64. Bibelkurs                                                                                                                               BK 64

 

           „Ich wäre beinahe gestrauchelt“ (Psalm 73)

 

            So spricht ein Mensch, der sich in einer großen Lebenskrise befand. Der Beter des Psalms - nicht David sondern Asaf - lässt uns in sein Herz schauen. Er war ein großer Musiker. David hatte ihm die Leitung der Chöre und der Musik im Tempel übertragen. Wir haben 12 Psalmen von Asaf (Psalm 50; Psalm 73 - 83). Musiker sind meist besonders feinfühlige Menschen. Asaf lässt uns mit-empfinden, wie es ist, wenn wir zu scheitern drohen, - wenn wir innerlich total verwirrt sind, - wenn wir nahe daran sind, aufzugeben. Doch er zeigt uns auch mit beeindruckenden Worten, was ihm einen Halt gegeben hat. Er beginnt sogar damit den Psalm: „Gott ist dennoch Israels Trost...“. Dann schildert er ausführlich seine Zweifel (Vers 3 – 12) – und schließt mit jubilierenden Sätzen, wie es Dostojewski nach vier Jahren Straflager in Sibirien mit anderen Worten zum Ausdruck brachte, nachdem sich Christus ihm offenbart hatte: „Ich glaube und bekenne Christus nicht wie ein Kind. Mein Hosianna ist im Feuerofen des Elends geboren.“

            Der Psalm 73 zählt zu den großen Psalmen der Bibel. Er hat vielen Gläubigen in dunkelsten Stunden der Anfechtung Trost und Kraft gegeben – vor allem die letzten Sätze: „Dennoch bleibe ich stets an Dir, denn Du hältst mich bei meiner rechten Hand...“ Hier erfahren wir geistliche Prinzipien, mit denen wir schwierige Situationen überwinden können. Deshalb ist der Psalm so wichtig. Man nennt diesen Psalm auch „das Dennoch des Glaubens.“ Das Dennoch stellt Asaf gleich an den Anfang eines Psalms – und das hat einen tiefen Grund.

Manchem Bibelleser ist sicher schon aufgefallen, dass in der Bibel oft das Wörtchen „aber“ vorkommt – circa 400 mal insgesamt! – und (im gleichen Sinn!) 50 mal das Wort „dennoch“. - Was bedeutet das? Der amerikanische Außenminister Ch. Hughes hatte seinem Dolmetscher bei Konferenzen die Faustregel mitgegeben: Er kann bei ausschweifenden Reden zusammenfassend übersetzen, doch wenn das Wörtchen „aber“ (engl. „but“) fällt, dann soll er jedes Wort, das danach kommt, genau übersetzen. Denn was nach dem „aber“ kommt ist sehr wichtig. Das wissen wir auch aus dem Alltag. Wenn jemand sagt: „Er ist eigentlich ein sehr netter Mensch, aber...“ dann spitzen wir die Ohren: jetzt kommt etwas Wichtiges, das darf uns nicht entgehen. – Dieses Prinzip müssen wir auf die Bibel anwenden. Wenn „aber“ erscheint, dann kommt etwas Neues, - in der Bibel folgt dann ein wichtiger göttlicher Gedanke. In der Heiligen Schrift kommt deshalb so oft „aber“ vor, weil Gott häufig unser Denken korrigieren will, - unsere Gedanken in andere Bahnen lenken muss, - weil wir eben sehr oft verkehrt denken. – Ein Beispiel: Als der Prophet Samuel von Gott beauftragt wurde, in Bethlehem unter den acht Söhnen Isais den neuen König (David) zu salben, hatte er falsche Vorstellungen von dem neuen Kandidaten, weil er auf die äußere Erscheinung der Söhne schaute (schließlich war ja auch Saul - Davids Vorgänger - eine imponierende Gestalt! - „ein Haupt größer als alles Volk“). Da hat Gott Seinen Propheten korrigiert: „Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an.“ (1. Samuel 16) - Ganz scharf hat Jesus einmal das Denken des Petrus getadelt, als ER zu ihm sagte: „Du meinst nicht, was göttlich ist, sondern was menschlich ist.“ Jesus sagte sogar, dass die Gedanken des Petrus vom Satan inspiriert seien. Das beweist, dass wir sehr acht geben müssen, wenn wir in der Bibel ein „aber“ lesen. Dann will Gott uns etwas sagen, das wir unbedingt beachten müssen. Es folgen jetzt nur einige (von den 400) dieser Bibelstellen mit „aber“ - Der Leiter des Wheaton-College (das Billy Graham besuchte) in USA, R. Edman, hat ein Buch über 35 dieser Stellen geschrieben – („But God“).

             (In der Bibel kommt „aber“ ca. 440 mal vor, davon 250 mal im Neuen Testament.)

o   Joseph wurde verleumdet, kam ins Gefängnis, „aber der HERR war mit ihm.“ (1. Mose 39)

o   Joseph zu seinen Brüdern: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, Gott aber gedachte
es gut zu machen.“
(1. Mose 50) – Gottes Pläne waren anders, aber sie waren großartig!

o   Hiob: „ER aber kennt meinen Weg gut.“ (Hiob 23, 10)

o   Die Völker toben und lehnen sich auf gegen Gottes Gebote, „aber der im Himmel wohnt,

lacht über sie und spottet über sie.“ (Psalm 2)

o   „Man stößt mich, dass ich fallen soll, aber der HERR hilft mir.“ (Psalm 118)

o   „Ich bin arm und elend, aber der HERR sorgt für mich.“ (Psalm 40)

o   „Die Wasserwogen brausen mächtig... der HERR aber ist noch größer in der Höhe.“ (Psalm 93)

o   „Sie rotten sich zusammen ... aber der HERR ist mein Schutz.“ (Psalm 94, 22)

o   Aber es ist ein Gott im Himmel, der kann Geheimnisse offenbaren ...“ (Daniel 2, 28)

o   Jesus sagt fünf Mal in der Bergpredigt: „ICH aber sage euch ... „ (Matthäus 5)

o   Jesus zu Petrus: Satan wird euch bedrängen, „aber ICH habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre.“ (Lukas 22)

o   Jesus kehrt zum Vater zurück, „aber der Heilige Geist wird IHN vertreten“ (Johannes 14) Jesus sagt:

o   „In der Welt habt ihr Bedrängnis; aber seid getrost: ICH habe die Welt überwunden.“ (Johannes 16)

o   Paulus schreibt: „Ich habe gepflanzt ... aber Gott hat das Gedeihen gegeben.“ (1. Korinther 3, 6)

o   „Bisher hat euch nur menschliche Versuchung getroffen, aber Gott ist getreu, der euch nicht versuchen lässt über eure Kraft ... dass ihr es ertragen könnt.“ (1. Korinther 10, 13)

o   Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten...“ (1. Korinther 15, 20)

o   Paulus schreibt: „Mein Gott aber wird all eurem Mangel abhelfen...“ (Philipper 4, 19)

o   „Wir waren tot in den Sünden, aber Gott hat uns mit Christus lebendig gemacht.“ (Epheser 2, 4)

 

Die praktische Anwendung dieser Fakten ist: Wenn ein Problem, eine Sorge, eine Not uns ganz stark in unseren Gedanken beschäftigt, dann sollten wir am Schluss immer sagen: „Aber der HERR hilft mir, - aber der HERR sorgt für mich, - aber der HERR lässt mich nicht allein, - aber der HERR führt mich auf dem richtigen Weg!“ Dann denken wir biblisch. Das hilft uns!

            Wie kam die Verwirrung des Beters im Psalm 73 zustande? Er hat das Leben der Gottlosen beobachtet. Er beneidete sie und fragte sich: Warum müssen diejenigen, die Gott vertrauen, mehr leiden als die Gottlosen? Es ist eine ganze Menge, was er bei den Gottlosen feststellte (hier die Verse 3 – 12 nach neuen Übersetzungen):

            „Die Gottlosen sind gesund, sind übermütig, sie kennen keine Krankheit (bis zu ihrem Tod), sie leben ohne Sorge, kennen weder Mühe noch Plage, brauchen sich nicht zu quälen, sie sind hochmütig, arrogant, gewalttätig, sie sind Angeber und leben im Luxus, sie lästern Gott, töten mit Worten, boxen sich überall durch, reden von oben herab, machen böse Pläne, sie verspotten und verleumden, Frevel und Hohn und leeres Geschwätz gehören zu ihrem Lebensstil.“ – Am Schluss heißt es: „Siehe, das sind die Gottlosen; sie sind glücklich in der Welt und werden reich.“

Ist das nicht eine sehr beunruhigende Liste? Aber der Beter macht einen großen Fehler: er zieht einen falschen Vergleich. Er sagt: „Soll es denn umsonst sein, dass ich mein Herz rein hielt? – Ich werde ja täglich geplagt.“ (V.13)

 

Dazu einige wichtige geistliche Prinzipien:

 

I. Wir dürfen keine falschen Vergleiche ziehen.

  Das geschieht oft im Alltag – und wir merken es gar nicht! – Wir vergleichen unsere Kinder mit denen anderer Familien, wir vergleichen unser Einkommen, unser Aussehen, unsere Wohnung, unser Auto, unsere Gesundheit, unsere Ausbildung mit anderen. Manche Vergleiche spornen uns an. Aber meistens neigen wir dazu, die bessere Situation der anderen zu sehen – wie der Psalmist hier, und das macht uns unglücklich.

            Vergleichen ist eine gefährliche Sache. Kierkegaard sagte: „Der Vergleich war die erste Sünde“ (- nicht das Pflücken des Apfels!). – Wieso? Die Schlange sagte zu Adam und Eva: „Wenn ihr von der Frucht esst, dann werdet ihr sein wie Gott.“ Mit Gott hatten sie sich noch nie verglichen. Da schoss ihnen der Gedanken (vom Teufel) durch den Kopf: „...wie Gott sein, - das muss ja wirklich ein tolles Gefühl sein!“ Das gab ihnen den Antrieb, zum Baum in der Mitte zu gehen. In 1. Mose 3 lernen wir zwei Instrumente des Teufels kennen, die er benützte und mit denen er sofort großen Erfolg hatte: Fragen und Vergleichen („Sollte Gott gesagt haben...?“ und „... ihr werdet sein wie Gott.“). Bis heute erzielt der Teufel laufend Erfolge mit diesen beiden Instrumenten. „Warum musste mir das passieren?“ – „Den andern geht es ja viel besser als mir!“ Solche Gedanken begegnen uns jeden Tag – und sie machen uns das Leben schwer. Der Psalm zeigt uns noch, wie wir damit fertig werden können.

 

II. Vergleiche bilden den Nährboden für den N e i d .

   Sobald wir festgestellt haben, dass es den anderen besser geht als uns, entsteht der Neid. Der Beter im Psalm 73 war neidisch auf die Gottlosen, weil es ihnen so gut ging. Der Neid ist die Untugend, die als letzte aus dem Herzen des Gläubigen auszieht, sagt ein alter Gottesmann. Der Neid begegnet uns schon am Anfang der Bibel (1. Mose 4). Kain war neidisch auf seinen Bruder Abel. Und durch diesen Neid entstand der erste Mord. Daran erkennen wir, dass der Neid wirklich etwas Teuflisches ist.

            Weil der Neid vielfach schlimme Auswirkungen hat, deshalb ist es hilfreich, hier Orientierung zu bekommen. Es gibt ein Buch, das uns dabei helfen kann. Es heißt: „Der Neid und die Gesellschaft“ (Herder, 1971). Der Autor ist ein bedeutender Soziologe: Helmut Schoeck, Prof. in Mainz (ein Katholik). Das Buch war jahrelang ein Bestseller, wurde in mehrere Sprachen übersetzt und hat international hohe Anerkennung gefunden. Es ist das einzige Buch über den Neid. Kein

Psychologe hat dieses Thema angepackt. Für Bücher zum Thema „Sexualität“ gibt es schon lange kein Tabu mehr. Aber an den Neid traute sich keiner heran. Warum? Wer über den Neid schreibt wird bald merken, dass er ein Buch über sich selbst schreibt. – Nun folgen einige Gedanken aus dem Buch von Schoeck.

Der Neid ist eine unheimliche zerstörerische Kraft. Er wird in allen Kulturen verurteilt (der Mord z.B. nicht!). Er ist viel universaler und zersetzender als die meisten denken. Je näher Menschen zusammenleben (z.B. Geschwister, Nachbarn, Kollegen) desto schneller und intensiver ist der Neid da. Der Neid ist eine Großmacht. Das Ziel der Ideologen des Sozialismus ist die Gleichheit der Menschen. Aber sie haben die Macht des Neids unterschätzt. Die Marxisten nannten die Religion das Opium für das Volk. Sie merkten, dass die Christen oft frei sind vom Neid auf irdische Vorteile, weil sie eine Hoffnung auf die herrliche Ewigkeit haben. Den Marxisten gelang es nicht, den Neid zu überwinden. Die Gleichheits-Ideologie wurde Lügen gestraft, wenn man von dem Luxusleben ihrer Bonzen erfahren hat, wie es André Gide ( franz. Schriftsteller, Nobelpreisträger, gest. 1951) in Moskau erlebte. Der Neider will nicht als Neider erkannt werden. Wenn jemand sagt: „Ich beneide Sie um ...“ – dann ist das kein echter Neid.                                  

Bei primitiven Naturvölkern (die oft irrtümlicherweise als „unverdorben“ und „paradiesisch“ dargestellt werden) ist der Neid eine furchtbare böse Macht. Die Navaho-Indianer haben kein Wort für „Zufall“ oder „Schicksal“, weil in solchen Fällen immer der Neid des bösen Nachbarn dahinter steckt. Es gibt kein wirtschaftliches Vorwärtskommen, weil Neuerungen oder schöpferische Aktivitäten den Neid wecken. Bei vielen Stämmen nimmt man die Mahlzeit allein ein, damit niemand sieht, wie viel einer isst. (Wir sprechen vom „Futterneid“). - “Langsamkeit“ wird als etwas Gutes bezeichnet, weil der Schnellere bald beneidet wird und deshalb böse Reaktionen erfährt.

In Grimm’s Wörterbuch stehen einige Zeilen über Eifersucht, aber 15 Spalten über den Neid. Der Neider nimmt mit Schmerzen die Vorzüge seines Nachbarn zur Kenntnis und sucht sie zu zerstören. Es gibt 136 Sprichwörter über den Neid, - und alle sind sie negativ: „Der Neid sieht das Schiff, - aber nicht das Leck.“ - „Der Neid schaut schon den Kindern aus den Augen.“ – „Der Neid ist uns angeboren“ – „Der Neid frisst seine eigenen Herren.“ Der Neid zielt nicht auf Unerreichbares (man ist nicht neidisch auf einen Millionär – sondern auf den Nachbarn!). Der Neid macht den Menschen leicht zum Verbrecher, er hilft dem Schicksal nach (Beispiele: Kain; der Brandstifter). Der Hintergrund beim berühmten salomonischen Urteil war der Neid (1. Könige3) Der Neider ist immer ein Störenfried. Viele merken nicht einmal, dass der Neid in ihrem Innern eine Triebkraft ist. Neid ist eine unheilbare, ernste Krankheit – sagt Schoeck. Man meidet das Neid-Thema, weil man nicht mit dem Neid fertig wird, weil man ihm gegenüber als ohnmächtig erscheint. Um sich vor Neid (der gefährlich werden kann) zu schützen, untertreibt man gerne (das ist das engl. „understatement“). Hinter dem sog. „bösen Blick“ bei heidnischen Völkern steckt nichts anderes als die Furcht vor dem Neid. Das ist auch der Hintergrund für die Verschleierung der islamischen Frauen, die sie vor dem „bösen Blick“, vor dem Neid, schützen soll. Aus demselben Grund ist die islamische Bauweise nach innen gekehrt.

Eine große Rolle spielt bei den alten Griechen „der Neid der Götter“. Die Götter sind neidisch auf das Glück von Menschen – und bestrafen sie dann. In der Ballade vom „Ring des Polykrates“ hat Schiller diesen Gedanken aufgegriffen: übermäßiges Lob bringt Unglück. Die einzige jenseitige Macht bei den Griechen, die keine Göttin ist, ist die Moira – was wir heute „Schicksal“ nennen. Der gesamte Aberglauben ist gegen den Neid gerichtet, z.B.: auf Holz klopfen, wenn man von einem Erfolg berichtet. Francis Bacon sagt: Gescheite Männer lassen es zu, dass Dinge schief gehen, um Neid abzuwehren. Im Sozialismus gilt die Devise: „Lieber alle gleich arm – als alle reich, aber einige noch reicher.“ In den Kibbuz-Einrichtungen in Israel (ab 1910) versuchte man, die Vision einer „Gleichheit“ zu realisieren. Aber der Neid konnte nicht ausgeräumt werden.

Schoeck sagt als Soziologe: Dem Christentum allein gelang es, den Neid zu überwinden: Ungleiche leben im Frieden miteinander (Sklaven und Herren, Juden und Nichtjuden...) Bei Gott gibt es keinen Neid, auch bei den „Heiligen“ nicht. Die Bibel sagt: „Du sollst deinen Nächsten lieben!“ In der Heiligen Schrift ist nicht von „Gleichheit“ die Rede sondern von Freiheit und Liebe.

Gott befreit die Christen von der Furcht vor dem Neid. Die Ethik des Christentums ist die Grundlage des wirtschaftlichen Aufstiegs der „westlichen Zivilisation“, sagt der andere berühmte Soziologe Max Weber (gest. 1920). Nach all dem Gesagten kann man verstehen, dass viele auch hinter dem Terrorismus den Neid als geheime Triebkraft sehen.

Diese vielen Beispiele zeigen uns, dass der Neid eine furchtbare, vernichtende Kraft ist und das Zusammenleben von Menschen sehr erschwert. Der Neid ist häufiger im Menschen aktiv als die meisten denken, - der Neid ist intensiver am Werk als man allgemein vermutet. Der ganze Neid-Komplex ist ein Beweis für die Wahrheit des Christus-Wortes: „Wer neidisch ist, ist ein Sklave des Neids. Vom Neid (dieser teuflischen Macht) uns wirklich frei machen, das kann nur ein einziger, nämlich Christus, der Sohn Gottes. Sonst gelingt das keiner Macht auf der ganzen Welt.“ (- weder Psychologen, noch Soziologen, noch Politikern). (Johannes 8, 34-36, nach Luther: „Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.“)

           

III. Was bewahrt vor dem Straucheln?  ----  „ ... ins Heiligtum Gottes gehen.“

 

   Der Beter des Psalms hat sich viele Gedanken gemacht, warum es den Gottlosen so gut geht

und den Frommen nicht so gut, aber er fand keine Lösung und keine innere Ruhe – „bis er ins Heiligtum Gottes ging.“ (V. 18) Da fand er Hilfe. Das war die Wende! „Tapetenwechsel“ ist immer gut, sagt man, wenn das Leben eintönig wird und der Schwung fehlt. Noch mehr hilft ein „heiliger Wechsel“ hin in die Gegenwart Gottes. Welche neuen Gedanken bekommt er da?

 

·         Vor dem heiligen Gott werden wir zuerst unserer Sündhaftigkeit bewusst. Das ist eine richtige und notwendige Reaktion. Wenn es nicht so ist, leben wir in einer Täuschung. Als Jesaja im Tempel Gott erlebte, rief er erschrocken aus: „Weh mir, ich vergehe, denn ich bin ein sündiger Mensch.“ (Jesaja 6) Als Petrus nach einem unerwartet großen Fischzug vor Jesus trat, sagte er in großer Demut: „HERR, gehe weg von mir. Ich bin ein Mensch voller Sünde, ich passe nicht zu Dir, dem Heiligen.“ (Lukas 5) Als der leidgeprüfte Hiob nach seinen vielen vorwurfsvollen Fragen Gottes Anrede hörte, konnte er nur stammeln: „Ich habe unweise geredet. Ich tue Buße in Sack und Asche.“ (Hiob 42). Es hilft uns sehr, bei einer Gottesbegegnung unsere Fehler und unser Versagen zu erkennen. Denn da begegnen wir der Wahrheit. – Im Psalm heißt es hier: „...ich war wie ein Narr, wie ein Tier vor Dir.“ (V.22) Ein Tier wird von seinem Instinkt gesteuert, - nicht vom Verstand, wie der Mensch. Es reagiert auf Reize, - das nützen die Jäger aus. So sind wir oft wie Tiere, wenn wir nur auf Reize und Begierden mit Gefühlen reagieren und nicht den Verstand benützen, um Gottes Gedanken zu erfassen und zu verstehen. Im Psalm 106 heißt es: „Wir haben gesündigt. Unsere Väter wollten Deine Wunder nicht verstehen.“ Es ist eine Sünde, wenn wir vor lauter Fragen, Sorgen und Problemen Gott aus den Augen verlieren, denn wir sollen „IHN lieben von ganzem Herzen, mit dem Verstand und mit dem Gemüt.“ Für Jesus war es das Wichtigste, Menschen die Sünden zu vergeben. Dazu wurde Er von Gott zu uns gesandt. Wer sich wenig Gedanken über seine Sünden macht, wird Jesus nie begreifen und nie verstehen.

 

·         Im Heiligtum Gottes erfahren wir Wichtiges über Gott. Der Psalmist war so sehr mit dem Beobachten der Gottlosen beschäftigt, dass er die göttliche Wirklichkeit ganz aus den Augen verloren hatte. Aber im Heiligtum Gottes (im Gottesdienst, beim Lesen der Heiligen Schrift) höre ich von der Macht Gottes, von Seiner Größe, Seiner Liebe, Seiner Weisheit. Je mehr wir die Wahrheit über Gott erfahren, umso kleiner werden unsere Probleme. „Es ist ein Gesetz, dass du zu dem wirst, was du denkst.“ sagte ein bedeutender christlicher Autor. Womit wir uns in unseren Gedanken beschäftigen, das prägt unser Wesen. Sind es die Sorgen, dann werden wir bedrückt. Sind es göttliche Gedanken, dann werden wir aufgebaut. Denn Gottes Wort bringt das Leben. – Im „Heiligtum Gottes“ erfahren wir die Nähe Gottes, die uns immer gut tut. – Am Schluss sagt der Psalmist: „Das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte (wörtlich: „dass ich mich zu IHM nahe.“ Der Apostel Jakobus sagt: „Naht euch zu Gott, so naht ER sich zu euch.“ (Jakobus 4, 8) - Für Petrus war das einmal lebensentscheidend. Beim Prozess gegen Jesus in der Passionsgeschichte wärmte er sich am Kohlenfeuer der römischen Soldaten, verleugnete dabei seinen HERRN – aber weil er in der Nähe Jesu geblieben war, begegnete er den Blicken des gegeißelten Jesus – und dieser Blick erinnerte ihn an die Voraussage Jesu: „Du wirst Mich heute drei Mal verleugnen.“ – Das traf sein Innerstes. „Er ging hinaus und weinte bitterlich.“ - Der Kehrreim eines alten Liedes lautet: „HERR, lass mich immer Heimweh haben, wenn ich nicht nahe bei Dir bin.“ – Der Kontrast dazu ist Judas. Er war beim letzten Abendmahl dabei. „Da fuhr der Satan in ihn.... Als er den Bissen genommen hatte, ging er hinaus. Und es war Nacht.“ (Johannes 13) Judas hat die Nähe Jesu nicht mehr gesucht. Er ging in die Nacht hinaus. – Die Nähe Gottes erfahren wir im Gebet, beim Lesen der Heiligen Schrift, beim Hören einer Predigt. Die Nähe und der Schutz Jesu bewahren uns vor der Macht des Bösen und vor dem Straucheln. „Der in euch ist (= Jesus), ist größer, als der in der Welt ist (der Satan).“ (1. Johannes 4, 4)

 

·         Im Heiligtum Gottes bekommen wir göttliche Erkenntnisse.  Mit einem großartigen Bekenntnis beginnt der Schlussteil des Psalms: „Dennoch bleibe ich stets an Dir...“ Zu dieser Erkenntnis kam der Beter im Heiligtum. Ihm ging auf, wer Gott ist und was ER alles für ihn tut: „Du hältst mich, Du leitest mich, Du nimmst mich an, Du bist mein Trost (= Fels) und mein Teil.“ Das erfüllt ihn mit großer Freude. Wie reich ist er durch Gott, - da verschwinden alle irdischen Reichtümer! – Für „Trost“ steht im Hebräischen das Wort „Fels“. Dieses Wort „Fels“ kommt oft im Alten Testament und vor allem in den Psalmen vor (Psalm 18; Psalm 62; 5. Mose 32 à 7 Mal). Das Bild will uns die absolute Zuverlässigkeit Gottes veranschaulichen. Ein Gottesmann sagte: „Es kommt oft vor, dass ich auf einem Felsen stehe und zittere, aber es kommt nie vor, dass der Fels unter mir zittert.“                                          Eine wenig bekannte besondere Bedeutung hat das Wort „Teil“. Es stammt aus der göttlichen Regelung für die Leviten, - für den Stamm Israels, der für den Dienst am Tempel ausgesondert war. Während die elf Stämme einen Landanteil bekam, erhielt der Stamm Levi kein Land. Denn, sagte Gott, „ICH bin dein Anteil und dein Erbgut inmitten der Israeliten...“ (4. Mose 18, 20). Das ist eine hohe Aussage. Die Leviten besitzen keine Grundstücke aber sie haben dafür ein ganz spezielles Privileg: engste Beziehungen zu Gott. Jeremia hat das verstanden, als er nach der Zerstörung Jerusalems, wo alles verloren war, in dunkelster Stunde sich tröstete mit dem Wort: „Der HERR ist mein Teil, darum will ich auf IHN hoffen.“ (Klagelieder des Jeremia 3, 24) Im Neuen Testament bekommt das eine starke Ausprägung, wenn es oft heißt, dass Christus in uns wohnt. Besonders Paulus sagt das deutlich: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir...“ (Galater 2, 20 – und dann ähnlich 170 mal im Neuen Testament). Das bedeutet, dass wir mit Gott, mit Christus – auch mit dem Heiligen Geist eine ganze enge Verbindung haben. Darüber sollten wir „im Heiligtum“ nachdenken. Das gibt uns ein „heiliges Selbstbewusstsein“ (= ein Bewusstsein, dass der „Heilige Gottes“ in uns lebt und mit uns ist!) Nun hat Asaf, der Beter des Psalms, die Scharen der Gottlosen nicht mehr beneidet. Er war sich seines ungeheuren Reichtums bewusst. Auch „wenn Leib und Seele verschmachten“ – Gott ist mit uns, Christus lebt in uns, der Heilige Geist durchdringt uns.

            Diese Gedanken erhielt der Beter im Heiligtum, sie sind ihm nicht unterwegs irgendwo zugeflogen. Wir brauchen die Gegenwart Gottes im Gebet, das intensive Studium des Gotteswortes, damit Gott sich uns offenbaren kann, - damit wir den Reichtum der Heiligen Schrift erfassen können. Wir brauchen die feste Gewissheit: wir haben einen großen Gott mit unendlicher Kraft und Weisheit und mit einer starken Liebe zu uns. Je größer Gott in unseren Herzen ist, desto kleiner sind die Probleme und Sorgenberge. Sie verschwinden regelrecht vor der Herrlichkeit Gottes. Im Westminster-Katechismus von 1650 (in London herausgegeben), dem am weitesten (in 17 Sprachen) verbreiteten reformatorischen Katechismus heißt auf die erste Frage: „Was ist das höchste Ziel des Menschen?“ die Antwort: „Das höchste Ziel des Menschen ist es, Gott zu rühmen und Seiner in Ewigkeit sich zu freuen.“ Eine solche Antwort würde heute bei uns kaum jemand für berauschend finden. Aber die Reformatoren waren innerlich beglückt, Christus als Erlöser entdeckt zu haben: Vergebung der Sünden, Kraft zu einem neuen Leben, Gewissheit des himmlischen Beistands – das war reichlich Grund für sie, Gottes Güte zu preisen. „Die Kraft, die in uns wirkt, ist dieselbe Kraft, mit der Gott Seinen Sohn Christus aus dem Tod herausführte.“ (Epheser 3, 20) Ist das nicht ein Grund zum Jubilieren? Deshalb wird am Anfang eines Gottesdienstes in der Regel ein Loblied gesungen. Dem Besucher sollen die Augen geöffnet werden für die Größe unseres Gottes, dessen Gegenwart wir in „Seinem Heiligtum“ erleben.

 

·         Im Heiligtum Gottes sollen wir ans Ende denken. Wir lassen uns so schnell vom augenblicklichen Geschehen beeindrucken. „..und merkte auf ihr Ende.“ (V.17) Das tat der Beter im Tempel. Da änderte sich bei ihm die Perspektive. Das irdische Leben ist nicht alles. Mit dem Tod ist es plötzlich zuende. Aber mit dem Tod ist nicht alles aus. Christus hat ein neues Leben und ein ewiges Leben angeboten. Durch Seine Auferstehung ist alles anders geworden, - hier auf Erden und nach dem Tod. Jesus sagte: „ICH lebe und ihr sollt auch leben“ – genau so kraftvoll wie Ich, genau so lange wie Ich, - nämlich ewig! (Johannes 14, 19) Mit allen irdischen Visionen und „Paradiesen“ ist es aus, wenn der Tod kommt. Allein das Leben mit Christus findet eine Fortsetzung in ewiger Herrlichkeit. Der Apostel Paulus hat diese Wahrheit einmal ganz kurz zusammengefasst in dem Satz: „Christus ist mein Leben – und Sterben ist mein Gewinn.“ (Philipper 1, 21) Für Paulus ist also das Sterben kein Verlust, kein „tragisches Ende“, kein plötzlicher Abbruch einer glänzenden Karriere (so liest man es gewöhnlich in der Zeitung) sondern etwas sehr Positives, ja sogar etwas Großartiges: wir werden bei Christus sein, eine wunderbare Herrlichkeit wird uns umgeben, Singen und staunende Anbetung bestimmen die Atmosphäre – und das alles unaufhörlich, ohne ein Ende!  Das alles haben wir Christus zu verdanken. ER hat durch Kreuz und Auferstehung es denen erworben, die sich mit IHM verbünden. – Christus gebührt die Ehre jetzt und für alle Zeiten!

 

 

26. Februar 2005                                                                            Pfr. Gerhard Hägel, Bobengrün