Ostergewissheit

Von Pastor Heinrich Kemner (1903-1993)

 

Ostergewissheit

In einer Vorlesung sprach Karl Barth einmal davon, dass das Osterereignis eine schmale historische Breite habe. Wenn man die Kette der Osterzeugen überschaut, besonders die im ersten Korinther 15 genannten, ist das wahrlich keine schmale Breite. Im Jahre 62, als Paulus den Korintherbrief schrieb, lebten nicht nur einige Frauen, die dem Auferstandenen begegnet waren, sondern wahrscheinlich waren noch viele hundert Zeugen am Leben von den erwähnten 500 Brüdern, die dem Auferstandenen begegnet waren. Aber wie dem auch sei, das Osterereignis, als das Wichtigste der Weltgeschichte, wird nicht dadurch überzeugender, dass man die Kette menschlicher Zeugen möglichst breit fächert und mit wissenschaftlicher Gründlichkeit das Für und Wider abwägt. Das Osterereignis ist für jeden, der in Jesus von Nazareth den Christus Gottes entdeckt und durch ihn zum lebendigen Glauben findet, das Postulat der christlichen Existenz überhaupt.

Johannes berichtet, dass Jesus erst in dem Augenblick den Weg zum Kreuz ging, als er wusste, dass der Vater ihm alles in seine Hand gegeben hatte. Wer immer Gott Gott sein lässt, wie Luther sagt, der findet hier eine Logik, die es uns verständlich macht, dass Jesus in das Tal der Gottesfinsternis hinabstieg in der Gewissheit, dass die Erlösung, die durch sein Kreuz erfunden wurde, im Osterereignis vom Vater beglaubigt werden musste. Wenn schon Abraham sein Glaube, im Falle von Isaaks Opferung, mit der Gewissheit, dass Gott seinen Sohn wieder auferwecken könne, zur Gerechtigkeit gerechnet wurde, wie viel mehr ist dann im Glaubensweg Jesu zum Kreuz die Antwort nach Ostern nicht nur gesucht, sondern der Kern seiner Sterbensgewissheit überhaupt.

Mir will oft scheinen, dass unsere Kirche und glaubende Gemeinde weithin die Kraft des Osterjubels verloren hat. Wer dem Auferstandenen begegnet ist, der singt mit Paul Gerhardt: Die Welt ist mir ein Lachen …! Wer dem Auferstandenen begegnet ist, der lebt in einer anderen Bewegung, der deutet alles aus einer erfüllten Wirklichkeit. Die Sehnsuchtshoffnung einer bloßen Mitmenschlichkeit ohne Ostern ist Selbsterfassung im Unglauben. An der Bewegung der Kirche und an ihrer Gewissheit deutet sich, ob gelebte Zeit überholte Zeit ist.

Ach, dass uns der Herr wieder Osterzeugen schenken wolle, wie einst in der Väter Zeiten. Ach, dass wir wieder Vollmacht fänden zu dem Siegesruf: Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden! Lebst du in dieser Ostergewissheit? Nun, es entscheidet sich daran, ob du mit Johannes bezeugen kannst: Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Anders gesprochen: Im paulinischen Zeugnis entscheidet es sich daran, ob du in einer Welt voll Angst und Ungewissheit wie eine heilige Provokation es ausrufen kannst: „Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesus Christus'“ – „Darum seid fest und unbeweglich und nehmet immer zu im Werk des Herrn, denn ihr wisset, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.“

Heinrich Kemner, Erweckliche Stimme, April 1982, Nr. 4