Dr. Heiko Krimmer, Tübingen

18. Juni 1987

31. Ludwig-Hofacker-Konferenz

Ein Brief Gottes an uns

 

Gott schreibt an uns. Er selbst. Nicht irgendein untergeordneter fünfter oder sechster Engel sagt da etwas. Der allmächtige, lebendige Gott selbst redet uns als seine Menschen an. Bengel sagte das so „Die Bibel ist ein Brief Gottes, geschrieben an uns“

 

Gott selbst redet

 

Die Bibel ist ein Lebensbuch hinein in unser ganz persönliches Leben. Wir haben das Staunen verlernt und das Loben über dem biblischen Wort. Wir sind so schnell dazu gekommen, dass wir das für so ganz normal halten. Nein, das biblische Wort ist ein Brief Gottes an uns. Wie kostbar ist z. B. einem jungen Mann ein Liebesbrief, natürlich von entsprechender Hand geschrieben. Da wird er nicht zunächst einmal den Stil kritisieren oder kritisieren, dass da ein feuchter Fleck darauf ist, vielleicht sogar ein Tintenfleck. Sondern er wird diesen Brief auswendig lernen, aufnehmen in sich. Gehst du so mit deiner Bibel um? Ist dir das Wort Gottes solch eine Speise, solch etwas, was in dein Leben hinein geht? Greifst du nach diesem Wort in Spannung und Freude: Was will mir mein Herr heute sagen? Was will er mir heute schenken? Wie will er mich heute führen und leiten? Wir leben so gelangweilt. Wisst ihr, das liegt nicht an der Bibel!

Wenn dir die Bibel nicht mehr wirkliche Speise ist, wenn du kein Verlangen, keine Sehnsucht mehr hast, dieses Wort in dich aufzunehmen, dann fehlt es in deinem und meinem Leben an der Liebe zu Jesus. Dort fehlt's. Wisst ihr, die Quelle der Freude an der Bibel ist die Lebensbeziehung zu Jesus. Dann lasst uns unsere Hände falten und sagen: „Herr Jesus Christus, in meinem Leben, da gibt es eine Not: ich bekenne das vor dir. Ich liebe dich nicht mehr richtig: meine Liebe ist am Erlöschen. Deshalb sagt dein Wort nichts mehr. Deshalb kommen mir deine Worte, die du mir gibst, so langweilig vor. Deshalb zieht's mich nicht mehr zur Stillen Zeit!“ Weißt du, dort musst du ansetzen: Sag's deinem Herrn! Wo wir unseren Herrn wieder lieb gewinnen und uns von seiner Liebe anzünden lassen, da wird mir sein Wort wieder ganz neu lebendig, da wird es wirklich wieder zur Speise meines Lebens.

 

Die Bibel ist Gott-durchatmet

 

Die Inspiration, wie das im Fachausdruck heißt, die Geistdurchhauchung der Bibel ist die Fortsetzung der Inkarnation, der Fleischwerdung Gottes. Das Wort ward Fleisch. So ist es dem Menschen damals gegenübergetreten, das fleischgewordene Wort Gottes in der Person Jesu Christi; und so tritt es uns heute gegenüber, dieser Christus als fleischgewordenes Wort in der Bibel. Es ist die Barmherzigkeitsgottesbewegung zu uns hin. Keiner muss im Zweifel bleiben, was Gott mit uns Menschen vorhat. Du brauchst auch nicht irgendwo auf das Rauschen des Windes achten. Wir müssen nicht wie die alten Ägypter Stiere schlachten und schauen, wohin das Blut rinnt. Wir müssen nicht wie die Leute dort in Indien, die Jesus noch nicht kennen, Hühner schlachten und schauen, ob denn der Leib noch zuckt. Sondern dann dürfen wir hineinschauen in das biblische Wort. Da steht's klar und eindeutig drin, was Gott für dein und mein Leben will. Das biblische Wort ist Gott-durchatmet. Das heißt aber auch: Gott redet durch Menschen, durch Menschen in ihrer Originalität und Eigenart. Aber Gott redet durch sie; er gebraucht sie. Es sind nicht die mehr oder weniger klugen Gedanken eines Paulus oder Petrus oder Matthäus oder wer diese Schreiber alle waren, sondern es ist das, was Gott ihnen gegeben hat, damit sie es uns weitergeben. Sie sind Gebrauchte und Durchheiligte, in dem, was sie da sagen; sie sind Werkzeuge Gottes.

Wisst ihr, heute tut man das so oft ab, dass man sagt: „Ach diese buchstabengläubigen Pietisten!“ Aber Inspiration bedeutet ja nicht das: Da saß der Paulus bei Priska und Aquila am Küchentisch; dann ist er eingeschlafen. Aber plötzlich hat seine Hand zu zucken angefangen. Als er nach einer guten Stunde aufgewacht ist, hat er die Augen aufgerissen und hat gerufen: „O Wunder, schon acht Kapitel vom Römerbrief fertig. Hoffentlich schlafe ich bald wieder ein, dass ich bis Kapitel 16 komme!“ Das ist doch ein Unsinn! So etwas meint doch nicht Inspiration. Sondern Paulus, der Mann Gottes, der umgedreht wurde von Gott, der hat nun gehört, was Gott Ihm gesagt hat; das hat er im Gehorsam auf Gottes Reden hin aufgeschrieben. So wie einst zu Jeremia gesagt wurde: „Du sollst das reden was ich dir sage!“ Das biblische Wort ist Gott-durchatmet, nicht die Schreiber! Die Boten sind „Briefträger“. Was vom Briefträger verlangt wird ist ganz schlicht und einfach: Er überbringt ohne Kommentar pünktlich und genau den Brief.

 

Uns zum Heil

 

Das Gottdurchatmete Wort ist nicht in erster Linie eben „Mitteilung“; es ist vielmehr eine Wachstumsspritze. Das biblische Wort ist wie ein Gottesregen in unser Leben hinein. Wir sind oft so verdorrte und dürre Christen. Das biblische Wort aber ist „nütze“ – da wächst der geistliche Mensch drunter. Darf ich dich wieder so direkt fragen: „Wächst du denn? Wächst du?“ Nicht dass du jetzt mit stolzgeschwellter Brust dich vorzeigst und sagst: „Seit der Hofackerkonferenz letzten Jahres bin ich ein besserer Christ!“ Das ist überhaupt nicht die Frage. Sondern es ist die Frage, ob deine Liebe, ob dein Vertrauen, ob dein Zeugnis wächst. Die Frage ist, ob du dem Herrn nützlicher bist für den Dienst.

Das biblische Wort ist nütze zunächst zur Lehre, zur „didaskalia“. Auch hier nicht ist als erstes im Blick die Wissensvermittlung. Sondern wörtlich heißt dies im Griechischen: Einen Chor einüben! Wisst ihr, das ist der Wachstumsschub. Das geschieht, wo das biblische Wort verkündigt wird: Wir werden eingegliedert in den Leib. Wachstum geschieht hinein in die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern. Dazu ist das biblische Wort nütze. Kirche und Gemeinde, das ist kein Interessenverein. Wenn ich Interesse an Briefmarken habe, dann trete ich einem Briefmarkensammelklub bei. Wenn mir Hasen gefallen, gehe ich zum Hasenzüchterverein. Das sind einzelne Interessen. Aber es wäre grundfalsch zu sagen: „Wenn ich religiöse Interessen habe, dann gehe ich zur Kirche, dann gehe ich zur Hofackerkonferenz!“ Wo uns das Wort Gottes greift, wo uns der Herr begegnet, da werden wir eingefügt in den Leib Jesu Christi. Wenn mich Briefmarken nicht mehr interessieren, dann trete ich wieder aus aus dem Verein, und wenn meine Hasen alle eingehen und ich nicht mehr weitermachen will, dann lasse ich das auch. Aber ich kann nicht ebenso einfach austreten aus dem Leib Christi. Ich kann nicht einfach sagen: „Es ist ja eigentlich Vergeudung, dass ich zehn Finger habe, ich brauche ja nur zwei oder drei zum Schreiben; die restlichen mache ich mir weg, dann muss ich mir nicht so oft die Nägel schneiden!“ Ich kann doch nicht einfach Finger wegmachen. „So ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit." Wir sind nicht ein religiöser Interessenverein! Das wirkt die Schrift, das ist der Wachstumsschub. Christen erkennt man an dem, darf ich es so sagen, dass dieses Mitleiden und Mitlieben wächst.