68. Bibelkurs BK 68
Wer ist Jesus Christus? IV
Frömmigkeit gibt es in allen Religionen. Frömmigkeit äußert sich meist in äußeren Ritualen und Gewohnheiten, in einem gewissen Lebensstil. Auch Jesus kommt auf dieses Thema in der Bergpredigt zu sprechen (Matthäus 6). ER beginnt mit einer Warnung: „Habt acht auf eure Frömmigkeit!“ und wird dann sehr konkret:
o wenn du für Bedürftige spendest, dann hänge das nicht an die große Glocke!
o wenn du betest, - dann nicht so, dass du auf andere Eindruck machen möchtest!
o wenn du fastest, - dann so, dass andere nichts davon merken!
Mit diesen Mahnungen wendet sich Jesus vor allem gegen die Scheinheiligkeit, gegen die Heuchelei. IHM kommt es sehr darauf an, dass wir bei aller Frömmigkeit die richtige Gesinnung haben. Das ist für Jesus wichtiger als die äußeren Aktivitäten. Deshalb hat Jesus die Scheinheiligkeit auch so scharf kritisiert. Keine Sünde hat Jesus so gegeißelt wie die Heuchelei bei den Frommen, vor allem bei den Pharisäern, - wie z.B. in Matthäus 23, wo ER ein siebenfaches „Wehe euch!“ über sie ausruft. ER nennt die scheinheiligen Frommen: verblendete Verführer, die „Mücken aussieben, aber Kamele verschlucken“, Narren und Blinde, Otternbrut, „übertünchte Gräber, voller Totengebeine und Ungeziefer“. Diese harte Kritik übt Jesus nur deshalb, weil diese Frommen eine falsche innere Einstellung haben. Ein „reines Herz“ ist für Jesus die Grundbedingung, um ein Gott wohlgefälliges Leben zu führen (Matthäus 5, 8: „Selig sind, die reines Herzens sind...“)
Aus diesem Grund betonen auch die Apostel in ihren Briefen häufig, dass wir eine Gesinnung wie Jesus Christus haben sollen:
„Seid so gesinnt, wie es Jesus Christus war!“ (Philipper 2, 5)
„Wir Christen aber denken im Sinn von Christus“ (1. Korinther 2, 16)
„Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch die Erneuerung eures Denkens!“ (Römer 12, 2)
Der große Unterschied zwischen einem Christen und einem Nichtchristen ist nach Paulus vor allem beim Denken und bei den Gedanken festzustellen. Davon schreibt der Apostel in Römer 8:
o Nichtchristen sind „fleischlich gesinnt“ – das heißt: ihr Denken und Planen dreht sich nur um irdische Dinge und Themen. - „Was bin ich, was kann ich noch werden?“ sagt der Volksmund, – darum kreisen ihre Gedanken. Ihre Wünsche, Liebhabereien, Interessen werden vom Egoismus gesteuert. Ihre freie Zeit wird dafür geopfert. Der Nächste ist für sie unbedeutend. Luther nannte das: die „incurvitas in se“ (= „alles dreht sich um das Ich“). – Andrerseits haben Menschen mit dieser Gesinnung eine Abneigung gegen alles Göttliche: gegen die Gebote Gottes, gegen geistliche Gespräche, gegen Einladungen zu christlichen Veranstaltungen, gegen das Lesen der Bibel. Sie haben immer Entschuldigungen und Ausreden parat (wie in Lukas 14, 15-24) - Die Endstation dieses Lebens ist nicht „das Traumleben“ auf einer „Trauminsel“, nicht das „erfüllte Leben“ – sondern das totale Gegenteil davon: „das Ende ist der Tod“ sagt der Apostel, d.h.: die Träume gehen nicht in Erfüllung, am Ende steht das Nichts, genauer gesagt: die Gottesferne für immer.
o Christen sind „geistlich gesinnt“ – das heißt: in ihrem Denken stehen göttliche Themen an erster Stelle. Sie lieben Gott über alles, sie halten gerne Seine Gebote, sie haben Zeit für Gott und auch für den Nächsten. Dieser Weg, sagt der Apostel, führt zum wahren Leben und zum Frieden (Römer 8, 6).
Die Gedankenwelt in uns spielt eine Schlüsselrolle – in diesem Leben und auch für unser ewiges Schicksal. Deshalb erhebt sich sofort die wichtige Frage: Was kann uns da helfen? Welche Macht kann unsere Gedankenwelt steuern, in der wir uns oft so ohnmächtig fühlen? Selten finden wir ein hilfreiches Angebot. Paulus gibt im selben Abschnitt in Römer 8 sofort eine Antwort – und zwar eine überraschend einfache Antwort. Er sagt: „Wenn Christus in euch ist, - wenn der Geist Gottes in euch wohnt...“, dann wird alles anders. „Dieselbe Kraft, die bei der Auferweckung Jesu am Werk war“, die wird dann auch in euch arbeiten (Römer 8, 10+11). Die göttliche Kraft, die den Leichnam Jesu lebendig machte, wird erst recht auch mit unserer Gedankenwelt fertig werden. Davon ist Paulus absolut überzeugt, wie das ganze 8. Kapitel des Römerbriefs zeigt. Seine eigene Gedankenwelt war vor seiner Bekehrung mit einem leidenschaftlichen Hass gegen Christus und die Christen erfüllt. Aber dann begegnete er Christus und nahm IHN innerlich auf, so dass Christus in ihm lebte (siehe Galater 2, 20). Seine Gedankenwelt wird dadurch von Grund auf verändert, so dass er nun von Jesus total fasziniert ist und alles andere in der Welt für ihn sinnlos wird. So schreibt Paulus darüber später im Brief an die Philipper: „Ich betrachte überhaupt alles als Verlust im Vergleich mit dem überwältigenden Gewinn, dass ich Jesus Christus als meinen HERRN kenne.“ (Philipper 3, 8)
Dieselben Gedanken finden wir schon bei Jesus. Dass im Innern des Menschen die Weichen gestellt werden, das hat Jesus gleich am Anfang Seines Wirkens herausgestellt. Er begann Seine öffentliche Tätigkeit mit dem lauten Ruf an alle: „Fangt an, in eurem Innern anders zu denken – und bringt Meiner Botschaft Vertrauen entgegen!“ (Markus 1, 15: „Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ – Luther-Übersetzung). Die Grundbedeutung von „Buße tun“ ist: „umdenken“. Bei den Propheten des Alten Testaments heißt es im Hebräischen: „umkehren“. Aber im Neuen Testament hat man dafür im Griechischen nicht das Wort „umkehren“ sondern eben „umdenken“ gewählt. Das bedeutet: die Hauptsache unseres Lebens spielt sich im Innern ab, in unseren Gedanken. Deshalb lässt sich Jesus nicht von einer äußeren, tadellos erscheinenden Frömmigkeit täuschen. Sein Augenmerk zielt auf unsere Gedanken, die ER alle sieht und kennt. Da sind in unserem Herzen Ärger, Wut, Neid, Eifersucht. Das können wir so gut verbergen, dass nach außen fast niemand etwas davon merkt. Aber in Jesu Augen sind das Sünden. In unseren Herzen sollte die Liebe zu Gott wohnen (das ist das wichtigste Gebot, sagt Jesus) – und das heißt: wir sollten über Gottes Liebe, Seinen Willen, Seine Gebote, Sein WORT, Seinen Tag, Seine Namen ... nachdenken. Im Innern des Menschen, in seinen Gedanken fallen die Entscheidungen. Der bekannte Psychotherapeut Sigmund Freud hat - um 1900 – eine große Entdeckung gemacht: die geheimen Gedanken des Menschen (seine Triebe und Begierden) sind viel schlechter als die meisten denken. Das war für viele eine böse Überraschung, denn sie fühlten sich entlarvt und wussten nicht, wie man dagegen angehen kann. Sie waren ratlos und hilflos. Denn jeder Mensch fühlt sich ohnmächtig, wenn die Gedanken in Legionen auf ihn einstürmen. - Deshalb hat Jesus Seinem Aufruf gleich angefügt: „...und bringt Meiner Botschaft Vertrauen entgegen!“ – das heißt: „Vertraut dem, was ICH euch nun sage und als Hilfe anbiete.“ Wenn ER dann später rief: „Kommt her zu Mir, alle ihr Belasteten und Ratlosen, ICH will euch Frieden geben!“ (Matthäus 11, 28) dann bedeutet das: Wir sollen deshalb zu Jesus kommen, weil ER wirklich helfen kann. Wer dann eine persönliche Beziehung zu Christus aufbaut, erlebt eine Veränderung. Der Apostel Johannes hat es in einem Bild ausgedrückt: „Wer Jesus innerlich aufnimmt, der erhält von IHM eine Kraft, die sein Leben verändert.“ (Johannes 1, 12). Damit hat Jesus den Weg zum wahren Leben und zu einer echten Frömmigkeit gezeigt. Durch Christus ist die positive, totale Veränderung eines Menschenlebens möglich. Ohne IHN sind auch die besten Bemühungen meist wenig erfolgreich.
Die Frömmigkeit Jesu: I. Jesus lebte im WORT des Alten Testaments.
Das Alte Testament war die Bibel Jesu. Jesus las nicht nur dann und wann in der Heiligen Schrift, sondern ER lebte in der Schrift. Das sieht man in der einzigen Geschichte, die uns aus den 30 Jahren Seines Lebens vor Seiner öffentlichen Tätigkeit berichtet wird, als Jesus mit zwölf Jahren mit Seinen Eltern nach Jerusalem wallfahrtete (Lukas 2). Als Maria und Josef ihn auf der Heimreise vermissten, entdeckten sie Ihn nach drei Tagen endlich in Jerusalem im Tempel, wie ER mit den Rabbis drei Tage lang über die Heilige Schrift diskutierte. Seinen erstaunten Eltern gab ER als Erklärung die Antwort: „Wisset ihr nicht, dass ICH in den Angelegenheiten (im Griechischem steht hier Plural, nicht Singular! – beim Sing. könnte man an den Tempel denken!) Meines Vaters sein muss?“ Zu den „Angelegenheiten Gottes“ gehört natürlich in erster Linie das WORT Gottes. (Das Tempelgebäude war für Jesus nicht so wichtig!) Im Tempel ist das WORT Seines Vaters zu hören, durch das ER das Universum erschaffen hat. Jesus wollte nicht bloß im Tempel sein, - viel mehr wollte ER im WORT Seines Vaters sein. – Wie es im Psalm 29 heißt, der neben fünf anderen Psalmen immer am Anfang des Synagogengottesdienstes gebetet wird: „Die Stimme des HERRN ergeht mit Macht, die Stimme des HERRN sprüht Feuerflammen, die Stimme des HERRN lässt die Wüste erbeben ... In Seinem Tempel ruft alles <Ehre!>“. Übrigens: Jesus wird im Evangelium des Johannes und in der Offenbarung des Johannes oft das „WORT Gottes“ genannt.
In der Versuchungsgeschichte (Matthäus 4) sehen wir, wie wichtig Ihm die Heilige Schrift war in der Begegnung mit der dämonischen Welt. Als Ihn Satan drei Mal in Versuchung führt, antwortet ihm Jesus drei Mal mit einem Wort aus dem 5. Buch Mose (= Deuteronomium). ER selbst, der das WORT Gottes ist, antwortete nicht mit eigenen Worten oder Argumenten sondern mit Worten aus der Heiligen Schrift, - drei Mal beginnend mit: „Aber es steht geschrieben....“ Damit zeigt Jesus, dass im WORT Gottes Kräfte sind, die stärker sind als alle teuflischen Mächte. - Als Jesus mit den liberalen Theologen seiner Zeit (den Sadduzäern) ein Streitgespräch führt, macht ER ihnen den schwerwiegenden Vorwurf: „Ihr seid im Irrtum, weil ihr weder die Schrift kennt noch die Kraft Gottes.“ (Markus 18, 24) – Für Jesus ist die Heilige Schrift ewiges, unvergängliches WORT, wenn ER in der Bergpredigt sagt: „Solange Himmel und Erde bestehen, wird kein Jota (= der kleinste Buchstabe im hebräischem Alphabet) und kein Tüpfelchen (entspricht unserem i-Punkt) vom Gesetz vergehen, bis es alles geschieht.“ (Matthäus 5, 18) – Jesus hat sich in Seinem Leben immer vom WORT der Schrift leiten lassen, auch in Kleinigkeiten (z.B. der Esel in Matthäus 21) und in Seinem Leiden und Sterben (Lukas 18, 31). 28 Mal heißt es in den vier Evangelien, dass im Leben Jesu sich ein Ereignis „erfüllte“, das im Alten Testament vorausgesagt war. Die Heilige Schrift hat Ihm auch in den letzten Stunden am Kreuz Trost und Halt gegeben (Psalm 22 und Psalm 31).
Auch bei den Aposteln merken wir, dass sie ganz in der Heiligen Schrift lebten. Paulus zitiert oft in seinen Briefen das Alte Testament, manchmal ganz seltene Stellen (z.B. Psalm 44, 23 in Römer 8). Besonders auffällig ist das beim Apostel Johannes in der Offenbarung. Dieses letzte Buch der Bibel hat 404 Verse, in denen 518 Hinweise auf das Alte Testament enthalten sind, - aber niemals ein direktes, ganzes Zitat. Das heißt: Johannes lebte so stark in der Heiligen Schrift, dass seine Sprache davon ganz durchdrungen war; - ähnlich wie bei einem Oberfranken, der in Hamburg lebt und dessen Sprache einen deutlich fränkischen Akzent verrät. – Je mehr wir in der Heiligen Schrift leben, desto mehr werden wir Jesus und auch den Aposteln ähnlich. Dabei sollten wir nicht vergessen, was in Römer 8 steht: Gott hat uns „bestimmt, dem Bild Jesu gleich zu werden.“ (V.29) - Manche lesen die Schrift, um geschichtliche Kenntnisse zu holen, - oder aus literarischem Interesse (Bert Brecht hat z.B. oft in der Bibel gelesen, aber nur, weil ihn das Geschichtenmaterial interessierte – nicht der Wille Gottes für ihn.) Jesus las die Schrift nur, weil Ihm dadurch Sein Vater nahe kam und ER den Willen Seines Vaters erkannte.
Jesus bekannte sich zur Unverbrüchlichkeit der Heiligen Schrift, aber ER zeigt auch eine
Freiheit der Auslegung, die einmalig war. Fünf Mal sagt ER in der Bergpredigt: „ICH aber sage euch...“ und verschärft damit Gesetze des Mose. Mit Jesus kommt jetzt das Vollkommene. Jesus selbst ist der Maßstab – auch im Alten Testament.
II. Jesus und die Frommen seiner Zeit.
Seltsamerweise waren die Frommen zur Zeit Jesu Seine schärfsten Gegner: die Schrift-gelehrten (= die Rabbiner) und die Pharisäer, die am Schluss sogar ganz intensiv auf seinen Tod hinarbeiteten. Die Schriftgelehrten hatten aus der Schrift ein ganzes System von Gesetzen und Ordnungen gemacht, die selbst die kleinsten Dinge des Alltags regelte. In einigen Bereichen hat Jesus ganz neue Gesichtspunkte gebracht: beim Sabbatgebot (Markus 2+3), beim Reinigungsgesetz (Markus 7) und bei den Speisegeboten (Markus 7). Alle Ordnungen, die gegen das Liebesgebot verstoßen, erklärte Jesus als menschliche Ordnungen. – Von daher erkennen wir, dass die „Gesetzlichkeit“, die zu allen Zeiten eine Gefahr war, nicht dem Geist Jesu entspricht. – Man muss immer wieder fragen, ob nicht manche Traditionen und Beurteilungen ihre Bedeutung verloren haben und Gott neue Wege zeigt. Wichtig ist vor allem, dass neue Wege dem Geist Jesu entsprechen.
Die Pharisäer waren die Frommen in Israel. Sie haben im Lauf der Zeit ein stark negatives Image bekommen. Aber A. Schlatter, der große Bibelausleger in Tübingen, weist dabei auf einen kritischen Punkt hin. Er schreibt: „Es wurde ein Zerrbild des Pharisäismus geschaffen, damit die Polemik nicht auch die eigene Frömmigkeit trifft.“ Es gab auch positive Seiten der Pharisäer. Jesus hatte mit ihnen eine breite, gemeinsame Grundlage: sie legten großen Wert auf Gehorsam gegen Gottes Gebote und Beugung unter die Schrift. Ihr Name bedeutete: „die die Sünde Fürchtenden“. Aus dem Pharisäismus kam die bußfertige Gesinnung und das Bedürfnis nach Vergebung. Aber die große Anklagerede Jesu gegen die Pharisäer in Matthäus 23 zeigt ein erschütterndes Bild. Jesus verwirft nicht einige Pharisäer oder einzelne Punkte ihrer Lehre, sondern ihr ganzes System. Letztlich suchten diese Menschen sich selbst mit den zahllosen „Ausführungsbestimmungen“ ihrer frommen Regeln. Gesetzlichkeit beherrschte ihr Denken – und die Liebe zu den Menschen fehlte bei ihnen ganz. Insofern können sie uns ein Spiegelbild sein, das uns vor Irrwegen bewahren kann. Im Galaterbrief hat Paulus mit eindringlichen Worten vor der Gesetzlichkeit gewarnt. Es ist das einzige Mal, dass der Apostel in einem Brief über seine Gegner, die Irrlehrer, zwei Mal das
„verflucht!“ (Anathema) ausspricht (in Galater 1). „Durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht“ schreibt Paulus (Galater 2, 16). Daraus erkennt man, welch eine große Gefahr für die Christen das gesetzliche Wesen ist. Gesetzlichkeit bedeutet, dass die Einhaltung von frommen Vorschriften größeres Gewicht hat als die Liebe zu den Menschen. (Siehe Markus 3, 4) - Als einmal ein Schriftgelehrter Jesus eine Falle stellen wollte, fragte er Ihn voller Neugierde, was wohl unter den vielen Geboten des mosaischen Gesetzes das größte sei. Jesus antwortete sofort: „Du sollst Gott lieben und du sollst deinen Nächsten lieben“ und fügte noch hinzu: „In diesen zwei Geboten hast du die Zusammenfassung aller Gesetze und auch der Botschaften der Propheten.“(Matthäus 22, 34-40)
Später sagte Jesus zu Seinen Jüngern: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr Meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ (Johannes 13, 35) Die Liebe ist auch das Kennzeichen (gleichsam das „Gütesiegel“) der Christenheit unter allen Religionen der Menschheit.
III. Das Vertrauen Jesu.
Auch Jesus hat Gottvertrauen gebraucht. Denn drei Jahre lang zog ER, nachdem Er Seinen Beruf als Zimmermann aufgegeben hatte, mit einer ganzen Schar (die 12 Jünger und etliche Frauen) durchs Land und musste jeden Tag für Essen und Trinken und für Nachtquartier für über zwanzig Leute sorgen. ER wusste oft nicht, wo ER über Nacht bleiben sollte (Lukas 9, 52). Jesus sprach aus eigener Erfahrung, wenn ER in der Bergpredigt uns zuruft: „Sorgt nicht für euer Leben, für Essen und Trinken und für die Kleidung. Euer himmlischer Vater sorgt für euch. Er weiß schon, was ihr braucht.“ (Matthäus 6) Die Vögel unter dem Himmel und die Blumen auf der Wiese predigten Ihm jeden Tag die Fürsorge Gottes, die nie aufhört. – Einmal fragte Jesus Seine Jünger ganz direkt: „Habt ihr jemals Mangel bei Mir gehabt?“ Sofort kam die Antwort: „Nein! Niemals!“ (Lukas 22, 35) Für uns ist Gott oft die letzte Möglichkeit, wenn wir keinen Ausweg mehr sehen, aber für Jesus ist Gott die allererste Wirklichkeit, mit der ER rechnet, bevor ER mit Überlegungen und Nachdenken beginnt. In dieser Einstellung lebt ER täglich und stündlich. – Sehr eindrucksvoll begegnet uns dieses schlichte Gottvertrauen bei dem Sturm auf dem See Genezareth. Jesus ist der einzige, der trotz tosender Wellen auf dem Schiff schläft. Warum schläft Jesus in einer solchen Situation? – weil ER müde war? (die Jünger waren genau so müde!), - nein, weil ER Gottvertrauen hatte. Als die Jünger aus Furcht Jesus schließlich aufgeweckt hatten und Ihn verzweifelt um Hilfe baten, hat ER sie zunächst mit deutlichen Worten zurechtgewiesen: „Warum habt ihr eigentlich Angst gehabt? Habt ihr wohl gar kein Gottvertrauen?“ (Markus 4) – und dann hat ER den Sturm mit einem kurzen Befehlswort gestillt. – ER hat sich später noch oft gewundert, dass Seine Jünger so wenig Gottvertrauen hatten (Matthäus 6, 30). Man kann verstehen, dass die Jünger einmal mit der Bitte an Jesus herantraten: „HERR, stärke unser Gottvertrauen!“ (Lukas 17, 5) Dieses Gebet sollten wir auch täglich vor Gott bringen. Denn mit einem rechten Gottvertrauen können wir Berge versetzen, sagt Jesus (Matthäus 17, 20) – eben, weil wir einen großen Gott haben, der uns lieb hat. und uns versprochen hat, auf unsere Gebete zu antworten.
IV. Der Gehorsam Jesu
Jesus war sehr darauf bedacht, nicht Seine eigenen Ideen zu verwirklichen sondern in allen Dingen den Willen Seines Vaters zu tun: „Ich kann nichts von Mir aus tun, denn Ich suche nicht meinen Willen sondern den Willen dessen, der Mich gesandt hat.“ (Johannes 5, 30) Gott lieben heißt nicht in religiösen Gefühlen und Gedanken aufgehen, sondern Seinen Willen tun wollen. – Am schwersten war dies für Jesus im Garten Gethsemane, als ER nachts im Gebet mit Seinem Vater rang. ER betet: „Abba, mein Vater, alles ist Dir möglich. Nimm diesen (bitteren) Kelch (des Leidens) von Mir; doch nicht, wie Ich will, sondern wie Du willst.“ (Markus 14, 36) Jesus beginnt das schwere Gebet mit Anbetung: ER wendet sich an den Vater, der unbegrenzte Macht hat. ER bringt Seine Bitte schlicht und einfach vor Seinen himmlischen Vater: „Nimm den Kelch weg!“ (Ähnlich wie Paulus später, der drei Mal betete: „HERR, nimm mir den <Pfahl im Fleisch> ab!“ - 2. Korinther 12). Aber letztlich will Jesus nur den Willen Seines Vaters tun. – Paulus hat das im Christus-Hymnus (Philipper 2) ganz einfach gedeutet: „ER wurde gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz, darum hat Ihn auch Gott erhöht und hat Ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist.“ Wer den Willen Gottes tut, wird von Gott belohnt und geehrt. - Damit ist Jesus nur auf dem Weg gegangen, den Gott Seinem Volk schon im Alten Testament gezeigt hat. Als Gott am Sinai sich Seinem Volk offenbarte, begann Er mit den Worten: „Werdet ihr Meiner Stimme gehorchen und Meinen Bund halten, so sollt ihr Mein Eigentum sein vor allen Völkern...“ (2. Mose 19, 5). Solange Israel Gott gehorchte, gab Gott reichen Segen. Israels Ungehorsam brachte ihm viel Unglück und Fluch.
V. Jesus im Alltag - ER hat oft Tischgemeinschaft mit allerlei Volk.
Jesus hat Seine Frömmigkeit nicht nur in Seiner engsten Umgebung praktiziert sondern auch mitten unterm Volk. Es fällt in den Evangelien auf, dass Jesus oft Gleichnisse von einem Festmahl erzählt (Lukas 14, 15-24; Lukas 15, 22-32; Matthäus 22, 1-14) und dass ER selbst oft Tischgemeinschaft mit unreligiösen Menschen hatte. Im Volk ging deshalb die Rede: „ER ist ein Fresser und Weinsäufer und sitzt viel mit Steuereinnehmern und Sündern (also ungläubigen, „unkirchlichen“ Außenseitern) zusammen.“ (Lukas 7, 34)
Jesus war beim Pharisäer Simon zu einem Essen eingeladen, als plötzlich eine stadt- bekannte Dirne im Zimmer unangemeldet auftauchte, sich Jesus nahte, Ihm mit ihren Tränen die Füße wusch, sie dann wieder mit ihren Haaren trocknete, küsste und schließlich auch noch mit einem teuren Parfüm salbte. Trotz scharfer Kritik von Simon nahm Jesus diese Frau in Schutz, sprach ihr die Vergebung ihrer Sünden zu und entließ sie mit einem Segenswort. Der Gastgeber Simon hatte nicht begriffen, dass sich während des Mahles die Lebensveränderung einer Prostituierten ereignete (Lukas 7, 36-50). – Ähnliches geschah in der Stadt Jericho, als Jesus beim Durchzug überraschend bei Zachäus, einem korrupten Zolleinnehmer, einkehrte. Jesus hatte ihn auf der Straße direkt angesprochen und sich selbst bei ihm eingeladen. Bei einem Festessen erklärte Jesus öffentlich: „Zachäus hat heute Großes erlebt. Er gehört nun zu den Erlösten Israels.“ (Lukas 19, 1-10)
Oft hat Jesus die Gastfreundschaft in einem Haus in Bethanien bei Jerusalem genossen – bei den Geschwistern Maria, Martha und Lazarus. Bei einer solchen Einladung, als Martha mit Hausarbeiten sehr beschäftigt war, hat Jesus mitten in der Unterhaltung allen eine große Lektion weitergegeben: “Wir sollen es schätzen, wenn wir bei Tischgesprächen göttliche Wahrheiten hören und sollen sie als etwas sehr Kostbares mit nachhause nehmen.“ (Lukas 10, 39-42).
Nach der Auferstehung Jesu wird diese Tradition weitergeführt. Die intensiven Glaubensgespräche zweier Jünger mit Jesus (unerkannt!) bei einer langen Wanderung von Jerusalem nach Emmaus enden mit einer gemeinsamen Mahlzeit in einem Gasthaus. Dieses Zusammensein wird sogar zum Höhepunkt: Jesus offenbart sich als der Auferstandene beim Austeilen des Brotes – und im nächsten Moment ist ER unsichtbar. Aber die zwei Jünger kehren voller Begeisterung zurück und verkünden mit tiefster Überzeugung: „Der HERR ist wahrhaftig auferstanden!“ (Lukas 24)
Als Jesus nach der Auferstehung den Jüngerkreis zum ersten Mal an einem Morgen am See Genezareth trifft, ist Seine erste Frage: „Habt ihr etwas zu essen?“ Weil sie nichts hatten, fangen sie schnell einige Fische. Als sie mit einer großen Beute zurückkommen, sagt Jesus: „Kommt, jetzt wollen wir miteinander essen.“ „Das war das dritte Mal“ schreibt Johannes, „dass sich Jesus Seinen Jüngern offenbarte“ – und wieder bei einer Mahlzeit. (Johannes 21)
Der große Bibelausleger Joachim Jeremias (Prof. in Göttingen) schreibt: „Das Abendmahl Jesu vor Seiner Passion ist nur e i n Glied in einer langen Kette von Mahlzeiten, die Jesus mit Seinen Nachfolgern teilte – auch nach der Auferstehung. Das Abendmahl hat seine historischen Wurzeln in dieser langen Reihe von Zusammenkünften.“ Bei diesen Mahlzeiten hat Jesus nicht nur mit den Jüngern gegessen sondern ER hat vor allem mit ihnen geredet und sich offenbart. ER hat das gemeinsame Essen benützt, um mit den Teilnehmern Gespräche zu führen und sie dabei zu einem neuen Leben mit Gott zu führen – oder sie darin zu stärken. Das scheint bei Jesus die häufigste Methode gewesen sein, um Menschen zum Glauben an IHN zu führen, - meint der Theologe Eugene Peterson in seinem letzten Buch („Christ plays in ten thousand places“). – Nicht umsonst ist damals die Redensart über Jesus in Umlauf gesetzt worden: „Der ist ein Fresser und Weinsäufer und sitzt dauernd mit Steuereinnehmern und Strolchen (Vagabunden) zusammen.“
Warum hat wohl Jesus gerade Mahlzeiten so häufig für Seine Ziele benützt?
o Mahlzeiten (in Familien und in Freundeskreisen) sind die natürlichsten und häufigsten Zusammenkünfte im Menschenleben.
o Die Teilnehmer sind meist mit Namen bekannt – es gibt also kaum anonyme Begegnungen.
Jesus will mit Menschen eine persönliche Beziehung herstellen. ER will keine Informationen
weitergeben, ER will Menschen nicht intelligenter machen sondern ER will ihnen zu einem neuen Leben mit Gott verhelfen.
o Bei Mahlzeiten herrscht eine lockere, oft sogar festliche Atmosphäre. Da ist es leichter, eine persönliche Beziehung herzustellen, - und darauf kam es Jesus vor allem an.
o Bei Mahlzeiten ist eine alltägliche Sprache üblich, - die geht mehr zu Herzen! Das WORT ist das Instrument Gottes, das ER am meisten für Sein Arbeiten verwendet.
o Bei Mahlzeiten hat man in der Regel Zeit, da gibt es keine Hektik – deshalb sind das gute Gelegenheiten für Gespräche. Früher war man sogar v o r der Mahlzeit beisammen, um alles vorzubereiten – und auch nachher beim Saubermachen und Aufräumen. – Von daher gesehen ist „fast food“ nicht ideal für das Evangelium!
Der Abschluss der Bibel besteht in einem großen Festessen im himmlischen Jerusalem bei der großen Hochzeit Jesu mit Seiner Braut, Seiner Gemeinde (Offenbarung 19, 7). – Es ist auch nicht von ungefähr, dass in der 10-bändigen Ausgabe von Luthers Werken ein Band mit Luthers Tischreden enthalten ist, die in den letzten 15 Jahren seines Lebens in Wittenberg aufgezeichnet wurden.
Alle diese Fakten helfen uns zu einer natürlichen, echten Frömmigkeit, bei der uns immer Jesus das beste Vorbild ist und sie selbst in uns wirkt. „Seid so gesinnt wie es Jesus Christus war“ schreibt Paulus im Brief an die christliche Gemeinde in Philippi.
10. September 2005 Pfr. Gerhard Hägel, Bobengrün