06. Juni1985
29.
Ludwig-Hofacker-Konferenz
Ganz am Anfang meines
Studiums, bei einem meiner ersten Gemeindebesuche als Student im ABH, fand ich
auf dem Büchertisch eine Einladung. Auf der Vorderseite stand nur: „ Wenn einer
Theologie studiert…“ Dieser offene Satz wurde mir zu einer typischen Beschreibung
des Theologiestudiums. Wer heute Theologie studiert – da ist die Entwicklung
völlig offen. Dies war auch für mich eine belastende Frage. Wie würde ich mich
während des Theologiestudiums entwickeln?
Im Innern der Einladung
wurde der Satz fortgesetzt. „ Wer heute Theologie studiert steht vor vielen
Fragen.“ Ich erfuhr selber, wie viele Fragen auf einen während des Studiums
einstürmen, insbesondere die Frage des Bibelverständnisses. Ich möchte nun zwei
Punkte nennen, die mir im Studium eine Hilfe waren.
1. Ich habe gelernt, dass
ich nicht alle Fragen beantworten muss. Besonders am Anfang des Studiums
stellen sich einem eine Menge Fragen. Diese wollen beantwortet sein, bzw.
werden einem Antworten angeboten, z. T. eben auch in einer der Bibel gegenüber
kritischen Weise. Es ist ein richtiger Druck, in einer kurzen Zeit auf so viele
entscheidende Fragen eine Antwort zu finden.
Für mich persönlich war
eine Erleichterung zu lernen: Ich muss jetzt, in dieser gedrängten Zeit des
Studiums, nicht auf alles eine Antwort finden, ich kann ruhigen Gewissens
Fragen offenlassen. Dies galt vor allem dann, wenn ich merkte, dass die
angebotenen Antworten mit der Bibel im Widerspruch standen, ich sie innerlich
einfach nicht übernehmen konnte, ich selber aber auch keine befriedigende
Lösung bereit hatte.
Dazu kam ergänzend eine
andere Erkenntnis. Die Beantwortung theologischer Fragen ist nicht nur eine
Sache des Verstandes, obwohl man diesen gebrauchen soll. Theologische und
biblische Fragen sind geistliche Fragen. Geistliche Fragen sind aber nicht auf
einen bestimmten Zeitpunkt beantwortbar, das
geschieht in einem geistlichen Hineinwachsen. Da gilt es aufzumerken, was Gott
mir zeigen will und was noch nicht.
2. Ich habe die Gefahr
erkannt, die Bibel von außen her, von einem System her zu lesen und zu
verstehen.
Im Studium hört und liest
man unheimlich viel. Aber es ist doch mein Eindruck, dass durch die viele
Literatur über die Bibel die Arbeit an der Bibel oft zu kurz kommt. Die Gefahr
besteht, nicht nur für Theologen, dass man die Bibel von einer Theologie her,
von einer bestimmten Tradition her, von einem bestimmten Ausleger her versteht;
also immer durch die Brille eines anderen. Oft merkt man gar nicht, wie schnell
es zu Verkürzungen oder Erweiterungen kommt, wie oft eine Aussage der Bibel
einseitig betont und der Rest vernachlässigt wird. Angesichts dieser Gefahr, in
der jeder steht, wurde mir eine Mahnung wichtig am Anfang und am Ende der Bibel:
nichts hinzuzufügen und nichts hinweg zutun. In diesem Sinne wollte ich zwei
Grundregeln festhalten für mein persönliches Arbeiten und Studieren: allein die
Schrift und die ganze Schrift.