zwar versuchen, aber Gott macht bei diesen Versuchen
nicht mit. Der Bericht über den falschen Propheten endet tragisch: "Im
siebenten Monat desselben Jahres starb der Prophet Hananja." (Jer.28,17)
Übrigens verweisen auch
evangelikale Endzeitautoren häufig auf diese klassische Stelle 5.Mose 18. So
z.B. Lindsey (S.19f). Dabei denken sie aber bloß an die alttestamentlichen
Propheten, nicht so sehr an die Überprüfung ihrer eigenen Vorhersagen. Das
deshalb, weil sie ihre eigenen Darlegungen nicht so sehr als
"Vorhersagen" betrachten, sondern eher als Wiedergabe oder
bestenfalls Auslegung der biblischen Vorhersagen. Auf dieses mitunter naive
Verständnis ihres Auslegens gehen wir im nächsten Kapitel (im Abschnitt Nur die
Vorhersagen der Bibel wiedergegeben?) ein.
10. Der vierte Fehler: Eigene Vermutungen als Dogma
a) Wie Sicherheit zum Ausdruck kommen kann
Haben die ZJ also nur von der Möglichkeit gesprochen, nicht von
der Sicherheit? Im folgenden gebe ich bei wörtlichen Zitaten ("...")
in Klammern die Seite meiner Russell-Biographie an, wo dieses Zitat behandelt
und wo anschließend die Quelle angeführt wird. Die übrigen Aussagen ('...')
entsprechend sinngemäß dem, was man in WTG-Publikationen lesen bzw. mündlich
von ZJ hören kann.
Der genannte, von ZJ
gerne gesuchte Fluchtweg entspricht jedoch nicht der Wahrheit; eine genaue
Betrachtung der Formulierungen zeigt deutlich, daß es um sichere Vorhersagen
ging (abgesehen von 1975). Das vollständige Ende der Herrschaft heidnischer
Regierungen mit dem Jahr 1914 meinte Russell "als eine in der Schrift
fest begründete Tatsache nachgewiesen" (S.66) zu haben.
Ganz allgemein ist
jedenfalls wichtig, daß wir bei der Einschätzung von Vorhersagen auch den
dabei erhobenen Anspruch beachten: Stellte ein Endzeitspezialist seine
Deutungen als etwas Sicheres, als etwas Wahrscheinliches oder bloß als etwas
Mögliches hin? Ein hoher Anspruch eines Endzeitautors kann auf verschiedene Weise
deutlich werden:
Erstens durch die Behauptung,
eine bestimmte Behauptung sei sicher richtig. Vgl. das obige Russell-Zitat.
Hören wir als evangelikales Beispiel Klaus Gerth:
"So verhält es sich hinsichtlich des sowjetischen Angriffs auf Israel.
Die Tatsache bleibt bestehen, aber wir wissen die Zeit nicht." (S.79) Daß
die Sowjetunion irgendwann Israel angreifen werde, wird hier als Tatsache
präsentiert.
Zweitens durch die
Rückführung seiner Botschaft auf Gott. Über Russell etwa wurde gesagt: "Er
sagte, daß er seine Bücher niemals selbst geschrieben haben könnte. Alles kam
von Gott durch die Erleuchtung des Heiligen Geistes." (S.54) Einige
Pfingstler wie David Wilkerson
und Steven Lightle beanspruchen,
Visionen von Gott empfangen zu haben. Etwas schwächer, aber noch immer stark
kann der Anspruch klingen, von Gott besonderes Verständnis für die biblischen
Aussagen bekommen zu haben. So sagt Ulrich Hartmann in seinem Vorwort zum Buch
Was sagt die Bibel über das Ende der Welt? von Wim Malgo: "Wir sind dankbar, daß der ewige Gott auch Wim
Malgo Verständnis gegeben hat, tief in die göttliche Prophetie zu sehen. Es war
schon früher so: Immer wieder hat Gott Männer beauftragt, die Menschen zu
warnen und sie mit Seinem Plan bekanntzumachen." (S.9f)
Drittens kann ein hoher
Anspruch auch in der Forderung, das Buch genau zu lesen, sichtbar werden. So
war Russell das Wie des Lesens seiner Schriften wichtig; wenn jemand Russells
Bücher nur liest - das wäre "kein Studieren im rechten Sinne des
Wortes". "Ein rechtes Studieren würde heißen, über jedes Wort und jeden
Satz nachzudenken." (S.47) Im oben erwähnten Vorwort Hartmanns zu Malgos
Buch bittet er den Leser: "Lesen Sie dieses Buch aufmerksam, ... Lesen
Sie das Buch nicht nur einmal, sondern zwei-, dreimal, und lassen Sie den
Inhalt auf sich einwirken." (S.9f)
b) Zeitpunkt offengelassen oder einigermaßen festgelegt?
Es ist bekannt, daß wir den Zeitpunkt für das Ende nicht kennen.
Das wird so ziemlich jeder Endzeitautor zugestehen. Das bedeutet aber jetzt
nicht unbedingt, daß dieser Zeitpunkt völlig offengelassen wird. Das müssen
wir bei dem regelmäßig eingestreuten Eingeständnis, daß niemand Tag oder Stunde
der Wiederkunft Jesu weiß, beachten. Diese Begriffe werden dabei nämlich sehr
wörtlich genommen: Den genauen Zeitpunkt kennen wir nicht, den ungefähren
schon. Darauf kommen wir am Ende dieses Kapitels (sowie in Kap.D,4) noch zu
sprechen.
Aber auch sonst dürfen
wir in das scheinbare Zugeständnis eines Autors, den Zeitpunkt nicht zu kennen,
nicht zuviel hineinlesen. Betrachten wir z.B. Billy Graham. Auf der einen Seite scheint er die Frage nach dem
Zeitpunkt offenzulassen: "Nach den Himmelskörpern gemessen, kann die Zeit
uns noch zehn oder hundert oder tausend Jahre gewähren; aber es mag uns auch
nur noch ein Tag, eine Woche oder ein Monat beschieden sein. Es mag sehr wohl
von uns gelten, 'daß dies Geschlecht nicht vergehen wird, bis alle diese Dinge
erfüllt werden'. (Mt.24,34)" (S.152) Er grenzt sich auch von jenen ab, die
ein Datum genannt haben: "Ich möchte gewiß nicht den Fehler William
Millers oder so vieler anderer aufrichtiger, aber übereifriger Gottesmänner
machen, indem ich auch nur ein annäherndes Datum für die Rückkehr Jesu angebe.
Ich möchte jedoch in allem Ernst darauf hinweisen, daß die Zeiten, in denen wir
leben, sich ganz wesentlich von jeder früheren Zeit unterscheiden. Das Tempo
ist gesteigert." (S.151; 1954er-Ausgabe S.215)
Auf der anderen Seite
führt Graham den Leser dahin zu glauben, daß der Antichrist aus dem Kommunismus
kommen werde: "Vor allem stehen wir der gewaltigen Macht des Kommunismus
gegenüber - des größten, bestorganisierten und unverhohlensten Feindes des
Christentums, der der Kirche seit den Tagen des heidnischen Roms
entgegengetreten ist. Der Antichrist, vor dem die Propheten warnten, daß er in
den letzten Tagen erscheinen würde, wächst und nimmt Gestalt an vor unseren
Augen - ein kühner, eherner, gut bewaffneter Antichrist, der sich nicht bücken
wird, um seine Identität zu verhüllen oder seine Absicht zu verdecken."
(S.151f) Durch eine solche Äußerung führt er den Leser doch zu der Annahme, daß
die Endzeitereignisse unmittelbar vor der Tür stehen - und nicht vielleicht
noch 100 Jahre auf sich warten lassen. Und woher meint Graham zu wissen, daß
der Antichrist ein Kommunist sein werde? Etwa hundert Jahre später kann doch
die politische Weltsituation ganz anders sein als 1950.
Bei Graham beobachten wir
also, einigermaßen widersprüchlich, beides: Einerseits arbeitet er darauf hin,
daß jetzt sehr bald das Ende da ist, und gibt auch schon das Lager an, aus dem
der Antichrist kommen werde, andererseits äußert er sich auch so, daß die Frage
nach dem Zeitpunkt des Endes völlig offen zu bleiben scheint.
Ähnlich ist es auch bei
Klaus Gerth: "Es gibt Dinge, die die Bibel klar voraussagt. Die Tatsache
eines Angriffs aus dem Norden gehört dazu. Andererseits wissen wir von
Voraussagen, bei denen uns Zeit und Stunde nicht klar gesagt werden. So verhält
es sich hinsichtlich des sowjetischen Angriffs auf Israel. Die Tatsache bleibt
bestehen, aber wir wissen die Zeit nicht." (S.79; unverändert S.85) Aus
dem Eingeständnis, die Zeit nicht zu wissen, darf nicht geschlossen werden, daß
Gerth die Zeitfrage völlig offenlassen will. Der "Angriff aus dem
Norden" ist für ihn gleichbedeutend mit einem "sowjetischen
Angriff"; d.h. die Sowjetunion wird zu jener Zeit noch bestehen, und das
beinhaltete zwar keinen präzisen zeitlichen Rahmen, aber zumindest soviel, daß
sich die politische Konstellation bis dahin nicht mehr wesentlich ändern
sollte. Es hätte ja die Sowjetunion noch bestehen und den Angriff durchführen
sollen.
c) Fehlbarkeitseingeständnis nur als Lippenbekenntnis?
"Wer hat die Gedanken des Herrn erkannt? Oder wer ist sein
Ratgeber gewesen?" (Römer 11,34)
Mitunter beteuert ein Endzeitspezialist, kein Ratgeber Gottes zu
sein - wie Friedrich Heitmüller
bei der Frage, wie lange es noch bis zur Wiederkunft Jesu dauern wird:
"Wenn wir an die
Beantwortung dieser tiefeinschneidenden Frage herantreten, dann sind und
bleiben wir uns dessen bewußt, daß wir weder der Ratgeber Gottes gewesen sind,
noch auch in das mit sieben Siegeln verschlossene Buch, das den Ratschluß des
allmächtigen Gottes enthält, geschaut haben." (S.12)
Mit solchen Aussagen
dürfen wir uns jedoch nicht begnügen, sondern müssen beachten, wie der
jeweilige Endzeitautor seine Vermutungen dann tatsächlich präsentiert. Mitunter
geschieht das in sehr bestimmter Weise, so daß sich solche Eingeständnisse der
eigenen Fehlbarkeit und Nicht-Allwissenheit eigentlich als Lippenbekenntnisse
erweisen.
Solche Äußerungen finden
wir schon beim Begründer der Wachtturmgesellschaft, Charles Russell. Auch diesem galt alleine der
Text der Bibel als inspiriert. Da aber nun - knapp vor dem Ende - die Zeit zum
Verständnis der prophetischen Aussagen der Bibel gekommen war, hat Gott durch
seinen "Kanal" (d.i. Russell) den Christen gezeigt, wie diese
Aussagen zu verstehen sind (S.54-62). Ähnlich meinte auch Hal Lindsey: "In unserer Generation
wurde das prophetische Wort 'entsiegelt', wie es Gott verheißen hatte."
(S.215) Und: "Ich glaube, Gott gibt uns heute Erleuchtung für das
Verständnis der Heiligen Schrift." Daneben kann dann durchaus - wie bei
Russell - auch das Eingeständnis der Nicht-Inspiriertheit stehen: "glauben
Sie bitte nicht, ich hielte mich für unfehlbar in dem Sinne, wie es die
biblischen Propheten unter der Inspiration des Heiligen Geistes waren."
Und weiter: "Er schenkt uns jedoch keine unfehlbare Offenbarung wie den
Verfassern der Bibel." Davon darf man sich aber wiederum nicht täuschen
lassen, denn es gilt auch: "Ich möchte es dennoch wagen, aufgrund
sorgfältigen Studiums der prophetischen Schriften und vieler Veröffentlichungen
von gläubigen Theologen einige Voraussagen zu machen, die meiner Ansicht nach
auf sicherer Grundlage ruhen." Hier wird doch einige Sicherheit beansprucht
(ähnlich Lindsey 105).
d) Nur die Vorhersagen der Bibel wiedergegeben?
Bei der Verteidigung der prophetischen Tätigkeit der ZJ kann man
mitunter hören: 'Die ZJ haben selbst nichts vorhergesagt; sie haben lediglich
auf die Vorhersagen der Bibel hingewiesen.' Hat sich demnach die Bibel geirrt,
nicht die ZJ? Dabei wird die Schuld letztlich auf die Bibel abgewälzt. Aber
sagt die Bibel wirklich vorher, daß es ab 1914 weltweiten Frieden geben wird?
Doch sicherlich nicht. Also haben die ZJ sehr wohl etwas über die Bibel hinaus
verkündet. Und für dieses Über-die-Bibel-hinaus sind sie verantwortlich.
Bei evangelikalen
Endzeitautoren erleben wir die Tendenz, das im eigenen Buch Dargelegte als
(weitgehend) durch die Bibel gestützt anzusehen. Bei Lindsey klingt das so:
"In diesem Buch versuchen wir, soweit wie möglich im Hintergrund zu
bleiben und die Propheten Gottes zu Wort kommen zu lassen." (S.8) Das mag
Lindsey versucht haben, gelungen ist es ihm nicht immer (vgl. unten Kap.E,2).
Malgo präsentiert Deutungen der biblischen Endzeitaussagen und redet gegen
Ende des Buches den Leser folgendermaßen an: "Lieber Leser, nicht wahr, du
hast innerlich gespürt, daß das, was du bis dahin gelesen hast, die Wahrheit
ist, zumal es die Bibel so sagt." (Bibel 103) Hat wirklich alles, was der
Leser bis dahin in Malgos Buch gelesen hat, die Bibel so gesagt?
Wenn ein Autor betont,
daß er letztlich gar keine persönliche Meinung äußert, sondern nur wiedergibt,
was die Bibel sagt, so klingt das im ersten Moment sehr bescheiden und
zurückhaltend. Bei näherem Hinsehen stellt sich aber heraus, daß dahinter ein
enormer Anspruch steht: Die Darlegung des Autors ist dann nämlich nicht mehr
hinterfragbar, sondern kann bloß widerspruchslos akzeptiert werden. Denn
welcher Christ würde es noch wagen, der Bibel widersprechen zu wollen? Im
allgemeinen verbirgt sich hinter einer solchen Darstellungsweise auch ein Stück
Naivität. Der Autor kommt gar nicht auf die Idee, daß die biblischen Aussagen
vielleicht auch anders gemeint sein könnten, als er selbst sie versteht. So wie
er die Bibel versteht, so ist sie wirklich gemeint. Wer daher seine Auslegungen
anzweifelt, der zweifelt - so die naive Sicht des Autors - die Bibel an.
In dieser Gleichsetzung
der eigenen Bibelauslegung mit der Bibel selbst wird eine dogmatische Haltung
sichtbar. Bist du skeptisch gegenüber den "Heilsfahrplänen"? Dann
bist du ein Bibelkritiker und ein Rationalist, wie Kurt Koch uns belehrt: "Bibelkritiker sprechen gern in einem
verächtlichen Ton von einem sogenannten Heilsfahrplan. Diese
neurationalistischen Tendenzen können uns aber in unserer Liebe zum Herrn Jesus
und zu seinem Wort nicht irremachen." (S.78) Eine gewisse Mahnung zur
Vorsicht findet man jedoch nicht nur bei "Bibelkritikern", sondern
z.B. bei dem bekannten Schweizer Pfingstler Jakob Zopfi: "Die Endzeitzeichen sind nicht zur Erstellung von
Heils- und Unheilsfahrplänen gegeben. ... Hände weg von festgefügten
Zukunftschematas, ja gar Zeitfahrplänen ..." (S.25)
Wim Malgo mußte die
Feststellung machen, daß die von ihm vertretenen Ansichten in Norddeutschland
nicht so gut aufgenommen werden wie weiter südlich. Ob das gegen
Norddeutschland spricht? Nach Meinung Malgos schon, er zieht daraus
weitreichende Schlußfolgerungen:
"Es ist eigenartig,
aber auch auf unseren Verkündigungsreisen verspüren wir diese geistlichen
Grenzen. Je nördlicher man kommt - zum Beispiel nach Norddeutschland,
Skandinavien -, desto schwerer wird das Predigen. ... So stellen wir fest, daß
der Herr in Süddeutschland und in der Schweiz noch ein großes Volk hat, während
weiter nördlich die asiatische Kälte die Gemeinde Jesu überfällt." (S.82)
Die Offenheit für die
Botschaft Malgos - die, wie wir in Kap.E,8 sehen werden, durchaus ihre
Eigenheiten hat - wird hier also mit Offenheit für Gott gleichgesetzt.
e) Dispensationalismus
Jene Endzeitautoren, die dazu neigen, sich konkret festzulegen,
gehören sämtlich zum Lager der Dispensationalisten. Der Name leitet sich von
den sieben "Dispensationen" (= Heilsepochen) mit jeweils
unterschiedlichem Rettungsweg ab. Ein Dispensationalist erwartet eine
zweifache, durch sieben Jahre getrennte Wiederkunft Jesu: Zuerst eine
unsichtbare, bei der die Gemeinde ihm entgegengerückt wird (= Entrückung);
daraufhin sollte es zur "großen Drangsal" während der Herrschaft des
Antichristen kommen, der bei der zweiten Wiederkunft Jesu besiegt wird,
woraufhin das 1000jährige Reich aufgerichtet wird. Israel als Volk spielt bei
ihm auch in der Endzeit eine besondere Rolle. Soviel zu den nächsten Ereignissen
in dispensationalistischer Sicht.
Bei einer Diskussion über
das Tausendjährige Reich nahmen vier Vertreter teil. Zwecks Unterscheidung
haben sich für die Unterscheidung der möglichen Positionen verschiedene
Bezeichnungen eingebürgert. Dabei kann man im einzelnen natürlich darüber streiten,
ob eine bestimmte Bezeichnung wirklich glücklich und treffend ist. So würde der
Vertreter des "Amillenialismus" lieber von "realisiertem
Millenialismus" sprechen (Clouse 123). Der Vertreter des
Dispensationalismus würde auf einen derartigen Namen lieber ganz verzichten
wollen und seine Position einfach als die biblische gekennzeichnet sehen:
"Die Meinung, die ich selber vertrete, wird oft als 'Dispensationalismus'
oder gar 'dispensationalistischer Prämillenialismus' bezeichnet. Ich finde
diese bombastischen Namen überflüssig. Ich möchte ganz einfach und in logischer
Reihenfolge die biblischen Aussagen zu diesem Thema entfalten, denn die Heilige
Schrift lehrt uns ganz deutlich, was wir in der Zeit vor und nach der
Wiederkunft Jesu zu erwarten haben." (Clouse 51) Diese Haltung ist für
Dispensationalisten typisch. So wie sie die Bibel verstehen, so sei sie
wirklich gemeint. Natürlich beansprucht jeder Vertreter, die wahre biblische
Position wiederzugeben - sonst würde er sich ja korrigieren. Aber die anderen
Vertreter würden nicht sagen, die für ihre Position gebräuchlichen Namen
sollten abgeschafft werden und stattdessen sollte ihre eigene Position als die
biblische, die anderen Positionen dagegen als die unbiblischen bezeichnet werden.
Diese feste Überzeugung, die eigene Endzeitsicht sei die eindeutig richtige und
sie sei als solche von allen Menschen guten Willens erkennbar, erschwert ein
Ernstnehmen der Kritik an der eigenen Position sowie ein Verstehenwollen
anderer Positionen. "Darum hat es im Verlauf der letzten Jahre sehr wenige
konstruktive Gespräche zwischen Dispensationalisten und den Anhängern anderer
Schulen prophetischer Auslegung gegeben." (Clouse 77)
Dieser Dispensationalismus wurde
erstmals im 19.Jahrhundert von John Nelson Darby, einem Repräsentanten der
Brüderbewegung, vertreten. Durch die Sog. Scofield-Bibel wurde dieses System
weit verbreitet. Man findet den Dispensationalismus aber nicht nur in der
Brüderbewegung, sondern auch sehr stark in Pfingstkirchen (und charismatischen
Kreisen). Generell kann man sagen, daß Dispensationalisten auch
Fundamentalisten sind. Sie betonen also nicht einfach wie andere Evangelikale
die Autorität der Bibel, sondern vertreten darüber hinaus ihre Irrtumslosigkeit
in all ihren Aussagen. Damit verbunden ist oft die Neigung zu einer wörtlichen
Interpretation. So sagt auch Herman A. Hoyt, der dispensationalistische
Vertreter, in dem zuvor erwähnten Sammelband: "Die Heilige Schrift sollte
immer in ihrem buchstäblichen und normalen Sinn verstanden werden."
(Clouse 54) Sehen wir einmal davon ab, ob ein Dispensationalist diese Regel
selbst konsequent durchhält - ein Kritiker von Hoyts Beitrag bezweifelte das:
"Ich fand folgende sechs Beispiele für Bibelstellen, die Hoyt nicht 'buchstäblich'
auslegte: ..." (Clouse 87) Es besteht aber wohl nicht nur der Anspruch,
sondern auch die Tendenz zu einer sehr wörtlichen Auslegung. Das wird etwa bei
der Deutung von Jesu Ausspruch, daß niemand Tag oder Stunde kennt, sichtbar:
Dispensationalisten nehmen diese Aussage sehr wörtlich; "Tag oder
Stunde" = genauer Zeitpunkt. Den ganz genauen Zeitpunkt weiß niemand, aber
den ungefähren meinen Dispensationalisten sehr wohl zu kennen (aufgrund der
"Zeichen der Zeit"). (Näheres zu diesem Ausspruch Jesu in Kap.D,4.)
Die in Teil E näher
untersuchten Endzeitautoren sind also durchwegs Fundamentalisten. Für die
übrigen Evangelikalen gilt diese Kritik nur zum Teil. Aber auch nicht alle
Fundamentalisten vertreten den Dispensationalismus (Etwa Samuel Külling, der
Rektor der FETA Basel, lehnt ihn ab.) Betrifft also meine Kritik nur einen
kleinen Teil der Evangelikalen? Hier ist zweierlei zu bedenken: Der Absatz
dieser Art von Literatur ist jedenfalls enorm groß (im deutschen Sprachraum
bringen vor allem die Verlage Schulte+Gerth und Leuchter solche Literatur
heraus); nur wenige evangelikale Bücher kommen an diese Absatz-Zahlen heran.
Wie auch immer diese Literatur verbreitet wird, sie landet jedenfalls in vielen
Händen. Insoferne scheint es mir wichtig, auf einige bedenkliche Gesichtspunkte
öffentlich hinzuweisen. Dazu kommt, daß manche hier behandelte Erscheinungen,
wie etwa der Signalismus (siehe Kap.D,4), in schwächerer Form auch von vielen
nichtfundamentalistischen Evangelikalen vertreten werden.
Schließlich ist auch die
Wirkung auf außenstehende Beobachter nicht zu übersehen. Es zeigt sich, daß
aufgrund der weiten Verbreitung dieser Literatur sie manchen nicht so gut
informierten Außenstehenden als repräsentativ für "die Evangelikalen"
gilt. So meinte etwa der "Beauftragte der Evangel.-Luth. Kirche in Bayern
für religiöse und geistige Strömungen unserer Zeit" in einem Artikel, in
dem er sich mit New Age kritisch auseinandersetzt: "Für gefährlich bis
absurd halte ich allerdings die Reaktionen, die auf New Age aus dem
evangelikalen Lager kommen. Daß ein Buch wie 'Die sanfte Verführung' von
Constance Cumbey sich einer derartigen Aufmerksamkeit erfreuen kann, ist mir
kaum erklärlich. Die dort vorgetragene Theorie von der Verschwörung
satanischer, spiritistischer Mächte kann nur die Angst fördern. ... Daß sich
das evangelikale Schrifttum, welches sich mit New Age beschäftigt, großer
Beliebtheit erfreut, soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß es für eine
weiterführende Auseinandersetzung kaum hilfreich ist." (Erwin Haberer im
Deutschen Pfarrerblatt 1988, S.273-275) Nun ist das erwähnte Buch von Cumbey
keineswegs repräsentativ für die Evangelikalen insgesamt, weder für die Verlage
noch für die Leser. Denn das 1985 im evangelikalen coprint-Verlag erschienene
New Age-Buch von Hans-Jürgen Ruppert fand eine ähnliche Verbreitung wie das von
Cumbey, und wohl vor allem unter evangelikalen Lesern. Aber die Gefahr, daß ein
von einem evangelikalen Verlag herausgebrachtes und massenhaft abgesetztes
Buch als repräsentativ für "die Evangelikalen" genommen wird, besteht
eben. Dadurch sind dann auch die anderen Evangelikalen zur Stellungnahme
herausgefordert.
(Eine umfassende
theologische Behandlung der Zukunftsthematik bringt Hans SCHWARZ: Jenseits von
Utopie und Resignation. Einführung in die christliche Eschatologie. 1991. Da
Schwarz lange Zeit in den USA unterrichtete, kennt er auch die dort erschienene
Literatur sehr gut. Als Universitätstheologe steht er allerdings dem
Dispensationalismus distanziert gegenüber, berücksichtigt ihn aber genauso wie
die anderen - religiösen und säkularen - Strömungen. Speziell um die
verschiedenen Positionen im Hinblick auf das Millennium geht es in Robert
CLOUSE: Das Tausendjährige Reich, 1983, sowie in Werner STOY: Hoffnung für
unsere Erde? Das Tausendjährige Reich, 1985.)
Teil B:
Die Folgen der Demnächsterwartung
Seit Jahrzehnten, ja seit Jahrhunderten haben manche Christen das
Kommen Jesu als in den nächsten Jahren bevorstehend verkündet. Zu welchen
Folgen kommt es, wenn diese Erwartung mehrmals enttäuscht wird? Und überhaupt:
Mit welchen Erscheinungen ist diese Demnächsterwartung im evangelikalen
Bereich gewöhnlich verknüpft?
Die folgenden Punkte
gelten durchaus nicht für alle, sondern jeweils nur für manche Endzeitautoren.
1. Anfangs Eifer, schließlich Resignation und Zweifel
Wenn die Beschäftigung mit Endzeitfragen zu einer Demnächsterwartung
führt, so liegen darin offenbar Gefahren. Nun gibt es Versuche, eine solche
Demnächsterwartung trotz eingestandener Gefahren positiv zu sehen:
"Natürlich gibt es
in Zeiten großer Unruhen und Wirren immer ekstatische Auswüchse mit
Kurzschlüssen. Die zu starke Erwartung ist mir aber lieber als der kalte,
rechnende Verstand, der gar keinen Zugang zum geistlichen Geschehen findet. So
werte ich die starke Naherwartung vieler Israeliten durchaus als positives
Zeichen. Beim Beginn des Wochenfestes am 14.Juni 1967 - kurz nach dem Krieg -
sind fromme Israeliten auf den Berg Zion gezogen und meinten, die Ankunft des
Messias stünde bevor. Kranke und Sieche ließen sich tragen oder fahren.
Hunderte verbrachten die ganze Nacht betend auf dem Berg Zion." So
berichtete und urteilte Kurt Koch
in seinem Buch Der Kommende (S.14).
Sich zwischen zwei
schlechten Möglichkeiten entscheiden zu müssen, ist immer schwierig. Was ist
mir lieber: Zu starke Erwartung mit wiederholten Datierungsversuchen
einerseits oder Gleichgültigkeit andererseits? Die Alternative klingt für mich
so wie die Frage: Ist es besser, wenn ich mir den linken Arm breche, oder den
rechten? Wie soll man darauf antworten? Wenn irgendwie möglich, sollte ich mir
überhaupt keinen Arm brechen, weder den rechten noch den linken. Und so wird
man auch zur von Koch aufgeworfenen Alternative sagen: Weder das eine noch das
andere Extrem ist gut, vielmehr sollen wir eine ausgewogene Haltung anstreben.
Übrigens hat schon
Charles T. Russell, der Begründer der Wachtturmgesellschaft, angesichts des
Offenbarwerdens des Versagens seiner Vorhersage unter Rechtfertigungsdruck
stehend, diese Falschvorhersage positiv zu sehen versucht:
"Der Gedanke, daß die Kirche vor
Oktober 1914 in Herrlichkeit vereint sein würde, übte zweifellos einen
anspornenden und heiligenden Einfluß auf Tausende aus, von denen demgemäß alle
den Herrn preisen können, selbst um des Fehlers willen." (S.118f)
Doch Gott verurteilt das
falsche Vorhersagen, egal wie wir die Folgen solcher falschen Vorhersagen
einschätzen. Und wenn wir schon versuchen, die Folgen abzuschätzen, sollten wir
doch auch die negativen Folgen nicht übersehen. Dazu in den folgenden Kapiteln
mehr.
Der Hinweis auf das nahe
Ende wird mitunter verwendet, um Christen zur Umkehr zu bewegen, zu neuer
Hingabe. Das klingt zwar positiv, es kann sich dabei aber auch um einen
Mißbrauch handeln: Wenn jemand unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ('in
einigen wenigen Jahren kommt Jesus!') zu dieser Umkehr oder neuen Hingabe
bewogen wird ... Außerdem, ganz praktisch betrachtet: Sehr oft kann man das
nicht machen, denn nach mehreren Malen funktioniert das nicht mehr.
Überhaupt ist damit zu
rechnen, daß derart beeinflußte Christen allmählich resignieren und abstumpfen.
Somit kann sich eine solche permanente Demnächsterwartung für den Christen
schädlich auswirken. Um 1970 las er, daß - laut biblischer Aussagen - für die
70er Jahre die Endzeitereignisse zu erwarten seien. Es geschah nichts. Um 1980
las er dann, daß - ebenfalls laut biblischer Aussagen - für die 80er Jahre die
Endzeitereignisse zu erwarten seien. Die Gefahr ist groß, daß ein Christ auf
die Dauer mit einer solchen ständigen Hochspannung nicht leben kann. Der
Christ, der wiederholt in Aufregung versetzt wird: 'Jetzt gleich kommt es, in
den nächsten Jahren!', wird allmählich schläfrig. Nach Jahrzehnten äußerster
Spannung wird jeder müde.
Ja, die negative Wirkung
auf Christen kann sogar noch weiter gehen, indem sie nämlich überhaupt in eine
Glaubenskrise kommen. Manche Christen werden die richtigen Konsequenzen ziehen
und aufhören, sich mit dieser speziellen Sorte von Endzeitliteratur zu
beschäftigen. Es ist aber zu befürchten, daß andere Christen darüber
hinausgehen und überhaupt die Erwartung der Wiederkunft Jesu in Zweifel ziehen,
vielleicht sogar die ganze Beschäftigung mit der Bibel aufgeben. Schließlich
hatten sie über Jahre hinweg die Bibel immer wieder mit der Brille dieser
speziellen Demnächsterwartung gelesen. Daß man die Bibel auch anders lesen
könnte, ist ihnen vielleicht nicht bekannt, jedenfalls sind sie darin nicht
geübt. Eine Enttäuschung der Demnächsterwartung könnte sich somit auf die
Bedeutung auswirken, die die Bibel für manche Christen hat.
2. Aktualität der Bibel beeindruckt vorerst manche, schließlich
kommt sie in Mißkredit
Wenn Außenstehenden der Eindruck vermittelt wird, daß die Bibel
ein sehr aktuelles Buch ist, so ist das natürlich positiv. Klaus Gerth berichtet, daß Lindseys Buch so
auf ihn gewirkt hat. Haben sich vielleicht manche Menschen durch solche
Endzeitbücher bekehrt? Ein solches Ergebnis wäre natürlich erfreulich, aber ist
die Methode christlich? Wenn es sich dabei nämlich bloß um eine vorgetäuschte
Aktualität handelt, so ist das negativ. Ein Beispiel: Wenn dem Leser der
Eindruck vermittelt wurde, daß der Expansionsdrang der Sowjetunion
(Afghanistan, demnächst Iran) bereits in der Bibel vorhergesagt wurde, so kann
man den Leser damit vielleicht momentan beeindrucken. In weiterer Folge wird er
jedoch von der Bibel umso enttäuschter sein, wenn er dann feststellen muß, daß
er eigentlich einem Trick aufgesessen ist.
Doch jetzt ganz abgesehen
von jenen, die anfangs beeindruckt waren. Für den Außenstehenden, dem die sich
dann als falsch erweisenden Vorhersagen als biblisch präsentiert wurden,
entsteht der Eindruck: 'man kann sich offenbar doch nicht auf die Bibel verlassen!'.
Das ist vielleicht der schwerwiegendste Nachteil einer Demnächsterwartung, die
sich auf das Kommen Jesu in den nächsten Jahren festlegt: Nämlich die Wirkung
auf das Image der Bibel. Da eine solche Demnächsterwartung unter starkem
Hinweis auf biblische Aussagen präsentiert wird, kommt beim Versagen der
konkreten, auf die nächsten Jahre festgelegten Erwartung nicht nur der
jeweilige "Prophet", sondern gleichzeitig auch die Bibel in Verruf.
Viele Menschen unterscheiden nicht so genau; bei ihnen bleibt dann einfach der
Eindruck zurück, daß man sich eben auf die Bibel doch nicht so verlassen kann.
Selbst wenn diese
Menschen differenzieren und festhalten, daß es einzelne Ausleger waren, die
hier von der Bibel ausgehend zu falschen Erwartungen kamen, gerät dadurch doch
auch die Bibel in ein ungünstiges Licht. Schließlich war sie die Grundlage, mit
der diese Ausleger gearbeitet haben. Die Bibel erscheint dadurch als ein so
vieldeutiges Buch, daß man verschiedenste falsche Vorstellungen von ihr
ableiten kann. (Vgl. auch unten die 4. Folge.)
3. Die Erwartung des Kommens Jesu sowie das Evangelium werden
lächerlich gemacht
Von den biblischen Aussagen ist es insbesondere die Erwartung der
Wiederkunft Jesu, die durch solchen Übereifer in ein schiefes Licht gerät. Die
Öffentlichkeit erfährt - soweit sie derlei Ankündigungen überhaupt registriert
- immer wieder, daß es nun gleich soweit ist. Die Ankündigung des Kommens Jesu
wird dadurch immer mehr zu einer nicht ernstzunehmenden Sache. Wenn dann ein
Christ seine Hoffnung auf das Kommen Jesu - ohne jede zeitliche Festlegung -
auch nur erwähnt, denken viele Zeitgenossen aufgrund früherer Erfahrungen
sofort an jene übereifrigen Fanatiker, die diese Wiederkunft schon recht genau
vorhergesagt haben, ohne daß sie sich tatsächlich ereignet hatte. Die
Vorstellung der "Wiederkunft Jesu" wird auf diese Weise vom Hauch des
Schwärmerischen, ja Verrückten umgeben.
Wim Malgo stellt fest: "Überall, auch
in Zeitungen, bricht Hohn und Spott auf, wenn es um die Erwartung des
Wiederkommens Jesu geht. Das sind Zeichen der Endzeit." (Bibel 84) Vielleicht
sind das solche Zeichen, doch jedenfalls ist dieser Hohn auch ein Resultat
wiederholter voreiliger Ankündigungen, an denen u.a. Malgo mitgewirkt hat
(vgl. Kap.E,8).
Solche negativen Folgen
wurden übrigens von Hal Lindsey -
dessen eigene Vorhersagen wir (in Kap.E,2) einer eingehenden Untersuchung
unterziehen werden - klar beschrieben: "Viele Theologen der vergangenen
Jahre haben versucht, die Ereignisse des Ersten und Zweiten Weltkrieges
irgendwie mit den prophetischen Endzeichen in Zusammenhang zu bringen. Als die
Voraussagen nicht eintrafen, geriet die ganze Prophetie in Mißkredit. Die
Leute, die in die Berge flohen und dort das Ende der Welt abwarten wollten,
hatten nicht die blasseste Ahnung von der biblischen Weissagung. Auf Grund
solcher und ähnlicher unschriftgemäßer Versuche, genaue Zeitpunkte zu
errechnen, wurden viele skeptisch und wandten sich von der biblischen Prophetie
ganz ab." (S.48)
Abgesehen von der
Wiederkunft Jesu: Auch ganz allgemein wird die Botschaft von Jesus negativ
besetzt und somit die Evangelisation erschwert. Viele Menschen, denen nun
etwas von Jesus erzählt wird, erinnern sich: 'Ja, von diesem Jesus habe ich
schon gehört - von dem reden doch auch die, die schon so oft zu wissen meinten,
was in der nächsten Zeit geschehen sollte, und es geschah dann doch nicht.'
Oder sie denken: 'Das ist doch dieser Jesus, von dem es schon so oft hieß, daß
er in den nächsten Jahren auftauchen sollte, doch bisher hat noch niemand eine
Spur von ihm gesehen ...'
4. Eigentliche Aussagen der Bibel kommen nicht mehr zur Geltung
Wenn die gegenwärtigen politischen Vorgänge vorschnell mit irgendwelchen
Bibelversen kombiniert werden, so besteht die Gefahr, daß die eigentlichen
Aussagen dieser Bibelverse kaum zur Geltung kommen. Sie dienen dann lediglich
als Etikett für beliebige politische Vorgänge - so lange, bis deutlich wird,
daß die Kombinationen doch nicht passen. Wie schon René Pache feststellte: "Will man in
jedem Satz der Propheten das geringfügigste Ereignis der Gegenwart sehen, so läuft
man Gefahr, mindestens alle zehn Jahre seine Deutungen revidieren zu
müssen." (S.26) Betrachten wir zur Veranschaulichung einige Beispiele.
In Jesaja 19 finden wir
eine Vorhersage über Ägypten. Mit lockerer Hand überträgt Malgo sie auf die
Kämpfe in den 1970er Jahren zwischen Arabern im Libanon: "Das furchtbare
Morden, das sich im Libanon abspielt, hat der Prophet Jesaja bereits vor
Jahrtausenden gesehen, als der Herr von den Ägyptern und im weiteren Sinne von
den Arabern sprach: '... daß ein Bruder wider den andern, ein Freund wider den
andern, eine Stadt wider die andere, ein Reich wider das andere streiten wird'
(Jes. 19,2)." (Schatten 97f) Sehr schnell werden atl. Aussagen auf die
eigene Gegenwart bezogen, ohne lange zu fragen, auf welche Zeit sie tatsächlich
hinweisen. Und auch das Objekt der Aussage wird schnell ausgetauscht. Auf diese
Art passen dann tatsächlich viele Bibelverse auf die momentanen politischen
Vorgänge.
Marius Baar neigt ebenfalls zu vorschnellem
Gleichsetzen aufgrund möglicher Parallelen. "Nicht die Araber sind
abhängig vom Abendland, nicht wir, sondern sie können uns boykottieren. Wie
recht hat die Offenbarung! (Offenbarung 13,17)." (S.44f) An der angegebenen
Stelle lesen wir, daß niemand kaufen oder verkaufen kann ohne das Malzeichen
des Tieres. Ist es wirklich sicher, daß die Verfügungsgewalt der doch in
verschiedener Hinsicht uneinigen arabischen Welt über einen großen Teil der
Ölvorräte die Erfüllung dieses Offenbarungs-Wortes darstellt?
5. Verzicht auf Zukunftsvorsorge
Genaue, sich später als irrtümlich erweisende Vorhersagen können
zu falschen Handlungen führen. Etwa dazu, daß jene, die daran glauben, daß das
Ende in den nächsten Jahren kommt, keine Zukunftsvorsorge mehr treffen. Es
besteht also die Gefahr einer unrealistischen Zukunftsplanung. Wenn jemand vor
20 Jahren dahingehend beeinflußt wurde, mit der Wiederkunft Jesu und
Entrückung in den nächsten Jahren zu rechnen, so besaß er wenig Motivation, für
eine längere Zukunft vorzusorgen. Es kann ihm dann passieren, daß er
schließlich ohne Pension oder ohne Ersparnisse dasteht. Das umso mehr, als
manche Endzeitautoren den finanziellen Bereich direkt ansprechen. So beobachtet
Malgo entsetzt: "gibt es noch immer Gotteskinder, die es wagen, auf ihrem
Bankkonto Geld anzuhäufen; sie leben von ihren Zinsen und Zinseszinsen. ... [er
verweist auf Matthäus 6,19] ... Was geschieht denn mit deinem Sparguthaben,
wenn heute die Entrückung stattfindet? Diese Mittel, die du für die Sache Jesu
Christi hättest investieren können, gehen dann in den Besitz des Antichristen
über." (Aufmarsch 65)
6. Vernachlässigung sozialer Aufgaben
Die Erwartung des nahen Endes hat nicht nur individuelle Folgen,
sondern auch politische. Wer glaubt, daß in einigen Jahren das Ende da ist,
wird sich kaum besonders für Anliegen engagieren, die bloß langfristig zu
verwirklichen sind. Also etwa für eine Änderung sozialer Strukturen, für
Entwicklungshilfe, für Umweltschutz ... Engagement für Projekte, die erst im
Laufe von Jahren wirksam werden, scheint unangebracht zu sein, wenn doch bis
dahin ohnehin die Gemeinde entrückt ist und totales Chaos über die Welt
hereinbrechen wird.
Im Rückblick betrachtet
muß man sagen, daß die Anhänger der Zeugen Jehovas irregeführt wurden.
Wiederholt wurde das baldige Ende angekündigt, für 1914, 1918 usw., zuletzt
1975. Seither ist schon einige Zeit vergangen. Ein soziales Engagement wäre im
Hinblick auf mehrere nachfolgende Jahrzehnte durchaus sinnvoll gewesen; damals,
wenige Jahre davor, erschien das jedoch kaum sinnvoll.
Viele Christen zögern,
sich sozialen Aufgaben zu widmen. Den naiven Utopien von Weltverbesserern
wollen sie nicht anhängen, da sie für den Christen keinen Auftrag sehen, die
Welt zu verbessern. Hier beobachten wir wieder das Pendeln zwischen zwei
Extremen: Auf der einen Seite die Erwartung, die Welt könnte durch unseren
Einsatz, ohne Jesu Wiederkommen, zu einem guten Zustand kommen; auf der anderen
Seite soziale Passivität und somit Unterstützung des doch wahrlich nicht guten
status quo. Die Demnächsterwartung bildet einen weiteren Faktor, der dazu
führt, daß Christen häufig politisch konservativ sind, trotz ihrer massiven
Kritik an den Zeitverhältnissen. Was plausibel gewesen wäre, hätte es wirklich
nur noch wenige Jahre bis zum Ende gedauert, wird im Rückblick auf mehrere
Jahrzehnte, wo Christen im Hinblick auf das so nahe erwartete Ende sozial
inaktiv waren, nicht mehr rechtfertigbar.
Es gibt Möglichkeiten,
zur Linderung von Leid beizutragen, ohne dabei der Illusion anzuhängen, die
Geschichte der Menschheit werde aus eigener Kraft zum Guten kommen. Denken wir
etwa an zwei Christen des vorigen Jahrhunderts, an Henri Dunant, den Gründer des Roten Kreuzes,
oder an Friedrich Wilhelm Raiffeisen.
Abgesehen von sozialen
Aufgaben ist auch ganz allgemein an die Präsenz der Christen in der
Gesellschaft zu denken: An deren soziales (= gesellschaftliches) Wirken im
weitesten Sinne also. Christen mit Demnächsterwartung neigen dazu,
verschiedenste Kulturbereiche den "Heiden" zu überlassen. Wenn
Christen in den Künsten und in den Medien tätig sind, können sie dazu
beitragen, daß das Evangelium dort präsent ist und somit gute Chancen bestehen,
daß die Bevölkerung des Landes damit auf verschiedene Weise konfrontiert wird.
Eine besonders negative Einschätzung der gegenwärtigen Lage verbunden mit der
Erwartung, daß ohnehin in wenigen Jahren das Ende da ist, begünstigt die
Neigung, sich aus allen diesen Bereichen herauszuhalten. "Eine
Vernachlässigung der Kultur, der Künste und der Medien birgt jedoch in sich
eine große Gefahr, denn gerade diese Bereiche werden dann mangels christlichen
Interesses von den materialistischen, säkularisierten Kräften übernommen und
für antigöttliche Zwecke eingesetzt." (Clouse 168f)
7. Einseitig pessimistische Einschätzung der Gegenwart
Die Vorstellung, daß die Entwicklung der Menschheit auf die
Herrschaft des Antichristen zusteuert, hat einen ausgeprägten Pessimismus zur
Folge. Das Ursache-Wirkungs-Verhältnis könnte allerdings auch umgekehrt sein:
Wer das Zeitgeschehen sehr pessimistisch beurteilt, wird dazu neigen, mit dem
baldigen Ende zu rechnen. (So quasi: 'Schlimmer als es jetzt ist kann es nicht
mehr werden ...') Es ist also schwer zu sagen, was hier Ursache und was hier
Wirkung ist. Beide Faktoren - Pessimismus und Demnächsterwartung - können sich
gegenseitig verstärken.
Ist eine extrem
pessimistische Einschätzung des momentanen Zeitgeschehens gerechtfertigt? Sie
ist sicherlich nicht aus der Luft gegriffen, aber vielleicht doch einseitig.
Denn dabei werden positive Entwicklungen, die gleichfalls vorhanden sind,
ignoriert. Darauf weisen insbesondere Postmillenialisten hin, etwa im Hinblick
auf jene Länder, wo christliche Einflüsse wirksam waren: "wenn wir an die
hilflose Welt von damals, die in der Finsternis von Sklaverei, der Vielehe, der
Unterdrückung von Frauen und Kindern, des Mangels an politischer Freiheit, der
Unwissenheit, der Armut und der primitiven Krankenfürsorge, - denken, dann muß
uns doch klar sein, daß eine Aufwärtsentwicklung stattfindet." (Loraine
Boettner in Clouse 103) Hinzuweisen ist auch darauf, daß die Bibel soweit
übersetzt ist, daß zumindest Teile von ihr für 98 % der Weltbevölkerung in
ihrer Alltagssprache zugänglich sind.
Durch eine einseitige
Auswahl möglichst negativer Nachrichten wird dem Zuhörer/Leser ein besonders
schwarzes Bild vom Zeitgeschehen vermittelt, so daß kritisiert werden konnte:
"Psychologische Druckmittel werden angewandt, um bei den Predigtzuhörern
eine pessimistische Stimmung auszulösen." (Clouse 168) In Kap.A,8 hatten
wir uns damit schon beschäftigt.
Mitunter wird dabei die
Vergangenheit glorifiziert ('Die gute alte Zeit ...'), während ein kritischer
Vergleich zeigen würde, daß es auch schon früher ähnliche negative
Erscheinungen gab.
Eine solche negative
Einschätzung geht oft auch mit der Neigung, hinter vielen Erscheinungen das
Wirken von Dämonen zu vermuten, einher. Bei einer solchen Sichtweise ist eine
sachliche Auseinandersetzung mit den betreffenden Erscheinungen kaum noch
möglich, man beschränkt sich auf laute Warnrufe. Auf diese Neigung wies Lutz
von PADBERG hin, und zwar in einem Vortrag über "evangelikale
Apologetik". Unter Apologetik versteht man die Verteidigung des
christlichen Glaubens. Padberg ist Historiker und unterrichtet an der Ev.
Theol. Faculteit in Löwen (Belgien) sowie an der FTA in Gießen. Er stellte bei
seinem Vortrag große Mängel in der evangelikalen Apologetik fest
("apologetische Defizite"). Als eine Ursache dafür nennt er "die
von manchen Evangelikalen vertretene spezielle Sicht der Endzeit". Es
handelt sich dabei, wie wir noch sehen werden, um genau jene Sicht, die wir in
den im Teil E behandelten Endzeitbüchern durchwegs finden. Padberg erläutert:
"Aufgrund ihres
Verständnisses der Offenbarung und anderer prophetischer Aussagen der Bibel
kommen sie zu einer Art apokalyptischem Fahrplan, in den sie dann Ereignisse
des Geschichtsverlaufes einzutragen versuchen. Dieses Verfahren vermittelt
ihnen den Eindruck, die Gegenwart habe endzeitliche Qualität. So gelten
entsprechende Ereignisse als in der Bibel vorhergesagt, was wiederum im
Umkehrschluß als Beweis für deren Autorität herangezogen wird." Hier
könnte man etwa an die Staatsgründung Israels denken.
Padberg weiter: "Der
Zustand von Kirche und Gesellschaft wird als so übel angesehen, daß allein die
Wiederkunft Jesu Besserung bringen könne. Konsequente Schlußfolgerung ist die
Auffassung, die Gegenwart stehe unter der Herrschaft des Antichristen, weshalb
man bei allen möglichen Geschehnissen dämonische Kräfte am Werke glaubt."
(Der Vortrag wurde
veröffentlicht im Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen, 1990, S.177-189, Zitat S.182f.)
Die pessimistische
Einschätzung des Zeitgeschehens führt auch dazu, daß viele Christen eine
möglichst große Distanz anstreben. Anstatt Politik, Kultur und Medien positiv
mitzugestalten, ziehen viele Christen sich zurück und überlassen diese Bereiche
anderen Menschen. Dadurch können die säkularisierten, mitunter antigöttlichen
Kräfte umso ungehinderter wirken.
Padberg nennt keine
Namen, keine konkreten Beispiele. Er erwähnt jedoch, daß eine solche
Dämonisierung bei der evangelikalen Beurteilung der New Age-Bewegung verbreitet
ist. Dabei schreckt er auch vor einer vernichtenden Kritik nicht zurück:
"Manche in evangelikalen Verlagen zum Thema erschienenen Bücher sind intellektuell,
man muß es leider deutlich sagen, ein Armutszeugnis, finden aber gleichwohl
zahlreiche Käufer. Eine genauere Analyse dieser Problematik müßte sich mit der
Affinität mancher evangelikaler Kreise zu relativ einfachen Denkmustern und
Argumentationsreihen beschäftigen." (S.184) Sollte Padberg recht haben:
Wäre es nicht doch nötig, die Situation gründlicher zu beleuchten, und dabei
der Klarheit halber auch konkrete Beispiele zu nennen? Wenn wir wollen, daß
sich an diesem Zustand etwas ändert, müssen wir wohl Namen und konkrete
Sachverhalte nennen. Wir dürfen nicht außer acht lassen, daß die
Endzeitliteratur immer wieder ganz oben in den evangelikalen Bestsellerlisten
landet - also einen enormen Einfluß ausübt. Für Hal Lindseys Alter Planet Erde
etwa wird eine "Weltauflage über 20 Millionen" angegeben, bei anderen
Büchern kommt es eine zeitlang jedes Monat zu einem Nachdruck.
(Wenn Baar die Christen
als "Schwarzseher" bezeichnet, so meint er damit etwas anderes: Nicht
unbedingt deren Einschätzung der Gegenwart, sondern deren Ankündigung des
kommenden Gerichtes - S.18.)
8. Angst
Ein bedenklicher Aspekt kann darin gesehen werden, daß die
Beschäftigung mit der Endzeit vielleicht nur die äußere Form ist, die sich die
in uns wohnende Angst sucht. So meint Michael Weyer-Menkhoff
in seinem Artikel Angst vor der Endzeit?, daß sich hinter dem eschatologischen
Fieber Angst verbirgt. Er schreibt: "Merkwürdige Allianzen ergeben sich
da übrigens. Mit der Computerfurcht, mit der Angst vor neuen Ausweisen und
Scheckkarten, vor Volkszählung und EAN-Code sind sie in bester Gesellschaft
mit den nichtchristlichen Gruppen in Westeuropa, die auch 'Angst vor dem Computer'
und vielleicht Angst vor der Zukunft übehaupt haben. Da scheinen beide vom
selben Zeitgeist beeinflußt, hier nur eben christlich gefärbt." (S.5) Und
diese Angst sollte wohl grundsätzlich behandelt werden, anstatt ihr
ungehindert Raum zu geben. (Eine solche Überängstlichkeit ist das eine Extrem,
aber natürlich gibt es auch das andere Extrem: Eine Sorglosigkeit, die real
vorhandene Gefahren nicht beachtet. Und wie so oft sind auch hier beide Extreme
schlecht.)
Unter diesem
Gesichtspunkt sind auch Buchtitel wie Der Antichrist kommt (Gerth) oder Die
Apokalypse kommt! (Goetz) zu sehen. Solchen Titeln möchte ich einen anderen
Satz entgegenstellen: 'Jesus kommt!' Denn das ist es, worauf sich unser
Augenmerk richten soll. Nicht der Antichrist ist es, auf dessen Kommen wir wie
gebannt starren sollen, sondern Er, der den Antichrist "beseitigen wird
durch den Hauch seines Mundes" (2. Thess 2,8).
Eine solche Angst wird
gefördert durch Nachrichten darüber, daß der Antichrist schon im Anmarsch ist.
Und umgekehrt: Wo diese Angst da ist, werden plötzlich antichristliche Indizien
wahrgenommen, die es gar nicht gibt. Die Indizien mehren sich, so heißt es
dann, daß sein Auftreten schon unmittelbar bevorstehe. Da kann man lesen,
"daß Berichten von Besuchern in Jerusalem zufolge die öffentlichen
Verkehrsmittel der Stadt, wie Busse usw., auf ihren Nummernschildern die Zahl
666 tragen. Ob das auch ein Hinweis auf Offenbarung 13,18 ist? Jedenfalls ist
die Zahl immer öfter anzutreffen." (Neumann 139) Nun sind die
Nummernschilder von öffentlichen Verkehrslinien gewöhnlich dazu da, die Linien
voneinander zu unterscheiden. Schon aus diesem Grund ist es nicht anzunehmen,
daß in Jerusalem alle Linien "666" heißen. Weyer-Menkhoff nennt eine
Reihe von Beispielen aus "christlichen" Traktaten, die
Falschmeldungen über das Vorkommen der Zahl 666 liefern (S.2-5). Sein Resumee
über diese Falschmeldungen: Oft werden unklare Behauptungen aufgestellt, die
sich kaum überprüfen lassen; ist eine Angabe konkret genug, um sich überprüfen
zu lassen, so erweist sie sich zumeist als falsch.
Voraussetzungen für das
Aufkommen sowie die rasche Verbreitung solcher Gerüchte sind die in Teil A
genannten zwei ersten Fehler: Erstens die Demnächsterwartung; wenn das
Auftreten des Antichristen unmittelbar bevorsteht, so wirken alle Nachrichten
über bereits beobachtbares Antichristliches (wie z.B. ein Vorkommen der Zahl
666), von vornherein sehr glaubwürdig. Und zweitens die Überbewertung schwacher
Anhaltspunkte. Als dritter Faktor könnte hier noch die tendenziöse Auswahl von
Nachrichten genannt werden. Es gibt unbestreitbar äußerst beunruhigende
Nachrichten, etwa in ökologischer Hinsicht. Oft machen es sich Christen aber
zur Aufgabe, vorzugsweise negative Nachrichten zu sammeln und zusammenzustellen.
Die solcherart zustandegekommenen Bücher vermitteln dem Leser ein übertrieben
einseitig negatives Bild. Allerdings ist es schwer, einem Christen, dessen
eigenes Weltbild durch derartige Literatur geprägt ist, klarzumachen, daß
dieses Bild zu einseitig negativ ist. Ich greife daher auf ein Beispiel aus dem
Jahr 1949 zurück. In Fünnings Israel-Büchlein konnte man lesen: "'Wir hier
zittern ob des kommenden Krieges mit Rußland', schreibt ein Prediger aus
Deutschland. Und diese schreckliche Angst wird dadurch vermehrt, daß der
nächste Krieg höchst wahrscheinlich mit Atom-Bomben geführt werden wird."
(S.6) Nun könnten wir hinzufügen: "Diese schreckliche Angst" wird
nicht nur durch Atombomben, sondern auch durch derartige christliche Literatur
noch vermehrt. Sicherlich bestand die Gefahr eines Krieges mit Rußland, aber es
gab auch starke Gründe, die dagegen sprachen, daß diese Kriegsgefahr
Wirklichkeit wurde. Und tatsächlich kam es ja auch nicht dazu. Das Zittern des
zitierten Predigers war also unnötig. Fünning konzentriert sich auf derartige
Negativ-Nachrichten. Ein amerikanischer Ex-Gouverneur sagte "in einer
Ansprache: 'Wenigstens 90 Prozent aller jetzt lebenden Amerikaner werden
innerhalb 5 Jahren durch Atombomben getötet sein'. Und doch leben die meisten
Menschen, leider auch viele Gläubige, wie in den Tagen Noah's." (S.46)
Diese Ansprache behauptete etwas, was zwar möglich schien, aber keineswegs
sicher war und sich auch tatsächlich nicht bewahrheitet hat. Die Fortsetzung
Fünnings läßt diese feste Behauptung aber unwidersprochen stehen und leitet
Verhaltenskonsequenzen daraus ab. Heute, ein knappes halbes Jahrhundert
danach, wissen wir, daß dieses Schüren von Angst nicht sinnvoll war. Natürlich
ist jedem Christen klar, daß sein Leben jederzeit zu Ende sein kann. Darüber
hinaus sollte er sich aber für konkrete Aufgaben einsetzen, anstatt sich auf
mögliche Gefahrenmomente zu konzentrieren und diese plastisch und anschaulich
auszumalen.
9. Politische Nebeneffekte religiöser Propaganda
a) Förderung der Ausländerfeindlichkeit
Die evangelikale Arbeitsgemeinschaft für Ausländermission (AfA) in
Gießen beobachtete, "daß sowohl in säkularen wie christlichen Medien die
Meinung herrsche, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa drohe
jetzt die Gefahr durch den Islam. Auf diese Weise werde ein neues Feindbild aufgerichtet,
... Mit der Furcht vor dem Islam wachse die Ausländerfeindlichkeit in
Deutschland." (laut idea-spektrum 1991, Nr.15, S.2)
Da Marius Baar die
Meinung vertritt, daß der Islam die Machtbasis des bald auftretenden
Antichristen sein werde, könnte die Befürchtung der AfA auch Baars Bücher
betreffen. Jene Leser, die sich von Baar beeinflussen lassen, werden den
Moslems besonders negativ gegenübertreten. Denn die Moslems sind es ja, aus
deren Mitte binnen kurzem der Antichrist hervorgehen werde, und sie seien es
auch, die ihm durch ihre Unterstützung zur Macht verhelfen. So könnte
tatsächlich ein neues Feindbild aufgerichtet werden. Ein Endzeitautor muß sich
überlegen, welche möglichen politischen Nebeneffekte seine veröffentlichte
Bibelauslegung hat. Wenn Christen dazu beitragen, daß eine bestimmte Gruppe von
Ausländern besonders negativ gesehen wird, sind sie auch für die weiteren
Folgen mitverantwortlich. Die einen bereiten geistig den Boden, die anderen
setzen auf diesem Boden Taten: Etwa militante Rechtsradikale, die Türken
zusammenschlagen.
Bei Baar lesen wir z.B.:
"Wo Araber hinkamen oder durchzogen, haben sie eine Wüste
zurückgelassen." (S.18) Solche pauschalen Urteile könnten zu Vorurteilen
gegenüber bestimmten Ausländern führen.
Mitunter kann auch die
bei dispensationalistischen Autoren gewöhnlich anzutreffende konservative
politische Haltung daran mitwirken, daß Ausländer im eigenen Land nicht gerne
gesehen werden. Wim Malgo wurde einmal gefragt: "Wie stellen Sie sich als
Mann Gottes zum Asylantenproblem in der Schweiz?" Seine Antwort: "Den
Asylanten, für soweit sie irgend eine Ahnung von der Bibel haben, möchte ich
das Wort Gottes aus Psalm 37,3b zurufen: 'Bleibe im Lande und nähre dich
redlich.' Ich meine damit sein Vaterland; denn der Asylant wird, ob in der
Schweiz, Deutschland, Holland, Großbritannien oder in welcher Nation er auch
sei, immer wieder mit seinem Anderssein als Problem zu kämpfen haben. Er gehört
eben in sein eigenes Land, wobei ich jetzt das Problem der physischen Bedrohung
in seinem Land nicht näher behandeln will." (Mitternachtsruf Okt. 1988,
S.18) Ob Malgo aus diesem Psalm nicht doch etwas zuviel herausliest?
b) Chaosfördernde Propaganda
Die Zeugen Jehovas sind stark auf politische Neutralität bedacht.
Dennoch kann auch ihre propagandistische Tätigkeit politische Wirkungen haben.
Aber die ZJ sind nur scheinbar neutral. Wenn sie empfehlen, nicht zur Wahl zu
gehen, so ist zu bedenken, daß auch die Nichtwähler Einfluß auf das
Wahlergebnis haben, so daß ja auch oft von der (größten) "Partei der
Nichtwähler" gesprochen wird. Diese "Partei" hätte es durchaus
in der Hand, jede Wahl wesentlich anders ausgehen zu lassen.
In der menschlichen
Gesellschaft findet sich sicherlich sehr viel Kritikwürdiges. Dabei können die
Politiker natürlich nicht ausgeklammert werden. Wenn wir auf Mängel hinweisen -
welche Form sollen wir wählen? Sollen wir die gesellschaftlich Verantwortlichen
scharf und massiv kritisieren? Und sollen wir uns auf diese beschränken, oder
müßten wir nicht eigentlich auch die übrige Bevölkerung miteinbeziehen?
In der Zwischenkriegszeit
haben die Zeugen Jehovas (ursprünglich noch "Bibelforscher" genannt)
auch in Deutschland die Pamphlete ihres Präsidenten Rutherford verteilt. Darin
wurden nicht nur die Verantwortlichen im kirchlichen Bereich mit scharfen
Worten kritisiert, sondern auch die politischen und wirtschaftlichen Führer.
So wurde etwa eine Broschüre mit dem Titel Gericht über die Richter, die
Prediger, die Nationen, die Politiker, die Hochfinanz, die Organisation
Satans, und das Volk verbreitet. (Mit "Nationen" sind hier die
nationalstaatlichen Organisationen gemeint.) Die amerikanische Ausgabe erschien
1929, die deutsche Übersetzung wurde teils in den USA, teils in der Schweiz
gedruckt. In der Einführung lesen wir (S.2): "Wissen Sie, warum die Gegenwart
ein solch ungewöhnlicher Zeitabschnitt der Weltgeschichte, ein solcher Tag
allgemeiner Kritik und Enthüllung von Unrecht ist? Der Welt Richter, Prediger,
Nationen, Geldmänner und Politiker, d.h. alle solche, die zu Satans
Organisation gehören, stehen vor den Schranken göttlichen Gerichts. Es ist eine
gefahrvolle Zeit für diese. Für das Volk aber steht eine gerechte Beurteilung
seiner Nöte und Bedürfnisse vor der Tür. Der Ausgang dieses Gottesgerichtes für
die Menschheit wird herrlich sein."
Auf diese Weise trugen
die ZJ dazu bei, das Klima der Unzufriedenheit zu schüren und anarchische
Zustände zu fördern. Somit haben sie auch ihren kleinen Anteil daran, daß der
Aufstieg einer so extremen Gruppe wie der Nationalsozialisten Hitlers möglich
wurde.
Zur Verteidigung könnte
man sich darauf berufen, daß die Zustände in den herrschenden Schichten
tatsächlich kritikwürdig waren. Dennoch: Wer etwas tut, muß sich auch die
Nebenwirkungen seines Tuns überlegen.
Mit der Möglichkeit
politischer Nebenwirkungen religiöser Propaganda ist jedenfalls zu rechnen.
10. Willkürliche Deutung des Zeitgeschehens
Eine bestimmte Endzeiterwartung kann Scheinerklärungen für
verschiedene Vorgänge liefern. Unser Evangelisieren bringt in den westlichen
Ländern wenig Ergebnisse? Anstatt nun kulturelle Faktoren zu untersuchen
(materielle Übersättigung, vielfältiges weltanschauliches Angebot), gibt es
dafür im Rahmen der Demnächsterwartung eine rasche "Erklärung": Die
Zeit der Heiden geht eben zu Ende, nun beginnt die Erweckung bei den Juden. So
zu lesen bei Wim Malgo: "Weshalb wandelt sich Israel? Antwort: Israel
wandelt sich heute, weil der Strom der Barmherzigkeit Gottes, der sich zwei
Jahrtausende lang um Israels Unglaubens willen über uns Heiden ergoß, nun
langsam versiegt beziehungsweise umgeleitet wird." (Schatten 166) Nun
zitiert Malgo Röm 11,30f und setzt fort: "Welch ein kostbares Wort! Es
erklärt alles. Deswegen wird das Evangelisieren in unseren Ländern immer
schwieriger. Unser Auftrag besteht darin, die letzten Garben einzusammeln, auch
in Südamerika. Denn das Werk ist bald getan! Die Volllzahl ist nicht mehr
fern! ... nun offenbart Er Sein Volk, das zu Jesus Christus hin verwandelt
wird." (S.167) Diese "Erklärung" ist allerdings voreilig, denn
von einer größeren Offenheit für das Evangelium von Jesus ist unter Juden zur
Zeit noch überhaupt nichts zu bemerken. Die Mission unter Juden ist in Israel
verboten, an Jesus gläubige Juden haben Schwierigkeiten, als Einwanderer
akzeptiert zu werden. Gleichzeitig bemerken wir eine starke Hinwendung zu Jesus
unter Heiden. Zwar nicht in Westeuropa, aber in anderen Gegenden der Welt, z.B.
in Südamerika.
Warum nimmt heute die
Isolierung der Menschen, insbesondere in Großstädten, zu? Hier könnten
soziologische Faktoren geprüft werden, doch damit hält sich Wim Malgo nicht
auf. Die Demnächsterwartung liefert auch hierfür ein einfaches Schema: Das
antichristliche Zeitalter zieht herauf, und diese Isolation ist wichtig für
die Überwachung durch den Antichristen:
"Das ist Harmagedon,
das in unseren Tagen immer dunkler werdende Schatten vorauswirft.
Nicht nur weltweit sehen
wir diese unheimlichen Schatten heraufziehen, sondern auch individuell; er
erfaßt auch den einzelnen Menschen.
Das zeigt sich zum
Beispiel in der Isolierung des einzelnen Menschen. Es wäre vor einigen Jahren
unvorstellbar gewesen, daß heute Menschen jahrelang im gleichen Häuserblock
wohnen und einander überhaupt nicht kennen. ... Diese Isolierung des einzelnen
Menschen ist notwendig zur individuellen Überwachung durch die antichristliche
Schreckensherrschaft, vergleiche Offenbarung 13,15." (Schatten 21)
Mir ist nicht klar,
inwiefern diese Isolierung notwendig zur Überwachung ist, oder inwiefern sie
zumindest einen Vorteil dazu darstellt. Man könnte zumindest ebensogut im
gegenteiligen Zustand - jeder kennt jeden - eine Erleichterung für die
Überwachung sehen.
11. Interesse für politische Vorgänge, aber verzerrte Sicht
Positiv an der Beschäftigung mit diesen Endzeit-Fragen finde ich
das politische Interesse. Dadurch verfolgen Christen, die sonst vielfach zu
politischem Desinteresse neigen, das Zeitgeschehen sehr intensiv.
Allerdings handelt es
sich hierbei um ein passives Beobachten. Einerseits sehen die Christen bei dem,
was geschieht, intellektuell interessiert zu - andererseits tun sie nichts, um
irgendwo unterstützend einzugreifen. Das Endzeitinteresse fördert also eine
"Zuschauermentalität"; eine Haltung, wie sie unserer Generation
ohnehin schon durch das Fernsehen stark anhaftet. Man beobachtet, um beurteilen
zu können, ist aber nicht gewillt, irgendetwas zu tun. Es besteht die Gefahr
der Erstarrung.
Ein weiteres Problem
liegt darin, daß politische Ereignisse aufgrund von Endzeiterwartungen verzerrt
wahrgenommen werden. Manche Autoren sehen alles in Verbindung mit Israel:
"Alles in der Welt hängt entweder direkt oder indirekt mit Israel
zusammen." (Malgo: Israel 70) Konkreter: "... wüten im Fernen Osten
jahrzehntelang blutige Kämpfe: erst zwischen Frankreich und Vietnam, dann
zwischen Amerika und Korea. Später bekriegten sich Amerika und Vietnam, dann
China und Vietnam, Kambodscha und Vietnam. Für viele ist es verdeckt, für manch
andere aber offenbar, wer die tiefste Ursache dieser um sich greifenden
Auseinandersetzungen ist: Israel, das auf dem Mittelpunkt der Erde liegt. An
diesem Volk entzündet sich der Haß der Völkerwelt." (Malgo: Heil 31f) Alle
Konflikte scheinen alleine Israel als Objekt zu haben, jede Kontaktaufnahme
zwischen zwei Staaten wird bereits als Fusionierung angesehen (natürlich mit
dem Ziel, gemeinsam gegen Israel vorgehen zu können): "Denken wir nur an
den Friedensvertrag zwischen China und Japan, der als ein geschichtliches
Ereignis gefeiert wurde. Dadurch wurden zwei große Völker gegen den Strand,
Israel, zusammengeschmolzen. Dann haben wir als weiteres den weltbewegenden
Zusammenschluß von China und Amerika zu beachten. ... mit dem Zusammengehen
Amerikas und Chinas kehrt sich Amerika von Israel ab." (Malgo: Heil 25f)
Auch für Fritz May scheint letztlich alles im Hinblick
auf Israel zu geschehen: "Der Vorbereitung zum Marsch auf Jerusalem dient
zweifelsohne schon heute der Krieg, den der Iran gegen den Irak (selbst ein
erklärter Feind Israels) führt, um den Weg über Bagdad und den Euphrat nach
Jerusalem freizumachen." (S.235) Nun ist dieser Krieg zu Ende - ist
deswegen der Iran dem "Marsch auf Jerusalem" nähergekommen? (Vgl.
auch die 13. Folge.)
12. Überlegenheitsbewußtsein im politischen Urteilen
Politische Vorgänge sind oft sehr komplex - daher Vorsicht vor
Urteilen! Wir dürfen unsere christliche Haltung nicht vorschnell mit vielleicht
einseitigen politischen Urteilen vermengen. Manche Christen meinen, mit der
Bibel in der Hand alle aktuellen politischen Vorgänge einschätzen zu können.
Sie meinen zu wissen, wie Gott die verschiedenen Vorgänge sieht, und wie Gott
selbst darin am Wirken ist. So beurteilt Wim Malgo den Friedensvertrag zwischen
Ägypten und Israel (1979) sehr skeptisch; er werde keine Lösung bringen. Warum
nicht? "Der Herr ist nicht dabei!" (Heil 34). Das ist ein gewagtes
Urteil, denn erstens hat dieser Friede in den 13 Jahren seither recht gut
gehalten (daß mit diesem Vertrag zwischen diesen beiden Ländern nicht die
gesamte Nahostproblematik gelöst war, war natürlich allen Beteiligten bewußt),
und zweitens beurteilt Gott das Bemühen, zu friedlichen Lösungen zu kommen
(anstatt sich zu bekriegen), prinzipiell positiv (vgl. Mt 5,9: "Selig die
Friedensstifter"). Wenn Malgo dennoch zu wissen meint, daß hier Gott nicht
dabei ist, dann beansprucht er ein sehr genaues Wissen um Gottes Wirken für
sich. Ähnlich urteilt Baar: "Dieses Bündnis geschieht nicht nach dem
Willen des Herrn." (S.195) "... kann der Friedensbund zwischen Israel
und Ägypten ... nicht von Dauer sein. Es ist eine Scheinlösung und eine
Ersatzlösung, die Gott ablehnen wird, da es nicht sein Friedensplan ist."
(S.226)
Von anderen
Endzeitautoren wird dieser Friedensvertrag aber positiver beurteilt. Goetz
sieht darin die Erfüllung göttlicher Prophetie (S.69.111).
Daß sich Malgo mit diesem
Friedensvertrag nicht anfreunden konnte, erklärt sich daraus, daß er in Israels
Sinai-Besitz bereits den in der Bibel angekündigten Endzustand gegeben sah:
"An der Südgrenze zu Ägypten herrscht nun gemäß dem prophetischen Wort
Ruhe. Die Südgrenze ist nicht etwa der NIl, sondern der Bach Ägyptens, welcher
sich von El Arish durch die Wüste schlängelt." (Israel 62) So schrieb
Malgo 1974. Nun abgesehen von der Frage der richtigen Bibelauslegung:
Stillschweigend vorausgesetzt wird bei einer solchen Bibelauslegung immer, daß
wir in der allerletzten Zeit leben, und die heutige politische Konstellation in
die Schlußereignisse einmündet.
Aus diesem
Überlegenheitsbewußtsein heraus werden dann auch den Politikern Ratschläge
erteilt. So meint Malgo: "Präsident Carter ist vorläufig gescheitert, ...
einen wahren Frieden zwischen Israel und Ägypten zustandezubringen, trotz der
jetzigen 'Friedensübereinkunft' vom 26.März 1979." (Heil 29) Malgo weiß
aber auch, was Carter hätte besser machen können: "Wenn Präsident Carter
von seinem Glauben an die Bibel, an das prophetische Wort, getrieben würde,
dann wäre manches anders gelaufen, und auch die wiederaufgenommenen Gespräche
in Camp David würden ein viel breiteres und dauerhafteres Ergebnis gezeitigt
haben: Jordanien und Saudi-Arabien hätten sich angeschlossen usw." (S.30)
Während Jesus die
Friedensstifter selig preist (Mt 5,9), wischt Malgo alle menschlichen
Friedensbemühungen mit einem Handstreich vom Tisch und bezeichnet sie - Psalm 2
aufgreifend - als gegen Gott gerichtet: "Wozu denn heute all die
Konferenzen und Gipfeltreffen, die Helsinki-Friedenskonferenz und so weiter?
Das wird nicht ausgesprochen, aber ich sage aufgrund der Schrift: Es ist
letztlich alles wider den Herrn und Seinen Gesalbten. Aber der im Himmel sitzt,
lacht ihrer." (Schatten 169; ähnlich Israel 137) Wäre es also besser, die
Konfliktparteien würden mit ihren Armeen aufeinander losgehen, anstatt sich an
den Verhandlungstisch zu setzen? Auch hier wird wieder Malgos
Überlegenheitsbewußtsein sichtbar: Mit der Bibel in der Hand, ist es ihm ein
Leichtes, alle politischen Vorgänge zu be(ver)urteilen.
Malgo weiß auch genau,
daß letztlich Gott selbst hinter den innerarabischen Kämpfen im Libanon steht,
etwa zwischen Syrern und Palästinensern: Auch über dieses rätselhafte Geschehen
gebe uns die Bibel Aufschluß; es gehe dabei "um die ausgleichende Gerechtigkeit
Gottes, indem die Mörder von israelischen Frauen und Kindern von ihren eigenen
Förderern ermordet werden" (Schatten 102). Kurz: "Was im Libanon
geschieht, ist göttliche Vergeltung," (S.103) Bestimmte Kriege zwischen
Menschen als von Gott bewirkt hinzustellen, ist jedenfalls sehr riskant.
13. Willkürliche politische Unterstützung
Die jeweilige Endzeitsicht kann auch zu praktischen politischen
Anweisungen führen. So riet Wim Malgo vor der deutschen Wahl vom 5.Oktober
1980: "Wenn Sie am 5.Oktober nicht wählen, dann wählen Sie im Grunde
genommen doch. Nur hat dann die Regierung, die nach Gottes Willen an die Macht
kommen soll, Ihre Stimme nicht. ... Die katholische CDU-CSU aber bejaht das
Vereinigte Europa, d.h. das werdende antichristliche Reich, sehr stark. Soweit
ich das prophetische Wort erkenne, wird Deutschland früher oder später von
solch einer politisch-religiösen Richtung regiert werden, denn das
antichristliche Reich muß entstehen. Gottes Wort ist Wahrheit! So würde ich an
Ihrer Stelle von zwei Übeln das bessere wählen, und das ist in diesem Fall
gewiß Strauß, ... weil die CDU-CSU sich nach dem Vereinigten Europa ausstreckt,
sprich Wiederherstellung des Römischen Reiches, entspricht sie diesbezüglich
der Erfüllung des prophetischen Wortes. ... Wird nun Deutschland am 5.Oktober
eine konservative Regierung bekommen, sprich CDU/CSU, dann wird die
Wiedererrichtung des Römischen Weltreiches beschleunigt." (Mitternachtsruf
September 1980, S.20f) Der dahinterstehende Gedanke ist folgender: Das
antichristliche Reich muß und wird entstehen, und zwar - hier kommt eine
stillschweigende Voraussetzung hinzu - sehr bald. Wir sollen daher möglichst
daran mitwirken, daß dieses Reich bald entsteht, denn so ist es der Wille
Gottes.
Das ist natürlich ein
schiefes Bild vom Willen Gottes, denn demnach sollten wir ja - gemäß dem
"Willen Gottes" - alle antichristlichen Tendenzen möglichst
unterstützen, damit das Reich des Antichristen schneller kommt!
Hat Malgo die
Konsequenzen seiner Anweisung wirklich bedacht? Oder ist seine Anweisung
vielleicht ein Ausfluß einer Neigung zu konservativen politischen Parteien?
Manche seiner auf Mode bezogenen Äußerungen lassen eine konservative
Grundhaltung vermuten:
"Der langmähnige
junge Mann, der vor seiner Bekehrung wie eine Frau ausgesehen hat, wird durch
die Wirkung des Heiligen Geistes in ihm bald zum Coiffeur gehen und sich die
Haare schneiden lassen. Ebenso wird eine junge Frau, die wiedergeboren wurde zu
einer lebendigen Hoffnung, bald einen Ekel davor bekommen, sich wie ein Mann
mit Hosen zu bekleiden; ihr Äußeres wird sich mit der Zeit verändern."
(Heil 70f)
Allgemein läßt sich bei
den verbreiteten Endzeitautoren eine stark prowestliche Haltung feststellen. In
erster Linie pro Israel, dann auch für die USA, für Westeuropa, gegen die
Sowjetunion ... Diese Sympathie ist mitunter so einseitig, daß sie die
tatsächliche Situation schief einschätzt - wie sich im nachhinein manchmal
feststellen läßt. Gerth schrieb 1989 nach Erwähnung Chruschtschows:
"Ähnlich militant sind auch heute noch Gorbatschow und seine Genossen,
obwohl sie mit Glasnost und Perestroika ihren wahren Charakter vertuschen
wollen. Das ganze Ausmaß der sowjetischen Militanz zeigt sich übrigens in dem
unstillbaren Durst nach nahöstlichen Ölquellen." (S.98) Diese Einschätzung
Gerths müssen wir heute doch als einseitig beurteilen.
Eine voreingenommene
Beurteilung des Verhaltens verschiedener Staaten führt auch zu einer
einseitigen Unterstützung bestimmter Staaten und Parteien.
14. Blinde politische Parteinahme für Israel
Die in der Bibel berichtete Heilsgeschichte spielte sich in Israel
ab; Jesus war Jude, und die Schreiber der Bibel waren zumindest großenteils
Israeliten. Schon von daher haben Christen, die sich ja intensiv mit der Bibel
beschäftigen, ein emotionales Naheverhältnis zu den Juden. Dieses Empfinden
drückt sich in verschiedener Weise aus.
a) Taten und Fähigkeiten von Israeliten werden bewundert
Kurt Koch berichtet
über die lange Belagerung und schließliche Einnahme der Burg Masada durch die
Römer im Jahr 73 n.Chr. Als die Römer die Burg endlich erobert hatten, fanden
sie darin 960 Leichen. Es lebten nur noch zwei Frauen und fünf Kinder, die sich
versteckt hatten. Die anderen Frauen und Kinder waren von den Männern getötet
worden; danach hatten sich die Männer gegenseitig selbst getötet. Ich will
jetzt nicht generell über Selbstmorde urteilen - sicherlich muß man den
einzelnen Fall, die einzelne Situation, in der ein Mensch stand, mitbedenken.
Aber glorifizieren werden wir einen Selbstmord nie! Im Fall Masada ging es ja
auch nicht durchwegs um Selbstmorde, sondern um ein vereinbartes
Sich-Töten-Lassen. Wobei vermutlich die Frauen und Kinder nicht gefragt wurden,
sondern als Besitz der Männer angesehen wurden - so daß die Männer sie töten
konnten, wenn sie der Meinung waren, das sei für sie besser. Daß einige Frauen
und Kinder sich versteckt haben, deutet auf die Möglichkeit hin, daß vielleicht
noch mehr diesem Tod hätten entgehen wollen. Jedenfalls waren es Israeliten,
die das taten, und Koch ist voll Bewunderung:
"Die tapferen
Verteidiger hatten es vorgezogen, ihre Frauen und Kinder zu töten. ... Woher
weiß die Nachwelt von diesem heroischen Zeugnis der Tapferkeit und
Freiheitsliebe? Zwei Frauen und fünf Kinder hatten sich versteckt. Sie
berichteten den anstürmenden Römern den Vorgang dieses Heldentums. ... dieser
Stätte eines unerhörten Mannesmutes ... Dieser heroische Geist lebt heute in
Israel wieder auf." (S.25)
Mit einer derartigen
Bewunderung des Tötens und Selbstmordens vertritt Koch m.E. keine christliche
Position.
Israelbegeisterung zeigt
sich auch, wenn AT-Aussagen über Israel überinterpretiert werden: Beim
Propheten Sacharja etwa geht es bloß darum, daß Gott sich gegen jene wendet,
die Israel ausgeplündert haben. Insofern wird Israel mit Gottes Augapfel
verglichen. Daß Israel einen besonderen politischen Durchblick hätte, wird
damit nicht gesagt (das läßt sich auch allgemein dem AT nicht entnehmen; nur in
dem Maße, in dem Israel auf von Gott gesandte Propheten gehört hat, hatte es
den entsprechenden Durchblick, aber nicht von Natur aus, etwa
rassisch-biologisch begründet!). Doch Wim Malgo meint: "Man will noch
immer nicht erkennen, daß Israel Gottes Augapfel ist (Sach 2,12) und daß Israel
deshalb als das Auge Gottes bezüglich der Gefahren, die im Anzug sind, viel
besser und klarer durchblickt als die restliche Welt." (Heil 34f)
b) Für Gott sein = für Israel und gegen Araber sein?
Für Gott sein bedeutet für viele Christen für Israel sein; wer
dagegen für die Araber ist, der ist damit auch gegen Gott: "Das Ergebnis
des letzten Nahostkrieges ist, daß die meisten Staaten die Seite der Araber
gewählt und sich damit gegen Gott entschieden haben." (Malgo: Israel 137)
Somit scheint Israel ein Stück weit die Stelle Jesu einzunehmen. Man könnte
hier den Eindruck gewinnen, daß sich die Geister nicht mehr an Jesus scheiden,
daß nicht mehr die Stellung für oder gegen Jesus über das Heil entscheidet,
sondern die Stellung zu Israel. Wer ist Gottes Segensvermittler für die Welt?
Etwa Jesus? Bei Malgo ist das zumindest stellenweise Israel! "Israel ist
Gottes Segens- und Heilsvermittler für diese Welt." (S.122) Und weiter:
"Äußerlich haben Israel und Jesus scheinbar noch nichts miteinander zu
tun, aber in Gottes Augen sind sie bereits eins, untrennbar
zusammengefügt." Hier wird die Nähe (Identität?) zwischen Israel und Jesus
ausdrücklich festgestellt.
Und wenn sich israelische
Soldaten falsch verhalten? Der Präsident von World Vision hat zu weltweiten
Protesten gegen israelische Übergriffe auf christliche Einrichtungen für
Palästinenser aufgerufen (nach idea-spektrum 1992, Nr.8, S.16). Eine solche
Kritik wird man in israelbegeisterter Literatur wie jener Malgos kaum jemals
finden.
Wiederholt wird darauf
verwiesen, daß Gott zu Abraham sagte: "Ich will segnen, die dich
segnen" (1.Mose 12,3), wobei Israel mit Abraham gleichgesetzt wird. Wir
sollen Israel Gutes wünschen; wenn Israel erlebt, daß der Gott der Bibel
wirksam ist, dann wird es sich diesem Gott zuwenden. So sagt Malgo, daß zwar
die Heiden zuerst glauben müssen, dann werden sie Wunder sehen; aber bei den
Juden läuft es umgekehrt: "Bei den Juden handelt der Herr umgekehrt: Er
läßt sie Wunder erleben, damit sie glauben!" (Schatten 166) Das wäre
jedenfalls eine neue Linie Gottes, denn als Jesus auf der Erde wirkte, hat er
die Wunderforderungen auch seitens der Juden stets zurückgewiesen. In der
Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus läßt Jesus die Meinung, daß
ein aus den Toten Auferstehender die Brüder des reichen Mannes zur Umkehr
bewegen würde, durch Abraham zurückweisen: "Wenn sie auf Mose und die
Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer
von den Toten aufersteht." (Luk 16,31)
Bei Malgo wird Israel
stark mit Licht assoziiert, während andere Nationen Finsternis darstellen. Ist
das eine nüchterne Betrachtung der Juden in Israel, die zu 99,95 % Jesu
Anspruch, der Messias zu sein, ablehnen? "Wie könnte ein finsteres
kommunistisches Regime, das Gott ablehnt, Israel bejahen?! - Da schied Gott das
Licht von der Finsternis. ... Wie können wir von einem dekadenten und
demoralisierten Europa, das die Finsternis, den Sumpf der Unsittlichkeit,
lieber hat als das Licht, eine pro-israelische Haltung erwarten? - Da schied
Gott das Licht von der Finsternis." (Schatten 75) Und schon vorher:
"Die tiefste Wurzel des ständigen Nahostkonfliktes finden wir in 1.Mose
3,15, wo Gott der Herr sagt: 'Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und
dem Weibe und zwischen deinem Samen und ihrem Samen.' Das war die von Gott
gewollte Scheidung zwischen Licht und Finsternis, die Er unmittelbar nach der
Schaffung des Lichts vornahm (1.Mose 1,4)." (S.71)
Den Juden wünschen wir
also Gutes, den Heiden mitunter Schlechtes. So meint Steven Lightle in Erinnerung an Israels
Befreiung aus Ägypten, daß wir erkennen müssen, welche Götter von den
Sowjetrussen angebetet werden. "Ist es die Wissenschaft, die Militärmacht,
der Stolz, die Vaterlandsliebe, der Atheismus? Wir müssen herausfinden, welche
Götzen angebetet werden, und in der geistlichen Kampfesführung die Plagen
herabbefehlen, damit Gottes Volk frei wird." (S.168f)
Derselbe Lightle
berichtet, daß Gott möchte, daß die Juden (unabhängig davon, wieweit sie an
Jesus glauben) von uns gesegnet werden sollen. Gott sagte zu Lightle:
"Diese Juden werde ich durch Finnland in die Freiheit bringen. In meiner
Güte werde ich Finnen und Deutschen die Chance geben, mein geliebtes Volk zu
segnen." (S.42)
Steht Gott bei Konflikten
zwischen Israelis und anderen immer automatisch auf der Seite der Israelis?
Interessant ist, was Jesus den Juden vorhält, die meinen, daß ihnen allein
aufgrund ihres Judeseins die besondere Gunst Gottes sicher sei: "In Israel
gab es viele Witwen in den Tagen des Elija, als der Himmel für drei Jahre und
sechs Monate verschlossen war und eine große Hungersnot über das ganze Land
kam. Aber zu keiner von ihnen wurde Elija gesandt, nur zu einer Witwe in
Sarepta bei Sidon. Und viele Aussätzige gab es in Israel zur Zeit des Propheten
Elischa. Aber keiner von ihnen wurde geheilt, nur der Syrer Naaman." (Luk
4,25-27)
c) Mögliche politische Folgen der Israelbegeisterung
Viele evangelikale Christen stehen entschlossen auf der Seite des
Staates Israel, ganz gleich, was dieser tut. Da solche Evangelikale in den USA
einen beträchtlichen Anteil an der Bevölkerung darstellen, sieht ein auf seine
Wähler bedachter US-Präsident sich auch von dieser Seite einem gewissen Druck
ausgesetzt, Israel finanziell und militärisch zu unterstützen. Die
amerikanische Unterstützung wiederum kann dazu führen, daß israelische
Politiker sich sicher fühlen und auf arabische Forderungen überhaupt nicht
eingehen. So kritisiert Clouse: "die Neigung, die Sache Gottes mit dem
Zionismus und dem Staate Israel gleichzusetzen, führt zu einer 'christlichen'
Politik, die dem 'Frieden auf Erden' nicht förderlich ist." Was ist, wenn
auf diese Art Konflikte verschärft und bewaffnete Auseinandersetzungen
provoziert werden? Clouse: "dann wären viele evangelikale Christen für die
vorherrschende Einstellung mitverantwortlich, die zu einem solchen Konflikt
führen könnte." (S.169)
15. Israel wird automatische Nähe zu Gott zugeschrieben
a) Sind Juden und Christen gemeinsam das Volk Gottes?
Israelbegeisterung wird auch darin sichtbar, daß den Juden -
einfach aufgrund ihrer rassischen Zugehörigkeit - eine besondere Nähe zu Gott
zugeschrieben wird. Auch wenn sie Jesus ablehnen und somit keine Christen sind,
werden sie mitunter wie Christen betrachtet: wiedergeboren, voll Geistes,
gerettet.
Die Ankündigung der
Geistausgießung Joels - von Petrus auf die Ausgießung zu Pfingsten bezogen -
wird dann auf nichtwiedergeborene Juden bezogen. Joel hatte geschrieben:
"Ich will meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und
Töchter sollen weissagen, eure Ältesten sollen Träume haben" (3,2). Diese
Ankündigung verbindet Klaus Gerth mit einem Traum, den drei Rabbiner 1979
unabhängig voneinander hatten (S.88). Sind diese Rabbiner also wiedergeboren,
haben sie Gottes Geist empfangen, auch ohne sich zu Jesus bekehrt zu haben?
Auch andere Aussagen, die
eigentlich für solche Menschen gelten, die ihr Leben bewußt Jesus übereignet
haben, werden dann pauschal auf alle Juden bezogen: Als Eingangsmotto für das
Kapitel "Warum hat Israel so viele Feinde?" nimmt Malgo folgende
Ankündigung Jesu in Mt 24,9b: "Ihr müsset gehasset werden um meines Namens
willen von allen Völkern" (Schatten S.71)
So werden jene, die rein
körperlich Juden sind, in vieler Hinsicht mit jenen, die vom Geist Gottes
neugeboren wurden, auf die gleiche Ebene gestellt, etwa unter Verwendung von
Joh 10,28: "Hat nicht die Hand, die Israel gehalten hat, auch uns bis auf den
heutigen Tag gehalten? Der Herr hat ausdrücklich gesagt: 'Niemand wird sie mir
aus meiner Hand reißen.' Also sind wir diesbezüglich auf der gleichen
Ebene." (Malgo: Schatten 154) Malgo meint auch, daß "wir als
Wiedergeborene das Bürgerrecht Israels bekommen" haben (Schatten 156). Und
zwar in folgendem Sinne: Die Juden haben alle dieses Recht, wir haben es nun
auch bekommen. Aber das sind zwei verschiedene Dinge. Das Bürgerrecht für das
"neue Israel" haben die Juden nicht schon automatisch mit ihrem
Judesein, dieses erhalten nur die "messianischen Juden".
Malgo bezieht Aussagen
Jesu über seine Jünger ausdrücklich auch auf Juden im allgemeinen: "der
Herr Jesus sagt nicht nur von der Gemeinde, sondern auch von Seinem Volke
Israel in Johannes 17,19: 'Ich heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie
geheiligt seien in der Wahrheit.'" Man gewinnt den Eindruck, für die
Juden gibt es einen "Königsweg" zu Gott: Während die Heiden sich
bekehren müssen, können Juden diese Hürde überspringen. Doch damit sind wir
beim nächsten Abschnitt.
b) Müssen Juden sich zu Jesus bekehren?
Im NT wird den Juden wie den Heiden die Notwendigkeit eingeschärft,
sich zu Jesus zu bekehren: "Wie der Sünder aus den Heiden muß auch er Buße
tun und bekehrt werden, damit seine Sünden getilgt werden (Apg 3,19). Da ist
kein Unterschied zwischen Juden und Griechen (Röm 10,12); sie müssen in
gleicher Weise durch den erlösenden Heiland gerettet werden. Eine Hoffnung für
die Juden aufzustellen, nur weil sie Juden sind, hieße ein anderes Evangelium
predigen (Gal 1,8)." (Grier 92)
Im NT werden die Juden
mehrmals gewarnt vor dem Irrglauben, sie hätten alleine deshalb, weil sie
körperlich zum Judentum gehören, eine besondere Stellung vor Gott:
"Ihr Schlangenbrut,
wer hat euch denn gelehrt, daß ihr dem kommenden Gericht entrinnen könnt?
Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt, und meint nicht, ihr könntet
sagen: Wir haben ja Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann aus diesen
Steinen Kinder Abrahams machen. Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume
gelegt: jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins
Feuer geworfen." (Mt 3,7-10) So ruft Johannes der Täufer einigen Juden
zu. Hat Gott etwa "sein Volk" verworfen? Jene Juden, die nicht
umkehren, verwirft Gott sehr wohl. Jesus anerkennt zwar vorerst, daß die mit
ihm diskutierenden Juden Nachkommen Abrahams sind (Joh 8,37-44). Im weiteren
Verlauf behauptet er aber, daß sie eigentlich nicht Kinder Abrahams sind,
sondern den Teufel zum Vater haben. Hier wird deutlich, wie wenig der Vorzug,
von Abraham körperlich abzustammen, in Jesu Augen zählt. Und Paulus sagt,
"daß nur die, die glauben, Abrahams Söhne sind" (Gal 3,7).
Die Warnungen des Täufers
und Jesu gelten insbesondere auch den religiösen Juden. Die Beschäftigung mit
der Torah alleine genügt nicht, um von Gott akzeptiert zu werden.
Es stimmt, daß Jesus (und
seine Apostel) Juden waren. Aber die bloße körperliche Verwandtschaft mit Jesus
bringt keinen besonderen Vorteil. Diese Verwandtschaft betrifft ja in höchstem
Maße Maria, seine Mutter. Als eine Frau diese seine Mutter deshalb selig pries,
antwortete Jesus: "Selig sind vielmehr die, die das Wort Gottes hören und
es befolgen." Auch wenn Menschen mit Jesus aufgewachsen sind, muß das kein
Vorteil sein: In seiner Heimatstadt Nazareth wirkte Jesus nur wenige Wunder,
wegen ihres Unglaubens (Mt 13,58).
Wir sehen also, wie
wichtig es ist, daß sich jemand wirklich Gott zuwendet - das bloße Judesein
alleine nützt wenig. Das macht auch Paulus im Römerbrief (2,9-11.25-29)
deutlich. Wesentlich ist die Stellung zu Gott, nicht die körperliche
Abstammung. "Denn nicht alle, die aus Israel stammen, sind Israel"
(Röm 9,6). So haben wir immer zu unterscheiden zwischen dem jüdischen Volk als
Ganzem und dem "Überrest" - jenen, die auf Gott hören. Manche
Aussagen gelten, auch wenn von Israel die Rede ist, eigentlich nur diesem
Überrest. In Röm 9,27.29 zitiert Paulus Jesaja 10,22 und 1,9 - dort wird auf
den Überrest verwiesen. "Hat Gott sein Volk verstoßen?" (Röm 11,1ff)
Diese Frage verneint Paulus unter Hinweis auf 7000 Männer zur Zeit des Elija,
"die ihr Knie nicht vor Baal gebeugt haben". Gott hat sein Volk nicht
insgesamt verworfen; die ihm treu Gebliebenen nämlich verwirft er nicht.
In diesem Sinne sagt
Hallesby im Rückblick auf die Zeit des AT: "Die Verheißungen haben die
ganze Zeit dem geistlichen Israel gegolten, nicht dem Israel nach dem Fleisch.
Daher hat Gott das halsstarrige Volk wiederholt mit Verhärtung gestraft und nur
einen kleinen Rest errettet, der jedoch zu jeder Zeit das wesentliche Israel,
das eigentliche Gottesvolk war." (S.58)
Also nicht die
körperliche Abstammung ist entscheidend, sondern die Stellung, die jemand zu
Gott einnimmt - er sei Jude oder Heide. Das wird von manchen Endzeitautoren
übersehen und so getan, als ob Juden automatisch, unabhängig von ihrer Stellung
zu Gott, einen besonderen Stand vor Gott haben. So warnt Malgo: "Wer den
Versuch unternimmt, Israel mit irgendeinem anderen Volk zu vergleichen,
befindet sich bereits auf einem Irrweg. ... Es ist sogar so, daß der Herr
denjenigen, die Israel auf gleiche Ebene wie andere Völker setzen wollen,
schwerste Gerichte voraussagt: ..." (Schatten 153) Nun zitiert Malgo
Hesekiel 25,8f und setzt fort: "Moab wurde also durch Kriegsgerichte gestraft,
weil es Juda mit andern Völkern gleichstellte." Da müßten auch Jesus und
Paulus von Gott gestraft werden, denn auch sie haben Juda "mit anderen
Völkern gleichgestellt" - indem sie klargemacht haben, daß ein Jude
genauso wie ein Heide umkehren muß! Die von Malgo zitierte Stelle aus Hesekiel
besagt etwas anderes: Moab wird nicht deshalb Gericht angekündigt, weil es
gleichsam wie ein Wissenschaftler einen sachlichen Vergleich angestellt hat,
sondern weil es sich gefreut hat über das Unheil, das über Juda hereingebrochen
ist. Das geht aus den Versen davor klar hervor.
Malgo rechnet damit, daß
die Juden Jesus bei seinem Wiederkommen anerkennen werden: "So nähern wir
uns unaufhaltsam dem triumphalen Höhepunkt, daß zwei eins werden, Israel und
sein Messias," (S.121) Wie ganz anders lautet doch die Botschaft Malgos an
Heiden, an solche also, die nicht an Jesus glauben. Er betont, daß "ein
Ungläubiger ... durch die unvergebene Sünde sowieso völlig von Ihm getrennt
ist" (Bibel 100). Daher die Warnung: "Wenn du in diesem unbekehrten
Zustand bleibst, dann bist du für ewig verloren." (Israel 195f, ähnlich
Bibel 87) Eine eindringliche Warnung! Eine solche Warnung scheint Malgo für
Juden jedoch nicht bereit zu haben, diese seien Gott - so scheint es bei Malgo
- auch ohne Bekehrung zu Jesus ganz nahe. Insofern erhält man den Eindruck, daß
Malgo ein Sonderevangelium für Juden bereithält. Nach Malgo sind die Juden,
auch ganz ohne Bekehrung zu Jesus, Gottes Eigentum: "Israel ... ist Sein
Eigentum." (Israel 118)
Nach Jesu Worten sollten
jene Juden, die Moses ernst nehmen, eigentlich an Jesus als den Messias
glauben: "Wenn ihr Mose glauben würdet, müßtet ihr auch mir glauben; denn
über mich hat er geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie
könnt ihr dann meinen Worten glauben?" (Joh 5,46f)
Steven Lightle zitiert
Hosea 3,4f: "... Danach werden die Kinder Israel umkehren (zurückkehren)
und den Herrn, ihren Gott, und David, ihren König, suchen und werden sich
bebend zu dem Herrn und zu seiner Güte flüchten am Ende der Tage." (S.143)
Lightle setzt fort: "Die Erfüllung dieser Verheißung, die vor mehr als
2500 Jahren gegeben wurde, erleben wir in unserer Zeit mit." Dabei
übersieht er, daß von einer wirklichen Umkehr zu Gott nichts zu beobachten ist.
Weder in dem Sinn, daß die Zahl der orthodoxen Juden zunehmen würde, und schon
gar nicht in dem Sinn, daß die Zahl derer, die Jesus als den von Gott gesandten
Messias anerkennen, merklich zunehmen würde.
c) Wie offen für Gott sind die Juden derzeit?
Bei Malgo hat man als Leser den Eindruck, daß die Juden ohnehin
schon äußerst offen für Jesus seien. Er zitiert etwa David Flüsser: "Ich
glaube sagen zu können, daß es heute keinen Juden mehr gibt, der etwas dagegen
hätte, wenn Jesus der Messias wäre." (Israel 116f) Allerdings gibt es in
Israel kaum einen Juden, der etwas dafür hat: Nämlich nur 0.05 %! Die
Messiaserwartung nimmt in Israel zu (Israel 118f), Israel ist bereits geläutert
(S.119), Israel wird heute geheiligt (S.120), "die Entwicklung in Israel
zu Jesus hin beschleunigt sich unaufhaltsam" (S.121) - so konnte Malgo
schon 1974 feststellen. Knapp 2 Jahrzehnte später müssen wir leider
registrieren, daß diese "beschleunigte Entwicklung" doch nicht so
unaufhaltsam ist. Wenn sie nämlich im gleichen Tempo wie bisher weitergeht,
dauert es noch Jahrhunderte, bis ein nennenswerter Teil der in Israel lebenden
Juden sich zu Jesus hin entwickelt! Bei Malgo jedoch sind die Juden bereits
wesentlich christlicher als die Gemeinde: "Israel beginnt nach dem Wort zu
hungern. Die Gemeinde mit ihren zum großen Teil modernen Theologen verleugnet
das Wort." (S.121) (Rechnet Malgo alle Namens-Christen zur Gemeinde?)
"Das geistliche Erwachen in Israel wird immer offensichtlicher,"
(S.194) Malgo weiter: "Bei wem will der Herr wohnen? Doch gerade bei
denjenigen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind. Es liegt jetzt auf
Israel ein Geist der Zerschlagenheit und der Demütigung." (S.143)
"Die Gegenwart des Herrn mitten in Israel ist eine solch starke
Realität," (S.181) "Der verborgene Messias ist in Israel gerade jetzt
in seinem großen Leid wirklich gegenwärtig. Er geht von Haus zu Haus und
tröstet die Trauernden und richtet die Müden und Resignierten wieder auf."
(S.244) Und das alles, obwohl sie ihn mit seinem Anspruch ablehnen!
Äußerst bedenklich ist
auch, was Malgo über Gottes Zuwendung und Abwendung sagt: Jesus wandte sich von
Israel, von Seinem Volk weg, weil es ihn nicht hören wollte. "Daraufhin
wurden wir Gläubigen aus den Heiden zum Tempel, ... In unseren Tagen wendet
sich Jesus vom geistlichen Tempel weg und wieder hin zu Seinem Volk
Israel." (S.121) Daran ist ungefähr die Hälfte falsch. Gott hat sich von
Israel abgewandt? Durchaus nicht zur Gänze. Von jenen Israeliten, die Jesus
annahmen, hat sich Gott niemals abgewandt. Die gläubigen Heiden wurden zu einem
Tempel? Nicht alleine, sondern gemeinsam mit den an Jesus gläubigen Juden! Auch
Petrus, Johannes und Paulus gehören zu dem Tempel, zu dem jetzt auch Malgo und
Stuhlhofer gehören. Jesus wendet sich vom geistlichen Tempel weg? Das wird er niemals
tun!
Wesentlich weniger
positiv über die geistliche Verfassung der gegenwärtigen Juden schreibt Baar -
obwohl dieser ja auch stark die Partei für Israel ergreift. "Wenn es auch
Israel auf politischem Gebiet heute etwas besser geht, seine Lage auf
geistigem und religiösem Gebiet ist doch noch immer die gleiche. Um uns davon
zu überzeugen, treten wir in eine Synagoge ein. Was sehen wir da anstatt eines
levitischen Kultes? Eine Versammlung von Maklern, die während der öffentlichen
Gebete kommen und gehen, spielende Kinder, Leute, deren Haltung
Gleichgültigkeit und Verachtung verrät, Rabbiner, die alte Gebetsformeln ohne
innere Teilnahme hersagen, Bitten und Lobpreisungen, die ihrem Gewissen und
ihrem Herzen fremd bleiben.
Was studieren, was lesen
israelische Kinder heute? Die Überlieferungen der Vorfahren, armselige
Legenden, eitle Gesetze ihrer Talmud-Lehrer oder geisttötende Schriften des
modernen Unglaubens. Das Wort Gottes - sie besitzen es nicht einmal, höchstens
Auszüge daraus gibt man ihnen in die Hand. Materielles Interesse nimmt sie ganz
in Anspruch, ... Die Decke bleibt auf ihrem Gesicht, wenn Mose gelesen
wird;" (S.125)
16. Vorbehalte gegen größere Vereinigungen
Der Christ steht in einer Spannung: Einerseits soll er für Versöhnung
und Verständigung auch zwischen verschiedenen Weltanschauungen eintreten, sich
aber andererseits insbesondere in religiöser Hinsicht davor hüten, mit allen
Richtungen gottesdienstliche Gemeinschaft zu haben sowie alle Richtungen
positiv zu beurteilen. Einerseits wird es der Christ befürworten, wenn
Meinungsverschiedenheiten durch Verhandlungen ausgetragen werden und nicht
durch militärische Mittel (wobei internationale Einrichtungen hilfreich sein
können), andererseits weiß er, daß große Verbände auch viel Macht gewinnen und
diktatorisch werden können (und im Extremfall ein Instrument des Antichristen
darstellen können).
Auf diese Spannung hat
Erich Lubahn hingewiesen:
"Geboten scheint die Einheit der Welt, wenn man etwa an die Probleme der
Umweltverschmutzung denkt, die nur weltweit und einheitlich zu meistern sind.
Antichristliche Züge trägt die Welteinheitsbewegung deshalb, weil nach dem
Zeugnis der Schrift sich der Antichrist der Einheitssehnsucht der Menschen zu
seinem Vorteil bedienen wird. Darin liegt eine gewisse Tragik. Sie macht in
besonderer Weise deutlich, daß vordergründig Nützliches und Gutes in der Welt
sich am Ende doch negativ auswirkt. Warum ist das so?
Es wird deutlich, daß der
Mensch seine Probleme im tiefsten nicht ohne die Erlösung durch Jesus zu lösen
vermag. So führt nicht nur das Schlechte, sondern auch das Gute ohne Jesus hin
zum Antichristen." (in seinem Buch Was kommt auf uns zu? Apokalyptik -
Endzeitfragen, Metzingen 1987, S.46)
Nehmen wir einmal an, der
Antichrist wird nicht aus der UNO hervorgehen bzw. wird nicht die UNO als
Machtbasis verwenden. Dann haben jene Christen, die die UNO in Verbindung mit
dem Antichristen sahen und deshalb äußerst negativ beurteilten, den im Rahmen
der UNO abgelaufenen Bemühungen um den Frieden eigentlich unrecht getan. Daß es
oft auch der UNO nicht gelingt, Frieden zu schaffen, und daß bei Beschlüssen
der UNO oft unsachliche Gesichtspunkte mitwirken, will ich nicht leugnen. Aber
das prinzipielle Bemühen ist jedenfalls anzuerkennen.
Schon vor Jahrzehnten
beobachteten Christen argwöhnisch jede Vereinigung, die eine gewisse Größe und
Macht erreicht, weil ja aus ihr irgendwann einmal der Antichrist hervorgehen
könnte: "Wenn ich recht sehe, wird sich aus dem jetzigen Völkerbund der
zukünftige Zehnstaaten-Bund entwickeln, an dessen Spitze der Antichrist stehen
wird." (Heitmüller 32)
Mittlerweile gibt es den
Völkerbund nicht mehr, aber wir beobachten weiterhin insbesondere im Rahmen der
Endzeitliteratur ein argwöhnisches Mißtrauen gegenüber allen größeren
Organisationen, wie UNO oder EG - denn wer zu groß wird, könnte ja einmal die
Basis für den Antichristen darstellen!
17. Einfluß auf politische Entscheidungsträger
Manche Evangelikale haben Kontakt zu wichtigen Politikern. Das
wohl prominenteste Beispiel ist Billy Graham, der enge Kontakte zu mehreren
US-Präsidenten (inklusive George Bush) hatte. In einem solchen Fall ist auch
mit der Möglichkeit zu rechnen, daß ein Evangelikaler Einfluß auf die Politik
hat, wobei dann natürlich auch seine spezielle Endzeitsicht mitspielt.
Wenn z.B. Graham
amerikanischen Präsidenten und anderen Verantwortlichen den Eindruck
nahelegte, es bei Verhandlungen mit dem sowjetischen Generalsekretär mit dem
Antichristen oder zumindest seinem unmittelbaren Vorläufer zu tun zu haben, so
bedeutet das einen Einfluß, der in Richtung geringstmögliche Kooperation geht.
Dieser Einfluß beruhte - soweit wir das heute abschätzen können - eigentlich
auf einem Irrtum. Wenn bei heiklen politischen Entscheidungen neben realen Faktoren
noch irrtümliche Bibelauslegungen mitspielen, so kann das verhängnisvoll sein.
Es geht mir hier nicht so sehr konkret um Graham und um die Frage, ob er
tatsächlich Einfluß auf bestimmte Präsidenten hatte. Die Frage, von wem jemand
beeinflußt wurde, wird sich ohnehin kaum mit Sicherheit beantworten lassen.
Aber prinzipiell ist auch an die Möglichkeit zu denken, daß ein Endzeitautor
auf politische Entscheidungsträger Einfluß ausübt. Insbesondere in Verbindung
mit Israel fordern manche Autoren ja sogar ganz bestimmte, konkrete politische
Entscheidungen.
Dieser Aspekt darf
allerdings nicht überschätzt werden. Nur wenige Evangelikale, somit auch nur
wenige evangelikale Endzeitautoren, haben eine so anerkannte Stellung, daß sie
auf politische Entscheidungsträger Einfluß ausüben könnten.
Doch abgesehen von der
Möglichkeit eines direkten Einflusses ist noch folgendes zu bedenken. Wenn ein
Endzeitautor viele Menschen eines demokratischen Landes beeinflußt, dann wirkt
er damit indirekt auch auf Entscheidungsträger, die ja wiedergewählt werden
wollen und daher auf verbreitete Anliegen Rücksicht nehmen müssen. Wir müssen
also auch mit der Möglichkeit eines indirekten Einflusses rechnen.
Teil C:
Haben wir aus den Fehlern gelernt?
"Bedauerlicherweise haben sich im Laufe der Zeit die Deutungen
vieler prophetischer Bibelausleger ... als irrig erwiesen. Dadurch hat ihre
Glaubwürdigkeit verständlicherweise gelitten." (Goetz 233)
"Warum sollte es also heute anders sein? Wenn
Prophetie-Spezialisten während der vergangenen acht oder zehn Jahrzehnte oft
durch falsche Vorhersagen von sich reden machten, warum sollte es sich
ausgerechnet in unserer jetzigen Zeit anders verhalten? Könnten nicht auch das
vorliegende Buch und sein Verfasser die lange Reihe aufrichtiger, aber
irregeführter Unheilspropheten vergrößern?" (Goetz 218)
William Goetz wirft hier eine selbstkritische und berechtigte Frage auf. Er
verweist auf die lange Liste der bisherigen Mißerfolge. Eine solche Erfahrung
sollte sicherlich zu Konsequenzen führen. Wie sieht die Reaktion in der Praxis
aus?
1. Keine echte Umkehr
In Kap.A,9 haben wir uns mit der Beurteilung von Fehlvorhersagen
befaßt. Dort sind wir auf drei Kriterien eingegangen, die zu berücksichtigen
sind im Hinblick auf die Frage, wann von einem "Falschpropheten" zu
sprechen ist: Wenn jemand
erstens sich auf Gott beruft als Quelle seiner Vorhersage,
zweitens seine Vorhersage als etwas Sicheres oder zumindest sehr
Wahrscheinliches hinstellt, und
drittens seine Vorhersage öffentlich bekanntmacht.
Wie sollen wir folgenden
Fall beurteilen? Ein Christ steht im Dienst Gottes und tut tatsächlich einen
segensreichen Dienst. Auf irgendeine Weise kommt er auf eine bestimmte
Vorhersage und entschließt sich dazu, sie zu veröffentlichen. Vielleicht läßt
er sich gerade durch das Empfinden der Nähe Gottes, durch den spürbaren Segen
auf seinem Dienst dazu verleiten, seine Deutungen verschiedener Bibelstellen
für absolut richtig zu halten. Er publiziert also seine Vorhersage, und sie
stellt sich als falsch heraus. Bedeutet das, daß wir ihn insgesamt als falschen
Propheten einstufen müssen, und daß wir alles, was er tat und tut, als negativ
einstufen müssen?
Ich meine, daß wir hier
doch einen Unterschied machen sollten, daß wir Gutes und Schlechtes erkennen
und auch entsprechend einschätzen sollten. Weder sollten wir angesichts einer
Sünde eines Menschen alles andere, was er tut, gleichfalls negativ bewerten,
noch sollten wir angesichts positiver Handlungen/Lehren eines Menschen die
Augen vor Sünde verschließen oder versuchen, diese Sünde zu verharmlosen oder
zu beschönigen. Die Bibel gibt uns dafür mehrere Beispiele. Von dem, was David,
Salomo oder die Jünger Jesu geschrieben haben, können - und sollen! - wir sehr
viel lernen. Deren Schriften finden wir in der Bibel; daneben wird aber in der
Bibel von deren Sünden offen berichtet. Es wird dort nicht versucht, deren
Sünden zu verschweigen oder zu verharmlosen.
Gerade aus der Bibel
lernen wir ja auch, daß bei Gott Vergebung möglich ist. Eine solche Vergebung
setzt aber Umkehr voraus. Wenn ein Mensch auf Sünde aufmerksam wird und er
versucht daraufhin, zu erläutern, daß diese Sünde ohnehin nur ganz minimal war,
ja daß sie eigentlich gar nicht als "Sünde" anzusprechen sei, sondern
höchstens als "Fehler", daß dieser Fehler aber sehr natürlich und
sehr verständlich gewesen sei, und daß letztlich auch dieser Fehler noch sehr
positive Auswirkungen hatte, dann ist er von einer wirklichen Umkehr noch sehr
weit entfernt!
Sollten wir das falsche
Vorhersagen im Namen Gottes als "Sünde" ansprechen? Wenn man die
alttestamentlichen Aussagen dazu ansieht - den Befehl, einen solchen falschen
Propheten zu steinigen, oder den Bericht über Hananja, der innerhalb eines
Jahres starb -, so besteht kein Zweifel, daß es sich hierbei um eine schwere
Sünde handelt.
Vergebung ist möglich,
aber die Voraussetzung dazu ist Umkehr. Dort, wo eine solche Umkehr geschehen
ist - was Schulderkenntnis, Schuldbekenntnis und radikales Abwenden von einer
solchen Handlungsweise einschließt -, vergibt Gott. Und dort sollten auch wir
vergeben und nicht immer wieder daran erinnern und somit bereits vergebene
Schuld aufwärmen.
Wie steht es nun in der
Praxis mit einer solchen Umkehr? Werfen wir zuvor einen Seitenblick auf die
Zeugen Jehovas, die ja genügend Veranlassung zu einer solchen Umkehr hätten.
Bei der Wachtturmgesellschaft läßt sich von einer solchen tiefgreifenden Umkehr
nichts bemerken. Vielmehr ist sie eifrig darum bemüht, ihre eigene
Handlungsweise zu verniedlichen und zu rechtfertigen. Sie vergleicht ihr
eigenes falsches Vorhersagen mit den Fragen und Überlegungen der Jünger (wie in
Apg 1,6 berichtet), sie spricht von der Möglichkeit, daß ein Gesprächspartner
der ZJ sich auf "angebliche 'Vorhersagen', die nicht eingetroffen sind",
bezieht (also bloß angebliche!), sie gehen zum Gegenangriff über, indem sie
nach dem Motiv der Kritiker fragen, und sie führen ihren Eifer für die Sache
Gottes als Grund für diese falschen Vorhersagen an (in meinem Buch S.87f).
Nun gut, das sind die ZJ,
das hat mit uns nichts zu tun. Wenden wir uns jetzt den evangelikalen
Endzeitautoren zu, um zu sehen, wie deren Umkehr aussieht.
Was die Verlage betrifft,
so fällt auf, daß sie mitunter sogar unveränderte Auflagen nachdrucken! Etwa
Hal Lindseys Alter Planet Erde wohin (1971) oder Wilkersons Die Vision (1974)
wurden noch 1991 nachgedruckt. Solche Fälle sind besonders kraß, weil dabei ja
offensichtlich Falsches weiterhin verbreitet wird.
Und die Autoren? Im
allgemeinen nehmen sie das Zeitgeschehen zur Kenntnis und bringen dann
veränderte Vorhersagen heraus. Doch das gehört schon zum nächsten Kapitel. Von
einer tiefgreifenden Umkehr, die ja ein Abwenden von dieser ganzen Art, mit
biblischen Endzeitaussagen zu spekulieren, beinhalten würde, sind sie jedenfalls
weit entfernt.
2. 'Jetzt stimmt es wirklich!'
Eingangs hatten wir die nüchterne Mißerfolgsfeststellung von
William Goetz zitiert. Wie sehen nun die Konsequenzen aus, die Goetz
vorschlägt?
Sehr radikal sind die
Konsequenzen von Goetz nicht, das möchte ich vorausschicken. Seine Antwort ist:
Jetzt stimmt es wirklich, läßt sich doch beobachten, "daß das Wesen
unserer Welt heute global und rapide jene Merkmale annimmt, die Harmagedon
zugrundeliegen". Das ist allerdings ein subjektiver Eindruck, und diesen
subjektiven Eindruck hatten auch die früheren "Prophetie-Spezialisten".
Deshalb meine ich, daß aus den bisherigen Vorhersage-Mißerfolgen
grundlegendere Konsequenzen gezogen werden müssen. Lediglich zu sagen, daß es
heute wirklich stimmt, weil gemäß unserem Eindruck die Vorzeichen der Endzeit
in einem stärkeren Maß gegeben sind als in früheren Zeiten, ist zuwenig. Dieses
Vorgehen erinnert an die Zeugen Jehovas. Auf die falschen Vorhersagen der Wachtturmgesellschaft
in der Vergangenheit angesprochen, heben manche ZJ ihre Korrekturbereitschaft
hervor: 'Ja, die ZJ erkannten bezüglich der Zukunft nicht alles richtig, aber
sie waren bereit, sich zu korrigieren.' - Natürlich, im nachhinein weiß man es
immer besser. Es wäre auch schwierig, solche Vorhersagen, die ein bestimmtes
Jahr der Erfüllung nannten, das mittlerweile ergebnislos verstrichen ist,
weiterhin in derselben Form aufrechtzuerhalten. Eine solche
"Korrekturbereitschaft" ist daher nichts Großartiges. Wenn die ZJ
aber an die Stelle der alten Vorhersagen, die sich mittlerweile als falsch
herausgestellt haben, neue Vorhersagen setzen, so haben sie die wesentliche
Korrektur doch noch nicht vollzogen. Wenn sich alte Vorhersagen als falsch
erwiesen - spätestens dann sollte der Prophet ja erkennen, daß er überhaupt mit
dem Vorhersagen aufzuhören hat. Zumindest sollte er beim Präsentieren seiner
Vermutungen wesentlich behutsamer werden.
Das Beunruhigende an
solchen Änderungsprozeduren ist die - scheinbar - beliebige Austauschbarkeit.
Man kann eine bestimmte Bibelstelle mit einer konkreten Gegenwartsgröße in
Verbindung bringen, man kann aber genausogut eine andere Größe heranziehen,
ohne daß der Text des Endzeitbuches im übrigen wesentlich geändert werden muß.
(Es heißt dann, das Buch wurde "aktualisiert".) Ist die Bibel
wirklich derart vieldeutig, daß man aus bestimmten Bibelstellen wahllos
verschiedenste Schlußfolgerungen ziehen kann - eine ist so gut wie die andere,
man kann ohne weiteres die eine durch die andere ersetzen? Falls die Bibel wirklich
so vieldeutig ist, hat sie dann überhaupt noch irgendeine Aussagekraft? Oder
liegt es eher an den Endzeitautoren, indem sich diese von vornherein so weit
von den unmittelbaren Bibelaussagen entfernt - in einen Bereich der Spekulation
begeben - haben, daß nun verschiedene Deutungsmöglichkeiten ohne weiteres
gegeneinander austauschbar sind? Das wäre aber kein verantwortungsbewußter
Umgang mit der Bibel.
Wie verhielten sich nun
jene Endzeitautoren, denen man falsche Vorhersagen nachweisen kann, in ihrer
weiteren Publikationstätigkeit? Wilkerson ließ seiner 1974 publizierten Vision
noch zwei weitere Endzeit-Bücher folgen (1978 und 1987 erschienen). Malgo hat
in seinen Zeitschriften weiterhin ein Schwergewicht auf der Endzeit, sein
gratis und massenhaft verbreitetes Buch Was sagt die Bibel über das Ende der
Welt? erschien 1990 in überarbeiteter Form. Baar brachte 1991 ein neues Buch
heraus. Gerth überarbeitete sein Buch 1989 ("vollständig"), wobei er
den Text weitgehend beließ ...
3. Niemand überprüft den Vorhersage-Erfolg
Wenn man solche vor Jahrzehnten erschienene Endzeitbücher zur Hand
nimmt, wundert man sich über die Risikobereitschaft dieser Autoren. Es muß
ihnen doch bewußt gewesen sein, daß sie sich hier auf ein sehr glitschiges
Terrain begeben, wo ein Ausrutschen beinahe unvermeidlich ist? Und man wundert
sich auch über die große Zahl der Leser, die weiterhin Literatur dieser Art
verschlingen. Beim Betrachten der älteren Literatur müßten sie doch sehen,
wieviel danebengegangen ist!
Meine Verwunderung resultiert
wohl daraus, daß ich von einer nicht zutreffenden Voraussetzung ausgehe. Die
Leser solcher Literatur leben in der Gegenwart; die ältere Literatur interessiert
sie nicht so sehr, gibt es doch mittlerweile neuere! So wird vielen Lesern gar
nicht bewußt, wieviele der Vorhersagen danebengingen. (Übrigens reagieren ZJ
ähnlich, wenn sie von einem Informierten - den sie mit verharmlosenden
Antworten nicht zufriedenstellen können - auf Falschvorhersagen der
Vergangenheit hingewiesen werden: Wichtig ist die neuere Literatur der ZJ,
nicht die ältere ...)
Wir sollten also eine
Formulierung von Goetz etwas präzisieren. In dem eingangs dieses Teiles C
angeführten Zitat meinte er, daß Prophetie-Spezialisten "oft durch falsche
Vorhersagen von sich reden machten". Sie machten tatsächlich durch ihre
Vorhersagen von sich reden. Als sich ihre Vorhersagen als falsch erwiesen,
hatte sich der Wirbel um deren Vorhersagen längst gelegt, ihre Bücher waren
bereits in zehn- oder hunderttausenden Exemplaren abgesetzt, und die
Aufmerksamkeit der Leser hatte sich inzwischen bereits anderen, aktuelleren
Büchern zugewandt. So wurde nur wenigen bewußt, daß es sich um falsche
Vorhersagen gehandelt hat. Also nicht weil sie falsch waren, erregten diese
Vorhersagen Aufsehen, sondern weil sie sensationell klangen.
Abgesehen von der
geringen Neigung, die ältere Literatur einer Überprüfung zu unterziehen, stößt
ein solcher Überprüfungsversuch auch auf Grenzen. Bei Flugblättern und
Zeitschriften (z.B. Malgos) ist eine solche Überprüfung schwer möglich, weil
kaum jemand sie über Jahre hinweg aufhebt.
Wenn sich aber diese
Literatur trotz zahlreicher Fehlschläge weiterhin so gut absetzt, so ist
natürlich auch für die Verlage die Versuchung groß, weiterhin solche Literatur
zu produzieren. Um diesen schädlichen Zustand zu verändern, habe ich dieses
Buch geschrieben. Wenn sich einmal jemand die Mühe macht, diese Literatur
hinsichtlich ihres Voraussageerfolges zu überprüfen, dann wird die
Mangelhaftigkeit dieser Literatur aufgedeckt - und das könnte zur Ernüchterung
der Verfasser führen. So hoffe ich, dazu beizutragen, daß Christen in Hinkunft
vorsichtiger werden und sich nicht in so riskanter Weise festlegen.
Gleichzeitig wende ich mich an die Leser. Wenn diese erkennen, daß eine
bestimmte Literatur letztlich nicht nützt, sondern eher schadet, werden sie
dazu auf Distanz gehen. Was zur Folge hätte, daß dann diese Sorte von Literatur
nicht mehr so viele Abnehmer findet. Aber vermutlich beruht diese Hoffnung auf
meinem unverbesserlichen Optimismus. Denn viele Menschen wollen eben jetzt
schon genau wissen, was die nächsten Jahre bringen werden, und wenn die
Spekulationen darüber nur hinreichend sensationell sind, werden sie begierig
aufgenommen. Doch damit sind wir schon beim nächsten Kapitel.
4. Neugier verleitet zu neuerlichen Vorhersagen
Erich Geldbach
vermutet Neugier als treibende Kraft: "Bei der Beurteilung der
Endzeiterwartung muß man davon ausgehen, daß die Fülle der heilsgeschichtlichen
Entwürfe, der nicht eingetretenen Terminangaben und der Berechnungen, die sich
ja alle auf die gleichen Verse und Kapitel der Hl. Schrift beziehen, zu
äußerster Vorsicht mahnen. Fromme Neugier darf nicht zum 'Einlegen in die Hl.
Schrift' statt zur 'Auslegung' führen."
Vielleicht gibt es unter
uns Christen vieles, was sich im Kern mit den von uns abgelehnten Vorgängen und
Motiven der "Welt" deckt - wobei dann bloß die äußere Form anders
ist. So stellt Samuele Bacchiocchi
weitreichende Vergleiche an: "Während sich einige an Horoskope oder an
Jeanne Dixon wenden, um Licht über die Zukunft zu erhalten, wenden sich andere
an 'christliche Propheten' wie Hal Lindsey, der die Bibel als Kristallkugel
verwendet, um daraus die unmittelbare Zukunft vorherzusagen." (S.9)
Ein harter Vorwurf! Jeder
Leser sollte selbst überprüfen, wie stark seine eigene Neigung dazu ist. Wie
reagierst du, wenn du auf dem Titelblatt eines Buches liest: "Erstaunliche
Hinweise, daß lang prophezeite einschneidende Ereignisse im Anzug sind"?
Denkst du: 'Wieder so ein Unsinn!' und befaßt dich gar nicht damit, oder
greifst du neugierig danach?
Auch Michael Weyer-Menkhoff vermutet in seinem
Artikel Angst vor der Endzeit?, daß die Neugier ein wesentliches Motiv für die
Beschäftigung mit der Endzeitthematik ist: "nennen wir es Sensationslust
oder Nervenkitzel oder die Sehnsucht nach geheimnisvollem Insider-Wissen. So
stürzt man sich auf entsprechende Dinge, die biblisch scheinen, die dazu noch
spannend sind: Israel, Endzeit. Und ist es nicht wirklich befriedigend, wenn
man sich denkt, man könne Gott auf den Schreibtisch schauen und genau sehen,
was er alles vorhat - und die ungläubige Welt weiß das alles nicht!?"
(S.3)
Es ist nicht falsch, sich
zu überlegen, wie sich die biblischen Endzeitaussagen, wenn sie an die
gegenwärtige politische Konstellation anknüpfen, verwirklichen könnten. Zu
überdenken ist dabei jedoch zweierlei: Wieviel Zeit soll dafür investiert
werden? In welcher Form sollen die Ergebnisse dieser Überlegungen präsentiert
werden?
Wie kann ein Christ die
genannten Gefahren vermeiden? Zuerst sollte er seine eigene Motivation
überprüfen. Er wird sich fragen müssen: Warum lese ich ein Buch? Weil ich
Aufregendes, Sensationelles haben möchte? Dann wird mich dieser Wunsch dazu
verleiten, solche Autoren zu bevorzugen, die überdramatisieren, Effekthascherei
betreiben, die Zukunft (mittels biblischer Aussagen) detailliert beschreiben,
vielleicht auch schon den Antichristen genau bezeichnen können. Wer sich vor
allem von Neugier und von Besserwisserei leiten läßt, wird sich auf derartige
Autoren stürzen. Manche Leute, so scheint es, wollen betrogen werden.
Überhaupt dürfen wir die
Beschäftigung mit der biblischen Endzeitprophetie nicht zu einseitig
intellektuell handhaben. Bei der Lektüre von Jesu Zukunftsrede wird der Leser
wiederholt durch Imperative angesprochen. Er liest, was er tun soll:
"Gebt acht, daß euch niemand irreführt!" (Mt 24,4)
"Laßt euch nicht erschrecken!" (v.6)
"dann sollen die Bewohner ... fliehen" (v.16)
Diese dichte Aufeinanderfolge von Imperativen zeigt, daß hier
praktische Handlungsanweisungen gegeben werden. Es geht also nicht so sehr um
eine theoretische Wissensvermittlung über eine Chronologie der Zukunft.
5. Falschvorhersagen als erfolgreich hingestellt
Ein besonders frappierender Weg, mit falschen Vorhersagen umzugehen,
sieht so aus, daß so getan wird, als wäre richtig vorhergesagt worden.
Wir können diesen Weg
etwa bei den ZJ beobachten. Da kann man z.B. hören: 'Die damaligen Vorhersagen
waren zwar nicht in allen Details, aber doch im wesentlichen treffend.' - Das
stimmt jedoch nicht, und die Wachtturmgesellschaft vermeidet es auch wohlweislich,
diese Vorhersagen konkret zu zitieren, weil dadurch offensichtlich werden
würde, daß sie danebengegangen sind. Ein solcher Umgang mit der Wahrheit wirft
die Frage auf, ob diese Irreführung absichtlich erfolgt, oder ob die
Berichterstatter so verblendet sind. Jedenfalls kann uns das als Warnung
dienen, so daß wir die Behauptung, jemand hätte richtig vorhergesagt, nicht
blind glauben, sondern überprüfen.
Als Klaus Gerth 1982 sein
Buch über den Antichristen herausbrachte, verwies er auch auf Lindseys Buch:
"Zehn Jahre sind seit Erscheinen des Buches 'Alter Planet Erde, wohin?'
vergangen. Damals war es für viele ein verwerfliches Buch. Heute sieht die
Sache ganz anders aus." (S.9f) Das klingt so, als hätten sich Lindseys
Vorhersagen mittlerweile als treffend herausgestellt. Und in bezug auf
Wilkersons Bücher Die Vision und Wetterleuchten des Gerichts schrieb Bernd Ewert im Jahr 1987: "Viele darin
enthaltene Voraussagen haben sich schon erfüllt oder sind im Begriff, es zu
tun." (im Vorwort zur deutschen Ausgabe von Wilkersons Buch Lass die
Posaune erschallen, S.7). Ewert verzichtet allerdings darauf, konkrete
Beispiele solcher erfüllter Voraussagen anzugeben. Es wäre ihm auch nicht
leicht gefallen, solche zu finden.
6. Erfolgreiche Vorhersagen?
Ich schließe es allerdings nicht aus, daß doch jemand - auch über
eindeutige biblische Aussagen hinausgehend - richtig vorhergesagt hat. Ich bin,
wenn ich davon höre, allerdings immer ein bißchen skeptisch, und möchte daher
den Sachverhalt gerne etwas überprüfen.
Das soll durch zwei
Beispiele veranschaulicht werden. Der bekannte Okkultismus-Experte Kurt KOCH
schrieb in seinem Buch Der Kommende. Israel in der Erfüllungszeit (1968) über
die jüngste Vergangenheit und vermutliche Zukunft Israels. Dabei zeigt er
einige Behutsamkeit: "Zukunftsdeutungen sind immer ein heikles Gebiet. Die
menschliche Phantasie schießt oft ins Kraut wie Pilze nach einem warmen
Sommerregen. Dazu ist man dabei immer in der Gefahr, in den Bereich der
Wahrsagerei zu geraten. Von jeher war ich deshalb sehr skeptisch gegen alle
Visionen und Prophezeiungen." (S.86)
Trotz dieser Skepsis
präsentiert er dann einige im 20.Jahrhundert von Juden gemachte Prophezeiungen.
Und zwar solche, die mittlerweile ganz genau in Erfüllung gegangen sind. Das
ist wirklich beeindruckend!
Zu diesen beeindruckenden
Vorhersagen gehören auch die eines 1934 erschienenen Buches. Kurt Emil Koch
nennt keinen Autor, aber den hebräischen Originaltitel: Cheschbonoth ha Geulah
(= Daten der Erlösung). Hören wir Koch (S.87f):
"Es sind folgende
Einzelheiten vorausgesagt:
Gründung des Staates
Israel 1948.
Befreiung Jerusalems
1967.
Ein Erdbeben, das die
Grabeskirche und Omarmoschee zerstört. Einfall Rußlands.
Tempelbau bis 1980."
Dabei ist doch bemerkenswert, daß ausgerechnet jene Ereignisse,
die bis zur Zeit von Kochs Niederschrift bereits eingetroffen waren, so präzise
vorausgesagt wurden. Die Vorhersagen der zur Zeit von Kochs Niederschrift noch
zukünftigen Ereignisse dagegen gingen daneben: Erdbeben, Einfall Rußlands,
Tempelbau - bis 1980.
Die ersten beiden Termine
konnte der Autor des hebräischen Buches so präzise vorhersagen, mit dem letzten
Termin haperte es dann? Zu gerne würde ich mir dieses Buch selbst ansehen. Ist
Kochs Wiedergabe korrekt? Beinhalteten die ersten beiden Vorhersagen vielleicht
nur die Ereignisse, und hat Koch die Jahreszahlen 1948 und 1967 hinzugefügt?
Das wäre jedenfalls irreführend, denn in Kochs Wiedergabe nimmt der Leser diese
beiden Jahreszahlen als Bestandteil der Vorhersagen.
Im Blick auf Kochs
Korrektheit im Zitieren gibt es einen Sachverhalt, der mich stutzig macht. Eine
spätere Neuausgabe des Buches, die den ursprünglichen Obertitel wegließ, also
unter Israel in der Erfüllungszeit erschien (Quebec 1978), brachte den
unveränderten Text, ergänzt durch einen erst 1978 geschriebenen "Teil
B". Blieb der erste Teil wirklich ganz unverändert? Fast, denn während die
von mir verglichenen Stellen sonst identisch waren, habe ich eine Änderung
bemerkt: Der Termin 1980 ist weggelassen, stattdessen heißt es bloß:
"Anschließend Tempelbau" (S.84). Das ist nun doch etwas merkwürdig.
Warum verschwieg Koch diese wichtige Angabe plötzlich? Ahnte er, daß sich die
Vorhersage in dieser Form nicht erfüllen werde? Von 1978 bis 1980 war ja nur
noch wenig Zeit. Eine solche stillschweigende Verbesserung von Vorhersagen
wirkt jedenfalls mißtrauenserweckend und führt dazu, auch den übrigen Angaben
Kochs mit Reserve gegenüberzustehen.
Noch ein zweites
Beispiel. Im Sechstagekrieg vom Juni 1967 eroberten die Israelis die
Jerusalemer Altstadt zurück. Über die davorliegenden Monate berichtet Lindsey
in seinem (1970 veröffentlichten) Alter Planet Erde: "Im März und April
1967 hielt ich an vielen Universitäten an der amerikanischen Westküste Vorträge
und legte dar, daß es nach meiner Ansicht nun an der Zeit sei, daß die Juden
irgendwie bald in den Besitz der Altstadt Jerusalems gelangen müßten."
(S.63) Hier konnte Lindsey also äußerst treffend vorhersagen! Ganz anders als
in seinen im erwähnten Buch gebotenen Vorhersagen, wo ihm so wenig Erfolg
beschieden war.
Beim Betrachten der verschiedenen Gefahren und Nachteile der
Beschäftigung mit Endzeitfragen könnte man den Eindruck bekommen, es sei das
Beste, sich damit überhaupt nicht zu beschäftigen. Doch wozu sind dann
überhaupt die Endzeitaussagen der Bibel gegeben? Warum hat Jesus seinen
Anhängern soviel darüber gesagt, warum enthält die Offenbarung soviele
Zukunftsaussagen? Irgendetwas wird sich Gott dabei doch gedacht haben ...
Teil D:
Wie sollen wir nun wirklich mit den biblischen Endzeitaussagen
umgehen?
Im 19.Jahrhundert verbreitete sich in der gebildeten Welt ein
großer Optimismus: Der enorme wissenschaftliche und technische Fortschritt
führte zu einem regelrechten Fortschrittsglauben. Seuchen wurden erfolgreich
bekämpft, Maschinen nahmen dem Menschen Arbeit ab ... Sollte es nicht möglich
sein, die Probleme der Menschheit innerhalb kurzer Zeit zu bewältigen, so daß
die Menschen glücklich und friedlich zusammenleben würden?
In einer solchen
optimistischen Stimmung wirkte das in der Bibel, insb. in der
Johannes-Offenbarung, gemalte Szenario dunkel und düster. Ganz anders heute:
Auch Menschen ohne inneren Bezug zur Bibel geben betroffen zu, daß es sich um
ein sehr realistisches Bild handelt. Für uns bedeutet das: Wir fühlen uns mit
unseren Ängsten verstanden in der Bibel, wir haben dort nicht das Gefühl, daß
naive Träumer reden.
1. Wir blicken Jesus entgegen
Warum sollen wir auf Jesus warten, wenn doch das irdische Leben
der meisten Christen durch ihren Tod beendet wird, nicht durch Jesu Kommen?
Hierauf gibt es mehrere Antworten.
Erstens ist es vielleicht sogar die Hälfte der Christen aller
Zeiten, die in der Gegenwart leben. Das muß gar nicht unbedingt daran liegen,
daß nun Erweckungen im Gange sind, die frühere übertreffen, sondern kann
einfach an der starken Zunahme der Weltbevölkerung liegen, so daß ein
gleichbleibender Anteil von Christen zu einer absoluten Vermehrung führt. Somit
könnte es sein, daß die Anweisung, auf Jesu Kommen zu warten, etwa für die
Hälfte aller Christen eine ganz wörtliche Bedeutung haben wird.
Zweitens überschattet Jesu Kommen alles andere. All die Jahre seit
Jesu Himmelfahrt steuern auf dieses große Ereignis zu. Er ist es wert, daß wir
auf ihn warten, daß wir uns nach ihm sehnen, auch wenn Jahre dabei vergehen!
Wie Johann Albrecht Bengel sagte:
"es ist der Majestät Christi gemäß, daß er die ganze Zeit über zwischen
seiner Himmelfahrt und Zukunft ununterbrochen erwartet werde" (in seinem
Gnomon Novi Testamenti von 1742 zu Apg 1,11).
Drittens zeigt die Erwartung der Wiederkunft Jesu auch etwas von
unserer politischen Einstellung. Die neue Welt ist nicht für uns machbar, sie
wird von Gott gemacht! Wir sind überzeugt, "daß nicht wir das Reich Gottes
machen, sondern auf das Hereinbrechen seiner Herrschaft in diese Welt zu warten
haben;" (Köster 96).
Viertens haben neben der Letzterfüllung auch Vorerfüllungen ihre
Bedeutung. Die Endzeitereignisse werden im NT als "bald" kommend
angekündigt, und doch dauert es jetzt schon so lange? "Das prophetische
'bald' wandert die ganze Strecke mit, läßt sich je und je zu Vorerfüllungen
nieder, erhebt sich wieder, bis es zur Letzterfüllung kommt." (Pohl
Nr.60)
Für verfolgte Christen
bringen die biblischen Endzeitaussagen noch einen besonderen Trost: Was wir
jetzt an Verfolgung erleben - Jesus steht darüber! Jesus ist schlußendlich
Sieger! Besonders die Offenbarung drückt diesen Gedanken aus. Ob die Verfolgung
dabei durch den endzeitlichen Antichristen oder durch einen seiner Vorläufer
geschieht, ist für den Betroffenen nicht so entscheidend. Und das in der
biblischen Endzeitprophetie Verheißene gilt in gewisser Weise auch für die Zeit
davor; auch im Blick auf Vorläufer des Antichristen dürfen wir mit dem Beistand
Jesu rechnen.
Die Frage, inwieweit wir
in unserer Gegenwart mit Antichristlichem konfrontiert werden, wo wir
gegebenenfalls auf Distanz gehen müssen, stellt sich auch dann, wenn dieses
Antichristliche nicht mit dem letzten, dem Antichristen schlechthin in
Verbindung steht. So hat Arnold Köster
1932 zu beurteilen versucht, wie Hakenkreuz und Sowjetstern zu sehen sind:
"ob in den Symbolen der Menschheit nicht schon das 'Malzeichen des Tieres'
auftaucht, das wir als Jesusmenschen weder zu tragen noch zu verehren
haben," (S.144)
2. Was ist die richtige Form von "Naherwartung"?
a) Hinweis auf die Bibel als Rechtfertigung eigener
Fehlvorhersagen
Von verschiedenen Seiten wird darauf hingewiesen, daß wir im NT an
mehreren Stellen eine Naherwartung finden. Eine Naherwartung, die sich so nicht
erfüllt hat. Darauf weisen nicht nur Kritiker hin, die hier einen Fehler im NT
zu entdecken meinen, sondern auch solche Leser, die stark auf die Bibel
verweisen. Bei den Zeugen Jehovas etwa dient der Hinweis auf die ntl.
Naherwartung als Verteidigung für eigene Vorhersagemißerfolge. Das kann etwa
folgendermaßen aussehen:
"Die Apostel und
andere frühchristliche Jünger hegten gewisse falsche Erwartungen, doch die
Bibel reiht sie nicht unter die 'falschen Propheten' ein. (Siehe Lukas 19:11;
Johannes 21:22,23; Apostelgeschichte 1:6,7.)" (S.87)
Können wir die drei hier
angeführten Beispiele wirklich mit den ZJ-Vorhersagen vergleichen? In Apg
stellen die Jünger lediglich eine Frage ("Stellst du in dieser Zeit dem
Israel das Reich wieder her?").In Luk ("sie meinten, daß das Reich
Gottes sogleich erscheinen sollte") erleben wir Jesu Schüler, wie sie als
Lernende (das ist eigentlich die genaue Übersetzung für das griechische
mathetai, das meist mit "Jünger" wiedergegeben wird) eben noch manche
falsche Vorstellungen hatten und Jesus sie korrigieren mußte. In Joh lesen wir
von einem Gedanken ("Jener Jünger stirbt nicht"), der vielleicht sogar
eine gewisse Verbreitung in christlichen Kreisen gewann. Aber auch hier ist
festzuhalten, daß die Jünger - im Unterschied zu den ZJ - diese ihre Erwartung
nicht zum Gegenstand ihrer öffentlichen, weitgespannten Verkündigung machten.
Wir haben also zu unterscheiden zwischen einem Bibelleser, der sich aufgrund
verschiedener biblischer Endzeitaussagen seine Vorstellungen macht (was
durchaus in Ordnung ist), und jemandem, der diese Vorstellungen in einem Buch
niederlegt, das zehntausendfach verbreitet wird.
Die ZJ beschränken sich
in ihrer Verteidigung bewußt auf solche Beispiele, wo eindeutig eine falsche
Erwartung seitens einiger Jünger vorlag, die auch gleich an Ort und Stelle
korrigiert wird. Doch wie ist es mit jenen Stellen im NT, wo eine Naherwartung
spürbar wird, und wo man den Eindruck hat, daß es sich um Lehrtexte handelt?
b) Evangelien-Lehrtexte mit Naherwartung
Beginnen wir mit den Evangelien. In Mt 10,23 heißt es: "Ihr
werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende sein, bis der Sohn des Menschen
gekommen sein wird." Hier könnte man den Eindruck gewinnen, daß während
Jesu Anhänger gerade erst beginnen, in Israel die Botschaft zu verkündigen,
also noch nicht einmal über Israel hinausgedrungen sind, Jesus bereits
wiederkommt. Doch nur einige Verse davor (10,18) finden wir die Ankündigung,
daß die Jünger vor Statthalter und vor Könige geführt werden - ihnen und den
Nationen zum Zeugnis. Das setzt doch eine über Israel hinausgehende Mission
voraus. Und schließlich fand der Leser dieses Evangeliums später noch die Ankündigung
der (24,14) sowie den Befehl zur Weltmission (28,19). Wenn das Evangelium
"allen Völkern" verkündigt sowie "alle Nationen" zu Jüngern
gemacht werden sollen, mußte der Leser damit rechnen, daß es ohne weiteres noch
mehrere Jahrzehnte dauern kann. Und somit mußte er gleichzeitig auch damit
rechnen, daß sein eigenes Leben vorüber sein werde, ehe Jesus wiederkommt. Auch
mehrere Gleichnisse Jesu weisen auf die Möglichkeit hin, daß sich das Kommen
Jesu noch verzögern könnte: Ein schlechter Knecht kann deshalb auf den Gedanken
kommen: "Mein Herr kommt noch lange nicht!" (24,48). Die
Brautjungfern müssen erleben, daß "der Bräutigam lange nicht kam", so
daß sie müde werden und einschlafen (25,5). Auch das Gleichnis vom Unkraut im
Acker, das wir, gemeinsam mit dem Weizen, wachsen lassen und nicht vorzeitig
ausreißen sollen, kann an einen längeren Zeitraum denken lassen (13,24-30). Und
schließlich auch die diversen Hinweise in Jesu Zukunftsrede, was alles noch vor
dem Ende geschehen sollte (z.B. 24,6-8). Dann ist auch an Jesu ethische
Weisungen zu denken. Auch diese lassen erwarten, daß ein gewisser Zeitraum
vergehen wird. Denken wir etwa an Jesu Aufforderung, der Diener aller zu sein
(Mk 9,35), oder an den Hinweis auf die Tage, wo der Bräutigam weggenommen sein
wird und die Hochzeitsgäste daher fasten werden (Mk 2,20). Und wenn Jesus dem
Petrus ankündigt, was geschehen wird, wenn er alt geworden ist, und ihm dabei
seinen Märtyrertod andeutet (Joh 21,18f), wird jenen, die davon informiert
wurden, klar geworden sein, daß es noch einige Jahrzehnte bis zum Ende dauern
wird.
Somit können wir
zusammenfassend festhalten, daß die Evangelien genügend Hinweise dafür
beinhalten, daß bis zum Ende noch mehrere Jahrzehnte vergehen können, so daß
niemand sich sicher sein konnte, das Ende selbst noch zu erleben.
c) Naherwartung bei Paulus
Hat auch Paulus damit gerechnet, die Wiederkunft Jesu noch zu
erleben? Vor allem beim Lesen des 1.Thessalonicherbriefes (4,15) könnte man das
meinen: "daß wir, die Lebenden, die übrigbleiben bis zur Ankunft des
Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden". Dieser Brief
wird Anfang der 50er Jahre geschrieben worden sein. Seit Jesu Himmelfahrt waren
also bereits 20 Jahre vergangen. Daß der Zwischenraum zwischen Jesu 1. und
2.Kommen in der Größenordnung von zumindest Jahrzehnten liegt, mußte ihm daher
klar sein. Paulus berichtet nichts davon, daß ihm geoffenbart worden wäre, wie
lange sein Leben noch währen wird. Als gefährlich lebender Missionar mußte er
immer auch mit der Möglichkeit rechnen, getötet zu werden. Einmal zählt er die
verschiedenen Lebensgefahren, in denen er sich bereits befunden hatte, auf:
"Ich ertrug mehr Mühsal, war häufiger im Gefängnis, wurde mehr geschlagen,
war oft in Todesgefahr. Fünfmal erhielt ich von Juden die 39 Hiebe; dreimal
wurde ich ausgepeitscht, einmal gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch,
eine Nacht und einen Tag trieb ich auf hoher See. ..." (2.Kor 11,23-25) So
konnte er sich auch gar nicht darauf festlegen, daß er bei der Wiederkunft Jesu
noch leben werde. Selbst wenn diese bereits sehr rasch erfolgen sollte, könnte
Paulus ja doch schon zuvor umgekommen sein. Seine Formulierung "wir, die
Lebenden, die übrigbleiben ..." muß also nicht unbedingt in dem Sinn
gemeint sein, daß er selbst sowie alle jetzt lebenden Thessalonicher, mit denen
er sich im "wir" zusammenschließt, in jenem Augenblick zu den
Lebenden gehören werden. Die Zielrichtung der Aussage geht ja auch nicht dahin,
die Personen festzulegen, die dann am Leben sein werden, sondern prinzipiell zu
klären, was mit den beiden Gruppen - der dann Lebenden und der dann bereits
Gestorbenen - geschehen werde. Dazu ist noch folgendes zu bedenken: Als sich
Paulus im Jahr 56 von den Ephesern verabschiedet, spricht er von ihm
bevorstehenden Leiden, von der Vollendung seines Laufs (d.h. doch wohl: seinem
Tod), und er kündet an, daß sie ihn nicht mehr sehen werden (Apg 20,23-25). Es
klingt hier so, daß er mit seinem Sterben rechnet, nicht mit seinem Leben bis
zur Wiederkunft Jesu.
Der 1.Korintherbrief
wurde etwa Mitte der 50er Jahre geschrieben. Dort sagt Paulus: "Gott aber
hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Macht."
(6,14) Wenn man das "uns" hier wörtlich nimmt, dann rechnet Paulus
mit seinem Sterben. Denn die Auferweckung betrifft bereits Gestorbene; zum
Zeitpunkt von Jesu Kommen noch Lebende werden ja verwandelt.
Auch wenn wir in den
Paulusbriefen so etwas wie eine Naherwartung finden, so konnte diese doch
nicht im Sinne einer Gewißheit, daß das Ende nun innerhalb weniger Jahre kommen
müsse, verstanden worden sein. Denn einige Jahrzehnte lagen bereits zurück,
weitere Jahrzehnte konnten folgen. Somit konnte sich auch niemand - weder
Paulus noch einer seiner Leser - darauf festlegen, daß er selbst das Kommen
Jesu noch erleben werde. Die Situation sah demnach für jeden Christen so aus:
Jederzeit konnte Jesus kommen, heute, morgen oder irgendwann. Vielleicht noch
während meines Lebens, vielleicht erst danach. Daß die Zeit "nahe"
ist, brachte somit keine Garantie, auch keine Wahrscheinlichkeit mit sich, das
Kommen Jesu noch persönlich zu erleben.
d) Andere Bibeltexte zur Naherwartung
Das Empfinden, daß Jesu Kommen doch nicht ganz so schnell wie
erhofft erfolgt, begegnet uns schon in 2.Petrus 3. Und welche Antwort wird dort
gegeben? Im Unterschied zu manchen heutigen Endzeitautoren verspricht Petrus
seinen Lesern nicht, daß es nun gleich soweit sein wird, sondern er weist auf
den positiven Gesichtspunkt dieser "Verzögerung" hin: Es können noch
viele Menschen umkehren. Zur Frage des Zeitpunktes wiederholt Petrus nur einen
Vergleich Jesu: Er wird wie ein Dieb kommen, also überraschend und unerwartet.
Auch in der Offenbarung
finden wir mehrere Stellen, die eine Naherwartung ausdrücken. Die Offenbarung
soll zeigen, "was bald geschehen muß" (1,1), denn "die Zeit ist
nahe" (1,3; 22,10). Für bald finden wir den griechischen Ausdruck en
táchei, wiederzugeben durch schnell, eilends oder mit großer Geschwindigkeit.
Adolf Pohl dazu: "Die
griechische Vokabel tachos steckt z.B. in Tachometer (Geschwindigkeitsmesser)
und enthält die Grundvorstellung 'eilen', meint also die Bewegung, nicht den
Zeitraum. Ein Tachometer ist keine Uhr." (Einleitung Anm.11 oder zu Offb
1,1) Gleiches gilt auch für Jesu
Ankündigung "Ich komme bald" (3,11; 22,7.12.20). Das griechische
Wort, das hier für "bald" steht, ist tachy. Es spricht weniger davon,
daß der Zeitraum bis zum Kommen kurz ist, sondern eher, daß sein Kommen
blitzartig und überraschend sein wird. Fritz Grünzweig
hebt noch die Bedeutung "rechtzeitig" hervor: "'Ich komme bald'
heißt zugleich: Ich komme überraschend, schnell, rechtzeitig, noch ehe die
antichristliche Bosheit und die 'Pforten der Hölle' meine Gemeinde
'überwältigt' haben ..." (im Bibel-Kommentar Bd.25, zur Offenbarung
2.Teil. Neuhausen-Stuttgart 1982, S.294f).
Im Rückblick auf die
beinahe 2000 Jahre, die seither verstrichen sind, können solche Aussagen
dennoch problematisch erscheinen. Doch im Hinblick auf die Zukunft ist die
Situation für den einzelnen Leser wie zuvor beschrieben: Seit Jesu Weggang war
ein halbes Jahrhundert vergangen, die Äußerungen waren nicht so präzise
festgelegt, daß es jetzt nur noch wenige Jahre dauern könnte.
Gleiches gilt in
verstärktem Maße auch für den heutigen Leser: Auch er kann in diesen neutestamentlichen
Aussagen nicht die Erwartung finden, daß das Ende nun gleich, innerhalb der
nächsten Jahre, kommen müßte. Die neutestamentliche Naherwartung kann also
nicht als Rechtfertigung einer Demnächsterwartung dienen, wo festgelegt wird,
daß es in den nächstfolgenden Jahren geschehen werde.
Nach Adolf Pohl fließt
die Wiege der Naherwartung "aus der Verkündigung eines Gottes, der eben
nicht harmlos ist. Gott ist Gott!" (Einleitung Nr.35) "Weil Gott Gott
ist, ist die Strafe nahe. Diese Nähe ist ursprünglich Sachnähe. Freilich ist
die Zeitnähe von diesen Aussagen nicht fernzuhalten." (Nr.36) "Die
Frage nach dem Zeitpunkt bleibt offen, veränderbar und hinausschiebbar am
Rande stehen. Hier behält Gott sich und seiner Majestät etwas vor."
"Der Herr ist nahe!
bedeutet: Ungehorsam ist Wahnwitz. Wir leben bedroht, völlig entsichert vor
Gott, mit aufgedecktem Dach, ständig offen für den Einfall des Gerichtes. Über
der Gegenwart hängt bereits die Zukunft Gottes wie eine bedrohlich hängende
Wand, die jeden Augenblick einbricht." (Nr. 37)
Übrigens waren die
Menschen zur Zeit Jesu bereits durch das AT damit vertraut, daß das Eingreifen
Gottes als "mit großer Geschwindigkeit" erfolgend angekündigt wird.
So konnten sie etwa in Maleachi 3,1 lesen: "Seht, ich sende meinen Boten;
er soll den Weg für mich bahnen. Dann kommt plötzlich zu seinem Tempel der
Herr, den ihr sucht," Diesen hier angekündigten Boten identifizierte
Jesus mit Johannes dem Täufer (Mt 11,10), also sich selbst mit dem plötzlich
kommenden Herrn. Kurz darauf wird dieses Kommen Jesu von Maleachi als bald
erfolgend angekündigt: "Ich komme herbei, um euch zu richten; schon bald
komme ich und trete als Zeuge auf ..." (3,5; die Septuaginta, die
griechische Übersetzung des AT, hat hier für bald das uns schon vertraute
tachys). Tatsächlich vergingen zwischen Maleachi und Jesus dann noch etwa 500
Jahre.
Ähnliche Beobachtungen
sind im AT noch öfter zu machen. Somit war Jesu Anhängern schon von ihrer
AT-Kenntnis her klar, daß Formulierungen wie bald oder nahe nicht unbedingt auf
einen sehr kurzen Zeitraum schließen lassen.
e) Verheißung mit Bedingungen?
Schließlich ist auch mit folgender Erscheinung zu rechnen: Ankündigungen
ohne ausdrückliche Nennung von Bedingungen. Oft kündigt Gott etwas an, ohne
ausdrücklich eine Bedingung hinzuzufügen. Etwa durch Jona: "Noch 40 Tage,
dann wird Ninive untergehen!" Scheinbar wurde keine Bedingung angegeben.
Als Ninive umkehrt, ändert Gott jedoch auch seinen Gerichtsbeschluß.
Israel wird eingeschärft,
Gottes Gebote zu halten, "damit es dir gut geht und ihr so unermeßlich
zahlreich werdet, wie es der Herr, der Gott deiner Väter, dir zugesagt
hat" (Dtn 6,3). Israel hatte eine Zusage bekommen, diese war aber nicht
bedingungslos (die entsprechende Zusage an Abraham hatte jedoch keine
ausdrücklich genannte Bedingung beinhaltet: Gen 15,5). Für den Fall, daß die
Israeliten Gott ungehorsam sind, wird ihnen angekündigt: "Dann werden nur
noch wenige Leute von euch übrigbleiben, statt daß ihr zahlreich seid wie die
Sterne am Himmel; denn du hast nicht auf die Stimme des Herrn, deines Gottes,
gehört." (Dtn 28,62) Die Verheißung, daß Israel zahlreich wie die Sterne
am Himmel werden soll, war also nicht völlig unabhängig vom Verhalten Israels
gemeint.
Dem Priester Eli, der
gegenüber seinen falsch handelnden Söhnen zuwenig streng war, schickt Gott
einen Propheten mit der Botschaft: "Spruch des Herrn, des Gottes Israels:
Ich hatte fest zugesagt: Dein Haus und das Haus deines Vaters sollen für ewig
vor meinem Angesicht ihren Dienst versehen. Nun aber - Spruch des Herrn: Das
sei fern von mir, denn nur die, die mich ehren, werde ich ehren, die aber, die
mich veachten, geraten in Schande." (1.Samuel 2,30)
Durch Jeremia sagt Gott:
"Bald sage ich einem Volk oder einem Reich zu, es aufzubauen und
einzupflanzen. Tut es aber dann, was mir mißfällt, und hört es nicht auf meine
Stimme, so reut mich das Gute, das ich ihm zugesagt habe." (18,9f)
Dem Königsthron Davids
wird zugesichert, daß er auf ewig Bestand haben soll (2.Sam 7,13.16). Das hat
sich so nicht erfüllt, mit Jojachin und Zedekia endet im 6.Jahrhundert v.Chr.
die davidische Nachfolgelinie auf dem Königsthron. In veränderter Bedeutung hat
sich die Verheißung in Jesus, einem Nachkommen Davids, erfüllt.
Den in Ägypten gefangenen
Israeliten versprach Gott, sie nach Kanaan zu bringen, zog sein Versprechen
aber nach derem wiederholten Ungehorsam zurück: "Keiner von euch wird in
das Land kommen, auch wenn ich meine Hand erhoben und geschworen habe, euch
darin wohnen zu lassen," (4.Mose 14,30) Erst deren Kinder durften hinein.
Offenbar war bei diesem Versprechen doch auch eine Bedingung mitgedacht.
"Es war nicht notwendig, und es wäre sicherlich ein Verstoß gegen die
Regeln literarischer Kunst gewesen, die Androhung der Strafe oder der Enterbung
bei jeder biblischen Verheißung zu wiederholen." (Loraine Boettner in:
Clouse 83)
So könnte ich mir
vorstellen, daß auch die Ankündigung 'Das Ende ist nahe' als eine Verheißung
gemeint war. Die dabei mitgedachte Voraussetzung war, daß die Weltmission rasch
abgeschlossen ist. Durch das Versagen der Gemeinde in der Ausführung des
Missionsauftrages verschob sich dann das Ende immer mehr.
3. Den Antichristen frühzeitig erkennen?
Die intensive Beschäftigung mit der Endzeitthematik kann auch
damit gerechtfertigt werden, daß wir ja den Antichristen erkennen sollen:
"Warum beschäftigen wir uns so ausgiebig mit der Person und den
Eigenschaften des Antichristen? Weil wir warnen wollen, denn dieser
Weltdiktator wird sich anfangs lammfromm aufspielen." So Klaus Gerth
(S.166). Und weiter: "Wenn es stimmt, was ich in diesem Buch immer wieder
nachweisen möchte, nämlich, daß die Bühne für den Antichristen fertig
vorbereitet ist und sein Auftritt nahe bevorsteht, dann ist es unerläßlich, daß
wir möglichst viele Informationen erhalten, um ihn rechtzeitig zu
erkennen."
Mir leuchtet das nicht
ganz ein, denn gerade gemäß dispensationalistischer Ansicht werden doch wir
Gläubigen ohnehin entrückt, bevor der Antichrist sein Unwesen treiben kann und
es zur großen Drangsal kommt: "..., daß zwei ganz entscheidende Dinge
passieren müssen, bevor der Antichrist auftritt: 1.Die Entrückung der
Gläubigen, um den Heiligen Geist aus dem Weg zu schaffen." So Gerth
(S.199). Und weiter: "Wir haben nach Rückkehr der Juden in ihr Land auf
keine weiteren Zeitereignisse vor der Entrückung mehr zu warten. Wir verstehen
auch, wie wichtig der 'Exodus' aus dem Blickwinkel der dann folgenden
Ereignisse ist, da er die Bahn für das Auftreten des Widersachers Gottes, des
Menschen der Sünde, bereitet. Denn das, was den Antichristen noch aufhält, der
Heilige Geist, muß aus dem Weg."
Denken wir Gerths Ansicht
konsequent durch: Der Antichrist lebt schon, aber tritt noch nicht auf, daher
können wir ihn derzeit nicht erkennen (und brauchen das auch gar nicht, er hat
ja noch keine führende Position, so daß wir auf seine Weisungen reagieren
müßten). Zuerst wird die Entrückung kommen, sodann der Angriff der Sowjetunion
& Co. auf Israel, wobei die Angreifer eine gewaltige Niederlage erleiden.
Durch das Verschwinden des Machtblocks Sowjetunion wird der Weg frei für das
Auftreten des auf die EG gestützten Antichristen ... (Gerth S.200). Bei dieser
von Gerth präsentierten Sicht wird aber seine Begründung für die intensive
Endzeitbeschäftigung hinfällig!
Wie schon Gerths Lehrer
Lindsey festhielt, "hält die Kraft des Heiligen Geistes in den gläubigen
Christen das Auftreten des Antichristen noch auf. Erst wenn der Heilige Geist
von der Erde weggenommen sein wird, kann der Antichrist an die Macht
gelangen." (S.129; ähnlich S.133) Die Entrückung der Gläubigen hätte, so
Lindsey, schon beim Erscheinen seines Buches stattfinden können, während man
damals aber den Antichristen noch nicht erkennen konnte (S.173). Auch hier
wieder: Noch bevor der Antichrist erkennbar wird, sind die Gläubigen entrückt.
Die Gläubigen brauchen und können daher den Antichristen nicht frühzeitig erkennen.
Somit könnten wir uns das "Antichrist-Früherkennungs-Ratespiel"
eigentlich ersparen.
Entrückung der Christen
vor Herrschaft des Antichristen: Das ist gemeinsames Glaubensgut der
Dispensationalisten. "Harmagedon kann nicht stattfinden, solange die
Gemeinde Jesu noch auf Erden ist. Die Gemeinde erlebt die Offenbarung des
Antichristen nicht mehr, geschweige denn sein Ende bei Harmagedon."
(Malgo: Schatten 142) Auch bei William Goetz lesen wir diese Ansicht (S.250),
allerdings hält dieser es auch für möglich, daß das anfängliche Auftreten des
Antichristen von den Gläubigen noch miterlebt wird (S.240); ähnlich Marius Baar
(S.230).
Wenn jemand nicht mit der
Entrückung der Gemeinde vor dem Auftreten des Antichristen rechnet, kann er
dessen Früherkennung für die Gemeinde wichtig finden. Aber er kann auch der
Meinung sein, daß die Gemeinde zur gegebenen Zeit klar wissen wird, daß es sich
hier um den Antichristen handelt. Der Baptistenpastor Arnold Köster hielt 1941 in Wien einen Vortrag
zum Thema des Antichristen:
"Ich habe hier nicht
die Frage zu beantworten, wer der Antichristus ist. Aber ich muß vom Wort her
die Grundzüge antichristlichen Wesens aufzeigen, die in der antichristlichen
Herrschaft, der antichristlichen Persönlichkeit zutage treten. Jetzt schauen
wir wie in einen dunklen Spiegel - dann von Angesicht zu Angesicht! Jetzt lesen
wir das Wort; wenn der dann auftritt, der hier beschrieben wird, muß man es
erst gar nicht laut sagen, damit wir wissen: das ist er. Dann weiß die Gemeinde
nicht nur, daß die Stunde da ist, wo sie ins Gefängnis zu gehen hat, um wieder
Blutzeuge zu werden; sondern sie weiß auch, daß jetzt bald die Tore der Ewigkeit
sich öffnen und der Christus kommt, um alles neu zu machen!" (S.108)
4. Durch Zeichen angekündigt oder unvorhersehbar?
"Jesus selbst hat uns ausdrücklich geboten, auf die Zeichen
der Zeit zu achten. ... Schon heute sehen wir große spektakuläre Zeichen, die
auf die bevorstehende große Schlacht von Harmagedon hindeuten: ... 3. Der
unaufhaltsame Aufstieg der Sowjetunion ... 5. Die Wiedergeburt des Römischen
Reiches (10 Nationen der EG)."
(Gerth 8f)
"Die Endzeitzeichen sind nicht zur Erstellung von Heils- und
Unheilsfahrplänen gegeben. ... Es ist offensichtlich auch im Willen Gottes,
über der Zukunft einen Schleier zu belassen, der erst beim Eintreffen der
Ereignisse endgültig fällt. Die gewaltigen Ereignisse der Zukunft lassen sich
nicht in kleine menschliche Programme zwängen. Hände weg von festgefügten
Zukunftschematas, ja gar Zeitfahrplänen: 'Über jenen Tag aber und jene Stunde
weiß niemand etwas!'" (Zopfi 25)
a) Vor bestimmten Zeichen Kommen Jesu unmöglich?
Im Hinblick auf den Zeitpunkt seiner Wiederkunft betont Jesus
unsere Unwissenheit: "ihr wißt nicht, zu welcher Stunde euer Herr
kommt" (Matthäus 24,42). In diesem Sinn präsentiert er auch mehrere
Gleichnisse, die zeigen: Es kann jederzeit soweit sein. Diese Gleichnisse weisen auf das
Überraschende hin: "... kommen an einem Tag, an dem er es nicht erwartet,
und in einer Stunde, die er nicht weiß, ..." (24,50)
Wie sollen wir dann die "Zeichen
der Zeit" verstehen? Nehmen wir einmal an, Jesus weist in seiner Rede auf
einige Zeichen hin, die kurz vor seiner Wiederkunft stattfinden werden. Dann
würde er sich selbst widersprechen. Denn dann hätten seine Zuhörer ja gewußt:
Solange diese Zeichen nicht da sind, wird auch Jesus nicht kommen - da brauchen
wir mit seiner Wiederkunft gar nicht rechnen. Und auch die Christen aller
weiteren Jahrhunderte hätten - mit einigem Bibelverständnis - wissen können,
daß das Ende noch gar nicht kommen kann. Es standen ja noch einige Zeichen aus.
In diesem Sinne wird die Aussagekraft dieser "Zeichen der Zeit" in
der Endzeitliteratur aber verstanden. So lesen wir etwa bei Steven Lightle: "Jesus wird wiederkommen!
Bevor er aber kommt, müssen gewisse Dinge geschehen sein, die seinen Weg
vorbereiten." (S.144; ähnlich S.157.171) Eine weitere Konsequenz dieses
Verständnisses der "Zeichen der Zeit" ist: Sobald diese Zeichen da
sind, steht Jesu Wiederkunft kurz bevor. Somit würden Jesu Anhänger einigermaßen
genau wissen, wann Jesus kommt. Und gerade das schließt Jesus aus.
Veranschaulichen wir das
anhand eines Beispiels: Das Blühen des Feigenbaums (24,32) deuten manche
Ausleger so, daß Israel politisch und wirtschaftlich blühen soll. Also: 1948
wurde Israel als Staat ausgerufen, nun müßte es bald soweit sein, daß Jesus
wiederkommt. Was umgekehrt bedeutet: Vor 1948 war Jesu Wiederkunft nicht zu
erwarten.
So lesen wir es etwa bei
Hal Lindsey: "Das wichtigste
Ereignis, das aller endzeitlichen Prophetie vorausgehen muß und das viele
Bibelforscher in der Vergangenheit übersahen, war die Tatsache, daß Israel als
Nation wieder in seinem Heimatland wohnen mußte, ehe weitere endzeitliche
Ereignisse eintreten können." (S.48f)
Oder bei Gerth:
"Einige bekannte Bibelausleger, die ihre Aussagen am Anfang dieses
Jahrhunderts weitergaben, wiesen immer darauf hin, daß das Zweite Kommen
unseres Herrn erst dann stattfinden könnte, wenn sich Israel wieder als Nation
in Palästina zusammengefunden hat. Es ist absolut richtig, daß dieses große
Ereignis zuerst zu geschehen hatte." (S.198)
Wäre Jesu Erwähnung des
Feigenbaums wirklich so gemeint gewesen, und hätten Jesu Jünger ihn so
verstanden, dann hätten sie gewußt: Erst wenn Israel wieder ein selbständiger
Staat ist, können sie mit Jesu Wiederkunft rechnen (und sobald das eine
eintritt, kommt auch bald danach das andere). Doch obwohl nach Jesu Weggang
noch keine Spur von einer staatlichen Verselbständigung Israels zu sehen war,
rechneten Jesu Jünger mit seiner baldigen Wiederkunft. Verstanden sie etwa Jesu
Erwähnung des Feigenbaums nicht, während erst die heutigen Ausleger sie
verstehen?
Auch andere "Zeichen
der Zeit" werden herangezogen, um zu erschließen, ob Jesus bereits
wiederkommen könnte (oder eben noch nicht): Am Ende seines Abschnittes über die
EG schließt Goetz: "Das bedeutet, daß die Wiederkunft Christi sehr nahe
sein könnte." (S.109) Umgekehrt: Solange dieser Zustand noch nicht gegeben
war, konnte demnach Jesu Wiederkunft nicht nahe sein! Lightle betont die
Rückkehr der Juden: "alle bibelgläubigen und -kundigen Christen warten
noch auf ein großes Ereignis: auf den Exodus 'aus dem Lande des Nordens und aus
allen Nationen der Welt'. Diese Rückkehr nach Israel wird die letzte
Vorbereitung für die Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus sein."
(S.142)
Oft schon wurde versucht,
aufgrund der gerade beobachteten "Zeichen der Zeit" auf das nahe Ende
zu schließen. Immer wieder mußte man jedoch feststellen: Trotz der Zeichen
vergingen weitere Jahrzehnte, das Ende kam nicht. Diese wiederholte Erfahrung
mahnt uns doch nachdrücklich, daß wir damit aufhören sollten.
Im Eingangszitat Gerths
habe ich zwei der fünf von ihm genannten "Zeichen, die auf die
bevorstehende große Schlacht von Harmagedon hindeuten", wiedergegeben.
Diese beiden Zeichen haben sich mittlerweile verändert. Das 3. (= Der
unaufhaltsame Aufstieg der Sowjetunion) gibt Gerth auch noch in der
"vollständig überarbeiteten und aktualisierten" Auflage von 1989
(noch 1991 nachgedruckt) an, das läßt sich so aber schon seit Jahren nicht mehr
aufrechterhalten. Und beim 5.Zeichen (= Die Wiedergeburt des Römischen
Reiches) mußte Gerth schon 1989 die "10 Nationen der EG" streichen,
waren doch inzwischen Spanien und Portugal aufgenommen worden. Wie wenig können
wir uns auf die Deutung solcher "Zeichen" verlassen, wenn sich diese
innerhalb eines knappen Jahrzehnts bereits so verändern, daß man an ihrem
Zeichen-Charakter zu zweifeln beginnen kann?
Dennoch meinen viele
Endzeitautoren, daß wir so handeln müssen: "Es ist daher zu allen Zeiten
die Pflicht der uns gebotenen Wachsamkeit, auf die Zeichen der Zeit zu achten.
... Die Zeiger der Weltuhr rücken vor. Es geht auf zwölf." (Hubmer
198.213)
Alle Versuche, aufgrund
der "Zeichen der Zeit" zu erkennen, wie weit der Zeiger auf der
Weltenuhr schon fortgeschritten ist (und in weiterer Folge: wie bald nun das
Ende kommen muß), gehen gegen Jesu Aussage: "Euch steht es nicht zu,
Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt
hat." (Apg 1,7)
Durch Zeichen angekündigt
oder unvorhersehbar? Das ist eine Schlüsselfrage der Eschatologie (die Lehre
von der Endzeit wird als Eschatologie bezeichnet.) Erich Geldbach bejaht das Unvorhersehbare
unter Hinweis darauf, "daß das Beobachten der Zeichen der Zeit die
Eschatologie in eine sich entwickelnde, 'evolutive Eschatologie' verwandelt,
da in der Gegenwart entweder noch Zeichen ausstehen oder andere erst
schattenhaft erkennbar sind. ... Damit verliert die Eschatologie aber das
Moment des völlig Überraschenden, des Hereinbrechens wie ein Dieb in der Nacht
(Mt 24,43; 1 Thess 5,4)."
Hier werden zwei
verschiedene Auslegungsrichtungen sichtbar, die ich folgendermaßen benennen
möchte:
Signalismus (von lat. signum = Zeichen) - der ungefähre Zeitpunkt
für Jesu Kommen läßt sich aufgrund von Vorzeichen abschätzen
Subitismus (von lat. subito = plötzlich) - Jesus kommt plötzlich
und unerwartet
b) "... Tag und Stunde ..."
Der Vorstellung, daß sich der Zeitpunkt seiner Wiederkunft
ungefähr absehen läßt, scheint Jesus zu widersprechen: "Von jenem Tag und
jener Stunde weiß niemand ..." (Mt 24,36). Nun gibt es manche Bibelleser,
die diese Worte sehr wörtlich deuten wollen, also etwa so: 'Den ungefähren
Zeitpunkt können wir schon wissen, nur das genaue Datum und die genaue Uhrzeit
wissen wir nicht.' So deuteten es die Zeugen Jehovas, als sie mit Volldampf auf
1975 hinsteuerten. Sie schränkten damals (1967) ein: "Natürlich sagte
Jesus, daß nur der himmlische Vater den Tag und die Stunde genau kenne, an dem
das Ende komme. (Matth. 24:36) Aber wenn uns nur noch wenige Jahre von dem Ende
dieses alten Systems trennen, ist es lebenswichtig, daß wir geistig wach
bleiben." (S.150f). Zu beachten ist hier, wie dem Ausspruch Jesu das Wort
"genau" hinzugefügt wird. So daß dem Leser nun folgender Sinn
vermittelt wird: Den ganz genauen Zeitpunkt weiß niemand; daß es nur noch kurze
Zeit (einige Jahre?) sein kann, das meinten die ZJ doch zu wissen.
Das gilt jedoch auch für
andere Endzeitautoren. Nach Heitmüller "gibt es keinen einzigen, der die
Wiederkunft des Herrn Jesu auf Tag und Stunde angeben könnte." (S.12f)
Aber, so Heitmüller weiter, Jesus hat uns "die Ereignisse, die Seiner
Wiederkunft vorausgehen werden, bestimmt und scharf umrissen genannt".
Diese Ereignisse versetzen uns in die Lage, "darüber zur Klarheit zu
kommen, wo wir in der weltgeschichtlichen Entwicklung stehen". Oder Pache:
"Man sage uns also nicht: Ihr könnt es gar nicht wissen, wann das Ende
nahe ist, da 'niemand Zeit noch Stunde kennt'. So reden, hieße zwei Dinge
verwechseln: Das Geheimnis, das Sich Gott vorbehalten hat über den genauen
Augenblick der Wiederkunft Seines Sohnes, und die deutliche Offenbarung über
jenen Zeitabschnitt, die Er geben wird." (S.82) Was Pache damit meint:
Jesus kommt wie der Blitz aus dem Himmel; aber auch "ein Blitz kommt nicht
aus heiterem Himmel: er kommt aus Wolken, die sich allmählich zusammengezogen
haben. Wer darauf achtete, konnte das Nahen des Gewitters bemerken."
(S.54) Das Überraschende des Kommens Jesu schränkt Pache auf die Ungläubigen
und "die vorgeblich Gläubigen, die das prophetische Wort mißachtet
haben", ein; nur diese "werden völlig unvorbereitet überrascht
werden".
Es läßt sich also
beobachten, daß mitunter auch ein Autor, der diese Aussage Jesu zitiert, sich
doch frei fühlt, einigermaßen genau anzugeben, wieviel Uhr es geschlagen hat.
Wim Malgo zitiert ausführlich einen Kommentar von Albert Springer: "Es ist
uns nicht gegeben, den 'Tag oder die Stunde' der Wiederkehr Christi zu kennen.
Er hat uns aber Anhaltspunkte gegeben, die wir wohl tun, zu beachten."
(Aufmarsch S.56)
c) Wachen, weil wir den Zeitpunkt nicht wissen?
Jesu Gleichnis vom Hausherrn und dem Dieb (Mt 24,43) betont das
Unvorhersehbare des Zeitpunktes des Kommens Jesu. Dieser eine Gesichtspunkt
wird von manchen Auslegern breit ausgemalt, etwa von René Pache: "Wir
haben eine solche Neigung zur Trägheit und Schlaffheit, daß wir immer in Atem
gehalten werden müssen. ... Ja, sagte man sogar den Christen, daß dies Ereignis
erst in sechs Monaten stattfinden sollte, würden sie sich fünfeinhalb Monate
lang von der Pflicht zu wachen entbunden fühlen." (S.50) Es klingt dann
so, als würden die Christen die ständige "Drohung" brauchen, daß
Jesus in jedem Augenblick kommen (und sie zufällig gerade in einer laxen Phase
erwischen) könnte. Die Lebensgestaltung des Christen alleine von daher zu
sehen, wäre aber einseitig. Wir möchten ja nicht bloß deshalb in ständiger
Verbindung mit Gott leben, weil wir nicht genau wissen, wann Jesus kommt und
wir es peinlich fänden, von ihm in einem Augenblick überrascht zu werden, wo
wir gerade ohne Gott leben. Wenn ich Gott liebe, dann will ich in ununterbrochener
Gemeinschaft mit ihm leben, selbst wenn ich wüßte, daß Jesus in den nächsten
Jahren noch nicht kommt.
In anderen - wesentlich
längeren! - Endzeitgleichnissen Jesu werden auch andere Aspekte sichtbar. Das
Gleichnis von den 10 Jungfrauen (Mt 25,1-13) betont, daß wir uns jetzt schon
entsprechend vorbereiten müssen auf jenen - uns nicht genau bekannten -
Zeitpunkt des Kommens Jesu. Hier wird meine augenblickliche Aktivität also
nicht von daher bestimmt, daß Jesus jetzt wiederkommen könnte, sondern von der
Frage her, was ich jetzt tun soll, damit ich zu jenem Zeitpunkt alle nötigen
Vorbereitungen bereits getroffen habe. Und bei einem anderen Gleichnis, bei den
anvertrauten Talenten (Mt 25,14-30), geht es darum, den gesamten Zeitraum der
Abwesenheit des Herrn zu nützen. Bei dem Vergleich mit der Zeit Noahs soll
deutlich werden,
daß der Weltlauf einmal unterbrochen wird (Mt 24,37-42). Darauf
sollten wir uns einstellen.
5. Weltevangelisation als Zeichen?
Auf eines der "Zeichen" möchte ich noch eingehen,
nämlich auf die Weltevangelisation. Schließlich sagte Jesus, daß zuerst das
Evangelium allen Völkern verkündigt werden wird, dann erst kommt das Ende (Mt
24,14). Gibt er uns damit einen Anhaltspunkt, aufgrund dessen wir wissen
konnten, daß Jesus bis dahin noch nicht kommen werde? Und umgekehrt würde dann
auch gelten: Sobald das Evangelium allen Völkern verkündigt worden ist, müssen
wir damit rechnen, daß Jesus sehr bald kommt?
Doch auch dieser Hinweis
Jesu liefert uns keinen genauen Zeitpunkt. Wir wissen ja nicht, an welchen
"Erfassungsgrad" Jesus dabei dachte, d.h. inwieweit die Menschheit
von der Verkündigung des Evangeliums erfaßt sein sollte. Wird jeder einzelne
Mensch das Evangelium hören? Oder genügt es, daß aus jedem Volk einige
Angehörige davon gehört haben? (Jesus sprach ja von "allen Völkern".)
Wenn gemeint ist, daß jeder einzelne Mensch das Evangelium hören soll, so sind
wir davon noch weit entfernt. Denn das würde derzeit nur auf etwa die Hälfte
der Weltbevölkerung zutreffen. Unabhängig davon, wie viele Menschen es gehört
haben sollen: Was bedeutet "gehört"? Genügt es, wenn jeder Mensch das
Evangelium in Kurzform, etwa in einigen Sätzen zusammengefaßt, gehört hat,
unabhängig davon, wieweit er es erfassen konnte? Für Menschen, die mit ganz anderen
Vorstellungen aufwachsen, ist es mitunter recht schwierig, die Bedeutung der
Aussagen des Evangeliums zu erfassen. Dann könnte man noch weiterfragen,
inwieweit auch die Kleinkinder von der Evangelisation betroffen sein sollen.
Falls Jesus gemeint hat,
daß von jedem Volk zumindest einige Individuen das Evangelium gehört haben
sollten, stellt sich die Frage: Was gilt als "Volk"? Ist jeder Stamm
mit einer eigenen Sprache schon als ein Volk zu betrachten? Dann würde es
gleichfalls noch sehr lange dauern. Wenn wir den Vorgang des Evangelisierens
mit dem Übersetzen von zumindest einem Teil der Bibel koppeln: Wir kennen sehr
viele Sprachgruppen, die noch keine Bibel(teil)übersetzung besitzen. Wenn aber
lediglich die größeren Völker damit gemeint sind, so haben wir den geforderten
Zustand wohl schon erreicht, denn 98 % der Weltbevölkerung haben zumindest
einen Teil der Bibel in ihrer Sprache. (Wobei aber noch Fragen offenbleiben:
Wieviele von diesen Menschen können lesen, und wieviele haben Zugang zu
Exemplaren dieser Übersetzung?)
Bei Jesu Ankündigung der
Evangelisierung "aller Völker" haben wir mitzubedenken, daß
"alle" nicht immer 100 % bedeuten muß - man vergleiche etwa Mk 1,5
mit Mt 11,18 oder 21,25f. (Näheres dazu in meinem Buch Symbol oder Realität? -
Taufe und Abendmahl, S.20.37f.)
In gewisser Weise konnten
schon die Jünger Jesu den Eindruck haben, daß "alle Völker"
evangelisiert sind. Denn die damals bekannte Welt, nämlich das Römische Reich
und die unmittelbaren Nachbargebiete, wurden innerhalb einiger Jahrzehnte
erreicht - wenngleich anfangs eher auf die Großstädte beschränkt.
Bei Jesu Hinweis gibt es
also mehrere offene Frage, die Begriffe "alle", "Völker"
und "Evangeliumsverkündigung" betreffend. So eignet sich also auch
dieser Hinweis nicht dazu, eine deutliche Scheidung vorzunehmen: Bis dahin
konnte Jesu Wiederkunft noch nicht erfolgen, ab da ist dagegen mit ihr zu
rechnen.
6. "Diese Generation ..."
a) Nahereignis und Fernereignis
Die in Matthäus 24 und 25 berichtete Rede Jesu wird zumeist als
Endzeitrede bezeichnet. Wenn wir als "Endzeit" die gesamte Zeit von
Jesu Wirken an über die Zerstörung Jerusalems und weiter über Jesu Wiederkunft
bis zum Gericht rechnen (= "Endzeit im weiteren Sinne", Bergmann 6),
können wir diese Rede Jesu durchaus als "Endzeitrede" bezeichnen. Die
meisten Leser denken beim Begriff der "Endzeit" aber speziell an den
kürzeren, der Wiederkunft Jesu unmittelbar vorangehenden Zeitabschnitt (=
"Endzeit im engeren Sinne"). In diesem Verständnis wäre es dann
irreführend, von "Jesu Endzeitrede" zu sprechen. So sollte man sie
wohl besser "Jesu Zukunftsrede" nennen (wie Großmann 13 vorschlug).
Was meinte Jesus mit der
Generation, die nicht vergehen wird, "bis dieses alles geschieht"?
Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir den Zusammenhang überblicken. In
seiner Zukunftsrede beantwortet Jesus zwei verschiedene Fragen: "wann
wird das [= die Tempelzerstörung] sein, und was ist das Zeichen deiner Ankunft
und der Vollendung der Weltzeit?" (Mt 24,3). Die Zerstörung des Jerusalemer
Tempels fand im Jahr 70 n.Chr. statt, die Wiederkunft Jesu steht noch aus. Jesu
Rede handelt also von zwei weit auseinanderliegenden Ereignissen, einem
Nahereignis und einem Fernereignis. Wir müssen daher bei den einzelnen Aussagen
immer beachten, welches dieser beiden Ereignisse damit gemeint ist. In einigen
Abschnitten ist diese Unterscheidung jedoch nicht einfach, und manchmal kommt
es in den Berichten über Jesu Zukunftsrede zu einem plötzlichen Sprung: während
der eine Vers noch von der bevorstehenden Tempelzerstörung spricht, redet der
nächste Vers bereits über die Ereignisse vor der Wiederkunft Jesu.
Jesus spricht also von
zwei - wie wir heute wissen - weit auseinanderliegenden Ereignissen. Das eine
sollte bereits in 40 Jahren kommen, das andere erst (wie wir heute wissen:
wesentlich) später. Jesus: "Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis
dies alles geschehen ist. ... Von jenem Tag und jener Stunde weiß niemand,
..." (24,34.36).
"Dieses alles"
kann Jesus einigermaßen datieren, "jenes" nicht.
"Geschlecht" (griech. geneá) - das meint die Generation; "dieses
Geschlecht" = die Generation zur Zeit Jesu (wie auch sonst, vgl. Mt 11,16
oder 12,41f; das von Jesus hier vermutlich gebrauchte aramäische Wort, nämlich
dar, bezeichnet eindeutig nur die Generation, nicht etwa ein Volk oder eine
Rasse). Tatsächlich kam es zur Zerstörung des Jerusalemer Tempels 40 Jahre
danach, als noch viele Angehörige der Generation Jesu lebten. So verstanden
wiederholt Jesu Ankündigung das, was er auch schon in 23,36 gesagt hatte. (So
dargelegt von Theodor Zahns
Kommentar zum Matthäus-Evangelium, Nachdruck Wuppertal 1984, S.672-4, sowie in
Adolf Pohls Kommentar zum
Evangelium des Markus [= Wuppertaler Studienbibel, Ergänzungsband]. 1986,
S.480.)
Wir können also bei der
auch sonst von Jesus verwendeten Bedeutung von "dieses Geschlecht"
bleiben - wir brauchen nicht auf gekünstelte und verdrehte Bedeutungen
zurückgreifen. Etwa, als ob Jesus "jene Generation" gemeint hätte -
die Generation der Rückeroberung Jerusalems im Jahr 1967. Oder als ob er hätte
sagen wollen: Dieses jüdische Volk, die jüdische Rasse wird nicht vergehen.
Denn dann hätte er einerseits so formuliert, als würde es schon bald geschehen,
andererseits bloß gesagt, daß das ihm zuhörende Volk nicht vergehen werde - ein
völliges Verschwinden eines Millionenvolkes wäre innerhalb einiger Jahrhunderte
sowieso nicht zu erwarten gewesen; auch die Ägypter oder die Griechen
existieren noch immer. Hier ist Pache zu widersprechen, der behauptet:
"Alle Völker des Altertums sind verschwunden: die Ägypter, Assyrer,
Babylonier, Perser, Griechen, Römer usw. Israel allein existiert noch,"
(S.77)
Die geneá bedeutet in den
Evangelien zwar gelegentlich einfach eine bestimmte Art von Menschen, ohne
dabei genau auf eine Generation einzuschränken, aber sie bezeichnet dort nie
ein bestimmtes Volk, eine bestimmte Rasse.
b) Christen flohen aus Jerusalem
Ein Teil der von Jesus genannten Vorzeichen bezieht sich auf die
drohende Zerstörung Jerusalems. Mit dieser Ankündigung ist Jesu Mahnung,
rechtzeitig zu fliehen, verbunden. Noch die Generation Jesu werde diese
Katastrophe miterleben, und sobald die ersten Anzeichen dafür sichtbar werden,
sollten die Bewohner Judäas fliehen. Die etwas überspitzte Aussage, daß der
gerade auf dem Dach Befindliche nicht noch in sein Haus hineingehen soll, um
bei seiner Flucht etwas mitzunehmen, sollte die Gefahr betonen, die darin
liegen würde, wenn jemand zulange zögert. Erste Anzeichen für die unmittelbar
bevorstehende Zerstörung Jerusalems können im "Greuel der Verwüstung"
bestehen (Mk 13,14), oder in dem Belagertwerden Jerusalems (Lk 21,20). Als
Vespasian nach seiner Eroberung Galiläas dann im Jahr 68 vor Jerusalem stand
und die Belagerung beginnen wollte, erfuhr er vom Tod Kaiser Neros. Daraufhin
unterbrach er die Belagerung, weil er abwarten wollte, ob Neros Nachfolger auf
dem Kaiserthron ihm eine neue Weisung geben würde. Aber nun begann in Rom eine
turbulente Zeit (das sog. "Vierkaiserjahr"): die beiden ersten
Nachfolger Neros lebten nur jeweils wenige Monate, und während der dritte
Nachfolger regierte, riefen Teile der Armee Vespasian zum Kaiser aus. So
kümmerte sich dieser vorerst um die Sicherung seiner Herrschaft über das römische
Reich. Erst im Jahr 70 ging sein Sohn Titus neuerlich an die Belagerung
Jerusalems. (Nach fünf Monaten hatte er die Stadt erobert und ließ sie dem
Erdboden gleichmachen. Im Laufe der Kämpfe fanden den Schätzungen von
Zeitgenossen zufolge 0,6 bis 1,1 Millionen Juden den Tod, zum Teil durch
Hunger.) In den beiden Jahren von 68 bis 70 gab es also noch die Möglichkeit zu
fliehen.
Was ist mit dem
"Greuel der Verwüstung" gemeint? Im Jahr 40 wollte der römische
Kaiser Caligula seine Statue im Jerusalemer Tempel aufstellen lassen, dazu kam
es aber dann nicht mehr, Caligula wurde Anfang 41 ermordet. Bevor Vespasian zur
Belagerung Jerusalems ansetzte, als er noch mit der Eroberung Galiläas
beschäftigt war, flohen Menschen nach Jerusalem. Die Zeloten versuchten dort
die Herrschaft zu übernehmen und besetzten den Tempel. Flavius Josephus
schrieb: "Sie wandten ihre Überheblichkeit gegen die Gottheit und
betraten das Heiligtum mit befleckten Füßen." (Der Jüdische Krieg IV,
Kap.3,6 = IV, _ 150) Daß sie den Tempel zu einem militärischen Stützpunkt
machten und dabei den Tempel betreffende alttestamentliche Vorschriften außer
acht ließen - darin konnten Juden den "Greuel der Verwüstung"
erblicken. Somit lieferte Jesu Zukunftsrede gemäß den Berichten von Mt und Mk
einen bereits vor dem ersten Ansatz zur Belagerung Jerusalems liegenden
Anhaltspunkt, der erkennen ließ, daß es höchste Zeit zur Flucht aus Jerusalem
und überhaupt aus Judäa ist.
Es wird berichtet, daß
sich die Jerusalemer Christengemeinde rechtzeitig vor dem Krieg in Sicherheit
gebracht hatte, indem sie entsprechend einer von ihren Führern empfangenen
Offenbarung nach Pella im Ostjordanland auszogen. (Davon berichten, unabhängig
voneinander auf ältere Quellen gestützt, Euseb
von Cäsarea in seiner Kirchengeschichte III,5,3 und Epiphanius von Salamis in seinem Panarion 29,7 sowie in De
mensuris et ponderibus 15.) Die Christen verließen also Jerusalem, gemäß Jesu
Warnung, und blieben bewahrt. Viele Bewohner Judäas und Galiläas dagegen flohen
in die umgekehrte Richtung, nämlich nach Jerusalem. Diese schwer zu erobernde
Stadt schien ihnen Sicherheit zu versprechen. So liefen sie geradewegs in ihr
Verderben.
7. Sammlung Israels
Eines der regelmäßig angeführten "Zeichen der Zeit" ist
die Sammlung Israels. Tatsächlich war die Staatsgründung 1948 ein menschlich
völlig unerwartetes Ereignis. Handelt es sich bei der Besiedlung Palästinas
durch Juden um ein von Gott vorhergesagtes und mitbewirktes Geschehen?
Diese Frage ist eng mit
der endgeschichtlichen Bedeutung Israels verbunden und daher sehr komplex.
Meine Aufgabe in diesem Buch sehe ich nun eher darin, auf einzelne Fakten
hinzuweisen, nicht so sehr darin, eine bestimmte geschlossene Endzeitsicht zu
vermitteln. Im Zusammenhang mit der Sammlung der Juden möchte ich mich auf
einige Aspekte beschränken. Erstens will ich zeigen, daß manche atl.
Formulierungen wie "sammeln aus allen Ländern" nicht überstrapaziert
werden dürfen, zweitens will ich darauf hinweisen, daß das gegenwärtige Tempo
dieser Sammlung sehr langsam ist, und drittens will ich daran erinnern, daß die
Rückkehr aller Juden nach Israel vor Jesu Kommen nicht so eindeutig vorteilhaft
ist, daß wir uns bedenkenlos dafür einsetzen können.
a) "sammeln aus allen Ländern ..."
Das Südreich (Juda und Benjamin) war im 6.Jahrhundert v.Chr. in
der Babylonischen Gefangenschaft. Bei der Betrachtung prophetischer Aussagen
über die Rückführung der Juden ist zu prüfen, ob sich diese Aussagen auf die
Heimkehr aus Babylon beziehen. Für diese Prüfung müssen wir uns mit einigen
Grunddaten über die Propheten und die jeweiligen Zeitereignisse vertraut
machen.
Die Zerstörung Jerusalems
durch Nebukadnezar erfolgte 586 v.Chr. Schon zuvor wurden Teile der jüdischen
Bevölkerung nach Babylon deportiert, so auch Hesekiel (597 v.). Die Rückkehr
aus dem Babylonischen Exil konnte aufgrund des Edikts von Cyrus ab 538 v.
erfolgen. Danach wurde auch der Tempel wieder aufgebaut und etwa 515 v.
eingeweiht.
Hesekiel
Bei der Betrachtung eines
Propheten ist jeweils diese Aufeinanderfolge mitzubedenken. Hesekiels
prophetische Verkündigung erfolgte etwa von 592 bis 571 v., liegt also zum Teil
vor der Zerstörung Jerusalems, zum Teil danach. Er selbst war aber die ganze
Zeit über bereits in Babylon. Vor der Zerstörung Jerusalems sagt Gott durch ihn
zu Jerusalem: "Ich werde die Menschen, die in dir noch übrig sind, in alle
Winde zerstreuen." (5,10) Und: "Wenn ihr in alle Länder vertrieben
seid, lasse ich einen Rest von euch übrig." (6,8; ähnlich 12,15 und
22,15). Beim Lesen dieser Kapitel hat man den Eindruck, daß Hesekiel hier
seinen Zeitgenossen ein unmittelbar bevorstehendes Gericht ankündigt. Doch bei
Formulierungen wie "in alle Winde" oder "in alle Länder"
wird man stutzig: Hat sich das dann tatsächlich bereits durch die Babylonische
Gefangenschaft erfüllt, oder ist hier an wesentlich spätere Ereignisse zu
denken?
Bei dieser Frage müssen
wir bedenken, daß der damalige Horizont wesentlich kleiner war als der heutige.
Er umfaßte die Nachbarländer Israels. Wenn die Juden dorthin zerstreut wurden,
konnte man damals sagen: "Auch wenn ich sie weit weg unter die Völker
geführt und in alle Länder zerstreut habe, ..." (Hes 11,16). So sprach
Gott durch Hesekiel, kündigt aber gleichzeitig an: "Ich führe euch aus
allen Völkern zusammen, sammle euch aus den Ländern, in die ihr zerstreut seid,
und gebe euch das Land Israel." (11,17; ähnlich 20,41; 34,12f; 36,19.24;
37,21; 39,27f).
Dann ist zu bedenken, daß
zwar der Großteil der Juden nach Babylon kam, ein Teil aber auch nach Ägypten
(Hes 19,4.9). Bei Jeremia finden wir mehrere Hinweise darauf, daß zur Zeit der
Wegführung nach Babylon Gruppen von Juden auch nach Ägypten flohen (24,5-8;
26,21; 42-44) - auch Jeremia selbst wurde von ihnen gezwungen mitzugehen.
Insofern wurden die Juden damals tatsächlich in zwei Richtungen zerstreut, nach
Nordosten und nach Südwesten. Mehr Richtungen waren für die damaligen Juden
reisetechnisch gar nicht möglich, denn im Südosten von Juda liegt die riesige
Arabische Wüste, und im Nordwesten das Mittelmeer.
Jesaja
Der Prophet Jesaja wirkte
um 700 v.Chr. Er kündigte sowohl die Zerstreuung als auch die Sammlung an.
Wenngleich wir auch bei ihm Ausdrücke wie "alle Länder" finden, so
sehen wir zwischendurch doch auch immer wieder Näherbestimmungen, die uns
zeigen, wie umfassend der damalige Horizont war: Er reichte bis zu den von
Israel aus am weitesten entfernten Grenzen Ägyptens und Assyriens (in Klammer
füge ich die Bedeutung der Ortsnamen hinzu):
"An jenem Tag wird
der Herr seine Hand von neuem erheben, um den übriggebliebenen Rest seines
Volkes zurückzugewinnen, von Assur und Ägypten, von Patros (Oberägypten) und
Kusch (Sudan), von Elam (östlich Babylons), Schinar (babylonisches Tiefland)
und Hamat (am Orontes in Syrien) und von den Inseln des Meeres." (11,11)
Jeremia
Der Prophet Jeremia
wirkte um 600 v.Chr., also teils vor, teils nach der Wegführung nach Babylon.
So finden wir bei ihm zuerst Ankündigungen der Zerstreuung (9,15), dann
kombiniert Zerstreuung und Sammlung (12,14f), und schließlich (nach der
Zerstörung Jerusalems) Ankündigungen der Sammlung (mit Rückverweis auf die
bereits stattgefundene Zerstreuung). Diese Ankündigungen sind in mehrfacher
Hinsicht aufschlußreich. Zuerst wegen einer zeitlichen Näherbestimmung:
"Wenn 70 Jahre für
Babel vorüber sind, dann werde ich nach euch sehen, mein Heilswort an euch
erfüllen und euch an diesen Ort zurückführen. ... Ich wende euer Geschick und
sammle euch aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch versprengt
habe ..." (29,10.14; ähnlich 32,36f).
Durch die Zeitangabe (und
Ortsangabe: Babel) wird klar, daß es sich um die Rückführung aus der
Babylonischen Gefangenschaft handelt, nicht um ein Ereignis Jahrtausende
später. Aber auch hier finden wir wieder die schon gewohnten hyperbolischen
Formulierungen: "sammle euch aus allen Völkern ..." Dann ist auch
bemerkenswert, daß Babylon als "fernes Land" betrachtet wird:
"Ich bin es, der
dich aus fernem Land errettet, deine Kinder aus dem Land ihrer Gefangenschaft.
... Ich vernichte alle Völker, unter die ich dich zerstreut habe." (30,10f
= 46,27f)
Oder es wird von den
"Enden der Erde" gesprochen: "Seht, ich bringe sie heim aus dem
Nordland und sammle sie von den Enden der Erde, ... verkündet es auf den
fernsten Inseln und sagt: Er, der Israel zerstreut hat, wird es auch sammeln
..." (31,8-11; ähnlich 23,2f.7f)
Bei diesen Aussagen ist
zu beachten, daß immer unterschieden wird zwischen einem bereits vergangenen
und einem noch zukünftigen Ereignis: die Zerstreuung liegt bereits in der
Vergangenheit (es kann sich also nicht um die Zerstörung Jerusalems 70 n.Chr.
handeln), die Sammlung liegt in der Zukunft.
Jes, Jer und Hes zur gegenwärtigen Sammlung
Die endgeschichtliche
Bedeutung Israels ist eine umfassendere Frage, bei der viele biblische Aussagen
(etwa in Sacharja und Offenbarung) heranzuziehen sind. Hier möchte ich
lediglich festhalten, daß die atl. Formulierungen "sammeln aus allen
Ländern" nicht automatisch auf die gegenwärtige Rückwanderung zu beziehen
sind.
In der evangelikalen
Endzeitliteratur findet man eine solche automatische Anwendung sehr oft.
Folgende Stellen aus den oben erläuterten drei sog. "großen
Propheten" werden meist ohne weitere Begründung auf das gegenwärtige
Geschehen in Israel angewandt:
Jesaja 11,11f (Zopfi 46, Lightle 150.157, Pache 246, Schrupp); 14,1f
(Pache 242f.247); 27,6 (Goetz 93, Lightle 145); 27,12f (Pache 244); 43 (Lightle
151-153, Gitt 63, Pache 246, Schrupp); 49,17-22 (Pache 243f, Schrupp); 52,12
(Pache 242).
Jeremia 16,15f (Zopfi 47, Gitt 134, Pache 243.247, Malgo:
Israel 73, Malgo: Bibel 61); 23 (Lightle 154-156, Schrupp); 24,6 (Pache 248);
29,14 (Pache 246f); 30,3 (Lightle 149, Pache 247); 31,7-10 (Lightle 160, Gitt
63, Pache 246, Malgo: Israel 135.193); 31,16f (Malgo: Israel 62); 32,37.41
(Pache 248); 50,19 (Pache 247).
Hesekiel 20,35.38 (Pache 243f); 28,25 (Malgo: Israel 60.193);
34,13 (Pache 242.247); 36 (Goetz 91f, Zopfi 44, Gitt 63, Pache 245-252, Malgo:
Israel 54); 39,28 (Zopfi 47, Pache 244.247).
"aus allen Ländern"
Manche Autoren versuchen
auch Begründungen dafür zu geben, daß solche atl. Formulierungen nicht in der
Rückführung aus Babylon ihre Erfüllung gefunden haben. Kurt Koch nennt diese von ihm abgelehnte
Ansicht "Babelthese" (S.38). Die Meinung, daß diese atl. Verheißungen
jetzt, in der Gegenwart, in Erfüllung gehen, könnte man dann
"Gegenwartsthese" nennen.
Dabei lassen sich die
Vertreter dieser "Gegenwartsthese" oft von einem wörtlichen
Verständnis leiten, ohne zu bedenken, daß parallele Formulierungen zur
Rückführung aus "allen Ländern" auch über die Vertreibung in
"alle Länder" zu finden sind. Unter Hinweis auf Jes 11,11f betont
Steven Lightle: "die
Rückkehr aus Babylon war keine weltweite Rückführung der Juden, sondern bezog
sich nur auf die Region um Babylon. Jesaja erwähnt aber eine Rückführung von
den 'vier Enden der Erde und von den Inseln des Meeres'. Damit sind alle
Himmelsrichtungen und die Kontinente der Erdkugel gemeint." (S.150;
ähnlich Koch 37f.83, Bergmann 54, Pache 247). Richard Wolff 45f verweist darüber hinaus auf die kleine Zahl der aus
der Babylonischen Gefangenschaft zurückgekehrten Juden: etwa 50tausend.
Es stimmt, daß die
Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft im wesentlichen nur aus einer
Richtung erfolgte, nämlich aus dem Nordosten. Ägypten, also der Südwesten,
spielte dabei nur eine geringe Rolle. Aber auch die heutige Rückkehr wäre im
wesentlichen nur aus einer Richtung, nämlich aus dem Nordwesten, die anderen
Richtungen spielen kaum eine Rolle.
Im übrigen sind auch
unsere Quellen über die damalige Vertreibung und Rückführung beschränkt.
Können wir ausschließen, daß um 600 v.Chr. vielleicht auch Juden z.B. nach
Äthiopien gelangten, deren Nachkommen 70 Jahre später wieder zurückkehrten? Der
Hauptteil wird sicher Richtung Babylon gekommen sein, aber einzelne können
auch in andere Richtungen geflohen und später zurückgekehrt sein.
Derek Prince betont, daß wir in der
Aufzählung in Jesaja 11,11b - wo Israels Nachbarländer bis zu ihren äußersten
Grenzen (siehe Zitat oben) aufgezählt werden - Gebiete aufgezählt finden,
"aus denen keine Juden nach der babylonischen Gefangenschaft zurückkehrten.
Also blickt der Prophet vorwärts zu einer anderen, größeren Sammlung des
Volkes Israel." (S.53)
Während einerseits eine
streng wörtliche Deutung praktiziert wird, gibt es aber doch auch Raum für sehr
willkürliche Festlegungen. Was ist unter den Inseln zu verstehen? Vielleicht
die griechischen Inseln? Prince läßt seinen Blick weit schweifen: "Unter
den 'Küstenländern des Meeres' waren alle Länder eingeschlossen, die den
Israeliten zu jener Zeit noch nicht so gut bekannt waren, und zwar
hauptsächlich in westlicher Richtung. Wir würden heute für diesen Ausdruck
vielleicht sagen, 'aus allen Kontinenten'." (S.53)
"zum zweitenmal"
Mitunter handelt es sich
einfach um Fehldeutungen. In Jes 11,11 heißt es: "An jenem Tag wird der
Herr seine Hand zum zweitenmal erheben, um den übriggebliebenen Rest seines
Volkes zurückzugewinnen." Ganz richtig erkennt hier Lightle, daß mit dem
ersten Mal die Herausführung aus Ägypten unter Mose gemeint ist (woraus sich
als naheliegende Deutung des "zweiten Males" die Rückführung aus
Babylon ergibt). Prince dagegen ignoriert diese Herausführung aus Ägypten:
"Schon hier in Kap.11, also vor der Babylonischen Gefangenschaft, sah der
Prophet voraus, daß das Volk Israel nicht nur einmal, sondern zweimal zerstreut
und wieder in sein Land zurückgebracht werden würde. Die Babylonische
Gefangenschaft und die Rückkehr daraus würde nur das erste Mal sein. Es mußte
also eine zweite Zerstreuung und Rückkehr folgen." (S.53; ähnlich Koch 38,
Bergmann 54, Wolff 45).
Israel, das Nordreich, fehlt
Hören wir noch Koch:
"Ein drittes Argument gegen die 'Babelthese' ist die Tatsache, daß es sich
bei der Babylonischen Gefangenschaft vorwiegend um Juda handelte und nicht um
Israel. Die Prophezeiungen beziehen sich aber auf Gesamtisrael." (S.38)
Hier müssen wir jedoch realistisch sein. Das aus 10 Stämmen bestehende
Nordreich ging in die Assyrische Gefangenschaft, und vermischte sich mit der
dortigen Bevölkerung. Man wird deshalb heute kaum noch Israeliten finden, die
eine reine Abstammung von einem dieser Stämme nachweisen können. (Deshalb haben
manche christliche Kreise zur Frage "Wo sind die zehn verlorenen Stämme
Israels?" sehr spekulative Antwortversuche entwickelt - siehe dazu den
Exkurs in Hutten 192-201.) Das Südreich, bestehend aus Juda und Benjamin, ging
in die Babylonische Gefangenschaft. Im Unterschied zu den Assyrern ließen die
Babylonier sie in abgeschlossenen Distrikten wohnen. Somit blieb ihnen eine
Vermischung erspart und sie konnten etwa 70 Jahre danach heimkehren. So lesen
wir im NT kaum noch von Israeliten, sondern normalerweise einfach von
"Juden" - eben weil die Israeliten zur Zeit des NT zumeist Angehörige
des Stammes Juda waren. Daneben gab es auch noch Angehörige des kleineren
Stammes Benjamin (z.B. Paulus), und es gab auch Leviten (z.B. Barnabas), da die
Leviten über das gesamte Reich verstreut lebten, also auch im Südreich. Wer
heute auf eine Rückkehr von Angehörigen der 10 Nordstämme wartet, jagt einem
Phantom nach.
Israel seit 586 v.Chr. nicht mehr unter jüdischer Herrschaft
Ein weiteres Argument
liegt nach René Pache darin, daß Jerusalem nach der Eroberung durch die
Babylonier nie mehr unter jüdische Kontrolle kam: Zuerst kamen die Meder und
Perser, dann die Griechen unter Alexander dem Großen, dann dessen Nachfolger
(die sog. "Seleukiden"), schließlich die Römer, unter denen die Juden
aus Jerusalem und dann auch aus Palästina vertrieben wurden. (Erst im
20.Jahrhundert eroberten die Juden Jerusalem wieder zurück.) Pache: "Darum
muß ihre endgültige, von dem Propheten geschaute, glorreiche Wiederkehr nach
ihrer weltweiten Zerstreuung am Zeitenende erfolgen." (S.247) Das ist ein
wichtiger Gesichtspunkt, unter dem die Rückkehrverheißungen zu betrachten sind.
Diese beinhalten aber nicht durchwegs das Versprechen, autonom über Juda
regieren zu können. Immerhin konnten die Juden unter den Persern den Tempel
wiederaufbauen, unter den Römern wurde er durch Herodes d.Gr. verbessert. Es
gab also durchaus Phasen, wo die Juden eigenständig ihren Gesetzen folgen
konnten und zu keinen fremden religiösen Gebräuchen gezwungen wurden. Der
Gedanke, daß das Leben unter einer Besatzungsmacht das größte Übel ist, das zu
beseitigen Gottes wichtigste Aufgabe sei, war der Irrtum, der die Juden
wiederholt zu den verderbenbringenden Aufständen gegen die Römer führte. In
Gottes Augen war jedoch nicht die staatliche Eigenständigkeit das Wichtigste
für die Juden, sondern daß sie den hätten erkennen und anerkennen sollen, den
Gott gesandt hatte.
Unter Hinweis auf Amos
9,14f behauptet Wolff zweierlei (S.46): Erstens, daß die Gefangenschaft Israels
gewendet werden soll - nach der Rückkehr aus Babylon standen die Juden (wie
schon oben in Verbindung mit Jerusalem festgestellt) weiterhin unter Fremdherrschaft.
(Doch mitunter kann die Autonomie auch unter einer Fremdherrschaft sehr weit
gehen, so daß man die Einwohner nicht mehr als "Gefangene" betrachten
kann.) Zweitens, daß Israel vesprochen wurde, daß es nach der Rückkehr nicht
mehr aus seinem Land ausgerottet werde. Und das traf nach der Babylonischen Gefangenschaft
nicht zu, da sie 600 Jahre später doch wieder vertrieben wurden.
Schlußüberlegungen
Gerhard Bergmann sagt im
Hinblick auf die Behauptung, daß sich die Verheißungen auf die Rückkehr aus der
babylonischen Gefangenschaft beziehen: "Das wird keineswegs bestritten.
Vielleicht war diese Heimkehr eine Vorschattung der Rückkehr des Volkes Israel
in der Endzeit." (S.53) Diese Überlegung kann man weder widerlegen noch
beweisen.
Jedenfalls sind die
Stellen über eine Wiederherstellung Israels demgemäß kritisch zu sichten.
Manche beziehen sich auf die Rückführung aus Babylon, andere auf eine spätere
Zeit, z.T. überhaupt erst auf das messianische Reich.
Hier ist auch noch an
jene Beobachtung zu erinnern, die wir am Ende von Kap.D,2 besprochen haben:
Ankündigungen ohne ausdrückliche Nennung von Bedingungen. Infolgedessen
schließt Loraine Boettner: "Alle Verheißungen an Israel im Alten Testament
wurden entweder eingelöst oder wegen des Ungehorsams des Volkes für nichtig
erklärt." (in: Clouse 83f)
b) Sammlung im Schneckentempo
Die Sammlung der Juden in Palästina wird oft als ein Zeichen
angesehen, das auf die nahe Wiederkunft Jesu hinweist. Man erinnert sich an die
Staatsgründung im Jahr 1948, die viele von uns miterlebt haben - das also quasi
ein zeitgenössisches Ereignis darstellt. Diese Staatsgründung läßt uns die
jüdische Besiedlung Palästinas als ein aktuelles und rasch ablaufendes
Geschehen erscheinen. Dieser Eindruck ist jedoch falsch.
Die Besiedlung Palästinas
durch Juden begann etwa 1870, also vor 120 Jahren. Insgesamt handelt es sich
somit um einen sich bereits über einen längeren Zeitraum erstreckenden Prozeß,
der dazu führte, daß heute etwa ein Viertel aller Juden in Palästina lebt. Wenn
diese Besiedlung also im gleichen Tempo wie bisher weitergeht, so kann sie
durchaus noch mehrere Jahrhunderte beanspruchen.
Diese Berechnung war
etwas schematisch, weil nur der äußere Ablauf in Rechnung gestellt wurde, nicht
jedoch die dahinterstehenden Ursachen. Falls sich am gegenwärtigen
Ursachengefüge nichts ändert, wenn also die Besiedlung aufgrund der gleichen
Faktoren wie bisher erfolgt, wird sie nie zu einem Abschluß kommen, denn der
Hauptgrund für einen Juden, sein Heimatland zu verlassen und in Palästina
einzuwandern, ist der Antisemitismus in seinem Heimatland. Wo es einen solchen
kaum gibt - etwa in Amerika oder in Westeuropa -, siedeln die Juden auch nicht
aus. Wenn Malgo auch dort ein Auswandern der Juden zu beobachten meinte, dann
liegt hier ein weiteres Beispiel dafür vor, wie schwache Anhaltspunkte
überbewertet werden und wie die Realität verzerrt wahrgenommen wird - es wird
als real ablaufend wahrgenommen, was dem eigenen Bibelverständnis entspricht.
So meinte Malgo schon 1974: "In Amerika ist alles im Umbruch, weil Israel
von dort aus aufbrechen muß. Jeremia 16,15-16 beginnt sich auch in den USA zu
erfüllen. ... '... ich will sie wiederbringen in das Land, das ich ihren Vätern
gegeben habe. ...' (Israel 73) Malgo setzt fort: "Genau dasselbe ist auch
in Frankreich im Gange. Das Land hat mehr als eine halbe Million Juden."
Immer noch, muß man hinzufügen, obwohl nun schon fast 2 Jahrzehnte seit Malgos
Bemerkung vergangen sind. Die Auswanderungsbewegung amerikanischer und
französischer Juden findet nur im Wunschdenken Malgos statt, nicht in der
Realität.
Sollte es also
tatsächlich dazu kommen, daß alle oder die meisten Juden nach Palästina
auswandern, müßten neue Faktoren dazukommen. Etwa ein Wirken Gottes.
Die derzeitige Tendenz
führt auch insofern nicht zu einer wirklichen Sammlung aller Juden in
Palästina, als nicht alle Juden, die bedrohliche Gegenden verlassen, nach
Palästina auswandern. Ein Teil versucht, sich in der westlichen Welt
anzusiedeln.
Auf der einen Seite
können wir durchaus registrieren, daß tatsächlich einiges in Richtung
"Sammlung der Juden in Palästina" geschah: Die Staatsgründung
Israels, die einen starken Aufschwung der Besiedlung durch Juden brachte, und
die vielen russischen Juden, die in den letzten Jahren ihre Heimat verließen.
Auf der anderen Seite dürfen wir doch das relativ langsame Tempo des
Gesamtvorganges nicht übersehen, bezogen auf das Endziel der Sammlung aller
Juden in Palästina.
Es müßte also ein ganz
einschneidendes Wunder geschehen, so daß alle Juden zurückkehren wollen - zu
diesem Wunder gibt es noch keine Ansätze zu sehen. Richtig sagt Koch:
"Jetzt ist eine solche totale Sammlung unmöglich. Die jüdischen
Multimillionäre in Südamerika und Nordamerika denken nicht daran, jetzt schon
nach Israel zurückzukehren." (S.85; Koch erwartet dieses Ereignis erst für
das 1000jährige Reich). Außerdem dürfen wir die beschränkte Aufnahmekapazität
Israels nicht übersehen. Diese ist beschränkt, obwohl die israelische Regierung
sehr daran interessiert ist, ausländische Juden aufzunehmen, denn die arabische
Bevölkerung in Israel ist wesentlich kinderreicher als die jüdische, so daß
eine Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse befürchtet wird. 1991 kamen 140.000
russische Juden nach Israel, und damit ist die jüdische Integrationsfähigkeit
wohl schon überfordert. Wenn wir einmal die runde Zahl 100.000 annehmen als
das, was pro Jahr integriert werden kann, so würde es 25 Jahre dauern, bis 2,5
Millionen russischer Juden aufgenommen werden können, und 100 (!) Jahre, bis
10 Millionen im Ausland lebender Juden in Israel aufgenommen werden können
(ganz abgesehen davon, daß es bei 15 Millionen Einwohnern in Israel auch
Wohnraum- und Ernährungsprobleme gäbe). Wer also eine Demnächsterwartung (Jesus
kommt in einigen Jahren) vertritt, muß sich überlegen, ob und wie er davor noch
mit einer umfassenden Sammlung der Juden in Israel rechnen kann. Eberhard Mühlan, der sich hinter Lightles Vision
eines Massenexodus russischer Juden stellte, sagt: "Wir leben tatsächlich
in den letzten Tagen! Gott will sein Volk der Juden heimführen, und die
Wiederkunft Jesu steht nahe bevor." (Lightle 111) Dazu muß man feststellen:
Entweder oder.
c) Rückkehr empfehlenswert?
In Kap.E,6 werden wir uns mit einer Vision von Steven Lightle
befassen. Er und andere bereisten die UdSSR und sprachen dort mit Juden über
die Rückkehr, wobei sie ihnen diese unter Hinweis auf alttestamentliche
Aussagen empfahlen. Sollten wir das wirklich tun? Können wir ehrlichen Herzens
den Juden sagen, daß sie nach Israel kommen sollen, weil sie dort sicher sind?
Völlig sicher sind die Juden dort derzeit nicht, einzelne Morde zwischen Juden
und Arabern gibt es immer wieder. Und können wir einen größeren Krieg noch vor
Harmagedon ausschließen? Die angebliche Sicherheit, daß nur noch die
unmittelbar letzten Ereignisse vor uns liegen, hat sich schon oft als Irrtum
erwiesen. Was ist, wenn wir den Juden Israel als sicheren Ort empfehlen, und
dann kommt es vielleicht gerade deswegen, weil sich Palästinenser wegen der
massenhaften Zuwanderung russischer Juden in ihrer Existenz bedroht sehen, zu
einem größeren Krieg? Wenn wirklich alle in Amerika und Europa lebenden Juden
nach Israel ziehen wollen, so reicht der in Israel zur Verfügung stehende Raum
(zum Wohnen und Ernährtwerden) nicht mehr aus. Israel müßte also seine Grenzen
ausdehnen und in der Nachbarschaft lebende Araber vertreiben, und das wird kaum
auf friedliche Weise zu bewerkstelligen sein.
Aber selbst wenn wir
annehmen, daß auf die Menschen in Israel nur noch Harmagedon wartet, ist das
Schicksal der dortigen Juden nicht unbedingt beneidenswert. Denken wir etwa an
Sacharja 14,2: "Jerusalem wird erobert, die Häuser werden geplündert, die
Frauen geschändet. Die Hälfte der Stadt zieht in die Verbannung; aber der Rest
des Volkes wird nicht aus der Stadt vertrieben." Diese Aussage wird von den
Endzeitautoren durchwegs auf Harmagedon bezogen: Lindsey 198, Gerth 62, Zopfi
53, Goetz 220, May 235.239, Pache 220.261f, Wolff 67 (Malgo: Israel 151 bezieht
zwar diesen Text insgesamt auch darauf, scheint aber die für Israel unangenehmen
Versteile - 2bc.5a - als schon in der Vergangenheit erfüllte und somit
erledigte Aussagen anzusehen).
Manche beziehen auch
Sacharja 13,8 darauf, etwa May (S.239): "Zwei Drittel aller Israelis
werden ums Leben kommen. Das sind bei der heutigen jüdischen Bevölkerung von
ca. 3,5 Millionen 2 Millionen Israelis. Denn nur ein Drittel wird das Inferno
überleben". (Ähnlich Lindsey 200, Koch 83, Pache 261f, Fünning 42f.) Somit
wäre die Überlebenswahrscheinlichkeit in Israel geringer als in der übrigen
Welt: "Ein Drittel der gesamten Weltbevölkerung wird in dem
apokalyptischen Inferno ums Leben kommen (Offenbarung 9,15.18)." (May 240)
Wenn es dazu kommt, wird
es dann so wirken, als hätten jene Christen, die russische Juden zur
Auswanderung nach Israel ermutigten, diese in eine Falle gelockt!
Die Frage nach dem Sinn
der Sammlung aller Juden in Israel muß auch gestellt werden. Dadurch würde
sicherlich der Nahostkonflikt zusätzlich verschärft. Doch abgesehen davon. Wenn
Gott die Israeliten aus Ägypten holte, dann aus der Sklaverei. Wenn aus
Babylon, dann aus einem Zustand der Gefangenschaft und Unterdrückung. Wenn
heute Juden in Amerika wohlhabend und sicher leben, dann ist das ein wesentlich
anderer Zustand. Hier kann man nicht sagen, daß sie "befreit" werden,
indem Gott sie nach Israel führt. Aus welchem Grund sollte also Gott darauf
fixiert sein, daß alle Juden in Israel leben? Ist Gott nur in Jerusalem
zuhause, oder nicht auf der ganzen Welt? Wenn Gott aber auf der ganzen Welt zu
finden ist, so können ihn Juden auch außerhalb Israels finden. Wie die Erfahrung
zeigt, finden sie ihn außerhalb sogar wesentlich öfter als innerhalb! Weltweit
schätzt man, daß von den 15 Millionen Juden etwa 70.000 an Jesus glauben - das
sind ein knappes halbes Prozent. Von den in Israel lebenden 4 Millionen glauben
nur 2.500 an Jesus - das sind etwas mehr als ein halbes Promille. Der Anteil
gläubiger Juden ist außerhalb Israels also fast 10mal so groß!
Die gegenwärtige
Situation ist somit wesentlich anders als noch zu alttestamentlichen Zeiten, wo
die Gefahr bestand, daß Juden z.B. in Babylon sich kulturell und religiös
assimilierten, so daß sie an die Stelle des alttestamentlichen Gottesdienstes
einen Götzendienst setzten. Damals schien es sinnvoll, sie zur Rückkehr nach
Israel und zum Wiederaufbau des Tempels zu ermutigen.
8. Die "Zeichen der Zeit"
a) Was keine Vorzeichen für Jesu Kommen sind
Unter den in Jesu Zukunftsrede genannten Zeichen sind mehrere
Arten zu unterscheiden. Die erste, im vorigen Abschnitt besprochene Art von
Vorzeichen waren solche für die Zerstörung Jerusalems. Sie galten den
damaligen Judenchristen und sollten ihnen einen Hinweis geben, wann sie
spätestens fliehen müssen.
Daneben gibt Jesus aber
dann noch weitere Ereignisse an: Kriege, Hungersnöte, Erdbeben ... Diese sind aber eigentlich keine Zeichen.
Jesus nennt diese lediglich als Gegenbeispiele, um deutlich zu machen:
"Das muß zuvor geschehen, aber das Ende kommt noch nicht sofort" (Lk
21,9) und "Das alles aber ist der Anfang der Wehen." (Mt 24,8). Jesus
gibt diesen Hinweis also nicht, um zu sagen: 'Paßt auf, jetzt gleich kommt es',
sondern um zu sagen: 'Denkt nicht, damit wäre schon das Ende da'.
Somit können wir mit
Grossmann feststellen, daß etwa Kriege "nur Zeichen der Zeit, aber keine
Zeichen des Endes sind" (S.29). "Denn Jesus sagte nicht: 'Das sind
typische Zeichen für das Ende'; sondern: 'Kriege und Kriegsgerüchte sind ganz
normal!' Es wird sie geben, solange es Menschen gibt: 'Das muß geschehen.' Sie
gehören zur Realität des Äons, des Zeitalters, in dem wir leben." (ebd.)
Eine solche Haltung wie
jene Großmanns stößt mitunter auf Kritik: "Nicht selten behauptet daher
der Unglaube, daß solche Zeichen einfach zum Gleichschritt des Weltgeschehens
gehören und daher keine überzeugenden Zeichen dafür sein könnten, daß das Ende
der Geschichte im biblischen Sinn bevorstehe." So Fritz Hubmer im Jahr
1958 (S.199). Doch gerade ein Blick auf Hubmers Deutung zeigt, wie die
"Zeichen der Zeit" täuschen können. Denn er meinte sie in seiner
eigenen Gegenwart so massiv beobachten zu können, daß mit dem bevorstehenden
Ende zu rechnen sei.
In Gesprächen mit Zeugen
Jehovas habe ich oft erlebt, daß diese - abgesehen von der biblischen
Argumentation - noch eine ganz andere Argumentation verwenden: Die gegenwärtige
Weltsituation, vor allem in ökologischer Hinsicht, erzwingt das baldige Ende.
Nun wäre es zwar möglich, daß Gott die Zerstörung der Erde durch den Menschen
selbst zuläßt und in seinem Plan mitverwendet. Das wäre möglich, zwingen läßt
sich Gott jedoch nicht, und da gilt: "Die neutestamentlichen Texte gehen
alle davon aus, daß die Parusie des Menschensohnes aus einer souveränen
Entscheidung Gottes hervorgeht und nicht irgendeiner Reaktion auf menschliche
Untaten entspringt." (Großmann 33) Wir sollten also nicht vorschnell etwa
die ökologische Situation der Erde als Anhaltspunkt nehmen, um uns darauf
festzulegen, daß die Wiederkunft Jesu nun in den nächsten Jahren erfolgen
müsse.
b) Was heißt "wachen"?
Es bleibt also dabei: Unsere Aufgabe ist es, bereit zu sein. Oder,
wie es auch heißt: Wir sollen wachen. Damit ist das Wachsein im Unterschied zum
Schlafen gemeint, nicht jedoch das Wachsamsein in dem Sinne, daß wir nach
Zeichen Ausschau halten sollen. Das wird in den Endzeitgleichnissen deutlich.
Weil der Hausherr nicht weiß, in welcher Stunde der Dieb kommt, soll er wachen
(Mt 24,43; vgl. auch 1.Thess 5,4-8). Es heißt nicht, daß er die Stunde
herausfinden soll, indem er auf bestimmte Vorzeichen achtet. Und es bedeutet
auch nicht, beim Beobachten des weltpolitischen Geschehens immer wieder neue
Denkmodelle zu entwerfen, woher dereinst der Antichrist kommen könnte.Diese
Überlegungen können dann zu werden. Bruno Neumann
scheint das Wachen im Sinne von "eschatologischen Sandkastenspielen"
(Zopfi 18) mißzuverstehen, und zwar in seinem Buch über den Antichristen. Zur
Schlußfrage "Woher kommt der Antichrist?" liefert er drei Modelle
(S.131-136). Modell 1 geht von den 7 kommunistischen Staaten des Ostblocks aus,
die durch 3 weitere gegenwärtig oder zukünftig kommunistische - vielleicht
Jugoslawien, Italien, Frankreich - ergänzt werden könnten, wodurch ein
Zehn-Staaten-Bund entstünde. Modell 2: "Es ist deshalb möglich, daß im
europäischen Raum der Kommunismus stark wird und daß sich gegen diese Macht der
Antichrist stemmt, emporkommt und als Feind des Kommunismus von den Massen
angenommen, emporgetragen und als Retter vergöttert wird." Modell 3 kommt
durch die Vereinigung der 9 EG-Staaten mit den USA zu "zehn
Hörnern". Heute, 15 Jahre später, können wir sicher sagen, daß sich keines
dieser 3 Modelle in der hier präsentierten Form verwirklichen wird. Neumann
leitet von seiner Darlegung der 1.Version mit folgenden Worten zur 2. über:
"Das wäre eine Version. Wir müssen aber noch eine andere ernsthaft ins
Auge fassen." Müssen wir das wirklich? Was bringt es uns, wenn wir
verschiedene Modelle "ernsthaft ins Auge fassen", die sich einige
Zeit später als unrealistisch erwiesen haben? Nun versteift Neumann sich nicht
dogmatisch auf diese 3 Möglichkeiten, sondern er sagt: "Natürlich sind
außer diesen Möglichkeiten noch andere Entwicklungen möglich. Gott kann über
Nacht oder auch langsam das politische Gesicht in der Welt verändern." Das
stimmt. Wenn es aber ohnedies sehr unsicher ist, wie es sich einmal entwickeln
wird, wozu dann die Beschäftigung mit solchen Modellen? "Diese drei
Modelle wurden nicht aufgezeigt, um zu verwirren, sondern um mögliche Konturen
zu zeigen, damit wir anhaltend wachen!" Nach Neumann bedeutet also
"wachen" das Beobachten der weltpolitischen Entwicklung verbunden mit
dem Entwerfen verschiedenster Zukunftsmodelle, die - sobald sich die
bisherigen Modelle überlebt haben - durch neue ersetzt werden müssen. Ist das
wirklich unsere Aufgabe?
Ja, man muß sogar noch
einen Schritt weitergehen. Es geht nicht darum, wach zu sein im Sinne von
ständiger Aktivität, sondern darum, sich sinnvoll vorzubereiten auf die Zukunft
- bei der wir nicht wissen, ob sie uns demnächst die Wiederkunft Jesu bringt
oder ein noch längeres Warten darauf. Auf die Notwendigkeit der Vorbereitung
auf ein etwaiges noch längeres Warten werden wir durch das Gleichnis von den
Brautjungfern hingewiesen. Die klugen sind vorbereitet darauf - auch wenn sie
einschlafen (Mt 25,1-13).
In seiner Dissertation
über Mark 13 in its Markan interpretative context (Aberdeen 1986) sagt Timothy
J. Geddert: "Mark intends
the command 'gregoreite' to be understood as a call to faithful discipleship,
not a call to be looking for signs of an imminent parousia." (S.525)
Eine dritte Art von Zeichen betrachten wir im nächsten Abschnitt:
Der letzte Abschnitt der Endzeit wird sehr rasch ablaufen. Wenn also die
dramatischen Schlußereignisse beginnen, dann wissen wir, daß es nun bis zur
Wiederkunft Jesu nicht mehr lange dauern kann.
9. Wer kommt als Nächstes: Jesus oder der Antichrist?
Im Neuen Testament werden die Christen darauf vorbereitet, daß
Jesu Wiederkunft plötzlich und überraschend kommen wird. Jederzeit sollen sie
dafür bereit sein, denn jederzeit kann dieser Augenblick eintreten.
Das ist die eine Seite.
Auf der anderen Seite lesen wir aber davon, daß Jesus nicht kommen wird,
solange der Antichrist noch nicht aufgetreten ist (2.Thess 2,1-12). Und die
Offenbarung weist in die gleiche Richtung. Könnte Jesus derzeit also noch gar
nicht kommen, da ja der Antichrist noch nicht aufgetreten ist?
Es gibt mehrere Wege, diese Schwierigkeit aufzulösen:
1. Zweifache Wiederkunft Jesu
Die Dispensationalisten
rechnen mit einer zweimaligen zukünftigen Wiederkunft Jesu. Zuerst wird er für
die Welt unsichtbar kommen und die Christen entrücken; daraufhin sind das
Auftreten des Antichristen und die große Trübsal zu erwarten; schließlich kommt
Jesus nochmals, diesmal für die Welt sichtbar und als Richter. Die erste,
unsichtbare Wiederkunft Jesu mit der Entrückung der Christen könnte somit
derzeit bereits eintreten.
2. Antichrist als Typus, nicht als einzelner Mensch
Eine weitere Möglichkeit
besteht darin, als Antichristen nicht einen einzelnen Menschen zu erwarten,
sondern in ihm einen Geist, eine Haltung zu sehen, die sich in verschiedenen
Menschen besonders stark manifestiert hat (Nero, Hitler, Stalin ...). So müßte
man dann jederzeit auf das Kommen Jesu gefaßt sein, denn in gewisser Weise war
der "Antichrist" bereits wirksam (hier wäre auf 1.Joh 4,3 zu
verweisen, eventuell auch auf 1.Joh 2,18 und 2.Joh 7), und ob die Zukunft noch
stärkere Ausprägungen von ihm bringen wird, bleibt hier offen. (Natürlich
gestehen auch die anderen beiden Alternativen zu, daß es bereits in der
Vergangenheit wiederholt Antichristliches und Antichristusse gegeben hatte,
aber sie rechnen darüber hinaus noch mit einer besonderen endgeschichtlichen
Ausgestaltung dieses Typs.)
3. Wiederkunft Jesu als Höhepunkt der endzeitlichen Ereigniskette
Eine dritte Möglichkeit
besteht in folgendem. Der Antichrist ist ein in der Zukunft auftretender
einzelner Mensch. Seine Wirksamkeit wird nach neutestamentlichen Aussagen nur
kurz sein. Schon bald nach seinem Auftreten wird Jesus wiederkommen und ihn
besiegen. Das erste endzeitliche Ereignis wird demnach nicht Jesu Wiederkunft
sein, sondern das Auftreten des Antichristen. Wann diese endzeitliche
Ereigniskette ins Laufen kommt, wissen wir nicht. Das könnte jederzeit der Fall
sein. Wir müssen also auch jederzeit darauf gefaßt sein. Und wir müssen die
Zeit nützen zur Vorbereitung: Wenn nämlich ein Christ auf diese endzeitliche
Ereigniskette nicht vorbereitet ist, steht er in der Gefahr, sich entweder
durch die dann auftretende Verführung oder durch den dann angewandten Druck
mitreißen zu lassen und dabei Gott untreu zu werden. Daher wird zu Recht
betont, daß wir vorbereitet und gefaßt sein müssen auf den Beginn dieser
endzeitlichen Ereigniskette, deren Höhepunkt die Wiederkunft Jesu ist. Diese
wird nicht nur der Höhepunkt sein, sondern auch relativ rasch nach dem Beginn
dieser Ereigniskette erfolgen. So ist es durchaus möglich, in verkürzter Form
davon zu sprechen, daß es jederzeit zur Wiederkunft Jesu kommen kann. Dabei
wird eben die gesamte, relativ rasch ablaufende Ereigniskette durch ihr
wichtigstes Ereignis bezeichnet, die Wiederkunft Jesu. Bei genauerer
Betrachtung ist natürlich festzuhalten, daß jetzt sofort die Wiederkunft Jesu
nicht zu erwarten ist, weil davor noch das Auftreten des Antichristen liegt.
Im Hinblick auf die
rasche Abfolge der einzelnen Ereignisse dieser Kette ist es auch durchaus
sinnvoll zu sagen: "Wenn aber das anfangt zu geschehen, dann richtet euch
auf und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe." (Lk 21,28) Hier
hätten wir dann eine dritte Art von Vorzeichen: Wenn die dramatische Verfolgung
durch den Antichristen beginnt, dann soll diese den Christen als Vorzeichen für
die nahe Wiederkunft Jesu dienen - und soll ihnen zurufen: 'Haltet durch, es
dauert nicht lange, gleich kommt Jesus!'
Diese Position vertritt
z.B. Arnold Köster (vgl. das Zitat am Ende von Kap.D,3). Oder Ole Hallesby nach
Verweis auf mehrere noch ausstehende Vorzeichen, nämlich Abfall,
Gesetzlosigkeit, große Drangsal, Antichrist, kosmische Katastrophen: "Da
Paulus aber sagt, daß dies zuerst geschen muß, können wir die Wiederkunft
Christi nicht jeden beliebigen Tag erwarten. Aber auf der anderen Seite sollen
wir darauf vorbereitet sein, daß, wenn die Fülle der Zeit für diese Ereignisse
gekommen ist, diese sehr schnell ihren Lauf nehmen. ... die nahe Wiederkunft des
Herrn zu erwarten, selbst wenn wir aufgrund der unerfüllten Vorzeichen ihn
weder heute noch morgen erwarten können." (S.66) Oder William J. Grier:
"Das antichristliche Wesen war bereits zur Zeit der Apostel wirksam
(2.Thess 2,7; 1.Joh 2,18). Seine stärkste Macht wird es unmittelbar vor der
Wiederkunft Christi erlangen. Dann geschieht der große Abfall, und die
antichristliche Macht wird aller Wahrscheinlichkeit nach in einer einzigen
Person vereinigt sein, der Verkörperung aller Gottlosigkeit (2.Thess 2)."
(S.93)
Eine solche Position ist
subitistisch im Hinblick auf den Zeitpunkt der letzten Ereigniskette, aber
signalistisch im Hinblick auf den Zeitpunkt der Wiederkunft Jesu. Überhaupt
gilt, daß die beiden extremen Positionen von Subitismus und Signalismus kaum in
ganz reiner Form auftreten, sondern eher in Zwischenformen. Auch der Signalist
will den genauen Zeitpunkt für Jesu Kommen nicht festlegen, hat also auch ein
subitistisches Element.
(Einen wertvollen Überblick zum Thema Antichrist liefert Fritz
Grünzweig im gleichnamigen Artikel im Grossen Bibellexikon, Bd.I, 1987, S.64f.)
Teil E:
Untersuchung der verbreitetsten evangelikalen Endzeitautoren
Im Teil C ging es um die Frage: "Haben wir aus den Fehlern
gelernt?" Diese Frage muß leider überwiegend negativ beantwortet werden.
Eine der Ursache dafür kam in Kap.C,3 zur Sprache: "Niemand überprüft den
Vorhersage-Erfolg". Ältere Flugblätter und Zeitschriften werden
weggeworfen und können daher gar nicht mehr überprüft werden; ältere Bücher
werden durch neuere, "aktualisierte" ersetzt, denen sich nun das
Interesse zuwendet. Und wenn sich jemand an die älteren Bücher zurückerinnert -
wie schätzt er deren Erfolg ein?
'Kein Mensch ist
unfehlbar und allwissend, aber manches haben diese Bücher doch schon richtig
erkannt, jedenfalls hatten sie das Verdienst, auf die biblische
Endzeitprophetie aufmerksam gemacht zu haben.'
So ungefähr lautet die
Antwort. Die Beurteilung der älteren Bücher aus der Erinnerung heraus erfolgt
soweit nicht überhaupt positiv so doch eher nachsichtig. Um zu einem objektiven
Urteil zu gelangen, möchten wir im folgenden die im evangelikalen Bereich
verbreiteten Bücher untersuchen. Die Frage dabei ist: Welche Erwartungen haben
diese Bücher beim Leser geweckt, und gingen diese Erwartungen in Erfüllung?
Eine solche Untersuchung
wird schon alleine dadurch provoziert, daß Endzeitautoren auffordern, ihre
Vorhersagen zu überprüfen, indem wir diese mit den eintretenden Ereignissen
vergleichen (etwa Wilkerson). Dann auch dadurch, daß gelegentlich auch von
anderen behauptet wird, daß deren Vorhersagen zutreffend gewesen seien (etwa
Zopfi und Ewert über Wilkerson oder Gerth über Lindsey). Wenn ich nach einer
gründlichen Untersuchung zu dem Ergebnis komme, daß diese Behauptung falsch
ist, sollte ich dann nicht die entsprechende Gegenbehauptung aufstellen? Die
Leser können sich dann ihr eigenes Urteil bilden. Schließlich handelt es sich
um hunderttausendfach verbreitete Bücher, d.h. die Zahl der Leser, die sich
dazu ein eigenes Urteil bilden wollen oder zumindest sollten, ist groß.
Keineswegs möchte ich
behaupten, daß ich erfolgreicher gewesen wäre, wenn ich mitgeraten hätte. Meine
Tendenz geht vielmehr dahin, das Raten überhaupt einzustellen, oder zumindest
vorsichtiger zu handhaben.
Angenommen, ein
Endzeitautor sagt - aufgrund von Hesekiel 38f - im Jahr 1970 vorher, daß die
Sowjetunion in den nächsten Jahren einen militärischen Angriff auf Israel
unternehmen wird. Die Kern-Auslegung, daß für die Zukunft ein Angriff einer
"Macht des Nordens" auf Israel zu erwarten ist, lasse ich so stehen.
Damit setze ich mich hier nicht auseinander. Worauf ich in einem solchen Fall
hinweise, ist folgendes:
Erstens, daß der
angegebene zeitliche Rahmen - "in den nächsten Jahren" mittlerweile
überschritten wurde, daß der Endzeitautor sich also zeitlich einigermaßen
festgelegt und sich dabei geirrt hat.
Zweitens, daß die
Festlegung darauf, daß die augenblickliche politische Konstellation sich vor
den allerletzten Endzeitereignissen nicht mehr ändern darf, willkürlich ist,
und in der Vergangenheit schon oft zu Fehlerwartungen geführt hat. So daß es
auch riskant ist, sich darauf festzulegen, daß diese "Macht des
Nordens" unbedingt die Sowjetunion sein muß.
Auf diesen meinen
Kritikpunkten liegt dann auch mein Hauptaugenmerk. Ich prüfe also sehr genau,
inwiefern ein Autor sich zeitlich festgelegt hat. Hat er das nicht getan, also
lediglich seine Auslegung biblischer Zukunftsaussagen dargelegt, ohne
Ereignisse für die unmittelbare Zukunft anzukündigen, ist er von vornherein
anders einzuordnen.
Wie ein Autor sich die
Endzeitereignisse im einzelnen vorstellt, etwa ob er Jesu Kommen vor oder nach
dem 1000jährigen Reich erwartet, behandle ich nicht näher. Wenn ein Autor
nachweislich falsche Vorhersagen gemacht hat, dann weist dieser Mißerfolg nicht
unbedingt darauf hin, daß seine Kern-Bibelauslegung - seine Erwartung dessen,
was einmal geschehen wird - falsch sein muß, sondern oft liegt der Fehler
einfach in seiner Demnächsterwartung.
Überhaupt darf meine
Kritik der Endzeit-Aussagen eines Autors nicht so verstanden werden, als ob ich
meinen würde, daß das gesamte Lebenswerk dieses Autors verfehlt wäre. Kritik
ist so zu nehmen, wie sie dasteht - das, was ich sage, meine ich, und nicht
mehr. Es geht also nicht um eine Gesamtbeurteilung der betreffenden Autoren,
weder hinsichtlich ihres Christseins, noch hinsichtlich ihrer Qualifikation
als Buchautor, noch hinsichtlich ihres Bibelumgangs; es geht lediglich um ihren
Vorhersageerfolg.
Noch ein Wort zu meiner
Einschätzung der Endzeit-Autoren. Mmanchmal wurden sie scharf kritisiert
("... in einer Zeit, in der manches Fantasie-Werk über die Endgeschichte
üppig gedeiht, ..." - Grier 4). Nun, nach meinem Eindruck handelt es sich
dabei um intelligente, vielseitig interessierte Menschen. Sie beschäftigen sich
intensiv mit der Bibel, sie versuchen die Zeiterscheinungen zu verfolgen und
stellen daraufhin Kombinationen an. Wenn sich diese Kombinationen im nachhinein
als falsch herausstellen, so will ich mich keineswegs über diese Autoren lustig
machen. Ich schätze deren Bibelverbundenheit und deren Interesse am gegenwärtigen
Zeitgeschehen. Ihre Ergebnisse sollten dennoch überprüft und nüchtern beurteilt
werden. Wenn es sich dabei erweist, daß die meisten Vermutungen danebengingen,
dann sollte das Konsequenzen haben und zu einer grundsätzlichen Umorientierung
führen, nicht bloß zu neuen, anderen (besseren?) Vermutungen.
Bevor wir uns sieben Buchautoren zuwenden, ist es wichtig zu
sehen, daß es daneben auch eine Flugblatt-Szene gibt: Flugblätter, geschrieben
von weniger bekannten Autoren, im einzelnen in kleineren Kreisen verbreitet,
in der Summe aber doch auch gewichtig. Solche Flugblätter werden im allgemeinen
nicht lange aufbewahrt, es kommt daher auch kaum zu einer Überprüfung. Als ein
Beispiel für solche Flugblätter betrachte ich ein 1976 erschienenes.
1. Die Flugblatt-Szene
Datiert mit Februar 1976 brachte das Deutsch-Kanadische Missionswerk
"Die Bibel für die Welt" ein Flugblatt mit der Überschrift
"Diese Generation - eine Endzeitbotschaft für Dich!" heraus.
a) ‚In jeder 7-Jahres-Periode ein Israel-Krieg’
Darin wird von folgender Grundüberlegung ausgegangen: Wenn man von
1948 (Staatsgründung Israels) an in 7-Jahr-Perioden weiterrechnet, findet man
in jeder Periode einen Israel-Krieg:
1. sofort nach der Staatsgründung (Periode von 1948-1955)
2. im Okt. 1956 (Periode endet 1962)
3. im Juni 1967 (P. endet 1969)
4. im Okt. 1973 (P. endet 1976)
Für die bis zum Erscheinen des Flugblattes vergangenen Perioden
paßt es recht gut! Das ist überhaupt ein Kennzeichen dieser Endzeitliteratur:
Alles Vergangene scheint sehr harmonisch ins Konzept zu passen, so daß der
Leser beinahe gezwungen wird zu dem Eindruck, auch die Zukunft müsse sich dem
fügen. Nur fügt sie sich meistens nicht. Im vorliegenden Fall hat uns bereits
die 5.Periode im Stich gelassen und keinen Israel-Krieg gebracht.
Zur 6.Periode lieferte
der Verfasser noch ein besonderes Detail: "Ich glaube, der Krieg in dieser
Periode wird der Einfall Gogs, des obersten Fürsten von Mesech und Thubal 'von
den nördlichen Teilen' in Israel sein (Hesekiel 39:1-16). Israel wird 7 Jahre
lang die Waffen verbrennen ..."
(Für die Beurteilung der
Vorhersage der bis 1997 währenden 7.Periode ist es noch zu früh.)
Das Schema hätte also dem
Schema 7x7 entsprochen, und, wie uns das Flugblatt aufklärt: "Sieben ist
eine der bekanntesten Zahlen bei Gott." (Hier ist wohl nicht gemeint, daß
bei Gott nur manche Zahlen bekannt sind, sondern daß Gottes Wirken oft mit der
Zahl sieben verbunden ist.)
b) 'Gottes Pläne sind genau' - aber oft anders als unsere
Waren die im Flugblatt präsentierten Vorhersagen lediglich als
Möglichkeit gedacht? Der Eindruck, der dem Leser unterschwellig vermittelt
wird, geht eher dahin, sie als etwas Sicheres zu nehmen: Wir lesen von
"Gott, der nach sehr genauem Zeitplan handelt", wir erfahren weiters,
"Gott setzt die Zeiten fest". Wir werden gefragt: "Bringt Gott
sieben Mal den Krieg über Israel wie Er sagte, daß Er es tun würde?" Die
Formulierung dieser Frage läßt dem Leser, zumal wenn er Christ ist, nicht mehr
viele Antwortmöglichkeiten. Welcher Christ wird wagen, hier zu antworten:
'Nein, Gott wird nicht das tun, was er gesagt hat, daß er tun wird'? Es bleibt
also nur noch wenig Raum für mögliche Zweifel, und auch der letzte vielleicht
noch verbleibende Raum wird beseitigt: "Ich glaube der Herr hat mir
offenbart, an welchem Zeitplan Er ist für seine Feigenbaum-Nation."
Es dürfte sich um eine
Übersetzung aus dem Englischen handeln (Originalautor: Watson Goodman). Der Schriftleiter war Alfred Lenkelt, als Herausgeber ist das
Deutsch-Kanadische Missionswerk (W-7247 Sulz/Neckar, Mühlheim) angegeben.
Der Leser sollte also, wenn wir im folgenden bekannte Autoren
behandeln, mitbedenken, daß es nicht nur diese gibt, sondern daneben auch eine
Fülle weiterer, z.T. sehr dünner Schriften, wie das besprochene Flugblatt. Auch
in solchen Schriften drückt sich etwas von der unter Christen verbreiteten
Erwartung aus, und auch diese Schriften haben - in der Summe gesehen - Einfluß.
Die nun folgende Überprüfung des Vorhersage-Erfolges der Bücher
mehrerer evangelikaler Autoren wird manchen Leser kleinlich erscheinen: 'Jeder
macht einmal Fehler; welchen Sinn hat es, diese Fehler nun so minutiös
aufzuzeigen?' Hier muß ich daran erinnern, daß es sich hierbei nicht um Bücher
handelt, deren Versagen von Autoren und Verlagen mittlerweile erkannt und
zugegeben wurde. Im Gegenteil: Lindseys Alter Planet Erde, Gerths Der
Antichrist kommt und Wilkersons Vision wurden noch im Jahr 1991 nachgedruckt.
Der Absatz geht also weiter, und die Verlage zeigen keinerlei Anstalten, diese
Bücher aus dem Verkehr zu ziehen. Hier liegt entweder ein verantwortungsloses
Verhalten seitens der Verlage vor, oder meine Beurteilung ist falsch. Der Leser
soll sich dazu selbst ein Urteil bilden.
2. Der meistgelesene Endzeitspezialist:
Hal Lindsey
"Die Entwicklungen der letzten 15 Jahre hätten die Irrtümer
von Lindseys Vorhersagen gar nicht deutlicher aufzeigen können. In den meisten
Fällen geschah gerade das Gegenteil von dem, was Lindsey vorhergesagt
hatte."
(Bacchiocchi 46f)
"Zehn Jahre sind seit Erscheinen des Buches 'Alter Planet
Erde, wohin?' vergangen. Damals war es für viele ein verwerfliches Buch. Heute
sieht die Sache ganz anders aus."
(Gerth 9f)
Lindseys Buch ist das verbreitetste evangelikale Endzeit-Buch. Der
letzte deutsche Nachdruck gibt an: "Weltauflage über 20 Millionen".
1970 erschien es in amerikanischer Sprache, mit Nennung eines Mitautors: Hal
LINDSEY/Carole C. CARLSON: Alter Planet Erde wohin? Im Vorfeld des Dritten
Weltkriegs (1971). Zumeist wird das Buch aber einfach Lindsey, ohne Erwähnung
des Mitautors, zugeschrieben. Im Buch selbst liest man oft "der
Verfasser" in der Einzahl, und schon auf der ersten Textseite heißt es:
"... halte ich ... Vorträge ..." Insofern ist nicht ganz klar, was es
mit dem Koautor auf sich hat. (Ich zitiere nach der 9.Aufl. von 1973; der Text
dürfte die ganze Zeit über unverändert geblieben sein. Ein Hinweis für Benutzer
einer neueren Auflage, die meine Zitate nachschlagen wollen: in der neuesten
Auflage ist der Text zwei oder eine Seite nach vor gerückt.)
In deutscher Sprache ist
auch noch Die Feuerflut. Geburtswehen einer neuen Welt erhältich (am. Orig.
1973, letzte deutsche Auflage 1991).
a) Präsentiert er seine Aussagen als sicher?
Lindsey bringt keine bloßen Vermutungen, sondern Sicheres. So
heißt es auf der zweiten Umschlagseite: "Wir sind heute erstmals in der
Lage, uns ein zuverlässiges Gesamtbild der Zukunft zu machen." Wenn es
auch nicht ausdrücklich dazugesagt wurde, so ist doch klar, daß das in diesem
Buch Präsentierte dieses zuverlässige Gesamtbild der Zukunft vermitteln soll.
Und weiter: "Dieses Buch ist ein Alarm- und Weckruf. Jeder sollte es
lesen, damit er sich nicht wundert, wenn eintrifft, was die Bibel über die
'gelbe Gefahr', die 'Weltkirche', den 'kommenden Führer' oder den 'Dritten
Weltkrieg' aussagt." Und das, was die Bibel darüber aussagt, ist doch wohl
identisch mit dem, was Lindseys Buch darüber aussagt, denn das ist ja auch der
Grund, warum es jeder lesen sollte.
Das Buch erhebt also
einige Ansprüche. Das ist mitzubedenken, wenn Lindsey einschränkt: "Aber
glauben Sie bitte nicht, ich hielte mich für unfehlbar in dem Sinne, wie es die
biblischen Propheten unter der Inspiration des Heiligen Geistes waren."
(S.215) Doch trotz seines Fehlbarkeitseingeständnisses präsentiert Lindsey
viele seiner Aussagen als sicher.
Und hier sind wir auch
schon bei der Frage meines Buches. Wenn es damals hieß, daß jeder es lesen
sollte - war das Buch dann eine Hilfe für die damaligen Leser, um sich auf die
Ereignisse der nächsten Jahre besser einstellen zu können?
b) Wann? ‚Heute’ bzw. ‚morgen’
Der Klappentext läßt keinen Zweifel daran, daß das darin Beschriebene
für die heutige Zeit - also jene von 1970 - wichtig ist: "Dieses Buch ...
ist für alle geschrieben, die sich in unserer Zeit zurechtfinden wollen."
Mit diesem Buch findet man sich also in der Zeit von 1970 zurecht. "Die
heute lebende Generation ist die erste, der es gegeben ist, bislang versiegelte
prophetische Aussagen der Bibel über die Zukunft vor dem Hintergrund der
Zeitereignisse zu entschlüsseln." Die Zeitereignisse von 1970 sind also
jene, die mit den biblischen Endzeitaussagen in Verbindung zu bringen sind. Wo
der Antichrist herkommt, wer in Harmagedon mitkämpfen wird und vieles andere
mehr: Das war für die Zeit davor noch nicht zu erkennen, um 1970 war es bereits
erkennbar. Lindsey: "Ich glaube persönlich nicht, daß es in unserer Zeit
Propheten gibt, die direkte Offenbarungen von Gott erhalten. Aber wir haben
mitten unter uns Männer, denen besondere Einsicht in das prophetische Wort der
Bibel geschenkt wird." (S.105) Und zu diesen Männern wird Lindsey doch
wohl auch sich selbst gerechnet haben?
Das zusammenfassende
Schlußkapitel heißt: "Was morgen sein wird". Zu beachten ist das
Wörtchen morgen. Also nicht irgendwann, sondern demnächst. Was - von 1970 aus
betrachtet - morgen geschehen wird, ist nun vermutlich längst vorbei?
Den Eindruck, daß es in
unmittelbarer Zukunft kommen muß, erhält der Leser auch durch Aussagen wie:
"Die Russen werden Palästina zu Lande und zu Wasser gleichzeitig
angreifen. Der gegenwärtige Aufbau einer russischen Flotte im Mittelmeer ist
ein bedeutsames Zeichen für die mögliche Nähe Harmagedons." (S.188) Oder:
"Zur Zeit suchen die Russen im Iran durch verschiedene Hilfsangebote Fuß
zu fassen. Wenn es dereinst zu der von Hesekiel angekündigten Großinvasion
kommen wird, braucht Rußland den Iran unbedingt zum Verbündeten. ... Man
beachte einmal aufmerksam die Politik des Iran im Blick auf Rußland und die
Vereinigte Arabische Republik. Der Verfasser glaubt, daß dort bald Bedeutsames
geschehen wird." (S.77f)
c) ‚Bis etwa 1988 alles vorüber’
An mehreren Stellen macht Lindsey zeitliche Aussagen. Israels
Staatsgründung 1948 war eine Vorbedingung; die Generation, die das erlebte,
wird auch das Ende noch erleben, und die Zeitspanne für eine Generation sind 40
Jahre. Demnach sollte bis 1988 alles vorüber sein.
Hören wir Lindsey! Für
ihn war "das wichtigste Ereignis, das aller endzeitlichen Prophetie
vorausgehen muß ... die Tatsache, daß Israel als Nation wieder in seinem
Heimatland wohnen mußte, ehe weitere entzeitliche Ereignisse eintreten können.
Israel, eine Nation, ... wurde am 14.Mai 1948 Wirklichkeit ..." (S.48f)
Lindsey überlegt weiter,
wobei er "Geschlecht" m.E. richtig als "Generation" deutet:
"Als die Juden nach nahezu zweitausendjähriger Verfolgung in der Fremde
am 14.Mai 1948 offiziell ihren Staat neu gründeten, zeigte der 'Feigenbaum'
seine ersten Blätter. Jesus sagt, dies sei ein Zeichen dafür, daß er 'nahe vor
der Tür steht'. Es heißt dann weiter: 'Wahrlich, ich sage euch: Dieses
Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht.' Welches Geschlecht?
Offensichtlich ist hier in diesem Zusammenhang das Geschlecht gemeint, das die
Zeichen sieht, vor allem die nationale Wiedergeburt Israels. Eine Generation
als Zeitangabe in der Bibel bedeutet die Zeit von etwa vierzig Jahren. Wenn
dies eine richtige Deutung ist, würde sich innerhalb von etwa vierzig Jahren von
1948 ab gerechnet all dies abspielen." (S.61f)
Einerseits formuliert
Lindsey hier in der Möglichkeitsform, andererseits gibt er keine Stelle an, wo
ein Unsicherheitsfaktor liegt. Daß die Generation gemeint ist, die 1948
miterlebt hat, ist für ihn "offensichtlich". Und eine Generation
bedeutet etwa 40 Jahre - das ist zwar keine ganz exakte Angabe, aber doch eine
ungefähre. Insofern vermittelt Lindsey dem Leser doch den Eindruck, daß es so
kommen werde, daß also bis ungefähr 1988 alles vorüber ist. Wobei hier die
7jährige Trübsalszeit mit dazugehört. Die Entrückung der Gläubigen kommt bei
Lindsey noch davor, hätte also bis etwa 1981 stattfinden sollen. Was den Lesern
hier vermittelt wurde, ist also eindeutig nicht in Erfüllung gegangen.
Nach der Aussage
"würde sich innerhalb von etwa vierzig Jahren von 1948 ab gerechnet all
dies abspielen" fügt Lindsey bekräftigend hinzu: "Viele
Bibelgelehrte, die ein Leben lang die biblische Prophetie studiert haben,
glauben, daß es so kommen wird." Auch das zeigt ja dem Leser, wie sicher
die ganze Überlegung ist.
Jedenfalls sind solche
Berechnungen mitzubedenken, wenn man bei Lindsey am Beginn des Buches liest:
"Ich behaupte keinesfalls, das Datum des 'Jüngsten Tages' errechnen zu
können;" (S.7) Das Datum berechnet Lindsey zwar nicht, aber auf einen
ungefähren Zeitraum wollte er sich durchaus festlegen.
Später rückte Lindsey
allmählich davon ab - was blieb ihm auch anderes übrig, wenn es sich als falsch
herausstellt? Die Staatsgründung Israels 1948 ist dann auf einmal nicht mehr
so wichtig, man könnte die "Generation" auch von 1967 (Rückgewinnung
der Jerusalemer Altstadt) ab rechnen. Und eine "Generation" könnte
auch länger als 40 Jahre dauern. (Belege bei Bacchiocchi in seinem Buch S.54f
sowie in der adventistischen Zeitschrift Zeichen der Zeit 1987, Nr.1, S.38f.)
Die Erkenntnis, falsche
Erwartungen verbreitet zu haben, sollte mehr bewirken als bloß stillschweigende
Ausbesserungen der Vorhersagen. Sie sollte zu einem grundsätzlichen Abwenden
von diesem leichtfertigen Umgang mit der Bibel führen. Angesichts der
Verbreitung von Lindseys falschen Vorhersagen wäre auch ein öffentliches
Eingeständnis seiner Schuld angebracht. Ist es dazu gekommen? Mir ist davon
nichts bekannt.
Zu einem bestimmten
Eindruck für die Leser führt es ja auch, wenn Lindsey als Bestätigung für seine
Demnächsterwartung Aussagen anderer heranzieht. Etwa den Gouverneur von Ohio,
der sagte, "daß, wenn die Menschheit nicht sofort handelt, es 1985 zu
einer weltweiten Hungersnot kommen ... wird" (S.120). Lindsey führt das
an, ohne es irgendwie zu kritisieren, verwendet diese Aussage somit als
Unterstützung. Diese Vorhersage ist auch nicht in Erfüllung gegangen, denn
eine "weltweite Hungersnot" gab es 1985 nicht. Einzelne
Hungersnotgebiete gab es davor und danach, darum geht es hier ja nicht.
d) ‚EG-Staaten bis 1980 politisch vereint’
Der Antichrist wird der Führer des Zehnstaatenbundes sein, der auf
der Grundlage der EG entsteht. Damit kommt in das
"Antichrist-Früherkennungs-Ratespiel" neue Farbe hinein. Nicht mehr,
wie noch bei Billy Graham, sollte der Antichrist aus dem Kommunismus kommen.
Dort war es noch einfach: Hier das einigermaßen gute, christliche Amerika, dort
die böse, antichristliche Sowjetunion. Doch nun, bei Lindsey, wird alles komplexer.
Wann wird es dazu kommen?
Hier liefert Lindsey riskanterweise einen zeitlichen Anhaltspunkt in einem
früheren Kapitel: Lindsey zitiert aus einer Rede des ehemaligen Präsidenten der
EG, Prof. Hallstein. Dieser unterschied drei aufeinanderfolgende Phasen der
europäischen Einigung. "Erstens die Zolleinheit, zweitens die
Wirtschaftseinheit und drittens die politische Einheit." (S.114) Das erste
ist mittlerweile erreicht, das zweite ist im Entstehen, wenngleich noch vieles
fehlt, etwa die gemeinsame Währung (für ca. 2000 geplant). Für das dritte gibt
es bloß Bestrebungen. Soweit aus heutiger (1992) Perspektive. Doch Hallstein
damals: "Um das Jahr 1980 werden wir die große Fusion aller
wirtschaftlichen, militärischen und politischen Gemeinschaften zu den Vereinigten
Staaten von Europa erwarten dürfen."
Hallstein nennt 1980. Das
ist Lindsey allerdings noch zu langsam: "Anzeichen deuten daraufhin, daß
die Entwicklung vielleicht noch schneller vor sich gehen wird."
Eine solche zeitmäßige
Festlegung zu beachten ist wichtig im Hinblick auf die Frage, welchen Eindruck
die seinerzeitigen Leser bekamen. Durch solche Zeitangaben erhielten sie den
Eindruck, daß es sich bei dem von Lindsey Vorhergesagten um Ereignisse handelt,
die für die nächsten Jahre zu erwarten sind. Ein Eindruck, der ja auch schon
durch den Klappentext sowie durch das morgen im Schlußkapitel vermittelt wird.
Dieser zeitliche Aspekt ist bei der folgenden Besprechung von Lindseys
mitzubedenken.
e) ‚Westeuropa stärker als USA’
Der auf die EG aufbauende Staatenbund wird "einmal der
mächtigste Staatenbund in der Welt sein" (S.219). Dazu könnte es durchaus
kommen, derzeit - Jahrzehnte nach dem Erscheinen von Lindseys Buch - existiert
dieser Staatenbund aber noch nicht, und selbst wenn er existieren würde, wäre
er militärisch den USA deutlich unterlegen. "Er wird dem kommunistischen
Machtstreben in der Welt Einhalt gebieten und eine kurze Zeit lang sogar
Rußland und Rotchina unter Kontrolle haben." Was bisher dem
kommunistischen Machtstreben in der Welt Einhalt geboten hat, waren in den
vergangenen Jahrzehnten die militärische Stärke der USA, und in den vergangenen
Jahren die Sehnsucht der Völker im kommunistischen Machtbereich nach mehr
Freiraum, sowohl für das einzelne Individuum als auch für das einzelne Volk,
schließlich auch ein Gorbatschow, der dieser Sehnsucht nach Freiraum
entgegenkommen wollte.
"Die USA werden ihre
gegenwärtige Führungsposition in der westlichen Welt verlieren; der zukünftige
westliche Führer wird Westeuropa heißen. Die Schwächung der Vereinigten Staaten
wird durch innere wirtschaftliche und soziale Schwierigkeiten beschleunigt.
Bricht erst einmal die Wirtschaft zusammen, ist auch die militärische Stärke am
Ende." (S.219)
Dazu ist folgendes zu
sagen: Erstens, daß es einmal dahin kommen könnte, denn Westeuropas
wirtschaftliche Stärke nimmt zu. Zweitens, daß dieser Zustand jedenfalls bis
heute nicht erreicht wurde - die USA sind weiterhin die führende Macht, wie
auch gerade bei der Allianz gegen den Irak deutlich war. Und drittens, daß die
militärische Stärke auch bei einem Zusammenbruch der Wirtschaft nicht aufhören
muß, wie man am Beispiel der Geschichte des Ostblocks sehen kann, wo das
Militär gut und die Wirtschaft sehr schlecht funktioniert hat.
f) ‚Afrika wird kommunistisch, Ägypten der arabische Führer’
"Afrika ist heute der fruchtbarste Nährboden für den
Kommunismus. Wenn nicht alles täuscht und die Entwicklung so weitergeht wie
bisher, wird es einmal ganz dem Kommunismus zufallen." (S.79) Zwei
Jahrzehnte danach sieht es so aus, daß Lindsey doch "alles getäuscht"
hat.
Apropos Afrika: Bei der
Rolle der arabischen Völker im Schlußkampf überschreibt Lindsey einen
Abschnitt mit "Der Hauptakteur: Ägypten" und sagt: "Es ist
offensichtlich, daß die führende Macht in der arabischen Welt Ägypten ist. ...
Die günstige Lage Ägyptens macht es für seine Führungsrolle in der arabischen
Welt besonders geeignet. ... machen das Land zum politischen, geistigen und
kulturellen Mittelpunkt der Afro-Arabischen Welt." (S.85f) Inzwischen hat
Ägypten einen Friedensvertrag mit Israel abgeschlossen. Wogegen Lindsey
vorhersagte: "Mittlerweile hat Präsident Nasser der Tod ereilt, und ein
anderer Mann hat in Ägypten die Macht übernommen. Der vorgezeichnete Kurs der
ägyptischen Politik wird sich in seinen Grundzügen jedoch wohl kaum
ändern." (S.89) Ägypten ist auch weit entfernt von der ihm von Lindsey
zugeschriebenen Führungsrolle. All das kann sich eines Tages natürlich wieder
ändern, aber die seit Lindseys Buch verflossene Entwicklung ging jedenfalls in
andere Richtungen als von ihm vorhergesagt - was auch bedeutet, daß die Leser,
die damals das Buch ernst nahmen, dadurch zu falschen Erwartungen geführt
wurden.
Wie schnell eine
Vorhersage sich als falsch erweisen kann, zeigt auch die von Lindsey als
Bestätigung für seine Ansicht angeführte Aussage von Mosche Dayan aus dem Jahr
1968: "Der nächste Krieg wird nicht mit den Arabern, sondern mit den
Russen sein." (S.67) Fünf Jahre später kam es zum nächsten Krieg Israels,
doch wieder mit den Arabern!
g) Sieben Vorhersagen, null Treffer
Doch betrachten wir die Vorhersagen des Schlußkapitels der Reihe
nach! Ich numeriere die konkreten Vorhersagen durch, dadurch können wir die
Erfolgsquote besser berechnen.
1. Es beginnt mit der
Vorhersage, daß es immer mehr Namenschristen geben wird. (Die zunehmende
Säkularisierung ist allerdings eine Tendenz, die auch vor 1970 schon erkennbar
war.) Die Kirchenführer werden sich von liberalen Theologen beeinflussen
lassen. Lindseys Bestandsaufnahme: "In manchen der größten protestantischen
Denominationen ist es heute schon soweit!" (S.216) Hierbei handelt es sich
also um keine Vorhersage für die Zukunft, sondern um eine Bestandsaufnahme
bereits vorhandener Zustände bzw. Trends. Doch für die Zukunft gelte: "Mit
den wenigen noch verbleibenden Gemeinschaften, die noch nicht von den
Ungläubigen durchsetzt sind, wird es ähnlich bergab gehen." Das ist nicht
geschehen; jene Gemeinschaften, die darauf achten, daß nur Gläubige zu ihren
Mitgliedern zählen, nehmen zu.
2. "Der Massenauszug
der Jugend aus den Kirchen wird also anhalten." (S.217) Hier ist
zweierlei zu unterscheiden. Einerseits die zunehmende Säkularisierung, die dazu
führt, daß immer mehr Menschen, die keinen inneren Bezug zum christlichen
Glauben haben, auch äußerlich die Großkirchen verlassen. Das betrifft aber alle
Altersgruppen, nicht speziell die Jugendlichen. Und diese Säkularisierung
zeichnete sich auch 1970 schon ab. Was die Jugend betrifft: Seit 1970 gab es
gerade unter Jugendlichen immer wieder Aufbrüche. Viele zahlenmäßig wachsende
christliche Gemeinschaften erzielen dieses Wachstum gerade unter jungen
Menschen.
3. "Ich glaube, daß
es bald zur offenen Verfolgung der 'echten' Christen kommen wird, und zwar von
Seiten der mächtigen Hierarchie ungläubiger Kirchenführer in den verschiedenen
Denominationen. ... Auf Grund der Verfolgung der Gläubigen wird eine
regelrechte christliche Untergrundkirche entstehen." (S.218)
Diesen erwähnten Konflikt
gibt es, aber eine derartige Verfolgung mit der Konsequenz einer
Untergrundkirche auch in der westlichen Welt (an die Lindsey offenbar denkt)
läßt sich nicht erkennen. Man bedenke, was "Untergrundkirche"
eigentlich bedeuten würde.
4. "Der Reichtum und
Einfluß des Staates Israel wird ständig wachsen. Mit neuentwickelten Methoden
wird er sich seine natürlichen Rohstoffquellen nutzbar machen und dadurch zu
ungeahnter Blüte gelangen." (S.219)
An anderer Stelle noch
deutlicher: "Die biblische Prophetie sagt uns, daß Israel zur Zeit des
Antichristen eines der reichsten Länder der Welt sein wird." (S.186)
Israel könnte zwar eine
gute wirtschaftliche Bilanz aufweisen, seine durch die feindliche arabische
Umwelt bedingten hohen Militärausgaben bedeuten aber eine bleibende
Abhängigkeit von den USA. Von "Reichtum" oder "ungeahnter
Blüte" kann daher keine Rede sein.
5. Den wirtschaftlichen
Zusammenbruch der USA mit den Folgen haben wir schon oben behandelt.
6. Die EG haben wir schon
oben behandelt, und auch die Frage, wodurch bisher der Einhalt des
kommunistischen Machtstrebens zustandekam.
7. "Drogensüchtige
werden sich um hohe politische Ämter bewerben und mit Hilfe der jungen
Wählerschichten den Wettlauf um die Macht gewinnen." (S.220)
Man beachte:
Drogensüchtige, nicht solche, die gelegentlich einmal Drogen nehmen. Dazu ist
es bisher kaum gekommen.
Wenn wir die
Zusammenfassung von Lindsey zusammenfassen: Noch nicht geschehen, aber
vielleicht kommt es einmal dazu - das gilt für 3, 4, 5 und 7. Nicht so
geschehen, sondern bisher anders oder eher im Gegenteil - das gilt für 1, 2 und
6. Von den 7 konkreten Vorhersagen, deren Erfüllung für die Jahre nach 1970 zu
erwarten gewesen wäre, ist also bis 1992 keine einzige in Erfüllung gegangen.
Das ist keine gute Ausbeute!
Im Hinblick auf ein
später erschienenes Buch von Lindsey, The 1980's: Countdown to Armageddon,
schrieb Bacchiocchi: "Die 1980er Jahre erweisen sich in Wirklichkeit nicht
als Countdown für Harmagedon, sondern eher als Countdown zum Versagen von
Lindseys prophetischen Einfällen." (S.27)
h) 'der du nun einen anderen lehrst ...'
Dabei weiß Lindsey sehr gut, welche negativen Folgen ein leichtfertiges
Ausdeuten der biblischen Prophetie haben kann: "Viele Theologen der
vergangenen Jahre haben versucht, die Ereignisse des Ersten und Zweiten
Weltkrieges irgendwie mit den prophetischen Endzeichen in Zusammenhang zu
bringen. Als die Voraussagen nicht eintrafen, geriet die ganze Prophetie in
Mißkredit. Die Leute, die in die Berge flohen und dort das Ende der Welt
abwarten wollten, hatten nicht die blasseste Ahnung von der biblischen
Weissagung." (S.48)
Daß er keine Ahnung von
der biblischen Weissagung hätte, kann man Lindsey nicht vorwerfen. Aber diese
seine Ahnung hat nicht dazu geführt, daß er den Verlauf der kommenden beiden
Jahrzehnte erahnt hätte.
Der Golfkrieg hat das Interesse an dieser Art von Endzeitliteratur
neu aufflammen lassen, und so wurden noch im Jahr 1991 12000 Stück der
deutschen Ausgabe nachgedruckt (soviel wie zuletzt 1977!) - von einem Buch,
dessen Vorhersagemißerfolg immer deutlicher auf der Hand liegt.
3. Pastor im Gefolge Lindseys:
William Goetz
In der 1983 erschienenen deutschen Ausgabe wird - wohl vor allem
in bezug auf das 1981 erschienene kanadische Original - angegeben:
"Gesamtauflage über 200.000". Somit handelt es sich bei Die Apokalypse
kommt! um ein weit verbreitetes Buch.
a) Heutige politische Konstellation = Endzeit-Ausgangsbasis
Die Konstellation von 1981, die laut Goetz die unmittelbare
Ausgangsbasis für die Endzeitereignisse sein sollte, hat sich an einigen
Stellen geändert, nämlich hinsichtlich EG, UdSSR und USA:
"... die Frage, ob
es gegenwärtig etwas gibt, das auf diese Beschreibung paßt - irgend eine Gruppe
von zehn Staaten in dem einst von Rom kontrollierten Gebiet", kann heute
nicht mehr so einfach dadurch beantwortet werden, daß man wie Goetz auf die 10
EG-Staaten hinweist (S.107).
Und der frühere Eindruck
einer größeren militärischen Zurückhaltung der USA wurde in Panama, vor allem
aber dann in Kuwait korrigiert. Im Rückblick auf den Abzug aus Vietnam meinte
Goetz feststellen zu müssen, die USA seien "nicht mehr willens und/oder
unfähig, mit irgendeiner militärischen Aktion zu antworten". Und weiter:
"Das scheint auch in das prophetische Bild zu passen, denn der
amerikanische Einfluß geht ständig zurück." (S.137) Wir entfernen uns
demnach wieder etwas vom "prophetischen Bild", "da die USA in
den Prophezeiungen über die Endzeit nur eine geringe (wenn überhaupt eine)
Rolle spielen" (S.101).
Die Schwächung der USA
sollte mit der Stärkung der UdSSR parallelgehen. Denn während die Union im
Endzeitgeschehen eine wichtige Rolle haben sollte, ist das bei den Staaten
nicht der Fall. "Rußland wird heute als Militärmacht Nummer eins
betrachtet. ... Das Streben der UdSSR geht nach totaler Weltbeherrschung.
Ungarn, Ostdeutschland, die Tschechoslowakei, Afghanistan und viele
afrikanische Staaten sind Beispiele dafür." (S.112) "Rußland ... ist
heute eine gewaltige Supermacht auf dem Wege zur Weltbeherrschung. ... mit
mehr als einem Drittel der Weltbevölkerung unter seiner kommunistischen
Herrschaft" (S.124). Die letzte Einschätzung war vielleicht auch schon
1981 falsch (hat Goetz hierbei Indien mitgerechnet?), heute trifft sie sicher
nicht mehr zu. Die Herrschaft Moskaus umfaßt bei weitem nicht mehr so viele
Menschen, und sie ist nicht mehr kommunistisch.
Im Gebiet der ehemaligen
UdSSR ist noch einiges im Fluß; im Moment jedenfalls haben wir uns von diesem
Bild, das Goetz hier malt, deutlich entfernt.
Goetz befaßt sich damit,
"wann die bei Hesekiel erwähnten Staaten dem russischen Bündnis
beigetreten sind" (S.127), und beginnt mit Ostdeutschland (= Gomer).
Dieser bei Hesekiel erwähnte Angriff Rußlands und seiner Verbündeten auf Israel
wird wohl kaum in der von Goetz dargelegten Form stattfinden. Oder rechnet
jemand damit, daß Ostdeutschland nochmals abgetrennt und ein eigenständiger
Staat wird?
Im Kapitel über den Roten
Bären, d.h. über die Sowjetunion, kommen nach dem Abschnitt über ihre
"heutigen Verbündeten" einige potentielle Verbündete zur Sprache:
Länder, die von der Sowjetunion entweder überfallen werden, oder wo es durch
Infiltration zu einer kommunistischen Herrschaft kommen wird (in dem Abschnitt
"Das rote Intrigenspiel"). Darin sammelt Goetz Hinweise auf eine enge
Zusammenarbeit zwischen sowjetischen Kommunisten und den Moslems, die den Schah
im Iran gestürzt haben. "Vielleicht ist eine russische Invasion im Iran
gar nicht nötig." (S.129) Jedenfalls vermittelt Goetz den Eindruck, daß
der Iran der UdSSR sehr nahe steht und ihr zukünftig noch näherrücken wird.
Ähnlich ist es bei der Türkei. Diese erhält Unterstützung von der UdSSR, türkische
Linksgerichtete provozieren Unruhen, an der Grenze zur Türkei stehen starke
sowjetische Truppen. "Zuerst Unruhe stiften und dann die Macht ergreifen,
das ist das Hauptrezept, dessen sich die Sowjetunion bereits mit Erfolg in
verschiedensten Ländern bedient hat ..." (S.130) Für Goetz erscheint es
als sicher, "daß die Türkei eines Tages als Verbündeter Rußlands gegen
Israel ziehen wird" (S.131). Ein militärisches Zusammenrücken zwischen
Rußland einerseits und Iran und Türkei andererseits war wohl noch nicht so
nahe, wie es Goetz 1981 darstellte. Jedenfalls sind wir ihm seither um nichts
nähergekommen.
b) Selbstkritische Risiko-Einschätzung
Goetz legte sich also darauf fest, daß die politische Konstellation
von 1981 die Ausgangsbasis für die Endzeitereignisse sein werde. Paradoxerweise
hält er in seinem eigenen Buch fest: "Es hat auch bei zahlreichen
Gelegenheiten bestimmte Konstellationen gegeben, die von schlecht beratenen
Prophetie-Auslegern als Anzeichen des Höhepunkts des Menschheitsgeschehens
gedeutet wurden." (S.66) Nach seinen eigenen Maßstäben müssen wir Goetz
auch zu diesen "schlecht beratenen Prophetie-Auslegern" rechnen.
Jedenfalls ist er sich des Risikos bewußt, das mit dem konkreten Ausdeuten der
biblischen Endzeitprophetie verbunden ist. Die Zeugen Jehovas und andere, die
"wiederholte Voraussagen gemacht" haben, werden von ihm mit dem wenig
schmeichelhaften Ausdruck "Endzeit-Wirrköpfe" bedacht (S.19) Seine
selbstkritische Frage, ob es ihm nicht auch so gehen könnte, daß er sich mit
seiner Gegenwartseinschätzung täuscht, haben wir bereits am Beginn von Kap.C
zitiert. Seine Antwort? Früher gab es Einzelereignisse, die mit biblischen
Endzeitaussagen zusammenzupassen schienen, heute dagegen sehen wir weltweit
jene Merkmale, die Harmagedon zugrundeliegen (S.218). Das ist typisch
signalistisch. Frühere Ausleger hätten sich demnach deshalb getäuscht, weil sie
nicht genau genug darauf geachtet haben, ob wirklich schon alle Vorzeichen
gegeben waren bzw. ob die Welt schon in ihrem Wesen die entsprechenden Merkmale
zeigte. Es sollte uns jedoch zu denken geben, daß bereits innerhalb eines
Jahrzehnts die politische Konstellation sich an mehreren Stellen geändert hat
und die von Goetz angenommene Ausgangsbasis für die Endzeitereignisse nicht
mehr gegeben ist.
c) ‚Das Ende kommt schnell’
So ist es für Goetz "offenbar, daß die prophetische Stunde
weit vorgerückt ist". Es eilt bereits: "Harmagedon - die Kulissen
werden gesetzt, und zwar sehr schnell." (S.230, ähnlich S.217) Der
Feigenbaum wird auf Israel bezogen, sein Blühen auf 1948/67, und das Ende
sollte von derselben Generation noch miterlebt werden (S.68.188.200). Damit
bleibt nicht mehr viel Zeit - je nachdem, wie eng man "Generation"
faßt. Jedenfalls sieht es aus, "als gingen wir den letzten Tagen dieser
Erde entgegen" (S.70). "In Anbetracht der Schnelligkeit, mit der sich
ein Puzzle-Teilchen an das andere fügt, kann der Kulminationspunkt dieser
Ereignisse nicht mehr weit sein." (S.140) Daß der Angriff Rußlands auf
Israel stattfinden wird, ist eine Tatsache, und auch, "daß es nicht mehr
lange bis dahin sein kann" (S.140).
4. Verleger mit Schwerpunkt auf Endzeit:
Klaus Gerth
"In seinen Ausführungen wird biblische Prophetie ... auf die
Ereignisse unserer Zeit angewandt. Ich empfehle dieses Buch jedem, der erfahren
möchte, wo wir nach Gottes Zeitplan heute stehen." (Hal Lindsey im Vorwort zu Gerths Buch,
S.6)
Klaus Gerth ist mit Hal Lindsey befreundet, ließ sich für sein
Buch von ihm ein Vorwort schreiben, und schließt sich in vielen Ansichten an
Lindsey an. Er ist Inhaber des Verlags Schulte + Gerth (früher: HSW = Hermann
Schulte Wetzlar). Wohl bei keinem anderen deutschen Verlag sind so viele Endzeitbücher
erschienen.
a) ‚Der Antichrist kommt, ja er ist schon da’
Gerths Buch heißt Der Antichrist kommt. Die 80er Jahre - Galgenfrist
der Menschheit?
'Der Antichrist kommt in
den 80er Jahren' - fairerweise muß man festhalten, daß Gerth das nicht so
direkt behauptet hat. Aber unsere primäre Frage ist, wie eine Botschaft auf die
Leser wirkt, und die Verbindung von Titel mit Untertitel legt eine entsprechende
Erwartung nahe. Die Gegenwartsform im Titel läßt ein gegenwärtig geschehendes
Ereignis vermuten, im Sinne von: "Der Antichrist kommt jetzt", oder
"Der Antichrist ist dabei zu kommen". Der Inhalt des Buches zeigt,
daß es auch wirklich so gemeint ist. Das könnte sich aber, aus einiger
Entfernung betrachtet, als Irrtum herausstellen. (Eine vorsichtigere
Formulierung wäre: "Der Antichrist wird kommen".)
In bezug auf den
Antichristen sagt Gerth: "Ich gehe davon aus, daß er irgendwo bereits
lebt. Hal Lindsey, der Bestsellerautor aus Amerika, vertritt die Auffassung,
daß er bereits tatkräftig seine Aufgaben im Europapalais in Straßburg
versieht." (S.158) Im Vergleich mit Lindsey - der den Antichristen bereits
zu lokalisieren weiß - ist Gerth also noch relativ behutsam. Gerth zitiert
J.W. White, der meint, "daß der Antichrist bereits lebt und ein
erwachsener Mann ist" (S.160). Aber auch Gerth ist davon überzeugt,
"daß die Bühne für den Antichristen fertig vorbereitet ist und sein
Auftritt nahe bevorsteht" (S.166).
b) Was alles in den 80er Jahren geschehen sollte
Die durch den Untertitel ausgedrückte Frage können wir heute
eindeutig verneinen: Die 80er Jahre waren nicht die Galgenfrist der Menschheit.
Nun brachte Gerth 1989 eine aktualisierte Neuauflage heraus. Der Titel blieb
gleich. Und was geschah mit dem Untertitel? Dieser konnte ja nicht unverändert
bleiben. Gerth hat die "80er Jahre" nicht einfach durch die
"90er Jahre" ersetzt. Er hat, eigentlich sehr konsequent, den Untertitel
wesentlich verändert. Zuerst lautete die Frage, ob die 80er Jahre die
Galgenfrist der Menschheit seien. Nun sind diese 80er Jahre vorüber, jetzt
stellt sich also die Frage: "Bleibt noch eine Galgenfrist für die
Menschheit?" Dadurch erscheint aber das Ende noch stärker nähergerückt.
Am Ende seines Buches
wirbt Gerth für sein TOPIC genanntes Nachrichtenblatt (S.205). Dabei sagt er
u.a.: "Täglich geschehen Dinge, die mich aufhorchen lassen, weil sie den
endzeitlichen Charakter des Jahrzehnts unterstreichen." Dieselbe Werbung
erschien auch noch in der überarbeiteten Auflage von 1989; auch dort hatte
"das Jahrzehnt", also die 1980er Jahre, noch "endzeitlichen
Charakter". Auch durch dieses besondere Heraushebens des Jahrzehnts, in
dem wir gerade leben, wird der Leser zu dem Eindruck geführt, daß wir nun ganz
knapp vor dem Ende stehen.
c) 'in den nächsten Jahren'
Gerths Buch erschien ursprünglich 1982. Ist es dann nicht noch zu
früh, um schon eine Beurteilung abzugeben? Da erstens Gerth sich oft auf
"die nächsten Jahre" festgelegt hat und da gerade in den letzten
Jahren weltpolitisch Unerwartetes geschehen ist, ist bereits jetzt eine
Beurteilung möglich.
1989 erschien die
6.Auflage; auf deren Cover ist angegeben: "Vollständig überarbeitet und
aktualisiert!" (Die 7.Auflage von 1990 und die 8.Auflage von 1991 scheinen
unveränderte Nachdrucke zu sein.) Es liegt natürlich nahe, die Auflagen von
1982 und von 1989 miteinander zu vergleichen. Lesen wir in der
"vollständig überarbeiteten" Neuauflage den historischen Bericht
darüber, wie das, was 1982 für die nächsten Jahre angekündigt wurde, sich dann
tatsächlich ereignet hat? Im Jahr 1989 müßte man darauf ja schon zurückblicken
können ... (Damit konnte Gerth jedoch in keinem einzigen Fall dienen.) Oder
bleibt die Aussage einfach unverändert stehen? Da hätten wir dann die
permanente, unveränderte Demnächsterwartung. Oder wird der Satz gestrichen?
Betrachten wir die Fälle
im einzelnen, was alles für "die nächsten Jahre" zu erwarten gewesen
wäre. Die Zeitangaben in den Zitaten habe ich durch Kursivdruck hervorgehoben.
Heiliger Krieg: Wir lesen vom "Dschihad", vom
"Heiligen Krieg" der Moslems. Dieser wurde gegen Israel schon im Iran
und in Libyen gepredigt, neuerdings auch in Saudi-Arabien ... Soweit Gerth. Das
Ausrufen eines solchen Krieges ist also nichts Neues, doch Gerth meint, daß es
zu einem solchen Krieg auch kommen werde, und zwar bald: "Ich bin
überzeugt, wir werden in den nächsten Jahren einen Dschihad erleben."
(S.67) Das geschah nicht, aber Gerths Überzeugung hält unverändert an (in der
Auflage von 1989 auf S.75).
Wie soll ein solcher
Krieg ablaufen? Der Westen wird erpreßt, indem ihm das Öl verweigert wird:
"Die Waffe, mit der der Dschihad entschieden werden soll, ist auch
bekannt: das Öl. Damit meint man, ein Erpressungsmittel par excellence in der
Hand zu haben." (Die Raketenangriffe des Irak auf Israel während des
Golfkrieges stellen also nicht die Verwirklichung des Dschihads der Moslems
dar.)
Expandierender Kommunismus: Gerth malt die Gefahren des sich
ausbreitenden Kommunismus aus: "Anscheinend ist keine Macht der Erde in
der Lage, die UdSSR in ihrem Expansionsdrang aufzuhalten. Rücksichtslos wird
Land um Land erobert. Was folgt nach Afghanistan? Der Iran oder die
Türkei?" (S.90; dieser Satz wurde noch 1989 beibehalten!)
Weder noch, müssen wir
heute sagen, denn die letzten Jahre brachten eine Wende: Nicht nur Afghanistan
wurde aufgegeben, sondern auch alle osteuropäischen Nachbarländer der
Sowjetunion, sowie die baltischen Republiken, und schließlich existiert die
UdSSR in dieser Form überhaupt nicht mehr.
Wie groß die Gefahr des
sich ausbreitenden Kommunismus ist, untermauert Gerth unter Berufung auf einen
Fachmann: "Henry Kissinger hat sogar schon behauptet, daß ganz Westeuropa
in einigen Jahren kommunistisch sein werde." (S.90) Gerth gibt allerdings
nicht an, wann Kissinger das gesagt hat - ob diese "einigen Jahre"
nicht schon zur Zeit der Publikation von Gerths Buch abgelaufen waren. Jetzt
sind diese "einigen Jahre" jedenfalls abgelaufen, und das von
Kissinger Vorhergesagte ist zumindest in weite Ferne gerückt.
Nun könnte man Gerth
durch den Hinweis verteidigen, daß ja nicht er selbst das vorhergesagt hat,
sondern Kissinger. Das ist richtig. Dennoch präsentierte Gerth dessen
Vorhersage als Unterstützung für sein eigenes Zukunftsbild. Wie stark er sich
damit identifiziert, wird auch darin sichtbar, daß er den Satz noch in der
1989er-Ausgabe wiedergibt (S.96).
Gerth weiter: "Ich
bin fest davon überzeugt, daß wir in den nächsten Jahren einen wilden Bären
erleben werden." (S.92) Im Jahr 1989 ersetzte Gerth den "wilden
Bären" durch den "starken Bären" (S.97f). Wenn man bedenkt, daß
in den hier angekündigten nächsten Jahren sämtliche Satellitenstaaten der
Sowjetunion losgelassen wurden, außerdem die drei baltischen Republiken, und
die Sowjetunion selbst in eine Reihe von großenteils miteinander verbündeten Einzelstaaten
zerfiel, so sieht man, daß Gerth kaum eine noch falschere Prognose hätte
abgeben können. Das ist sicherlich das Schicksal von vielen, die für die
Entwicklung der Zukunft Prognosen abgeben. Aber es stellt sich doch die Frage,
ob wir unsere so riskanten Prognosen unter Berufung auf die Bibel - also in
gewisser Weise im Namen Gottes! - abgeben sollen.
Für Gerth ist es
deutlich, daß Moskaus Einfluß im Mittleren Osten zunehmen wird. Afghanistan
wurde ohnehin schon durch Moskau
erobert. Und die anderen Länder? "Für die westliche Orientpolitik
steht der Uhrzeiger auf fünf vor zwölf." (S.97) Es kam anders.
"Jedenfalls ist der Einfluß Moskaus in dieser Region während der letzten
beiden Jahre kräftig gestiegen, was auch die Situation im Irak und im Iran
beweist." (Diesen Satz bringt die 1989er-Ausgabe übrigens unverändert, auf
S.105. Die beiden Jahre vor 1982 scheinen also den beiden Jahren vor 1989 zu
gleichen?) Er erwähnt weiter, "daß der Kreml die Parole ausgegeben hat:
'Warten bis Khomeini stirbt und die Mullahs sich im Streit um sein Erbe
aufreiben.' Dann steht der Machtübernahme nicht mehr allzuviel im Wege."
(S.98, unverändert S.106)
Die tatsächliche
Entwicklung ist über Gerths Prognosen hinweggegangen. Beim Golfkrieg stand die
Sowjetunion eher etwas abseits, eine Machtübernahme im Iran etwa durch Rußland
ist derzeit äußerst unwahrscheinlich.
"Rußland dehnt seine
Grenzen ständig aus und ist in seinem Egoismus schier unaufhaltsam."
(S.109, unverändert S.117)
Wenn wir ehrlich sind,
müssen wir zugeben: Wir alle sind durch die plötzliche Wende im Ostblock
überrascht worden, Gerth ist da also kein Einzelfall. Allerdings hätten
zumindest in der 1989er-Ausgabe die Konsequenzen aus manchen Irrtümern bereits
gezogen werden können.
Drangsal/Antichrist: "Ich bin überzeugt, daß es nur noch
wenige Jahre dauert, bis diese Drangsal unser Leben beeinflussen wird."
(S.146) Was ist unter "wenige" zu verstehen? Zwei oder drei? Es
vergingen 10 Jahre, und es ist noch immer nicht geschehen. Hat sich deshalb an
Gerths Überzeugung etwas geändert? Ist er mittlerweile daraufgekommen, daß
seine Demnächsterwartung übertrieben war? Keineswegs, in der Ausgabe von 1989
hat er lediglich "diese Drangsal" durch "der Antichrist"
(S.154) ersetzt.
Wiederaufbau des jüdischen Tempels: "Ist es also wahr, daß in
den nächsten Jahren in Jerusalem der jüdische Tempel wieder aufgebaut
wird?" (S.163) So hieß es 1982. Und auch 1989 ist dieser Bau für die
nächsten Jahre zu erwarten, der Satz blieb unverändert ... (S.171)
China in Harmagedon: Zuerst zitiert Gerth einen FAZ-Artikel:
"1990 vielleicht, meinen westliche Fachleute, werde China die militärische
Infrastruktur haben, die eine Armee braucht, um als Trumpfkarte im großen
Spiel zu stechen." (S.170) Gerth selbst setzt fort: "Diese Zeitrechnung
stimmt, wenn wir bedenken, daß unsere Welt in eine siebenjährige Trübsalszeit
einmündet und China ja erst am Ende dieser Periode in das Kriegsgeschehen
eingreifen wird." (1989 unverändert, S.178) Gerth akzeptiert also diese
Zeitrechnung. Dem Leser wird hier der Eindruck vermittelt, China werde etwa
1990 in den Krieg eingreifen, am Ende der 7jährigen Trübsalszeit. D.h. Mitte
der 1980er Jahre sollte diese Trübsalszeit beginnen! Dazu paßt: "was
suchen die Chinesen in einigen Jahren in Harmagedon, wenn sie nicht von Haß
gegen die Juden getrieben werden?" (S.173) In "einigen Jahren"
kommt es also bereits zu Harmagedon! Anstatt daß das Ganze im Jahr 1989 schon
vorüber wäre, schreibt Gerth dort neuerlich denselben Satz (S.181).
Aber Gerth ist mit den "wenigen", "einigen"
oder "nächsten Jahren" überhaupt etwas voreilig. So schreibt er in
bezug auf das Öl: "dann werden die ohnehin in wenigen Jahren versiegenden
Rohstoffquellen bald nicht mehr als Erpressungsmittel funktionieren"
(S.67). An anderer Stelle spricht er aber selbst von "Jahrzehnten":
"die Ölvorräte reichen nur noch für wenige Jahrzehnte" (S.143).
Gerth schrieb 1982: "Es erscheint als wahrscheinlich, daß in
den nächsten fünf Jahren jeder arabische Staat des Mittleren Ostens die Bombe
besitzen wird." Das wäre also bis 1987. Bis heute ist unsicher, ob schon
irgendeiner dieser Staaten die Bombe hat. Die Chance, daß diese irgendwann an
die Bombe herankommen, ist durchaus gegeben. Die Demnächsterwartung von Gerth
wird nun darin sichtbar, daß er so viele Geschehnisse schon für die jeweils
allernächsten Jahre erwartet. Daß diese Erwartung übertrieben war, muß Gerth
indirekt selbst zugeben - die neue Ausgabe von 1989 bringt den Satz
unverändert. Nun ist der Zeitraum also bis 1994 hinausgeschoben!
Wann wird die EG eine politische Einheit darstellen? "auch
diese politische Einheit wird kommen. Vielleicht 1992? Sind erst einmal die
Zollschranken niedergerissen, gibt es eine gemeinsame Währung, den ECU, eine
Notenzentralbank und gar einen europäischen Ministerpräsidenten, dann wird sich
Europa in Kürze zu einer Weltmacht auswachsen." (1989, S.153) Hier wird
wieder Gerths Ungeduld sichtbar. Für 1992 plant die EG aber lediglich die
Zolleinheit. Daß deswegen auch alles andere schon 1992 kommen könnte, ist
Illusion.
Gerth erklärte seiner Sekretärin, "daß ich gar nicht den
rechten Mut hätte, über die Türkei etwas zu schreiben, da sich in dieser
Weltregion nach meinem biblischen Verständnis in allernächster Zeit etwas
ereignen müsse" (S.102). Gerth erwartet eine Veränderung in der Türkei
(Wechsel von der NATO zu einem islamischen Bündnis, um gegen Israel
einsatzbereit zu sein) so bald, daß er Angst hat, würde er nun etwas über die
momentane Situation in der Türkei schreiben, könnten die Ereignisse das von ihm
Geschriebene überholen, noch bevor es gedruckt erscheint. Gerths Ungeduld
erwies sich als übertrieben, denn auch 7 Jahre später, in der Ausgabe von 1989,
bringt er den Satz unverändert (S.110f).
Typisch ist der Satz: "Schon heute sind die Gewitterwolken zu
sehen." (S.146) Die Wolken sehen wir also schon, wir warten bloß noch auf
den Ausbruch des Gewitters.
d) ‚Es kann kein halbes Jahrhundert mehr dauern’
Daß Gerth dieser Meinung ist, ergibt sich schon daraus, daß er den
Antichristen bereits als unter uns lebend vermutet.
Im Hinblick auf das westliche Europa meint Gerth: "Europa
wird zu einer Weltmacht heranreifen, und ich bin überzeugt, daß die meisten
meiner Leser noch Zeugen dieses Geschehens sein werden." (S.141) Auch das
zeigt, daß Gerth die Endzeitereignisse als unmittelbar bevorstehend annimmt.
Denn wenn wir unter "die meisten" etwa 80% verstehen und annehmen,
daß Gerths Leser von 20 bis 70 Jahre alt sind, so daß 20% davon in 10 Jahren
gestorben sind, müßte dieses Geschehen bis 1992 erfüllt sein. So exakt ist
Gerths Angabe natürlich nicht gemeint, aber es zeigt doch, wie sehr bald alles
ablaufen sollte.
Beachten wir aber auch
Gerths Fortsetzung, um zu sehen, was Gerth mit Weltmacht meint: "Aber ich
weise noch einmal sehr eindrücklich darauf hin, daß die Weltgeschichte immer
wieder bewiesen hat, daß nur aus den Niederlagen zuvor und aus dem Chaos eine
neue Supermacht zum Vorschein kommt. Die Diktatoren unserer Zeitgeschichte sind
fast ausnahmslos aus den Trümmern ihrer Länder hervorgekommen." Gerth
rechnet also mit sehr dramatischen Ereignissen auf dem Weg zu einem
(West-)Europa als Supermacht. Es geht nicht einfach um ein allmähliches
Stärkerwerden.
"Sicher ist, daß die Sowjetunion Israel angreifen wird."
(S.81) Und wenn die Endzeit-Ereignisse noch 30 Jahre auf sich warten lassen?
Wäre das möglich? Dann ist vielleicht an die Stelle der heutigen Sowjetunion
ein anderes Gebilde getreten. Wenn Gerth so sicher ist, daß die Sowjetunion
Israel angreifen wird, dann zeigt er dadurch, daß er die gegenwärtige
politische Konstellation als unmittelbare Ausgangsbasis für die
Endzeit-Ereignisse sieht. Und auch bei folgenden Japan betreffenden Aussagen
wird das erkennbar: "Wenn nun die asiatischen Streitkräfte in die Schlacht
um Harmagedon eingreifen, wird sicher Japan, gestärkt durch sein riesiges
Industriepotential, mit von der Partie sein." (S.174f) "Seien Sie
ganz sicher, Japan - und das zeichnet sich bereits heute deutlich ab - wird zu
einem Gesinnungsgenossen von China, und eine schreckliche Allianz zieht
herauf." (S.181)
e) Zu jedem Ereignis ein passender Bibelvers
Gerth erwartete für die 80er Jahre bedeutende Ereignisse. An die
für 1982 angekündigte seltene Planetenkonstellation wurden manche Befürchtungen
geknüpft. Gerth greift sie auf und beginnt den darauf bezüglichen Abschnitt mit
Offenbarung 6,12f: "Die Sonne wurde finster wie ein schwarzer Sack, und
der Mond wurde wie Blut, und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde."
(S.22) Woher wissen wir denn, daß diese Planetenkonstellation mit diesem Offenbarungswort
in Verbindung zu bringen ist?
Gerth weiß es auch nicht
(mehr), denn in seiner Neuauflage hat er diesen Abschnitt ersatzlos gestrichen.
EG und die 10 Hörner: Gerth meint, daß die Sowjetunion ihren
Angriff auf Israel erst dann durchführen wird, wenn "der Zehnstaatenbund
(wahrscheinlich die zehn EG-Staaten) unter der Herrschaft des Antichristen
bereits existiert" (S.106). Nun ist man natürlich gespannt, wie das in der
1989er-Ausgabe klingt, wo es doch nunmehr bereits mehr als 10 EG-Staaten gibt
... Der Satz wurde dort gestrichen. Das Kapitel "Der Zehnerclub"
heißt nun "Das neue Machtzentrum". 1982 schrieb Gerth: "Heute
sind es zehn Staaten, so wie die zehn Zehen des Standbildes Nebukadnezars es
voraussagen." (S.149) Das ist typisch: Eine gegenwärtige Erscheinung zeigt
eine gewisse Analogie zu einem Bibelvers - sofort wird darin die Erfüllung
gesehen. Peinlich wird es nur, wenn der weitere Verlauf doch anders ist:
"Heute sind es zwölf Staaten." sagt Gerth 1989 an derselben Stelle
lapidar (S.156), ohne noch irgendeine biblische Parallele heranzuziehen.
5. Der Teen Challenge-Begründer als
Visionär:
David Wilkerson
"D. Wilkerson will seine Vision nicht verteidigen. Sie soll
daran geprüft werden, inwieweit sie in Erfüllung gehe.
Man kann solchen Visionen
durchaus skeptisch gegenüberstehen. Tatsache ist, daß einiges von Wilkerson
schon in Erfüllung ging, z.B. die weltweite Rezession, die von niemandem
erwartet wurde. Wir dürfen die Weissagung nicht von vornherein
ablehnen." (Zopfi 12)
David Ray Wilkerson
wurde durch seine Arbeit unter Drogensüchtigen bekannt, sein Buch Das Kreuz und
die Messerhelden wurde weltweit gelesen. Er gehört zur Pfingstbewegung. 1973
empfing er eine Vision: Die Vision - wie der Titel seines 1974 erschienenen
Buches lautet.
a) ‚jetzt’ und ‚heute’
Bezieht sich Die Vision auf eine erst in weiter Zukunft liegende
Zeit? Dafür, daß niemand auf einen solchen Gedanken kommen kann, sorgt schon
das Cover des Buches. Inwieweit sich die deutsche Ausgabe hierin an das
amerikanische Original hielt, und inwieweit Wilkerson selbst dafür
verantwortlich ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Wer auch immer dafür
verantwortlich ist - in dieser konkreten Gestalt wirkt das Buch auf den
deutschen Leser.
Auf dem vorderen
Buchdeckel liest man ganz oben in der ersten Zeile: "Eine Prophezeiung
über die Endzeit!" Und in der zweiten Zeile: "Dinge, die jetzt
geschehen!" Man beachte das Wörtchen "jetzt" - also nicht
irgendwann!
Wilkerson empfing die Vision 1973; in
deutscher Sprache wurde sie 1974 veröffentlicht. Wenn es damals hieß, daß diese
Dinge "jetzt" geschehen, können wir Jahrzehnte später erwarten, daß
diese Dinge mittlerweile geschehen sind.
Das hintere Deckblatt
versucht mit kurzen Worten auf den Inhalt der Vision hinzuführen. Ganz oben, in
großen Buchstaben, lesen wir: "Heute!" Für Leser, die nicht ganz
begriffstützig sind, ist es also schon bei äußerer Betrachtung des Buches, noch
vor dem Aufschlagen, klar: Es geht um heutige Dinge. Von unserem Zeitpunkt aus
betrachtet: Um Dinge, die sich in der Zeit um 1974 zugetragen haben - oder etwa
doch nicht?
Am Beginn stehen einige
Vorbemerkungen; zuerst sagt Wilkerson, daß er die Vision im April 1973 empfing.
Und er setzt fort:
"Viele Voraussagen
dieser Vision haben sich in der Zwischenzeit schon erfüllt; andere werden in
naher Zukunft in Erfüllung gehen; und noch andere in den Jahren, die vor uns
liegen." (S.5; wurden diese Vorbemerkungen 1974 geschrieben?)
Wilkerson unterscheidet
hier gemäß dem Zeitpunkt der Erfüllung drei Gruppen von Voraussagen:
Erstens bereits erfüllte (also 1973/74 geschehene Ereignisse),
zweitens sich "in naher Zukunft" erfüllende, und
drittens sich in den vor uns liegenden Jahren erfüllende.
Bei der dritten Gruppe
handelt es sich also um Jahre - aber nicht um Jahrzehnte. 17 Jahre danach
werden sich diese also wohl auch längst alle erfüllt haben. Die zweite Gruppe
sollte sich noch früher erfüllt haben. Wilkerson baut ja auf: bereits erfüllt -
in naher Zukunft - in den nächsten Jahren. Die "nahe Zukunft" ist
daher noch früher als "in den nächsten Jahren". Sie meint also etwa
die nächsten Monate, ungefähr die Jahre 1974/75 ...
Somit mag die ganze Sache
nur noch das Interesse eines Historikers beanspruchen - handelt es sich doch
um längst erledigte Ereignisse. Oder doch nicht?
"Die Botschaft
dieser Vision kann nur durch den Ablauf der Zeit und die eintretenden
Ereignisse geprüft werden." (S.6) So sagt Wilkerson selbst. Durch den
Ablauf von wieviel Zeit?
Aufmachung des Buches
sowie Wilkersons Äußerungen ließen die in seinem Buch beschriebenen Ereignisse
in der Zeit um 1974 erwarten. So ist es jetzt sicherlich nicht zu früh, um uns
an die Prüfung machen zu können.
b) Einige Unklarheiten
Wie wir oben lasen, sieht Wilkerson "viele Voraussagen"
als bereits erfüllt an. Zu einem Zeitpunkt, der auf jeden Fall vor der
deutschen Ausgabe liegen muß. Danach erst, nämlich im vom deutschen
Leuchter-Verlag verfaßten Vorwort, lesen wir: "Mittlerweile, im Herbst
1974, also nur eineinhalb Jahre später, sehen wir manche dieser Dinge schon in
Erfüllung gehen." (S.13) Hier sind diese Dinge also erst dabei, in
Erfüllung zu gehen (anstatt bereits erfüllt zu sein), und es handelt sich hier
lediglich um manche (statt um "viele") Dinge. Wilkerson und
Leuchter-Verlag schätzen also das Ausmaß des bereits Erfüllten sehr verschieden
ein.
Aber auch unter
Wilkersons Aussagen gibt es Widersprüche. Er glaubt, "daß die allermeisten
Dinge dieser Vision in unserer Generation geschehen werden" (S.5). Damit
läßt er doch noch einen gewissen zeitlichen Spielraum. Denn demnach würden
einige dieser Dinge der Vision - die ja sämtlich vor Jesu Wiederkunft liegen -
von unserer Generation gar nicht mehr erlebt. Das Ende könnte sich dann noch
eine geraume Weile, jedenfalls über mehrere Jahrzehnte hinziehen. Bei der
weiteren Lektüre muß der Leser jedoch feststellen, daß Wilkerson glaubt,
"daß alle Ereignisse, die Erwähnung fanden, in unserer Generation
geschehen werden" (S.17). Nun ist von allen Ereignissen die Rede.
Eine weitere Unklarheit
ergibt sich daraus, daß Wilkerson bei der Präsentation seiner Vorhersagen nicht
eindeutig sagt, was Bestandteil seiner Vision war, und was lediglich darauf
aufbauende Kombinationen und Überlegungen sind. Die Grenze zwischen dem von
Gott Gegebenen und den Deutungen des Visionärs ist hier also nicht ganz
deutlich.
Ein ähnliches Problem
zeigt sich dann in einem späteren Buch Wilkersons, Wetterleuchten des Gerichts.
Einerseits behauptet er, die darin enthaltene Botschaft sei "völlig durch
die Voraussagen Jesu Christi selbst gedeckt" (S.14). Andererseits sagt er
gleich im Anschluß daran, daß er diese Botschaft in seinem Gebetskämmerlein
empfing. Bei letzteren Worten würde man eher vermuten, daß es bei dieser
Botschaft um mehr geht als bloß um Aussagen, die ohnehin deutlich im Neuen
Testament ausgesprochen sind. Der betreffende Abschnitt ist überschrieben mit
"Amerika wird bald gerichtet". Eine solche für diese Weltregion
spezifische Vorhersage wird man unter den im Neuen Testament überlieferten
Worten Jesu kaum finden.
Weiter unten behandeln
wir noch Diskrepanzen zwischen Aussagen der verschiedenen Bücher Wilkersons,
und zwar bei der Wirtschaft (Gold) und beim Wetter (Katastrophen in den USA).
c) Wirtschaft: Währungen, christliche Programme, Gold, Banken
Wilkerson kündigt "fünf tragische Katastrophen" an
(S.15). Stichwortartig können wir sie folgendermaßen benennen: Wirtschaft,
Wetter, Schmutz, Jugend, Verfolgungen.
Beginnen wir mit der
Wirtschaft. "Ein Zusammenbruch kommt", so lautet bereits die
Überschrift des ersten Abschnitts. Dieser beginnt so: "Eine weltweite
wirtschaftliche Verwirrung liegt unmittelbar vor uns." (S.19) Diese
deutliche Zeitangabe könnte irreführen, denn Wilkerson sagt, daß vorerst noch
einige gute Jahre kommen: "Trotz der Gefahrenzeichen des bevorstehenden
wirtschaftlichen Unheils werden die nächsten wenigen Jahre (von 1973 an) einige
der blühendsten der Menschheitsgeshichte sein." (S.20) Ende 1972 bahnten
sich aufgrund steigender Rohstoffpreise bereits wirtschaftliche Schwierigkeiten
an, die durch den Ölschock von 1973 noch verstärkt wurden. Das Jahr 1974
brachte eine echte Rezession. Zwar spricht auch Wilkerson von einer Rezession
(S.19), damit kann er aber nicht die von 1974 gemeint haben, da er ja zuvor
noch einige blühende Jahre ankündigt.
Wilkerson erläutert, was
er mit wirtschaftlicher Verwirrung meint: "Nicht nur der amerikanische
Dollar wird in sehr große Schwierigkeiten geraten, sondern auch alle anderen
Währungen der Welt." Für den Dollar könnte man das eventuell noch gelten
lassen, für die anderen Währungen der westlichen Welt gilt das bis heute nicht.
Wilkerson weiter:
"Ich glaube, wir werden den Zusammenbruch einiger der größten und
bekanntesten Industriegesellschaften miterleben." (S.22) Darauf warten wir
immer noch. "Die meisten christlichen Radio- und Fernsehprogramme wird man
einstellen müssen." Auch das geschah bislang nicht.
Etwas schwieriger ist die
Beurteilung seiner Edelmetall-Voraussage:
"Die Goldpreise
steigen ständig. Doch alle, die deshalb ihr Geld im Gold anlegen und so hoffen,
eine gewisse Sicherheit zu finden, werden eine tragische Überraschung erleben.
Der Goldpreis wird astronomische Höhen erreichen, wird aber nicht allzulange so
hoch bleiben können. Auch Silber wird sich zu einem sehr, sehr kostbaren
Metall entwickeln und einen wilden Preisauftrieb erleben. ... Leute, die Gold
horten, werden sehr große Verluste erleiden. Dies ist eine der eindeutigsten
Voraussagen dieses Buches." (S.27)
Zur Zeit von Wilkersons
Vision bzw. der Veröffentlichung lag der Goldpreis bei etwa 100 US-Dollar,
heute liegt er bei 400 US-Dollar. Nimmt man Wilkersons Aussagen wörtlich,
ergibt sich folgendes: Er sprach in der Gegenwartsform ("ihr Geld in Gold
anlegen", "Gold horten"). Wer das zur Zeit von Wilkersons Vision
tat, erlebte weder eine tragische Überraschung, noch erlitt er große Verluste.
Trotz aller Schwankungen seit 1973 gilt: Wer damals Gold kaufte, hat dadurch
Gewinne erzielt.
Zwar gab es ein kurzes
extremes Hoch anfangs 1980, wo der Goldpreis sogar 850 US-Dollar erreichte.
Aber dieses Hoch währte nur einige Monate lang. (Zur selben Zeit stieg infolge
von Spekulation auch der Silberpreis steil an, fiel aber rasch wieder.) Seit
diesem Höhenflug bewegt sich der Goldpreis im Bereich von 500 bis 300
US-Dollar.
Die Aussage Wilkersons
bezog sich nicht auf Spekulanten - deren Tätigkeit naturgemäß mit Risiken verknüpft
ist -, sondern auf jene, die eine dauerhafte Geldanlage suchten. Diesen meinte
er sagen zu müssen, daß das Geldanlegen in Gold zu großen Verlusten führen
werde. Aber darin hatte er sich getäuscht. Wer in den 1970er Jahren in Gold
investierte, hatte gute Gewinne. (In den 1980er Jahren gab es weder besondere
Gewinne noch Verluste - derzeit ist Gold daher keine bevorzugte
Geldanlageform.)
Wieso kam Wilkerson
überhaupt dazu, dem Goldpreis "astronomische Höhen" zu
prognostizieren? Es ist aufschlußreich, die Entwicklung dieses Preises kurz vor
Wilkersons Vision zu betrachten. Nachdem der Preis die Jahre zuvor ziemlich
konstant bei 40 US-Dollar lag, stieg er 1972 stark an und erreichte schließlich
65 Dollar; im Februar 1973 kam es zur Abwertung des Dollars, woraufhin das
Interesse am Gold stark zunahm, so daß der Preis innerhalb von 10 Tagen einen
Anstieg von fast 20 Dollar erzielte. Nur 2 Monate danach hatte Wilkerson seine
Vision. Er stand also noch unter dem Eindruck eines seit kurzem steigenden
Goldpreises. Von daher war es durchaus naheliegend, einen weiteren Anstieg zu
prognostizieren.
In einem späteren Buch
scheint es, daß Wilkerson die Verluste überhaupt erst für die Zeit des Gerichts
ansetzt. So wird die Vorhersage aber zu einer trivialen Aussage. Natürlich, zur
Zeit des Gerichtes Gottes werden materielle Reichtümer wertlos, nicht nur Gold.
In jenem Buch (Wetterleuchten des Gerichts - mehr dazu weiter unten) sagt er:
"Gold mag vorübergehend im Wert steigen, aber Gottes Wort sagt
nachdrücklich, daß Gold am Tage des Gerichts wertlos sein wird. In der Stunde
des Gerichts gibt es Millionen von Menschen, die Gold und Silber horten."
(S.75)
Im selben Buch berichtet
er auch: "Ich habe vor einigen Jahren davor gewarnt, daß eine
Bankenkatastrophe die Schweiz überfallen wird; ... Die Schweizer Nummernkonten,
die Glanzbeispiele für Sicherheit, werden total unsicher. ... Die Fundamente
des Schweizer Bankensystems werden erschüttert, und der Schweizer Franken wird
deshalb viel seines Wertes verlieren." (Wetterleuchten 76) Je mehr
Jahrzehnte seit der Warnung vergehen, desto wertloser wird eine solche Warnung.
Wilkerson meint, daß
"wirtschaftliche Aktionen in Europa die kommende Rezession auslösen
werden" (S.34). Die Schuld an der Rezession werde man dann aber auf die
USA schieben. Wohl als Folge dieser antiamerikanischen Stimmung sollte
folgendes geschehen: "Drastischer USA-Truppenrückzug von Europa wird die
Verwirrung noch vergrößern." Auch das fand nicht statt. (Im Zuge der
Ost-West-Entspannung kann sicherlich auch die Zahl der in Europa stationierten
US-Truppen reduziert werden. Aber der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang ist in
Wilkersons Vision ein ganz anderer.)
d) ‚Wetter: Erdbeben und Hungersnot in den USA, Epidemien’
Und wie sehen Wilkersons Wettervorhersagen aus? "Drastische
Wetterkatastrophen und Erdbeben" heißt das 2.Kapitel. Wenn er sagt, daß es
verstärkt Erdbeben und Hungersnot geben wird, so könnte man denken, daß da
etwas dran ist. Doch das konnte man schon alleine aufgrund biblischer Aussagen
bzw. aufgrund der bisherigen Weltgeschichte voraussagen - auch ganz ohne
persönliche Vision. Wir werden also gut daran tun, auf die zeitlich und örtlich
präziseren Voraussagen zu achten - bei solchen kann Erfüllung oder
Nichterfüllung eher beurteilt werden.
"Die USA werden in
nicht allzulanger Zeit das tragischste Erdbeben ihrer Geschichte erleben.
Eines Tages, und zwar bald, wird die USA von der Wucht dieses schrecklichsten
Geschehens unserer Zeit erzittern und taumeln. Alle Zeitungen werden voll sein
von dem Verderben, welches dieses furchtbarste Erdbeben seit Menschengedenken
anrichtet. ... Ich glaube, daß es viele Male schwerer sein wird als das große
Erdbeben von San Francisco." (S.40f) Auf dieses Erdbeben warten wir immer
noch. (1987 scheint Wilkerson darauf schon vergessen zu haben; nunmehr kündigt
er eine nukleare Katastrophe an - Näheres im letzten Abschnitt.)
Wenn Wilkerson sagt, daß
es in Indien und Afrika Hungersnöte geben wird, so ist das nichts besonders
Neues - neu dagegen ist, daß auch die USA davon betroffen werden: "Die
Lebensmittelvorräte der USA werden dahinschwinden, und zwar hauptsächlich der
Dürreperioden und Überschwemmungen wegen, die dieses Land treffen. Weizen,
Reis und Sojabohnenvorräte werden total aufgebraucht, und die Nachfrage nach
Korn, Reis und Weizen wird nicht mehr befriedigt werden können." (S.43)
Wieder einmal wagt
Wilkerson eine Zeitangabe: "Es wird immer häufiger Überschwemmungen,
Hagel, Wirbelstürme und Orkane geben. Mehr als ein Drittel der USA z.B. wird
man in einigen Jahren zum Katastrophengebiet erklären müssen." (S.45) Hier
ist von "einigen Jahren" die Rede - mittlerweile sind etwa 20 Jahre
vergangen ...
Lebhaft werden die
künftigen Ereignisse ausgemalt: "Erdausbrüche, Verfärbungen wie Blut und
Mondverschleierungen, seltsame Zeichen im Kosmos, wie kosmische Stürme, diese
und andere, noch nie vorher dagewesene Ereignisse werden viele Menschen zum
Nachdenken bringen. Der Dunst, der im Kosmos hängt, wird dazu führen, daß der
Mond rot aussehen wird, und daß Perioden der Finsternis über die Erde kommen.
Es wird manchmal so sein, als ob die Sonne nicht mehr scheinen wolle."
(S.45)
Bei all dem möchte ich
keineswegs ausschließen, daß es dazu tatsächlich einmal kommen werde - ich
halte lediglich fest, daß in der bisher vergangenen Zeit nichts davon geschehen
ist. Das gilt auch für das folgende: "Europa muß die härtesten
Winterausbrüche hinnehmen, die es je gab." (S.47) Tatsächlich sind die
Winter seit 1973 eher milder geworden.
"Als Nachwirkung der
Hungersnöte, Überschwemmungen und Erdbeben wird sich die Menschheit der Drohung
neuer Epidemien ausgesetzt sehen. Eine große Cholera-Epidemie wird durch viele
unterentwickelte Länder gehen. Indien und Pakistan werden erleben müssen, daß
ungezählte Tausende an Seuchen und Hungersnöten sterben." (S.48) Vor
kurzem beobachteten wir einen Cholera-Ausbruch in Peru, und müssen die
Ausbreitung in Lateinamerika befürchten. Hat sich also Wilkersons Vorhersage
erfüllt? Bei dieser Frage ist mehrerlei zu beachten: Erstens wurden seine
Vorhersagen so präsentiert, daß man vor allem an die Zeit bald nach 1973 denkt,
und damals geschah davon nichts. Zweitens nennt Wilkerson drei Ursachen, die
aber alle nicht zutreffen: In Wirklichkeit ist mangelnde Hygiene in den Slums
der Hauptgrund. Drittens nennt er zwei Länder ausdrücklich; man hätte demnach
erwartet, daß die Cholera vor allem diese beiden Länder betreffen werde.
Da Wilkerson von den
neuen Epidemien als Folge von Hungersnöten, Überschwemmungen und Erdbeben
spricht, kann die Seuche AIDS nicht als Erfüllung dieser Vorhersage angesehen
werden. An dieser Stelle hätte es sich übrigens erweisen können, wenn jemand
tatsächlich von Gott eine Vision über zukünftige Dinge bekommen hatte. Wenn
jemand etwa 1973 vorhergesagt hätte, es werde eine neue Geschlechtskrankheit
auftauchen und sich verbreiten, so wäre das beeindruckend gewesen. Hier sehen
wir die andere Möglichkeit, wie eine Vision überprüft werden kann: Wir fragen
uns, was wirklich in der Zeit danach geschehen ist, was aufgetaucht ist, womit
niemand gerechnet hätte. Nun untersuchen wir, ob der christliche Visionär das
vorausgesagt hat. Können wir solche für die damalige Zeit wirklich
überraschenden Vorhersagen bei ihm finden, oder hat er sich eher auf
Entwicklungen beschränkt, die ohnehin auch zu seiner Zeit schon erkennbar
waren, und hat lediglich das weitere Fortschreiten dieser Tendenzen
"vorhergesagt"?
Wilkerson geht dann und wann
auch auf die Frage des Zeitpunktes ein. Die vorletzte Zwischenüberschrift im
Kapitel über das Wetter lautet "Das Jahrzehnt des Unheils". Ist damit
gemeint, daß das auf 1973 folgende Jahrzehnt das in diesem Kapitel beschriebene
Unheil bringen wird? Das bringt Wilkerson nicht ganz klar zum Ausdruck. Aber
immerhin sagt er am Ende des Kapitels: "Einige der Voraussagen in diesem
Teil meiner Vision werden in den nächsten Jahren schon beginnen, in Erfüllung
zu gehen." (S.52)
Hier haben wir eine klare
Aussage: "in den nächsten Jahren beginnen". Gibt es in diesem Kapitel
solche Vorhersagen, auf die das zutrifft? In den Jahren nach 1973 sollten sie
beginnen - dann sollten einige davon heute, ca. 20 Jahre danach, schon deutlich
ausgeprägt sein. Von all jenen Voraussagen, die einigermaßen konkret sind und
die nicht einfach eine Verlängerung eines bereits 1973 vorhandenen
Entwicklungstrends darstellen, trifft das auf keine einzige zu. Überfliegen wir
kurz die einzelnen Abschnitte. "die gewaltigsten Wetteränderungen der
Geschichte ... durch Erdbeben, Überschwemmungen und andere schreckliche
Katastrophen, die alles bisher je Geschehene weit übertreffen" (S.40). Das
ist nicht geschehen. Das furchtbarste Erdbeben in den USA, das Drittel der USA
als Katastrophengebiet ... Hungersnöte: Daß es solche etwa in Afrika geben
werde, konnte man 1973 auch ohne Vision erwarten; das Sensationelle an der
Vision Wilkersons ist, daß auch in den USA die Lebensmittelvorräte
dahinschwinden, und davon ist nichts zu bemerken. Die noch nie dagewesenen
Ereignisse im Kosmos, die neuen Epidemien ... Daß das Wetter unregelmäßiger
wird, stimmt - aber das ist nicht sehr spezifisch und war wohl auch 1973 schon
festzustellen.
e) Moralischer Schmutz: Sexuelle Liberalisierung
Wie steht es mit dem Kapitel 3? "Eine Flut von Schmutz"
- gemeint ist moralischer Schmutz. Hier geht es um eine Entwicklung, die auch
1973 schon erkennbar war. Daß die oberflächliche Kirchlichkeit des Großteils
der westlichen Welt immer mehr abgestreift wird und stattdessen die
"Säkularisierung" um sich greift, ist eine seit langem erkennbare
Entwicklung. Hier zu sagen, daß diese zunehmen werde, wäre noch kein Beweis für
eine besondere göttliche Führung. Bei den konkreten Beispielen Wilkersons ist
es schwierig zu beurteilen, erstens ob das Genannte nicht auch schon vor 1973
irgendwo vorgekommen war (so daß eine Voraussage dessen eigentlich gar keine
Voraussage ist), und zweitens wie verbreitet die einzelnen Erscheinungen sind
(ob es sich also lediglich um vereinzelte Ausnahmen oder um etwas für die Zeit
seither Repräsentatives handelt).
f) Jugend: Sexdroge erfunden, andere Drogen nehmen ab
Im Kapitel 4 geht es um "Das Jugendproblem Nummer eins der
Zukunft", nämlich den Haß der Jugendlichen auf ihre Eltern. Dabei sagt
Wilkerson selbst über seine Gegenwart: "Schon jetzt macht sich dieser Haß
gegen die Eltern überall wie Krebs breit." (S.77) Dabei geht es also um
etwas bereits 1974 Vorhandenes, das sich in Zukunft lediglich noch verstärken
sollte.
Unter der
Zwischenüberschrift "Eine neue Sexdroge" wird es dann aber doch recht
konkret: "Ich glaube, daß schon bald eine neue Sexdroge zusammengebraut
und auf dem schwarzen Markt unter Jugendlichen und Studenten verteilt
wird." (S.78) Davon war bislang nichts zu hören. "Zur selben Zeit
wird in der gesamten Drogenszene ein gewaltiger Wechsel stattfinden. Abgesehen
von dieser Sexdroge, von der ich voraussage, daß sie kommen wird, wird sich die
junge Generation nicht mehr so sehr mit Rauschgift abgeben."
Hier hat Wilkerson leider
nicht recht behalten. Das Rauschgift ist nach wie vor ein großes Problem, und
verbreitet sich weiterhin. "Der Gebrauch von Marihuana wird legalisiert
werden. ... Nach LSD, Haschisch und anderen Drogen wird man immer weniger
fragen."
g) ‚Christenverfolgung auch im Westen, Super-Weltkirche entsteht’
Im 5.Kapitel geht es um "Wütende Verfolgungen", die alle
Christen betreffen sollen, auch jene in der sog. "freien Welt":
"Ich sehe eine Stunde der Verfolgung von solchem Ausmaß kommen, wie sie
die Menschheit vorher noch nicht gesehen hat. Alle wahrhaft Jesusgläubigen
werden unter dieser Verfolgung zu leiden haben, ... Die Verfolgung wird sich in
den USA und Kanada ausbreiten und weiterhin auch in der ganzen Welt."
(S.92)
Von einer solchen
Verfolgung ist bis heute nichts zu sehen. Dafür sieht Wilkerson etwas anderes:
"Ich sehe, wie aus der Vereinigung liberaler, ökumenisch gesinnter
Protestanten und der römisch-katholischen Kirche eine Super-Weltkirche
entsteht, ..." (S.92) Diese Vereinigung aller Kirchen, seitens mancher
Evangelikaler schon seit langem als beinahe vollzogen dargestellt, ist derzeit
in weite Ferne gerückt. Rom ist wieder auf konservativerem Kurs, und auch die
orthodoxen Kirchen fühlen sich im Weltkirchenrat zunehmend unwohl. Manches an
Wilkersons Beschreibung stimmt - etwa die Konzentration der Ökumene auf soziale
und politische Fragen. Diese gab es aber auch schon lange vor 1973. Typisch ist
folgende Feststellung Wilkersons: "Die offizielle politische Verschmelzung
liegt noch einige Zeit in der Zukunft, aber der formlose Rahmen für diese Union
ist schon im Entstehen begriffen." (S.94) Ein Teil des von Wilkerson
Beschriebenen war also bereits 1973 beobachtbar, benötigte also keinen
Propheten. Dieser ohnehin damals schon vorhandene Teil könnte dem
oberflächlichen Leser nun im nachhinein den Eindruck vermitteln, daß Wilkersons
Vision doch recht zutreffend sei. Doch der damals noch zukünftige Teil steht
nach wie vor aus, auch zwei Jahrzehnte danach, und es sieht nicht so aus, daß
wir das innerhalb der nächsten Jahre erleben werden.
Was sieht Wilkerson noch?
"Ich sehe eine große und übernatürliche Vereinigung aller wahren
Nachfolger Jesu Christi, ..." (S.98) Das würde ich auch gerne sehen, aber
neben Bestrebungen in Richtung Einheit sehe ich leider auch sehr viel
Abgrenzung, Warnung vor anderen, Konfrontation ... Wilkerson spricht hier ja
von "allen wahren Nachfolgern Jesu". So ist Wilkersons Vision im
wahrsten Sinne eine utopische Zukunftsvision: "Man wird sich nicht mehr so
sehr um die Besonderheiten der einzelnen Bekenntnisse kümmern, sondern vielmehr
die Aufmerksamkeit auf die Wiederkunft Jesu Christi richten." Er sagt aber
auch, wodurch es zu dieser Einheit kommt: "Die wahnsinnigen Verfolgungen,
die kommen, werden diese Christen immer enger zusammentreiben und immer näher
zu Jesus Christus führen." Und da wir eben auch noch auf die Verfolgungen
warten müssen, so wohl auch noch auf die Einheit.
Aber die Verfolgung
kommt! "Katholische Charismatiker ... gehen einer Stunde der bittersten
Verfolgung entgegen." (S.99)
Und auch die
Evangelikalen müssen sich auf einiges gefaßt machen. "Zur Zeit gibt es
enorme Freiheit für die Verkündigung des wahren Evangeliums in Rundfunk und
Fernsehen." (S.101) Das war 1974. Aber nicht mehr lange! Denn "eine
Strömung der Veränderung liegt in der Luft." (S.102) "Die Türen, die
jetzt noch weit offen sind, werden sich langsam, aber sicher, schließen."
Die Verfolgung wird
verschiedene Formen annehmen. Eine Form ist die Besteuerung der Kirchen:
"Es wird die Zeit kommen, wo man versucht, die Kirchen und mit ihnen
verwandte Organisationen zu besteuern. ... Es wird sich zunächst nur um eine
geringfügige, ärgerliche kleine Abgabe handeln, doch bald wird daraus eine
riesige Steuer werden, die manche unabhängige Kirchen und Missionsgesellschaften
an den Rand des Bankrotts bringt." (S.105)
Im folgenden finden wir
wieder eine Zeitangabe, nämlich "während". Zwei Ereignisse sollen
also gleichzeitig stattfinden: "Während durch die freien Nationen eine
Welle echter Verfolgungen geht, werden die Länder hinter dem Eisernen Vorhang
und hinter dem Bambusvorhang eine kurze Zeit der geistlichen Erweckung erleben.
Die, welche unter großen religiösen Verfolgungen leben mußten, werden sich
einer beschränkten Periode religiöser Freiheit erfreuen. Gottes Heiliger Geist
wird den Eisernen Vorhang und den Bambusvorhang durchbrechen und in Rußland,
China und Osteuropa hungrige Herzen suchen und finden." (S.111)
Nun ist aber das zweite -
die Öffnung in Rußland und Osteuropa - bereits eingetreten, während das erste
weiterhin aussteht. Daß es gleichzeitig hätte geschehen sollen, sagt Wilkerson
ausdrücklich: "Ironischerweise werden sich die Türen hinter dem Eisernen
Vorhang und dem Bambusvorhang zu der Zeit öffnen, wenn sich die Tore auf dieser
Seite zu schließen beginnen." (S.112)
Wilkerson weiß auch, wie
das Evangelium nach China bzw. nach Rußland kommen wird: "Japanische und
koreanische Christen werden von Gott gebraucht, um dann das Evangelium zu
Tausenden in China zu bringen." Das ist so noch nicht geschehen, und wird
vermutlich auch nicht geschehen, da es in China prozentual wesentlich mehr
Christen gibt als in Japan. (Die große Zahl der Christen in China war zur Zeit
von Wilkersons Vision noch nicht bekannt.) Die japanischen Christen können also
durchaus daheim bleiben und ihre eigenen Landsleute evangelisieren.
"Der Weg nach
Rußland wird sich durch Finnland öffnen." Ich würde eher sagen:
"durch Gorbatschow". Wilkerson stellt sich diese Öffnung als Resultat
einer Erweckung in Finnland vor, die sich nach Rußland hinein ausdehnen sollte.
h) 'Jesus warnt ausdrücklich vor falschen Prophezeiungen'
Wilkerson selbst stellt fest: "Gott wird mein Richter
sein" (S.6). Und er ist sich des Risikos des falsch Vorhersagens durchaus
bewußt, sagt er doch selbst in seinem Buch Es begann mit Kreuz und
Messerhelden: "Auch in vergangenen Zeiten haben schon viele angenommen,
daß das Ende nahe sei. Wieso können wir überzeugt sein, daß wir heute richtig
sind, wo jene irrten?" (S.160) Er sieht also durchaus, daß in der
Vergangenheit "schon viele irrten". Warum möchte Wilkerson dennoch
riskieren, sich in deren Reihe einzuordnen? "In der Vergangenheit trafen
manchmal einige dieser Zeichen zusammen, aber niemals alle." Also: Heute
liegen alle Zeichen vor, von denen Jesus sprach, daher muß es gleich kommen.
"Ist es nicht wirklich sehr, sehr wahrscheinlich, daß das Ende ganz nahe
ist und nur noch wenig Zeit, bis die große Trennung stattfindet, ...?"
(S.161) Also: "ganz nahe", "nur noch wenig Zeit". Der Leser
kann sich darauf einstellen, daß es jetzt gleich kommt. Schwierig kann es
werden, wenn diese "Demnächsterwartung" über Jahrzehnte hinweg
aufrechterhalten werden muß. Irgendwann sollte dann doch jeder daraufkommen,
daß seine Erwartung für „die nächsten Jahre“ falsch war. Und Wilkersons Buch Es
begann ... erschien im Amerikanischen 1974 (dt. 1975).
Im selben Buch
präsentiert Wilkerson sogar die Festlegung eines Christen, daß es bis zur
Wiederkunft Jesu keine 15 Jahre mehr dauern werde. Anstatt eine solche
Festlegung aber zu kritisieren, erwähnt Wilkerson diese Haltung durchaus
positiv. Und zwar erlebte er "kürzlich" (also 1974 oder etwas früher)
ein Interview, wo ein Reporter eine Gruppe von jungen Christen fragte:
"Was wird in fünfzehn Jahren, von jetzt an gerechnet, sein, wenn ihr etwas
älter geworden seid und dann die Verantwortung für alle Angelegenheiten
übernehmen müßt?" Deren Antwort? "das ist keine echte Frage für uns.
Wir glauben nämlich nicht, daß wir in fünfzehn Jahren noch hier sein
werden." Begründung? "Wir leben in der Endzeit." (S.165)
Wilkersons Kommentar
dazu? Warnt er vor einer solchen Festlegung? Erinnert er daran, daß niemand
Tag oder Stunde weiß? Im Gegenteil: "Das war die Botschaft, die ich von
jetzt an den jungen Leuten brachte, die sich Sorgen über ihre Zukunft
machten."
Als ich in den 70er
Jahren diese Seite las, hatte ich starke Bedenken dagegen, daß Wilkerson das so
unkritisch präsentiert. Zwar konnte ich natürlich nicht ausschließen, daß Jesus
tatsächlich in den nächsten Jahren kommen werde, aber einen solchen zeitlichen
Rahmen dürfen wir doch nicht angeben? Mittlerweile sind die 15 Jahre vergangen,
und nicht nur die jungen Leute sollten ihre Festlegung überdenken, sondern auch
Wilkerson seine Einstellung dazu.
Dabei weiß Wilkerson sehr
gut um die Gefahren, sagt er doch selbst: "Leider werden viele Christen
von menschlichen Prophezeiungen, Briefen und Warnungen betrogen, die das
Gericht für bestimmte Tage und Zeiten ankündigen. Sei vorsichtig und prüfe die
Geister. Jesus warnt ausdrücklich vor falschen Prophezeiungen." Dieser
Warnung möchte ich mich anschließen. So zu lesen übrigens in seinem Buch
Wetterleuchten des Gerichts (1978, S.124), mit den Untertiteln Eine Botschaft
von Prüfung und Triumph. Die Konsequenz aus dem Buch 'Die Vision'. Interessante
Untertitel! Die Konsequenz aus seiner Vision? Diese hätte doch folgendermaßen
auszusehen: Eine klare Abwendung von derartigen Festlegungen. Hat Wilkerson
also erkannt, daß diese Vision nicht von Gott war? Mit Bedauern müssen wir feststellen,
daß von einer klaren Abwendung jede Spur fehlt. Zwar sagt Wilkerson: "Ich
bin kein Prophet und weigere mich, mich so nennen zu lassen. Aber ich bin ein
Wächter." (S.7) Ich frage mich nur, warum Wilkerson dann prophezeit hat -
und zwar ausgiebig! -, wenn er sich selbst nicht als Prophet sieht. Bist du ein
Wächter? Dann führe deinen Dienst aus, aber mache keine Vorhersagen!
i) Wilkersons Worte = Gottes Worte?
Ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Beurteilung ist die Sicherheit,
mit der die Voraussagen verkündet werden. Jemand, der von bloßen Möglichkeiten
spricht, ist anders zu beurteilen als jemand, der Sicheres behauptet: "Ich
weiß sicher, daß dies die Wahrheit ist." (Vision 52). So sagt Wilkerson
über seine Vision von 1973: "Bis tief in mein Herz hinein bin ich davon
überzeugt, daß diese Vision von Gott ist, daß sie wahr ist, und daß sie in
Erfüllung gehen wird." (S.16) Solche Worte drücken Sicherheit aus, nicht
bloß eine Möglichkeit.
Und auch in seinem Buch
Wetterleuchten tritt Wilkerson mit enormem Anspruch auf: "Ich weiß nur,
daß Gott mich dafür verantwortlich macht, die Botschaft zu verkündigen, die Er
mir gab. ... Ich gebe diese Botschaft mit innerem Frieden und Freude weiter,
die nur Gott geben kann, ..." (S.6) Die Botschaft ist also von Gott, daher
die logische Konsequenz für den Leser, daß er sie ernst zu nehmen hat, und zwar
Wort für Wort: "Ich möchte, daß alle Christen dieses Buch erst beiseite
legen, wenn sie den gesamten Inhalt aufgenommen haben ... Ich möchte, daß
jeder, der noch nicht bereit ist Gott zu begegnen, dieses Buch mit
ehrerbietiger Furcht liest; ... Bitte, lege dieses Buch nicht beiseite, ehe du
nicht jedes Wort gelesen hast. Dein Leben mag davon abhängen." (S.8f)
Das Buch Lass die Posaune
erschallen bringt ganz am Beginn das Selbstverständnis Wilkersons: "Ich
kann mit Amos sagen: 'Ich war kein Prophet ... sondern ich war ein Hirte. Aber
der Herr holte mich hinter der Herde weg, und der Herr sprach zu mir: Geh hin,
weissage meinem Volk!' (Amos 7,14.15)" (S.4). Wilkerson handelt demnach im
klaren Auftrag Gottes. Und im Vorwort zur deutschen Ausgabe hofft Bernd Ewert: "Möge die Gemeinde Jesu
diesen von Gott gesandten 'Posaunenton' ... als endgültige Warnung und
ultimativen Hinweis Gottes annehmen." (S.7)
j) Gott wird richten, aber wir wissen nicht, wann
Wilkerson beruft sich im Wetterleuchten darauf, daß sich der
Inhalt aus der Bibel selbst ergibt (S.7). "Die Botschaft, die ich dir in
diesem Buch sagen möchte, wird auch von vielen anderen verkündigt: Das Gericht
kommt! Es ist eine Botschaft, die völlig durch die Voraussagen Jesu Christi
selbst gedeckt ist. Ich empfing diese Botschaft in meinem Gebetskämmerlein;
..." (S.14) Nun präsentiert Wilkerson in diesem Buch tatsächlich viele
Bibelabschnitte. Er möchte zeigen, wie Gott auf Sünde mit Gericht reagiert,
und schließt aus einer Betrachtung der gegenwärtigen Weltsituation, daß diese
Welt gerichtsreif ist. Soweit kann man ihm durchaus folgen. Aber können wir
definitiv behaupten, daß dieses Gericht in den nächsten Jahren kommen wird?
Oder könnte es sein, daß Gott noch einige Jahrzehnte zuwartet? Hier ist die
Stelle, wo Wilkerson zu weit geht. Somit ist es nicht richtig, wenn er
behauptet, daß seine Botschaft "völlig durch die Voraussagen Jesu Christi
selbst gedeckt ist". Seine zeitlichen Festlegungen sind biblisch
keineswegs gedeckt.
Wilkerson berichtet:
"Ich habe die Arbeit an diesem Buch im April 1976 beendigt, dem
Jubiläumsjahr der USA. Während ich Gericht predige, sagen die falschen
Propheten aus Regierung und Wirtschaft 'gute Zeichen' voraus. Ich zitiere ...
'Wirtschaftsexperten reden von einer langen Periode guter Entwicklung. ... Der
Aufwärtstrend wird anhalten, vielleicht sogar für viele Jahre. ...'"
(S.77) Dem stellt nun Wilkerson ein Gerichtswort aus Jeremia 23 entgegen und
verurteilt die Wirtschaftsexperten: "Diese Art falsche Prophetie bringt
die Menschen dazu, weiterhin sorglos den Weg zur Hölle zu gehen. Diese
glattzüngigen Propheten des Wohlstandes machen die Predigt vom Gericht
lächerlich." (S.78) Ich fürchte, Wilkerson ist es, der "die Predigt
vom Gericht lächerlich" macht. Denn was ist die Folge, wenn Leute wie
Wilkerson auftreten und sagen: 'Jetzt gleich kommt es', es kommt dann aber
nicht?
Man beachte, daß die von
Wilkerson zitierten Wirtschaftsexperten keine Prognose für viele Jahrzehnte
gemacht haben - so etwas wäre aufgrund der vielen Unsicherheitsfaktoren des
Wirtschaftslebens sowieso unmöglich. Sie haben lediglich prognostiziert, daß
die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre gut sein wird, "vielleicht
sogar für viele Jahre". In diesem Sinne haben sie durchaus recht behalten,
denn seither sind bald zwei Jahrzehnte vergangen, und die wirtschaftliche
Entwicklung war, insgesamt gesehen, für die USA tatsächlich gut. Wenn Wilkerson
solche in ihrer Prognose erfolgreichen Experten als "falsche
Propheten" bezeichnet, so wirft das in mehrfacher Hinsicht ein schiefes
Licht auf ihn selbst.
Wenn ein Mensch sorglos
dahinlebt, ohne nach Gott zu fragen, so ist es durchaus unsere Aufgabe, ihm den
Ernst von Gottes Gericht vor Augen zu stellen (wobei wir sicherlich nicht
vergessen werden, auch von Gottes Liebe zu reden). Doch ich kann nicht sagen,
ob diesen Menschen schon in den nächsten Jahren und schon hier auf der Erde ein
göttliches Gericht treffen wird. Ich weiß es nicht, und kann es ihm daher auch
nicht ankündigen. Und wenn ich in der Bibel von vielen Fällen lese, wo Gott
tatsächlich bereits in der diesseitigen, irdischen Welt gerichtet hat, kann ich
diese Beobachtung doch nicht so verallgemeinern, daß ich mich darauf festlege,
daß das Gericht hier und jetzt kommen wird. Da ist der Punkt, wo Wilkerson zu
weit geht. Bis zu diesem Punkt ist seine Botschaft wertvoll und herausfordernd,
und so ist es durchaus denkbar, daß - wie der Leuchter-Verlag (im Vorwort zu Wetterleuchten
S.4) behauptet - viele Menschen dadurch gesegnet wurden. Dieser Segen beruht
nicht auf Wilkersons falschen konkreten Vorhersagen, sondern darauf, daß
Wilkerson herauszustreichen versucht, wie radikal Gott Sünde verurteilt. An
diese radikale Verurteilung müssen wir sicherlich immer wieder neu erinnert
werden.
k) Großer Absatz, kleine Hilfe
Meine primäre Frage bei dieser Untersuchung ist: War das Buch Die
Vision so, wie es sich präsentierte, für die Leser zur Zeit des Erscheinens
eine Hilfe? Daß sich die Leser sofort auf dieses Buch gestürzt haben, wird
schon daran erkennbar, daß die erste Auflage mit 5000 Exemplaren sofort
vergriffen war, und im Monat danach eine zweite Auflage (mit 8000 Exemplaren)
gedruckt wurde. (Die Nachfrage hält an: im März 1991 erschien die 13. Auflage.)
Meine Frage muß
folgendermaßen beantwortet werden: Insgesamt gesehen, bot das Buch kaum eine
Hilfe. Denn es führte den Leser dazu, für die nächsten Jahre eine Reihe von
Ereignissen zu erwarten, die dann nicht eingetreten sind. Selbst wenn diese
Ereignisse Jahrzehnte später doch noch eintreffen sollten - für die damaligen
Leser führte das Buch eher zu falschen Erwartungen. Denn die Vorhersagen in dem
Buch werden doch so präsentiert, daß der Leser an die nächsten Jahre, wenn
nicht gar an die nächsten Monate denken mußte. Der Schaden eines solchen Buches
ist nicht zu übersehen: Die Leser stellen sich darauf ein, daß in der nächsten
Zeit Ereignisse stattfinden, zu denen es dann nicht kommt. Durch die
Ankündigung von Gericht bzw. Jesu Wiederkunft in der allernächsten Zeit unter
Berufung auf Gott kommt auch der christliche Glaube in Verruf.
l) Wilkerson - ein unbelehrbarer Prophet?
Anstatt nach den vergangenen Mißerfolgen zurückhaltender zu
werden, macht Wilkerson weiter mit Vorhersagen: 1987 kam Wilkersons Buch Lass
die Posaune erschallen heraus. Darin kündet er eine Katastrophe über die
Bewohner der USA an, weil diese trotz massiver Präsenz des Evangeliums im
Lande doch so schwer sündigen: "Amerika wird durch Feuer vernichtet
werden! Ganz plötzlich wird es geschehen, und nur wenige werden entrinnen.
Völlig unerwartet wird eine nukleare Katastrophe über diese Nation hereinbrechen,
und innerhalb von nur einer Stunde wird Amerika ausgelöscht sein." (S.9)
Nun steht auf einmal eine
nukleare Katastrophe bevor, die nur wenige Menschen überleben werden? Dabei
warten wir doch noch immer auf das in der Vision angekündigte Erdbeben. Auch im
Wetterleuchten hieß es noch: "Ich glaube, Gott wird unsere Nation
besonders mit drei Instrumenten des Verderbens richten: mit Erdbeben, Dürre und
finanziellem Zusammenbruch." (Am Beginn von Kap.5 mit dem Titel
"Amerikas Strafe", S.63) Diese drei dramatischen Instrumente stehen
noch aus, nun kündet Wilkerson ein ganz neues an?
Nach einem kleinen
Erdbeben brachte eine Tageszeitung Erdbebenwitze. Wilkerson über das kommende,
alles bisher Dagewesene weit übertreffende große Erdbeben in den USA:
"Bald wird ein Tag kommen, da wird es mit solchen Witzen vorbei sein. ...
Viele werden überleben. Unter den Überlebenden werden auch die sein, die sich
vor Gott gedemütigt hatten ..." (Wetterleuchten 67)
Hier wird besonders
deutlich, daß mit der nuklearen Katastrophe in der Posaune etwas völlig Neues
gemeint ist, denn dieser werden dann ja nur wenige entrinnen, während das
Erdbeben viele überleben.
(Eine nähere Beurteilung
von Wilkersons Posaune spare ich mir auf, bis genügend Zeit vergangen ist, um
die Treffsicherheit dieses Buches beurteilen zu können.)
Eine Gefahr für Männer in
der Position Wilkersons liegt sicher in dem zustimmenden Verhalten ihrer
Umgebung. Als eine solche Zustimmung kann gewertet werden, daß die Verlage
seine Bücher weiterhin auflegen. Dann gibt es Christen, die allen Ernstes die
Ansicht äußern, Wilkersons Vorhersagen seien eingetroffen. So lautet etwa das
Urteil von Bernd Ewert, der in bezug auf Die Vision und auf Wetterleuchten des
Gerichts im Jahr 1987 schrieb: "Viele darin enthaltene Voraussagen haben
sich schon erfüllt oder sind im Begriff, es zu tun." (im Vorwort zur
deutschen Ausgabe von Wilkersons Buch Lass die Posaune erschallen, S.7). Ewert
verzichtet darauf, konkrete Beispiele solcher erfüllter Voraussagen anzugeben.
(Es wäre ihm auch nicht leicht gefallen, solche zu finden!)
Wenn die engere Umgebung
eines Menschen diesen in seinem Weg bestärkt, wird für diesen die Umkehr immer
schwerer.
6. Heimkehr aller russischen Juden
angekündigt:
Steven Lightle
Im Jahr 1974 empfing Steven Lightle
eine Vision: Alle russischen Juden werden die UdSSR verlassen und über
Westeuropa nach Israel zurückkehren. 1983 brachte er dazu ein Buch heraus; in
der deutschen Ausgabe steuerte Eberhard Mühlan
einen Teil dazu bei, so daß beide Namen als Autoren angegeben werden. Der Titel
lautet: Der II. Exodus. Norden gib heraus. Im selben Jahr kam es noch zu einer
2.Auflage. Bei der 3.Auflage von 1991 wird - bei ansonsten unverändertem Inhalt
- Mühlan nicht mehr vorne als Mitautor genannt.
Bei der Beurteilung einer
Prophetie ist der Kern einerseits und die Hülle andererseits zu unterscheiden:
Es kann sein, daß der Kern stimmt, die Hülle dagegen zeitbedingt ist. Was ist,
wenn sich der Kern erfüllt, die Hülle dagegen, die genaue Ausgestaltung nicht?
Dazu ein Beispiel: Der Prophet Agabus sagte die Gefangennahme des Paulus
voraus, und zwar mit folgenden Worten: "Den Mann, dem dieser Gürtel
gehört, werden die Juden in Jerusalem ebenso fesseln und den Heiden
ausliefern." (Apg 21,11) Tatsächlich haben die Juden Paulus zwar ergriffen
und geschlagen; gefesselt haben sie ihn jedoch nicht, sie hätten ihn
wahrscheinlich getötet, wenn nicht die Römer (= Heiden) ihn weggenommen hätten.
Die Römer haben ihn dann gefesselt. Vorausgesetzt, daß der Bericht des Lukas
über diese Vorhersage sowie über die Erfüllung genau war, so stimmte der Kern
der Vorhersage, nicht jedoch die Hülle. Die Hülle, die konkrete Formulierung,
war vielleicht in Anlehnung an Jesu Gefangennahme gestaltet worden.
Wir sollten bei der
Beurteilung einer Vision eines Zeitgenossen nicht strenger sein als bei der
Beurteilung einer in der Bibel berichteten Vision. Wenn wir Lightles Vision
betrachten, so stellen wir rasch fest, daß die konkrete Gestalt dieser Vision
Fehler sowie Unwahrscheinlichkeiten aufweist. Was den Kern betrifft, den
Grundgedanken, so läßt sich darüber aufgrund des seither Geschehenen noch nicht
endgültig urteilen. Darüber könnte man höchstens exegetisch urteilen, indem man
prüft, inwiefern biblische Aussagen in diese Richtung weisen. In diesem Buch
möchte ich jedoch exegetisch zurückhaltend sein und primär empirisch urteilen.
a) Die Vision von 1974
Mit folgenden Worten berichtet Lightle von seiner Vision:
"Am letzten Tag
meiner Fastenzeit in der Gegenwart Gottes war es mir, als sähe ich eine große
Kinoleinwand vor mir: Ich sah eine gewaltige Anzahl Menschen, die ich sofort als
Juden erkannte. Diese Juden befanden sich in der Sowjetunion. Auf vielen
kleinen Straßen strömten sie aus den verschiedensten Teilen des riesigen Landes
zusammen und trafen sich auf einer Art Autobahn, die in Richtung Westen führte.
Ich sah Männer, die
offensichtlich einen Dienst taten, der ähnlich dem des Mose war. Während sie
unter der Leitung des Heiligen Geistes weissagten, geschahen in diesem Land
gewaltige Katastrophen, die so einschneidend waren, daß sie die Nation auf die
Knie zwangen. Danach war es so, als würde die Sowjetunion die Juden aushusten.
Sie zogen alle auf der
von Gott gebauten Autobahn nach Westen durch Polen und die DDR hindurch und
erreichten in der Höhe von Helmstedt die Grenze der Bundesrepublik. Über
Braunschweig und Hannover ging es dann weiter nach Holland. Dort bestiegen sie
Schiffe und fuhren nach Israel.
Ich war verwirrt durch
das, was ich sah. ..." (S.38)
Im Jahr 1983, als Lightle
sein Buch herausbrachte, sah er diese Ereignisse noch als bevorstehend an. Er
hatte ja nicht gemeint, daß vereinzelte Juden ausreisen - das hatte es ja auch
zuvor bereits gegeben -, sondern an einen Exodus aller ca. 2,7 Millionen
russischen Juden.
b) Fehler der Vision
Die konkrete Gestalt, in der Lightle seine Vision präsentierte,
ist an mehreren Stellen durch die Ereignisse überholt worden. Er spricht von
der Sowjetunion - diese gibt es nicht mehr. Er nennt die dort lebenden Menschen
"die Nation" - die gegenwärtige GUS, überhaupt all die dort lebenden
Völker, wird man kaum als eine Nation bezeichnen können. Er spricht von der DDR
und deren Grenze zur Bundesrepublik. Auch diese gibt es nicht mehr.
Wohl niemand rechnet
damit, daß diese Staatsgebilde mit den ursprünglichen Namen in genau gleicher
Form wiedererstehen werden. Aber es könnte sein, daß Lightle lediglich Menschen
durch die europäische Landschaft ziehen sah, und daß er selbst die Grenzen
seiner Zeit dazudachte, um den Weg, den diese Menschen gingen, zu beschreiben.
Aber meine Aufgabe hier ist es sowieso nicht, Visionen zu beurteilen, sondern
Bücher. Worauf auch immer sich der Inhalt eines Buches stützt, ob auf Visionen
oder auf Bibelauslegung: Ich beachte, wie sich ein Buch präsentiert, welchen
Anspruch es erhebt, welchen Eindruck es beim Leser hinterläßt. Und ich
untersuche weiter, ob das Buch für die Leser zum Zeitpunkt seines Erscheinens
eine Hilfe war oder nicht. Das Ergebnis meiner Untersuchung betrifft also
nicht primär den Inhalt von Lightles Vision - deren genauer Umfang wird uns
ohnehin nicht mitgeteilt. Mein Ergebnis betrifft Lightles Buch. Bei meiner
Untersuchung möchte ich aber durchaus die Möglichkeit nicht von vornherein
ausschließen, daß sich zwar die Hülle als unzutreffend erweist - also einige
konkrete Einzelheiten sich so nicht erfüllten -, der Kern aber doch richtig
ist.
c) Wo die Erfüllung immer unwahrscheinlicher wird
Die zuvor genannten "Fehler" sind genau genommen
Unwahrscheinlichkeiten. Sie erweisen sich dann als Fehler, wenn die genannten
Staatsgebilde in dieser Form und mit diesem Namen nicht wiedererstehen. Da mit
diesem Wiedererstehen wohl niemand rechnet, habe ich einfach von
"Fehlern" gesprochen.
Daneben gibt es noch
weitere unwahrscheinliche Annahmen, mit deren Zutreffen aber vielleicht doch
manche Menschen noch rechnen. Der beschriebene Reiseweg geht von der Existenz
des Ostblocks aus sowie davon, daß die Reise mit dem Schiff wesentlich billiger
als die mit dem Flugzeug ist. Die Juden verlassen demnach die Sowjetunion,
durchqueren andere Warschauer Pakt-Staaten (Polen, DDR), dabei wohl auch Berlin,
und fahren weiter nach Holland, von dort aus mit dem Schiff nach Israel. Nun
existiert der Ostblock nicht mehr, und die direkte Reise mit dem Flugzeug ist
billiger als der umständliche Reiseweg über Holland. Insofern ist dieser
umständliche Reiseweg bereits sehr unwahrscheinlich geworden. Entweder fliegen
die russischen Juden direkt mit Flugzeugen nach Israel, oder sie reisen mit der
Bahn nach Polen, Ungarn, Rumänien oder Bulgarien, und von dort weiter mit dem
Flugzeug.
Aber die Vision Lightles
geht ja von einem Massen-Exodus aus. Die bis dahin der Ausreise ihrer Juden
widerstrebende Sowjetunion wird durch Katastrophen dazu gezwungen, sie
schließlich doch ausreisen zu lassen. Bei einem solchen Massen-Exodus von mehr
als 2 Millionen Juden haben die Flugzeuge vielleicht zuwenig Kapazität.
Ähnliches würde aber auch für den umständlichen Reiseweg über Holland gelten.
Zwar ist das Fassungsvermögen von Zügen und Schiffen größer, dafür brauchen
diese wesentlich länger für ihre Reise. Somit ist es durchaus nicht sicher, daß
Züge und Schiffe der Aufgabe, über 2 Millionen Menschen innerhalb kurzer Zeit
nach Israel zu bringen, besser gewachsen sind als Flugzeuge.
d) Erfüllung jetzt im Gange?
Derzeit ist es für russische Juden wesentlich leichter, das Gebiet
der ehemaligen Sowjetunion zu verlassen, und viele Juden nützen diese
Möglichkeit. Sollten wir darin vielleicht die Erfüllung von Lightles Vision
sehen? Folgendes spricht dagegen:
Erstens wäre damit der
von Lightle "geschaute" Reiseweg völlig verfehlt.
Zweitens würde auch die
Ursache dafür, daß die Russen nun doch ausreisen dürfen, nicht stimmen. Sie
dürfen es im Zuge der Liberalisierung, wie sie von Gorbatschow eingeleitet und
verstärkt durch Jelzin weitergeführt wurde. Lightle sprach aber von
"gewaltigen Katastrophen". Die Abschaffung des Kommunismus wird nur
ein eingefleischter Kommunist als "Katastrophe" ansehen. Könnte mit
den Katastrophen vielleicht die schlechte Versorgungslage gemeint sein? Diese
ist durchaus nichts Neues, sondern eine Erscheinung, die die Sowjetunion seit
langem begleitet. (Hier könnte man aber eventuell eine gewisse Übereinstimmung
behaupten: Mit den "gewaltigen Katastrophen" sei die in den
vergangenen Jahren in den Städten besonders schlechte Versorgungslage gemeint,
die zwei Folgen hat: Sie verstärkt den latenten Antisemitismus, der die
russischen Juden dazu bringt, sich um eine Ausreise zu bemühen. Und sie
erzwingt eine noch stärkere Anlehnung der GUS an den Westen und somit auch eine
verstärkte Liberalisierung.)
Drittens kann auch jetzt
nur ein kleiner Teil ausreisen: 1991 kamen 140.000 russische Juden nach Israel.
Das ist sicherlich sehr viel, aber doch nur ein Bruchteil der ca. 2,7
Millionen.
e) Folgen der russischen Liberalisierung
Diese könnten in zwei gegenläufige Richtungen gehen:
Erstens kann es zu einer
zunehmenden Auswanderung kommen. In bezug auf Lightles Vision bedeutet das
jedoch, daß erstens (wahrscheinlich) der Reiseweg falsch ist und zweitens die
Ursache: nicht aufgrund von Katastrophen erzwungen, sondern aufgrund
politischen Wandels (liberal statt kommunistisch).
Zweitens kann es sein,
daß viele Juden sich in der GUS wohlfühlen: Sie bekommen einen größeren
Spielraum, um ihre Kultur zu pflegen, der Antisemitismus wird zumindest seitens
der Regierung nicht mehr gefördert, da diese sich mehr westlich orientiert. So
wollen sie dann gar nicht mehr nach Israel ausreisen (wie das ja auch die
westeuropäischen und amerikanischen Juden kaum tun). Mit einem gewissen Risiko
würden sie ja auch in Israel leben müssen, und eine solche Umstellung -
Wohnort, Klima, Sprache - fällt vielen schwer.
f) Finnland
Im Jahr 1980 hatte Lightle eine weitere Vision: "Neben mir an
der Wand hing eine große Landkarte von Finnland. Plötzlich sah ich, wie an der
Grenze zwischen Rußland und Finnland ein Feuer ausbrach. Es sah aus wie ein
richtiges Feuer, mit Flammen und Rauch! Da war ich aber hellwach! Ich schaute
mich um, suchte Wasser, um zu löschen. Aber die Landkarte verbrannte nicht. Wie
gebannt beobachtet ich dieses Schauspiel: 'Herr Jesus, was passiert da?'
Wieder sprach die mir
schon vertraut gewordene, leise Stimme: 'Erinnerst du dich an die Vision von
1974?' Wie sollte ich sie vergessen haben!
Da sah ich die gleiche
Vision wieder vor meinen Augen. Aber diesmal konnte ich meine Aufmerksamkeit
mehr den Einzelheiten widmen. Mir fiel auf, daß die Juden im nordwestlichen
Teil der Sowjetunion nicht über die 'Autobahn' zogen, die über Polen nach
Westeuropa führte.
'Herr, warum schließen
sie sich diesem Zug nicht an?'
'Diese Juden werde ich
durch Finnland in die Freiheit bringen. In meiner Güte werde ich Finnen und
Deutschen die Chance geben, mein geliebtes Volk zu segnen.'
'Herr Jesus, was soll ich
mit diesen neuen Eindrücken anfangen?' fragte ich aufgewühlt.
'Hast du mich nicht um
ein Wort für heute abend gebeten? Hier hast du es. Geh hin und gib diese
Botschaft den Finnen weiter!'
So gab ich an diesem
letzten Abend in Finnland die Botschaft über den Auszug der Juden aus Rußland
weiter. Und ich sprach über die Verantwortung, die Finnland dabei haben
wird." (S.41f)
In dieser Vision von 1980
wurde also der Inhalt der Vision von 1974 bestätigt sowie präzisiert. Nicht nur
Deutschland, auch Finnland werde eine wichtige Rolle spielen. Warum gerade
diese beiden Länder? Menschlich gedacht, könnte man hier den damaligen
politischen Zustand als wesentliche Ursache vermuten: Deutschland und Finnland
als jene Länder, die erstens an den Ostblock grenzen und zweitens viele
evangelikale Christen haben. Denn diese Christen sollten sich auf diesen
Massen-Exodus vorbereiten. Doch damit kommen wir zu einem weiteren Punkt: Auch
andere Christen haben, unabhängig von Lightle, diese Botschaft empfangen!
g) Vielfach bestätigt oder Massenverführung?
Lightle und Mühlan beschreiben in ihrem Buch, daß viele weitere
Christen die gleiche Botschaft empfangen haben: Teils völlig unabhängig von
Lightle, teils ein Stück weit vorbereitet in dieser Richtung, bevor sie von
Lightle hörten.
Dieser Befund macht es
schwieriger, an die Prüfung dieser Botschaft heranzugehen. Wer bin ich, daß ich
das, was so viele Christen empfangen habe, von oben herab beurteilen und dann
eventuell kurzerhand vom Tisch fegen will? Wenn es von Gott ist - widerstrebe
ich mit meiner Skepsis dann dem Heiligen Geist? Wie Mühlan sagte: "Wenn es
jetzt immer noch jemand schwerfällt, diesen Aussagen zu glauben, muß er sich
die Frage gefallen lassen, ob es tatsächlich möglich ist, daß sich so viele
aufrichtige Christen so tiefgreifend täuschen konnten." (S.108)
Eberhard Mühlan beschreibt,
daß er von einem Skeptiker zu einem Anhänger wurde, als er sich selbst davon
überzeugt hatte, wie viele Christen diese Botschaft empfangen hatten. Und er
selbst meinte zu erkennen, daß er sich an Lightles Buch beteiligen soll -
ungeachtet des dabei klar erkannten Risikos: "Was ist, wenn alles
Einbildung ist? Wenn Steve sich geirrt hat und dann das Ganze ist sich
zusammenfällt, so wie wenn jemand mit einer Nadel in einen Luftballon sticht?
Dann schaue ich aber dumm aus der Wäsche!" (S.61) Aber Mühlan wollte Gott
gehorchen: "dann dieser Auftrag, ein Buch zu schreiben! Nicht irgendeins,
sondern ein Buch, durch das ich schnell zum Gelächter und Gespött werden
könnte. Trotz dieser Bedenken wünschte ich nichts sehnlicher, als das zu tun,
was dem Willen Gottes für mich entsprach. So brannte dieser Auftrag wie ein
Feuer in mir, das ich nicht löschen konnte. In seiner grenzenlosen Liebe
überzeugte mich er Herr, so daß ich ihm gehorsam war." (S.62)
Mühlan nahm Kontakt mit
jenen Christen auf, die eine ähnliche Botschaft wie Lightle empfangen zu haben
meinten: "So bereiste ich im Februar und März 1983 die Länder Dänemark,
Schweden, Finnland, Holland und Deutschland. Ich suchte Christen auf, von denen
ich gehört hatte, daß Gott ihnen Dinge in bezug auf einen Exodus der Juden aus
der Sowjetunion geoffenbart hatte.
Was ich vorfand, übertraf
alle meine Erwartungen. Ich war als Skeptiker losgefahren und kehrte als ein
von dem wahren Sachverhalt der Berichte Überzeugter zurück." (S.64)
Auf diese Berichte kommen
wir noch zu sprechen. Jedenfalls wird es bei einer so großen Anzahl von Zeugen
schwer, dagegen aufzustehen. Gleichzeitig gilt aber auch: Falls diese
Botschaft doch falsch ist, handelt es sich hierbei um eine riesige Massenverführung!
Wobei hier die Verführung wohl weniger durch einen bestimmten Menschen
erfolgen würde (wenngleich Lightle durch seine Vortrags- und
Publikationstätigkeit sicherlich beiträgt dazu), sondern wohl eher durch einen
Geist.
In Holland betete eine
Gruppe von Christen dafür, daß ein bestimmter Grenzabschnitt von 60 km Länge
zwischen Deutschland und Holland für die Juden geöffnet sein soll - wenn es
soweit ist. "So fuhren wir einige Monate lang jeden Montag an die Grenze
und beteten für den uns von Gott bezeichneten Grenzabschnitt." (Warum
haben sie damit wieder aufgehört?) Andere Gebetsgruppen beteten für andere
Grenzabschnitte (S.95). Falls sich diese Christen geirrt haben und niemals ein
Massenexodus russischer Juden nach Holland stattfinden wird, dann setzen hier
Christen viel Zeit und Kraft für eine unnötige Sache ein.
Wie aussagekräftig ist
es, wenn so viele Christen sagen, sie haben von Gott eine solche Botschaft
empfangen? Läßt sich das nur durch ein großes, übernatürliches Wunder erklären?
Wir müssen zuvor festhalten, daß diese Christen bereits wesentliche Voraussetzungen
mitbringen: Erstens rechnen sie mit dem nahen Ende, und zweitens erwarten sie
die Sammlung der Juden, vor allem der russischen, und deren Rückführung nach
Israel. Und damit ist der Kern der Botschaft bereits gegeben! Daß viele
Christen meinen, daß demnächst die russischen Juden ausreisen werden, betrachte
ich daher nicht mehr als ein Wunder, das sich nur auf übernatürliche Weise
erklären läßt.
Zu diesem bereits
vorgegebenen Kern kommen jedoch noch Einzelheiten hinzu, nämlich eine
zeitliche und eine örtliche Präzisierung: Die örtliche Präzisierung liegt in
der Festlegung des Reiseweges. Die zeitliche Präzisierung besteht darin, daß
diese Christen damit rechnen, daß die russischen Juden auf ihrem Reiseweg - also
außerhalb der UdSSR und Israels - eine zeitlang untergebracht werden müssen.
(Das müßte ja nicht sein, es könnte sich ja auch so abspielen, daß diese Juden
rasch durchziehen.) Diese Präzisierung könnte also durch eine Eingebung Gottes
zustandegekommen sein. Nun auch diese Präzisierung vorausgesetzt, ist die
praktische Schlußfolgerung, daß sich die Christen der betreffenden Länder auf
die Aufnahme der Juden vorbereiten sollen, ziemlich naheliegend. (Vor allem in
Kreisen, wo unter Hinweis auf 1.Mose 12,3 wiederholt betont wird, daß wir die
Juden segnen sollen.)
Was die örtliche (und
wohl auch die zeitliche) Präzisierung betrifft: Diese wirkt derzeit sehr
unwahrscheinlich. Damit will ich aber noch kein abschließendes Urteil treffen.
h) Vorbereitungen seit über zehn Jahren
Lightle hatte vorerst damit gezögert, seine Vision bekanntzumachen.
Unmittelbar nach Erhalt (1974) gab er sie in einer Gebetsgruppe in
Braunschweig wieder, nach der 2.Vision bezüglich Finnland (1980) sprach er dort
darüber, danach noch zwei weitere Male (1981/82). "Aber gegen Ende des
Jahres 1982 bezeugte mir der Heilige Geist, daß nun die Zeit des Schweigens
vorüber sei. Ich erhielt den Auftrag, in der ganzen Welt über die Vision zu
sprechen, damit die Menschen vorbereitet seien. Ein Werkzeug zur
Weiterverbreitung der Botschaft soll dieses Buch sein, ..." (S.58)
Demnach will Gott die
Christen seit einem Jahrzehnt darauf aufmerksam machen - damit diese
Vorbereitungen treffen können. Wenn sich auch ein letztes Urteil über diese
Vision noch nicht fällen läßt, so kann man zumindest soviel festhalten: Je mehr
Zeit seither verstreicht, desto fragwürdiger werden einige Vorbereitungsmaßnahmen
- von denen 1983 in Lightles Buch berichtet werden:
Es werden viele russische
Bibeln für jenen Exodus bereitgehalten, die in der Zwischenzeit einen
wichtigen Dienst hätten tun können. Ein Finne konnte nur einen Teil von 25.000
russischen Bibeln in die UdSSR schmuggeln. 10.000 mußte er bei sich lagern.
Nach Lightles Vortrag wußte er, daß er diese für die russischen Juden
zurückbehalten solle (S.73). In Berlin wurden 4000 russische Bibeln an
Christen verteilt, die sie für die dereinst dort durchziehenden russischen
Juden aufheben sollten (S.97). Weitere 200.000 waren auf dem Weg nach Berlin:
"Ein Teil dieser Bibeln wird sicherlich noch in die Sowjetunion gelangen
können. Der andere Teil wird gelagert, um für den Exodus der Juden bereitzustehen."
(S.98)
In Finnland lernen
mindestens 100 Christen, vielleicht auch ein Vielfaches davon, Russisch, um mit
den dereinst durchreisenden russischen Juden sprechen zu können (S.66). (Ist
vielleicht ein Teil der Russischlernenden mittlerweile schon gestorben?)
Wenn Nahrungsmittel
gelagert werden, ist zu befürchten, daß manches davon mittlerweile verdorben
ist. Ein Finne lagerte seit 1977 jeweils 10% seiner Ernte, um damit dereinst
die durchziehenden russischen Juden ernähren zu können (S.43f). Im Sommer 1992
müßte es also bereits die 16.Ernte gewesen sein, von der er 10 % zurücklegt. In
Dänemark "haben einige ihre Wohnungen hergerichtet und kleine
Lebensmittel- und Kleiderlager angelegt" (S.83). Ein Holländer berichtete:
"Eine ganze Reihe von Christen hat sich einen Vorrat an Lebensmitteln
angelegt. Ich kenne ein riesiges Kleiderlager. Gerade kürzlich wurden dort für
18.000 Gulden neue Kleider eingelagert." (S.94)
Es wird auch Wohnraum
bereit gehalten. Dieser kann zwar kurzfristig anderweitig eingesetzt werden,
aber doch immer nur "auf Abruf", da er ja jederzeit beziehbar sein
soll - für den Exodus, der jederzeit losbrechen kann. In Finnland hatte ein
Mann Anfang 1980 den Eindruck, er sollte 5 Lagerhäuser zu kaufen, um eine große
Menge Menschen beherbergen zu können. Aufgrund von Lightles Vortrag dachte er
dann, daß diese Menschen russische Juden sein werden (S.43). Als Mühlan 1983
mit ihm sprach, stellte sich heraus, "daß er inzwischen aufgrund
beruflicher Schwierigkeiten einige Häuser abgeben mußte, aber immer noch eine
Halle ... bereithält" (S.67f).
Das war jetzt nur ein
Ausschnitt der in Lightles Buch berichteten Beispiele. Vielleicht noch ein
letztes Beispiel aus Holland: 1978 bekommt eine Krankenschwester von Gott den
Auftrag, Russisch und Arabisch zu lernen. In ihrem Haus sollte sie dereinst
kranke russische Juden pflegen. Gemeinsam mit einer anderen Krankenschwester
wird sie dann 15 Personen pflegen und insgesamt bis zu 50 Personen aufnehmen
können. "Wir haben Betten und Decken gesammelt, alles an Medikamenten
gelagert, was ein kleines Krankenhaus braucht, und haben genügend Lebensmittel,
so daß wir drei Monate ohne Hilfe von außen auskommen können." Damit
"das Haus zur richtigen Zeit leer stehen wird", haben sie keine neuen
Menschen mehr aufgenommen; 1982 starb der letzte Pflegegast. "Unser Haus
ist nun vorbereitet." (S.89) Fassen wir zusammen: Um 1980 merkt sie, sie
soll sich vorbereiten; die Medikamente sind nunmehr Jahrzehnte alt (also wohl
schon verdorben?), das Haus wird seit Jahrzehnten nicht mehr für die
Krankenpflege genützt (zwischendurch wurde ein Büro für ein christliches Werk
dort eingerichtet) ... Das alles klingt sinnvoll, wenn bald darauf die
erwartete Situation eintritt, aber je mehr Zeit vergeht, desto komischer wirkt
es.
i) Wann wird der Exodus geschehen?
Auf einen genauen Zeitpunkt legt sich Lightle nicht fest:
"Ich weiß nicht, wann dieser Exodus stattfinden wird." (S.162) Aber
er läßt den Zeitpunkt auch nicht einfach völlig offen, denn er fügt hinzu:
"Da sich nun die Situation der Juden in der Sowjetunion so zugespitzt hat
und unser Herr diese Gedanken so vielen seiner Boten unabhängig voneinander in
einem relativ kurzen Zeitraum persönlich bestätigt hat, bin ich mir sicher, daß
unsere Generation es erleben wird." Die hier genannte zeitliche
Bestimmung ("unsere Generation") läßt sich zur Not auch sehr
ausdehnen. Man könnte an 30 Jahre denken; wenn es sein muß, kann man den
Zeitraum auch auf die gesamte Lebensspanne eines Menschen ausdehnen.
Dabei ist jedoch daran zu
erinnern, daß alle die genannten Vorbereitungen nur dann sinnvoll sind, wenn
mehrere Jahre darauf das erwartete Ereignis eintritt. Nehmen wir einmal an,
Christen
erhalten den Eindruck, sie sollten sich vorbereiten, und danach
vergehen 20 Jahre bis zu dem erwarteten Ereignis. Wenn 100 Christen aller
Altersstufen beginnen, Russisch zu lernen, so ist - gemäß der
Wahrscheinlichkeitsrechnung - zu erwarten, daß nach 20 Jahren etwa ein Drittel
davon gestorben ist. Tausende russische Bibeln lagen 20 Jahre ungenutzt herum.
Ein großer Teil der gelagerten Medikamente sind mittlerweile unbrauchbar
geworden. Vielleicht auch ein Teil der Lebensmittel, aber zumindest ist es sehr
mühsam, einen großen Lebensmittelvorrat anzulegen und diesen auch immer wieder
rechtzeitig vor dem Verderben zu verbrauchen und zu ergänzen. Richtig sagt
daher Mühlan: "Vorausgesetzt, diese Christen haben sich nicht geirrt, kann
es nicht mehr allzuviele Jahre dauern, bis dieses Ereignis eintreffen
wird." (S.110)
Somit erweckt Lightles
Buch beim Leser den Eindruck, daß die vorhergesagten Ereignisse innerhalb eines
kurzen Zeitraumes stattfinden werden, selbst wenn Lightle sich nicht präzise
festlegt. Dieser Eindruck wird auch durch Äußerungen der folgenden Art
verstärkt:
"Die Ereignisse auf
der Weltbühne steuern mit rasantem Tempo auf das Ende zu." (S.163)
j) Entrückung und Jesu Kommen auf lange Zeit verschoben
Wenn jemand mit der Sammlung aller Juden nach Israel rechnet, so
bleibt noch immer die Frage des Zeitpunktes: Muß diese Sammlung unbedingt vor
Jesu Wiederkunft bzw. vor der Entrückung der Gemeinde geschehen sein? In einer
Besprechung von Lightles Buch meint F.A. Tatford: "Die zukünftige Sammlung
Israels wird offensichtlich bei dem Erscheinen des Messias auf diese Erde
stattfinden, nachdem die Gemeinde bereits entrückt ist ..." (deutsche
Übersetzung in Bibel und Gemeinde 1986, S.328-331) Gemäß dieser Sicht haben die
Christen nicht die Aufgabe, sich auf die vorübergehende Aufnahme russischer
Juden vorzubereiten.
Wenn jemand jedoch meint,
daß die Sammlung der Juden in Israel noch zur Zeit der auf der Erde lebenden
Gemeinde erfolgen soll, so ließe sich folgendes Szenario vorstellen: Aus
irgendeinem Grund (z.B. der latent vorhandene Antisemitismus führt zu wilden
Pogromen) wollen alle russischen Juden fliehen. Israel kann jedoch pro Jahr
nur etwa 100.000 Neuansiedler integrieren. Die anderen müssen vorerst außerhalb
Israels warten. Die osteuropäischen Länder sind zu arm, um weitere Millionen zu
versorgen. Die westeuropäischen Länder erklären sich bereit, das zu tun, wobei
die auf einen solchen Fall bereits vorbereiteten Christen eine wichtige Unterstützung
darstellen. Die Unterbringung der russischen Juden wird sich dann doch über
einige Zeit erstrecken, so daß verschiedene Vorbereitungen (bereitgestellte
Wohnräume, russisch lernen) sich als durchaus sinnvoll erweisen. Lightles
Vision würde sich dann doch als richtig herausstellen. Wie lange würde es dann
dauern, bis alle russischen Juden in Israel integriert sind? Wenn wir nun von
einer jährlichen Zahl von 100.000 ausgehen, würde es 25 Jahre dauern, bis 2,5
Millionen in Israel aufgenommen wurden. Die Entrückung bzw. Jesu Kommen wären
damit in einige Ferne gerückt. (Wenn jemand meint, daß alle mindestens 10
Millionen außerhalb Israels lebender Juden nach Israel kommen müssen, bevor es
zur Entrückung/Wiederkunft kommt, würde es gemäß der angenommenen Integrationsgeschwindigkeit
noch 100 Jahre dauern!)
Daß Lightle einen hohen Anspruch erhebt und keinen Zweifel daran
läßt, daß Gott es war, der zu ihm geredet hat, wird in seinen Äußerungen immer
wieder deutlich, auch in den hier zitierten. Ich kann daher darauf verzichten,
diesen Punkt gesondert nachzuweisen.
7. Missionar unter Moslems:
Marius Baar
"Die Aussagen über den Islam sind weitgehend unzuverlässig.
Bei aller Notwendigkeit, vor dem Islam zu warnen, sollte man ihn doch
wenigstens kennen, bevor man über ihn schreibt. ... Es ist bedauerlich, daß
... die spekulative Endzeitmystik in immer neuen Systemen einen Höhenflug
erlebt, der vielen den Blick dafür verstellt, was in der Bibel wirklich klar
und deutlich gesagt wird."
(Thomas Schirrmacher in seiner Besprechung von Baars Buch
"Nahost: Auftakt zu Weltbrand oder Weltfrieden?", in: Bibel und
Gemeinde 1990, S.331.)
Marius Baar hat 25
Jahre im Tschad unter Moslems missioniert. Er glaubt, daß der Antichrist weder
aus der röm.-kath. Kirche, noch aus der EG, noch aus der UNO, noch aus der New
Age-Bewegung, sondern aus der islamischen Welt hervorgehen wird (Abendland
23-26.44f.54). Er sieht die Weltgeschichte als einen Kampf zwischen Arabern und
Israel, beginnend mit der Auseinandersetzung zwischen Ismael und Isaak. Sie
setzt sich fort mit der Auseinandersetzung zwischen Mohammed und seinen
Nachfolgern einerseits und Jesus und seinen Nachfolgern andererseits.
Wir befassen uns hier mit
einem früheren Buch von Baar: Das Abendland am Scheideweg. Ismael oder Israel -
Koran oder Bibel - Mohammed oder Jesus? (1979). Es hatte einen enormen Absatz:
5 Monate nach Erscheinen war bereits die 6.Auflage gedruckt. Mittlerweile ist
es vergriffen und durch andere Bücher Baars ersetzt: Das oben von Schirrmacher
kritisierte Buch Nahost: Auftakt zu Weltbrand oder Weltfrieden?
Erbschaftsstreit zwischen Ismael und Isaak um Volk, Land und Segen kam
ursprünglich 1984 heraus; alleine 1991 erschienen davon 2 Nachdrucke. Ein
weiteres Buch, Zeitbomben der Weltgeschichte. Nahost - die Folgen eines
jahrhundertealten Missverständnisses, 1991 erschienen, wurde bereits im selben
Jahr nochmals aufgelegt.
a) 'In einigen Monaten oder Jahren ...'
Auch in Baars Sicht werden die Endzeitereignisse nicht lange auf
sich warten lassen: "Im Nahen Osten strebt alles mit rasender
Geschwindigkeit einem Höhepunkt zu." (S.32)
Im Unterschied zu vielen
Dispensationalisten (diesen Begriff erläutere ich am Beginn von Kap.A,10e)
rechnet Baar nicht mit dem Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem. Das würde ja
die vorherige Zerstörung der auf dem Tempelplatz stehenden Moschee erfordern,
was die Araber nicht erlauben würden. "Rechnen wir mit dem Wiederaufbau
des Tempels, dann müssen wir mit der Vernichtung der heutigen Weltstruktur,
einschließlich des Islam und der Ölmächte, und mit einer neu aufsteigenden
Macht rechnen. Das aber würde die Endzeit in eine ziemlich weit entfernte
Zukunft rücken." (S.166) Und das wiederum darf nicht sein, denn gemäß der
Demnächsterwartung steht es doch fest, daß wir es sind, die die Endzeitereignisse
erleben werden. Diese werden doch sehr schnell kommen, daher muß auch die
heutige politische Konstellation jene sein, die die unmittelbare Ausgangsbasis
für die biblischen Endzeitereignisse darstellt.
Wenn diese
Endzeitereignisse vor der Tür stehen, dann kommt eine schwere Zeit auf die Welt
zu - insbesondere auf Europa, das erstens durch einen kommunistischen Angriff
teilweise überrannt, zweitens von den Arabern mittels des Öls unter Druck
gesetzt werden wird: "Die kommenden Wochen und Monate, vielleicht auch
Jahre, werden für das Abendland sehr schwer werden." (S.213) Daß Baar vor
allem an Wochen und Monate denkt, die Möglichkeit daß es noch Jahre sind eben
bloß als "vielleicht" sieht, zeigt, wie rasch er sich die ganze
Entwicklung vorstellt.
Wie schnell alles laufen
sollte, zeigt sich auch daran, daß ein Jahrzehnt eine zu lange Zeit ist:
"Das Wettrennen um neue Rohstoff- und Energiequellen ist verloren. Denn
vorausgesetzt, daß Öl gefunden wird, benötigt man etwa 10 Jahre, um die
Ölquellen zu erschließen und ausbeuten zu können. Frage: Bleibt uns noch soviel
Zeit?" (S.56) Seit 1979 sind 13 Jahre vergangen, Baars Hektik erwies sich
als übertrieben.
So sammelt er auch eifrig
Zitate, die es wahrscheinlich machen, daß es rasch zu diesen Endzeitereignissen
kommt: "Der PLO-Führer Arafat glaubt an einen unmittelbar bevorstehenden
Krieg. Ein fünfter Nahost-Krieg steht auch nach Ansicht des früheren Leiters
der militärischen Abteilung der palästinensischen Befreiungsaktion, Zouheir
Mohsen, unmittelbar bevor." (S.214)
"Das Waffenlager um
Harmagedon (Hesekiel 38) wird mit den neuesten und modernsten Waffen aus Ost
und West beliefert. Wann die Schlacht stattfindet, ist nur noch eine Frage der
Zeit." (S.227) Das mag stimmen, aber Baar möchte die "Frage der
Zeit" nicht offenlassen, sondern die Antwort weitgehend festlegen: Jetzt
gleich kommt es.
b) Die Tatsachen müssen sich dem vorgefaßten Bild beugen
Baar betreibt Schwarz-Weiß-Malerei. Der Westen sei uneinig, die
arabische Welt schon ziemlich einig: "Es gibt nichts mehr, was die
westliche Welt auf einen Nenner bringen könnte, weder in der Politik, noch in
der Gesellschaft, noch im Blick auf Devisen und Währung. ... Der Nahe Osten
einigt sich mehr und mehr auf jedem Gebiet, und was ihn vor allem zusammenschließt,
ist die geistige Macht des Islam." (S.50f)
Soweit Baar 1979. Der
Golfkrieg 1991 zeigte ein anderes Bild: Da war sich die westliche Welt auf
Regierungsebene ziemlich einig, während die islamische Welt zutiefst gespalten
war. So stimmt es auch nicht, daß "das Abendland und Amerika" sich
"im Zustand der Ohnmacht befinden" (S.48).
Daß sich die Araber zu
einem gemeinsamen Reich unter einem gemeinsamen Führer zusammenschließen, ist
nicht sicher. Jedenfalls sind wir seit 1979 diesem Zustand um nichts
nähergerückt. Daß ein solches geeintes arabisches Reich das stärkste Reich der
Welt wäre, ist auch durchaus nicht sicher. Was ist mit den USA, mit der EG, mit
Japan? Für Baar erschien das alles 1979 schon sehr deutlich: "Der Islam
wird die Kraft des zukünftigen stärksten Reiches sein ... Wer dies heute noch
nicht sieht, der treibt Vogel-Strauß-Politik." (S.36)
Ist Europa heute,
wirtschaftlich gesehen, ein Zwerg? Baar hat es erwartet: "Während in
Europa und Amerika alles ins Stocken gerät, und das Abendland verzweifelt aus
der Krise zu kommen sucht, bricht in den Ländern am Persisch-Arabischen Golf
das goldene Zeitalter an. ... Europa wird bald neben diesen Staaten nur noch
als Zwerg erscheinen, dazu noch als ein armer Zwerg. Das arabische Wirtschaftswunder
hat begonnen." (S.28.30)
Um die sich anbahnende
Bedeutung der Moslems zu unterstreichen, bedient sich Baar fragwürdiger
Argumente, etwa im Hinblick auf die Bevölkerung der UdSSR: "Seit einem
Jahrhundert nimmt die Zahl der Russen als ethnische Gruppe ab, dagegen wächst
die Zahl der Moslems in Rußland. Ende dieses Jahrhunderts werden es ungefähr
100 Millionen sein, also über ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Ein Beweis
dafür, daß die religiöse Dynamik des Islam dem dialektischen Materialismus der
Russen überlegen ist." (S.219) Aus der größeren Vermehrungsrate kann man
nicht auf die Überlegenheit einer Weltanschauung schließen.
c) Bewertung
An manchen Stellen gesteht Baar seine Fehlbarkeit ein. Schon der
im Inneren des Buches gelieferte Untertitel klingt bescheiden: "Versuch
einer Deutung der endgeschichtlichen Prophetie" (S.3). Wenn wir uns jedoch
an die zuvor zitierten Aussagen erinnern: Dabei zitiert Baar durchaus nicht in
Möglichkeitsform, sondern sagt, was geschehen wird. Bescheiden klingt auch
folgendes Eingeständnis: "Ich beanspruche nicht, die einzig richtige
prophetische Schau unserer Zeit zu haben." (S.13) Doch Baar erläutert, was
er sehr wohl beansprucht: "Ich habe aber durch meine jahrelangen
Erfahrungen mit dem Islam und dem Evangleium ein intuitives Verständnis für die
Entwicklung des aufwachenden Riesen im Nahen Osten und auch für die
gegenwärtige allgemeine Entwicklung bekommen. So glaube ich aufgrund meiner
Erkenntnis eine Botschaft für unsere Zeit zu haben, selbst wenn diese vielen
nicht in ihre Weltanschauung paßt und sie durch diese Zeilen schockiert werden.
Möge solch ein Schock für viele heilsam sein!"
Ist Marius Baar ein von Gott beauftragter und begabter Ausleger
der biblischen Endzeitprophetie?
1. Löst man seine
Botschaft aus dem zeitlichen Rahmen, so würde sie lauten: 'Der irgendwann
einmal auftretende Antichrist wird aus dem Islam kommen'. In dieser Form könnte
die Botschaft stimmen.
2. Baar hat eher eine
Grundbotschaft, weniger eine Festlegung auf viele einzelne Ereignisse. insofern
gibt es bei ihm nicht viele Punkte, wo er unrecht behalten kann. Soweit er aber
doch an manchen Stellen die große zeitliche Nähe des Auftretens des
Antichristen betont, war er voreilig, denn man muß festhalten, daß inzwischen
doch schon mehr als ein Jahrzehnt vergangen ist. Je mehr Zeit seither
verstreicht, desto fraglicher wird es, ob es wichtig war, die Christen im Jahr
1979 darauf hinzuweisen, daß der Antichrist ein Moslem sein werde. Sollen die
Christen all die Jahrhunderte hindurch jedem Moslem besonders argwöhnisch gegenüberstehen?
Unser Urteil über eine Religion muß auf sachlichen Gründen beruhen, nicht
darauf, daß aus dieser Religion vielleicht irgendwann der Antichrist
hervorgehen könnte. (Dieses Grundbedenken gilt für jede Antichrist-Spekulation.)
3. Die Entwicklung der
letzten 13 Jahre ist eher anders gelaufen als von Baar prognostiziert. Das hat
seinen Grund zum Teil darin, daß bereits Baars Einschätzung der Situation im
Jahr 1979 verzerrt war. Der Bereich des Islam ist weit von einer Einheit
entfernt: Hier Irak, dort Iran; hier reiche Länder (Saudi-Arabien, Kuweit),
dort arme (Jordanien, Ägypten); hier israelfeindliche Regierungen, dort das mit
Israel friedensvertraglich arrangierte Ägypten. Die wirtschaftliche Stärke
einiger arabischer Staaten ist beachtlich, aber im Wachsen sind EG und vor
allem Japan. Und was militärisches Engagement betrifft: Die USA der Ära
Reagan/Bush haben wiederholt die Bereitschaft dazu gezeigt (Libyen, Panama,
Kuwait).
8. Herausgeber verbreiteter Endzeitzeitschriften:
Wim Malgo
Wim Malgo wurde 1922
in Holland geboren. 1976 erhielt er vom American Christian College in Tulsa
(USA) ein Ehrendoktorat für Literatur. Da amerikanische Colleges im allgemeinen
zwar Ehrendoktorate vergeben können, aber keine regulären Doktorate - dazu
erforderliche Fachstudien finden dort nicht statt -, ist ein dort erhaltenes
Ehrendoktorat auch nicht überzubewerten. Ich weise deshalb darauf hin, weil in
manchen von Malgos Büchern - z.T. schon vorne am Deckblatt, z.T. hinten - "Dr.
Wim Malgo" geschrieben wird. (Im allgemeinen heben Verlage es nicht auf
dem Titelblatt hervor, wenn der Autor das Doktorat hat.) Seine Bücher und
Zeitschriften befassen sich hauptsächlich mit Zukunftsfragen. Vor allem die
Monatsschrift Mitternachtsruf fand weite Verbreitung. Das kostenlos abgegebene
Buch Was sagt die Bibel über das Ende der Welt? wurde in mehr als 20 Sprachen
übersetzt und in insgesamt über eine Million Exemplaren aufgelegt.
Malgo ist ein engagierter
Kämpfer, der über weite Teile der sog. Christenheit ein sehr klares Urteil hat:
"Man muß mal solche Theologieprofessoren reden hören, welch ödes Zeug da
heruntergeleiert wird, oder lesen, was zum Beispiel der Papst alles erzählt;
frommes Gerede ohne geistliche Substanz. Aber die Masse strömt herzu,
Hunderttausende von Menschen, obwohl das, was der Mann sagt, so leer und so
nichtssagend ist, daß man entsetzt fragt: Wo stehen wir denn heute?"
(Israel 24)
a) Worauf legt der russische Bär demnächst seine Pranken?
Um diese Frage geht es in Malgos Buch Der beschleunigte Aufmarsch
Russlands nach Israel (1980). Wie schon der Titel zeigt, hat Malgo sich hier in
einer Richtung festgelegt, die durch die Gorbatschow-Wende in der Sowjetunion
mittlerweile sehr unwahrscheinlich wurde. Natürlich könnte die Entwicklung
irgendwann einmal doch in diese Richtung gehen, das schließe ich keinesfalls
aus. Aber Malgo hat ja nicht bloß gesagt, was passieren wird, sondern auch,
wann es passieren wird: nämlich sehr bald. Wir müssen bei der Betrachtung
seines Buches auch immer die zeitlichen Näherbestimmungen beachten.
Malgo fällt auf,
"daß der Zug Rußlands nach dem Persischen Golf und nach Israel in der
letzten Zeit sehr stark geworden ist. Warum das? Weil die Wiederherstellung
Israels eine Tatsache ist, und die Entrückung der Gemeinde Jesu vor der Tür
steht". (S.11) Also: Jetzt gleich kommt die Entrückung, und deshalb
erobert die Sowjetunion den Mittleren Osten. "Noch hat der 'russische Bär'
erst Afghanistan eingeheimst, aber bald schon wird er seine Pranke auf den Iran
legen." (S.35) Es kam anders, der Bär hat seine Pranke nicht nur von
Afghanistan zurückgezogen, sondern auch von anderen Ländern wie den baltischen
Staaten.
Zu beachten ist ja
zweierlei: Erstens betont die Sowjetunion jetzt stärker das Selbstbestimmungsrecht
der einzelnen Völker. So durfte sich auch der Warschauer Pakt auflösen, so ist
jetzt sogar ein Ausscheiden einzelner Republiken aus der Sowjetunion möglich.
Ein völliges Rückgängigmachen dieser Entwicklung innerhalb der nächsten Jahre
ist unwahrscheinlich. Die kürzlich freigegebenen Länder im Ostblock einfach
wieder zu überfallen, ist ganz ohne international akzeptablen Grund nicht
leicht möglich. Und durch die größere geistige Freiheit, die in den ehemals
sowjetischen Ländern seit einigen Jahren herrscht, gäbe es auch mehr inneren
Widerstand gegen unbegründete Angriffskriege.
Schon früher schrieb
Malgo in seiner Zeitschrift Nachrichten aus Israel: "Schon vor Jahren
betonten wir, daß Persien, das so an den Westen gebunden und mit hypermodernen
amerikanischen Waffen versehen ist, russifiziert wird. ... Kürzlich fiel
Afghanistan in die Hände der Sowjets. Man sagte damals: Die nächsten sind
Persien und Pakistan. Der Weg nach Israel wird gebahnt!" (Okt. 1978,
S.11f)
Da zeichnete sich also der
weitere Verlauf schon klar ab - klarer, als er dann wirklich eintrat. Malgo sah
in der damals beobachteten Entwicklung auch eine Bestätigung dafür, wie nahe am
Ende wir stehen: "Heute ist der Iran nahe zum Punkt gekommen, in
sowjetische Hände zu fallen. Der Überfall Rußlands auf Israel ist näher, als du
denkst. Es ist viel später, als daß du meinst. Letzthin konnte man der Presse
entnehmen, daß sowjetische Truppen intensiv im Kaukasus (Südrußland) für den
Durchstoß zum Persischen Golf üben (lies: ... den Durchstoß nach Israel)."
Und so geht es weiter.
Angesichts der Auflösung
der Sowjetunion wirken Vorhersagen darüber, was mit der Sowjetunion demnächst
geschehen werde, besonders merkwürdig. Vor allem, wenn sie als völlig sicher
hingestellt werden, und die Autorität der Bibel für diese Vorhersagen in
Anspruch genommen wird:
"Die Sowjetunion
bahnt sich ihren Weg durch Afghanistan, die Türkei, den Iran und die
verschiedenen afrikanischen Staaten nach Israel, wo der Großteil ihres Heeres
mit den es begleitenden Satelliten-Staaten bald zugrundegehen wird (vgl. Hes 38
und 39)." (Heil 36) Die Fußnote dazu erläutert: "... Hesekiel 39,6a,
... Hier wird der entsetzliche Dritte Weltkrieg geschildert, der ja
zweifelsohne durch den plötzlichen Angriff der Sowjetunion und ihrer Satelliten
ausgelöst werden wird."
"... daß das
Hitler-Nazi-Reich an Israel zugrundeging, während die Sowjetunion nach dem
untrüglichen prophetischen Wort in Israel zugrunde gehen wird: '...' (Joel
2,19-20 ..." Wie auch sonst öfters werden hier weltliche Autoritäten
herangezogen: "Solschenizyn sagte wörtlich: 'Die sowjetische Wirtschaft
ist so stark auf Krieg eingestellt, daß es nicht mehr in der Macht des
Politbüros liegt, ihn zu verhindern - selbst wenn alle Mitglieder einstimmig
keinen Krieg beginnen wollten.' Dies aber ist die exakte Erfüllung von Joel
4,9-14: ..." (Schatten 181)
Nun hat sich die
Sowjetunion bereits aufgelöst und kann als solche nicht mehr in Israel
zugrundegehen - egal was das "untrügliche prophetische Wort" sagt.
Auch der Weltkommunismus hätte in Israel zugrundegehen sollen: So wußte Malgo
schon 1974, daß "die Sowjetunion, ja der Weltkommunismus schlechthin, an
Israel in Israel zugrunde gehen wird" (Israel 75). Malgo fordert auf, als
Bestätigung Hesekiel 38 und 39 anzusehen, aber dort wird man kaum herauslesen
können, daß Jelzin die kommunistische Partei in Rußland verbieten wird.
Vielleicht sollten wir vorsichtiger werden damit, die jeweilige politische
Situation in prophetische Bibelaussagen hineinzulesen. Dann bleiben uns auch
manche Enttäuschungen erspart! Noch 1990 verband Malgo den bevorstehenden
Untergang des Weltkommunismus mit Hesekiel 38 und 39, also mit einem
gescheiterten Angriff der kommunistischen Heere von Rußland und seinen
Verbündeten auf Israel (Bibel 43).
Israels Feind aus dem
Norden sind laut Malgo "die kommunistischen Armeen" (Israel 184).
Malgo teilt auch die
typische Sorge aller Endzeitautoren mit Demnächsterwartung: Wenn das Ende so
schnell herbeieilt - was ist, wenn es während der Drucklegung dieses Werkes
schon da ist? Dann wären die Aussagen des Buches schon beim Erscheinen des
Buches überholt ... "Wenn bei der Drucklegung dieser Zeilen die Sowjets
noch nicht bis zum Persischen Golf durchgestoßen sind und Israel noch nicht
überrannt haben, so ist es unnötig zu sagen, daß diese letzte Aggression der
Russen bevorsteht." (Aufmarsch 97) Das zeigt deutlich, wie rasch diese
letzten Ereignisse zu erwarten sind: Nämlich schon für die der Niederschrift
des Buches folgenden Monate ...
Ist der russische Angriff
auf Israel nicht bereits im Gange? "Zurückgreifend auf die Erfüllung von
Hesekiel 38 und 39, in der wir schon mitten drin stehen, ist es aufschlußreich
zu sehen, wie die Sowjetunion weiter unter einem unwiderstehlichen Zwang fieberhaft
aufrüstet: ..." (S.99)
Und auch sonst ist vieles
bereits im Gange ...
b) ‚Der 3.Weltkrieg hat bereits begonnen!’
Malgo meint, daß der Dritte Weltkrieg "im Grunde genommen
schon begonnen hat" (Aufmarsch 97). Der Dritte Weltkrieg dauert demnach
länger als der Erste mit seinen 4 Jahren und der Zweite mit seinen knapp 6
Jahren, denn wenn er schon vor 1980 begonnen hat - und er wurde wohl noch nicht
beendet. Solche Äußerungen zeigen, wie nahe die letzten Ereignisse für Malgo
sind, wenn er sie als eigentlich schon geschehend betrachtet.
Hier wirkt auch der
Fehler mit, in winzigen Anhaltspunkten bereits die volle Erfüllung zu sehen:
"Bitte unterschätzt
die antizionistische Resolution vom 11.November 1975 in der UNO nicht. Sie ist
die politische Erfüllung von Sacharja 14,2, wo der Herr sagt, daß Er alle
Heiden nach Jerusalem bringen wird. ... Weltpolitik gegen Zion bedeutet im
Wesen schon Weltkrieg gegen Zion." So zu lesen in einem weiteren Buch
Malgos: Im Schatten von Harmagedon (S.46). Der Titel zeigt, daß es wieder um
das einschlägige Thema geht. Das Buch gibt kein Erscheinungsjahr an; vom Inhalt
her zu schließen dürfte es etwa 1977 erschienen sein.
Auch in diesem Buch
finden wir weit vorgerückte Entwicklungen: "die Welteinheitskirche nimmt
immer klarere Konturen an!" (S.14) Wie klar sind die Konturen heute, mehr
als ein Jahrzehnt danach? Die röm.-kath. Kirche geht auf deutliche Distanz zum
Weltkirchenrat. Malgo dagegen glaubte: "Wenn die römische Kirche auch
noch nicht Mitglied des Weltkirchenrates ist, so wird sie doch immer mehr zum
beherrschenden Faktor dieses religiösen Blockes werden." (S.15)
Auch ohne ausdrückliche
Festlegung auf ein bestimmtes Jahr kann doch dem Leser ein bestimmter Eindruck
vermittelt werden. Malgo resumiert im Jahr 1974: 1912/13 meinten
"Beobachter der weltpolitischen Szenerie", "daß in naher
Zukunft ein Großkrieg ausbrechen müsse" (was 1914 geschah). Anfang der
1930er Jahre meinten viele, Hitler bedeutet Krieg (der 1939 kam). Wann kommt
der nächste Krieg? Malgo: "Die Krisenstäbe der Machtzentren in Ost und
West rechnen mit einer Zuspitzung der Lage für 1975/76," (Israel 155f).
Durch eine solche Zusammenstellung - die zu beweisen scheint, daß es einige
Jahre nach der Ankündigung tatsächlich zu einem Weltkrieg kommt - wird der
Leser zu der Erwartung geführt, daß wenige Jahre nach 1974 wieder ein Weltkrieg
zu erwarten ist. Malgo sagt es auch ganz ausdrücklich: "Heute, Mitte 1974,
können wir optisch wahrnehmen, daß der Kreml die nächste große militärische
Auseinandersetzung vorbereitet. Später wird man dieses Ereignis den 'Dritten
Weltkrieg' nennen."
Heute, knapp 2 Jahrzehnte
danach, hat der 'Dritte Weltkrieg' noch immer nicht begonnen, und der Kreml ist
derzeit auch gar nicht mehr mit dessen Vorbereitung beschäftigt, sondern mit
der Lösung seiner wirtschaftlichen Probleme. (Aber das kann sich natürlich auch
wieder einmal ändern.)
Malgo vernahm 1974 auch
bereits die "dröhnenden Schritte" des Antichristen (Israel 161). Nun
sollte man erwarten, daß derjenige, dessen Schritte Hellhörige bereits vor
knapp 2 Jahrzehnten hören konnten, mittlerweile aufgetreten ist, so daß man nun
weiß, um wen es sich dabei handelt.
c) Ist Jesu Wiederkunft berechenbar?
Malgo zitiert ausführlich einen Kommentar von Albert Springer:
"Es ist uns nicht gegeben, den 'Tag oder die Stunde' der Wiederkehr
Christi zu kennen. Er hat uns aber Anhaltspunkte gegeben, die wir wohl tun, zu
beachten." (Aufmarsch 56) Eine solche Haltung ist von den Zeugen Jehovas
her gut vertraut: Einerseits kennt man das warnende Wort Jesu, andererseits
versucht man dessen Bedeutung abzuschwächen. Etwa in dem Sinn: Die genaue
Uhrzeit wissen wir nicht, aber doch den ungefähren Zeitpunkt. Springer
begründet dann durch mehrere Argumente, daß "eine Generation" mit 40
Jahren gleichzusetzen ist. "Diese Generation wird nicht vergehen" -
das soll heißen: Die Generation, die das Sprießen des Feigenbaumes miterlebt,
wird auch noch das Ende erleben. Jetzt kommt es nur noch darauf an, wie man das
Sprießen des Feigenbaumes datiert. Springer - der wohl schon einige Zeit vor
Malgo geschrieben hat - tut das mit der Gründung des Staates Israel.
Konsequenterweise setzt er fort: "Unsere Meinung ist daher, daß wir von
der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 bis zum Kommen Christi eine
biblische Generation, also 40 Jahre rechnen müssen. Dies bringt uns zum Jahre
1988." (S.57)
Schließlich versucht
Springer noch etwas abzuschwächen: "Diese Zahl soll uns nur als Leitfaden
dienen, denn es ist ebenso gefährlich, eine genaue Jahrzahl für die Wiederkehr
Christi anzuführen, wie Sein Kommen als bevorstehend zu beschreiben." Ein
wahres Wort! Tatsächlich ist es gefährlich. Und zwar nicht nur, eine genaue
Jahreszahl anzugeben, sondern auch eine ungefähre.
Sei es Absicht oder
nicht, bei vielen Endzeitautoren kommt es so heraus, daß sie sich zwar nicht
darauf festlegen, daß das Ende in den allernächsten Jahren kommen müßte -
hierbei wäre auch das Risiko zu groß. Aber dennoch geht es immer in diese
Richtung: Höchstwahrscheinlich kommt es in den nächsten Jahren, sehr lange
(etwa mehrere Jahrzehnte) wird es nicht mehr dauern.
So finden wir es auch bei
Malgo. 1988 war für den Ablauf der gesamten Endzeitereignisse schon etwas
knapp, als Malgo sein Buch 1980 herausbrachte. Wenn bis 1988 auch noch die
7jährige Trübsalszeit Platz finden soll, und die Entrückung davor liegt, müßte
diese ja unmittelbar nach dem Erscheinen von Malgos Buch kommen! Eine
Festlegung auf einen so knappen Zeitraum wäre denn doch sehr riskant. Malgo
dehnt den Zeitraum aus. Wie? Indem er das Sprießen des Feigenbaums mit 1967
datiert, mit der Rückgewinnung der Altstadt Jerusalem. Die 40 Jahre für eine
Generation behält er bei, es bleibt also noch Zeit bis 2007. (Die 7jährige
Trübsalszeit müßte dann spätestens 2000 beginnen.) Auch dieser Zeitraum könnte
einmal knapp werden, aber zur Zeit der Niederschrift erschien dieser Zeitraum
eher lange, denn man könnte als Leser im Jahre 1980 nun denken: Es dauert also
noch 20 Jahre ... Malgo betont nun, daß es schon viel früher kommen könnte:
"Wir haben aber dabei zu überlegen, daß der Herr nicht gesagt hat: 'Wenn
diese Generation vergangen sein wird, dann wird dieses alles geschehen',
sondern ..." (S.59) Die Endzeitereignisse sollen also zur Gänze während
dieser 40 Jahre ablaufen, wobei wir aber nicht wissen, ob die einzelnen
Ereignisse unbedingt zum spätestmöglichen Zeitpunkt stattfinden: "Die
Entrückung muß in Bälde geschehen, weil wir nicht wissen, ob es in des Herrn
Ratschluß liegt, die Zeit einer ganzen Generation, also 40 Jahre, zu
benützen." Die Spannung bleibt somit aufrecht, denn jetzt gleich muß das
so lange Erwartete geschehen!
Das "Wissen"
vom so nahen Ende hat Konsequenzen, auch für den Umgang mit Geld. Dieser soll
natürlich immer verantwortungsbewußt sein, aber so knapp vor dem Ende handelt
es sich nach Malgo um eine ganz besondere Situation. Jetzt wäre es nicht mehr
sinnvoll, für die Zukunft zu sparen. Wenn doch in wenigen Jahren die Entrückung
stattfinden wird ... Bankkonto oder Versicherung erscheinen da überflüssig.
Malgo beobachtet entsetzt: "gibt es noch immer Gotteskinder, die es wagen,
auf ihrem Bankkonto Geld anzuhäufen; sie leben von ihren Zinsen und
Zinseszinsen. ... [er verweist auf Matthäus 6,19] ... Was geschieht denn mit
deinem Sparguthaben, wenn heute die Entrückung stattfindet? Diese Mittel, die
du für die Sache Jesu Christi hättest investieren können, gehen dann in den
Besitz des Antichristen über." (S.65)
Was ist, wenn ein Leser,
solcherart angespornt, seine finanziellen Reserven einer Missionsgesellschaft
(z.B. dem Mitternachtsruf) spendet, und dann nach mehreren Jahren zuwenig Geld
hat? Ist es nicht verantwortungslos, Christen dazu aufzufordern, daß sie ihren
Besitz unter Zugrundelegung der Annahme, daß in einigen wenigen Jahren das Ende
kommt, verwalten sollen?
"Der Herr Jesus kommt
höchstwahrscheinlich zu deiner Lebzeit wieder." (S.72) Malgos Leser sind
in der Mehrheit alte Leute, als Durchschnitt kann man ein Alter von etwa 55
oder 60 Jahren annehmen. Seit 1980 dürfte dann doch ein bedeutender Teil davon
gestorben sein (ein Drittel?). Die von Malgo behauptete "Höchstwahrscheinlichkeit"
traf also nicht zu. (Von "höchstwahrscheinlich" würde ich bei 90%
oder mehr sprechen.)
In dem Buch Was sagt die
Bibel über das Ende der Welt? (1982 oder 83 erschienen) zitiert Malgo den
Futurologen Hermann Kahn, der meint, daß die befürchteten zukünftigen
Katastrophen militärischer und ökologischer Art "nicht vor 1985
Wirklichkeit werden". Malgo dazu: "Und dann? Ja, dann kommt:
Das letzte Gericht, ..." (S.43f) Auch hier wird dem Leser
wieder der Eindruck vermittelt, daß es in den nächsten Jahren soweit ist.
Dabei liefert Malgo
selbst Anhaltspunkte dafür, daß es auch noch länger dauern könnte. Er meint:
"Die dritte und letzte Rückkehr Israels ins Land der Väter hält seit 1948
unvermindert an und wird solange gehen, bis alle Juden heimgebracht sind. ...
in Hesekiel 39,28 lesen wir: 'Also werden sie (die Juden) erfahren, daß Ich,
der Herr, ihr Gott bin, der Ich sie habe lassen unter die Heiden wegführen und
wiederum in ihr Land versammeln, und nicht einen von ihnen dort gelassen habe.'
Je mehr sich aber die Sammlung der Kinder Israels ihrer Vollendung nähert,
desto mehr nähert sich auch die kosmische Katastrophe, von der die Bibel
spricht, ihrer Erfüllung." (Heil 39f) Nun sieht man unter den Millionen in
den USA lebenden Juden wenig Bestreben, nach Israel auszuwandern. So wird sich
auch die Vollendung der Sammlung, wenn man sie wie Malgo so wörtlich nimmt,
noch über einige Zeit hinziehen. Doch setzen wir einmal voraus, alle Juden
wollen nach Israel: Wenn wir ein jährliches Integrationsvermögen Israels von
etwa 100.000 einwandernden Juden zugrundelegen, wird es 100 (!) Jahre dauern,
bis die etwa 10 Millionen außerhalb Israels lebenden Juden in Israel leben.
d) Malgo ein Prophet?
Wie präsentieren sich Malgos Bücher? Das Buch Was sagt die Bibel
über das Ende der Welt wurde mit einem Vorwort von Ulrich Hartmann versehen. Darf der Leser die
Aussagen des Buches in Frage stellen? Ja, wenn er "in Glaubensfragen
unsicher" ist - dann mag ihm "der Inhalt zunächst unrealistisch und
phantastisch anmuten". Wenn er jedoch um das Wirken Gottes auf Erden weiß,
werden ihm "diese Darlegungen lebendige Realität sein" (S.9). Dem
Leser wird hier also von vornherein reiner Wein eingeschenkt, so daß er weiß,
wie er einzustufen ist, wenn er den Inhalt von Malgos Buch in Frage stellt.
Dieses Buch ist, es versteht sich, aufmerksam zu lesen (S.9). Es kommt aber
noch stärker: "Lesen Sie das Buch nicht nur einmal, sondern zwei-,
dreimal, und lassen Sie den Inhalt auf sich einwirken." (S.10) Dann kommt
noch ein Vergleich mit Noah: Wie Noah ausgelacht wurde, so werden auch heutige
warnende Männer Gottes nicht ernst genommen.
Und wenn Noahs Botschaft
von Gott war, die zeitlichen und politischen Festlegungen Malgos dagegen nicht?
Müssen wir dennoch alles, was Malgo sagt, so nehmen, als würde Gott reden?
Malgo bedenkt nicht, daß
er sich bei seinen Bibeldeutungen mitunter in sehr unsichere Gebiete begibt.
Seiner Meinung nach ist das von ihm Präsentierte einfach das, was die Bibel
sagt. So kann er dann auch den Leser anreden: "Lieber Leser, nicht wahr,
du hast innerlich gespürt, daß das, was du bis dahin gelesen hast, die Wahrheit
ist, zumal es die Bibel so sagt." (Bibel 103)
e) Redet Gott durch Sterne, wirkt er durch UFOs?
Wahrscheinlich 1980 erschien Malgos Buch Heilsgeschichtliche
Konstellationen von 1948 bis 1982. Ein mutiges Buch, versucht er darin doch zu
zeigen, daß wichtige irdische Ereignisse (die durchwegs mit Israel in
Verbindung stehen) gleichzeitig mit besonderen kosmischen Vorgängen
stattfanden: teils mit Planetenkonstellationen, teils mit dem Erscheinen von
UFOs. Das können sowohl die Astrologen (das haben sie ja schon immer
behauptet!), als auch die UFO-Anhänger als Bestätigung auffassen, denn bei
Malgo erscheinen die UFOs durchaus positiv, nämlich als Helfer Israels bei den
Nahostkriegen. Doch das ist jetzt nicht unser Thema. Wichtiger ist, daß für
1982 eine besondere Planetenkonstellation erwartet wurde: Alle Planeten unseres
Sonnensystems stehen in einer geraden Linie. Das erzeugte bei Malgo eine
besondere Spannung: Ob das nicht mit der Wiederkunft Jesu einhergehen werde? So
sagt schon der Text auf dem hinteren Buchdeckel: "Im vorliegenden Buch
werden kosmische Konstellationen in ihrer Beziehung zu Israel und zum Kommen
Jesu beleuchtet. Neue Erkenntnisse über den Stern von Bethlehem, die UFOs und
die 'Planeten-Parade' von 1982 werden zusammengetragen und ins Licht des
prophetischen Wortes gestellt. Dabei wird der Leser zur Gewißheit geführt:
Jesus kommt bald wieder!"
Könnten wir diese
Gewißheit nicht auch ohne Planeten-Parade haben? Hier finden wir den alten
Fehler dieser Endzeitliteratur wieder: Winzige Anhaltspunkte, entfernte
Parallelen, mögliche Zusammenhänge werden sofort gierig aufgegriffen und als
wahrscheinliche Indizien für bestimmte Ereignisse verkündet.
Wim Malgo zitiert zu
dieser nahenden Konstellation einige Experten und faßt dann zusammen:
"Diesmal aber erwarten die Wissenschaftler die größte aller kosmischen
Störungen, die seit der Schöpfung der Welt je bekannt wurden. Es ist darum
wichtig, in diesem Zusammenhang wiederum auf die Prophezeiung unseres Herrn
jesus Christus hinzuweisen, wenn Er von der Wiederherstellung Jerusalems redet:
'... Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit
großer Kraft und Herrlichkeit. ...' (Luk 21,24b-28)." (S.46) Und weiter:
"die unausweichbare Konsequenz dieser Geschehnisse, mit denen wir heute
schon konfrontiert werden, ist die bevorstehende Entrückung." (S.48)
Wird Jesus 1982
wiederkommen? Ganz festlegen möchte sich Malgo wohlweislich nicht: "Wir
wissen nicht, wann die Entrückung stattfinden wird, ob vor oder nach 1982.
Denn wir können nicht sagen, ob der Herr in Seinem Erbarmen dieser Welt noch
eine Gnadenfrist gewährt, die über 1982 hinausgeht. Niemand von uns weiß die
Stunde der Hinwegnahme der Gemeinde." (S.48f)
Nachdem Malgo solcherart
sein Nichtwissen eingesteht, betont er aber doch auch, daß man den Zeitpunkt
nicht einfach völlig offenlassen kann: "Aber wer heute diese
überdeutlichen, wuchtigen Endzeitzeichen nicht erkennt, fällt unter das Wort
Jesu von Matthäus 16,3b: 'Ihr Heuchler, über des Himmels Gestalt könnt ihr
urteilen; könnt ihr denn nicht auch über die Zeichen dieser Zeit
urteilen?'"
Ich fürchte, daß auch
Malgo unter dieses Wort Jesu fällt, denn "die Zeichen dieser Zeit"
konnte er nicht beurteilen. Seine so betonte Planetenkonstellation von 1982
steht, wie wir ein knappes Jahrzehnt danach sagen müssen, in keinem näheren
Zusammenhang zu irgendeinem Endzeitereignis.
f) ‚Deutschland wird vor Harmagedon nicht wiedervereinigt’
In dem schon erwähnten Buch Im Schatten von Harmagedon (ca. 1977)
geht Malgo von der Wiederherstellung des 4.Reiches der Daniel'schen Vision aus,
dem Römischen Reich. Dieses Reich sollte in genau jenen Grenzen
wiederhergestellt werden, die es zur Zeit seiner größten Ausdehnung hatte. So
vergleicht Malgo nun:
"Die provisorische
Westgrenze des Römischen Reiches unter Augustus entspricht fast genau der
provisorischen Grenze zwischen der BRD und der DDR." (S.80)
Und wie es damals war,
muß es auch heute sein; und da nun nichts mehr passieren darf, als nur die
allerletzten Endzeitereignisse (Demnächsterwartung!), ist auch klar, daß sich
diese Grenze zwischen BRD und DDR nicht vorzeitig ändern darf:
"Das besagt, daß
auch in unseren Tagen dasselbe geschehen wird. Die Versuche einer
Wiedervereinigung Deutschlands werden mißlingen bis zur Auseinandersetzung der
Völker bei Harmagedon. Es wird nach dem altrömischen Reich so kommen, daß die
Sowjetunion Westeuropa bis zum Rhein überrennen wird. Nach dem Studium des
Wortes und der Grenzen des altrömischen Reiches können wir zu keiner anderen
Feststellung kommen."
Hier wird die Autorität
des Wortes (d.h. doch wohl: der Bibel) herangezogen, um eine - mittlerweile als
falsch erwiesene - Behauptung zu stützen. Für Malgo schien das alles sehr klar,
auch deshalb, weil ja die DDR als Satellit der Sowjetunion gegen Israel ziehen
werde: "daß Gomer, Ostdeutschland, das ja der stärkste Satellit
Sowjetrußlands ist und mit ihm gegen Israel ziehen wird (Hes. 38,6), ..."
(S.25)
Solche Vorhersagen bot
Malgo auch schon den Lesern seiner Zeitschriften: "West-Berlin ... wird
zweifelsohne von den asiatischen Horden überrannt, die bis zum Rhein
vordringen werden. ... der Angriff Sowjetrußlands und seiner Satelliten auf
Israel mit ihrem Überfall auf den Westen parallel laufen wird. Ich möchte aber
einschränkend bemerken, daß unsere Erkenntnis Stückwerk ist. Aber dies alles
kommt mit unheimlicher Geschwindigkeit auf uns zu. Wohl dem, den der Herr
wachend findet! Überdies werden West- und Ostberlin bzw. West- und
Ostdeutschland wiedervereinigt werden, aber über Jerusalem."
(Mitternachtsruf Dez. 1978, S.22)
Zwischendurch
eingeschobene Lippenbekenntnisse darf man nicht überbewerten. Wenn Malgo hier
davon spricht, "daß unsere Erkenntnis Stückwerk ist", so ändert das
ja doch nichts daran, daß er viele Aussagen als sehr sicher hinstellt.
g) Hat Malgo umgedacht?
Als Herausgeber der verbreiteten Zeitschrift Mitternachtsruf hätte
Malgo die Möglichkeit, sehr rasch zu der Nichterfüllung seiner Vorhersagen
Stellung zu nehmen. Er bräuchte kein neues Buch herausbringen, er bräuchte auch
nicht die Neuauflage eines seiner bisherigen Bücher abzuwarten.
Was für eine
Stellungnahme wäre zu erwarten? Wir haben in unserer Untersuchung gesehen, daß
Malgo unter Berufung auf die Bibel eine ganze Reihe von definitiven Vorhersagen
gemacht hat. Ein Teil davon hat sich bereits als falsch herausgestellt, ein
Teil hat sich in der Zwischenzeit von einer Erfüllung weit entfernt. Zu deren
Erfüllung kommt es jedenfalls nicht so rasch wie von Malgo angekündigt. Was
ist, wenn Christen diese Ankündigungen Malgos übernommen haben? Dann kann es
z.B. sein, daß sie nun ohne finanzielle Mittel dastehen, da eine Vorsorge so
knapp vor dem Ende laut Malgo falsch ist. Es kann auch sein, daß sie nun in
Glaubenskrisen schlittern, da das, was sich laut Malgo aus der Bibel ergibt,
doch falsch ist. Es kann sein, daß sie in ihrem Bekanntenkreis in
evangelistischer Absicht über die bald zu erwarteten politischen Ereignisse
gesprochen haben. Nun stehen sie - und die Bibel! - vor diesen Bekannten als
die Dummen da. Alles in allem gibt es da also doch manches, was Malgo ausgelöst
hat und was bereinigt gehört. Im Mai 1991 hatte Malgo einen Herzinfarkt, der
ihn dem Tod nahe brachte. Malgo hat sich wieder erholt, und im Dezember 91
konnten seine Leser bereits wieder Artikel von ihm lesen. Darin wiederholt
Malgo zwar, daß das Ende knapp bevorsteht, von einer Umkehr ist jedoch noch
nichts zu bemerken. Malgo kommentiert die neueste politische Entwicklung, ohne
dabei jedoch zu erwähnen, daß diese laut seinen früheren Vorhersagen gar nicht
so sein dürfte wie sie ist. Man gewinnt also den Eindruck, daß Malgo zur
Tagesordnung übergehen möchte, und so tun möchte, als ob nichts gewesen wäre.
Was wird Gott tun? Wird er auch zur Tagesordnung übergehen? Oder wird er Malgo
für die falschen Vorhersagen, die dieser im Namen Gottes verbreitet hat, zur
Verantwortung ziehen?
In seinem wohl
meistverbreiteten Buch, in Was sagt die Bibel über das Ende der Welt?, hat
Malgo ca. 10 Seiten gestrichen, und an ihre Stelle ein neues Kapitel eingefügt:
"Haben wir uns in der Erwartung der baldigen Entrückung geirrt?" (Mir
liegt die Ausgabe vom Nov.1990 vor.) Bevor wir uns dieser zweifellos
berechtigten Frage zuwenden, rekapitulieren wir nochmals den Inhalt der gestrichenen
10 Seiten, in der Ausgabe von 1984 auf S.84ff. Zuvor lesen wir noch die
Überleitung: "Damit kommen wir auf eine weitere prophetische
Gerichtsperspektive von ungeheurem Ausmaß." (S.83) Es handelt sich beim
folgenden also um eine "prophetische Perspektive". Der erste
Abschnitt ist überschrieben mit "Die Grenzen des Römischen
Weltreiches". Zu diesen behauptet Malgo: "Diese müssen zunächst in
ihrem Rahmen, den sie vor zwei Jahrtausenden hatten, wiederhergestellt
werden." (S.84) Als Begründung meint Malgo, daß "das erste und zweite
Kommen Jesu heilsgeschichtlich ... ein und dasselbe ist". Diese Behauptung
stützt er durch 2.Petr 3,8 ("Ein Tag vor dem Herrn ist wie tausend
Jahre"). Das ist eine ungeeignete Beweisführung. Jedenfalls meint Malgo,
"heute können wir die Beschleunigung in der Wiederherstellung des
Römischen Reiches bereits klar sehen". Wenn um 1984 schon die Beschleunigung
zu sehen war, sollten wir diese doch heute noch klarer sehen, wohl schon in
Form des Ergebnisses? Was müßte zu dieser Wiederherstellung geschehen, was
sich aber laut Malgo damals schon ankündigte? Dänemark und Norwegen müßten die
NATO verlassen; sie werden gemeinsam mit Schweden und Finnland dem russischen
(= "asiatischen") Bündnis beitreten. Dieses russische Bündnis
verfestigt sich laut Malgo: "Gleichzeitig wird der asiatische Machtbereich
blutig zementiert. Ich erinnere nur an die DDR in den fünziger Jahren,
..." (S.87) Des weiteren erinnert Malgo an Ungarn, Tschechoslowakei und
Polen. "Das blutig unterdrückte Aufbegehren der Vasallen Moskaus - wie
jetzt Polen - wird sich nach Hesekiel 38,21b auf den Bergen Israels voll
durchsetzen, wo dann 'eines jeglichen Schwert wider den anderen sein
wird'." (S.90f) Malgo rechnet also damit, daß diese außerhalb des Gebietes
des römischen Reiches liegenden Länder mit Rußland einen Angriff auf Israel
starten werden.
Diese Seiten hat Malgo
also gestrichen. Verständlich, denn die Entwicklung der letzten Jahre ging in
eine völlig entgegengesetzte Richtung. Aber der Leser würde natürlich gerne
wissen, wie Malgo heute dazu steht. Ist er daraufgekommen, daß er sich geirrt
hatte? Dann wäre es wertvoll gewesen, hätte er auch seine Leser über seinen
Irrtum informiert und auch diesen geholfen, aus diesem Irrtum herauszufinden.
Falls er diese Sicht aber weiter festhält (und S.96 der 1990er-Ausgabe weist in
diese Richtung) - warum hat er diese Seiten dann gestrichen?
Diese Fragen bleiben also
offen. Wenden wir uns nun dem neuen Kapitel zu. Am Beginn verweist Malgo auf
eine Rundfunksendung über die Zukunftserwartung der Christen in Amerika und
Europa, in der auch das hier besprochene Buch Malgos erwähnt wurde. Inwiefern,
verschweigt Malgo. Wurde es etwa kritisiert? Wenn ja, warum? Malgo war
jedenfalls mit dem Inhalt der Sendung - den er uns leider verschweigt - nicht
einverstanden und schießt mit vollen Rohren zurück: "die Arroganz der
geistlichen Mittelmäßigkeit"; überall "bricht Hohn und Spott auf,
wenn es um die Erwartung des Wiederkommens Jesu geht". Malgo erinnert an
Offb 12,12b: "Der Teufel ist zu euch hinabgestiegen ...", heute sehen
wir "Angstausbrüche aus der Hölle". Malgo: "Ist es nicht
eigenartig, daß gerade dieses Gratisbuch, das Sie hier in einer neu
bearbeiteten Auflage vor sich haben, ganz unerwartet schon in so viele Sprachen
übersetzt wurde? Da wehrt sich der Teufel mit Macht, denn nicht wenige Menschen
hatten dadurch eine entscheidende Begegnung mit dem Herrn Jesus Christus!"
(S.84f)
Ein Kritiker von Malgos
Schriften kann hier einen Vorgeschmack bekommen von dem, was ihn erwartet. Im
übrigen ist dieses Kapitel Malgos für mich eine einzige Enttäuschung. Bei der
Frage "Haben wir uns in der Erwartung der baldigen Entrückung
geirrt?" sollte es ja nicht bloß darum gehen, daß der Ausdruck
"bald" eventuell dehnbar ist, sondern vielmehr darum, daß Malgo sehr
konkrete Ereignisse für die nächsten Jahre vorhergesagt hat, die nicht gekommen
sind. Ich erinnere etwa an die Behauptung, daß Deutschland vor Harmagedon
nicht wiedervereinigt wird, eine Behauptung, die sich eindeutig als falsch
herausgestellt hat. Die Feststellung, daß sich Malgo in konkreten
Endzeit-Erwartungen geirrt hat, kann nicht bestritten werden. Ein solches
Eingeständnis sucht man in diesem Kapitel jedoch vergeblich. Stattdessen macht
Malgo in ebendiesem Kapitel weiter wie bisher: Er präsentiert weiterhin
Vorhersagen, wobei er sich auf "verschiedene Berichte" stützt:
"Der nächste brisante militärische Zeitraum ist vom Kreml für die
kommenden Jahre geplant. Der sowjetische Angriff soll quer durch Deutschland
gehen ..." (S.95) Und weiter: "Gorbatschow ... ist fieberhaft dabei,.
... die Rüstungsbemühungen voranzutreiben, damit Rußland in absehbarer Zeit in
der Lage ist, den Westen militärisch zu schlagen." (S.96) Und weiter:
"Gemäß einer schwedischen Studie bereitet sich die Sowjetunion auf einen
konventionellen Krieg in Europa vor." Malgo unterstreicht diese Aussagen
noch: "Jedenfalls stimmen die politischen Prognosen, von denen wir kurz
einige erwähnt haben, haargenau mit der prophetischen Chronologie
überein;" (S.97) So macht Malgo also mit Ankündigungen weiter, wobei er
sich auf die Bibel beruft, und es sieht nicht so aus, als ob er dieses Mal eine
glücklichere Hand gehabt hätte. Obwohl also Malgo bereits eine Reihe von
Behauptungen über die Zukunft gemacht hat, die danebengingen, betont er doch:
"Wir lehnen es entschieden ab, auf den Boden der Spekulation zu treten;
vielmehr halten wir uns an das untrügliche Wort Gottes." (S.97) Das ist
eben das Problem Malgos, daß er seine Deutungen von Bibelstellen mit der Bibel
selbst gleichsetzt und sie daher für richtig hält. Aber die wiederholten
Fehlschläge sollten ihn doch zur Besinnung bringen und ihm zeigen, daß seine
Deutungen nicht ohne weiteres mit der Bibel selbst gleichzusetzen sind!
Schlußwort
Wir haben Endzeitliteratur der vergangenen Jahrzehnte betrachtet
und den Vorhersagemißerfolg festgestellt.
"Eines steht aber fest: Jünger Jesu erkennen auf Grund ihrer
Schriftkenntnis und ihrer Glaubenserfahrung den Welthintergrund besser als
Nichtchristen." (Koch 86)
Wenn Kochs Äußerung sich darauf bezieht, daß Jünger Jesu die
Entwicklung der nächsten Jahre besser vorhersagen können, so fürchte ich, daß
wir uns da überschätzen. Die lange Liste der Irrtümer evangelikaler
Endzeitpropheten zeigt doch: Auch mit der Bibel in der Hand können wir die
unmittelbare Zukunft nicht vorhersagen. Manche glauben es zu können, weil sie
überzeugt sind, daß die momentane politische Konstellation die Ausgangsbasis
für die Endzeitereignisse ist. So daß also alle in der Bibel erwähnten
Zukunftsgrößen in der momentanen politischen Landschaft ihre Identifikation
haben müssen.
Ich finde es verlockend, ausgehend von der gegenwärtigen Zeit zu
überlegen, wie es weitergehen könnte, und wie es möglicherweise schon in naher
Zukunft zu Endzeitereignissen kommen könnte. Ich gebe dieser Verlockung einen
Augenblick lang nach, um im Anschluß daran abzuschätzen, ob Überlegungen dieser
Art etwas bringen können.
Politik
Wird es bald zu einem
Angriff arabischer, russischer und anderer Staaten auf Israel kommen? Dieser
Angriff kehrt als Auftakt zu Harmagedon regelmäßig in der Endzeitliteratur
wieder. Erscheint ein solcher Angriff als wahrscheinlich für die nächsten
Jahre?
Israel hat Atombomben,
die es im Ernstfall vielleicht auch einsetzen würde. Umgekehrt könnten
arabische Staaten, selbst wenn sie Atombomben haben, sie nicht so leicht
einsetzen, ohne damit auch die arabische Bevölkerung zu gefährden. Das wird zu
einer gewissen Zurückhaltung seitens der arabischen Staaten führen, selbst
wenn sie verbal und auch wirtschaftlich Israel attackieren. Insbesondere bei
Ägypten ist damit zu rechnen, daß es international zurückhaltend sein wird,
weil der Assuan-Staudamm eine enorme Bedrohung darstellt.
Wie werden sich die
Nachfolgestaaten der Sowjetunion verhalten? Es wäre ein Grund denkbar, weshalb
Rußland sich in einen Krieg mit Israel hineinziehen lassen könnte: Um den
moslemischen Nachfolgestaaten einen Gefallen zu erweisen (der zu Gegenleistungen
führen könnte). Derzeit sieht es allerdings so aus, daß alle diese Staaten
andere Sorgen haben. Angefangen mit der katastrophalen Wirtschaftslage. Dann
gibt es dort ein enormes Potential für Grenzstreitigkeiten. Hier bahnen sich
noch manche Konflikte auch zwischen den moslemischen Staaten an. Überhaupt darf
man sich die moslemische Welt nicht zu einheitlich vorstellen. Die Feindschaft
gegen Israel scheint oft der einzige gemeinsame Nenner zu sein.
Wirtschaft
Durch die Gewinne aus dem
Ölexport haben einige arabische Länder riesige Gewinne, insbesondere seit der
Preiserhöhung im Jahr 1973. Dennoch sieht es so aus, daß die arabischen Länder
auch gemeinsam nicht die Wirtschaftsmacht Nr.1 werden. Neben den USA ist hier
die EG zu beachten, aber auch Japan.
Die wirtschaftliche
Stärke könnte insofern von Bedeutung sein, als es in dieser Hinsicht immer
stärker zu einer Machtkonzentration kommen kann. Während wir in Europa in
mehreren Staaten separatistische Tendenzen erleben, finden wir gleichzeitig
auch einen Zug hin zu großen, starken Wirtschaftsblöcken, insbesondere den Zug
zur EG. Die politische Eigenständigkeit - auch wenn sie formell gewahrt bleibt
- wird durch das wirtschaftliche Zusammenwachsen immer schwächer. Gleichzeitig
führt eine freie Marktwirtschaft dazu, daß die Starken immer stärker werden.
Im wirtschaftlichen Bereich wäre es daher denkbar, daß die Macht immer mehr in
den Händen einiger weniger zusammenläuft. Insofern könnte eine starke
Wirtschaftsmacht die Basis für einen Antichristen bilden.
Daneben ist auch an die
Möglichkeit zu denken, daß der Antichrist ökologisch erzwungen wird, durch die
Notwendigkeiten des Umweltschutzes. Wenn die nächsten Jahre weitere, vielleicht
noch größere Umweltkatastrophen bringen und sich außerdem die Meinung
verstärkt, daß diese Katastrophen auf unseren sorglosen Umgang mit der Natur
zurückgehen, so könnte sich bei der gesamten Menschheit immer mehr das
Empfinden einstellen, daß die Zeit schon zu weit fortgeschritten ist, um wie
bisher jahrelang über geeignete Maßnahmen zu diskutieren - mit dem Ergebnis,
daß dann bestimmte Schadstoffgrenzen um einige Prozentpunkte verschoben werden.
Sofortiges Handeln erscheint gefordert, bevor es zu spät ist. Und da die
Austragung der Interessensgegensätze im Zuge von Verhandlungen - wie in der
Vergangenheit praktiziert - zuviel Zeit erfordern würde, erscheint es nun
notwendig, daß eine Einzelperson oder zumindest eine zentrale Regierung das
Anordnen sofort zu befolgender Maßnahmen in die Hand nimmt.
Weltanschauungen
Könnte es sein, daß eine
gemeinsame Weltanschauung der gesamten Menschheit die Grundlage bildet, die
einem Antichristen das Regieren ermöglicht? Hier wurde in letzter Zeit vor
allem die New Age-Bewegung genannt, wobei auch die Entwicklung einer
Welteinheitsreligion wichtig wäre. Zu einfach darf man sich den Weg zu einer
gemeinsamen Weltanschauung der gesamten Menschheit aber nicht vorstellen.
Eine geistige
Gleichschaltung der gesamten Menschheit wäre ein mühsamer, langwieriger und
Jahrzehnte beanspruchender Prozeß. Sollte eine derartige Gleichschaltung
tatsächlich Voraussetzung eines Weltreiches des Antichristen sein, dann wäre
dieses Reich jedenfalls nicht für die nächsten Jahrzehnte zu erwarten.
Gerade angesichts der
Wende im Ostblock wurde folgendes eindrücklich sichtbar: Obwohl die dort
lebenden Menschen seit Jahrzehnten im kommunistischen Sinn beeinflußt und
"erzogen" worden waren, gibt es in der Bevölkerung doch eine große
Meinungsvielfalt und auch den Wunsch, diese Meinungen zum Ausdruck bringen zu
dürfen. Das bestätigt, daß man Menschen militärisch unter Druck setzen und zum
Schweigen bringen kann, daß man aber nicht alle zu einem bestimmten Umdenken
(hier: in Richtung Kommunismus) bringen kann.
Die Befürchtung, es
könnte bald zu einer weltweiten "Gleichschaltung" kommen, gründet
sich auch darauf, daß die Medien (allen voran das Fernsehen) starke
Einflußmöglichkeiten haben. Das stimmt. Aber was das Fernsehen betrifft: In
ärmeren Ländern haben viele Menschen kein Fernsehgerät. In reicheren Ländern
haben die Menschen solche Geräte, aber gleichzeitig auch die Auswahl zwischen
vielen Programmen - hier gibt es also Pluralismus (auch schon im Rahmen eines
einzigen Programmes gibt es das). Natürlich könnte dieser Pluralismus durch
eine "Weltregierung" abgeschafft werden, aber die an Pluralismus
gewohnten Menschen würden das merken und dagegen protestieren. Womit wir wieder
beim Beispiel Kommunismus wären: Man kann Menschen zwar gewaltsam unter Druck
setzen und zum Schweigen bringen, aber nicht so leicht ein unmerkliches
Umdenken herbeiführen. Man muß sich einmal anschaulich vorstellen, wie an
demokratische Verhältnisse gewohnte Menschen auf eine Diktatur reagieren
würden!
In den ärmeren Ländern
gibt es also viel weniger Fernsehgeräte und somit auch kaum die Möglichkeit,
die Bewohner durch stundenlange Berieselung - für diese unmerklich - zu
beeinflussen. Und andere Medien, etwa Zeitungen? Vergessen wir nicht, daß in
den ärmeren Ländern auch die Zahl der Analphabeten sehr hoch ist.
Halten wir fest: Die
Länder mit den größeren technischen Möglichkeiten zur Manipulation haben
gleichzeitig auch größere Meinungsvielfalt. Außerdem besteht in diesen Ländern
die Neigung zum Kritisieren, weniger zum Idealisieren - eine Grundhaltung also,
die keine günstige Basis für eine Diktatur darstellt.
Schließe ich daraus, daß
die New Age-Bewegung im Hinblick auf endzeitliche Entwicklungen völlig
irrelevant ist? Ganz bedeutungslos ist sie nicht. Insofern als sie die
Beschäftigung mit okkulten Praktiken fördert, fördert sie damit sicherlich auch
gegenchristliche Kräfte. In diesem Sinne könnte sie - so wie andere esoterische
Zweige - zu einem antichristlichen Reich beitragen.
Solche Überlegungen könnte man anstellen und dabei abzuwägen
versuchen, wie wahrscheinlich bestimmte konkrete Entwicklungen sind.
Grundsätzlich meine ich, daß wir Überlegungen dieser Art durchaus anstellen
dürfen. Allerdings schätze ich ihren Wert sehr gering ein. Es bleiben soviele
Faktoren übrig, die wir nicht genau einschätzen können, so daß die Entwicklung
doch ganz anders verlaufen. Wie leicht man danebentippen kann, wie schnell eine
Entwicklung unerwartet umschlagen kann, das hat uns ja ein Rückblick auf
verschiedene Endzeitbücher im Vergleich mit dem tatsächlichen Verlauf der
letzten Jahre gezeigt. Was tun wir also im Hinblick auf das Zeitgeschehen?
Mitdenken, aber die Ergebnisse unseres Mitdenkens nicht überbewerten. Eine
Überbewertung liegt auch vor, wenn jemand glaubt, er müßte seine Überlegungen
massenhaft verbreiten. Und wenn jemand glaubt, er könnte seine Überlegungen
mit biblischen Aussagen verknüpfen und damit unter die göttliche Autorität
stellen, dann handelt er verantwortungslos. Denn ein Versagen der eigenen
Überlegungen fällt dann gleichzeitig negativ auf das Image der Bibel zurück.
Im Verlaufe dieses Buches habe ich immer wieder auf die negativen
Auswirkungen der Demnächsterwartung hingewiesen. Manche Christen meinen aber,
die einzig richtige Form der Erwartung des Wiederkommens Jesu sieht so aus,
daß ich dieses Kommen für die nächsten Jahre, jedenfalls noch für meine eigene
Lebenszeit erwarte. Wenn ich das nämlich nicht tue, liegt mir ja wohl gar nicht
viel daran!
Dazu lieferte Augustinus
einen klassischen Ausspruch: "NIcht derjenige liebt die Wiederkunft des
Herrn, der sagt, sie liegt noch in weiter Ferne; auch nicht der, der sagt, sie
steht unmittelbar bevor; sondern derjenige, der sie mit ernstem Glauben,
fester Hoffnung und brennender Liebe erwartet, ganz gleich, ob sie fern oder
nah ist." (nach Grier 94)
Literatur
Hier führe ich jene Schriften an, die im Text meines Buches
mehrmals und daher nur in Kurzform vorkommen. Nur einmal vorkommende Schriften
gebe ich gleich an der betreffenden Stelle ausführlich an.
Baar = Marius Baar: Das Abendland am Scheideweg. Ismael oder
Israel - Koran oder Bibel - Mohammed oder Jesus? 1979
Bacchiocchi = Samuele Bacchiocchi: Hal Lindsey's prophetic jigsaw
puzzle. Five predictions that failed! 1987 (die Übersetzung der hier aus diesem
Buch zitierten Sätze stammt von mir)
Bergmann = Gerhard Bergmann: Leben wir in der Endzeit? 1973
Clouse = Robert Clouse (Hg.): Das Tausendjährige Reich: Bedeutung
und Wirklichkeit. Vier Beiträge aus evangelikaler Sicht. 1983 (am. Orig. 1977)
Fünning = A. Fünning: Das Israel der Letztzeit im Lichte des
prophetischen Wortes. 1949
Geldbach = Erich Geldbach in seinem Artikel Endzeiterwartung, in:
Evangelisches Gemeindelexikon, hg. von Erich Geldbach/Helmut Burkhardt/Kurt
Heimbucher. 1986, S.141
Gerth = Klaus Gerth: Der Antichrist kommt. Die 80er Jahre - Galgenfrist
der Menschheit? 1982 (diese Erstauflage ist zitiert, wenn nicht anders
angegeben; 1989 erschien eine überarbeitete 6.Auflage mit dem Untertitel Bleibt
noch eine Galgenfrist für die Menschheit?; die 7.Auflage und 8.Auflage 1991
sind unveränderte Nachdrucke)
Gitt = Werner Gitt: Das Fundament. 1985
Goetz = William Goetz: Die Apokalypse kommt! 1983 (am. Orig. 1981)
Grier = William J. Grier: Plötzlich - in einem Augenblick. Überlegungen
zur Wiederkunft Christi. 1978 (irisches Orig. 1945; 71976)
Großmann = Siegfried Großmann: Das Ende der Welt. Eine Auslegung
von Matthäus 24 und 25. 1991
Hallesby = Ole Hallesby: Die Endzeit. Von der christlichen
Hoffnung. 1983
Hubmer = Fritz Hubmer: Weltreich und Gottesreich, in Prophetie und
Erfüllung. 1958
Hutten = Kurt Hutten: Seher, Grübler, Enthusiasten. Das Buch der
traditionellen Sekten und religiösen Sonderbewegungen. 131984 (=
1982)
Koch = Kurt Koch: Der Kommende. Israel in der Erfüllungszeit. 1967
Köster = Arnold Köster: Lampenlicht am dunklen Ort. Predigten und
Vorträge. 1965
Lightle = Steven Lightle/Eberhard Mühlan: Der II. Exodus. Norden
gib heraus. 1983
Lindsey = Hal Lindsey/Carole C. Carlson: Alter Planet Erde wohin?
Im Vorfeld des Dritten Weltkriegs. 1971
Malgo: Aufmarsch = Wim Malgo: Der beschleunigte Aufmarsch
Russlands nach Israel. 1980
Malgo: Bibel = Wim Malgo: Was sagt die Bibel über das Ende der
Welt? 141990 (diese Auflage ist zitiert, wenn nicht anders angegeben;
damit habe ich auch 91984 verglichen)
Malgo: Heil = Wim Malgo: Heilsgeschichtliche Konstellationen von
1948 bis 1982. Ca. 1980
Malgo: Israel = Wim Malgo: Israel - das Zeichen an der Wand. 1974
Malgo: Schatten = Wim Malgo: Im Schatten von Harmagedon. Ca. 1977
May = Fritz May: Israel zwischen Blut und Tränen. Der Leidensweg
des jüdischen Volkes. 1987
Neumann = Bruno Neumann: Die Zahl 666. Die Zahl des Antichristen -
der Versuch einer Deutung. 1977 (31980)
Pache = René Pache: Die Wiederkunft Jesu Christi. 61970
(= 91977)
Pohl: Offenbarung = Die Offenbarung des Johannes, erklärt von
Adolf Pohl. 1.Teil (Wuppertaler Studienbibel). 1969
Prince = Derek Prince: Biblische Prophetie und der Nahe Osten.
Israel - Gottes Zeiger an der Weltenuhr. 1982
Russell - siehe Stuhlhofer
Schrupp = Ernst Schrupp: Israel in der Endzeit. Heilsgeschichte
und Zeitgeschehen. 1991, S.62
Stuhlhofer = Franz Stuhlhofer: Charles T. Russell und die Zeugen
Jehovas. Der unbelehrbare Prophet. 1990
Weyer-Menkhoff = Michael Weyer-Menkhoff: Angst vor der Endzeit?
Wie Christen mit Zahlenspielen und anderem verunsichert werden (=
idea-Dokumentation Nr.8/85)
Wolff = Richard Wolff: Israel. Die Bibel und der Nahe Osten. 51972
(am. Orig. 1967)
Zeugen Jehovas - siehe Stuhlhofer
Zopfi = Jakob Zopfi: Prophetie (und Endzeit). 1982