Evangelische Volksbibliothek
Band 1231
Gottfried Daniel Krummacher
Rechtfertigung und Heiligung
herausgegeben von
Andreas Janssen
2014
Wir nähern uns dem 500. Jahrestag der Reformation in Deutschland. Anders als in den vergangenen Jahrhunderten scheint es so, als ob dieser Tag für uns keine Bedeutung mehr hat. Sicher, die Namen einiger Reformatoren sind noch immer bekannt - Luther, Calvin, Zwingli, eventuell auch Melanchthon oder - vor allem in Süddeutschland - Brenz und Bucer. Aber ihre Leistung, ihr Werk, ihr Leben ist zumeist vergessen oder in Verruf gebracht worden.
An andere Reformatoren denkt man gar nicht - dabei wäre ohne sie das Werk der Reformation nie zustande gebracht worden.
Die Glaubensstimme bietet seit einigen Jahren kostenlos allen interessierten Lesern Texte auch dieser Reformatoren an. In Vorbereitung auf das Gedenkjahr 2017 wird jetzt in der Lesekammer die Reihe "Evangelische Volksbibliothek" herausgegeben. Die Titelseite dieser Reihe ist der gleichnamigen Buchreihe von Dr. Klaiber aus dem 19ten Jahrhundert entnommen.
Darüber hinaus bietet die "Evangelische Volksbibliothek" eine Reihe weiterer Bücher anderer christlicher Autoren aus den letzten 2000 Jahren.
Alle Bücher können kostenlos aus der Bibliothek der Glaubensstimme heruntergeladen werden.
Leimen, 01.12.2014
Andreas Janssen
gehalten am 29. August 1830
Römer 3, 22-24
Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, geoffenbaret und bezeuget durch das Gesetz und die Propheten. Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesum Christ zu allen und auf alle, die da glauben. Denn es ist hier kein Unterschied; sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie an Gott haben sollten; Und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist.
Der Brief, aus dem diese Worte genommen sind, gehört zu den allerwichtigsten Stücken der heiligen Schrift. Der heilige Apostel handelt in demselben von der Haupt- und Zentrallehre des Evangeliums, nämlich von der Glaubensgerechtigkeit. Zuerst beweist er, daß sowohl Juden als Heiden der Gerechtigkeit gänzlich ermangeln, und zeigt sodann, wodurch die Sünder allein gerecht werden können. In unserem Text drängt er das Ganze zusammen. Wir finden hier:
1) eine Beschreibung von dem natürlichen Zustande aller Menschen (Vers 23);
2) ihre Rechtfertigung.
Die Beschreibung des natürlichen Zustandes aller Menschen liegt in den Worten des 23. Verses. die Beschaffenheit dieses natürlichen Zustandes wird in den Worten angegeben: Sie sind Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollten, oder eigentlich, entbehren der Herrlichkeit Gottes. Die Allgemeinheit dieses elenden Zustandes drücken die Worte aus: Allzumal, sie haben alle gesündigt, und: Es ist hier kein Unterschied.
Die Beschreibung des natürlichen Zustandes der Menschen zerfällt in zwei Teile.
Der erste lautet so: Sie sind Sünder, oder sie haben gesündigt. Sündigen ist das Allerschlimmste, was ein vernünftiges Wesen tun kann, das Allerschändlichste und Allerschädlichste, das wir nicht genug verabscheuen, hassen, meiden und fliehen können; das einzige, was Gott selbst haßt, worüber er zürnt, ja ergrimmt, dem er sich mit seiner ganzen Allmacht und seinem ganzen Wesen widersetzt, da er sonst die Liebe selber ist. Die Schrift nennt sie Fleisch, Finsternis, Tod, und diejenigen, die mit der Sünde behaftet sind, Unreine, Hunde, Dornen, Disteln, Unkraut, Schlangen, ja, Kinder des Teufels und des Zornes; sie spricht über dieselben den Fluch aus, kündigt ihnen alles Unheil, den Zorn Gottes an, eine endlose Verdammnis an dem Ort der Qual, um uns so einen Abscheu gegen dieses höchste Übel einzuprägen. Das Sündigen besteht aber nicht bloß in bösen Taten, wie wenn jemand seinen Eltern und Vorgesetzten ungehorsam ist, einen Totschlag begeht, ein Hurer und Ehebrecher ist, stiehlt und betrügt; es besteht nicht bloß in bösen Worten wie fluchen und schwören, Mißbrauch des göttlichen Namens, lügen und falsch Zeugnis reden; nicht bloß in bösen Vorsätzen und Anschlägen, sondern das Sündigen hat seinen Hauptsitz in der ungöttlichen Gesinnung, die die Wurzel alles Bösen ist. Macht die Gesinnung an sich schon strafbar, wie viel mehr muß sie es tun, wenn die Tat hinzutritt.
Das andere Stück unseres verderbten Zustandes wird in den Worten geschildert: sie ermangeln der Herrlichkeit Gottes. Die Herrlichkeit Gottes im Menschen ist sein Ebenbild, ist die Ähnlichkeit und Übereinstimmung mit Gott. Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn. Das war, darin bestand seine Herrlichkeit, und sie heißt die Herrlichkeit Gottes, weil Gott sie ihm verliehen hatte, er seinem Schöpfer ähnlich war und in Gemeinschaft mit ihm stand. Dies machte seinen höchsten Vorzug, dies die eigentliche Würde des Menschen aus. Aber es ist eine verlorene Würde. Der Mensch hat sie nicht mehr. Ikabod! Die Herrlichkeit des Herrn ist dahin. Mögen die Menschen auch gern mit ihrer Würde prangen und sich derselben rühmen wollen; sie gleichen darin nur jämmerlicherweise den Wahnsinnigen, die sich einbilden, vornehme Personen zu sein, und die erst dadurch ihre Rückkehr zur gesunden Vernunft beweisen, daß sie diese Einbildung fahren lassen. Diese Reden von der Würde der menschlichen Natur, wie sie jetzt ist, und worin sich die Menschen von jeher so wohl gefallen haben, stehen in offenem Widerspruch gegen das gesamte Wort Gottes und namentlich gegen dieses Wort: Sie ermangeln der Herrlichkeit Gottes. Ist sogar das Licht in uns Finsternis, wie groß muß dann die Finsternis selber sein? Ist unsere Gerechtigkeit ein unflätiges Gewand, was muß dann unsere Untugend sein? Ist unsere Weisheit Torheit und ein Hindernis, Gott in seiner Weisheit zu erkennen, was muß dann die wirkliche Torheit sein? Mangelt uns die Herrlichkeit Gottes, so mangelt uns mit derselben alles, was ihm an uns gefallen könnte - dem Verstand Licht und Wahrheit, dem Gewissen Friede und Freude, dem Herzen Aufrichtigkeit, Glauben und Liebe, dem ganzen Gemüt die Richtung auf Gott. Wo jenes Licht der Herrlichkeit Gottes mangelt, da ist Finsternis eingetreten, wo dies Leben fehlt, da tritt der Tod ein, wo diese Liebe gewichen ist, da haben die Feindschaft, Zwiespalt, Zerwürfnis mit Gott, Haß und Unfriede ihr Lager aufgeschlagen, wo dies alles gewichen ist, da ist alles wüst und leer und bleibt es, sofern nicht eine neue Schöpfung vorgenommen wird.
Das also, das sind wir. Jedoch geht der Apostel noch einen Schritt weiter. Er sagt nicht nur: Sie sind allzumal Sünder, sondern lehrt auch: Es ist hier kein Unterschied. Dieser Zusatz ist für die Eigenliebe eine höchst empfindliche Beleidigung. Weil sie aber von einem solchen Werkzeug Gottes uns zugefügt wird, werden wir wohl tun, wenn wir uns darunter beugen und demütigen. Weil er muß. gibt der eigenliebige Mensch es etwa zu, daß es einzelne Ausbünde von Niedertracht, Grausamkeit, Gottlosigkeit, Geiz, Unzucht und anderen Unarten gegeben hat und noch gibt. Aber sie verbitten es sich sehr eifrig und entschieden, daß man von diesen einzelnen, die doch von vielen verabscheut dastehen, einen Schluß auf alle übrigen macht, und weichen nur in dem Fall von dieser Regel ab, wenn etwa ein Christ von einem Fehl übereilt würde, das müssen alle entgelten, dann taugen sie gleich alle nicht, womit sie ihren feindseligen Sinn offenbaren. Aber „sie taugen alle nicht“, das dehnt das Wort Gottes alten und neuen Testaments über alles, was Mensch heißt und noch in seinem Naturzustand steht, wirklich aus. Es ist hier kein Unterschied. Die wirklich schauderhafte Beschreibung, die der Apostel vom 10. bis 18. Vers aus den Psalmen von der menschlichen Natur macht, paßt wirklich auf alle Genossen dieser Natur, auf alle Menschen. Hiermit wird aber gar nicht der große Unterschied geleugnet, den die Gnade unter Menschen und Menschen macht, da es von manchen heißen kann: Solcher sind euer etliche gewesen, ihr seid allzumal Gottes Kinder. Wenn der Apostel im vorhergehenden sagt, da ist nicht einer gerecht, nicht einer, der verständig sei, der nach Gott frage, der Gutes tue, auch nicht einer, so wissen wir, daß es deren auch in unseren Tagen viele gibt, die gerecht, die verständig sind, die nach Gott fragen, jedoch durch Gnade. Der Apostel redet hier aber von der Natur. Er streitet auch gar nicht dagegen, daß nicht ein Unterschied der Sünde und Verhältnisse und endlich ein großer moralischer Unterschied unter den Menschen sei, so nämlich, daß etliche ehrbar leben, während andere sich in allen Lastern wälzen und eine Menge von Untaten ausüben. So finden wir ja in den Evangelien häufige Meldung der, freilich von vorn herein, aber meistens ohne Verstand, verrufenen Pharisäer, die aber in der Tat das nicht waren, was man schlechte Leute und Heuchler nennt. Aber wie beurteilt der Mund der Wahrheit sie? Jener reiche Jüngling war gewiß, natürlich zu reden, ein vortrefflicher Mensch und ging doch, als es darauf ankam, traurig weg, und Jesus erklärte sogar, es sei leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr ginge, als daß so geartete Leute ins Reich Gottes kämen. In der Apostelgeschichte lesen wir von andächtigen und ehrbaren Weibern, von denen man ja viel Gutes erwarten sollte, da ja offenbar zwischen leichtsinnigen und irreligiösen und solchen Weibern ein sehr große Unterschied stattfindet, und doch finden wir bald darauf, daß sie mit den Obersten der Stadt gemeinschaftliche Sache wider das Christentum machen und nicht ruhen, bis sie den Prediger desselben verdrängt haben. Das Wort „Es ist hier kein Unterschied“ ist ein ungemein demütigendes, alle Selbstgerechtigkeit gänzlich niederdonnerndes Wort, obwohl es nicht von den Ausbrüchen nach außen, sondern nur von der Wurzel, Fähigkeit und Anlagen redet, deren Entwicklung aber nicht bei allen gleich ist. Welche vortrefflichen Anlagen hat nicht mancher Jüngling! Weil es ihm aber an Gelegenheit, sie zu entwickeln, mangelt, werden sie nicht offenbar. So geht es auch mit dem Bösen, was im Menschen steckt. Erziehung, Beispiele, Umgang, Temperament, Verhältnisse halten es bei dem einen in Schranken und fördern es bei anderen zum Durchbruch. Als Gott den Hiskia verließ, wurde alles kund, was zwar bisher in seinem Herzen, aber nicht offenbar war.
Niemand hat Ursache, sich für spezifisch besser zu achten wie jeden anderen, wohl aber Gott zu danken, wenn er nicht ist wie andere Leute, Räuber, Ehebrecher, Ungerechte. Zwar ist diese Aufhebung alles Unterschiedes eine große Beleidigung für die Eigenliebe. Es ist aber verderblich, gegen das Wort Gottes anzutreten, heilsam aber, sich unter dasselbe zu beugen, damit man auch durch dasselbe aufgerichtet werde.
Dies nun, diese Lehre von unserem gänzlichen Mangel an aller eigentümlichen Gerechtigkeit, mögen wir sein, wer wir sind, ist die Grundlage oder das Grundstück, worauf das Gebäude der wahren Gerechtigkeit errichtet wird, von der unser Text nun weiter evangelisiert.
In ihm ist die Rede von gerecht sein, von gerecht werden vor Gott. Es stellt sich also zuerst die Frage, was das sei, deren Beantwortung vielleicht durch die Bemerkung erleichtert wird, daß es eigentlich heißt: gerechtfertigt, d.h. für gerecht und unschuldig angesehen, erklärt und demgemäß behandelt worden, und zwar nicht in einem menschlichen, sondern in dem göttlichen Gericht. Das will aber doch unbeschreiblich viel sagen. Sind doch die Himmel nicht rein vor ihm, und unter seinen Knechten ist keiner ohne Tadel, wie vielmehr die in Lehmhütten wohnen, die auf Erde gegründet sind und von Würmer gefressen werden (Hiob 4). Wird jemand von Gott, dem Richter über alle, für gerecht erklärt, wer darf das Gegenteil behaupten? Er wird seinem richterlichen Ausspruch allen nötigen Nachdruck zu geben wissen, und indem er alle Einreden dagegen abweiset, zugleich die Gerechtfertigten in den Besitz und Genuß alles Guten setzen.
Aber es entsteht eine zweite Frage, diese nämlich: Kann das geschehen? Ist das möglich? Geschieht das wirklich? Das ist glücklicherweise keinem Zweifel unterworfen. Mag die sich selbst überlassene Vernunft auch nicht davon wissen noch ahnen und es ein Geheimnis sei, das vor der Welt verschwiegen geblieben ist, so wird es doch im Evangelium genugsam geoffenbart. Es bejaht mit ungezweifelter Gewißheit und Zuversichtlichkeit und lehr aufs deutlichste, und beweist es auch durch die auffallendsten Beispiele, daß Sünder selig, daß Gottlose, daß schnöde Übertreter des Gesetzes, daß feindselige Verfolger des Evangeliums, daß Leute, die Jesus Christus selbst gekreuzigt und seine Gläubigen verfolgt und getötet haben, gerecht, daß der zeitlichen und ewigen Verdammnis würdige Menschen wie Brände aus dem Feuer gerissen und Gegenstände der Liebe Gottes, Genossen der ewigen Seligkeit und Herrlichkeit werden können, und ihrer nicht wenige wirklich geworden sind. Und eine solche frohe Botschaft kann man verdrängen wollen, lästern, schmähen, verfolgen, da man sie ja auf den Knien aus der weitesten Ferne holen sollte? O heilloses Geschlecht, das mutwillig sich ins Verderben stürzt, zwiefacher Verdammnis wert!
Die dritte Frage ist die: Wie geschieht es denn und wodurch wird ein Mensch gerecht? Laßt uns vorab fragen: Wodurch wird er es nicht? Nicht durch des Gesetzes Werk. Das ist höchst merkwürdig und unerwartet. Nach der Vernunft pflegt man so zu denken: Wenn ein bisher böser, leichtsinniger, gottloser Mensch sich bessert, wenn er seine begangene Sünde bereut, wenn er den Vorsatz faßt, ein anderes, gesittetes Leben anzufangen, und anhebt und sich bestrebt, diesen Vorsatz wirklich in Ausübung zu bringen, so wird Gott ihm seine Sünden vergeben und ihm gnädig sein, ohne daß es nun noch eines anderen und weiteren bedürfte. Nach dem Evangelium würden wir dies umkehren und sagen müssen: Wenn Gott jemandem die Sünde vergibt und ihm gnädig ist, so wird er auf die rechte Weise sein Leben bessern, seine Sünde bereuen usw., sonst aber wird es nie rechter Art sein und ist durchaus nicht der Weg, um vor Gott gerecht zu werden. Kein Mensch wird durch Werke, die das Gesetz befiehlt, gerecht vor Gott, das steht fest, diese Werke mögen nun sein, was sie wollen. Kein Mensch ist imstande, so viele und so vortreffliche Werke zu vollbringen, daß er sich dadurch eine vor Gott gültige Gerechtigkeit, ganz oder teilweise, erringe, und möchte er alle seine Habe den Armen geben und seinen Leib brennen lassen; denn alles, was aus dem Gesetz kommt, ist bloß Erkenntnis der Sünde, nicht ihre Vergebung oder das ewige Leben. So bestätigt es sich auch in der Erfahrung aller derer, die der Mund der Wahrheit mühselige und arbeitende Seelen nennt, aller derer, die mit wahrem Ernst Ruhe für ihre Seelen durchs Gesetz, durch die Ausübung seiner Gebote gesucht haben. Es gelang ihnen nicht einmal durch ihre mühsamsten Anstrengungen, sich eine Gerechtigkeit zusammenzuarbeiten, die nur vor dem Richterstuhl ihres Gewissens Stand gehalten, geschweige denn, womit sie hätten vor dem erschreckenden Richterstuhl der allerheiligsten Majestät Gottes erscheinen mögen. Mochten sie ihre Arbeiten und ägyptischen Frohndienst jahrelang fortsetzen, sie brachten es doch nicht weiter als Paulus es nach Römer 7 brachte: die Sünde wurde überaus sündig durchs Gebot. Es erregte nur allerlei Lust, statt sie zu dämpfen. Es nötigte zu dem Ausruf: Ach, ich elender Mensch!
Meine deshalb nur niemand, als ob ein tugendhafter Lebenswandel oder eine Reue, ein Vorsatz sich zu bessern, möchte er auch ganz aufrichtig sein, der Weg sei, um von Schuld und Strafe losgesprochen und in das Recht zum ewigen Leben eingesetzt zu werden. Kein Fleisch, kein Mensch wird durch des Gesetzes Werk gerecht vor Gott, und gäbe er alle seine Habe den Armen. Erkenntnis der Sünde kommt wohl aus dem Gesetz, nicht die Gerechtigkeit. Dieser Weg ist also verschlossen und unzugänglich. Gib alle Hoffnung auf, auf demselben zum Ziel zu gelangen, und stelle alle diese Bemühungen ein! Schlage dagegen den rechten Weg ein, der Christus heißt, und welcher dich sicher zum Ziele führt!
Wodurch geschieht aber die Rechtfertigung? Sie geschieht ohne Verdienst, buchstäblich umsonst, als Geschenk. Werke kommen dabei durchaus nicht in Betracht, weder die bösen, daß sie es hindern, noch die guten, daß sie es fördern sollten. Der Zöllner ist sich keiner guten Werke, wohl aber seiner Sünde bewußt, der Pharisäer weiß viel Gutes von sich zu sagen; doch geht jener hinab gerechtfertigt in sein Haus vor jenem. Zwei können auf einem Felde sein: Der eine wird angenommen, der andere verlassen. Rechnet Gott Sünden zu, so ist auch der Beste verloren, denn wer an einem fehlt, ist des ganzen Gesetzes schuldig. In Missetaten sind jene beiden Schächer sich so gleich, wie in der Strafe. Die Gnade aber scheidet sie; dem einen schenkt sie Buße zur Vergebung der Sünden, der andere stirbt in seinen Sünden. Wer hat dich vorgezogen? Wo ist der Ruhm? Willst du was Gutes tun, so glaube, daß du nichts Gutes getan hast, das wird dich viel weiter bringen als die entgegengesetzte Einbildung! Lerne dies „umsonst“, dies „unentgeltlich“ wohl fassen und verstehen, so wirst du sehr weise sein.
Welches ist aber der Beweggrund der Rechtsprechung? Die Gnade; aus seiner Gnade, heißt es. Es gibt sowohl, wie der Apostel im Folgenden redet, Gefäße des Zorns, die zugerichtet sind zur Verdammnis, weil Gott Zorn zeigen und kund tun will seine Macht, wie es Gefäße der Barmherzigkeit gibt, die er bereitet hat zur Herrlichkeit, auf daß er den Reichtum derselben kund machte an denen, die er berufen hat. Der heilige Apostel weiß nur von Verdienst oder Gnade und sagt, es müsse notwendig aus dem einen oder dem anderen sein, wenn jemand selig werde, nicht aus beiden zusammen. Ist es aus Verdienst der Werke, sagt er, so ist die Gnade nichts, sonst wäre Verdienst nicht Verdienst; ist es aber aus Gnade, so ist es nicht aus Verdienst der Werke, sonst wäre Gnade nicht Gnade. Johannes drückt dasselbe mit anderen Worten aus, wenn er sagt: dies ist die Liebe, nicht, daß wir ihn geliebt haben, sondern er hat uns geliebt und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden. Indem der Apostel das eine in jeder Betrachtung ganz darniederschlägt, richtet er das andere allein auf. Er stellt eine Alternative: entweder - oder. Ebenso redet das alte Testament: Freiwillig will ich euch lieben. Solches will ich tun um meinetwillen, ja um meinetwillen, daß ihr es wisset. Bei dir ist die Quelle des Lebens. Wollte Gott den Beweggrund, wie er den Menschen behandeln sollte, aus dem Menschen selbst und dessen Verhalten hernehmen, so müßte dieses Verhalten durchaus vollkommen und dem göttlichen Gebot gemäß sein. Und wollte jemand es auf diesem Wege erlangen, so wäre es auf jeden Fall zu spät. Er nimmt ihn also aus seiner Liebe und Gnade her, ohne Rücksicht auf uns. Wer es nun versteht und gelernt hat, mit diesem lebendigmachenden Strom zu schwimmen, der wird eine leichte und glückliche Fahrt antreffen, wo ihn auch der Wind begünstigt, und wenn er seinen Blick von allem ab auf diesen Liebesgott heften kann, etwas sehr Schönes und Heilbringendes sehen.
Aber was ist die erwerbende Ursache der Gerechtigkeit verdienstloser Sünder? Die Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist. Das Wort Erlösung hat in der Schrift zwei Bedeutungen. Die eine bezeichnet überhaupt eine Befreiung von allerlei Trübsal, wie Christus Luk. 21,28 die Seinigen ermuntert, unter den bedenklichsten und Grauen erregendsten Umständen ihre Häupter in die Höhe zu heben, weil ihre Erlösung nahe ist, und Paulus Christus für einen solchen bekennt, „der mich erlösen wird aus aller Trübsal und mit aushelfen zu seinem herrlichen Reich.“. Hier aber bezeichnet das Wort Erlösung einen Loskauf oder die Erweckung des Heils durch einen Gehorsam und weiterhin die Mitteilung dieses erworbenen Heils an alle diejenigen, welche Teil daran haben. Das Wort Erlösung ist also ein ungemein vielsagender, ungemein viel in sich fassender Begriff. Doch wird es hier hauptsächlich in der ersten Beziehung genommen, wie nämlich das Heil erworben ist. Und wodurch ist das geschehen? Durch den allervollkommensten und allerheiligsten Gehorsam unseres Herrn Jesu Christi.
Laßt uns aber hier unsere Betrachtung abbrechen, um sie nicht zu übereilen, und sie, so der Herr will, nächstens wieder fortzusetzen. Laßt uns aber aus dem Gesagten Folgendes uns recht einprägen und beherzigen:
Erstens laßt uns wohl bedenken, daß wir allzumal Sünder sind und der Herrlichkeit Gottes ermangeln, wohl bedenken, daß von Natur kein einziger unter uns und allen Menschen ist, der es so weit gebracht hätte oder es durch seinen, wenn auch noch so ernstlichen Fleiß so weit zu bringen imstande wäre, daß er im Gericht Gottes bestehen könnte. Wisset und bedenket wohl, daß ihr alle, euch selbst überlassen, daselbst nichts zu erwarten habt als Urteil und Verdammnis, weil alle gesündigt haben. Laßt es gänzlich bei euch ausgemacht sein, daß ihr einer Prüfung, einem Examen, einer Untersuchung entgegeneilt, wo ihr auf tausend Fragen nicht ein einzig Wort werdet antworten können, wo aller Mund gestopft und alle Welt als Gott schuldig befunden werden wird. Laßt euch dadurch gutwillig demütigen, euch eure eigene Gerechtigkeit zerstören, eure Sicherheit verscheuchen und zu der ernstlichen Frage bewegen: Was soll ich tun, daß ich im Gericht Gottes bestehen möge?
Bemerke zweitens, daß ein Weg und Mittel vorhanden ist, worauf ihr, und wenn ihr bisher noch so große Sünder gewesen wäret, für so gerecht und heilig geachtet werdet, als ob ihr nie eine Sünde begangen noch gehabt hättet, worauf ihr nicht nur dereinst vor dem Richterstuhle Christi unbeschämt, ja mit Freuden werdet bestehen können, sondern wo ihr schon in diesem Leben wie im Sterben eine Freudigkeit im Gewissen, einen Frieden mit Gott genießen könnt, der größer ist als alle Schätze der Erde.
Beherzigt diese beiden Stücke wohl und beweget sie in eurem Herzen! Sehet zu, daß ihr diesen Schatz nicht versäumet, sondern gehet ein durch die enge Pforte, was der Herr euch aus Gnaden verleihen wolle! Amen.
(gehalten am 19. September 1830)
Es würde einen großen Irrtum verraten, wenn jemand meinte, als sei das alte Testament wesentlich vom neuen verschieden, als sei man dort auf eine andere Weise selig geworden, wie hier. Dann würde ja Jesus Christus nicht gestern und heute und derselbe in Ewigkeit sein. Ja, wenn wir so sagen wollen, müssen wir ja bekennen, daß in den Schriften des alten Testaments weit mehr Verheißungen der Zahl nach enthalten sind, als in denen des neuen Testaments, wiewohl dieses nichts ist, als eine große, sich stets erfüllende Verheißung. Was kann doch wohl evangelischer sein, als Davids Wort Psalm 119,38: Wenn du mich tröstest, dann laufe ich den Weg deiner Gebote. Man sollte wohl aus dem Munde eines alttestamentlichen Gläubigen nach etlicher Ansicht erwartet haben, er habe es umgekehrt und gesagt: Wenn ich den Weg deiner Gebote laufe, so tröstest du mich. Zwar geben wir zu, daß man nach der evangelischen Fülle und Geheimlehre allerdings im rechten Sinne so reden möge, wie etwa jener Spruch so abgefaßt ist, wo es heißt: O, daß du auf meine Gebote merktest, so würde dein Friede sein wie ein Wasserstrom und deine Gerechtigkeit wie des Meeres Wellen! Oder Psalm 81: Wollte mein Volk mir gehorsam sein, und Israel auf meinen Wegen gehen, so wollte ich ihre Feinde bald dämpfen. Aber zugeben, daß sie auf eine andere Weise wirksam gewesen wären, als durch den Glauben, hieße leugnen, daß derjenige ein Dieb und Mörder sei, welcher nicht durch die einige Tür, welche zugleich Weg und Ziel ist, eingehe.
Der gläubige Verfasser des längsten unter allen Psalmen gibt in den angeführten Worten ein sehr deutliches Zeugnis seines evangelischen Sinnes, nach welchem er die Erlangung des göttlichen Trostes als ein notwendiges Erfordernis und als eine sichere Quelle nicht bloß des Gehens, sondern selbst des Laufens in den Geboten des Herrn hält. Jenes geht vor, dieses folgt. Erst an Beinen gestiefelt, dann fertig, zu treiben das Evangelium des Friedens.
Eins ist hier jedoch sehr zu beklagen. Dieses nämlich, daß die meisten guten Seelen so kümmerlich einhergehen, und daß das Wenn - „wenn du mich tröstest“, nicht zu den gewöhnlichen, sondern zu den seltenen und ungewöhnlichen Fällen gehört, oder daß sie vergnügt sein können, ohne sagen zu dürfen: Du tröstest mich. Daraus erwächst denn ein sehr hinkendes, schleppendes Christentum, voll Mühe, ohne Kraft. Daher tut es sehr not, daß der wahre Grund zur Gottseligkeit durch eine wohlbegründete Freudigkeit mehr und mehr bei uns gelegt und gefördert werde. Und was ist dazu geeigneter als die Rechtfertigungslehre, wovon wir neulich begonnen haben, und die wir in einigen Predigten, so wie auch heute, in des Herrn Namen fortzusetzen gedenken.
Und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist.
Römer 3,24.
Wir reden von der rechten Art, vor Gott gerecht zu werden. Unsere vorige Betrachtung schlossen wir mit der Frage: Welches ist die erwerbende Ursache der Gerechtigkeit verdienstloser Sünder? Diese nennt uns unser Text.
Wir betrachten denn
1) die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist,
2) deren vornehmste Frucht.
Bei der Erlösung achten wir auf die Person, die sie gestiftet hat, und auf das gestiftete Werk selbst.
Jesus Christus, so heißt der Erlöser. Diese beiden Namen, der eine aus der hebräischen, der andere aus der griechischen Sprache herstammend, sind so bedeutungsvoll, daß sie die Eigenschaften und das große Heilswerk dieses hochgelobten Erlösers zugleich andeuten. Sie sind so inhaltsreich, daß wir uns begnügen müssen, nur etwas von der Oberfläche dieses Ozeans zu schöpfen, diese Sonne nur im gebrochenen Widerschein des Bogens in den Wolken anzuschauen. Wer diese Namen recht versteht, weiß zu seiner Seligkeit genug, wer sie nicht versteht, weiß nichts. Sie sind aber so hoch und hehr, daß nur die göttliche Person des heiligen Geistes ihren Gehalt erläutern kann, und so beseligend, daß jegliches Elend vor ihnen weicht.
Der hebräische Name Jesus, oder in seinem hebräischen Klange Jehoschua, bedeutet: der Seligmacher. Der erste, welcher denselben Namen führte, war Mosis Nachfolger, derjenige, welcher das Volk Israel in Kanaan einführte und sie zu vorbildlichen Ruhe brachte. Wir sollen die beiden ersten Silben dieses Namens Jehoschua nicht unbeachtet lassen. Der eigentliche Name Gottes fängt auch damit an. Auf Befehl Gottes verband Moses diese beiden Silben mit dem Namen seines Dieners und Nachfolgers, verwebte also die göttliche Herrlichkeit mit diesem Manne. Dies wies auf Jesum. Durch diesen Namen wird er als derjenige bezeichnet, welcher alle die hohen und niedrigen Eigenschaften, wie ehemals durch das Zedernholz und Ysop abgebildet wurde, in sich vereinigt, welche ihn zu demjenigen machen, was er heißt, der Seligmacher, in welchem diejenigen, so ihn mit wahrem Glauben annehmen, alles haben, was zu ihrer Seligkeit vonnöten ist. Beim Josua blieb die Verwebung der göttlichen Herrlichkeit mit seiner Person bloß beim Namen, ja bei zwei Silben. In diesem aber wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Seine Herrlichkeit war die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit, den alle wie den Vater ehren, den selbst alle Engel Gottes anbeten sollen. Er ist ein Herr, auch des Sabbats, größer denn der Tempel, höher denn der Himmel. Alle Gewalt, alles Gericht, alles ist ihm von seinem Vater übergeben. Er ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben. Einen solchen Erlöser mußten wir haben und haben ihn. Seine Macht ist allmächtig, womit er auch kann alle Dinge sich untertänig machen. Seine Würde ist unendlich und etwas von ihm mehr wert als die ganze Welt. Seine Liebe und Liebenswürdigkeit ist die eines Gottes. Wen er selig macht, der ist selig gemacht. Er weiß zu den Gefangenen zu sagen: Kommt hervor! und zu den Gebundenen: Gehet hinaus! und die Kinder des Todes loszumachen und aus der Hölle heraufzuholen. Unser Vertrauen zu ihm braucht gar keine Grenzen, keine Umstände, kein Bedenken zu haben. Das größte Vertrauen zu ihm wird nicht beschämt, sondern übertroffen, aber auch ein glimmender Docht nicht ausgelöscht. In ihm haben wir alles genug.
Mit dieser majestätischen Zeder ist der Ysop der menschlichen Natur zu einer Person vereinigt, darum nennt er sich selbst des Menschen Sohn, der im Himmel ist. Dies ist das verkündete große Geheimnis der Gottseligkeit: Gott ist geoffenbart im Fleisch. Nun ist ein Reiner unter denen, da sonst keiner rein ist, wodurch die andern gereinigt werden, ein Gerechter unter denen, da sonst keiner gerecht ist, auch nicht einer; einer, der da heilig ist und unschuldig, und von den Sündern abgesondert, ein Gehorsamer unter den Abtrünnigen. Eine glückliche, eine segnende Ausnahme. Er war's allein, der keine Sünde getan, und in des Munde kein Betrug erfunden worden. Die Teufel selbst sahen sich genötigt, zu bekennen, er sei der Heilige Gottes, und sie waren davon überzeugt, denn ihr Fürst hatte ihn auf solche Proben gestellt, daß, wenn etwas Böses in ihm gewesen wäre, es notwendig hätte zum Vorschein kommen müssen. Es kam aber nichts. Wiewohl allenthalben versucht wie wir, war er doch ohne Sünde. Was aber diesen Menschen Jesum hauptsächlich auszeichnet, daß er eines Hauptes länger über alle hinaus ragt, ist der merkwürdige, geheimnisvolle und segensreiche Umstand, daß er ein Mensch für uns, daß er's an unsrer statt, daß er's zur Versöhnung für unsere Sünde ist. Wer könnte an seiner Willigkeit zur mühevollen Ausführung des großen Erlösungswerks zweifeln, da er sie durch die höchsten Proben, durch einen Gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz bewährt hat. Wie bitter der Kelch war, wie sehr seine heilige Natur sich nach Menschenart darob entsetzte, fragte er dennoch: Sollte ich den Kelch nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat? und nannte den erschrecklichen Gott, der ihn in des Todes Staub legte, in der Inbrunst seiner feurigen Liebe dennoch in der zärtlichsten Kindessprache: Abba, mein Vater. Mochte ihm auch so bange sein, bevor die Blut- und Todestaufe an ihm vollbracht war, so war seine Resolution doch die: aber darum bin ich in diese Stunde gekommen. Was wäre auch das Ganze gewesen, wenn es aus Zwang hervorgegangen wäre? Aber er folgt wie ein Lamm zur Schlachtbank und verstummte wie ein Schaf vor seinem Scherer. In seinem Willen sind wir geheiligt.
Diese seine Menschheit war das große Opfer für unsere Sünde. Und um diese Eigenschaft willen heißt er Jesus, der Seligmacher, ein Name, den ihm nicht menschliches Gutfinden beilegte, sondern der ihm auf ausdrücklichen Befehl Gottes seines Vaters gegeben wurde. Er allein macht selig, denn außer ihm ist kein Heil zu finden, sowie nirgends zu suchen. Er macht stufenweise und ganz selig, beides nach Leib und Seele, hier dem Anfang nach bis zur Vollendung im Himmel. Er tut es vollkommen, so daß nichts an der Seligkeit mangelt; gern, denn dazu ist er gekommen; ohne Verdienst, denn aus Gnaden seid ihr selig geworden und dasselbige nichts aus euch, Gottes Gabe ist es. Sünder und Verlorene sind's, die er selig macht, jedoch so, daß er dieses Seligmachen in ihnen damit beginnt, daß er sie verlangend macht, gern durch ihn heilig und selig zu werden, und sich in dieser großen Angelegenheit zu ihm zu wenden. Solche stößt er nicht hinaus, so wie er auch den Namen derer nicht in seinen Mund nehmen will, die einem andern nacheilen und in ihren Sünden bleiben wollen. Die werden auch darin sterben. Das wird auch denen widerfahren, die diesen Jesum nicht zu bedürfen glauben und meinen, sie könnten sich selbst rechtfertigen; denen wird der Herr zu seiner Zeit anzeigen, daß ihre Werke und ihre Gerechtigkeit ihnen kein nütze ist. Der Wind wird sie alle wegführen, sie aber in Schmerz und Verzweiflung darniederliegen. Solches wird ihnen dafür von dem Herrn widerfahren, daß sie dem Evangelium seines Sohnes nicht gehorsam waren. Über solche wird er mit Feuerflammen kommen, Rache zu geben.
Aber ist dieser Jesus auch zur Ausführung dieses großen Erlösungswerkes tauglich und genugsam? Hat er die Macht? Ist er dazu autorisiert? Ist er dazu befähigt? Jawohl, dies ist's was sein Amtsname Christus zu erkennen gibt. Diesen Namen, der ein Gesalbter bedeutet, führen im alten Testament einige Personen, welche die höchsten und wichtigsten Ämter verwalten, nämlich das Amt eines Propheten oder Königs oder Priesters, wozu sie vermittelst einer Salbung eingeweiht wurden, und deswegen Christi, d. h. Gesalbte hießen, wiewohl niemand alle drei Ämter zugleich verwalten konnte, welches Jesu allein vorbehalten war, der deswegen im höchsten Nachdruck Christus heißt. Dieser Name zeigt an, daß Jesus alle die Werke, welche zur Seligkeit seiner auserwählten Gemeinde notwendig sind, teils vollendet hat, teils noch wahrnimmt und dafür anerkannt und angenommen werden muß. In ihm ist das ganze Heil, wie in einer Schatzkammer, wie das Licht in der Sonne beschlossen, weil es der Vater in ihm niedergelegt und ihm alles übergeben hat. Hier kommen besonders jene vier großen Stücke in Betracht, deren der Apostel 1 Kor. 1, 30 als solcher gedenkt, wozu uns Christus von Gott gemacht ist, welche zusammengenommen ein vollkommenes Ganze ausmachen, außer welchem wir nichts weiter bedürfen, und das wir von dem großen Augenblick an erlangen, da wird durch den heiligen Geist vermittelst des Glaubens mit Christo als unserm Haupte vereinigt werden. Das erste ist Weisheit, welche Salomo billig höher stellt als Silber und Gold und alle Güter der Erde, und zu dem größten Fleiß ermuntert, sie zu erlangen. Wir werden genug von ihr zu ihrem Ruhme gesagt haben, wenn wir bloß bemerken, daß sie ein Stück der Gottähnlichkeit in der Seele ist. Das Evangelium ist ein großes Geheimnis; zum Verständnis desselben ist Weisheit erforderlich. Und siehe! so wie die Sonne gemacht ist, uns im Natürlichen zu erleuchten, so Christus, uns weise zu machen zur Seligkeit. Er ist die Weisheit selbst. Wie weise wird also nicht jeder in ihm sein, der ihn in sich wohnend hat. Er ist unsere Gerechtigkeit und ist uns von Gott selbst dazu gemacht. Welche Gerechtigkeit ist doch das! Wer sollte sie da suchen? Wie vortrefflich, wie vollkommen, ja überschwenglich ist sie! Wovor hat der sich noch zu fürchten, der damit bekleidet ist!
Unsere Natur ist ganz vergiftet. Aber dies Sündengift kann weggeschafft werden. wir haben eine kräftige Arznei dagegen, denn dieser ist uns auch zur Heiligung geworden. Mag nun wirklich unser Schade verzweifelt böse sein, so sollt ihr doch heil werden. Denn ich will rein Wasser über euch sprengen, von aller eurer Untugend will ich euch reinigen. Wir schweben hier in mannigfaltigem Elend. Nicht bloß treffen uns allerlei körperliche und irdische Mühseligkeiten oder drohen uns wenigstens, sondern überdies wandeln wir hienieden im Fleisch. Die Sünde klebt uns immerdar an und macht uns träge, überdies haben wir mit bösen Geistern unter dem Himmel zu streiten, müssen unser Kreuz auf uns nehmen täglich und durch viel Trübsal ins Reich Gottes eingehen. Aber dieser wird uns erlösen aus allem Übel und aushelfen zu seinem herrlichen Reich.
Dieser Jesus, welcher ist Christus, ist demnach zur Ausführung des großen Erlösungswerks vollkommen tauglich und geschickt. Aber laßt uns jetzt auch auf das gestiftete Erlösungswerk, auf die Erlösung selbst und ihre Frucht achten.
Die Erlösung ist durch Jesum Christum geschehen, und zwar insbesondere durch seinen Gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz; denn da er ist vollendet, ist er geworden eine Ursache zur Seligkeit allen, die ihm gehorsam sind. Dieser Gehorsam Christi ist überhaupt vollkommen, so daß nichts an demselben mangelt. Er war ungemein herrlich. Denn Jesus leistete ihn unter den schwersten Umständen, Leiden, Versuchungen, und trieb ihn bis zum höchsten Gipfel, bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz, bis zum Trinken eines Kelchs, dessen er unter jeder andern Bedingung als der des Gehorsams, durchaus würde haben überhoben bleiben wollen. Es war ein Gehorsam aus der lautersten Liebe zu Gott und zu den Seinen, wobei er nichts gewann als die Freude, das Verlorene selig zu machen, ein Gehorsam von unendlichem Wert. Denn es war ja nicht ein schlichter heiliger Mensch, der ihn leistete, nicht bloß ein unschuldiges Lamm, das da blutete, es war Gott selbst, der seine Gemeine mit seinem Blute erkaufte, und also empfing das Gesetz einen Gehorsam, den es niemals zu fordern berechtigt sein konnte. Es war endlich ein ganz freiwilliger Gehorsam, es war die freie Wahl des Sohnes Gottes, wodurch er unter das Gesetz getan wurde, nicht eine Fügung der göttlichen Vorsehung, welche seine freie Einwilligung nicht zu Rate zog, wie es bei den übrigen Geschöpfen der Fall ist.
Insbesondere aber ist der Gehorsam Christi ein stellvertretender, ein Gehorsam, den er nicht für sich, nicht zu seinem Nutzen, nicht um sich selbst etwas damit zu erwerben, leistete, sondern den er anstatt anderer vollbrachte, damit er ihnen zu gute komme, damit er ihnen geschenkt und zugerechnet würde. Das so häufig in der Schrift vorkommende Wörtlein für uns ist von ausnehmender Wichtigkeit und hoher Bedeutung. Es hat einen schwächeren, es hat auch einen nachdrücklicheren Sinn. In seinem schwächeren allgemeinen Sinn sagt man von Bemühungen, Handlungen, Entbehrungen, Leiden - sie geschehen für andere, wenn sie zu derer Vorteil und Besten geschehen. So arbeitet der Staatsmann für das Beste der Allgemeinheit, der Lehrer, Künstler, Arbeiter in seinem Kreise für das Beste seiner Mitbürger, der Kriegsmann stirbt fürs Vaterland. Aber niemand will doch damit sagen, wenn er nicht gestorben, so hätten die übrigen Staatsbürger in eigener Person sterben müssen. Im strengeren und nachdrücklicheren Sinn aber bezeichnet das Wörtlein für allerdings solche Handlungen und Leiden, die jemand in eigener Person hätte verrichten müssen, wenn's nicht ein anderer an seiner Stelle getan, wie es namentlich bei einem Bürgen der Fall ist, welcher eines Andern Verbindlichkeit an seiner Statt erfüllt. Jesus heißt aber Hebr. 7, 22 ausdrücklich ein Bürge. Von Christo und namentlich von seinem Gehorsam ist das für in seinem vollen Nachdruck zu nehmen und bedeutet so viel als anstatt, an unserer Stelle. Denn es ist ein stellvertretendes Gehorsam.
Dieser Gehorsam hat eine zweifache Richtung und kann in einen leidenden und tuenden unterschieden werden. Er litt alles, was sonst der Sünder an Leib und Seele hätte leiden müssen in Zeit und Ewigkeit. Die Strafe lag auf ihm. Gott erwies an ihm seine Gerechtigkeit. Er ward verwundet, aber um unserer Sünde willen und wegen unserer Missetat ward er zerschlagen. Er ward ein Fluch an unserer Statt, weil wir alle unter dem Fluch sind. Aus Gottes Gnade schmeckte er für alle den Tod, welcher der Sünden Sold ist. Unser alter Mensch ward in seiner Person gekreuzigt, und dieser Eine starb anstatt aller. Die Seelenangst, die von Rechts wegen über alle kommt, die da Böses tun, trocknete ihn aus, wie eine Scherbe, trieb das Blut aus seinen Adern und machte, daß er, wie einer der in den letzten Zügen liegt, mit dem Tode rang. Zuletzt verließ ihn sein Gott sogar, welches ein ebenso unbegreifliches als erschreckliches Leiden war, verließ ihn, wie die Verdammten verlassen werden. Was für schreckliche Angst er empfand, davon zeugen die Psalmen, nach welchen er sich wie einer vorkam, der in eine tiefe Grube geworfen ist und nun alle Augenblick besorgt, das Loch derselben möge über ihm zugehen und er also gar dahin sein. Kurz, er trank den bitteren Feuerkelch der Verdammnis, der für uns Sünder gemischt war. Er wurde behandelt, als ob er der Sünder, ja die Sünde selbst gewesen wäre. Dabei tat er alles, was der Mensch zwar zu tun verpflichtet war, ist und bleibt, aber nicht tun kann, weil er durch die Sünde geschwächt ist. Er kam, den Willen Gottes zu tun und das Gesetz zu erfüllen. Er ward unter das Gesetz getan, um die loszukaufen, welche unter dem Gesetz waren, und ihnen die Kindschaft zuzuwenden. Was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch die Sünde geschwächt war, das tat Gott selbst und sandte seinen Sohn; durch dieses Einen Gehorsam werden nun viele gerecht. Eben darum ward er ein Mensch, um zu leisten, was die Menschen zu leisten verpflichtet waren,
Daß vom Volk aus seinem Bunde
Keiner mehr sein Schuldner blieb.
Er war der Bürge, welcher die fremde, aber ihm zugerechnete Schuld bis auf den letzten Heller abtrug. Denn diese Stellvertretung gründet sich eben auf die gesegnete Zurechnung und Verwechslung, welche uns in der Geschichte der Leiden Christi durch den bekannten Vorfall zwischen Christo und Barrabas versinnlicht und durch das Zeremonial-Gesetz durch die Werfung des Loses über zwei vor den Herrn gestellte Sühneopfer, wovon das eine freigelassen, das andere getötet wurde, abgebildet wird. Paulus erläutert dies in jenem denkwürdigen Wort, wo er sagt: Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir in ihm würden Gerechtigkeit Gottes. Welch' ein seliges Wunder! Unsere Schuld wird auf Jesu Rechnung gesetzt, daß er sie bezahle. Sein Guthaben wird auf unsere Rechnung gesetzt, daß wir es genießen. Was der Sünder mißhandelt hat, wird gerechnet, als ob Christus er mißhandelt hätte, und was Christus getan und gelitten hat, wird gerechnet, als ob es der Sünder getan und gelitten hätte. Dies ist das wundervolle Fundament der ganzen Gnadenlehre, der Mittelpunkt, um welchen sie sich dreht, der Grund aller evangelischen Beruhigung, die Ursache der wieder eröffneten Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott, mit welchem die Kirche über diesem Opfer einen Bund gemacht hat, worin alles wohlgeordnet ist.
Offenbar mußte dies für uns, diese Stellvertretung, diese Verwechslung und Bürgschaft die allerherrlichsten Früchte für diejenigen nach sich ziehen, denen sie gilt. Sie gilt aber keineswegs für alle, sondern ausschließlich für diejenigen, welche Christo durch wahren Glauben einverleibt sind. Es gibt eine Welt, welche den Geist nicht kann empfangen, denn sie siehet ihn nicht, eine Welt, für welche Jesus nicht einmal bitten wollte, wie hätte er sein Blut für sie vergießen sollen? Für wen ließ er sein Leben als für seine Schafe und heiligte sich für die, welche ihm sein Vater gegeben hat, auf daß auch sie geheiligt würden in der Wahrheit. Die sind es, welche er in der Zeit beruft, gerecht spricht und herrlich macht.
Nicht ein jeglicher mag des so leichtfertig und obenhin trösten, daß Christus für ihn gestorben sei. Sollte das wohl wahr sein? Ist das an dem, ist Christus für dich gestorben, so bist du geborgen, so bist du in Ewigkeit vollendet, so sind alle deine Sünden, von der kleinsten bis zur größten, gänzlich getilgt, so kommst du nicht ins Gericht, so bist du so rein, als hättest du nie keine Sünde begangen noch gehabt, ja allen den Gehorsam vollbracht, den Christus, dein Heiland, für dich geleistet hat. Aber wie, wenn es nur Einbildung, nur ein Hirngespinst, nur ein Aberglaube ist, wenn Christus deinen Namen nicht hat wollen im Munde führen und also auch nicht hat für dich bitten wollen! Auf was für einen Grund hin darfst du es wagen zu sagen, Christus sei für dich gestorben? Woran merkst du das? Daran, daß du außer diesem keinen Rat noch Trost weißt? Daran, daß dich sonst die Größe und Strafbarkeit der Schuld zur Verzweiflung treiben müßte? Daran, daß du die Sünde hassest, meidest, fliehest, daß du Leide trägst, daß du nach Gerechtigkeit hungerst und dürstest, daß du kein größeres Gut kennst, als mit Wahrheit sagen zu können: Jesus ist für mich gestorben und sein Tod ist mir ein Gewinn? Ohne solche Gesinnung sage das nur nicht, denn du lügest. Wäre Christus für dich gestorben, würdest du auch mit ihm sterben und leben. Sind aber jene Gesinnungen bei euch, so ergötzet euch in dieser herrlichen Stellvertretung! Seid darauf, wie die Bienen auf den Blumen, daß ihr voll ihres süßen Honigs dem lebt, der für euch gestorben und auferweckt ist. Amen.
(gehalten am 10. Oktober 1830)
Es ist ein lieblicher Brief, welchen der alte Paulus aus seiner Gefangenschaft in Rom an seinen Freund, den Philemon schreibt. Er betraf einen Onesimus. Dieser war ein Sklave des Philemon und von ihm weggelaufen, früher ein unnützer und verkehrter Mensch. Durch die erbarmende Fügung Gottes war er in Rom mit Paulo bekannt, bekehrt, ein ganz anderer Mensch und dem Apostel sehr lieb geworden, so daß er ihn seinen Sohn und lieben Bruder nennt. Diesen nun sendet er seinem rechtmäßigen Herrn wieder zu und gibt ihm ein Empfehlungsschreiben mit.
Dasjenige, was ich daraus hervorheben wollte, ist dieses, daß Paulus den Philemon bittet, den Onesimus so aufzunehmen, wie er ihn selbst aufnehmen würde und es ihm, Paulo, zuzurechnen, wenn Onesimus ihm etwa Schaden getan oder schuldig sei, er wolle es bezahlen.
Es ist leicht zu denken, welche günstige Aufnahme Onesimus bei seinem alten Herrn fand, wie willkommen er war, wie so gar kein Vorwurf ihm gemacht wurde, und kein saures Gesicht, sobald der Brief gelesen war.
Die Nutzanwendung, die ich von dieser artigen Geschichte machen wollte, ist diese: Wie wohl muß der Mensch bei Gott dran sein, über dem sein eigener lieber Sohn, von dem er selbst sagt: Ich habe Wohlgefallen an ihm, sagt: nimm ihn auf, wie mich selbst, denn was er schuldig ist, ist mir zugerechnet, und ich habe es bezahlt.
Seht da den Hauptgedanken, der uns heute beschäftigen soll, wozu der Herr uns seinen Segen verleihe!
Und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade, durch
die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist.
Römer 3, V. 24
Das vorige Mal haben wir die Person des Erlösers und das Erlösungswerk betrachtet. Lasset uns denn jetzt die Frucht dieser Erlösung, welche durch Jesum Christum geschehen ist, erwägen. Diese Frucht ist zweifach, nämlich:
1) eine vollkommene Versöhnung mit Gott;
2) die Gerechtigkeit, welche vor ihm gilt.
Wir sind Gott versöhnet durch den Tod seines Sohnes, heißt es Römer 5, 10. Durch unsern Herrn Jesum Christum haben wir die Versöhnung empfangen. Gott versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. Gott hat uns mit ihm selber versöhnet durch Jesum Christum und das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Johannes spricht: Darin stehet die Liebe, nicht, daß wir Gott geliebet haben, sondern, daß er uns geliebet hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unsern, sondern auch für die der ganzen Welt.
Im alten Bunde ward das Wort „versöhnen“ sehr häufig von den Opfern, insbesondere aber von demjenigen feierlichen Opfer gebraucht, das alle Jahre einmal vom Hohepriester geschah. Zuerst mußte er den durchs Los dazu bezeichneten Bock vor den Herrn stellen, daß er ihn versöhne. Sodann mußte er seinen Ochsen herzubringen und ihn schlachten und sich und sein Haus versöhnen. Darauf mußte er einen Bock, des Volkes Sündopfer, schlachten und also versöhnen das Heiligtum von der Unreinigkeit der Kinder Israel und von ihrer Übertretung in allen ihren Sünden; und namentlich mußte er den Altar, der vor dem Herrn stand, versöhnen, und ihn reinigen und heiligen von der Unreinigkeit der Kinder Israel und also versöhnen das Heiligtum und die Stiftshütte und den Altar und die Priester und alles Volk der Gemeine; und soll der Hohepriester durch ein Bekenntnis alle Missetaten der Kinder Israel und alle ihre Übertretung in allen ihren Sünden legen auf das Haupt des dazu durchs Los bezeichneten Bocks, daß er alle ihre Missetat auf ihm in einen Wildnis trage. (3. Buch Moses, 16.)
In unserer Sprache nun heißt versöhnen soviel als bewirken, daß mißhellige Parteien oder Personen wieder Freunde werden. Das bedeutet aber das hebräische Wort, das in der angeführten Stelle gebraucht wird, nicht. Wir haben in unserer Sprache kein Wort, um es wiederzugeben. Eigentlich heißt es bedecken oder überziehen. In diesem Sinne wird es von der Arche gebracht, welche Noah überzog, oder, wie es in unserer Übersetzung heißt, verpichte sie mit Pech. So wird es auch Jesaja 28, 18 gebraucht: Euer Bund mit dem Tode soll los, buchstäblich überzogen werden, mit etwas anderem, daß man ihn nicht mehr lesen kann. Das, was in unserer Bibel Gnadenstuhl übersetzt wird, heißt buchstäblich ein Dach oder Deckel. Demnach hieße Versöhnung soviel als eine Bedeckung und zwar der Sünde und Übertretung, so daß sie nicht gelesen oder gesehen werden können; weder um Gott der Unheiligkeit zu beschuldigen, wenn er einen Sünder wider sein Verdienst in seine Gemeinschaft aufnimmt und in ihm wohnt, noch um den Menschen nicht durch seine Unwürdigkeit niederzuschlagen, daß er kein Vertrauen zu Gott fassen dürfe, da ja die Handschrift unserer Sünden durch das Blut Christi aus dem Mittel getan, ausgelöscht und unleserlich gemacht worden ist.
Alle die blutigen Handlungen und Opfer des alten Bundes samt der aus gediegenem Gold geschlagenen Platte, welche der Bundeslade und den darin aufbewahrten Gesetzestafeln zum Deckel dienten, waren nicht imstande, diese Bedeckung, wenn wir uns in hebräischer Weise ausdrücken wollen, diese Versöhnung zu liefern und zu stiften. Sie mahnte vielmehr nur an deren Notwendigkeit und Verheißung. Die wirkliche Stiftung und Leistung der wahrhaftigen Bedeckung und Versöhnung war einem anderen Priestertum als dem des Aaron, war einem anderen Priester, welcher höher ist als der Himmel, war einem anderen Opfer vorbehalten und einem anderen Blute, das kostbarer ist als alle die goldenen Tische, Leuchter und sonstigen Gegenstände des Tempels. Es war dem Sohne Gottes, Jesu Christo vorbehalten, die Versöhnung und Bedeckung für unsere Sünden zu sein. Er ist der eigentliche und wahrhaftige Gnadenstuhl.
Über die Art, wie er diese gestiftet, haben wir uns neulich ausgesprochen, da wir von seinem Gehorsam redeten. Von derselben gilt nun im allereigentlichsten Sinne, was in dem soeben aus dem 3. Buch Mosis angeführten 16. Kapitel gesagt wird; Von allen euren Sünden werdet ihr gereinigt vor dem Herrn; oder wie Paulus sagt: Ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht gesprochen. Denn die durch Christum gestiftete Versöhnung ist vollkommen.
Das ist sie in Absicht auf Gott. Bileam, was für ein Lügenprophet er auch sonst war, sagt doch 4. Buch Moses 23, 21 die Wahrheit, wenn er spricht: Er siehet keine Ungerechtigkeit in Jakob und keine Bosheit in Israel, denn er siehet es wie mit einem Kleide, bedeckt mit dem Blute seines geliebten Sohnes, wie die Flur im Tau und das Land im Sonnenstrahl. Wer kann nun Gott der Ungerechtigkeit oder der Unheiligkeit beschuldigen, wer muß nicht vielmehr seine Gerechtigkeit preisen, wenn er Gottlose gerecht spricht und Sünder in seine Gemeinschaft aufnimmt, in ihnen wohnt und wandelt, da er's bloß tut, das Blut und Verdienst seines Sohnes zu ehren; denn darum erweist er Gnade, daß dieser spricht: Laß ihn nicht hinunter fahren ins Verderben, denn ich habe einer Versöhnung gefunden. Wer dürfte Gott beschuldigen, er ehre dieses Blut zu hoch, wenn er um dessen willen eine ganze Welt voll Sünder begnadigte und sie zu seinen besten Kindern, zu Erstlingen machte. Denn ist dies Weib nicht mit der Sonne bekleidet, in Christo ohne Flecken? Je mehr Vernunft jemand besitzt, je richtiger er also urteilt, desto mehr wird er Gott in seiner Gerechtsprechung rechtfertigen.
Dir durch Christum bewirkte Bedeckung und Versöhnung ist vollkommen in Absicht des Gesetzes. Ihm ist nicht nur genug geschehen, sondern es ist ihm mehr geleistet worden, als es je zu fordern gesonnen oder befugt war. Es richtet seine Forderungen nicht an Engel, sondern an Menschen und begnügt sich mit dem, was Menschen leisten können, und verlangt von ihnen nicht, was nur Engel vermögen, wie Eltern dasjenige nicht von ihren kleineren Kindern verlangen, was sie den Erwachsenen zumuten. Und siehe, das Gesetz erblickt unter denen, welche sich mit seiner Erfüllung beschäftigen und an seinem Joche ziehen, nicht einen der höchsten Engel, nicht einen bloßen Menschen, sondern einen Gott, einen, der höher ist als der Himmel, den Gesetzgeber selbst. Es sieht einen solchen unter seinen Strafen erliegen, den trifft sein Fluch, an dem wird sein Todesurteil vollzogen! Was will es denn nun noch? Sollten denn diejenigen, welchen dies gilt, sollten sie - um aus Römer 7 zu reden - nicht frei sein vom Gesetz, und demselben getötet und von dem Gesetze los und ihm abgestorben sein durch den Leib Christi? Sollte das Gesetz nicht mit einbegriffens ein, wenn gefragt wird: Wer will einwenden, welche ein solches Lösegeld aufzuweisen haben, denen ein solcher Gehorsam zugerechnet wird? Wie gern wird Philemon dem Onesimus alles geschenkt haben, wenn Paulus schrieb: Was er dir schuldig ist, rechne mir zu!
Vor diesem Lösegeld müssen auch Menschen schweigen oder werden mir ihren Anklagen abgewiesen, wie begründet sie auch an sich sein mögen. Über einen Sünder, der Buße tut, ist nicht bloß im Himmel Freude, sondern auch bei der Gemeine hienieden, der dann nichts daran gelegen ist, welche und welcherlei sie bisher gewesen. Möchte jenem Simon das auch bei jener Sünderin zum Anstoß sein, Christus selbst sagte doch zu ihr: Gehe hin in Frieden! Gewiß sah im Himmel keiner sauer, als Jesus den Mörder mit sich ins Paradies brachte, sondern bewunderte in diesem Tautropfen den schimmernden Sonnenstrahl. Ward die Gemeine zu Jerusalem auch anfangs stutzig, als sie Paulum, den früheren grausamen Verfolger in ihrer Mitte erblickte, so reichte sie ihm doch freudig die rechte Hand als sie von seiner Begnadigung vergewissert wurde. Kein einziger als er selbst rückte ihm seine früheren Übeltaten vor; er würde sie sich aber auch nicht haben vorrücken lassen, sondern gesagt haben: „Ich bin gerecht gesprochen. Wer Will verdammen?“ Will jemand dem Petrus seine Verleugnung vorrücken, so vergesse er nicht, daß Christus für ihn gebetet hat. Will jemand dem David seinen heimtückischen Todschlag nicht vergessen, so vergesse er auch Nathans Wort nicht: Der Herr hat deine Sünde weggenommen! Und überhaupt, wer mag wider uns sein, wenn Gott für uns ist? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen, da Gott hier ist, der gerecht spricht?
Die Versöhnung und Bedeckung erweist ihre Vollkommenheit in ihrer Geltung. Wer diesen Paß besitzt, dem wird er sich überall als gültig, als ein solcher ausweisen, der überall respektiert wird, so weit das Reich und die Herrschaft Gottes reicht. Überall wird's heißen: Lasset diese gehen! Machet Bahn, machet Bahn! Räumet die Steine auf! Der Tod kann sie fressen, aber nur wie der Fisch den Propheten. Sie können in einen Feuerofen geworfen werden, aber einer ist bei ihnen, als wäre er ein Sohn der Götter, wie Nebukadnezar redet. Sie können unter Löwen geraten, aber ein Engel hält diesen grimmigen Bestien den Rachen zu. Eine giftige Natter kann sich an ihre Hand festbeißen, sie aber schleudern sie ohne Schaden ins Feuer. Der Satan kann sich zur Rechten eines mit unreinem Gewande bekleideten Josua stellen, um ihn zu verklagen, durch des Lammes Blut wird er verworfen. Der Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Die Sünde der ganzen Welt, auf die eine Waagschale gelegt, schnellt hoch in die Luft, wenn die Versöhnung des Sohnes Gottes auf die andere gelegt wird.
Sie ist vollkommen in ihrem Umfang. Dieser Purpurmantel ist weit genug, der Sünden Menge zuzudecken; diese goldne Platte dicht genug, daß auch die scharfsichtigsten Augen des Cherubs durch dieselbe das verklagende Gesetz nicht sehen. Die Opfer des alten Testaments bedeckten keine einzige Sünde wider das Moralgesetz der zehn Gebote, sondern ohne Barmherzigkeit mußte derjenige sterben, welcher der Übertretung desselben überwiesen ward. Das Blut Jesu Christi aber macht von aller Sünde rein. Gleicht ihre Zahl derjenigen des Sandes am Meer und der Haare auf dem Haupte, reicht ihre Größe bis an den Himmel, sind sie mit den erschwerendsten Umständen begleitet, straft sie schon das Schwert der menschlichen, wieviel mehr der göttlichen Gerechtigkeit, sind sie blutrot, dennoch können sie durch dies Sühnopfer also abgewaschen werden, daß sie weiß werden wie Wolle und Schnee. auch die besudelsten Kleider können helle gemacht werden in dem Blute des Lammes. Fand nicht selbst ein Manasse Gnade? Und wo hätte Paulus, diese Lästerer, Schmäher und Verfolger Christi und seiner Gemeine, den Mut hergenommen zu der Frage: Wer will beschuldigen? hätte er den Umfang des Wortes nicht verstanden: Christus ist hier der gestorben ist?
Die dadurch gestiftete Versöhnung ist vollkommen in ihrer Dauer. Das einmalige Opfer ist von solcher Kraft, daß es auf keinerlei Weise wiederholt zu werden braucht, daß es keines Zusatzes bedarf, daß es in Ewigkeit vollendet alle die geheiligt werden, daß es ewiglich auch soviel gilt, wie es in der großen Stunde galt, da es wirklich dargebracht wurde. Fällt, strauchelt jemand, wie wir denn alle mannigfaltig fehlen, so soll er doch durch kein anderes Mittel seine Herstellung und Wiederaufrichtung suchen. Die immerwährende Vertretung und Fürbitte des einigen Hohenpriesters gibt seinem Opfer seine unaufhörliche Wirkung. Stets ist es gleich frisch und wirksam. Denn er ist Priester in Kraft des unauflöslichen Lebens und kann selig machen immerdar, die durch ihn zu Gott kommen, und lebet immerdar und bittet für sie.
Auch diese Wirkungen der Versöhnung sind vollkommen und zuverlässig. Was für eine Menge aus dem verlorenen Haufen des Sündengeschlechts hat nicht eben die Versöhnung durch das Blut Jesu Christi, statt der verdienten Hölle, in den Himmel gebracht? Und ihre Zahl ist noch nicht voll, sondern noch Raum da.
Welch' eine gründliche, vollständige und standhafte Beruhigung schöpft der bußfertige Sünder aus dieser Versöhnung! Er lernst sie nicht so bald verstehen, und seine Sünden verschwinden wir ein Strohhalm in der Glut. Er betrachtet sich nicht mehr wie einen Sünder, sondern wie einen Heiligen, nicht mehr wie einen Strafbaren, sondern wie einen Gerechten. Gott ist ihm nicht mehr ein strenger Richter, sondern ein gnädiger Vater. So vergeblich alle seine frühere Bemühung war, durch des Gesetzes Werk Friede mit Gott und in seinem Gewissen, eine frohe Hoffnung des ewigen Lebens, Trost im Leben und im Sterben zu erlangen, so reichlich fließen sie ihm aus diesem Brunnen zu. Freilich sind diese Wirkungen in ihrer tröstenden sowohl als in ihrer heiligenden Richtung in diesem Leben unvollkommen, abwechselnd, mancher Störung und Unterbrechung unterworfen. Sie sind aber auch nicht für diese Welt berechnet. In ihrer ganzen Fülle werden sie sich erst dort erweisen, wo dieser Friedensstrom alle Schleusen durchbricht und alles überschwemmt. Bis dahin sind wir wohl selig, aber in der Hoffnung; wissend, daß wir einen Bau haben, von Gott erbauet, ein Haus nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel.
Diese vollkommene Versöhnung ist die erste Frucht der Erlösung welche durch Jesum Christum geschehen ist; die andere, wo möglich noch vortrefflichere, ist nach den Worten unseres Textes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, die Gerechtigkeit vor Gott.
So übersetzt Luther. Er hat die Sache erläutern wollen. Wörtlich aber heißt es beidemal: „die Gerechtigkeit Gottes,“ welches offenbar weit nachdrücklicher lautet, als Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Paulus ist der einzige unter den Aposteln, welchem es vorbehalten war, diese große Redensart zu brauchen, und diese tiefe Einsicht zu haben und mitzuteilen, wie er auch sonst verschiedene ihm allein eigentümliche, sehr kräftige Ausdrücke hat, wie z. B. der: Wer nicht wirkt, glaubet aber an den, der die Gottlosen gerecht spricht, dem wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet. Außer einer Stelle im 1. Brief an die Korinther bedient sich der Apostel der Redensart „Gerechtigkeit Gottes“ nur in seinem Briefe an die Römer, in demselben aber mehrmals, und in diesem einzigen Kapitel viermal; als hätte er vorausgesehen, daß die Lehre, welche er vorträgt, eben von Rom aus den heftigsten Widerstand erfahren werde. Es wundert uns aber, und doch wohl mit Recht, daß der teure Mann Gottes, Luther, sich erlaubt hat, die Worte des großen Apostels, „Gerechtigkeit Gottes“ so zu geben, wie er tut: Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Zugleich wundert es uns, daß Calvin ihm zwar in der Übersetzung nicht nachfolgt, sonst aber doch von dem Buchstaben abweicht, und nicht recht weiß, wie er es erklären soll. „Bemerke“, sagt dieser große Mann, „welch einen seltenen und kostbaren Schatz uns der Herr in seinem Evangelio schenkt, nämlich Anteil an seiner Gerechtigkeit. Unter der Gerechtigkeit Gottes aber verstehe ich eine solche, welche vor dem Richterstuhl Gottes für gültig anerkannt wird. Andere erklären es so: Die uns von Gott geschenkt wird. Die erstere Erklärung scheint mir aber schicklicher.“ Luther sagt: „Die Glaubens-Gerechtigkeit heißet darum Gerechtigkeit Gottes, weil Gott sie gibt, und rechnet's für Gerechtigkeit um Christi willen, unsers Mittlers, und machet den Menschen, daß er jedermann gibt, was er ihm schuldig ist. Denn durch den Glauben wird der Mensch ohne Sünde und gewinnet Lust zu Gottes Geboten; damit gibt er Gott die Ehre und bezahlet ihm, was er ihm schuldig ist“, was ja fast mönchisch lautet, wenigstens eine unlautere Vermengung der Rechtfertigung und Heiligung zu sein scheint. Aber große Leute irren und fehlen auch.
Es ist aber zuvörderst gewiß, daß in dieser Stelle unter der Gerechtigkeit Gottes nicht eine göttliche Eigenschaft verstanden wird, sondern ein Gut des Gnadenbundes, eine Gerechtigkeit, wodurch ein Sünder gerecht wird. Sie heißt eine Gerechtigkeit Gottes erstlich, weil sie vor Gott gilt. Gott selbst erkennt sie als echt, als vollwichtig, als feuerbeständig, und denjenigen, der sie besitzt, als gerecht, vollkommen, ohne Flecken und Tadel an. Sie allein ist auch vor Gott gültig. Jede andere ist vor ihm wie ein unflätig Kleid. Von jeder anderen heißt es: Ich will dir deine Gerechtigkeit und deine Werke anzeigen, daß sie dir kein nütze sein sollen. Wer dieser Gottesgerechtigkeit nicht untertan ist, der mag sonst eine Gerechtigkeit, auch auf dem mühsamsten Wege sich zu errichten suchen, der stößt sich an den Stein des Anlaufens und den Fels der Ärgernis.
Eine Gerechtigkeit Gottes heißt sie zweitens, weil sie nicht aus dem Menschen selbst, sondern von Gott ist. Sie läßt sich durch Werke nicht erwerben und ist von keinem unter allen Menschen, von keinem unter allen Heiligen durch Werke erworben worden. Abraham, der als der Vater der Gläubigen an ihrer Spitze steht, wiewohl er nichts ist als Staub und Asche, war schon gerecht, ehe er sich noch dem Gesetz der Beschneidung unterworfen, lange vorher, ehe er sich noch entschlossen hatte, seinen Sohn Isaak Gott zu opfern. Ist er es durch Werke geworden, so mag er allenthalben Ruhm haben, aber vor Gott hat er ihn nicht. Wie wenig dies durch Werke zu erreichen sei, erhellt mit wunderbarer Deutlichkeit aus des Apostels Worten, die er Römer 9, 30-33 schreibt, wo er sagt: „die Heiden, die nicht haben nach der Gerechtigkeit gestanden, haben die Gerechtigkeit erlangt; ich sage aber von der Gerechtigkeit, welche aus dem Glauben kommt. Israel hat dem Gesetz der Gerechtigkeit nachgestanden, und hat das Gesetz der Gerechtigkeit nicht überkommen. Warum das? Darum, daß sei es nicht aus dem Glauben, sondern als aus den Werken des Gesetzes gesucht haben. Denn sie haben sich gestoßen an den Stein des Anlaufens, wie geschrieben stehet: Siehe, ich lege zu Zion einen Stein des Anstoßes und einen Fels der Ärgernis; und war an ihn glaubt, der soll nicht zu Schanden werden.“ Also, nicht aus euch. Gottes Gabe ist es.
Die wahre Gerechtigkeit ist allein von Gott, damit sich kein Fleisch rühme. Sie heißt eine Gottesgerechtigkeit, weil Gott allein die Ehre davon gebührt. Wo ist der Ruhm? Er ist aus. Er ist gerecht und macht gerecht. Unser ganzes Heil stehet lediglch bei ihm, da wir uns selbst nur ins Unglück bringen. Er hat diesen wunderbaren Weg, wodurch Gottlose gerecht werden, erfunden und festgesetzt; er hat ihn auch auf die wunderbarste Weise, durch die Dahingabe seines eingeborenen Sohnes um unserer Sünden willen und dessen Auferweckung um unserer Gerechtigkeit willen, gebahnt und ausgeführt. Für alles gebührt ihm die Ehre, für die Erwerbung wie für die Zueignung des Heils. Die Bestimmung der Personen, die daran Teil haben sollen, ihre Zubereitung zu demselben, ihre wirkliche Bekleidung mit demselben, alles ist sein Werk. Er will Gnade beweisen und tut es.
Endlich aber und hauptsächlich heißt sie Gerechtigkeit Gottes, weil sie das wirklich ist. Derjenige, welcher gerechtfertigt wird, bekommt nicht die Gerechtigkeit eines vollkommenen Menschen, nicht die eines Engels, sondern die eines Gottes, so daß es in dieser Beziehung heißt: Siehe, Adam ist worden als unser einer! Christus ist, wie wahrer Mensch, so der wahrhaftige Gott in einer Person und heißet deswegen: Immanuel. Sein Gehorsam, Genugtuung, Gerechtigkeit und Heiligkeit ist also nicht eine menschliche, sondern zugleich göttlich. Wir können auf eine wahre und vernünftige Weise sagen: Gott sei gehorsam worden, sei gekreuzigt, sei getötet. Was das nun sagen will, wenn es heißt: Wir sind Gerechtigkeit Gottes in ihm, ist etwas ganz erstaunenswürdiges, erhebt den, der das geworden ist, über alle Engel und stellt ihn Gott gleich.
Das ist freilich mehr etwas zum Niederfallen und Anbeten, als zur Spekulation. Kann jemand dies im Glauben fassen, was für süße Früchte der Freimütigkeit zu Gott, der Freude, des Friedens, der Dankbarkeit, der Liebe und des Gehorsams werden daraus ganz von selbst erwachsen!
O daß doch alle falsche Gerechtigkeit in uns zerstört, und die wahre Gerechtigkeit in uns aufgerichtet werde! Amen.
(gehalten am 31. Oktober 1830)
Ein König macht auch billig königliche Geschenke, wenn er welche macht. So hat's auch in diesen Tagen Se. Maj. unser teurer König gegen die Armen der beiden Residenzstädte bewiesen, denen er ein Geschenk von 6000 Thalern übermachen ließ.
Wie bewundernswürdig erscheint in dieser liberalen, großartigen Beziehung der König, den der Herr eingesetzt hat auf seinem heiligen Berge Zion. Zu ihm trat einst ein Bettler, und bat ihn, freilich schüchtern und bescheiden, jedoch zuversichtlich, um ein Almosen, das jedoch mehr an Wert sein, und ihn glücklicher und reicher machen sollte, als 6 Tausend oder 600 Tausend oder 6 Millionen Thaler es vermochten, wiewohl er um etwas bat, was sich nicht unter Zahlen bringen läßt, nämlich bloß um sein Andenken. „Gedenke an mich“, sprach der Bettler, den ihr jetzt alle an seiner Stimme erkennt, wenn ihr gleich seinen Namen nicht wisset.
Der König zu Zion war oder schien eben so arm, wie der Bittsteller selbst. Seine Untertanen hatten ihn freilich erhöht, aber nicht auf einen Thron, sondern an ein Kreuz. Statt der Krone hatten sie ihm einen Kranz von Dornen aufs Haupt gedrückt. Er hatte kein Hemd mehr am Leibe, geschweige denn einen Rock, über welchen sie eben das Los warfen, und so die Schrift erfüllten. Er selbst mußte um etwas bitten. Und um was denn? Um einen Trunk in seinem großen Durst.
Dennoch war dieser arme König reich genug, jenem armen Bettler das Himmelreich zu schenken, und schenkte es ihm wirklich mit den Worten: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“
Ihr wisset die Gnade unsers Herrn Jesu Christi, welcher ob er wohl reich ist, ward er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet. Wovon sollten wir auch diesmal anders reden, als von der Gnade dieses reichen Königs?
Laßt uns nur arm, laßt uns nur Bettler sein, und uns zwar in tiefster Demut, aber auch mit herzlicher Zuversicht an ihn wenden! Er wird uns nicht leer entlassen.
Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit,
die vor Gott gilt, geoffenbaret und bezeuget durch das Gesetz und die
Propheten. Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch
den Glauben an Jesum Christ zu allen und auf alle, die da glauben.
Römer 3, 21.22
Die Frucht der Erlösung, die durch Jesum Christum geschehen ist, nämlich die Versöhnung und die Gottesgerechtigkeit, war der Gegenstand unserer vorigen Betrachtung. Jetzt haben wir noch zweierlei zu erwägen.
Das Erste ist: Die Bestätigung der paulinischen Lehre, nachdem sie geoffenbaret ist durch das Gesetz und die Propheten.
Das Andere betrifft die Art und Weise, dieser Versöhnung und Gerechtigkeit teilhaftig zu werden.
Die sich selbst überlassene Vernunft weiß von der Lehre, die wir betrachten, durchaus nichts. Es ist nie in eines Menschen Herz gekommen. Kein Ohr hat es außer dem Evangelio gehört, kein Auge gesehen. Gewiß müssen wir vielen alten und auch neueren Philosophen Augen und Scharfsinn zuerkennen, müssen gestehen, daß sie viel Merk-, ja Bewunderungswürdiges gefunden und gesagt haben, obschon ihnen die Offenbarung nicht zu Hilfe kam. Sie geben auch sehr gute Lebensregeln. Aber von dieser Lehre trifft man bei ihnen allen auch nicht die leiseste Ahnung an. Sie mußte offenbaret, sie mußte von Gott offenbaret werden. Sie ist es auch. Aber, selbst seitdem sie das ist, bleibt sie vielen verborgen, anderen rätselhaft, vielen verhaßt, einigen dunkel und wenigen lebendig klar, ja alle erkennen nur stück- und teilweise, und sehen wie durch einen Spiegel in ein dunkles Wort, und jeder versteht sie nur in dem Maße, als es dem heiligen Geist gefällt, ihn in dies gottselige Geheimnis einzuweihen und darin zu erhalten. Selbst in den Evangelien, welche in der Übergangsperiode aus der Nacht des alten zu dem Tage des neuen Bundes, in die Zeit der Morgendämmerung gehören, kommt diese Lehre nur noch verschleiert, wenn gleich als Fundamental-Lehre, vor. Christus tauft mit Feuer. Er verbrennt und zerstört die falsche Gerechtigkeit mehr, als er geradezu die wahre eigentlich ins Licht stellt. Die Pharisäer, als Verfechter und Standhalter jener falschen Selbstgerechtigkeit aus dem Gesetz, sind ein vorzüglicher Gegenstand, den er bestreitet. Aber indem er es feststellt: „Es sei denn eure Gerechtigkeit besser als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht ins Reich Gottes kommen“, spricht er sich doch im Ganzen über diese bessere Gerechtigkeit nicht mit völliger Deutlichkeit aus, welche der Zeit nach der Ausgießung des heiligen Geistes vorbehalten war und zu denjenigen Dingen gehörte, wovon Jesus zu seinen Jüngern sagte: „Ich hätte euch noch vieles zu sagen, ihr könnt es aber jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit kommen wird, der wird auch die Welt überzeugen von der Gerechtigkeit“. Nur einmal gedenkt er der Gerechtigkeit Gottes als eines Guts, wonach wir am ersten trachten sollen, wo uns denn alles Übrige zufallen werde; nur einmal sagt er: „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist,“ - veranlaßt dadurch zwar viel Nachsinnens, sagt aber erst lange nachher: Er sei der Weg. Mit Worten sagt er nie: Ich bin eure Gerechtigkeit, wenn er gleich sagt: „Uns gebühret es, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ Mit der Tat aber beweiset er's sehr oft, und am glänzendsten kurz vor seinem Tode, indem er vielen ihre Sünden vergab und unter diesen auch solchen, die in besonderem Sinne Sünder waren, ja sogar Macht erteilte, in seinem Namen Sünden zu vergeben oder zu behalten.
Nach der Ausgießung des heiligen Geistes aber wurden die Schleier und Windeln ganz weggenommen, und die Rechtfertigungslehre, die Lehre, daß Christus selbst unsere Gerechtigkeit sei, tritt wie ein heller Morgenstern hervor. Dem Apostel Paulus aber, einem vormals strengen Pharisäer und gewaltigen Eiferer fürs Gesetz und die Gerechtigkeit aus demselben, an dem aber Christus vornehmlich den Reichtum seiner Gnade erwies, scheint es, vor den andern Aposteln her, verliehen worden zu sein, diese Lehre mit besonderer Deutlichkeit und Kraft zu verstehen und vorzutragen, weswegen er auch wohl bei einigen Christen aus den Juden verdächtig wurde, als hebe er das Gesetz auf. So war's auch unter den Reformatoren des sechszehnten Jahrhunderts dem, auch vorher so pharisäischen, mönchischen Luther vorbehalten, diese Lehre, wenigstens mit besonderer Lebendigkeit und Eifer, vorzutragen, und sich da in keine Widersprüche zu verwickeln, wie es sonst bei diesem großen, vielbeschäftigten Manne oft der Fall ist, und auch auf den Teil der Kirche, die sich nach ihm nannte, unverkennbar seinen Geist vererbte, insofern sie nicht samt der übrigen protestantischen Kirche abtrünnig geworden ist. Auch er mußte sich um dieser sehr ehrwürdigen Ursache willen sehr verketzern lassen. Darum erweiset der Apostel, daß er keine neue Lehre vortrage, sondern eine Lehre, welche im Gesetz und in den Propheten bezeuget ist. Es würde eine sehr angenehme Beschäftigung sein, die Zeugnisse des alten Testaments von der Glaubensgerechtigkeit zusammenzustellen, wenn dieser Zeugnisse nicht zu viele an der Zahl wären. Der Apostel führt hauptsächlich drei an; eins aus dem Gesetz, wo von Abraham gesagt wird: Er hat Gott geglaubet, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet“; das andere aus den Psalmen: „Selig ist der Mann, dem der Herr die Sünde nicht zurechnet“ - woraus der Apostel den Schluß macht, daß die Seligkeit sei allein des Menschen, welchem Gott zurechnet die Gerechtigkeit ohne Zutun der Werke; das dritte aus den Propheten: „Der Gerechte wird aus dem Glauben leben“, aus welchen Sprüchen er die wichtigsten Schlüsse herleitet, welche an ihrem Ort Römer 4 und Galater 3 mögen nachgelesen werden. Übrigens, was kann Herrlicheres gesagt werden, als wenn es heißt: „Dies wird sein Name sein, daß man ihn nennen wird: Herr, der unsere Gerechtigkeit ist“. Ja, wenn die Kirche selbst so genannt wird, wie sie in der Offenbarung als ein Weib mit der Sonne bekleidet erscheint, wenn Christus die Sonne der Gerechtigkeit genannt wird, wenn die Kirche rühmt: „Er hat mich mit dem Rocke der Gerechtigkeit bekleidet“, wenn ihr gesagt wird: „Alle Zunge, so sich wider dich setzt, sollst du im Gerichte verdammen, das ist das Erbe der Knechte des Herrn und ihre Gerechtigkeit von mir, spricht der Herr“. Wer also gegen diese Lehre angeht, der bestreitet die ganze heilige Schrift und hat nicht bloß den einigen Paulus und seine Lehre wider sich, sondern das Gesetz, die Psalmen und Propheten, also Gott selber, und versucht, wenn gleich vergeblich, den Grund einzureißen, worauf die ganze Gemeine erbauet ist, welche die Pforten der Hölle nicht überwältigen können.
Von der höchsten Wichtigkeit ist nun die Frage: wie und auf welche Weise ein Sünder dieser Gerechtigkeit und Versöhnung teilhaftig wird, so daß sie ihm zu Gute kommt?
Ernstlich geschieht dies nicht so ohne Weiteres, wie wenn jemand bei gutem Wetter ausginge und plötzlich von einem Gewitterregen überfallen und durchnäßt würde. Es geht damit nicht, wie wenn ein König, der bisher Krieg geführt hat, Frieden schließt, dessen Vorteile die Untertanen ohne Weiteres genießen, mögen sie den Friedensschluß genehmigen und billigen, oder nicht, worauf auch bei Abschließung des Friedens gar keine Rücksicht genommen wird; sondern wenn wir davon ein Bild machen wollen, so verhält es sich damit, wie etwas mit einem Kranken- oder Armenhause, was doch noch mancherlei voraussetzt, mit einem Schiff oder sonstigen Fahrzeug, das Menschen irgend wohin führt. Mit deutlichen Worten: Man kann nun denken oder sagen: „wohlan! wir sind nun versöhnet, wir haben nun eine vollkommene Gerechtigkeit, die ist Christus, wir haben uns nun um weiter nichts zu bekümmern oder zu sorgen, zu grämen oder zu ängsten. Vor Gottes Gericht brauchen wir uns nicht zu scheuen, denn wir haben ja einen Bürgen und ein vollgültiges Lösegeld. Werke kommen hierbei nicht in Anschlag. Was brauchen wir uns darum Sorgen zu machen! Die bösen Werke hat Christus auf einmal bezahlt und die guten Werke sind für uns vollbracht. Mögen nun diejenigen es sich sauer werden lassen, die da meinen, sie müßten oder könnten das. Wir nicht also. Wir leben wie es uns gut dünkt, tun und lassen, halten und übertreten, was uns recht ist.“ Nein, so stehen die Sachen keineswegs, und können sie nicht stehen. Dann wäre Christus ein Sündendiener; nicht ein Zerstörer, sondern ein Beförderer der Werke des Teufels; dann würde er die Sünde nicht wegnehmen, sondern beschützen und die Sorglosigkeit, Frechheit, Gesetzlosigkeit und den Aufruhr wider Gott autorisieren, nicht die Gottlosen, sondern die Gottlosigkeit, nicht die Sünder, sondern die Sünde rechtfertigen, und er gliche einem Häuptlinge einer Bande von Meuchelmördern, die er beschützte, um unter seinem Schirm ihre Übeltaten ungestraft auszuüben. Freilich ist es von Pauli Zeiten her im Schwange gewesen, der Rechtfertigungs-Lehre solche ungeheure Aufbürdungen zu machen, solche erschreckliche Folgerungen daraus herzuleiten und sie solcher verderblichen Grundsätze zu beschuldigen. Schon Paulo setzte man mit der Frage zu: „sollen wir in der Sünde beharren, damit die Gnade desto mächtiger sei? Mögen wir sündigen, dieweil wir nicht unter dem Gesetz sind, sondern unter der Gnade?“ und nötigte ihn zu der vortrefflichen, ablehnenden Beantwortung dieser boshaften Fragen, welche wir Römer 6 lesen. Schon Paulus mußte sich von übelgesinnten Leuten, wir wir im Anfang unseres Textkapitels lesen, beschuldigen lassen: Er lehre, man solle Böses tun, damit Gutes daraus komme, weil doch unsere Ungerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit preise, und seine Wahrheit durch meine Lügen herrlicher werde, über welche Lehre er das Verdammungsurteil fällt.
Es steht aber fest, daß niemand der Versöhnung und Gerechtigkeit Gottes so ohne Weiteres, ohne daß dabei in seinem Verstande, in seinem Willen, in seinem Herzen, etwas Neues und Besonderes vorginge, teilhaftig werde. Ist es undenkbar im Natürlichen, daß nichts in dem Gemüte eines Menschen vorginge, den sein König, dem er nach dem Leben getrachtet, dessen Sohn er ermordet, nicht nur begnadigte, sondern noch obendrein königlich beschenkte, so ist es im Geistlichen durchaus unmöglich bei einem Sünder, der von Gott um Christi willen von allen seinen Sünden los- und gerechtgesprochen wird, daß dabei nicht etwas Besonderes und Merkwürdiges in seinem Gemüte vorginge, und vorhergegangen wäre, wie wir nachher noch genauer bezeichnen werden.
Zweitens aber wird man auch der Versöhnung und Gerechtigkeit Gottes nicht teilhaftig durch Werke, welcherlei Art und Vortrefflichkeit sie auch sein mögen. Das ist der Weg durchaus nicht. Abraham hatte in der Tat wohl Werke, die sich durften sehen lassen. Sie sind ihm aber zur Erlangung der Gerechtigkeit vor Gott nicht behilflich gewesen, sondern folgten erst nachher drauf. Das Erbe ward ihm durch Verheißung frei geschenkt. Diese Verheißung war auch drittehalb Tausend Jahre, oder von Abraham an gerechnet 430 Jahre älter, als das Gesetz. Sie ward aber durch dieses weder aufgehoben, noch beschränkt, sondern bleibt als ein zuvor auf Christum bestätigtes Testament fest. Das Gesetz kam aber um der Sünde willen neben ein, damit dieselbe desto klarer möchte erkannt, und so die Notwendigkeit der Verheißung desto deutlicher möchte eingesehen werden. Die aber mit des Gesetzes Werk umgehen, um sich dadurch zum Seligwerden durchzuarbeiten, erreichen ihren Zweck so wenig, daß sie vielmehr vor wie nach unter dem Fluche liegen bleiben, statt ihn von sich zu wälzen.
Wir geben es zu, daß diese Lehre allen denen, welche glauben etwas zu sein, eine sehr verdrießliche Lehre sei, weil sie ihren ganzen Grund umwirft, den sei eben auf ihre Werke bauen. Wir wissen, daß die geängstete Natur sich freuen würde, wenn die Gnade an die Erfüllung irgend einer, wenn auch beschwerlichen, Bedingung geknüpft wäre, und daß mancher sich an dieselbe machen würde. Wir wissen, daß der glaublose Mensch weit lieber sein Heil in seinen eignen Händen, als lediglich und ganz in Gottes Hand erblickte, und daß die heutzutage herrschende falsche Lehre eben aus dieser fleischlichen Neigung herfließt, so wie das Papsttum sich eben darauf gründet. Wir wissen auch, daß man allerlei und namentlich auch die Einwendung dagegen gemacht hat, es würden nur zeremonielle Werke gemeint, der ausgesprochenen und immer wiederholten Beschuldigungen gegen diese Lehre nicht zu gedenken. Endlich wissen wir, daß diese Lehre nur auf den Trümmern der eigenen Gerechtigkeit und Kraft sanft einherfährt und Eingang ins Herz findet, daß große und gründliche Demütigungen ihr den Weg bahnen, sie köstlich, erwünscht und lieblich machen. So lange aber jenes nicht vorangegangen, läßt sich dieses nicht erwarten.
Leset und verstehet Jesaja 57! Am Schlusse des Kapitels heißt es: „Ich gab ihnen wieder Trost. Ich will Frucht der Lippen schaffen, die da predigen: Friede, Friede, beides denen in der Ferne und denen in der Nähe, spricht der Herr, und will sie heilen.“ Aber welcher Weg führt zu diesem Ziel? Davon heißt es im 10. Verse: „Du zerarbeitest dich in der Menge deiner Wege und sprachest nicht: Noasch, d.i. da wird nichts aus; sondern weil du findest ein Leben in deiner Hand, wirst du nicht müde.“ Nun aber heißt es weiter: „Ich will aber deine Gerechtigkeit anzeigen, und deine Werke, daß sie dir kein nützesein sollen. Wenn du rufen wirst, so laß das, was du zusammen gebracht hast, dich retten. Aber der Wind wird alles wegführen.“ Fernere sagt Gott: „Ich war zornig über die Untugend ihres Geizes, schlug sie, verbarg mich, und zürnte. Da gingen sie hin und her in den Wegen ihres Herzens,“ griffen's bald so und bald anders an, versuchten's jetzt auf diese und dann auf eine andere Weise. Was wurde endlich aus ihnen? Sie wurden demütigen und zerschlagenen Geistes. Und was tat nun der Herr? Er fing an, bei ihnen zu wohnen, daß er erquickte den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen. Er befahl: „Machet Bahn, machet Bahn, räumet die Anstöße weg!“ Jetzt zeigt er ihnen den rechten Weg, wenn er sagt: „Wer auf mich trauet, wird das Land erben und meinen heiligen Berg besitzen.“ Jetzt sieht er sie an und heilet sie, und läßt einen Geist von seinem Angesicht wehen und macht Odem. Kurz, den Armen wird das Evangelium gepredigt, denen ist es recht, ist es willkommen, stimmt mit ihren Bedürfnissen überein.
Laßt uns jetzt aber zu der eigentlichen Art und Weise übergehen, wie der Sünder der Versöhnung und Gerechtigkeit teilhaftig wird. Diese Art ist zweifach. Erstlich von Seiten Gottes durch Zurechnung, zweitens von Seiten des Menschen durch Glauben.
Von Seiten Gottes wird der Sünder der Gerechtigkeit und Versöhnung teilhaftig durch Zurechnung. Was Zurechnung sei, ist jedem bekannt. Im moralischen Sinne rechnet man jemandem eine Handlung und deren Folgen zu, die er durch sich selbst oder andere aus freien Stücken ausgeführt hat. Der Tod des Urias wird dem David zugerechnet, obschon er selbst keine Hand an ihn legte. In Geldsachen giebt's, insbesondere bei Bürgschaften - Schulden und Zahlungen, welche andern Personen zugerechnet werden, als die sie gemacht haben. Spricht oder handelt jemand im Namen eines anderen, so wird dies gerechnet, als ob's der andere selbst verrichtet hätte. Hier ist die Rede von einer Zurechnung, welche von Seiten Gottes geschieht, jedoch nicht von jener verderblichen Zurechnung, welche David verbittet, wenn er ausruft: „Herr, so du willst Sünde zurechnen, wer kann vor dir bestehen?“ Rechnet Gott jemandem seine Sünden zu, so läßt er ihm dieselben in ihrer ganzen Strafbarkeit entgelten, und er ist verloren. Wir reden hier aber von der Zurechnung als einem Mittel und Weg, der Versöhnung, der Gerechtigkeit Jesu Christi teilhaftig zu werden. In unserm Text, wie in dem ganzen Textkapitel, ist freilich nirgends von Zurechnung die Rede, desto öfter aber in dem folgenden, wo derselben zehnmal gedacht wird. Dies ist ein äußerst merkwürdiger, trostreicher Begriff, eine dem Evangelio ganz eigentümliche Lehre. Gott, als oberster Richter, rechtfertigt einen bisherigen Sünder dadurch, daß er ihm den leidenden und tätlichen Gehorsam, daß er ihm die Gerechtigkeit seines eingebornen Sohnes zurechnet, als ob er dies alles in seiner eigenen Person getan und gelitten, als ob er nie keine Sünde weder begangen noch gehabt hätte, und wird für so gerecht und heilig gehalten, wie Jesus Christus selber. Ist das nicht etwas Außerordentliches? Ist das nicht etwas über alle Maßen Vortreffliches und Herrliches? Ist das nicht etwas so Glänzendes, daß es uns durch seine Strahlen blenden, etwas so Großes, daß es uns unglaublich, unmöglich vorkommen möchte? Was wollen wir dazu sagen? Was wäre das für eine Handlung, wenn ein Gläubiger seinem Schuldner nicht so sehr seine ganze unbezahlbar Schuld erließe, sondern vielmehr ihm ein erstaunlich großes Kapital so zu gut schriebe, als ob's ihm angehörte, und das in allem Ernst und rechtskräftiger Form. würde jemand, dem das widerführe, nicht Mühe haben, seinen eignen Augen und Ohren in dieser Sache zu trauen? Würde sein Erstaunen, seine Verwunderung, seine Bestürzung samt seiner Dankbarkeit und Freude nicht um so lebhafter werden, je unwidersprechlicher ihm bewiesen würde, daß durch den Reichtum und die Güte seines Gläubigers ein solcher glücklicher Wechsel in seinen Vermögensumständen vorgegangen, da er auch ganz anders, nach aller Strenge mit ihm hätte verfahren können, wenn er gewollt. Und wie leicht wäre er zu solch' einem Glück gekommen! Aber welch' ein matter Schatten ist dies gegen dasjenige hohe Gut, wovon wir reden! Welch' ein Weg, welch' ein wunderbarer Weg, gerecht zu werden durch Zurechnung! Und durch was für eine? Durch eine Zurechnung, vermittelst welcher die allerheiligsten Verdienste des Sohnes Gottes, die mehr wert sind, als Himmel und Erde samt allem, was darinnen ist und wohnet, dem Sünder gut geschrieben werden, der nichts als der ewigen Verdammnis wert ist, welche ihm auch schon zuerkannt war, der nichts dazu beitragen konnte! So kann freilich nur ein Gott beschenken. Wird diese Gerechtigkeit zugerechnet, so sind die Glücklichen, denen dies widerfährt, freilich nicht bloß Gerechte, wie Adam vor dem Fall einer war, sondern sie sind Gerechtigkeit Gottes, gerecht wie Jesus Christus selber. Wo ist eine Herrlichkeit, wie die des eingebornen Sohnes vom Vater, und wo ist eine Herrlichkeit, wie die seiner Armut, die einhergeht in seinem Schmucke? Er, die Sonne, sie der Mond, ja mit der Sonne bekleidet.
„Gott selbst mein Vater ist; ich bin des Sohnes Braut;
Sein Geist das Pfand und Band, wodurch ich ihm vertraut;
Gott hat mir mehr geschenkt als allen Sepharinen;
Die Engel stetig mich begleiten und bedienen;
Ich habe was ich will; die ganze Welt ist mein;
Die Hölle fürchtet mich, ich fürchte Gott allein;
Im Himmel wandle ich als eine Königin:
Sag, armes Weltkind, ob ich nicht was Großes bin!“
Was versäumt doch der, der dies versäumt, wovon jeder Kenner sagen wird:
„Hätt' ich der Engel Heiligkeit,
Ich legte ab dies schöne Kleid,
Und wollt' in Jesum mich verhüllen.“
Welch ein himmlischer Frieden muß daraus erwachsen, welcher göttlicher Friede, welche Beugung, welche Dankbarkeit, welche Liebe! O erfahret es selbst!
Jedoch ist uns noch eins zu sagen übrig, welches wir der folgenden Schlußbetrachtung vorbehalten. Das Alles, was wir gesagt und betrachtet haben, ist nun gut und wohl, wahr und unwidersprechlich. Aber nun kommt alles wieder darauf an, ob wir glauben können. „So du glauben könntest! Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubet. Glaubest du, daß ich dir das tun kann, so mag's wohl sein. So du glauben würdest, solltest du die Herrlichkeit Gottes sehen. Dein Bruder soll auferstehen. Glaubst du das? Die Gerechtigkeit Gottes kommt durch den Glauben an Jesum Christum zu allen und auf alle, die da glauben.“
Denen aber hilft es alles nichts, die nicht glauben, und alle die sind verloren, von denen das Wort Johannes gilt: „Sie konnten nicht glauben,“ oder Christi Wort Joh. 10: „Ihr glaubet nicht, denn ihr seid meine Schafe nicht.“ Wer aber glaubet, der wird seine Seele retten. Das ist aber Gottes Werk, daß ihr an den glaubet, den er gesandt hat. Amen.
(gehalten am 21. November 1830)
Eine der größten und - wenn ich's wagen darf, also zu reden - unnützesten Glaubensproben legte Petrus ab, wie uns sein Mitapostel Matthäus im 14. Kapitel erzählt. Von Jesu in ein Schiff getrieben, mußten sie beim Anbruch der Nacht ohne ihn über den See fahren. Mitten auf demselben litten sie Not von widrigen Winden und den brausenden Wogen. so ging das bis Tagesanbruch. Jetzt kam Jesus ihnen nach und ging majestätischer Weise zu Fuß auf dem Meere. Als die Jünger seiner ansichtig wurden, erhoben sie ein Angstgeschrei, meinend, es sei nicht Jesus, sondern ein Gespenst, das ihnen nun den Garaus machen werde. Jesus rief ihnen zu, sie sollten getrost sein, er sei es. Das tat seine Wirkung. Aus der glaubenslosen Angst tauchte nun Petrus zu einer solchen Freudigkeit empor, daß er nicht nur glaubte, Jesus könne für seine Person zu Fuß über dem Meere wandeln, sondern auch andern, namentlich ihm, das nämliche Vermögen schenken. Begierig, dies zu erproben, spricht er: „Herr, heiß mich zu dir kommen!“ und bekommt zur Antwort: „Komm her!“ Er bedenkt sich nicht lange, tritt getrost aus dem Schiff aufs Meer. Und siehe, es gelingt, er schreitet vorwärts, wie wenn er festen Boden unter den Füßen hätte. Der erste Schritt war der bedenklichste; war der gelungen, so hatte es mit den übrigen keine Bedenklichkeit mehr. Wie ist's möglich? Kann Christus den Menschenkindern eine solche Macht und einen solchen Glaubensmut verleihen? Ob er das kann! Ja, ich behaupte, wir wandeln alle wie auf einem Meer, wo wir außer Christo gewiß untergehen, mit ihm durch den Glauben an ihn aber gewiß so wenig als Petrus, mochte er auch bald nachher sinken und schreien: Herr, hilf mir!
Wir alle, und wer weiß wie bald, wir alle treten, besonders im Tode, aus dem Schiff aufs Meer. Einmal ist's uns gesetzt, zu sterben. Und was darnach? Das Gericht. Entsetzliches Meer! Nicht also, wenn du es im Glauben an Jesum Christum betriffst. Dann wirst du nicht sinken, sondern stehen.
Laß die Wellen
Sich verstellen,
Wenn du nur bei Jesu bist.
Überhaupt wäre es uns wohl anzuraten, wenn wir glaubten, wir hätten Jesum zu allen Zeiten eben so nötig, als Petrus, da er auf dem Meere wandelte.
Um den Glauben geht's, von dessen Notwendigkeit, Erfordernissen und Schwierigkeiten wir jetzt zu handeln gedenken.
Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesum Christ zu allen und auf alle, die da glauben.
Römer 3, 22.
Voriges Mal betrachteten wir, wie der Mensch, der Sünder, der Gerechtigkeit und Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist, von Seiten Gottes durch freie Zurechnung teilhaftig wird. Jetzt ist uns noch übrig, zu sehen, was von Seiten des Sünders dazu erfordert wird. Darüber belehrt uns unser Text, wenn er sagt: „Die Gerechtigkeit Gottes kommt durch den Glauben Jesu Christi zu allen und auf alle, die da glauben.“ Der Glaube ist also das einfache Mittel unsererseits, und die Frucht desselben die Gerechtigkeit. Der Glaube und seine vornehmste Frucht sind also die beiden Hauptgegenstände unserer Betrachtung. Laßt uns nun heute den Glauben betrachten, also daß wir auf dessen Notwendigkeit, Erfordernisse und Schwierigkeiten sehen.
Der Glaube ist notwendig, ist die Pflicht aller derer, welche das Evangelium hören. Die Notwendigkeit des Glaubens ist sehr leicht zu beweisen. Ist es ohne Glauben unmöglich, Gott zu gefallen, hat derjenige das ewige Leben, der an den Sohn glaubt, während über demjenigen, der nicht glaubt, der Zorn Gottes bleibt, wird derjenige selig, der da glaubt, und derjenige verdammt, der nicht glaubt, so leuchtet die Notwendigkeit des Glaubens aus diesen drei Stellen so deutlich und entschieden hervor, daß es überflüssig sein würde, noch mehrere hinzuzufügen, wie leicht es auch wäre. Aus dem Glauben werden wir gerecht; durch den Glauben wird das Herz gereinigt; der Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet; durch den Glauben widersteht man dem Teufel so, daß er flieht, und löscht damit, wie mit einem Schilde, die feurigen Pfeile dieses Bösewichtes aus; durch den Glauben werden wir alle Kinder Gottes; durch den glauben, den Gott wirket, sind wir mit Christo auferstanden. Kann also etwas notwendiger sein, als der Glaube?
Er ist daher auch die unerläßliche Pflicht aller derer, welchen das Evangelium gepredigt wird. Es ist merkwürdig, daß noch wohl von allerlei Pflichten oder auch nur von Pflichten gehandelt wird; aber von dem Werk aller Werke, von einer der hauptsächlichsten Pflichten, von derjenigen Pflicht, ohne deren vorrangigen Erfüllung keine sonst gehörig erfüllt werden kann, von der Verpflichtung zum Glauben ist selten oder gar nicht die Rede, oder wird kaum als eine Pflicht betrachtet, welches eine große Blindheit und Verdrehtheit beweiset. Und doch - wer die Ausübung dieser Pflicht unterläßt, macht Gott zum Lügner, begeht also eine der strafbarsten Sünden; ja, alles ist unnütz, ist Sünde. Was antwortet Jesus jenen Juden, welche ihn fragten: „Was sollen wir tun, daß wir Gottes Werke wirken?“ „Das ist Gottes Werk,“ sagte er, „daß ihr an den glaubet, den er gesandt hat.“ Fordert die Predigt des Evangeliums nicht ausdrücklich, Buße zu tun und zu glauben? Was befahl Paulus dem ihn zitternd fragenden Kerkermeister: „Was muß ich tun, daß ich selig werde?“ anders als: „Glaube an den Herrn Jesum!“ Was kommt aus der Predigt als der Glaube? Es ist daher wunderlich, es ist verderblich, es ist sträflich, daß Christen hundert Dinge als Pflicht, wie es auch recht ist, anerkennen, aber den Glauben übersehen, welchen doch Christus Matth. 23, 23 für das Schwerste oder Wichtigste im Gesetz erklärt. Ja, viele übersehen diese wichtigste Pflicht nicht nur, sondern verschmähen sie sogar, betrachten sie als etwas geringfügiges, leichtes, unnützes oder gar nachteiliges.
Welche Blindheit, welche Verwirrung der Begriffe, welches Unglück zugleich, denn eben weil ihr nicht glaubt, müsset ihr verdammt werden. Eben euer Unglaube bringt das Verderben über euern Kopf, was eure sonstigen Sünden nicht zu tun vermöchten. Freilich könnt ihr nicht glauben, wenn ihr keine Schafe Christi seid, für wie federleicht ihr das Glauben auch achtet, und es eher Kindern und einigen Armseligen zuweiset, als denkt, es gezieme sich für euch, Hand an dieses große Werk zu legen, wo ihr euch denn schon genötigt sehen würdet, zu schreien: Ich glaube, lieber Herr, komm' zu Hülfe meinem Unglauben!
Ihr bekümmerten Seelen denn, laßt ihr's euch um so mehr angelegen sein, die große evangelische Pflicht eines ganz zuversichtlichen Glaubens unausgesetzt und immer besser zu üben! Überwindet je länger je glücklicher alle der Ausübung dieser Pflicht - welche ihren süßen Lohn mit sich führt - entgegenstehenden Schwierigkeiten und denket, daß vor allem das Wort Christi: „Glaube nur“ euch gegeben ist. O Herr, stärke uns den Glauben!
Um aber in der Ausübung dieser Pflicht glücklich zu sein, sind vornehmlich vier Stücke erforderlich. Zuerst muß bei dir das Seligwerden deine erste und meiste, nicht aber die zweite oder gar die letzte Sorge geworden sein. Sind andere Dinge, welche dir mehr anliegen als die große Sache der Heiligung und Seligkeit, so fehlt' s dir auch an dem nötigen Ernst, die Mittel zur Erreichung dieses Zwecks anzuwenden. Schaffet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern! So lange du denkst, deine Seligkeit werde sich schon von selbst machen, ist nichts mit dir anzufangen, und du wirst nicht selig werden. Bis dahin kann bei dir vom Glauben nicht die Rede sein, ja das, was du glaubst, ist dein Verderben. So lange irdische Güter und sinnliches Wohlleben deine Hauptbestrebungen sind, so gehörst du zu denen, die Irdische und Fleischliche genannt werden, deren Ende die Verdammnis ist. Wäre oder würde dein Sinn für himmlische und geistliche Güter bei dir so, wie er sich in Absicht jener äußert, so würdest du auch begierig nach den geeigneten Mitteln fragen, um zur Seligkeit zu gelangen, und man dir dann mit der rechten Antwort dienen. Nun aber bist du tot in Sünden. Laß aber das deine vornehmste Angelegenheit werden, wie du heilig und selig werden mögest, so hast du zugleich das erste notwendige Erfordernis zum Glauben!
Das Zweite ist Erkenntnis und Annahme der evangelischen Wahrheit. Wie soll jemand etwas glauben, so lange er die Wahrheit desselben nicht anerkennt? Das ist unmöglich. Verwirft jemand die evangelische Wahrheit, so gehört er so lange zu denen, von welchen der Apostel sagt: „Sie sind untüchtig zum Glauben“ und also auch zum Seligwerden. Denn wer nicht glaubt, wird verdammt. Zwar macht das Glauben und Fürwahrhalten der Schriftlehre allein nicht selig. Denn da sich das bei den Teufeln findet, so muß es auch bei gottlosen Menschen angetroffen werden können. Aber wo selbst dies mangelt, was sogar bei den Teufeln nicht fehlt, was soll da zu hoffen sein? Dies nennt man den theoretischen Unglauben, worin eben die unselige, verabscheuungswürdige und verderbliche Weisheit unserer Tage besteht, so daß Christus wohl fragen mag: „Meint ihr, daß des Menschen Sohn, wenn er kommen wird, Glauben finden werde auf Erden?“ Dieser Unglaube wird immer allgemeiner, frecher und ausgebreiteter, so daß man mehr und mehr von den christlichen Wahrheiten sagen muß, was Cicero von der heidnischen Lehre sagte: Sie wird nicht einmal mehr von den Knaben geglaubt. Und wir haben Ursache, mit Jesajas und Paulus auszurufen: „Wenn uns nicht der Herr Zebaoth hätte Samen lassen übrig bleiben, so wären wir wie Sodom geworden und gleich wie Gomorrha.“ Die Juden sind nicht mehr jüdisch, die Christen nicht mehr christisch, und selbst die Mohammedaner nicht mehr mohammedanisch. Was meinest du, was will aus dem Kindlein werden?
Notwendig muß aber die Überzeugung von der Wahrheit der Lehren des Evangeliums dem Glauben selbst vorangehen. Dazu muß sich die Erkenntnis dieser Lehren gesellen. Dasjenige, was aber vorab erkannt werden muß, ist erstens unser Elend, zweitens Christus und seine Gnade. Ohne das Erste glaubt man nicht, einen Erlöser nötig zu haben; ohne das Andere müßte man bei der Erkenntnis seines Elends verzweifeln. Beides zusammen leitet auf den rechten Weg. Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. bekehret euch zu mir, denn warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel? Gehet hin und lernet, was das sei: Ich habe Gefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer. Weil es meinem Volke an dieser Erkenntnis mangelt, geht es verloren, heißt es Hos. 4, 6. Weil sie nicht einsehen, wie elend sie sind, so wenden sie sich auch nicht zu der Gnade, die allein retten kann, so glauben sie nicht an Jesum und verderben deswegen, weil sie die ihnen dargebotene Hand zurückweisen.
Das Dritte, ohne welches man nicht zum Glauben tüchtig sein kann, ist die Absagung aller Welt- und Sünden-Liebe. So liegt's in der Natur der Sache. Ich weiß nicht, ob es Kranke gibt, die allenfalls von einigen, nicht aber von allen ihren Krankheits-Symptomen geheilt sein möchten. Wenn es aber solche gibt, so werden sie schwerlich einen Arzt bekommen oder brauchen. Der himmlische Arzt heilt alle Gebrechen. Wer nun das nicht mag, stimmt nicht mit ihm überein, kann nicht an ihn glauben. Denn wer an ihn glaubt, begehrt durch ihn von allen Sünden gereinigt zu werden, und Jesus nimmt auch keinen unter einer anderen Bedingung an. Wer Sünde tut, ist vom Teufel. Wer die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters. Solch' ungleich gearteten Herren, wie Gott und der Welt, zugleich zu dienen, ist unmöglich. Wer dem einen dient, haßt den andern. Ja, es ist zum Glauben an den Herrn nicht nur erforderlich, demjenigen abzusagen, was offenbar und geradezu sündlich ist, sondern, wer das will, muß sogar demjenigen entsagen, was sonst als zu den Vorzügen und Vortrefflichkeiten der menschlichen Natur gehörig, betrachtet und hochgeschätzt wird. Wer sich daher weise zu sein dünkt, muß nach der Welt ein Narr werden, damit er weise werden in Christo Jesu. Und das geht so weit, daß derjenige, welcher meint etwas zu wissen, für einen solchen erklärt wird, der noch nichts weiß, wie er es wissen sollte. Wie sollte es aber auch möglich sein, Christum weiter zur Weisheit anzunehmen, wozu er uns doch von Gott gemacht ist, als in dem Maße wir von eigener Weisheit leer zu sein glauben. Paulus wollte sich am liebsten seiner Schwachheit rühmen. Er mußte also dafür halten, er besitze keine Kraft, oder derjenige, welche er besitze, sei die rechte nicht. Hätte er sich aber für stark in sich selbst gehalten, so würde er haben des Vorteils entbehren müssen, daß die Kraft Christi in ihm wohnte, welche nur in den Schwachen mächtig ist. Wenn er aber schwach war, so war er stark.
Was hielt er von der Weisheit dieser Welt? Er nennt sie Torheit. Was hielt er von seiner Tugend, von welcher er doch in anderer Beziehung sagt, sie sei unsträflich gewesen, und wenn andere glaubten, sich rühmen zu können, er noch mehr? Für Schaden und Kot hielt er sie. Und warum? Um die wahre Gerechtigkeit zu erlangen, wozu Christus uns gemacht ist, welche er aber weder begehrt, noch angenommen haben würde, hätte er die seinige für zulänglich gehalten. Christus macht nur Sünder selig. will sich jemand dafür nicht halten, und zwar in jeglichem Betracht, so kehrt sich Jesus so wenig an ihn, wie ein Arzt an die Gesunden. Kurz, wer nicht allem absagt, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.
Das vierte Erfordernis zum Glauben, was wir als das vornehmste zuletzt anführen wollen, ist die Mitteilung des heiligen Geistes, welcher ausdrücklich der Geist des Glaubens heißt. Durch bloße natürliche Vernunft und Kraft bringt niemand das Werk des wahren Glaubens zustande, auch wenn er noch so lange die Predigt vom Glauben hörte und sie mit seinem natürlichen Verstande einsähe. Das ist Gottes Werk, daß ihr an den glaubet, den er gesandt hat, sagt Christus. Paulus ist es nicht genug zu sagen, das Glauben sei nicht aus uns, sondern Gottes Gabe; er wünscht den Ephesern sogar erleuchtete Äugen des Verständnisses, dann würden sie sehen die überschwengliche Größe der Kraft Gottes an denen, die glauben nach der Wirkung seiner mächtigen Stärke, welche er gewirkt hat in Christo, da er ihn von den Toten auferwecket hat. Die Hervorbringung des Glaubens wird also der nämlichen allmächtigen Wirkung Gottes zugeschrieben, wodurch Christus ist von den Toten auferweckt worden, welches offenbar nicht durch Gründe, sondern durch Anwendung der Allmacht geschehen ist. Gründe sind nötig und gut. Sollen sie aber eine Glauben erzeugende oder stärkende kraft haben, so muß die Kraft des heiligen Geistes sie überschatten. Zu glauben ist daher nicht jedermanns Ding.
Obwohl Jesus solche Zeichen vor ihnen tat, sagt Johannes im 12. Kapitel, glaubten sie doch nicht an ihn, auf daß erfüllt würde der Spruch des Propheten Jesaja, denn er sagt: „Herr, wer glaubt unserm Predigen? Und wem ist der Arm des Herrn geoffenbart?“ Darum konnten sie nicht glauben, denn Jesaias sagt abermals: „Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstocket, daß sie mit den Augen nicht sehen, noch mit dem Herzen vernehmen und sich bekehren und ich ihnen hülfe.“ Solches sagte Jesaias, da er seine Herrlichkeit sah und redete von ihm. Doch der Obersten glaubten viele an ihn. Es wurden gläubig, so viele ihrer zum ewigen leben verordnet waren.
Wer derhalben den wahren Glauben zu üben begehrt, der suche ihn an der rechten Quelle, nicht bei sich selbst, sondern beim heiligen Geist.
Dies ist um so nötiger, da wir bekennen müssen, daß das Glauben nicht geringe Schwierigkeiten hat, welche bei einigen noch größer sind als bei andern. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn Jesus die Jünger mehrmals „Kleingläubige“ nennt, ja einmal sogar zu ihnen sagt: „Wie, daß Ihr so gar keinen Glauben habt!“ Nachdem es der Schlange einmal gelungen ist, durch ihr vergiftetes Wort: „Ja, sollte Gott gesagt haben?“ den Glauben aus unsern Herzen zu vertilgen und den Unglauben darin zu pflanzen, ist dieser uns natürlich, jener aber fremd; dieser lieb, jener zuwider; der Unglaube begünstigt, der Glaube bestritten. Gott selbst hat alles, unter dem Unglauben beschlossen; niemand als er kann daraus erretten. Was halfen alle die Wunderwerke, welche Christus in so großer Menge, in so mannigfacher Weise tat, und was helfen sie noch? Dafür, daß sie gestanden hätten, hier sei der Finger Gottes sichtbar, schrieben sie die unerklärbaren Begebenheiten lieber dem Obersten der Teufel zu und verfolgten diejenigen, welche diese Wunder an sich erfuhren, so daß sie jenen sehend gewordenen Blinden mit Scheltworten von sich stießen; und Lazarus war kaum aus dem Grabe auferstanden, so wollten sie ihn auch schon wieder töten. Und wie heutzutage die rationalistische oder vielmehr irrationalistische, d. i. wahrer Vernunft entblößte Partei mit der heiligen Schrift und den in derselben erzählten Wundern umgeht, ist nicht unbekannt. Manche Menschen sind den Wassersüchtigen im Geistlichen zu vergleichen. Alles, was sie genießen, vermehrt ihre Krankheit und verwandelt sich bei ihnen in Wasser.
Der Glaube hat vorzügliche Schwierigkeiten bei uns, denn des Gesetzes Werk ist von Natur beschrieben in unsern Herzen. Dasjenige, was damit übereinstimmt, wird natürlicher Weise weit eher Beifall und Eingang finden als die Predigt vom Glauben. Daher lassen sich selbst Leute, welche einen schlechten Lebenswandel führen, gesetzliche Predigten, die dies bestrafen, wohl gefallen, da sie die Predigt vom Glauben bestreiten und seltsamer Weise wohl aus dem Grunde, weil sie ihrem Vorgeben nach der Tugend nicht günstig sei. Die Menschen werden weit leichter es einleuchtend finden und zugeben, wenn es heißt: „Tue das, so wirst du leben, halte die Gebote, so wirst du zum Leben eingehen, so wird dir Gott gnädig sein“, als wenn gesagt wird: „Glaube an den Herrn Jesum, wer da glaubt wird selig werden, wer glaubt kommt nicht ins Gericht;“ und in letzterem Falle wird er immer noch den Zusatz für nötig erachten: „Und halte die Gebote“. Kurz, zu glauben ist nicht nur über, sondern gewissermaßen wider die Natur des Menschen und eben deswegen das Schwerste, wie Christus selbst es nennt. Es ist nicht einmal möglich, dem natürlichen Menschen einen richtigen Begriff vom Glauben wie von sonstigen Pflichten beizubringen, wie sollte er vermittelst seiner natürlichen Kräfte zur Ausübung des Glaubens selbst gelangen können?
Ein drittes Hindernis liegt überhaupt in dem Stolz unserer Natur, die Gott und sein Wort für nichts hält. Kann sich unsere armselige Vernunft der Frage: „Wie mag solches zugehen?“ in religiösen Dingen nicht beantworten, so will sie gleich wenig oder nichts davon wissen, da sie diese Frage in natürlichen Dingen fast überall unbeantwortet lassen muß, wenn auch nur gefragt würde: Wie mag das zugehen, daß ein Grashalm wächst? Sieht sie einen Abraham auf göttlichen Befehl ausziehen, ohne zu wissen wohin, so hält sie ihn für einen Phantast; glaubt er um der göttlichen Verheißung willen auch in seinem höchsten Alter, der Stammvater einer zahllosen Nachkommenschaft zu werden, so achtet sie ihn den Narren gleich. Eher entschließt sich die unvernünftige Vernunft, eine Wirkung ohne Ursache zu glauben, also an einen Zufall, als die Ursache in Gott zu suchen. Kurz, es ist nicht so sehr zu verwundern, daß so wenige, als daß doch noch etliche glauben. Sollte ihr Unglauben Gottes Glauben aufheben? das sei ferne!
Auch der Teufel sucht den Glauben zu hindern. Und wie sollte er nicht, da eben der Glaube es ist, wodurch man ihm so widersteht, daß er fliehen muß, da eben der Glaube der Schild ist, womit man alle seine feurigen Pfeile auslöscht, da er sehr wohl weiß, daß wer glaubt, nicht ins Gericht kommt, wer aber nicht glaubt, unmöglich Gott gefallen kann. So lange er jemanden im Unglauben erhalten kann, braucht er um seine Beute nicht verlegen zu sein. So tue ihm seinen Willen nicht, sondern glaube an den Herrn Jesum, so wirst du selig!
Wie Gold durchs Feuer, so muß der Glaube durch manche Proben und Anfechtungen gehen, um geläutert zu werden und den ihm bestimmten Grad der Läuterung zu erreichen. Es ist der Natur des Glaubens gemäß, nichts zu haben oder zu behalten, als Gott allein. Alle sonstigen Stützen müssen brechen. Und das gibt Proben. Mit Israel kommt's bis vor das rote Meer und dann hindurch. Josaphat muß ausrufen: In uns ist keine Kraft, Hiskia: Es ist keine Kraft da, und dann der Sieg durch Gott. Das kranke Töchterlein muß sterben, Lazarus noch obendrein bis an den vierten Tag im Grabe liegen, Paulus seiner festen Erwartung nach so gut wie tot, Abraham und Sara erstorbenen Leibes sein, dann hilft Gott. Du kannst, du weißt, du hast noch so viel außer Gott, daher kannst, weißt, hast du noch so wenig, und wirst so geplagt.
So wandelt er dein Fürchten, Zweifeln, Zagen
In lauter Jubelton und Lobgesang,
Du sagst ihm für den Geist des Glaubens Dank.“
Laß mich schließlich noch eins nennen, warum es schwierig ist zu glauben. Das liegt in der Größe der Dinge, welche demselben vorgehalten werden. Dir, dem Missetäter, wird ein Geschenk frei, umsonst dargeboten, das, recht erwogen, fast zu groß und zu herrlich erscheinen möchte, um es anzunehmen, und zu glauben du seiest in Wahrheit gemeint. Die gänzliche Vergebung aller deiner Sünden, eine Gottesgerechtigkeit, die ewige Herrlichkeit, und das dir, wie darfst du dich unterstehen, solche Königreiche und Kaiserkronen als dir wirklich und unbezweifelt zugedacht anzusehen, ja anzunehmen? Ist das nicht unbescheiden, nicht verwegen? Du, ein solcher Sündenwurm, sollst dich in Christo für einen solchen ansehen, der nie keine Sünde begangen noch gehabt hat? Ist das nicht gefährlich, entsetzlich, unerhört? Aber sollte das Blut Christi es nicht wert sein?
Nun denn, mögen die Schwierigkeiten sein, welche sie wollen, siehe zu, daß sie dir das nicht sind, was die Spinnenwebe schwachen Fliegen, und wisse, wer da glaubt, wird selig, wer nicht glaubt, verdammt! Amen.
(gehalten am 12. Dezember 1830)
„Du Tochter Zion, freue dich sehr, und du Tochter Jerusalem, jauchze; denn siehe, dien König kommt zu dir“ so mögen wir besonders in dieser kirchlichen Zeit aus Sach. 9, 9 uns einander ermuntern. Dein König kommt zu dir, dies ist für Zion eine Quelle und Veranlassung zu einer großen Freude, welche in Jauchzen, in ein lautes Rufen ausbricht. Denn das Kommen dieses Königs bringt dies in der Seele, zu welcher er kommt, zuwege, denn er kommt als Helfer, als ein Heilbringer. Er kommt, nicht etwas zu holen, sondern zu bringen; nicht sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen; nicht zu fordern, sondern zu beschenken; nicht für sich streiten zu lassen, sondern für uns zu streiten bis zur Aufopferung seines Leibes und Lebens hin. Er kommt zu Zion, zu trösten alle Traurigen, daß ihnen Schmuck für Asche und Freudenöl für Traurigkeit gegeben werden und schöne Kleider für einen geängstigten Geist, daß sie genannt werden Bäume der Gerechtigkeit, Pflanzen des Herrn zum Preise. Dein König kommt, er kommt zu dir! Freue dich des, du Seele, die du nicht zu ihm kommen vermagst, wie sehr du dich nach ihm sehnst. Er wird zu dir kommen, und wenn er mit dir zu Nacht essen will, so sollst du es aber auch mit ich. Sorge also nichts, denn er sorget für alles. Freue dich nur, und das nicht ein wenig, sondern sehr!
Jedoch setzt diese Freude Zutrauen voraus. Im gewöhnlichen Leben ist der Ruf: „Dein König kommt!“ wohl geeignet, Ehrfurcht und Stille auch allenfalls einen gewissen Enthusiasmus zu erzeugen, aber auch blöde Personen einzuschüchtern und zaghaft zu machen. Hier soll lauter Freude, große Freude entstehen, und woraus kann sie anders entspringen als aus dem Vertrauen und der Liebe? Den Gefangenen, Gebundenen, Blinden, Traurigen, Elenden gilt's, denen will er helfen,
Und o wie sehr bedürfen wir der Hülfe, und wie mächtig und bereit ist er dazu! Möchten wir ihm denn recht kindlich vertrauen lernen, und möchte dazu auch unsere anzustellende Betrachtung, welche vom Glauben handeln wird, gesegnet sein!
Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die da
kommt durch den Glauben an Jesum Christ zu allen und auf alle, die da glauben.
Römer 3; 22
Unsere vorige Betrachtung beschäftigte sich hauptsächlich mit der Notwendigkeit des Glaubens, den Erfordernissen desselben und einigen Schwierigkeiten; jetzt wollen wir einiges von seiner Beschaffenheit und von seiner Hauptfrucht bemerken.
Die heilige Schrift gibt fast niemals Definitionen oder nähere, bestimmte Erklärungen dessen, was sie lehrt und sagt. Nikodemus z.B. begehrte eine solche nähere, bestimmte Erläuterung über die Wiedergeburt, welche ihm Jesus aber in dem Sinne, wie er sie wünschte, nicht gewährte, damit er desto begieriger würde, diese Wirkung an sich selbst zu erfahren, und sie also am glücklichsten kennen zu lernen. Die heilige Schrift handelt die Lehren nie in einer solch systematischen Ordnung ab, wie wir in unseren Katechismen tun, weil es ihre Absicht ist, uns nicht bloß Begriffe, sondern vielmehr Gesinnungen und Leben einzuflößen, nicht bloß unsern Verstand aufzuklären, sondern zugleich unsern Sinn zu heiligen, aus uns nicht bloß Hörer und Wisser, sondern vielmehr Täter des Wortes zu bilden. Weil die heilige Schrift von Gott ist, so will sie uns auch zu ihm und namentlich zum heiligen Geist leiten, der uns als ein solcher verheißen ist, der uns in alle Welt leiten soll; welcher es von dem, das Christus ist, nimmt und es uns verklärt, den aber freilich die Welt nicht kann empfangen, die deswegen die Schrift auch dann nicht versteht, wenn sie auch noch so umständlich erläutert wird. Paulus scheint zwar die großen Geheimnisse, welche er im 6. Kapitel seines Römerbriefes niederlegt, am Schluß desselben erläutern und faßlicher machen zu wollen, wenn er sagt: „Ich muß menschlich davon reden um der Schwachheit willen eures Fleisches.“ Inwiefern dies aber wirklich geschieht, hat jeder Leser dieses Kapitels selbst zu prüfen. Den Philippern aber sagt er gerade heraus: „Solltet ihr sonst etwas halten, so laßt es euch Gott offenbaren.“
Der Glaube macht allein eine Ausnahme. Von demselben gibt die heilige Schrift wider ihre Gewohnheit eine Erklärung oder Definition, wenn es Hebr. 11, 1 heißt: „Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und nicht zweifelt an dem, das man nicht siehet“. Derselben gemäß haben christliche Gelehrte die heilige Wirksamkeit der Seele, die Glauben heißt, auf verschiedene Art angedeutet. Calvin sagt: Nur derjenige ist wahrhaftig gläubig, welcher auf die Verheißungen gestützt, gründlich überzeugt ist, Gott sei sein gnädiger und wohlwollender Vater, der sich alles Gute von ihm verspricht und seine Seligkeit ohne allen Zweifel von ihm erwartet. Derjenige, setzt er hinzu, hofft nicht wohl auf den Herrn, der sich nicht voll Vertrauen rühmen kann, ein Erbe des Himmels zu sein; derjenige ist kein Gläubiger, der nicht seiner ewigen Seligkeit gewiß getrost dem Teufel und dem Tode Trotz bietet. Sodann beginnt er die Erläuterung der Einwendungen dagegen mit folgenden Worten: Aber, wird jemand sagen, das erfahren die Gläubigen viel anders, welche, in Anerkennung der Gnade Gottes gegen sich, nicht nur durch Unruhe versucht werden, wie es oft geschieht, sondern sogar zuweilen von den schwersten Schrecken erschüttert werden. Die Beschreibung unseres Katechismus vom Glauben, der ihn ein herzliches Vertrauen nennt, daß nicht allein andern, sondern auch mir Vergebung der Sünden, ewige Gerechtigkeit und Seligkeit von Gott geschenket sei, aus lauter Gnaden, allein um des Verdienstes Christi willen, ist unter uns so bekannt, wie die des seligen Lampe, der ihn als eine Annahme Christi zur alleinigen Ursache des Lebens und der Gerechtigkeit beschreibt. Die einfachste und kürzeste Beschreibung vom Glauben, die mir bekannt ist, gibt der sehr erleuchtete Marschall, wenn er sagt: An Christum glauben heißt so viel, als sich auf ihn zur Erlangung der Seligkeit verlassen.
Worin das Glauben bestehe, können wir ja auch an denen merken, welche sich in irgend einer geistlichen oder leiblichen Angelegenheit und Not an Christum wandten, während er noch hier auf Erden wandelte. In geistlichen Angelegenheiten kam z.B. Nikodemus zu ihm, welcher Belehrung, und jene große Sünderin, welche die Vergebung ihrer Sünden bei ihm suchte; in leiblichen unzählige Andere. Ihr Kommen zu ihm setzte ein gewisses Vertrauen zu Jesu in ihrer Not voraus. Ohne diese Not hätten sie ihn nie bedurft, und ohne jenes Vertrauen sich nicht an ihn gewandt. Dies sei genug zur Beantwortung der Frage, was Glauben sei, welches man erst dann recht wird verstehen lernen, wenn es einem verliehen wird, dies große Werk zu üben.
Die Hauptfrage ist die: worauf stützt und gründet sich denn dies Vertrauen auf Christum zur Erlangung der Seligkeit? Das Vertrauen zu jemandem muß doch einen gehörigen Grund haben, oder es führt zu nichts. Wenn jemand, der sich in zerrütteten Vermögensumständen befindet, einem reichen Manne zutrauen wollte, er werde ihm heraushelfen, weil er so reich ist und es wohl tun könnte, ja wenn er meinte, er werde es eben deswegen tun, weil er es ihm zutraue; würde der wohl ein gut begründetes Vertrauen hegen, ja würde dieses Zutrauen nicht als sehr unzeitig und verwegen erscheinen, wenn er sich früher gegen diesen reichen Mann sehr unartig benommen und ihn verachtet, geschmäht und beleidigt hätte? Müßte er nicht statt unverdienter Hülfe gerechte Vorwürfe erwarten? Und ist das nicht ziemlich das Verhältnis eines Sünders zu Christo? Wie sollte sich derselbe doch wohl beigehen lassen und unterstehen dürfen, auf Christum zu vertrauen, er werde ihn selig, werde ihn ganz gewiß selig machen? Und wenn er's sich untersteht, was für einen Grund hat er zu diesem Vertrauen? Nicht eine ihm selbst beiwohnende Würdigkeit, welche ganz unverträglich damit ist. Zwar suchten die Juden Jesum durch die Vorstellung, er sei es wert, zu bewegen, dem heidnischen Hauptmann die begehrte wundertätige Hülfe zu gewähren; er selbst aber ließ Jesu sagen, er sei nicht wert, daß er in sein Haus einkehre, habe sich auch nicht wert geachtet, selbst mit ihm zu reden; doch hinderte dies sein Vertrauen keineswegs. Es ist ein durchaus falscher Grund, wenn Menschen vertrauen, Jesus werde sich darum ihrer gnädig annehmen, weil sie so sittlich gelebt haben, wie sie haben. Unrichtig ist es ebenfalls, wenn andere sich von diesem Vertrauen abhalten lassen, weil sie die guten Eigenschaften nicht in sich befinden, welche sie wünschen, welches doch oft der Fall ist. Es ist aber ein sehr törichtes Verhalten, denn wie sollen gute Eigenschaften eben anders als durch den Glauben an Jesum Christum in unser Herz kommen, da wir ja ohne ihn nichts Gutes tun können. Dieses Glauben an den Herrn Jesum aufschieben, ist daher nichts anderes, als seinen elenden Zustand verlängern. Hätte jenes kranke Weib sich irgend durch Gründe abhalten lassen, den Saum des Kleides Jesu anzurühren, was hätte sie damit anders ausgerichtet, als daß sie krank geblieben wäre? Es klingt zwar gar nicht übel, wenn jemand sagt: Er würde glauben, wenn er frömmer, gebeugter wäre, mehr Eifer und Liebe hätte; es klingt demütig. Aber es ist doch nichts als Unverstand. „So du glauben würdest, solltest du die Herrlichkeit Gottes sehen.“ Aber du kannst eben nicht glauben, da, da liegt es, magst du auch in deiner Blindheit vorgeben, du würdest glauben, wenn nur dies und das anders wäre. Jawohl würdest du glauben, wenn du nicht so ungläubig wärest. In uns selbst liegt und kommt der Grund nimmermehr, warum wir Christo zutrauen dürfen, er werde uns gewißlich selig machen, auf der andern Seite aber auch nicht zum Gegenteil - und dies gehörig einsehen, ist gewiß eine nützliche Weisheit, die wir uns durch den Glauben erwerben sollen.
Welches ist denn der eigentliche, feste und wahre Grund des Glaubens? Er liegt ganz außer uns im Evangelium. Dies Evangelium enthält keine Forderungen noch Drohungen, sondern besteht aus lauter Verheißungen. Diese Verheißungen enthalten alles dasjenige, was zu unserer Seligmachung erforderlich ist. Vom kleinsten, dem Wollen an, bis zum höchsten, der ewigen Herrlichkeit. Die Versehung, Verordnung, Berufung, Gerechtsprechung und Herrlichmachung bilden eine goldene Kette, wo ein Glied sich an das andere schließt. Es sind das gleichsam Kleider und Schuhe, Wasser und Salben, eine volle Tafel, Arzneien, Waffen, Ruten, Erquickungen - kurz, alles ist da, ist bereitet, was nötig, nützlich und angenehm sein kann. Es ist alles versprochen.
Diese Verheißungen haben eine große Ausdehnung. Gott versichert überhaupt, ja schwört: „so wahr ich lebe, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe. So bekehret euch doch nun von eurem bösen Wesen! Warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel?“ Aller Welt Ende werden aufgefordert, sich zu ihm zu wenden und selig zu werden. Alle, welche durstig sind, sollen zum Wasser kommen, und wer kommt, den will er nicht hinausstoßen. allen Völkern, ja allen Kreaturen soll das Evangelium gepredigt werden, und Gott ist sowohl der Heiden als der Juden Gott.
Diese Verheißungen haben eine unaussprechliche Zuverlässigkeit. Es sind Verheißungen Gottes, der unmöglich lügen kann, und der Macht genug hat, sie zu erfüllen. Er hat sie obendrein mit einem, ja mit mehreren Eidschwüren bekräftigt und so jeden möglichen Zweifel und Argwohn beseitigt. Und sollte das noch nicht genug sein, so hat er sie in die Form eines Testaments eingekleidet. Respektiert man nun, wie der Apostel Gal. 3 sagt, eines Menschen Testament, wenn es bestätigt ist, tut auch nichts davon noch dazu, wie vielmehr sollen wir ein Testament Gottes respektieren, welches durch den Tod dessen, der es gemacht hat, nach Hebr. 10 fest, unwiderruflich und unveränderlich geworden ist. Welch' ein festes, unerschütterliches Vertrauen mögen wir also darauf gründen, so daß wir uns durch nichts irre oder wankend machen lassen.
Es sind aber doch sowohl in Gott als in uns Eigenschaften, welche kein Vertrauen aufkommen lassen zu können scheinen, es vielmehr ganz und gar niederschlagen. In uns ist's die Sünde, in Gott seine Heiligkeit. Nahen wir uns seinem Thron, wie wir denn endlich schon müssen, was haben wir zu erwarten als ein Todesurteil? Ja, werden wir nicht, wie unser Vater Adam, wo möglich fliehen und uns verstecken? Worauf wollen wir Sünder, sonderlich diejenigen unter uns, welche sich vieler und schwerer Sünden bewußt sind, worauf wollen sie es wagen, einen vertrauenden Blick zu dem hochheiligen Gott zu erheben? Wird das nicht einer schweren Beleidigung seiner Majestät gleich kommen, und es das Ansehen gewinnen, als wollten wir ihn zu einem Sündendiener machen? Wird es nicht am geratensten sein, an dies Vertrauen nicht eher zu denken, bis wir's in Ablegung der Sünde und in Erwerbung guter Eigenschaften zu etwas namhaften gebracht haben? Diese Bedenklichkeit ist allerdings schwer und würde unauflöslich sein, zeigte uns hier das Evangelium nicht den gekreuzigten Mittler zwischen Gott und uns. Alles ist dahin gerichtet, unsern Glauben auf das vollkommene Opfer Christi am Kreuz als auf den einigen Grund unsers Vertrauens zu weisen und uns zu lehren, daß unsere ganze Seligkeit stehe in dem einigen Opfer, so er selbst einmal am Kreuz vollbracht hat. Jetzt sind aber auch alle Hindernisse gänzlich hinweggeräumt. Gott ist vollkommen mit dem Sünder versöhnt, seiner Heiligkeit ist ein vollkommenes Genüge geschehen, durch sein Blut sind wir gerecht geworden, um desselben willen hat Gott uns geschenket alle Sünde und die Handschrift derselben aus dem Mittel getan, der Vater selbst hat uns lieb. Nach dem Evangelium wissen wir auf die Frage: Was ist Gott? nichts anderes zu antworten, als: Er ist die Liebe. Da, da hat der Glaube den Grund gefunden, wo er den Anker auswerfen kann, der sein Schiff in allen Stürmen festhält. Jetzt steht ihm nichts im Wege, mit aller Freimütigkeit zum Gnadenthron hinzutreten, und da er sonst wohl dachte, wie er Vertrauen fassen möge, so möchte er jetzt wohl fragen, warum er zweifeln sollte, weil unzählige Gründe der allererhabensten Art für den Glauben, kein einziger tauglicher Grund aber für den Zweifel ist. Und o selig bist du, der du also geglaubt hast, denn es wird erfüllt werden, was der Herr geredet hat.
Unser Text redet daher vom Glauben an Jesum Christ, wörtlich Glauben Jesu Christi. Unser Glaube heißt aber alsdann ein Glaube Jesu Christi, wenn Jesus Christus ihn durch seinen heiligen Geist in uns gewirket hat, wie er denn sowohl der Anfänger als der Vollender des Glaubens ist; und wenn Jesus Christus sein Verdienst und Gnade, der einige und vollkommene Grund und Gegenstand des Glaubens ist, wobei er anfängt und endet, worin er wandelt, so wie er ihn angenommen hat, in dem er bleibt, aus dessen Fülle er Gnade um Gnade nimmt, und das, was er im Fleische lebet, lebet im Glauben des Sohnes Gottes, der uns geliebt und sich selbst für uns dahingegeben hat, und so wächset zur göttlichen Größe, indem er sich an dem hält, welcher das Haupt ist.
Laßt uns denn jetzt die Hauptfrucht des Glaubens erwägen. Unsere kleinen Kindlein haben sie schon in der „Milch der Wahrheit“ nennen und auf die Frage: „Was ist die vornehmste Frucht des Glaubens?“ antworten gelernt: „Die Rechtfertigung des Sünders vor Gott“. Möchten wir Erwachsene es nur recht verstehen gelernt haben! Unser Text bestätigt das. Durch den Glauben kommt die Gerechtigkeit vor Gott, sagt er.
Macht Jesus diejenigen denn ganz gewiß selig, welche es ihm zutrauen, er werde es tun? Ist das ganz gewiß? Kann man sich darauf verlassen? Hat das kein Bedenken, ist das keinerlei Zweifel unterworfen? Kann derjenige, welcher diesen Weg einschlägt, die gewisse Versicherung haben, er werde ganz gewiß das herrliche Ziel der ewigen Seligkeit erreichen, unangesehen er des ganz unwürdig ist? Ganz gewiß. Dafür bürgt ihm die Ehre Gottes selbst. Denn durch den Glauben kommt die Gerechtigkeit, was kann deutlicher sein?
Sobald jemand glaubt, wird er auch gerecht vor Gott, und zwar so gerecht, wie Jesus Christus selber. Das ist freilich ein erstaunenswürdiges Wunder, wodurch aus Gottlosen auf einmal göttlich Gerechte, aus Unreinen mehr als Engelreine, aus Verfluchten Gesegnete werden und das in einem Augenblick, in demjenigen nämlich, wo die Vereinigung zwischen Christus und der Seele durch den Glauben vollzogen wird, wo er sich mit der Seele verlobt und sie den Herrn erkennt. Das ist ein rechter Wunderglaube, welcher Berge versetzt. Sind aber nicht dem, der da glaubt, alle Dinge möglich? Wie das zugehen mag, ist leicht erklärbar. Denn durch den Glauben wird ein Mensch, welcher bisher ohne Gott, ohne Christum war, mit Christus vereinigt, eine Pflanze, ein Leib mit ihm, irgend ein Glied an ihm, eins mit ihm. Christus und er machen also eins aus, ja nicht er und Christus, sondern er nicht mehr, sondern Christus in ihm, wie Paulus spricht. Christus selbst wird seine Gerechtigkeit. Wollen wir dies durch ein entgegengesetztes Bild erläutern? Ist jemand auch nur leicht von einer Schlange gebissen, so nennt man ihn mit Recht vergiftet, und er muß sterben. Ist jemand, auch nur noch den ersten Anfängen nach, von Christus tingiert, so hat er die Rechtfertigung des Lebens und wird nicht sterben, sondern leben und des Herrn Ruhm verkündigen.
Dieser Glaube nun, der mit Christo vereinigt, ist das einzige Mittel, der Gerechtigkeit Gottes teilhaftig zu werden. Einen andern Weg gibt es nicht. Dies ist der Gehorsam des Glaubens, den das Evangelium fordert, den es aufrichtet. Es ist wahr, der Glaube soll und wird durch die Liebe tätig sein. Aber seine gerecht machende Kraft liegt doch nicht in dieser Tätigkeit der Liebe, sondern in der Ergreifung Jesu Christi, welches seine eigentliche Art, Wirksamkeit und Natur ist. Sollen wir beide Richtungen nicht scheiden, so dürfen wir sie auch nicht vermengen, noch in ihrer Folge umkehren; mögen wir auch immerhin aus der Liebe, dem Frieden, der Freude der Willigkeit zum Guten den Schluß machen, daß unser Glaube rechter Art sei, welcher allerdings ohne diese Früchte nicht sein kann,
Denn das kein rechter Glaube wär',
Dem man die Werk' wollt' rauben.
Diese wahre feuerbeständige Gerechtigkeit kommt zu allen und auf alle, die da glauben. Kein Gläubiger hat eine andere. Sie alle haben einerlei Uniform, einerlei Livree, einerlei Feierkleid. Möchte jemand so fromm und heilig sein wie Abraham, so würde er doch nicht durch die Werke gerecht, wie Abraham dadurch nicht ist gerecht geworden, sondern durch den Glauben, und wenn er glaubte, sah er weder dies noch das, weder seinen erstorbenen noch blühenden Leib an, sondern den treuen und zuverlässigen Gott, der es verheißen hatte und auch tun konnte und wurde. Der gerecht machende Glaube vergißt aller eignen guten und bösen Werke, um allein des Werkes Christi zu gedenken, welcher ist dahingegeben um unserer Sünde willen und auferwecket um unserer Gerechtigkeit willen.
Wenn der Apostel sagt, die Gerechtigkeit komme zu allen und auf alle, die da glauben, so hat er ohne Zweifel eine Absicht, warum er diese beiden Wörtlein „zu“ und „auf“ gebraucht, und versteht unter dem einen Wörtlein Gläubige aus den Heiden, und unter dem andern Gläubige aus den Juden. Und so schließen wir denn hiermit unsere Betrachtungen über die Rechtfertigung nach den Worten unseres Textes. Der Same des Worts ist auch dadurch gesäet. Sein Erfolg wird durch die Beschaffenheit des Ackers bedingt, worauf er gefallen ist. Gar viele unter euch halten sich selbst für klug, haben Gefallen an sich selbst, an ihrer Meinung, Weise und Thun. Ihr habt nur Sinn für irdische Dinge, lebt stets außer euch und in einer gänzlichen Unbekanntschaft mit euch selbst. Eure Geschäfte, eure Vergnügungen, die Sorgen des Reichwerdens, der Nahrung und die Wollüste dieses Lebens nehmen euren Verstand, euer Herz, euer Gedächtnis, eure Überlegung ganz in Anspruch. Aber die höchste Angelegenheit des Menschen, diejenigen Fragen, die zu allererst sollten und müßten erörtert und auf eine beruhigende Weise ausgemacht werden, die fragen: „Wie stehst du zu Gott? Wirst du selig werden? Wie sieht's um deine Sünden aus? Sind sie dir vergeben? Herrschen sie nicht mehr bei dir? Bist du in einem Gott gefälligen Zustande? Hast du den heiligen Geist, den wahren Glauben? Wandelst du auf dem schmalen Weg, der zum Leben führt und den wenige finden?“ Fragen der Art liegen samt ihrer Beantwortung wenigen unter euch am Herzen, wie sie doch vor allen Dingen tun sollten.
Was ist das? Ist das ein Zeichen, daß ihr zu denjenigen Leuten gehört, von denen geschrieben steht: „Gott hat ihnen gegeben einen erbitterten Geist, Augen, daß sie nicht sehen, Ohren, daß sie nicht hören,“ von denen David spricht: „Verblende ihre Augen, daß sie nicht sehen, und beuge ihren Rücken allezeit?“ Oder wollt ihr Buße tun? Ja, ringet darnach, daß ihr durch die enge Pforte eingehet, denn viele werden, das sage ich euch, darnach trachten, wie sie hineinkommen, und werden es nicht tun können.
Gibt's aber unter euch mühselige und beladene Seelen, Seelen, deren erste und meiste Sorge es geworden ist und mehr und mehr wird, wie sie mögen selig werden, „neiget ihr eure Ohren her und kommt zu mir; höret, so wird eure Seele leben! Warum zählet ihr Geld dar, da kein Brot ist, und eure Arbeit, da ihr nicht satt von werden könnt? Höret mir doch zu und esset das Gute, so wird eure Seele in Wollust fett werden.“ Amen.
(gehalten am 29. Mai 1831)
Römer 6,1-14
Was wollen wir hiezu sagen? Sollen wir denn in der Sünde beharren, auf daß die Gnade desto mächtiger werde? Das sei ferne! Wie sollten wir in der Sünde wollen leben, der wir abgestorben sind? Wisset ihr nicht, daß alle, die wir in Jesum Christum gerauft sind, die sind in seinem Tod getauft? So sind wir je mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf daß, gleichwie Christus ist auferwecket von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln. So wir aber samt ihm gepflanzet werden zu gleichem Tode, so werden wir auch der Auferstehung gleich sein, dieweil wir wissen, daß unser alter Mensch samt ihm gekreuzigt ist, auf daß der sündliche Leib aufhöre, daß wir hinfort der Sünde nicht dienen. Denn wer gestorben ist, der ist gerechtfertigt von der Sünde. Sind wir aber mit Christo gestorben, so glauben wir, daß wir auch mit ihm leben werden; und wissen, daß Christus, von den Toten erweckt, hinfort nicht stirbt; der Tod wird hinfort über ihn nicht herrschen. Denn das er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben zu einem Mal; das er aber lebet, das lebet er Gott. Also auch ihr, haltet euch dafür, daß ihr der Sünde gestorben seid, und lebet Gott, in Christo Jesu unserm Herrn. So laßt nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, ihr Gehorsam zu leisten in seinen Lüsten. Auch begebet nicht der Sünde eure Glieder zu Waffen der Ungerechtigkeit, sondern begebet euch selbst Gott, als die da aus den Toten lebendig sind, und eure Glieder Gott zu Waffen der Gerechtigkeit. Denn die Sünde wird nicht herrschen können über euch, sintemal ihr nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade.
In der merkwürdigen Geschichte von dem Ringen Jakobs mit Gott, welche uns im 1. Buch Mosis Kap. 32 gemeldet wird, heißt es Vers 31 zum Schluß: „Und als Jakob vor Pniel überkam, da ging ihm die Sonne auf, und er hinkete an seiner Hüfte.“
Nach dem empfangenen Segen verließ der Erzvater die merkwürdige Stätte, welche er durch einen besonderen Namen auszeichnete und sie „Angesicht Gottes“ nannte; denn, sagte er: Ich habe Gott von Angesicht gesehen und meine Seele ist genesen (1. Mose 32,30). Jetzt, heißt es, ging ihm die Sonne auf. Wenn die Sonne aufgeht, so geht sie doch allen Menschen auf; es ist also eine eigene Art zu reden, wenn hier gesagt wird: Sie ging ihm auf. Jedoch ist dies eine Art zu reden, welche man allerdings wohl von einzelnen Personen gebrauchen könnte, wo sie dann einen besonderen Nachdruck hätte. Denken wir uns jemanden, der in einem unsichern Wald verirrt. Er geht und geht, weiß aber je länger, je weniger eine Spur. Es wird Abend, es wird stockfinstere Nacht. Angst und Grauen befällt ihn, jedes Geräusch erschreckt ihm. Endlich beginnt die Sonne aufzugehen. Da kann man sagen: sie geht ihm auf. Niemandem macht sie mehr Freude, niemandem ist sie willkommener. So ging' s Jakob. So geht's noch im Geistlichen. Die wahre Sonne, die Sonne der Gerechtigkeit ist Jesus Christus (Mal. 4,2). Sie ist aufgegangen, diese Sonne. Sie steht am Kirchenhimmel. Sie scheint. Es ist Tag. Und das ist einer wahrhaft heilbegierigen Seele nicht genug, sondern sie muß sagen können: da ging mir die Sonne auf. Was das für Friede und Freude bringt, ist nur denen bekannt, die es erfahren. Da geht ihnen der Himmel auf, die Gerechtigkeit zeigt sich ihnen. Der rechte Weg bahnt sich vor ihnen. Die Nebel der Zweifel verschwinden, die Nacht der Angst vergeht. Freude, Mut und Kraft gesellen sich zu ihnen. Alles gestaltet sich anders und gestaltet sich herrlich. Ihm, ihm geht die Sonne auf. Wer ist glücklicher als er nach solcher Angst, Kampf und Streit!
Und Jakob hinkete an seiner Hüfte. Jeder Tritt erinnerte ihn teils an sein Elend, teils an des Herrn unbeschreibliche Gnade. Es ist der Seele unvergeßlich, was ihr da widerfuhr. Er hinkte. Jeder Tritt rief ihm zu: „Dasselbige nicht aus euch, Gottes Gabe ist es“ (Eph 2,8). Ein Tritt war nicht wie der andere, sondern zweierlei. Der eine Tritt neigte sich stets auf eine Seite, und auf welche? Auf die der Demut, „ich bin nichts“ (2. Kor 12,11), auf die des Herrn „Christus ist mein Leben“ (Phil. 1,21). Endlich tat der liebe Mann seine Füße auf seinem Bett zusammen, und verschied, und ward versammelt zu seinem Volk (1. Mose 49,33). Da war das Hinken zu Ende, und er fiel ganz auf die eine Seite.
Ihm ging die Sonne auf. Sie gehe auch uns auf am Horizont seines Worts und lasse es uns in ihren segnenden Strahlen beschauen!
„O welch eine Tiefe!“ (Röm. 11,33) so mögen wir mit Recht über dem Inhalt unserer Textesworte ausrufen. Bei Erwägung derselben, werfen wir einen Blick erstens auf die Personen, an die der Apostel schreibt; zweitens auf die vierfache Vereinigung der Gläubigen mit Christo, von welcher der Apostel handelt. (Diesmal erwägen wir einiges von der Vereinigung mit Christo in seiner Kreuzigung und in seinem Tode).
Die Personen, denen der Apostel diesen wichtigen Unterricht erteilt, bezeichnet er als solche, welche wissen, und was denn? „Daß alle, die wir in Jesum Christum getauft sind, die sind in seinem Tod getauft.“ Es waren also keine unwissenden Leute, an welche Paulus dies schrieb. Solchen würde er nicht o sehr das, was nun folgt, geschrieben, sondern vielmehr wie bei den Hebräern Grund gelegt haben von dem Anfange des christlichen Lebens, von der Buße von den toten Werken, vom Glauben an Gott, von der Auferstehung der Toten und dem ewigen Gericht (Heb. 6,1). Von diesem allen waren seine Leser hinlänglich unterwiesen. Ihre Kenntnis war aber auch kein bloßes totes Wissen, eine erlernte, dem Gedächtnis eingeprägte, von Menschen und aus Büchern übernommene Sache, woran ihnen weiter nichts gelegen war. Nein, es war ein mit Erfahrung begleitetes Wissen, ein Wissen, das das Gewissen tröstete, das Gemüt erquickte, Herz und Wandel heiligte, indem es den Verstand erleuchtete.
Was wußten sie denn? Daß wir alle, die wir in Jesum Christ getauft sind, die sind in seinem Tod getauft. Ob wir das auch wissen? Eigentlich heißt taufen „in etwas hineintauchen,“ sei es, wie meistens, in Wasser oder auch sonst etwas, z.B. Blut, wie es von Josefs Brüdern heißt: Sie tauchten seinen Rock in Blut (1. Mose 37,31). Durch diese Eintauchung kommt man in eine gewisse Gemeinschaft mit dem Wasser, oder was es sonst ist, und wird seiner Wirkung teilhaftig, d.h. naß, abgekühlt, gereinigt, oder gar erstickt. In dem Sakrament, d. i. Geheimnis der Taufe werden wir körperlich mit dem Taufwasser in Verbindung gesetzt, sei es durch gänzliche Eintauchung, wie ehemals, oder durch Besprengung, wie jetzt. Das ist an sich unnütz, wo nicht gar nachteilig. Geistig aber werden wir nicht in das sinnbildliche Wasser, sondern in Christum selbst hineingetaucht und besonders in seinen Tod. Und das, fürchte ich, wissen, beherzigen und bedenken nicht viele, ja es ist ihnen nichts an der wirklichen Erlangung der ungemein herrlichen Güter gelegen, daß sie ihnen auch versiegelt würden, wie allen bezeichnet worden sind, „daß wir nämlich Christum angezogen haben“ (Gal. 3,27) und „durch den Glauben an ihn nicht mehr unter unserm alten Zuchtmeister stehen, sondern allzumal Gottes Kinder sind“ (Gal. 3,25,26), „daß wir den Leib der Sünden abgelegt haben, daß wird durch den Glauben mit Christo gestorben und auferwecket, daß uns alle unsere Sünden vergeben sind“ (Kol. 2,12,13), „daß wir Glieder eines Leibes, nämlich Christi, und zu einem Geiste getränket sind“ (1. Kor. 12,12,13). Denn die Natur und Absicht der Taufe ist, uns durch eine Gemeinschaft und Vereinigung mit Christo, allein vermittelst des Glaubens an ihn, zur Vergebung der Sünden, zur Heiligkeit und Seligkeit zu leiten. So seine Taufe ansehen, sie dazu benutzen, heißt wissen, daß wir in Christum getauft sind. Paulus hebt insbesondere seinen Tod hervor, und in denselben getaucht oder getauft sein, heißt die zwiefache Wirkung desselben erfahren, nach welcher er teils die Schuld und Strafe von uns hinwegnimmt, teils unsere Sünde ertötet. O, daß denn auch wir recht wüßten, daß wir alle, die wir in Christum getauft sind, in seinen Tod getauft sind.
Gehen wir denn jetzt, nachdem wir einen Blick auf die Personen geworfen haben, an welche der Apostel schreibt, zur Betrachtung seiner Worte über, worin er von einer vierfachen Vereinigung mit Christo handelt, nämlich in seiner Kreuzigung, in seinem Tode, in seinem Begräbnis und in seiner Auferstehung.
Vorab bemerken wir zweierlei. Erstlich: Die ganze Vorstellung des Apostels ist aus den Tiefen des Evangeliums geschöpft und geheimnisvoll. Hier ist nichts, was uns unsere Vernunft allenfalls auch lehren könnte, wiewohl auch nichts, das ihr entgegengesetzt wäre. Hier sind keine vernünftigen Reden bloß menschlicher Weisheit. Er redet nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern die der heilige Geist lehret, und richtet geistliche Dinge geistlich. Der natürliche Mensch vernimmt nicht nur nichts davon, es ist ihm sogar eine Torheit und kann es nicht erkennen. Da wir aber von reden, ist dennoch Weisheit, aber bei den Vollkommenen (1. Kor. 2,4.6 und 13,14). Das Ganze ist nicht nach der Menschenlehre, noch nach den in der Welt üblichen Satzungen und Grundsätzen, wohl aber nach Christo (Kol. 2,8). Hier müssen wir alle unwissende, aber lernbegierige Schüler sein, wie wir denn belehrungsfähig sind, nur daß wir's uns von Gott durch seinen Geist offenbaren lassen (Phil. 3,15).
Die zweite vorläufige Bemerkung ist diese: Um des Apostels Vortrag richtig zu verstehen, ist wohl zu merken, daß durch den wahren Glauben eine allerinnigste Vereinigung zwischen Christo und der wiedergeborenen Seele bewirkt wird (Joh. 6,56 und 14,20. 1. Kor. 6,17. Eph. 5,30,31), so innig wie die Vereinigung zwischen Haupt und Gliedern (Eph. 1,22,23), ja zwischen Leib und Seele stattfinden mag. Der heilige Apostel redet hier nicht von einer bloßen Nachahmung Christi, daß wir z.B. von allem Sündlichen geschieden sein sollen, wie ein Toter, ja Begrabener von den Lebendigen, wenn dies gleich allerdings eine unbestreitbare Wahrheit und Pflicht ist. Der heilige Gottesmann fordert hier wenig oder nichts. Denn alsdann hätte er, wie Calvin sehr treffend bemerkt, nicht sagen müssen: „Sind wir mit Christo gestorben, so glauben wir auch, daß wir mit ihm leben werden“ sondern er würde gesagt haben: „So lasset uns auch mit ihm leben.“ Bloß fordert er, wenn man so will, „haltet euch dafür, daß ihr der Sünde gestorben seid und lebet Gott in Christo Jesu unserm Herrn.“ Er redet aber von den Wohltaten Christi und lehrt die Einpflanzung in ihn, wodurch der Gläubige eine Pflanze mit ihm wird (Römer 6,5), und zwar zu seiner Rechtfertigung und zugleich zu seiner Heiligung. Beide werden aus einer Quelle hergeleitet, und diese Quelle ist die Vereinigung mit Christo in vierfacher Beziehung, und zwar erstlich in seiner Kreuzigung.
„Wir wissen, daß unser alter Mensch samt ihm gekreuzigt ist, auf daß der sündliche Leib aufhöre, daß wir hinfort der Sünde nicht dienen.“ Daß Christus gekreuzigt sei, wem wäre das unbekannt? Aber wem ist das bekannt, daß unser alter Mensch mitgekreuzigt ist? Der alte Mensch ist die Sünde. Alt heißt sie, weil sie beinahe so alt ist, als das menschliche Geschlecht; Mensch wird sie genannt, weil sie im Menschen ist, ihn durchdrungen hat, wie das Feuer ein glühendes Eisen, und durch ihn wirksam ist. Der sündliche Leib ist das Nämliche. Nicht wird der körperliche Leib darunter verstanden, denn der ist an sich nicht böse, sondern eine, wenn gleich verunstaltete Kreatur Gottes, ja ein mit bewundernswürdiger Weisheit und Kunst eingerichteter Bau, woran man unzählige Wunder entdeckt. Kunstvoll hast du mich bereitet, sagt David (Ps. 139,14). Dieser Leib kann zum Bösen mißbraucht werden, wie es durchgängig geschieht, er kann uns oll aber auch ein ewiges Werkzeug zur Verherrlichung Gottes sein, wie er's bei einigen wirklich ist. Ja er soll am jüngsten Tage auferweckt und dem herrlichen Leibe Christi gleichförmig werden (Phil. 3,21) um deswillen daß eure Leiber Tempel Gottes sind, darin sein Geist wohnt (1. Kor. 6,19 Röm. 8,11). Die Sünde heißt aber ein Leib, weil sie etwas Zusammenhängendes ist, so daß eine Sünde aus der andern erwächst, eine die andere befördert und begünstigt. Deshalb ist die Sache der Heiligung auch damit nicht abgemacht, daß man einzelne Sünden, sondern daß man sie alle mit ihrem Haupt ablegt; nicht genug, daß man einzelne Tugenden übt, man muß Lust und Liebe zu allen haben (Jak. 2,10). Dieser alte Mensch, dieser sündliche Leib nun ist mit Christo gekreuzigt. Wunderbare Lehre! Christus und der alte Mensch waren also, da unser Herr gekreuzigt wurde, gewissermaßen Eins. Hier hatte also das Licht eine gewisse Gemeinschaft mit der Finsternis, und Christus mit Belial (2. Kor. 6,15). Christus, der von keiner Sünde wußte (Joh. 8,46), war nämlich von Gott zur Sünde (2.Kor. 5,21), zu unserm alten Menschen gemacht, d. i. durch Zurechnung so angesehen und behandelt. Behandelt wurde er von Menschen und von Gott nicht als der Heilige und noch weniger als der Sohn Gottes, sondern wie der alte Mensch es verdiente. Und der verdiente den Fluch. Christus weigerte sich also auch nicht, ein Fluch für uns zu werden, und ward es wirklich (Gal. 3,13). Zum Beweise davon ließ er sich an ein Kreuz aufhängen, weil, wie ein jeder Jude wußte, wer am Holze hing, verflucht war (5. Mose 21,23). Jedoch traf dieser Fluch eigentlich Jesum, den Heiligen und Unschuldigen, nicht, sondern er traf unsern alten Menschen, den Jesus angezogen hatte. Derselbe empfing hier seinen verdienten Lohn, wurde mitgekreuzigt. Wozu? Was wurde dadurch ausgewirkt? Hauptsächlich zweierlei. Erstlich, unsere Versöhnung (Eph. 1,7), die Abtragung unserer Schuld und Strafe, die Übernahme derselben, die Abwendung des Fluches und Erwerbung des Segens (Gal. 3,13,14. Heb. 9,28). Zweitens, daß der sündliche Leib aufhöre, abgetan werde.
Insofern Christo dieser sündliche Leib zugerechnet wurde, insofern er in der Gestalt des sündlichen Fleisches war, wurde er in Christo selbst abgetan, um darnach auch in allen denen nach und nach, und endlich vollkommen abgetan zu werden, welche durch den Glauben Glieder Christi sind, so daß ein jeder von ihnen Paulo nachbekennen kann: „Ich bin samt Christo gekreuzigt“ (Gal. 2,19). Ja sie werden in ihm als solche angesehen, bei denen dies große Werk schon damals vollbracht ist, als Christus dies Wort ausrief (Joh. 19,30), etwa so, wie Jesaias ausrief: „Ein Kind ist uns geboren“ (Jes. 9,6), da es doch noch achthundert Jahre währte, ehe Christus wirklich ins Fleisch kam, was aber schon zu des Propheten Lebzeiten so gut war, als wäre es wirklich geschehen, denn so rechnet der Glaube.
Der Sünde nicht mehr zu dienen, das ist die köstliche Frucht der durch Christi Kreuzigung vollzogenen Abtuung des alten Menschen. Durch dieselbe sind die Gläubigen vom Fluche frei, und, indem sie Christo im Geiste anhangen, werden sie es auch von allem Sündendienst (1. Kor. 6,17). Freilich ist „gekreuzigt sein“ noch kein „tot sein,“ folgt aber doch bald darauf. Hienieden lebt und regt sich der alte Mensch noch. Haben wir aber Teil an Christo, so wird er ganz ersterben, und wir vollkommen zum Dienst Gottes tüchtig werden, nicht durch unsere eigenen Bemühungen, sondern kraft des Kreuzes Christi. Das wissen oder erkennen wir, sagt der Apostel, er selbst freilich in besonderem Maße. O, ein seliges, Friede gebendes, heiligendes Erkennen und Wissen, wenn wir so aufs Kreuz sehen können, wie es uns von allem Fluch und aller Sünde frei macht, frei gemacht hat und frei machen wird. Es sei uns denn innigst angelegen, dies Geheimnis des Kreuzes unter Anleitung des heiligen Geistes wohl und immer besser zu lernen.
Die Rechtfertigung und insbesondere die Heiligung fließt aus der Vereinigung mit Christo in seinem Tode (Vergl. 2. Kor. 5,14,15). Hierüber ist der Apostel am ausführlichsten und sagt darüber Folgendes: „Wir werden samt ihm gepflanzet zu gleichem Tode. Daß er gestorben ist, ist er der Sünde gestorben zu einem Mal. Wer aber gestorben ist, ist gerechtfertigt von der Sünde. Haltet euch also dafür, daß ihr der Sünde gestorben, tot seid.“
Dies ist die apostolische Vorstellung von den Früchten des Todes Jesu. Laßt uns ihrem Sinne näher nachspüren.
Jesus ist gestorben, dies ist ein bekannter Glaubensartikel. Der Apostel veranlaßt uns zu der Frage: Wem Jesus gestorben sei? Sehen wir jemanden in Trauerkleidern und wissen nicht warum, so fragen wir: „Wer ist dir gestorben?“ Hier sterben Kinder ihren Eltern, ein Freund dem Freunde, einem Armen sein Wohltäter, aber auch ein Sklave stirbt seinem strengen Gebieter, ein Gefangener seinen Peinigern. Wem ist denn Jesus gestorben? Seiner bejahrten Mutter? Seinen Jüngern? Uns? Keineswegs. Seinen Feinden? Wohl eher, denn sie konnten ihm nun nichts mehr anhaben. Der Apostel sagt: Er ist der Sünde gestorben. Sie konnte ihm also nicht mehr anhaben, sie konnte ihn nicht mehr versuchen, nicht mehr ängstigen, ihm keine Not, Schmerzen, Leiden, Strafen verursachen, denn er war für sie tot. Konnte sie das denn früher, so lange er noch nicht gekreuzigt und gestorben war? Gewiß (Heb. 2,17,18). Trug er sie nicht (Jes. 53,4)? War er nicht in Allem versucht gleich wie wir (Heb. 4,15)? Haben wir ihm nicht Arbeit gemacht mit unsern Sünden (Jes. 43,24)? Ergriff sie ihn nicht so, daß sein Herz ihn verließ (Ps. 40,13)? Ließ der Herr sie nicht auf ihn anlaufen (Jes. 53,6)? Mußte er sie nicht hinauftragen an das Holz (1. Pet 2,24)? Als Jesus aber starb, starb er ihr. Freilich hatte er ihr nie in dem Sinne gelebt, daß er ihr irgend auf einer Weise gedient hätte (Joh. 8,46). Aber er war ja zur Sünde gemacht (2. Kor. 5,21), sie war ihm ja zugerechnet, um sie zu büßen und zu bezahlen, er war ja in der Gestalt des sündlichen Fleisches (Hebr. 2,14. Phil. 2,7.8) und mußte den Kampf mit ihr siegreich bestehen. Als er nun starb, war alles glücklich abgetan, denn wer gestorben ist, ist gerechtfertigt von der Sünde (Vergl. 1. Pet. 4,1). Dies ist aber keine allgemeine, auf alle Menschen anwendbare Wahrheit. Wäre es das, so würden alle Menschen durch ihren Tod sündenfrei und selig. Das werden sie aber nicht (Mk. 16,16), sondern wer seine Sünde mit in die Ewigkeit hinüber nimmt, stirbt in derselben, hört nicht auf zu sündigen, und sinkt in den andern Tod (Off. 21,8). Als aber Christus starb, ward er gerechtfertigt, losgesprochen von der ihm zugerechneten Sünde. Und warum? Weil er sie vollkommen bezahlt, weil er den der Sünde gedrohten Sold, den Tod, freiwillig erlitt und sein überkostbares Leben für seine Schafe dahingab. Die Sünde verlor, indem sie zu gewinnen schien, auf einmal ihren Prozeß, ihr Recht, ihre verdammende und gefangenhaltende Herrschaft und stürzte von ihrem finstern Thron. Auf einmal und für alle Zeit geschah das in dem majestätischen Augenblick, als der glorwürdige Weibessame sein Haupt neigte und verschied (Joh. 19,30). Er wurde gerechtfertigt, wurde befreit von der Sündenschuld, die er auf sich geladen und nun durch seinen Tod bezahlt hatte, befreit als das Haupt seiner Gemeine (Kol. 1,18). Diese seine Gemeine war dabei aufs höchste beteiligt, denn sie ist nach des Apostels Lehre mit ihm gestorben. Merkwürdige Lehre! Derselben gemäß sagt er von sich: „Ich bin gestorben“ und von den Gläubigen: „Ihr seid gestorben“ (Kol. 3,3). Denn sie allen waren mit ihm gepflanzt, eine Pflanze mit ihn in der Ähnlichkeit des Todes. Wäre es in der Natur möglich, daß eine Pflanze aus vielen Pflanzen bestände, so würde das allen widerfahren, was der einzelnen widerfährt. Hier ist dies glücklicherweise wirklich der Fall. Christus und die Menge der Gläubigen machen nur eine Pflanze, oder wie es sonst heißt, einen Leib aus, woran Christus das Haupt ist (Eph. 5,30). Was ihm widerfuhr, geschah ihnen allen, ja geschah der Absicht Gottes und Christi selber gemäß nur um ihretwillen. als Christus starb, starben sie in ihm alle, litten alle in der Person ihres Bürgen die durch die Sünde verdiente Todesstrafe. Das muß bei Christen ausgemacht sein. Dafür müssen sie es, müssen sie sich halten, für längst Gestorbene, und tun es auch.
Welches ist nun die köstliche Frucht dieses ersterbenden Weizenkorns? Die erste Frucht ist die Rechtfertigung, die Freisprechung von Sünden. Denn wer gestorben ist, hat die Strafe und den Sold der Sünde empfangen. Die Gläubigen haben ihn empfangen, sie sind, wie eben gezeigt, gestorben: Folglich sind sie straffrei und sind es von Rechtswegen. Es ist unmöglich, daß sie noch zur Rede gestellt, zur Verantwortung gezogen, auf irgend eine Weise in Anspruch genommen werden können, weil dies nicht nur der Barmherzigkeit, sondern vielmehr der Gerechtigkeit Gottes ganz zuwider wäre und Christi gültiges Verdienst über den Haufen würfe, als wäre er umsonst gestorben. Christi Tod hat uns armen Sündern ein großes, ein vollkommenes Recht erworben, worauf wir mit festem Glauben bestehen, uns berufen und darauf pochen mögen. Wir haben ein für allemal unsre Strafe, der wir uns allerdings und ohne Widerrede schuldig bekennen, ausgestanden. Straft nun die weltliche Obrigkeit das nämliche Verbrechen nie zweimal, wie viel weniger ist dies von der göttlichen Gerechtigkeit zu erwarten! Festiglich aber ist zu erwarten, daß sie diejenigen, welche mit Christo gestorben sind, auch rechtfertige von der Sünde, sie, welche fragen dürfen: „Wer will verdammen?“ (Röm. 8,34).
Die andere, davon unzertrennliche Frucht ist die, daß wir der Sünde gestorben sind. In vollem Sinn der Sünde gestorben sein, heißt ihr ganz entronnen sein, nichts mehr mit derselben zu schaffen haben. Das ist bisher der wirkliche Stand der Christen hier auf Erden nicht, so wie es Christi Stand in seiner Weise vor seinem Tode auch nicht war. sie haben noch immer Streit. Leichtlich umringt sie die Sünde. Sie haben zu wachen, sie haben zu beten: „Führe uns nicht in Versuchung“ (Mat. 26,41). Sie haben es noch nicht ergriffen, sind noch nicht vollkommen, jagen ihm aber nach, ob sie es ergreifen möchten (Phil. 3,12). Und doch können sie hinzusetzen: „Wie viel unser vollkommen sind, die lasset uns also gesinnet sein“ (Phil. 3,15). Es wird doch dahin kommen. Die Anfänge sind da. Das Werk wird auch gewiß vollendet werden (Phil. 1,6 und 6,13). Nicht durch Wunden, welche wir selbst dem alten Menschen beibringen möchten, sondern durch unsere Teilnehmung an derjenigen Befreiung davon, welche der sterbende Christus uns durch desselben Ertötung zu zuwege brachte.
Und so schließt der Apostel diese merkwürdige Vorstellung mit der Ermahnung: „Also auch ihr, haltet euch dafür, daß ihr der Sünde in Christo Jesu gestorben seid.“ Wer diesen Rat überall und völlig befolgte, würde es in der evangelischen Heiligung weit gebracht haben und bringen; bei wem dies ganz ausgeboren wäre, der stände sehr gut. Aber dies Halten, dies Veranschlagen, diese Rechenkunst ist schwierig. Nur der heilige Geist vermag uns dies zu lehren, es unserm Verstande klar und unserm Herzen lebendig zu machen. Er beginnt auch damit nicht, sondern in seinem gewohnten Gange deckt er dem Menschen zuerst die Tiefe seines Verderbens auf und fährt damit lange fort. Er zerbricht alle fremden Stützen und Hilfsmittel, welche man in seiner eigenen Gerechtigkeit, Kraft und Fleiß sucht und zu finden wähnt. Er macht die Seele rat- und trostlos. Aber er demütigt sie nur, um sie groß zu machen. Nach dieser Nacht dämmert ein lieblicher Morgen des Evangeliums, die Sonne der Gerechtigkeit geht auf, ja erleuchtet sie wohl wie ein heller Blitz. Jetzt sieht sie deutlicher, dann nebelhafter und dunkler in den Schatz des Evangeliums hinein, den sie überhaupt in einem irdenen Gefäß trägt, auf daß die überschwengliche Kraft sei Gottes und nicht von uns (2. Kor. 4,7).
Seht, dies ist die Heilsordnung! Lernet, euch ihr gemäß bewegen! Weil aber niemand zu Jesu kommen kann, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater (Joh. 6,44), weil Fleisch und Blut es uns nicht offenbaren (Mat. 16,17), und der natürliche Mensch nichts davon erkennen kann (1. Kor. 2,14), so schreit desto inbrünstiger, daß euch Augen, Ohren und Herzen eröffnet werden mögen durch den, der tot war und nun lebet und hat die Schlüssel der Hölle und des Todes, der zuschleußt und niemand auftut, der auftut und niemand zuschleußt (Off. 1,18).
„Paule, du rasest, deine große Kunst macht dich rasend“ (Apg. 26,24), so rief der römische General-Gouverneur von Judäa aus, als er die Rechtfertigungsrede des gefangenen Apostels vor dem König Agrippa eine gute Weile angehört hatte. In dieser Verantwortungsrede legte der Apostel dem Könige sein bisheriges Leben offen, wie er ehemals ein strenger Pharisäer und bitterer Verfolger der Christen gewesen, darauf aber selbst auf eine höchst wunderbare Weise zum Glauben an Christum bekehrt worden sei und sodann das Evangelium überall gepredigt habe, jedoch nichts vortrage außer dem, was die Propheten gesagt haben, „daß Christus sollte leiden und der erste sein aus der Auferstehung von den Toten, und verkündigen ein Licht dem Volk und den Heiden“ (Vers 22,23). Bis dahin hörte Festus geduldig zu. Jetzt aber war daß Maß voll und lief über, und er unterbrach Paulum mit den so eben angeführten Worten. Alles, was Paulus gesagt hatte, kam ihm als Unsinn vor, und er meinte, er sei durch alles Grübeln und Studieren verrückt im Kopf geworden. Der Apostel erwiderte ihm aber: (Apg. 26,25) „Mächtigster Festus, ich rase nicht, sondern ich rede wahre und vernünftige Worte.“
Wir sehen hier eins von den vielen Beispielen, daß der natürliche Mensch nichts vernimmt vom Geiste Gottes, und daß es ihm eine Torheit ist (1. Kor. 2,14). Dieses Beispiel gibt ein Heide, aber wie viele Christen treten in seine Fußstapfen, ja gehen noch weiter wie er. Der König Agrippa unterschreibt zwar das Urteil des General-Gouverneurs nicht, ist aber doch nicht besser, und obschon er sich beinahe überredet fühlt, ein Christ zu werden (Apg. 26,28), bleibt's doch bei diesem unseligen beinahe, und auch das nur für kurze Zeit. Bei besserer Gesinnung kamen doch dem Nikodemus die Worte Jesu von der Wiedergeburt sehr sonderbar und selbst ein wenig ungereimt vor (Joh. 3,4), und die Jünger selbst sagten auch wohl einmal: „Was ist das, was er redet?“ (Joh. 6,60 und 16,17).
Weil diese Blindheit bei uns allen ist, so haben wir ein großes, wenn gleich meist unerkanntes Bedürfnis für Belehrung, dem Christus dadurch begegnet, daß er uns seinen Geist verheißet, der uns in alle Wahrheit leiten soll (Joh. 16,13 und 14,26). Die Erleuchtung ist aber eine so große Sache, daß sie einer Auferstehung von den Toten verglichen wird, wenn es heißt: „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten“ (Eph. 5,14).
Ohne diese Erleuchtung verstehen wir nichts. Sie werde auch uns reichlich zuteil, wenn wir jetzt die Gemeinschaft mit Christo in seinem Begräbnis und seiner Auferstehung als die Quelle der Rechtfertigung und Heiligung betrachten.
Die Heiligung, eine Frucht des Begräbnisses und der Auferstehung Christi, dies ist unsere heutige Betrachtung.
Wir werden geheiliget, wir werden von Sünden gereinigt, und in das Ebenbild Gottes erneuert kraft des Begräbnisses Christi, dies ist das erste Stück, womit sich unsere Andacht beschäftigt. „Wir sind mit hm begraben,“ so lauten die wenigen aber wichtigen Worte unseres Textes über die heiligende Gemeinschaft der Gläubigen mit Christo in seinem Begräbnis, an deren Erläuterung wir uns jetzt wagen.
Daß Christus, nachdem er am Kreuz gestorben, auch am nämlichen Abend begraben worden sei, wem ist das nicht bekannt? Wer wüßte nicht auch, daß er darum begraben worden sei, damit zu bezeugen, daß er wahrhaftig gestorben sein, daß der Fluch hinweggenommen, denn wenn ein Gehenkter begraben worden, so war das Land vom Fluche frei (5. Mose 21,23), daß die Gräber der Christen zu Ruhekammern eingeweihet und geheiligt seien, worin sie bis zum jüngsten Tage schlafen, oder auch schon früher aufgeweckt werden (Dan. 12,2. Off. 20,4. Jes. 57,2). Aber dies alles ist doch das Ganze oder Eigentliche nicht, worauf es hier ankommt. Höchst merkwürdig ist es hier, daß der Apostel abermal lehrt, wir sind „mit ihm“ begraben. Das ist ja wieder eine ganz besondere Art zu reden. Wie kann man mit jemand begraben worden sein zu einer Zeit, wo man vielleicht noch nicht einmal geboren, wenigstens natürlicherweise noch nicht gestorben war. Entweder sagt der Apostel also hier nichts als Unsinn, oder wir müssen diesen Ausdruck in einem mystischen und übernatürlichen Sinne verstehen, welches letztere der Fall ist.
Christus wurde begraben. Zwar gehörte dies noch zu seiner Erniedrigung, weil sein Leib in des Todes Gewalt war; es gehörte aber nicht mehr zur Strafe. Begraben werden ist nie eine Strafe, wohl aber die Vorenthaltung des Begräbnisses, oder die Art desselben, die aber bei Jesu ganz ehrenvoll war, denn Gott gab nach der Weissagung einen Reichen zu seinem Tode (Jes. 53,9), der seine Beisetzung auf eine so ehrenvolle Weise besorgte, als es die Eile und Kürze der Zeit nur immer erlaubte. Durch sein Begräbnis legte Jesus die unerhört schwere Bürde ab, die ihn bis in den Staub herabgedrückt hatte. Das Schelten und Schmähen hörte jetzt auf. Mochte ein Kriegsknecht noch seiner Leiche einen Speerstich versetzen, daß Blut und Wasser herausrann (Joh. 19,34), er fühlte doch nichts mehr davon. Alle Schmerzen hörten mit seinem letzten Atemzuge auf. Auch endigten mit demselben alle Leiden seiner Seele. Da war kein Trauern und Zagen mehr, sondern jetzt ward er gesättigt mit Freuden vor dem ihm leuchtenden Angesicht des Herrn (Ps. 16,11). Die Strafe der Sünden, die auf ihm lag (Jes. 53,5), war bis zum letzten Scherflein rein abgetragen. Der vollkommenste Gehorsam war geleistet (Phil. 2,8. Hebr. 5,8). Alles war vollbracht (Joh. 19,30). Niemand hatte mehr etwas zu fordern. Er ruhete nun von seiner Arbeit. Bisher durfte die Sünde und der Satan ihn auf alle Weise und in allen Stücken versuchen und taten es emsiglich (Hebr. 4,15). Er ward auch, wie unbegreiflich es uns vorkommen mag, er ward auch wirklich versucht zum Ungehorsam, zur Ungeduld, zur Voreiligkeit, zum Unglauben, zum Abfall von Gott und zu andern Sünden, doch ohne Sünde. Dies mußte für die heilige Seele Jesu ein unaussprechliches Leiden sein, da dergleichen schon unser Herz, wenn es geheiligt ist, was doch nur zum Teil geschieht, so unangenehm berührt, wie vielmehr seine vollkommene Seele! Und gewiß wurde der Satan das Recht, was ihm eingeräumt war, Jesum zu versuchen, nicht träge und nachlässig benutzen, auch nicht mäßigen. Was mochte er seiner Seele wohl in jenem Augenblick vorspiegeln, als er ihr alle Reiche der Welt und alle ihre Herrlichkeit zeigte (Matth. 4,8). Und er ließ es nicht bei dem einen male, sondern wich nur für eine Zeitlang (Luk. 4,13). Dies alles endigte mit seinem Begräbnis. Wie schlief er da so sanft! Da hörte er nicht mehr die Stimme des Drängers (Jer. 31,26). Der Strick zerriß, und er war frei (Ps. 124,7).
Jetzt rücken wir der Lehre Pauli näher, wo er sagt: Wir sind mit ihm begraben. Jesus ist nicht allein begraben, sondern wir mit ihm. In wiefern? Und was will das sagen? Was für Nutzen oder Schaden bringt, in was für ein Verhältnis setzt uns das?
In wiefern sind wir mit Christo begraben? Nicht körperlich, wie der Augenschein lehrt, da wir ja alle, so lange Gott will, über die Erde wallen, sondern nach unserm alten Menschen, nach unserer strafschuldigen und ganz verderbten Natur und namentlich zurechnungsweise, indem wir vermittelst des Glaubens, den Gott wirket, also gerechnet, angesehen und in den Genuß der Früchte eingeführt werden, welche das Begräbnis Christi trägt.
Was für Nutzen oder Schaden bringt uns das? Schaden? Welche seltsame Frage! Doch, wenn wir das für Schaden rechnen, daß wir durch einen wahrhaftigen Anteil an dem Begräbnis Jesu uns mit dem Teufel, mit der Sünde, mit der Welt und ihrer Lust, ja mit uns selbst entzweien und überwerfen, sintemal der Welt Freundschaft Gottes Feindschaft ist, und wer Gottes Freund sein will, der Welt Feind sein muß (Jak. 4,4), so muß ich gestehen, daß uns dieser Schade aus der Teilnahme an Christi Begräbnis erwächst, und uns so bewirkt, daß wir gegen die überschwengliche Erkenntnis Jesu Christi alles für Schaden und Auskehricht halten (Phil. 3,8). Aber wie groß ist die Vergeltung! Wie groß der Gewinn!
Aber was für Nutzen bringt es uns denn, wenn in Wahrheit von uns gesagt werden kann: „Ihr seid samt ihm begraben,“ außer dem, was wir schon anfangs darüber bemerkten? Einen ungemein großen Nutzen zwiefacher Art, wovon sich der erste auf die Abwendung unserer Schuld und Strafe, der andere auf die Zerstörung und Vernichtung der Sünde in ihrer Herrschaft in uns, oder auf unsere Rechtfertigung und Heiligung bezieht.
„Wir sind mit Christo begraben“ heißt erstlich mit andern Worten: Sind wir mit Christo vereinigt durch den Glauben, den Gott wirket, so sind wir in Christo und um seinetwillen aller Schuld und aller damit verwirkten Strafe gänzlich enthoben mit ihm. Um besser zu verstehen, wie dieses zugehe, müssen wir wohl bemerken, daß Christus und seine Gemeine nur eins sind, wie auf der andern Seite Adam und seine Nachkommenschaft nur als eins betrachtet wird, aus wie unzählig vielen Individuen sie auch besteht. Schon in Adam haben wir alle gesündigt, sind wir alle verurteilt, alle gestorben (Röm. 5,12.18.19). Christus war keine Person für sich, kein Privatmann, sondern ein Stellvertreter, ein Familienhaupt (Eph. 5,23). Im Weltlichen finden wir etwas Ähnliches. wir ein Familienhaupt in den Adelstand erhoben oder desselben beraubt, so sind alle seine Abkömmlinge darin mitbegriffen, obschon sie nicht mit Namen genannt werden; sie werden in ihrem Ahnherrn gehoben oder gestürzt. Etwas Ähnliches findet zwischen Christo und seiner Gemeine statt, und dies Erkennen gibt lauter Friede und Seligkeit. Hörte nun, wie schon gesagt, bei Jesu, da er begraben wurde, alle Strafe auf, und begann seine Erhöhung, so hörte sie auch als eine in der Natur der Sache begründete Frucht bei allen denen auf, die in ihm gerechnet und einbegriffen waren. Der Apostel sagt, Levi, der doch erst lange nachher, nachdem Abraham schon längst gestorben war, geboren wurde, habe in Abraham dem Melchisedek gezehntet (Hebr. 7,9.10). Auf ähnliche Weise sind alle Gläubigen in Christo begraben, aller Schuld und Strafe enthoben, so ihr's annehmen könnt. Kann man an einen Begrabenen noch Schuldforderungen richten oder ihn vor Gericht laden? Ich glaube nicht. Man tue es jedoch, der Begrabene selbst wird sich aber gar nicht darum bekümmern, mögen jene Forderungen noch so rechtlich begründet sein.
Seht, so wichtig und trostreich ist Christi Begräbnis für einen geängstigten Geist, für ein schuldbeladenes Gewissen. Eine solche Schutz- und Trutzwaffe, einen solchen Schild und Schwert gibt Christi Grab, so wir uns anders dieser Waffe im Glauben zu bedienen wissen. Bei Begrabenen kommt man mit Forderungen, Anklagen, Urteilen und Strafen viel zu spät. sie rühren sich nicht und geben kein Haar drum. „Und dafür haltet euch“, sagt der heilige Geist, daß ihr mit Christo inbetreff eurer Schuld und Strafwürdigkeit begraben seid.
Aber ist das nicht höchst bedenklich? Ist das nicht dem Fleiß in guten Werken, der Gottseligkeit und Tugend hinderlich, ja möchte das nicht ein leichtfertiges, ausgelassenes, freches und ungebundenes Leben begünstigen und erzeugen? Wo wirklich dergleichen Sodomsäpfel wachsen, da verraten sie die Nähe des toten Meeres. Solche Belialsfrüchte sind schreiende Beweise, daß diejenigen, bei denen sie sich zeigen, nicht samt Christo begraben, sondern daß sie tot in Sünden sind, daß sie in dem Grabe liegen, wo der Teufel hauset, daß ihr Herz nicht aufrichtig vor Gott ist und sie keinen Teil noch Anfall an diesem Lebensworte haben (Apg. 8,21). Möchten sie viel wissen, so we9ß der Teufel noch weit mehr, und sie sind des so wenig gebessert, wie dieser unreine Geist (Jak. 2,19). Möchten sie auch noch so hohe Worte reden, so ist doch nichts dahinter. Es sind Wolken ohne Regen und Reden ohne Kraft (Juda V. 12). Erwartet aber nicht, daß wir, indem wir uns diesem allerdings möglichen Unfug nachdrücklich widersetzen, nun einen zwar entgegengesetzten, aber nicht weniger verkehrten und schädlichen Weg einschlagen, auf welchem man das im Geist begonnene im Fleisch vollkommen machen will, von der Gnade fällt, Christum verliert und sich benimmt, als sei er vergeblich gestorben (Gal. 5,4). Erwartet nicht, daß wir nun sagen: Jetzt müsse sich aber derjenige, der jenes aufnimmt, selbst bemühen und bestreben, in allem guten Werke sich zu üben, und einen, so großen Wohltaten entsprechenden, dankbaren und heiligen Lebenswandel zu führen. Das ist wohl ein schöner Schein, aber im Grunde nur Gesetzeswerk, womit man nicht umgehen muß, oder man gerät unter den Fluch (Gal. 3,10), in eine Wüstenei, wo weder Lust noch Mut, noch Kraft zu einigem wahren Guten aus dem Antrieb der Liebe angetroffen wird, sondern nichts als Hindernisse, Erregung der sündlichen Lüste (Röm. 7,8), Kraft der Sünde (1. Kor. 15,56), Unfriede und Elend und zuletzt die Verdammnis. Ich denke, der Begriff des Begrabenseins schließe auch die Vorstellung der ruhe und das aufhören der eigenen Wirksamkeit in sich, wiewohl letztere aus dem Begriff der Auferweckung samt Christo auf eine übernatürliche Weise erwächst. Genug, der zweite Vorteil, den diejenigen erlangen, von denen in Wahrheit gesagt werden kann: „Ihr seid samt ihm begraben,“ besteht in der Abhuung und Vernichtung des alten Menschen und was dem anklebt, der Sünde, der fleischlichen Lüste und Begierden. „Auf daß,“ sagt der Apostel, „der sündliche Leib in uns aufhöre, und wir hinfort der Sünde nicht dienen.“ Alle diese bösen und erschrecklichen Dinge werden ins uns abgeschafft nicht durch Wunden, die wir ihnen selbst beibringen, sondern kraft der Begräbnis Christi. Es ist wahr, es ist der Christen Pflicht und Beruf, so wenig Gemeinschaft mit der Sünde zu haben, als die Lebendigen mit Begrabenen, mit welchen sie keine andere Gemeinschaft haben, als etwa die, daß sie sie betrauern und verabscheuen, wie Martha ihren begrabenen und im Leben so geliebten Bruder, über den sie schrie: „Herr er stinket schon (Joh. 11,39)!“ Dies aber gehört ins Gesetz. Zum Evangelium aber gehört die angenehme Botschaft, daß Christus die Seinen nach und nach, jedoch in kurzer Zeit wirklich so weit bringt, und zwar ganz ohne Zutun des Gesetzes oder eigenen Werks, allein durch den Glauben, darum weil sie mit ihm begraben sind. Wie? sollte Christus diejenigen in der Sünde fortleben lassen, welche er davon erlöset und erkauft hat? Es sollte der widersinnige Widerspruch möglich sein, Christo eingepflanzt sein und doch keine Früchte der Dankbarkeit bringen?
Dies ist um so weniger möglich, da diejenigen, welche an Christo in seiner Kreuzigung, in seinem Tode und in seinem Begräbnis Teil haben, auch des neuen Lebens aus seiner Auferstehung teilhaftig werden. „Sind wir eine Pflanze mit ihm in seinem Tode, so werden wir auch in der Auferstehung gleich sein.“ „Gleichwie Christus, also sollen auch wir, durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferwecket, in einem neuen Leben wandeln.“ „Wir glauben, daß wir mit ihm leben werden.“ „Der Tod wird hinfort über ihn nicht herrschen“, also auch über uns nicht, die wir in ihm sind. „Was er lebet, das lebet er Gott“, und durch ihn leben auch wir. „Haltet euch deswegen dafür, daß ihr Gott lebet durch Jesum Christum unsern Herrn“. Dies sind des heiligen Apostels weitere Vorstellungen von der Heiligung des Herzens kraft der Teilnahme an der Auferstehung Christi.
Daß Christus am dritten Tage nach seinem Begräbnis von den Toten auferstanden sei, wissen wir. Wie er Macht hatte sein Leben zu lassen, so hatte er auch Macht, es wieder zu nehmen (Joh. 10,18); er bediente sich dieser Macht, und nahm es wieder. Wie hätte auch das Leben vom Tode mögen gehalten werden, das war unmöglich (Apg. 2,24). Er ward aber auch auferwecket durch die Herrlichkeit des Vaters, welcher darin seine Macht und Gerechtigkeit erwies (Vers 4); seine Macht, indem er den großen heiligen Toten lebendig machte; seine Gerechtigkeit, indem er Jesum von einer Schuld frei erklärte, welche er vollkommen bezahlt hatte, wodurch er zugleich zeigte, daß er dem Sünder völlig versöhnt sei. Dies letztere ist die Hauptsache. Christus verlor sein Leben nicht als eine natürliche Folge der Kreuzigung, wodurch er nach und nach sich verblutete und also sterben mußte, sondern er verlor oder vielmehr gab sein Leben zu einem Lösegeld für viele zur Bezahlung ihrer Schuld und zur Abtragung ihrer verwirkten Strafe. Durch seine Auferweckung empfing er gleichsam die rechtskräftige Quittung vor aller Welt, „daß alles sei bezahlt.“ Für sich selbst hatte aber der Sohn Gottes weder Verpflichtung, noch Schuld, noch etwas zu büßen und zu bezahlen. Das geschah alles uns zu gut.
Obschon daher der Apostel hier die Redensart „samt ihm“ nicht gebraucht, so sagt er doch an einer andern Stelle: (Eph. 2,6) „Gott hat uns samt ihm auferwecket.“ Was heißt das aber anders als: Gott hat uns, die wir in Jesu Christo gerechnet werden, bei der Auferweckung Christi für eben so schuld- und straffrei, für eben so gerecht erklärt, wie Christum selber. In dem einen Urteil waren zugleich alle diejenigen mit einbegriffen, „welche durch der Apostel Wort an ihn glauben würden“ bis ans Ende der Welt (Joh. 17,20). „Hier bin ich und die Kinder, die du mir gegeben hast,“ sagte er (Jes. 8,18. Hebr. 2,13). Wer's fassen und annehmen kann, der fasse es und nehme es an. „O, daß sie ein solch Herz hätten, mich zu fürchten und zu halten alle meine Gebote ihr Leben lang, daß es ihnen wohlginge und ihren Kindern ewiglich“ (5. Mose 5,29). Dies ist das erste. Es betrifft hauptsächlich das Gewissen, dessen Schmerzen und Wunden so alle auf die süßeste Weise heil werden können und sollen (Ps. 103,2). Jedoch ist dies nicht das Ganze, sondern nun heißt es zweitens weiter:
„Also sollen wir in einem neuen Leben wandeln.“ Ihr fasset den eigentlichen Sinn dieser Worte nicht, wenn ihr sie nicht bloß oder hauptsächlich als einen Rat, als eine Verpflichtung, als etwas Geziemendes betrachtet, wo sie dann mehr geeignet sind, euch unter den Dornenstrauch des Gesetzes, als unter den Weinstock und Feigenbaum des Evangeliums zu leiten. Christus nahm vielmehr durch seine Auferstehung für uns Besitz vom geistlichen Leben welches in Kraft, Friede, Freude und Heiligkeit besteht. Er hat uns dasselbe durch das Verdienst seines versöhnenden Todes erworben, so daß es unser rechtmäßiges Eigentum geworden ist, woran wir, die wir von Natur tot sind in Sünden, ein Gnadenrecht haben, und es mit völliger Zuversicht fordern mögen, es auch endlich im vollen Maß besitzen sollen. Wir schaffen und bilden die neue, heilige Natur eben so wenig selbst als unser ursprüngliches Verderben, sondern beide sind für uns bereitet, Teil daran zu nehmen. Durch die Vereinigung mit Christo werden wir des geistlichen Lebens teilhaftig, welches er für uns bei seiner Auferstehung in Besitz nahm, und werden dadurch tüchtig gemacht, die Früchte desselben hervorzubringen. Dies ist nun ganz fest und ausgemacht. Sind wir mit Christo gestorben, so glauben wir und zweifeln nicht daran, daß wir, obschon tot in uns selbst, mit ihm und durch ihn leben werden. Wir halten uns dafür, daß wir Gott leben in Christo Jesu. Von aller eignen Weisheit und Torheit, von aller eignen Würdigkeit und Unwürdigkeit, ja von unserm ganzen Elend den Blick wegwendend, richten wir ihn vertrauensvoll auf Christum allein, der in uns wohnen, wirken und leben will (Eph. 3,17; Gal. 2,20), und gelangen so auf eine friedsame und sichere Weise zu dem von uns sonst unerreichbaren Ziel der Heiligkeit. Die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, wird in uns erfüllet (Röm. 8,4).
Von diesen gottseligen Geheimnissen nun ist das Sakrament der heiligen Taufe Zeichen und Siegel. Von derselben gedenke ich, so der Herr will, in einer nächsten Hauptpredigt ausführlicher zu handeln, schweige also jetzt davon und erinnere nur an dieselbe.
Ihr seid alle getauft. Aber habt ihr wohl alle Christum angezogen (Gal. 3,27)? Ach hättet ihr das! Ist wirklich eurem alten Menschen eine Wunde beigebracht, woran er sich verbluten und sterben wird? Ist wirklich das Samenkorn eines neuen, göttlichen, heiligen Lebens in euch gelegt, welches sich mit der Zeit unter den Einflüssen des lebendigen Geistes entfalten wird? Ich finde nicht Ursache nach der Kenntnis, die ich von der Gemeine erlangt habe, die Zahl solcher Heiligen und Geliebten für unbedeutend und klein, aber auch nicht sie verhältnismäßig für groß zu halten. In eurer Konfirmation habt ihr euren Taufbund dem Scheine nach erneuert; euer Lebenswandel steht aber damit zum Teil in grellem Widerspruch, teils in keiner Übereinstimmung. Seht aber zu, daß ihr so großer Güter nicht verlustig bleibt. Sucht sie! Sucht sie ernstlich! Kehrt wieder ihr abtrünnigen Kinder, so will ich eure Übertretung heilen (Jer. 3,12)!
O sagt doch, solltet ihr wohl Ursache haben, von euch zu glauben, daß ihr wirklich mit Christo und nicht vielmehr mit dem Teufel, vereinigt seid? Seid ihr's nicht, so seid ihr ohne Leben, tot, ohne Gerechtigkeit, gottlos und verdammt, seid Kinder des Zorns. O rette sich, wer kann, flüchte, flüchte, flüchte sich zu dem, der tot war und siehe, nun lebet (Offenb. 1,18) und lebendig macht, welche er will (Joh. 5,21)!
Ihr Heilsbegierigen, freuet und rühmet euch eurer Taufe und der euch durch dieselbe zugeschwornen Vergebung, Rechtfertigung und Heiligung und gehet aus dem Glauben in Glauben, von Kraft zu Kraft, bis ihr endlich zu Gott in Zion anlandet (Ps. 84,7). Amen.
Die wahre Freude am Herrn macht zugleich sehr demütig; davon finden wir in der Geschichte Davids einen rührenden Beweis. Die Bundeslade wurde nämlich abgeholt, um in der Stadt Davids, d. i. Zion, aufgestellt zu werden. Der König freute sich so sehr darüber, daß er sich nicht halten konnte, sondern mit aller Macht tanzte er vor dem Herrn her, wobei er wie ein Priester gekleidet war. Wer so wie David zu tanzen versteht, der lasse sich nicht stören; den andern aber raten wir, daß sie Davids Verhalten unangetastet lassen und es nicht zum Deckmantel ihrer Greuel mißbrauchen. Die Königin sah ihren Gemahl und höhnte seiner, weil er die königliche Majestät zu sehr bei Seite gesetzt habe, und tat das mit spitzen Worten. Sie berührte aber gleichsam eine Harfe und entlockte ihr absichtslos einen der herrlichsten Baßtöne. David bewies, daß er eben so demütig als erfreut sei, indem er antwortete: „Ich will noch geringer werden“ (2. Sam. 6,22). Ich will noch geringer werden, und der Herr soll allein als groß erkannt und als allein groß immer mehr erkannt werden. Ich will immer weniger, der Herr aber soll immer mehr Ruhm haben. Ich will immer weniger wissen, damit er mir sein Geheimnis desto völliger offenbare, immer weniger wissen, wo aus noch ein, daß er mein Hort sei, immer weniger können, damit Christi Kraft sich an mir offenbare, und er meine Stärke sei, immer weniger von mir und immer mehr von ihm halten. Ich bin mir bei weitem noch nicht gering genug. Ich will noch geringer und geringer werden, bis ich gar nichts, und der Herr alles in mir geworden. Und am Ende seines Lebens gestand er: „All mein Heil und Thun ist, daß nichts wächst“ (2. Sam. 23,5). Die Wege zum Ziele waren aber nicht immer Freude, sondern auch mitunter großes Herzeleid, wie nicht weniger bei Paulus.
Es ist aber so. Wir sind ungemein gering, elend und gar nichts. Aber wir erkennen es nur so nicht, und die meisten halten von sich selbst (2. Tim. 3,2). Nicht also. Wir sollen gering und immer geringer werden in unsern Augen, damit wir, wie David sagt, zu Ehren kommen, denn Gott tröstet die Geringen und erhebt sie aus dem Staube (Ps. 113,7).
Wie sehr er das tue, davon ist die heilige Taufe Bild und Pfand. Von derselben gedenken wir unter des Herrn gnädigem Beistand und Segen heute zu reden.
Zwar haben wir der Taufe in unsern vorigen Vorträgen und namentlich in dem letzten wohl beiläufig gedacht; jedoch glauben wir, daß es zweckmäßig sein dürfte, dieses Sakrament ausführlicher zu betrachten, und sind gesonnen, das heute zu tun. Das äußerliche Zeichen in der Taufe, die Weise ihrer Bedienung und ihre versiegelnde Kraft sind die drei Stücke, die wir näher erwägen.
Das äußerliche Zeichen in der Taufe ist bekanntlich reines, unvermengtes Wasser. Und wovon ist das ein Zeichen? Vom Blute und vom Geiste Jesu. Unter dem Blute Christi wird nicht sein materielles, körperliches Blut verstanden, sondern sein blutiger Gehorsam und Opfer am Kreuz. „Ohne Blutvergießen geschieht einmal keine Vergebung“ (Hebr. 9,22). Aber nicht jedes Blut ist zur Erwerbung der Vergebung der Sünden tauglich. Unter dem alten Testament wurde es stromweise vergossen, brachte aber nur eine äußerliche Reinigung zuwege und tilgte nur fingierte, erdichtete Sünden. Das Blut Jesu Christi aber, der sich selbst ohne allen Wandel Gott geopfert hat durch den ewigen Geist, reinigt wirklich unsere Gewissen von den toten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott (Hebr. 9,13.14). Es ist das Blut des Sohnes Gottes und macht rein von Sünden (1. Joh. 1,7).
Die Reinigung durch das Blut Christi bezieht sich vornehmlich auf das Gewissen, welches dadurch von Anklagen, Vorwürfen, Beschuldigungen und daraus erwachsender Furcht, Unruhe und Angst, vollkommen befreit wird. Zugleich gewährt es demselben Friede, Mut, Freudigkeit, muß derhalben als ein köstlicher Trank, als eine Lebensarznei getrunken werden. Hiermit ist Christi Geist unzertrennlich verknüpft. Ohne denselben kann das Blut Christi dem Gewissen nicht zugeeignet werden, hauptsächlich aber hat er's mit dem Verstand und Willen zu tun. Den Verstand befreit er von Irrtümern und gibt ihm richtige Einsichten; den Willen aber erlöset er von der Dienstbarkeit der Sünde und flößt ihm heilige Begierden und Gesinnungen, Vertrauen und Liebe ein. Eins ist aber nie ohne das andere. Wasser und Blut sind beisammen (1.Joh. 5,6.8). Eben mit um dieser reinigenden Eigenschaften willen hat Christus das Wasser als ein Zeichen seines Blutes und Geistes in der Taufe angeordnet. Es ist wahr, die reinigende Kraft des natürlichen Wassers ist beschränkt und reicht ohne einige Zutaten allein nicht zu jeder Reinigung hin. Aber das gehört zu den Unähnlichkeiten und findet bei dem, was es in der Taufe vorstellt, nicht statt. Wasser hat auch noch andere Eigenschaften, die es zu einem ungemein treffenden Bilde des Blutes und Geistes Christi machen, z. B. die Notwendigkeit und Unentbehrlichkeit. Es hat eine erstickende Kraft, und der alte Mensch, in Christo Tod getaucht, kommt darin um. Wasser hat auch eine belebende, erfrischende, fruchtbar machende Eigenschaft, wie besonders dann bemerkbar wird, wenn es sich nach langer Dürre in einem milden Regen auf die versengten Fluren herabsenkt. Und ist jemands Saft vertrocknet, wie wenn es im Sommer dürre wird, um aus dem 32. Psalm zu reden, o wie wird das Gemüt durch Christi Blut und Geist erquickt, erfrischt, aufgeheitert und belebt, wenn ihm dies Wasser dargereicht wird, und wie fruchtbar in heiligen Gesinnungen und Werken, wie jeder weiß, der's erfahren hat! Wasser wird durchgängig, das, was es in der Taufe abbildet, immer umsonst erlangt. Es hat eine unberechenbare Kraft. Christi Kraft ist unendlich. O daß er sich bald alles untertänig mache. Die vornehmste Übereinkunft besteht aber in der reinigenden Kraft.
Was setzt also die Taufe unsererseits, was setzt sie von seiten Gottes voraus? Unsererseits setzt die Taufe voraus, daß wir unrein sind und der Abwaschung bedürfen. Johannes der Täufer war der erste, welcher sich an das sakramentliche Waschen durch die Taufe machte. Er erklärte dadurch die ganze sich so rein dünkende jüdische Nation für unrein und selbst diejenigen, welche vor den Übrigen her rein zu sein schienen, für dermaßen unrein, daß er sie Schlangen und Ottern nannte, für dermaßen unrein, daß Wasser hier nicht zureiche, sondern Feuer und der heilige Geist erforderlich sei, daß es dazu einer Person bedürfe, der er die Schuhe nachzutragen nicht wert sei (Mat. 3,6.7.11). So stellte die Taufe uns dar als Unreine; das sind wir schon vermöge der Erbsünde, in welcher wir geboren wurden, denn was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch (Joh. 3,6), dessen Gesinnung Feindschaft gegen Gott ist, ihm nicht gefallen kann (Röm. 8,7.8) und das Verderben nach sich zieht (Gal. 6,8). Die Ausbrüche dieses angebornen Verderbens in sündlichen Gedanken, Begierden, Worten und Werken, sind nichts als lauter Verunreinigungen Leibes und der Seele. Indem ihr eure Kindlein zur Taufe bringt, erklärt ihr sie, dem Worte Gottes gemäß, durch diese Handlung für unrein und der Abwaschung bedürftig, aber auch fähig. Wir können abgewaschen, können geheiligt und gerecht gesprochen werden (1. Kor. 6,11). Ganz andere Menschen können aus uns werden, als wir von Geburt sind. Heilige, Menschen Gottes, können wir werden, getrieben durch den heiligen Geist. Kinder, Erstlinge der Kreatur Gottes können wir werden.
Und das ist es eben, was die Taufe von seiten Gottes voraussetzt. Sie setzt von seiner Seite einen Gnadenbund voraus, dessen vornehmste Artikel so lauten: „Ich will rein Wasser über euch sprengen, daß ihr rein werdet“ (Hes. 36,25). „Der Herr wird den Unflat der Tochter Zion waschen und die Blutschulden Jerusalems vertreiben von ihr“ (Jes. 4,4). „Ich will gnädig sein ihrer Missetat und ihrer Sünden nicht mehr gedenken“ (Jer. 31,34). „Ich will mein Gesetz in ihr Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben und will solche Leute aus euch machen, die in meinem Geboten wandeln, meine Rechte halten und darnach tun.“ (Hes. 36,27. Jer. 31,33). Eigentliche Forderungen kommen bei diesem Gnadenbunde nicht vor, denn dann würde es kein Gnadenbund, sondern ein Bund auf die Bedingungen der Werke sein. Kommen aber Forderungen vor, so sollen sie uns nur Anleitung geben, von dem Reichtum Gebrauch zu machen, den wir in Christo Jesu haben. Laß abwaschen deine Sünde, das ist das Ganze. Wohl nun dem, in dessen Herzen gebahnte Wege sind, wie der 84ste Psalm redet! Wohl dem, der sich in diesen Gnadenbund zu fügen und davon Gebrauch zu machen weiß, welches leicht und schwer ist, wie man's nimmt oder vielmehr wie es der heilige Geist gibt!
Die Taufe ist demnach etwas sehr lehrreiches und dabei etwas sehr tröstliches und erfreuliches, etwas demütigendes und erhebendes. Laßt uns jetzt die Weise bemerken, in welcher die Taufe geschieht, die Handlung und die dabei zu gebrauchenden Worte.
Was die Handlung anbetrifft, so wird der Täufling mit dem Wasser am obersten Teil des Hauptes besprengt. So war's in den ersten Zeiten nicht, sondern da fand eine gänzliche Untertauchung statt, die freilich weit bezeichnender ist, aber in kälteren Gegenden nicht ratsam. Was soll denn das bedeuten und abbilden? Überhaupt die Mitteilung derjenigen kostbaren Gnadengüter, wodurch Gott sein Werk in der Seele anfängt, nämlich die Vergebung der Sünden und die Wiedergeburt. Insbesondere die Gemeinschaft mit Christo, teils in seinem Tode und Begräbnis, sintemal wir durch die Taufe mit ihm begraben werden in den Tod, zur Abtuung unserer Schuld und unserer sündlichen Natur; teils in seiner Auferweckung, zu unserer Rechtfertigung und Erneuerung nach dem Ebenbild Gottes. Dies wird nun durch die Besprengung, sonderlich aber durch die Eintauchung auf eine sehr lehrreiche und treffende Weise vorgestellt. Das Wasser nutzt oder schadet uns nicht eher, als bis wir in eine Verbindung und Gemeinschaft damit gesetzt werden. Der Durstige muß es trinken, wenn sein Durst gelöscht werden, der Beschmutzte muß damit befeuchtet werden, wenn sein Schmutz weichen soll. Christus nutzt uns nicht eher, als bis wir seiner wahrhaft teilhaftig und mit ihm verbunden werden. Er will auf eine geistliche Weise von uns durch den Glauben getrunken und gegessen werden (Joh. 6,54.56.57). Eins müssen wir mit ihm gegessen werden (1. Kor. 6,17). Er ins uns, wir in ihm (Joh. 17,21.23). Er muß uns durchdringen, wie ein leinen Tuch von Wasser durchdrungen wird. Nicht ich, Christus in mir ((Gal. 2,20). Dies bildet die Eintauchung ins Wasser sehr wohl ab. Der Täufling hätte im Wasser sterben müssen; der alte Mensch wird durch Christi Kraft wirklich getötet. Er empfand unter dem Wasser eine gewisse Angst, und die Sünde wird nicht ohne Kampf, Traurigkeit und Angst abgelegt; er schien wie von allem geschieden und begraben, und Christus macht wirklich eines neuen, göttlichen und ewigen Lebens teilhaftig. Der Hervorgezogene wurde wieder bekleidet, atmete frei, trat in die menschliche Gemeinschaft zurück. Christus kleidet mit den Kleidern des Heils und mit dem Rock der Gerechtigkeit; dann freut man sich und ist fröhlich in dem Herrn (Jes. 61,10). Mit ihm tritt die Seele nun in eine beglückende Gemeinschaft. Doch handelt sich's hier nicht um bloße, wenn auch noch so lehrreiche Bilder. Es sind lauter Sachen. Dasjenige, was hier bezeichnet wird, wird auch versiegelt, wird auch wirklich geschenkt.
Das Taufformular ist uns vom Sohne Gottes selbst gegeben und die dabei zu sprechenden Worte vorgeschrieben. „Taufet sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes“ (Mat. 28,19). Verpflichtet diese Formel den Täufling zum Bekenntnis und zur Verehrung des dreieinigen Gottes, so ermuntert sie ihn zugleich zum Vertrauen auf ihn; denn indem diese Majestät genannt wird, erteilt sie zugleich die feste Versicherung, daß jeder dieser hochgelobten Dreieinigkeit, das Ihrige gnadenvoll und kräftig zum Heil des Getauften beitragen will, beschwört das wie mit einem Eide. Welch ein Glaubensgrund! Was zweifelst du denn noch? Habt ihr nicht alle, die ihr getauft, Christum angezogen (Gal. 3,27)? Seid ihr nicht alle Gottes Kinder (Vers 26)? Warum haltet ihr euch denn nicht dafür, freuet euch und lebet? Ist nicht über euch alle der Name des dreieinigen Gottes feierlich genannt worden, seid ihr nicht ihm geweiht?
Das dritte Stück, welches wir zu betrachten uns vorgenommen, besteht in der versiegelnden Kraft der Taufe. Laßt uns auch dieselbe in einer bildlichen Vergleichung erwägen. So sage ich denn: Die Taufe ist eine an Christi statt vorgenommene feierliche Handlung oder Akt, wodurch ein Mensch, ein Sünder, ohn' all sein Verdienst, aus lauter Gnaden, allein um Christi willen in den geistlichen Freiheits- und Adelstand erhoben und mit allem versehen wird, was zu einer standesgemäßen Lebensweise erfordert wird. Dieser geistliche Freiheits- und Adelstand wahrer Christen und seine Vorteile seien der erste Gegenstand unserer Betrachtung; der zweite: Wie uns die Taufe in diesen Stand erhebt; der dritte: Das standesgemäße Verhalten.
Der geistliche Freiheits- und Adelstand, worin wir durch die Taufe erhoben werden, ist höchster Art. Es sind Priester, es sind Könige, diese Leute, rechte Könige (Offenb. 5,10). „Ihr seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, daß ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht“ (1. Petri 2,9). Ist das noch nicht genug, so sind sie Erstlinge der Kreatur Gottes (Jak. 1,18), und gehen ihrem Range nach den Engeln vor von wegen ihrer Gerechtigkeit. „Kennt ihr euch denn nicht, ihr Fürstentöchter“ (Hoh. 1,8)? Der Adel wird ursprünglich gewonnen durch herrliche Taten, die Jemand über das gemeine Volk erhoben. Und sollte es daran den getauften Personen mangeln? Keineswegs. Ihr Adel schreibt sich von den herrlichsten Großtaten ihres Ahnherrn und Stammvaters her. In ihm hat unser Fleisch Gott unendlich mehr verherrlicht als irgend eine andere Natur, darum ist es mit Preis und Ehre gekrönet und hoch erhaben. Einmal erworben wird der Adel vererbt und durch Geburt mitgeteilt, und mit derselben pflanzt sich der Glanz des Ruhmes fort auf die kommenden Geschlechter und Abkömmlinge. O, köstliche Erbschaft! „Gleichwie mir mein Vater das Reich testamentsweise vermacht hat, also vermache ich's euch auch“ (Luk. 22,29). „Wir sind nun Erben Gottes und Miterben Jesu Christi, so wir anders mitleiden, auf daß wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden“ (Röm. 8,17). „Wie viel eurer getauft sind, die haben Christum angezogen und sind alle Gottes Kinder durch den Glauben an Jesum Christum“ (Gal. 3,26,27). Rühmte sich Paulus, ein geborner Bürger des weltberühmten Roms zu sein, die Taufe ist das Diplom, ist die von dem dreieinigen Gott unterzeichnete Urkunde unseres himmlischen Ursprungs, unseres hohen Standes. Nur durch eine Geburt erlangt jemand daran Teil, nicht durch die natürliche, sondern durch die Wiedergeburt, durch die Geburt aus Gott, durch die Geburt von oben her, wodurch ein Mensch geistlich, himmlisch, göttlich wird und Gottes wahrhaftes Kind. O wie hoch adelt diese Geburt das Menschenkind! Besonders wird beim Adel das Alter geschätzt, der hohe Stand der Gläubigen aber wurzelt in der vorweltlichen Ewigkeit, und ihr Stammbaum reicht über die Zeit hinaus, „denn er hat uns erwählet vor der Grundlegung der Welt“ (Eph. 1,4). „Wo warest du, da ich die Erde gründete, da mich die Morgensterne lobeten und jauchzten alle Kinder Gottes“ (Hiob 38,47)? „Je und je habe ich dich geliebet, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte“ (Jer. 31,3).
Groß und herrlich sind die Vorteile, welche mit diesem köstlichen Stande, wozu uns die Taufe erhebt, verknüpft sind. Höret hierüber einige Schriftsprüche: „Ihr seid der Sünde tot und lebet Gott in Christo Jesu“ (Röm. 6,11). „Ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade, darum wird die Sünde nicht über euch herrschen können, dieweil ihr nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade seid“ (Vers 14). „Wir sind nicht fleischlich, sondern geistlich, Gott will unser sterblichen Leiber lebendig machen um deswillen, daß sein Geist in uns wohnt“ (Röm. 8,9.11). „Gott will ins uns wohnen und in uns wandeln, und wir sollen seine Söhne und Töchter, und er, Gott mit uns, will unser Gott sein“ (3. Mos. 26,12. Jer. 31,33. Offenb. 21,3). „Alle die dich unterdrückt, die dich gelästert haben, werden niederfallen zu deinen Füßen und werden dich nennen eine Stadt des Herrn und ein Zion des Heiligen in Israel. Ich will dich zur Pracht machen ewiglich und zur Freude für und für. Friede soll dein Vorsteher und Gerechtigkeit dein Pfleger sein. Man soll keinen Frevel mehr in deinem Lande hören, oder Schaden und Verderben in deinen Grenzen, sondern deine Mauern sollen Heil und deine Tore Lob heißen. Die Sonne soll nicht mehr des Tages dir scheinen, und der Glanz des Mondes soll dir nicht leuchten; sondern der Herr wird dein ewiges Licht, und dein Gott wird dein Preis sein. eine Sonne wird nicht mehr untergehen, noch dein Mond den Schein verlieren; denn der Herr wird dein ewiges Licht sein, und die Tage deines Leidens sollen ein Ende haben. Und dein Volk sollen lauter Gerechte sein als die der Zweig meiner Pflanzung und ein Werk meiner Hand sind zum Preise“ (Jes. 60,14.15.17,21).
Wollen wir einige Vorteile namentlich bezeichnen, so besitzen sie eine vollkommene Gerechtigkeit, die in jedem Gerichte besteht. Sie sind freie Leute, die der Sohn frei gemacht hat, und die also recht frei sind und niemandes als Christi Knechte (Joh. 8,36. Gal. 5,1). Von dem gemeinen Troß der Menschen sind sie wesentlich verschieden, und sie sind „die Versiegelten des Herrn auf den Tag der Erlösung“ (Eph. 1,13.14). „Tastet meine Gesalbten nicht an“ (1. Chron. 17,22). „Lasset diese gehen“ (Joh. 18,8. Ps. 105,15). Sie genießen ungemeine Ehre, wo nicht bei Menschen doch vor Gott, und sind die Heiligen und Herrlichen, an denen er all' sein Wohlgefallen hat. „Und weil du so wert geachtet bist in meinen Augen, mußt du auch herrlich sein, denn ich habe dich lieb“ (Jes. 43,4). Sie sind berufen, mit Christo, wie erniedrigt zu werden und zu sterben, so auch mit ihm zu leben und zu herrschen. Mögen sie an den weltlichen Höfen die seltensten Raritäten sein, so haben sie doch volle Hoffähigkeit im Himmel. Der große Himmelskönig würdigt sie nicht selten seiner Anreden, Besuche und Freundschaftsbezeugungen, so wie seiner Verweise, wenn ihnen das nützlich ist. sie nahen sich auf die allerzutraulichste Weise durch Christum zu Gott als ihrem lieben Vater, und es ist ihnen oft selbst ein Wunder, was sie alles sagen dürfen und was für Antworten sie bekommen. „Die Zunahungen Gottes sind mein Gut“ (Ps. 73,28), ruft Asaph aus, und sie mit ihm. Sie, diese Heiligen und Herrlichen besitzen eine seltene Macht. Obschon sie nichts vermögen, vermögen sie doch alles durch den, der sie mächtig macht, Christus (Phil. 4,13). Denn alle Dinge sind möglich den, der glaubt (Mk. 9,23). Alles, was sie bitten in ihrem Gebet, so sie's glauben, soll's ihnen werden (Mark. 11,24); ja sie haben Macht, größere Dinge zu tun. als Jesus, doch keins, als nur durch ihn (Joh. 14,12 und Joh. 15,5). Ihr Gebet ist von großem Gewicht (Jak. 5,16), sei es für oder wider etwas, und Hiobs Freunde irrten nicht, wenn sie behaupteten, durch die Fürbitte eines Gerechten werde mancher gestürzt, mancher erhoben (Hiob 22,29,30). Was sollen wir von ihrem Reichtum sagen, da sie zwar nichts und doch alles haben (2. Kor. 6,10), denn sie haben Teil an Christo und also auch an seinem unausforschlichen Reichtum. Sie haben Gold in Menge und dazu echtes, das mit Feuer durchläutert ist (1. Petri 1,7), und den Brand der Welt zu seiner Zeit aushalten wird. An diese Sanftmütigen kommt zuletzt die Reihe, das Erdreich zu besitzen, indem den Gottlosen alles genommen wird (Mat. 5,5). Die Pracht, die sie innerlich und äußerlich umgibt, ist so groß, daß sie als mit der Sonne bekleidet vorgestellt und auserwählt genannt werden wie die Sonne (Hoh. 6,9), gleich welcher sie leuchten sollen in ihres Vaters Reich (Dan. 12,3). Das ist ihr Schloß, ihre Stadt, daselbst sind sie eingebürgert. Da ist ihre Heimat und ihr Wandel, von dannen sie auch erwarten ihres Herrn und Heilandes Jesu Christi (Phil. 3,20). Jedoch sind sie noch geborne Kriegsleute, Streiter Jesu Christi (2. Tim. 2,3), gerüstet mit dem ganzen Harnisch Gottes, stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke (Eph. 6,10,13): Unter ihren Feinden gibt's sogar Löwen (1. Pet. 5,8). Sie müssen überwinden und überwinden wirklich und weit um deswillen, der sie geliebet und sich selbst für sie dahingegeben hat (Röm. 8,37).
Das ist eine matte, flüchtige und mangelhafte Andeutung des herrlichen Standes, worin das Evangelium durch Gottes Gnade versetzt, und wovon die Taufe Pfand und Siegel ist, wie es uns in lebendiger Erfahrung und seligem Innewerden bestätigt werden kann und soll. Von Natur haftet wegen der Sünde eine Ehrlosigkeit, eine Infamie, ein Fluch auf uns, die uns von Gott, seiner Gemeine und seinem Hause scheiden. Die Taufe ist das Diplom und die rechtskräftige Urkunde, in der himmlischen Kanzlei verfaßt und dem Glauben lesbar, daß sie durch Christi Blut und Geist weggeschafft, und ihnen in Christo der erhabene, heilige und selige Stand verliehen sei, wovon wir einige Andeutungen vernommen haben. O, mit welchem evangelischen Nachdruck spricht sich unser Bekenntnisbüchlein darüber aus, wenn es so unvergleichlich sagt: „Daß ich durch die heilige Taufe meines Anteils an dem einigen Opfer Christi am Kreuz also erinnert und versichert werde, daß ich so gewiß mit seinem Blut und Geist von allen meinen Sünden gewaschen sei, als ich mit dem Taufwasser benetzt bin.“ Es entgehe unserer Andacht hierbei doch vor allen Dingen nicht, daß es heißt, nicht gewaschen werde, sondern sei, gewaschen sei. Dem natürlichen Verstande ist es zwar geläufigere, es von der Zukunft zu verstehen, der evangelische Unterweiser aber sieht auf das, was wirklich schon geschenkt ist, wenn es gleich nach und nach ausgeliefert wird.
O, herrlicher Stand, den die Taufe uns zuweiset, so wir's anders annehmen können. Welchen Reichtum, welche Hoheit, welchen Adel erteilt diese an sich so unansehnliche Handlung, so wir anders ihr Geheimnis verstehen. „so wir denn nun im Geiste leben, so lasset uns auch im Geiste wandeln“ (Gal. 5,25)! Wisset ihr denn nicht, daß alle, die wir in Jesum Christum getauft sind, die sind in seinen Tod getauft“ (Röm. 6,3)? „Haltet euch dafür, daß ihr der Sünde gestorben seid, aber Gott lebet in Christo Jesu“ (Vers 11). „Regieret euch der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz“ (Gal. 5,28). „Wandelt im Geiste, so werdet ihr die Lüste des Fleisches nicht vollbringen“ (Gal. 5,16).
O, selige Wissenschaft und Kunst, seinem Stande gemäß zu leben, und wie vieles faßt das in sich“ Es geziemt sich für solche Leute wie wir sind, die im Bunde mit dem dreieinigen Gott stehen, und im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes getauft sind, stets mit aufrichtigem Haupte einherzugehen; es geziemt sich für uns, die wir einst mit ihm über alle Kreaturen herrschen und selbst die Engel richten sollen (1. Kor. 6,3), hier mit freiem, fröhlichen Gewissen wider die Sünde, den Teufel und unser eigen Fleisch und Blut zu streiten und ohne alle Furcht vor Gottes Angesicht zu wandeln als die lieben Kinder. Solche Heiligen und Herrlichen, wie wir sind, und wie uns unsere Taufe deklariert hat, tun keine schmählichen Dienste und sind viel zu hoch geadelt, als daß sie ihre Glieder, die doch nicht ihre, sondern Christi Glieder sind, nehmen und Waffen der Ungerechtigkeit daraus machen, sich zu Sklaven der Welt, der Sünde, ja des Teufels darstellen sollten. Niemand unterstehe sich, uns unsere niedere Herkunft vorzurücken, denn wir sind von oben her (Joh. 17,16), oder uns wegen Schulden zu mahnen, denn wir sind reich, oder wegen unserer Sünden zu schelten, denn wir sind abgewaschen, wir sind geheiligt, wir sind gerecht gesprochen durch den Namen des Herrn Jesu und durch den Geist unseres Gottes (1. Kor. 6,11). Für solche Leute ziemen sich die reinsten Sitten und der reinste Anstand, als Kinder, welche das Ebenbild ihres Vaters an sich tragen. Sie legen auch täglich den alten Menschen ab und erneuern sich in dem Geist ihres Gemüts und ziehen den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit (Eph. 4,22-24).
O, versteht die herrlichen Vorrechte, Gerechtsame und Ziemlichkeiten eurer Taufe und lernt euch derselben in allen Stücken je länger, je gemäßer zu benehmen, und werdet zu dem Ende mit Feuer getauft und mit dem heiligen Geist! Denn wofern ihr euch nicht von Christo waschen laßt, habt ihr, eurer Taufe ungeachtet, keinen Teil an ihm und werdet mit derselben verdammt werden (Joh. 13,8).
„Ergreif' und tauf'
du unsere Herzen
Mit deines Geistes Feuerkraft,
Bis daß sie, kostet es auch Schmerzen
Nach deinem Bild uns neu erschafft!
Laß uns dich und uns selbst erkennen,
Daß wir nicht ins Verderben rennen,
Von eitler Lüste Tyrannei
Mach' mächtig unsre Seelen frei!“
Amen.
„Jaget nach der Heiligung, ohne welche wird niemand den Herrn sehen.“ Diese wichtigen Worte stehen Hebr. 12,14. Das Ziel, zu welchem die christliche Religion uns führen will, ist in den Worten ausgedrückt: „Den Herrn zu sehen,“ d. i. ihn zu erkennen und eine vollkommene Gemeinschaft mit ihm zu haben. Dies ist die ewige Seligkeit. Sie wird niemand zu Teil ohne Heiligung. Die Heiligung ist zwiefacher Art. Die eine und hauptsächliche oder erste geschieht durchs Blut, und zwar durch das Blut Jesu Christi. Sie ist diejenige, die er selbst in den Worten ausdrückt: „Ich heilige mich selbst für sie, auf daß auch sie geheiligt seien in der Wahrheit.“ Sie heißt auch sonst die Versöhnung und die Rechtfertigung zum Leben. Wer diese nicht hat, wird den Herrn nicht sehen, sei er auch, wer er wolle. Wir nennen sie die erste, denn sie muß vorab stattfinden. Auf diese Weise durchs Blut oder durch ein Opfer muß man von allen seinen Sünden gereinigt sein. Jaget ihr also nach! Jaget ihr so nach, daß ihr euch mit nichts Geringerem begnügt, als mit einem so völligen Genuß derselben, wie der Hebräerbrief ihn andeutet: Daß ihr los seid von dem bösen Gewissen, weil ihr einmal vollendet seid, daß ihr kein Gewissen mehr habt von den Sünden, sondern Frieden habt mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum. Daraus fließet nun her und ist unzertrennlich damit verknüpft die andere Heiligung, die durch Wasser und Feuer, den heiligen Geist, bewirkt wird. Sie besteht in der Gleichförmigkeit unserer Gesinnung mit Gott, ohne welche es unmöglich ist, den Herrn zu sehen, denn ohne dieses würden wir seine Feinde sein und keine Gemeinschaft mit ihm haben können nach seinem Willen.
Jaget auch dieser Heiligung nach in gehöriger Ordnung und Weise, wovon wir jetzt zu reden gedenken. Jaget dem einen Christo nach, worin beides, so wie außer ihm nichts ist.
Römer 6,12 und 14.
So lasset nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, ihr
Gehorsam zu leisten in ihren Lüsten. Denn die Sünde wird nicht herrschen können
über euch, sintemal ihr nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade.
Diese wichtigen Worte belehren uns über das rechte Verhalten gegen die Sünde. Wir betrachten denn
1. Was sagt das Gesetz? Und
2. Was sagt das Evangelium?
Was sagt das Gesetz vom rechten Verhalten wider die Sünde? „Laßt sie nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, ihr Gehorsam zu leisten in ihren Lüsten.“ Dies hat eine doppelte Beziehung, nämlich eine gesetzliche und eine evangelische.
In gesetzlicher Beziehung ruft und schreit und donnert das ganze Gesetz und jedes einzelne Gebot: Sündigt nicht! und ruft's in Übereinstimmung mit dem Gewissen, welches sich genötigt sieht, zu bekennen, das Gesetz sei gut und jedes einzelne Gebot sei heilig, recht und gut, wenn auch unserer Natur nicht angenehm. Das Gesetz ist wider alle und jede Sünde, von der gröbsten und größten an bis zur allergeringsten, und untersagt die eine mit dem nämlichen Ernst wie die andere. Selbst die unwillkürliche Neigung zu etwas Ungöttlichem wird aufs nachdrücklichste verboten. Keine Entschuldigung wird angenommen. Es heißt kurzweg und in jeglichem Betracht: Sündiget nicht!
Die meisten Menschen achten das freilich nicht, und die Welt ist voll frecher Sünder, voll Flucher, Trunkenbolde, Hurer, Spieler. Sie sündigen mit frecher Stirn und tun, als ob kein Gesetz, ja, als ob kein Gott im Himmel wäre, der ihnen etwas zu befehlen hätte, und der sie strafen könnte und wollte. Es gibt aber auch ehrbare Menschen, die sich mit einigem Fleiß angelegen sein lassen, wenigstens etwas von dem zu halten, was Gott und die gesunde Vernunft gebieten. Sie tun sich selbst gar leicht ein Genüge und meinen, Gott könne und solle auch damit zufrieden sein. Ja, es gibt Leute, die einen mehr als gemeinen Fleiß darauf wenden, Laster zu meiden und manche Tugend zu üben, aber es sind Heuchler. Es geht ihnen nicht von Herzen, sondern es ist Gemachtes und Äußeres, ohne Lust und Liebe, aus einer Art von Zwang, aber doch mit großer Selbstzufriedenheit und Einbildung, daß sie sich wohl besser dünken als viele andere. Diese Art war dem Herrn Jesu so lästig. Sie dünket sich rein in ihren Augen und ist doch von ihrem Kot nicht gewaschen.
Seelen aber, die Gott zum Heil führt, werden auf eine sehr nachdrückliche Weise daran gemahnt: „Lasset die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe!“ Sie kommen unter das Gesetz, oder es kommt zu ihnen, wie Paulus sagt: „Da kam das Gesetz.“ Aber wie kommt es? Es kommt als einer, der auf eine höchst nachdrückliche Weise wegen einer Schuld mahnt und an die Notwendigkeit der Bezahlung erinnert. Das Gesetz macht es wie jener Gläubiger, von dem Jesus in dem Gleichnisse sagt: „Er würgte seinen Schuldner und sprach: Bezahle mir, was du mir schuldig bist.“ Es kommt und läßt sich gar nicht abweisen. Mag der Mensch sich Mühe geben, der schweren Gedanken an seine begangenen Sünden und an seine verdiente Strafe sich zu entschlagen und die Sorge wegen seiner Seligkeit von sich zu werfen, wie er ja bisher ohne diese Sorge gelebt hat, so kann er das glücklicherweise nicht, sondern es dringt ihm je länger je mehr ans Herz. Es kommt als einer, der durchaus bezahlt sein will, die Mittel mögen nun vorhanden sein oder nicht. Das ist die Sache des Gesetzes nicht, sondern die des Menschen. Da siehe du zu, heißt es. Es handelt sich nicht darum: Was kannst du, sondern was sollst du? Tue nichts was du kannst, sondern was du sollst. Du sollst, du sollst! Das Gesetz kommt in gerechter und heiliger, aber dem Sünder furchtbarer Strenge. Es fordert einen ganzen Gehorsam nicht in einigen, sondern durchaus in allen Stücken, so daß seine Gedanken nicht übersehen werden; es fordert einen vollkommenen Gehorsam, der in allen Stücken so beschaffen sei, wie er sein soll, so daß ich Gott über alles und den Nächsten wie mich selbst liebe. Es fordert denselben auf der Stelle, ohne Aufschub; es läßt sich in keinen Vergleich ein, in keinen Nachlaß, daß es sich begnügen sollte, wenn als vorerst einiges und so nach und nach immer mehr geschehe. Ja, das Gesetz geht immer weiter und weiter in seinen Forderungen, wird immer genauer und umfassender. Es bleibt aber nicht bloß bei Forderungen, geradezu sündliche Handlungen fortan nicht mehr zu begehen, sündliche Redensarten fortan nicht mehr zu führen, sondern den Grund des Herzens selbst zu ändern, damit erst der gute Baum gesetzt und so dafür gesorgt werde, daß die gute Frucht von selbst wachse. Jetzt bekommt der Mensch eine ihn betrübende, aber nötige Einsicht, daß er selbst nicht tauge, daß seine Natur Sünde, daß das Gesetz geistlich, er aber fleischlich sei, daß er in Sünden empfangen und geboren sei, und sie sein Wesen so durchdrungen habe, wie das Feuer ein glühendes Eisen. Das ist die Sünde, von welcher Luther sagt, die man nicht tut, sondern die das Böse tut; sie sündigt nicht eine Stunde oder eine Zeitlang, sondern so lange die Person ist, so lange ist die Sünde auch. Demnach kommt das Gesetz mit den erschrecklichsten Drohungen und kündigt nichts Geringeres an als die entsetzlichen Übel, den Zorn Gottes, den Fluch, die ewige Verdammnis. Die Seele wird dadurch innerlich angegriffen und gerät in Jammer und Not. Aber dies alles dämpft und tötet die Sünde so wenig, daß vielmehr allerlei Lust dadurch erregt, und das Feuer innerlich recht aufgeschürt wird.
Wie verhalten sie die Seelen denn nun gewöhnlich unter diesen Umständen? Der Mensch besorgt das Ärgste, denn es werden ihm nicht nur seine Sünden aufgedeckt und vorgehalten, sondern auch das Gute, worauf er sich verließ, als unzulänglich unter die Augen gestellt. Das muß ganz etwas Anderes sein, was vor Gott gelten soll, als das unflätige Kleid der eigenen Gerechtigkeit, das nicht einmal sein Gewissen stillen kann. Von Jesu kann er noch keinen Gebrauch machen und ihn nicht fassen. Mag er auch Sünder selig machen, doch wohl solche Sünder nicht, wie er sich fühlt und erkennt. Er fordert doch auch so viel, wovon er nichts leisten kann. Er fällt also auf Selbstbessern. Was geschehen ist, das soll ferner nicht von ihm geschehen, er hofft, durch feste Entschließungen ein ganz anderer Mensch wie bisher zu werden, er will sich durch anhaltendes Beten in seinem Vorsatz zu stärken suchen, das fleißige Lesen im Worte Gottes soll nicht mehr von ihm versäumt werden, kurz, er selbst will das Gute in sich hervorbringen, und wer soll es seiner Meinung nach anders tun, wer wird es tun? Er hofft, es werde ihm dazu seinen Beistand nicht versagen, aber er findet, daß er nie was Besseres schafft. Gott selbst, der in Gnaden über ihm wacht, läßt es ihm nicht gelingen, daß er sich eine eigene Gerechtigkeit aufrichte, und wenn er denkt, es gelinge ihm auf der einen Seite, so mißglückt es ihm desto ärger auf der andern. Gelang es einige Tage, so mißlingt es die andern wieder desto mehr. Wird ein Ausbruch verhütet, worüber er sich sehr freut, so tritt ein anderer an dessen Stelle. Er muß ausrufen: „Ach, ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes!“ Ist für solch einen noch wohl Rettung vorhanden, oder ist alles verloren? Es werden auch Versuche gemacht, sich auf Jesum, sein Verdienst und Leiden zu verlassen. Aber das erscheint wie ein falsches, sehr gefährliches Ruhekissen für die Faulheit, die sich an der Pflicht vorbei zu machen sucht. Es heißt: Fort, an eure Arbeit! Und man geht wieder rege fort an seinen Frohndienst. Das ist ein rechter Angststand. Forderung auf Forderung und kein Vermögen, irgend eine davon zu erfüllen; die Sünde nicht herrschen lassen zu sollen, und sie herrscht; das Gute will etwas in der Seele, und tut es nicht; es ist etwas in der Seele, das will das Böse nicht tun und tut es doch, sie wird wie zerrissen. So kämpft und ringt das Eine mit dem Andern, das Alte mit dem Neuen, und man weiß selbst nicht, was daraus werden will, welches von beiden die Oberhand behalten wird. Hat der Mensch einen Augenblick guten Mut, so dünket ihn die andere Zeit, es sei alles verloren. Dies kommt freilich bei dem einen klarer zum Vorschein als beim andern, dauert bei diesem eine längere Zeit als bei jenem, tritt bei den meisten gleich im Anfange ihrer Bekehrung ein, bei andern, nachdem sie schon manche Gnadenblicke empfangen und manche fröhliche Glaubensgriffe getan haben. Auf jeden Fall ist ein jeder so lange unter den Vormündern und Pflegern bis auf die bestimmte Zeit vom Vater, und indessen zwischen einem Kinde und Knechte kein Unterschied. Dies muß ausgehalten werden, an Desertieren ist nicht zu denken. Ebensowenig kann und darf sich die Seele eigenmächtig ins Evangelium drängen und dasselbe an sich reißen. Es ist eine innerliche Wunde, die auch innerlich muß geheilt werden. Gewiß ist's aber, daß durch all dies Drängen und Treiben in der Heilung nichts gewonnen wird, denn es ist uns kein Gebot gegeben, das uns könnte lebendig machen, sonst käme die Gerechtigkeit wirklich aus dem Gesetze und nicht aus der Gnade.
„Lasset die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe.“ Dies muß aber auch in evangelischer Beziehung aufgefaßt werden. Dann ist es teils eine Verheißung, teils die Beschreibung einer Gesinnung, wie sich bei wahren Christen befindet.
Es ist eine Verheißung: „Ich will euch reinigen von allen euren Sünden, und von allen euren Götzen will ich euch reinigen.“ Christus hat sich selbst geheiligt für diejenigen, welche ihm sein Vater gegeben hat, auf daß auch sie geheiliget seien in der Wahrheit. „Ich bin der Herr, der euch heiligt.“ Die Heiligung fließt aus der Rechtfertigung her wie der Bach aus der Quelle. Wer gerecht gesprochen ist, wird auch ganz gewiß geheiligt. Die Rechtfertigung, wodurch der Sünder auf einmal als gerecht und vollkommen in Christo dargestellt wird, geht der Ordnung nach vor, die Heiligung folgt unfehlbar nach. Sie ist der Genuß der in der Rechtfertigung gerichtlich zuerkannten Güter, wozu auch der Glaube gehört und, alles in eins zusammen zu fassen, der heilige Geist, der den Glauben, die Liebe und alles Gute wirkt. Sie ist eben so wenig des Menschen eigenes, sondern des Herrn alleiniges Werk, wie auch die Rechtfertigung; beide Güter werden auch auf gleich Weise empfangen von denen, die nicht mit Werken umgehen, sondern glauben. Nur geschieht die Heiligung nach und nach und in diesem Leben nie vollkommen. Es ist und bleibt Stückwerk, und sie wird erst im Tode ganz vollendet. Selbst der Friede, den diejenigen genießen, die da gerecht worden sind, ist ein Stück der Heiligung und kann bestritten werden, daß auch gerechter Jeremias wohl zu der Klage kann gebracht werden: „Meine Seele ist aus dem Frieden gerissen.“ Das natürliche Verderben und namentlich der Unglaube kann sich nicht nur heftig regen, sondern es können sogar Fehler und Fälle vorkommen. Auch gehört das Kreuz in diesen Weg, wie sonderlich das Gebet.
„Lasset die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, ihr Gehorsam zu leisten in ihren Lüsten.“ Das ist die Gesinnung, die durch die Wiedergeburt in allen wahren Christen gewirkt und in ihnen erhalten, bewahrt und gestärkt wird. Sie wollen die Sünde in keiner Beziehung bei sich herrschen lassen, sie können sie auch nicht herrschen lassen. Es ist ihrem Grundsinne, den sie in der Wiedergeburt empfangen haben, zuwider. Wollen das Gute haben sie, denn Gott hat es in ihnen gewirkt. Mag ihnen auch noch das Vollbringen fehlen, sie begehren es doch von Herzen. Regen sich in ihnen verkehrte Dinge, sie verabscheuen dieselben. „Wer aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde und kann nicht sündigen.“ Die Aufrichtigkeit und Lauterkeit, die in wahren Christen ist, ringt und kämpft gegen alles Sündliche an, sie leidet kein Einverständnis mit der Sünde, sondern arbeitet dagegen an, bis jede Fessel zerrissen, jedes Netz durchbrochen ist, möchte es auch eine Zeit lang nach jenem Spruch gehen, wo die Gemeine sagt: „Herr, es herrschen wohl andere Herren über uns denn du. Aber des Herzens Lust stehet doch allein zu deinem Namen und deinem Gedächtnis.“ So ist es und kann nicht anders sein.
Das nun ist kein tötender Buchstabe des Gesetzes, das da fordert, dräuet, drängt und zwingt. Nein, das ist dasjenige Gesetz, von welchem Gott verheißt: „Ich will es in ihr Herz schreiben und in ihren Sinn geben. Ich will meine Furcht in ihr Herz geben, daß sie mich fürchten sollen.“ Es ist das Gesetz in dem Gemüte, nach welchem der Christ Gott dienet, und das da widerstreitet dem Gesetz in den Gliedern. Es ist der Geist, welchen wider das Fleisch gelüstet, und das rechtschaffene Wesen, das in Christo Jesu ist; der Same aus Gott, der in ihm bleibet, die erste Frucht der Rechtfertigung. Eine große, heilige und herrliche Veränderung geht mit dem Menschen vor, der ein wahrer Christ, der bekehrt, der wiedergeboren wird. Aus einem Blinden wird er sehend, aus einem Toten wird er lebendig, aus einem Kinde des Teufels und Feinde Gottes wird er ein Kind und Freund Gottes und ein entschiedener Feind des Teufels und aller seiner Werke. Er selbst wird dies kräftiglich gewahr. Was vormals seine Freude, bringt ihm jetzt Herzeleid, und wovon er früher nichts hören noch wissen, womit er nichts zu schaffen haben mochte, das ist ihm jetzt die größte Herzensangelegenheit, das Eine, was not ist. Freilich irrt er sich in der Freude seines Herzens, wenn er meint, das Alte sei rein vergangen, und alles neu geworden, er sei nun in sich selbst ein anderer Mensch an Herz, Mut und Sinnen und allen Kräften; die vorigen bösen Neigungen seien nun auf einmal und für immer abgetan und gestorben. Wer wollte nicht einem jeden diese Freude gönnen, wenngleich ein Irrtum mit unterläuft, der aber gewöhnlich nicht einmal lange dauert, wo es sich anders gestaltet! Kaum hatte Jacob den Segen von seinem Vater empfangen, so zeigte sich auch der Haß seines Bruders wider ihn in einer solchen Bitterkeit, daß er sein Heil in der Flucht suchen und ein sehr mühseliges Leben führen mußte, dessen Mühseligkeiten sich erst mit demselben endigten. So ist's: „Das Fleisch gelüstet wider den Geist,“ die verderbte Natur an sich wird dadurch nicht besser, und das Gesetz in den Gliedern wird nicht aufgehoben, vielmehr die sündliche Art je länger je mehr erkannt. Je mehr nun der Geist erstarket, desto schwächer wird das Fleisch, je mehr die Gnade im Herzen wächst, desto weniger kann die Sünde herrschen in den Gliedern, desto weniger Gehorsam findet sie in ihren Lüsten. Zieht sie sich aber zurück, so äußert sich auch, in dem Maße dies geschieht, der angeborne Unglaube samt dem übrigen Verderben.
Ach, wie so gar nichts in sich selbst sind doch alle Menschen, auch alle Christen! Ohne ihn können sie ja gar nichts tun, ja denken, was taugt. Welch ein abhängiges Leben sollen sie führen! Ist das nun euer Ernst, die Sünden nicht herrschen zu lassen in eurem sterblichen Leibe, sehet, so geben die folgenden Worte den Weg dazu an: „Die Sünde wird nicht herrschen können über euch, sintemal ihr nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade!“ Amen.
Gott hat seinem alten Volke einige Gebote gegeben, deren natürlicher Grund und Absicht nicht wohl eingesehen werden mag, denen wir also einen geheimen, geistlichen und höhern Sinn unterlegen möchten.
Die Gebote, welche ich meine, sind diese: „Ihr sollt nicht Wolle und Leinen zugleich tragen und durcheinander weben, ihr sollt nicht mit einem Ochsen und Esel zugleich pflügen, auch nicht zweierlei Samen auf den nämlichen Acker säen, oder andere Gewächse in euren Weinberg pflanzen.“ Ich kann nicht sagen, ob es überhaupt oder im Morgenlande der Gesundheit oder der Reinlichkeit nachteilig ist, Kleider von einem Gewebe aus Wolle und Leinen zu tragen, und so auch im übrigen, wie z.B. Korn und Weizen durcheinander zu säen; Gott aber befahl's, und so mußte es geschehen.
Nehmen wir's auch in einem geistlichen Sinne, so daß es noch verpflichtend ist und seine Anwendung findet, so deuten wir's zuvörderst aufs Leben. In einigen Stücken Gott zu Gefallen leben wollen und in andern sich nach eignem Gefallen richten, das geht nicht. „Wer fromm ist, sei immerhin fromm“. In die Kirche, zuweilen zum Abendmahl gehen, in der heiligen Schrift lesen, sein Gebet pünktlich sprechen, ist gut und löblich, aber in andern Stücken nach seinem eignen Willen leben, ist eitel. Wenn man das Eine tut, soll man das Andre nicht lassen. Wir deuten es ferner auf die Lehre. Auf das eine Stück derselben viel, auf das andere wenig oder nichts halten, eine Wahrheit annehmen, die andere abweisen, das geht nicht, denn alle Wahrheiten stehen in unzertrennlicher Verknüpfung, deren Band wir so wenig lösen dürfen, als das des Orion. Endlich deuten wir's auf die Praxis. Gesetz und Evangelium müssen nicht durcheinander gemischt werden. Das Gesetz muß nicht durch Beimischung des Evangeliums, und dieses nicht durch jenes entkräftet und der Weinberg nicht mit andern Gewächsen bepflanzt werden, wie doch so häufig geschieht, so daß mancher Christentum ein Gemenge ist.
Der Herr leite uns in alle Wahrheit und schaffe, daß wir nicht Menschen wie Bäume, sondern alles recht sehen!
Denn die Sünde wird nicht herrschen können über euch, sintemal ihr nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade.
Römer 6,14
Die Frage ist jetzt die: Wie gelangen wir armen, schwachen Sünder dahin, daß die Sünde nicht mehr über uns regiere, daß wir frei von derselben werden?
Auf diese Frage gibt der Apostel eine merkwürdige Antwort. „Die Sünde,“ sagt er, „wird nicht herrschen über euch, denn ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade.“ Die Sache ist die, daß die Sünde nicht herrsche. Das Mittel dazu liegt unter der Gnade“, und dieses merkwürdige Mittel ist der eigentliche Gegenstand unserer Betrachtung.
Welches ist denn die Bedingung, unter welcher die Sünde nicht herrschen wird? Liegt dieselbe in irgend einem Verhalten des Menschen? Nein, sondern in seinem Stande. Dieser Stand ist zwiefach. ER steht entweder unter dem Gesetz oder unter der Gnade. Es wäre also zu untersuchen: Was heißt, unter dem Gesetz stehen? und was, nicht unter demselben, sondern unter der Gnade stehen oder sein?
Wer unter dem Gesetz ist, der steht unter dessen Botmäßigkeit; er ist dessen Schuldner; er ist verpflichtet, dasselbe zu halten; das Gesetz hat rechtmäßige Forderungen an ihn, die er leisten soll, und er kündigt ihm die härtesten Strafen an, wenn dies ganz oder teilweise unterbleibt. Nun sagt der Apostel: Wenn jemand sich in diesem Stande, sich in diesem Verhältnisse zu dem Gesetz befinde, so sei die unausbleibliche Folge davon diese, daß die Sünde über ihn herrsche. Sie ist einmal da, sie ist in uns. Das Gesetz setzt sich wohl derselben in sofern entgegen, daß es sie aufs allernachdrücklichste verbietet, daß es die schwerste Strafe auf die Begehung der Sünde setzt, daß es die Gottseligkeit aufs nachdrücklichste befiehlt und aufs dringendste dazu ermuntert, und die schönste Belohnung verspricht.
Aber das Gesetz bietet keine Hülfe gegen die Sünde an, wenn es gleich sagt: Laß das, und tue jenes. Ja, es wird zufällig ein Reiz zur Sünde, ein Beförderungsmittel derselben. Paulus sagt, es habe allerlei Lust in ihm erregt, nennt es sogar die Kraft der Sünde, sagt, ehe das Gesetz gekommen, sei die Sünde tot gewesen, nun aber lebendig geworden, habe ihn gefangen genommen unter die Sünde, sei überaus sündig geworden. Schon die Heiden bemerkten, daß die menschliche Natur die seltsame, dem Gesetz widerwärtige Eigenschaft habe, daß die Neigung, es zu übertreten, durchs Verbot nur geschärft und desto größer würde, je schärfer das Verbot wäre. „Ist denn das Gesetz Sünde, oder mir zur Sünde geworden? Das sei ferne! Aber ich erkannte die Sünde nicht, wie sie Sünde ist, ohne das Gesetz. Ich wußte nichts von der Lust, wofern nicht das Gesetz gesagt hätte: Laß dich nicht gelüsten! Die Sünde ward lebendig durchs Gesetz und nahm mich gefangen. Ach, ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“
Das Gebot oder Gesetz behandelt auch den Menschen nicht nach seiner jetzigen, elenden Beschaffenheit, nach seinem wirklichen Zustande, sondern nach demjenigen Zustande, worin Gott ihn erschaffen hat, ausgerüstet mit allen demjenigen Kräften, welche dazu erforderlich und hinreichend waren, den in den Geboten ausgesprochenen Willen Gottes zu tun. Es bekümmert sich nicht darum, ob er es jetzt tun. kann oder nicht, sondern es fordert nur mit allem Nachdruck, und enthält durchaus auch keine tröstliche Silbe für den Sünder, mag er ein grober und großer Sünder, oder auch nur ein solcher sein, der nur an einem gefehlt hätte, denn wer an einem gefehlt hat, hätte eben so gut auch an einem andern, ja, an dem ganzen Gesetz sündigen können. Auch sind es nicht bloß Handlungen, wonach jemand vor dem strengen Richterstuhl des Gesetzes beurteilt wird, sondern es ist sein ganzes inneres Bestehen und seine Anlage, wonach er gerichtet wird, mag sich dieselbe auch bei verschiedenen verschieden gestalten. eigentlich bedarf's wohl gar keiner Frage, wer denn unter dem Gesetz sei; dem natürlichen Verhältnisse nach ist ja jeder Mensch unter demselben. Jeder Mensch hat die Verpflichtung, dem Gesetz zu gehorchen. Er selbst kann sich von dieser Verpflichtung nicht entbinden, d. h. sich erlauben, anders gesinnt zu sein, zu denken und zu handeln, als es dem Gesetz gemäß ist; und wenn er's versuchte, würde ihm der Versuch sehr übel bekommen, denn auf jeder Übertretung haftet die erschrecklichste Drohung. Ja, Gott selbst wird und kann die Verpflichtung nicht aufheben, das hieße, seinem Wesen zuwider handeln, aufhören, der zu sein, der er ist. Wie wäre es möglich, daß Gott zugebe, daß wir ihn nicht mehr über alles liebten, daß er den Ungehorsam in seinem Schutz nähme?
Ist nun jemand unter dem Gesetz, was ist die Frucht davon? Dieses, daß die Sünde über ihn herrscht. Die Erfahrung belehrt die erweckte Seele auch darüber zur Genüge. Gewöhnlich will sie gleich anfangs oder auch noch hernach, nachdem sie schon getröstet worden und den Herrn Jesum hat annahmen können, ihre Heiligung bei sich selbst suchen; gewöhnlich will sie durch ernstliche Bestrebung und allerlei Mühe, die sie anwendet, selbst die Sünde töten, selbst das Gute schaffen, wiewohl sie den Herrn um seinen Beistand anruft. Aber sie wird auf tausendfältige Weise gewahr, daß dies ein unfruchtbarer, wenn gleich mühsamer Weg ist. Sie machst die angedeutete Erfahrung, daß das Gesetz die Sünde wohl lebendig macht, aber nicht tötet, und daß wir, wenn dies geschehen soll, bei einem andern Manne sein müssen.
Aber welch' ein merkwürdiges spricht unser Text aus! Welch einen merkwürdigen Weg gibt er an, daß die Sünde nicht mehr über uns herrsche, wie stark sie sonst auch sei; einen Weg, den kein Auge je gesehen und kein Ohr gehört, und in keines Menschen Herz gekommen ist, den uns aber Gott geoffenbart hat durch sein Wort und seinen Geist; einen Weg, welcher unserer natürlichen Art, zu denken und zu sein und zu wirken, ganz und gar zuwider ist, der also ungemein viel Widerspruch findet, worauf Paulus auch die Geschichte Ismaels und Isaaks, so wie der Hagar und Sarah anwendet, einen Weg, der so vielen Kindern Gottes nicht einleuchtet, und nicht völlig in ihr Bewußtsein getreten ist, wie dies bei den Jüngern vor der Auferstehung Christi der Fall war, von welchem sie auch leichtlich abweichen, wenn ihre Sinne verrücket werden von der Einfalt des Evangeliums, und sie auf die gesetzliche Einbildung geraten, sie wollten es durch eigne Wirksamkeit besser treffen, wozu so viel Anlaß und Versuchung ist; einen Weg, den niemand vollkommen inne hat, so daß auch in dieser Beziehung das Fleisch wider den Geist gelüstet. Ein mehr und weniger findet hier wohl Statt, aber es ist doch nur klug wie die Kinder. Ja, einen Weg endlich, welcher die Gottseligkeit zu hindern und die Gottlosigkeit zu befördern scheint, also unmöglich ein richtiger Weg, unmöglich ein heiliger Weg sein kann, auf den man sich, wenn man es auch könnte, ohne Gefahr nicht begeben kann, sondern ihn eher fliehen und hassen muß. Dennoch ist es der einzig richtige Weg, zur Heiligung zu gelangen. Diejenigen, die ihn kennen und verstehen, achten sich mit Recht und mit Dank höchst glücklich, ihn einigermaßen zu verstehen. Er ist ihnen über die Maßen köstlich und wert. Der Weg aber ist Christus.
Was will denn der merkwürdige und bedenkliche Ausdruck: „Ihr seid nicht unter dem Gesetz“, sagen? Wenn wir dies etwas aus einander zu setzen wagen, so mag jeder wohl zusehen, wie er hört, wie Christus sagt. Es ist gar nicht zu leugnen, daß dieses Lehrstück mißverstanden und mißbraucht werden und sorglose und verruchte Leute bilden kann. Wo es aber diese trübselige Wirkung hat, ist es ein redender Beweis, daß ein solcher gar keinen richtigen Verstand am Worte hat. Wir handeln aber von einer heilig machenden und heiligen Lehre, und handeln nur für solche davon, die die Sünde nicht wollen herrschen lassen. Diejenigen aber, welche die Sünde wollen herrschen lassen und dazu das Evangelium mißbrauchen, bringen ein schweres Gericht über sich. Sie sind vom Teufel, denn sie tun. Sünde, wie die Schrift durch den Mund des liebenden Johannes sagt, um so mit einem Worte die ganze Sache abzumachen. Das Evangelium eigenmächtig und also ohne den heiligen Geist aufgegriffen, bringt nur Verderben. Nur der heilige Geist allein kann das Evangelium klar machen; und wenn er das tut, so erfreuet es nicht nur, sondern macht zugleich laufend in den Geboten des Herrn. Denn die Liebe Gottes wird ausgegossen in die Herzen. Ohne den heiligen Geist lügen wir auch dann, wenn wir wahre Worte sagen, denn wirkliche Wahrheit hat unausbleiblich einen heiligenden Einfluß aufs Gemüt, und verständen wir sie vollkommen, so würden wir auch vollkommen heilig und selig sein. Wer aber aus der Wahrheit ist, der höret Christi Stimme.
Was heißt das denn nun, nicht unter dem Gesetz sein? Der Apostel sagt: „Ihr seid nicht unter dem Gesetz.“ Kann das nur irgend in einem gesunden Verstande von jemand gesagt werden? Es gibt ein Gesetz, und hier ist nicht vom Landesgesetz die Rede, sondern vom Gesetz Gottes, des einigen und allerhöchsten Gesetzgebers. nicht unter dem Gesetz sein, heißt offenbar, nicht unter dessen Botmäßigkeit stehen. Wer nicht unter dem Gesetz ist, dem hat dasselbe offenbar nichts zu gebieten, nichts zu verbieten, nichts zu drohen und nichts zu verheißen; und wenn es dies alles dennoch tut, hat er sich nicht daran zu kehren. Gesetzt aber, das Gesetz faßte jemand, der nicht unter demselben steht, plagte, drückte, ängstigte ihn, forderte von ihm und schlüge ihn, wie Pharao die Kinder Israel tat, so kann es doch so nicht bleiben; das Gesetz täte etwas Unziemliches, das ihm nicht gebührt, es schelte ein Weib für eine Ehebrecherin, die nach dem Tode ihres ersten Mannes einen andern geheiratet hätte.
Man möchte aber sagen, solch' ein Stand gäbe es gar nicht; es gäbe kein Menschen, von denen man sagen dürfte: „Ihr seid nicht unter dem Gesetz,“ wie doch der Apostel wirklich tut. Man möchte sagen, eine Behauptung wie diese: „Ihr seid nicht unter dem Gesetz,“ sei schändlicher Art, sei gottloser und die Ruchlosigkeit fördernder Natur. Aber welche Beschuldigung läge darin gegen den heiligen Apostel! Oder wir müßten dann gestehen wollen, wir begriffen gar die eigentliche Meinung des Apostels nicht, und dürften uns nicht unterstehen, sie zu deuten, sondern müßten es auf sich beruhen lassen; oder derjenige, von dem es wirklich gilt, was der Apostel sagt: „Ihr seid nicht unter dem Gesetz,“ ist das nur mit einer gewissen merkwürdigen Beschränkung. Er ist nicht überhaupt ohne Gesetz, und ist das nur insofern, als er unter einem andern Gesetz ist, und zwar unter dem Gesetz des Geistes, das da lebendig macht, in dem Gesetz Christi, wie der Apostel sagt: „Ich bin nicht ohne Gesetz, sondern ich bin in dem Gesetz Christi.“ Dies ist aber ein ganz anderes Gesetz, wovon es ja heißet, es mache lebendig, was der Apostel von einem andern Gesetz verneint, und nicht nur sagt, es sei kein Gesetz gegeben, das lebendig machen könnte, sondern sogar, es sei ein tötender Buchstabe.
Wer ist denn nicht unter dem Gesetz? Der Apostel sagt: „Ihr seid nicht unter dem Gesetz.“ Er spricht, wenigstens was die Christen zu Rom angeht, allgemein: Ihr, wie er oben gesagt hat: „Haltet euch dafür, daß ihr der Sünde gestorben seid.“ Es ist wahr, diese römischen Christen waren wahre Christen, sie waren wiedergeboren, sie hatten den wahren Glauben überkommen, sie waren Knechte der Sünden gewesen, aber von Herzen waren sie gehorsam und Knechte der Gerechtigkeit geworden. Allein wir dürfen doch die Worte Pauli nicht auf die Römer beschränken, da sie offenbar auch andere, ja, alle wahren Christen angehen. Paulus predigt das Evangelium, und ein wesentlicher Teil dieser frohen Botschaft besteht eben in der Befreiung vom Gesetz, daß man sagen darf: Ihr stehet nicht unter dessen Botmäßigkeit. Wo nun das Evangelium von der Gnade Gottes verkündigt wird, da wird auch allen denen, die es hören, nicht nur die Erlaubnis, sondern das Recht erteilt, es als wahr und gültig anzunehmen, und ihren Vorteil dabei zu suchen, und namentlich dafür zu halten, daß sie nicht unter dem Gesetz sind. Wie mag aber solches zugehen? Also, daß einer für uns unter das Gesetz getan worden ist und dasselbe vollkommen für uns erfüllet hat. Was hätte also das Gesetz noch zu fordern, das nicht durch diesen Einen, den Sohn Gottes, Jesum Christum, erfüllet worden wäre auf überschwengliche Weise? Zugleich ist er ein Fluch für uns geworden. Laß also das Gesetz fordern, es gehet mich nicht an; laß es fluchen, es geht mich nicht an; denn in beiden Beziehungen ist ihm überschwengliche Genüge geschehen durch den Bürgen, den Gott selbst mir geschenkt hat, der sich selbst zum Opfer und zur Gabe für mich dahin gegeben hat. Also bin ich nicht mehr unter dem Gesetz, weil er darunter war. Sollte es mich noch anfallen, beschweren, ängstigen wollen, so tut es etwas, das ihm nicht zusteht, und ich schreie mit Hiskia: „Ich werde unterdrückt. Sei du mein Bürge.“ Glückselig denn diejenigen, denen dies Evangelium gepredigt wird! „Wie lieblich sind die Füße der Boten, die Heil verkündigen, Gutes predigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!“ Was für Glückseligkeit, ausrufen zu dürfen: „Ihr seid nicht unter dem Gesetz!“ Dann würde die Sünde ihre Herrschaft über euch behalte, nun aber heißt es: Laß los, laß los! Zu den Gefangenen heißt es: Kommt hervor; und zu den Gebundenen: Geht heraus! In dieses gesegnete Reich nun geht man ein durch den Glauben, und wer Gottes Zeugnis annimmt, der versiegelt es, daß Gott wahrhaftig ist, durch den Glauben geht man ein zur Ruhe. Und um so vielmehr zu ermuntern, jegliche Last von sich zu werfen und zu singen: „Die Sünde darf nicht mehr mich durchs Gesetz verdammen, denn alle Zornesflammen hat Jesus ausgelöscht, sagt der Apostel lieber „Ihr,“ als „wir“ sind nicht mehr unter dem Gesetz, damit niemand auf die Beschaffenheit der Person sehe und ihrerseits eine gewisse Würdigkeit mit in Anschlag bringe, die er bei sich nicht findet, und darum sich die Freude rauben läßt, zu rühmen: Ich bin nicht unter dem Gesetz. Jedoch ohne den heiligen Geist ist das unmöglich; er muß uns Christum verklären. Er tut das in einer gewissen Ordnung. Der Mensch wird aus seinem Sicherheitsschlaf geweckt, er kommt in Jammer und Not seiner Sünden halber, er wird vielleicht reichlich getröstet, er wird mit herrlichen Einsichten gesegnet, er befindet sich in der Nähe Kanaans, er will gern heimfahren. Aber nun kommt er wohl unter das Gesetz, wo er weder rück- noch vorwärts mehr weiß. Es geht ihm nach der Weise Pauli: „Ich aber starb;“ jedoch so, daß es dann weiter heißt: „Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben.“ „Ich lebe aber, doch nicht ich, Christus lebet in mir.“ Wohlan aber, werdet nur in euren eigenen Augen recht zu Sündern; dann wird Jesus auch erweisen, daß es je gewißlich wahr ist, daß er ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen. Amen.
„Herr, du bist die Hoffnung Israels, du bist die Quelle des lebendigen Wassers! Heile du mich, Herr, so werde ich heil, hilf du mir, so ist mir geholfen! denn du bist mein Ruhm!“ So bekennet und betet im Namen der Kirche Jeremias, Kap. 17,13. Der Prophet nennt Gott die Hoffnung Israels, d. i. denjenigen, auf welchen Israel in allen seinen Anliegen, Bedürfnissen und Bedrängnissen seine Hoffnung setzt, und von ihm Hülfe und Errettung erwartet. Freilich möchte man dagegen einwenden, es mangle ja dem Israel, diesem Armen-Sünder-Haufen, der da bekennen muß: „Wir sind allesamt wie die Unreinen, und unser Gerechtigkeit ist wie ein unflätig Kleid“, oder, wenn wir einen Einzelnen aus ihnen hören wollen: „Siehe, ich bin aus sündlichen Samen gezeuget, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen;“ es mangle ihm an allem Fug und Recht, den Herrn zu seiner Hoffnung zu machen, ihn anzuschreien: „Heile du mich, Herr, so werde ich heil, hilf du mir, so ist mir geholfen,“ so ist das freilich wahr. Statt der Hülfe hat es eher Strafe zu erwarten, Zorn und Ungnade, und bekennt das auch: „Gehe nicht ins Gericht mit deinem Knechte, denn vor die ist kein Lebendiger gerecht.“ Das erkennt Israel mit Mißfallen an sich selbst. Aber so ganz ohne Fug und Recht ist doch die Gemeine keineswegs. Freilich ist das kein ihr selbst anklebendes Recht, denn was soll ich dir tun, o du Menschenhüter! „Ich habe gesündigt“, sie liegt nicht auf eignes Recht vor Gott. Aber wir elende Sünder haben doch ein wohl erworbenes, ein wohl begründetes, ein vollkommenes und überherrliches Recht, auf Gott zu hoffen und uns alles, ja des allerhöchsten Guts zu versehen, mit aller Zuversicht zu versehen. Möchten dagegen auch die bedeutsamsten Einwendungen geschehen, hergenommen von der heiligen Majestät Gottes, vor der Himmel und Erde fliehen, hergenommen aus unserm eignen Leben und Herzen, das von Sünde wimmelt, hergenommen aus unserm eignen Gewissen, das uns verklagt, aus dem Gesetz Gottes, das wir übertreten haben, auch noch sogar immerdar zu allem Bösen geneigt sind, wo nun der Satan noch mächtig zugreift und den schwachen Glauben ans Zappeln bringt: Dennoch haben wir das köstliche Recht, auf Gott zu hoffen und zu sprechen; „Hilf du mir, so ist mir geholfen!“ Dieses Recht hat uns der Sohn Gottes erworben, da er für uns Sünder geworden ist, da er sich mit seiner Gerechtigkeit ins Mittel geworfen, da er uns versöhnet und die Handschrift unserer Sünden ganz getilgt und aus dem Mittel getan hat. In Christo ist Gott unser Freund, unser Freund ist er geworden. Das steht fester als Himmel und Erde, die werden vergehen, aber das Wort des Herrn bleibet ewiglich.
Dies ist nun das Terrain, der Boden, auf welchem Christen stehen, auf dem sie fechten und streiten sollen gegen allen Vorschub an, welcher von irgend einer Seite geschieht, bis auf den Tod. Ach, dieser Fechtplatz werde uns recht familiär und bekannt, wo wir nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sind!
Sondern ihr seid unter der Gnade.
Römer 6,14.
Das ist nun der merkwürdige Gegensatz gegen das Sein unter dem Gesetz, der Weg, daß die Sünde ihrer Herrschaft beraubt wird, der einzige, der zuverlässige Weg. Laßt uns denn auch darüber nachdenken, wo wir sehen, was unter der Gnade verstehen, woraus sich dann von selbst ergeben wird, was das Sein unter derselben mit sich bringt.
Wir nehmen hier das Wort Gnade in seinem weitläufigeren Sinne als den Inbegriff aller Heilsgüter, aller Segnungen, aller Wohltaten für arme Sünder, durch Jesum Christum, unsern Herrn. Sie heißt deshalb auch das Königreich Gottes, das Himmelreich oder das Königreich der Himmel. Die Gnade ist aber nirgend als in Christo Jesu, sie ist durch ihn geworden, er ist davon voll. Es ist die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, sie geht also von ihm aus, und ihm gebühret davon und dafür allein alle Ehre. Darum heißt und ist er in diesem wundervollen und herrlichen Reiche der König, in dessen Hand und Macht alles steht. Wir beten nach seinem Befehl, daß dieses Reich kommen möge, und es ist gekommen und wird kommen. Es sind die Geheimnisse dieses Reichs, die das Evangeliums verkündigt, die durch den heiligen Geist aufgeschlossen werden. Dieses unaussprechlich herrliche Reich nun schließt alle Übel aus, und alles Gute faßt es in sich. Sobald jemand in dasselbe eintritt, wird er augenblicklich aller Übel enthoben, aller Güter teilhaftig; Gutes und Barmherzigkeit folgen ihm, wenngleich auch nicht im völligen Genuß, doch dem Recht und Besitz nach.
Laßt uns aber einige der Übel erwägen, welche aus diesem Reiche verbannt, und einige Güter, welche in demselben einheimisch sind. Verbannt aus diesem Gnadengebiet sind alle übel, wie sie Namen haben, oder, wenn sie noch da sind, so müssen sie zum Guten mitwirken. In diesem herrlichen Gnadengebiet und Königreich der Himmel ist z. B. die Sünde nicht mehr, sondern gehört zu dem alten, was vergangen ist. Wie herrlich sind die Beschreibungen, welche das Evangelium davon macht, wenn wir auf das Allgemeine sehen! Was für Ausdrücke sind das, wenn z. B. gesagt wird, die Missetat sei versöhnt und zugesiegelt, sie sei in die Tiefe des Meeres geworfen, wie eine Wolke vergangen und gleich einem Nebel verschwunden, sie sei auf einen Tag hinweggetan, könne gesucht, aber nicht gefunden werden. Dies sind Redensarten des alten Testaments. Das neue Testament ist nicht weniger vortrefflich hierüber. Die Sünde ist aufgehoben, heißt es in vielsagender Weise; Christus hat unsere Sünde geopfert an seinem Leibe auf dem Holz, er hat uns versöhnet, hat uns abgewaschen mit seinem Blute von unsern Sünden, unser alter Mensch ist samt ihm gekreuzigt, getötet und begraben, um noch stets gekreuzigt zu werden, zu sterben und begraben zu werden oder zu sein und so gehalten zu werden. In diesem Gnadengebiet und Königreich der Himmel kann ferner und insbesondere die Sünde nicht mehr verdammen. Ist sie abgetan und aufgehoben, wie sollte sie dann noch eine solche erschreckliche Gewalt ausüben können und dürfen? Für diejenigen, die in Christo Jesu sind, und die nicht nach dem Fleische leben, gibt es keine Verdammung mehr. Dies erschreckliche Ungeheuer, die Sünde, geht freilich mit wütendem Ungestüm aufs Verdammen los; aber es ist seines Stachels beraubt, nämlich des Gesetzes und des Fluchs desselben. O, herrliches Reich! In demselben zeigt sich ein Gott, nicht wie auf Sinai auf einem Richterstuhl, der alles in Todesangst und Schrecken setzte, sondern auf einem Gnadenthron, und bei demselben ein Lamm, das geschlachtet ist, einer, der für alle gestorben ist, wo wir dann dafür halten, daß sie alle gestorben sind, der uns vor demselben vertritt, wo man also ohne die geringste eigne Würdigkeit fragt: „Wer will verdammen, wer beschuldigen? und antwortet: „Christus ist hier!“ In diesem herrlichen Reiche kann auch die Sünde nicht mehr herrschen, sie mag sich anstellen, wie sie will. Gott selbst hat die Sünde im Fleisch verdammt und sie vom Throne gestoßen, den sie sonst ewiglich inne behalten hätte. Sollten wir deswegen verzagen, weil unsre Sünde über unser Haupt gewachsen und groß geworden ist bis an den Himmel, weil alle unsre eigenen Vorsätze scheitern, und ein Gefecht, wie mit dem Leviathan ist, welcher der bebenden Lanze spottet, Eisen wie Stroh und Erz wie faules Holz achtet, verzagen, weil in uns keine Kraft ist? O nein, die Sünde wird nicht herrschen können über euch, denn ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade. Und es ist eine allmächtige Gnade, die dem ruft, das nicht ist, daß es sei. Wie Gott das Licht hieß aus der Finsternis hervorleuchten, so gibt er einen hellen Schein in die Herzen, wo sonst nichts als Finsternis war. Darum Mut! Gott sei Dank, der uns Sieg gibt, möchten auch gewaltige Niederlagen vorhergehen! Sie kann, sie soll, sie wird nicht herrschen über die, welche unter der Gnade sind. In diesem herrlichen Gnadengebiet ist kein Tod mehr, wenn gleich freilich die Todesgestalt noch bleibet. Mit der Sünde ist auch der Tod aufgehoben; und wo das Eine nicht ist, da kann auch das Andere nicht sein. Es sei fern von uns, daß wir von den Gläubigen sagen sollten, sie stürben; da der Herr Jesus sagt, wer an ihn glaube, der werde leben, ob er gleich stürbe, ja, er werde nimmer sterben. Das Wort Christi stellt sich hier der natürlichen Erscheinung gegenüber, und seine Gläubigen wissen, wem sie am meisten trauen sollen. Ja, das, was noch vom Tode übrig ist, gereicht nur zum größten Vorteil. Es ist der letzte, aber auch vollkommen wirksame Stoß, der dem alten Menschen, der dem Leibe des Todes versetzt wird, und woran er vollkommen und für immer stirbt. Es ist ein Einreißen der Wand und des Gitters, die den Freund uns noch verbargen, und das gänzliche Zerreißen des Vorhanges vor der Herrlichkeit. Kurz, einem Gläubigen kann nichts Erwünschteres widerfahren, als wenn ihm das widerfährt, was man sterben nennt. „Sondern unter der Gnade.“ Unter derselben ist kein Zorn, wovon außer derselben alles in einem verzehrenden Feuer brennt. Uns aber hat Gott nicht gesetzt zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen durch unsern Herrn Jesum Christum. Hier offenbart sich Gott auf eine andere Weise als im Gesetz. Das Gesetz stellt ihn nur in seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit dar, als ein verzehrendes Feuer, dem sich kein Sünder nahen kann. Aber Gott war und ist auch in Christo, die Welt mit sich selbst dadurch versöhnend, daß er ihnen ihre Sünden nicht zurechnet. Da ist er die Liebe und nichts als Liebe in einem solchen Maße, daß es allen Verstand übersteigt, daß der Sohn Gottes selbst darüber erstaunt, daß sie keinem Zweifel und keiner Bedenklichkeit Raum läßt, sondern dem unbegrenztesten Vertrauen Bahn macht. Er offenbart sich hier als gnädig und barmherzig, als ein Gott von vollkommener Seligkeit, als ein Gott, der Missetat, Übertretung und Sünde vergibt, der Gottlose gerecht spricht. Er zeigt sich hier als Vater, als unsern, des Herrn Christi und unsern Vater. So will er von uns angesehen und gehalten sein auch unter Umständen, wo uns Leib und Seele zu verschmachten drohten, ja, wo er sich, wie Hiob redet, in einen Grausamen gegen uns verwandelt zu haben schien. Durch die Sendung seines Sohnes, durch dessen Dahingabe in den Tod hat er seine Liebe ein für allemal so bewährt und über alle Zweifel erhoben, daß seine Allmacht sogar nichts tun kann, wodurch er dies widerlegen könnte. O Seligkeit, zu glauben und zu erkennen die Liebe, die Gott zu uns hat! Wie ungeschickt sind wir dazu, wie zum Mißtrauen geneigt! Hier gibt es einen herrlichen Glaubenskampf, um Freudigkeit zu behalten, selbst auf den Tag des Gerichts. Denn bei mir, spricht der Herr, ist kein Zorn; und so offenbart er sich in dem Gnadengebiet. Herrliches Land! Da ist gut sein, da laßt uns Hütten bauen!
„Sondern unter der Gnade“ seid ihr und also keinem Verderben ausgesetzt. Alles bezweckt nur Segnen und Wohltun, wie dem Jakob und seinem Samen verheißen ist: „Ich will dir Wohltun.“ Freilich gestaltet sich bisher das Reich der Gnade hier auf Erden wie eine Rose unter den Dornen; durch viele und mancherlei Trübsale müssen wir ins Reich Gottes gehen. Christus kündigt jedem, der sein Jünger sein will, an, er müsse sein Kreuz auf sich nehmen und zwar täglich, so daß wohl Leichteres und Schwereres abwechseln. Er selbst hat uns ein Vorbild gelassen, daß wir nachfolgen sollen seinen Fußtapfen. Von diesen Trübsalswegen zu reden, tut jetzt nicht not. Sie stehen aber den Christen so gewiß bevor, daß sich Gott eben durch Züchtigungen gegen sie als gegen Kinder erweiset. Aber sie sind von großem Nutzen, wenn sich derselbe auch nicht alsbald zeigt; sie werden deswegen einer Saat verglichen, die ihre Zeit zum Aufgehen haben muß. Indessen, wie dem auch sei, eigentliche Übel, d. i. solche Übel, die auch nichts als üble Folgen haben, treffen diejenigen nicht, die unter der Gnade sind; vielmehr muß ihnen alles zur Seligkeit mitwirken. Und so groß der Vorteil ist, der in diesen Worten zugesichert wird, so wenig Sicherung gegen irgend eine Unannehmlichkeit bieten sie dar. Wem alles zum Besten dienen muß, dem kann auch alles widerfahren. „Wir werden geachtet wie die Schlachtschafe, als dem Tode übergeben, ein Schauspiel der Welt, den Engeln und den Menschen.“ Ob das aber auch, was diese Welt angeht, bis ans Ende derselben so fortdauern werde, kann man nicht behaupten. Wir gehen einer herrlicheren Zeit der völligen Entwicklung des Seins unter der Gnade entgegen, einer völligen Offenbarung der Kinder Gottes, wie sie bisher noch nie Statt gefunden hat, und in dem Maße, als sie diesseits der Ewigkeit Statt finden kann. Darauf hoffen wir, darnach sehnen wir uns, darum beten wir. „Wir sehnen uns nach der Kindschaft und warten auf unsers Leibes Erlösung.“ „Wir sind wohl Kinder, aber es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden.“
So haben wir denn einige Übel betrachtet, die in dem Gnadengebiet nicht Statt finden; laßt uns nun noch einige Güter erwähnen, die hier regieren. Der Güter sind aber nicht nur einige, sondern alle zusammen. Keines fehlt. Mit Recht sagt deswegen David: „Mir wird nichts mangeln.“
Seid ihr unter der Gnade, so besitzet ihr die vortrefflichste Gerechtsame, die eben sie gewährt. Eine dieser Gerechtsame von vorzüglicher Art bestehet darin, daß das Fordern an euch ist. „Heische von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben, und der Welt Ende zum Eigentum“, heißt es Psalm 2. Zwar ist hier Christus gemeint; aber Christus ist kein Einzelner sondern ein Collectivum, wie er selbst sagt: „Ich und die Kinder, die du mir gegeben hast.“ „Wäre dieses Weizenkorn nicht in die Erde gefallen und erstorben, so wäre es allein geblieben, nun aber bringt es viel Frucht.“ Christus wird vollständig durch seine Gemeinde: Er das Haupt, sie die Glieder. Die Verheißungen, die ihm gegeben sind, gehen auch seine Glieder an, also auch diese: „Fordre, so will ich dir geben der Welt Ende zum Eigentum.“ Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Alles ist euer. O, wie reich und selig wird die Seele, die das einzusehen, zu verstehen, darnach wirksam zu sein, bekommt! Bisher umringt und geplagt von der Menge der Forderungen, die an sie geschahen, und deren keine einzige sie zu erfüllen vermochte, wie sauer sie sich es auch werden ließ, sieht sie sich jetzt in das Gnadenreich versetzt, wo sie nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade ist, wo das Fordern an ihr ist, wo sie umsonst kauft, und ihr unentgeltlich zugeteilt wird, was zum Leben und göttlichen Wandel dient.
„Sondern unter der Gnade.“ In ihrem herrlichen Gebiete ist Gerechtigkeit, welche Paulus als das erste Gut derselben nennt, nicht eine Gerechtigkeit, die selbst erworben werden müßte, sondern die schon erworben ist, nicht Flickwerk, sondern höchst vollkommen, nicht vor Menschen, sondern vor Gott. Er thront hier auf dem Gnadenstuhl, von wo Gnade und Vergebung der Sünden ausgeht, wo der höchste Richter Gottlose gerecht spricht, wo er sich als ein solcher offenbart und als ein solcher erkannt sein will. Dies ist der Grund des Ganzen. Der Gerechtigkeit Furcht ist Friede mit Gott und unserm Herrn Jesu Christo, durch welchen wir nun die Versöhnung empfangen haben. Hier wird eine bewunderungswürdige Kraft mitgeteilt, durch welche Dinge ausgerichtet werden, die sonst unmöglich wären, indem sie in den Schwachen mächtig ist. So rühmen wir uns am liebsten unserer Schwachheit, auf daß die Kraft Christi bei uns wohne; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark. Ja, damit wir alles in eins zusammen fassen: Christus selbst wird hier gegeben, daß er in uns wohne und in uns wandle, daß er selbst sei unsere Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. wie unmöglich kann da die Sünde herrschen! O, welch' ein herrlicher Stand ist denn doch der Stand, nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade zu sein! Keine Zunge kann dessen Vortrefflichkeit aussprechen, kein Verstand denselben erreichen, keine zeitliche Erfahrung ihn erschöpfen. Ja gewiß, kein Auge hat gesehen, kein Ohr hat gehört, und in keines Menschen Herz ist gekommen, das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.
Eurer nicht wenige befinden sich in diesem glückseligen Stande; einige in dem fröhlichen, standhaften, versiegelten Bewußtsein; ihr Herz ist fest geworden durch Gnade; einige in überschwenglicher Empfindung; sie schmecken und sehen, daß der Herr freundlich ist, darum glauben sie auch; einige in greller Abwechslung, daß sie, mit dem 107. Psalm zu reden, bald gen Himmel fahren, bald in die Tiefe fahren; etliche mehr im Hunger und Durst, als im Genuß, oder wohl in der Dürre nach dem Genuß, oder in Anfechtung mancher Art. O, selige Seelen, die ihr unter der Gnade seid!
Sollte das nicht aller brünstigstes Verlangen sein, unter diesen köstlichen Schirm zu gelangen? Und doch ist' s nur bei den wenigsten. Wie kläglich! O, es werde doch euer rechter, ganzer Ernst, daß ihr in der Weise dahin gelangt, daß die Sünde nicht herrschen könne über euch, sondern daß die Gnade in euch herrsche zum Leben! O, wie werdet ihr dann so selig sein! Hosianna dann! Mach selig! Amen.
Eine stetige Heiligkeit wird diesseits der Ewigkeit auch bei den Kindern Gottes, außer derjenigen ihres inneren Seelengrundes, nur in sehr seltenen Fällen, wenn überhaupt jemals (vgl. jedoch Off 15,1-3) angetroffen. Trotz aller Läuterungsprozesse, die wir durchgegangen, ist kaum etwas Sündliches zu nennen, das nicht anfechtungsweise aufs neue in uns auftauchen kann; bei unverblendeten Augen gelangt kein noch so bewährter Christ zu dem Bewußtsein, daß er nunmehr vor Gott in eigner Tugend gerechtfertigt bestehen könne, im Gegenteil, wenn unser inneres Leben ein gesundes ist, geschieht uns nach dem Wort des Täufers: wir nehmen ab, Christus aber muß wachsen. Die freie Gnade steigt für uns im Preis; je länger, je mehr wird der am Kreuze unser einziger Trost und unsere ganze Hoffnung; aber darum auch der Friede, der höher ist als alle Vernunft, unser volles und unverkürztes Erbe.
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Im Kreuzgewann 4
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