bMüI £ rz E a a a E a a a a äl a a a a a GEORG KONRAD RIEGER IMMANUEL GOTTLOB BRASTBERGER Predigten unö Zcugntffc a a a a a a a a a a a a a a a a a a ä] BAND IX/X ZEUGNISSE DER SCHWABENVÄTER a a a a El □ Der vorliegende Doppelband enthält Auszüge aus den Predigten von Georg Konrad Rieger (1687— 1743) und Immanuel Gottlob Brast-berger (1716 — 1764). Beide waren zu ihrer Zeit bedeutsame Erwek-kungsprediger des Schwabenlandes, die durch ihre Predigtbücher bis in das 20. Jahrhundert hinein nachgewirkt haben. Es ist nicht von ungefähr, daß die Theologen der Erweckungsbewegung wie Büchsei, Volkening, Schmalen-bach, Christlieb und andere sich immer wieder um Neuauflagen der Schriften jener Prediger bemüht haben. Th. Christlieb nennt Rieger einen »der feurigsten und begabtesten Prediger der ganzen deutschen evangelischen Kirche«, und Paul Zeller spricht von Brastberger als einem »der wichtigsten württem-bergischen Väter, der heute noch in weiten Kreisen, namentlich in Württemberg segensvoll fortwirkt«. Brastbergers »Evangelische Zeugnisse« sind so oft nachgedruckt worden, daß ihre Auflagenhöhe wahrscheinlich, die des Hofacker-schen Predigtbuches noch übertrifft. Auch Riegers Schriften haben weite Verbreitung gefunden. Die Zeugnisse und Schriften der beiden Prediger waren bei den Stillen im Lande sehr beliebt. Es ist verständlich. Eher begegneten ihnen GEORG KONRAD RIEGER IMMANUEL GOTTLOB BRASTBERGER Preöigten unt> Zeugniffe VERLAG ERNST FRANZ M ETZ I N G E N/W ÜRTT. Band IX/X Herausgegeben und mit Einführungen und Anmerkungen versehen von Dr. theol. J. Roessle Copyright 1964 Franz-Verlag. Alle Rechte Vorbehalten. Printed in Germany Gedruckt bei Ernst Franz, Metzingen/Württ. Georg Konrad Riegei GEORG KONRAD RIEGER 1687-1743 Georg Konrad Rieger, den man den bedeutendsten Prediger Württembergs im Zeitalter des Pietismus genannt hat, wurde am 7. März 1687 in Cannstatt als Sohn eines Weingärtners geboren1. Von früher Kindheit an lebte in ihm der Wunsch, Pfarrer werden zu dürfen. Der Vater war mit der Berufswahl seines Sohnes nicht einverstanden; es dauerte lange, bis er seinen Widerstand aufgab und die Erlaubnis zum Studium der Theologie erteilte. Der junge Rieger konnte nach der Überwindung aller Schwierigkeiten von 1702—1706 die theologischen Seminare in Blaubeuren, Maulbronn und Bebenhausen besuchen. Im Jahr 1706 wurde er in das Theologische Stift in Tübingen aufgenommen. Damals lehrten dort die Professoren der Theologie Andreas Adam Hochstetter, Christoph Reuchlin und der Kanzler J. W. Jäger. Am meisten fühlte er sich zu Hochstetter hingezogen, den A. H. Francke »unter seine liebsten Freunde« zählte. Rieger, der inzwischen die Magisterprüfung abgelegt hatte, bestand im Jahr 1710 das theologische Examen vor dem Konsistorium in Stuttgart. Nach der Prüfung war er einige Jahre als Hauslehrer in der Familie des Tübinger Professors Harpprecht tätig, bis er 1713 als Repetent nach Tübingen und zwei Jahre später als Stadtvikar nach Stuttgart berufen wurde. Im Spätherbst des Jahres 1717 kam A. H. Francke auf seiner »Reise ins Reich« auch nach Stuttgart. Rieger legte bei einer Begegnung dem berühmten Theologen die Frage vor: »Wie predige ich am erbaulichsten?« Francke erwiderte ihm: »Ich muß allemal so predigen, daß, wann mich einer nur dieses einzige Mal hörte und darüber hinstürbe, er nicht nur etwas, sondern 1 Einen kurzen Lebenslauf hat Rieger auf seinem Krankenbett diktiert. Er beschließt ihn mit folgenden Worten: »Mein ganzer Lebenslauf steht in jenem Sprüchlein: Ich bin ein armer Sünder! Und die letzte Nachricht von mir soll diese sein: Jesus Christus hat ihn selig gemacht!« den ganzen Weg zur Seligkeit in der rechten Ordnung, wie es im Herzen aufeinander geht, auf einmal gehört hat.« Die Kirchenbehörde, die auf den begabten jungen Theologen aufmerksam geworden war, wollte ihm die Stelle eines Klosterpräzeptors in Bebenhausen übertragen und ihm damit den Weg in die wissenschaftliche Laufbahn öffnen. Rieger dagegen fühlte sich zum Predigtamt hingezogen und bat die Behörde, daß sie ihn von der Übernahme des Amtes befreien möchte. Kurz darauf wurde ihm die zweite Pfarrstelle in Urach übertragen2. Hier entfaltete er als Prediger und Seelsorger bald eine gesegnete Tätigkeit. In seinem Hause richtete er eine Erbauungsstunde ein, in der er Speners Schrift: »Einfältige Erklärung der christlichen Lehre nach Ordnung des kleinen Katechismus Luthers«3 seinen Andachten zugrundelegte. Nach kaum drei Jahren mußte er die Uracher Gemeinde verlassen; denn seine Behörde hatte ihn in eine neue Arbeit als Professor am Gymnasium und als Mittwochsprediger an der Stiftskirche nach Stuttgart berufen, wo er über zwei Jahrzehnte wirken durfte. Im Auftrag des Konsistoriums legte er in seinen Wochenpredigten das Evangelium des Matthäus aus. Er hat in seinem Leben etwa tausend Predigten über dieses Evangelium gehalten, wiewohl er mit seiner Auslegung nur bis zum 19. Kapitel gekommen ist. »Der Herr«, so bekannte er gelegentlich, »hat mir manche Erquickung unter dem Nachsinnen und viel Trost und Aufmunterung beim Halten dieser Predigten geschenkt«. Über manchen kleinen Textabschnitt hat er acht bis zehn Predigten gehalten. Einen Teil seiner Predigten über das Matthäus-Evangelium hat er im Lauf der Jahre 2 Im Jahr 1718 trat er in den Ehestand mit Regina Dorothea Scheinemann aus Stuttgart. Von den beiden Söhnen, die dieser Ehe entstammen, ist der ältere der bekannte Oberst Philipp Friedrich Rieger, der als Staatsgefangener lange Jahre hindurch in unwürdiger Haft auf der Festung Hohentwiel gefangen saß. Er starb, nachdem ihn der Herzog begnadigt hatte, 1782 als Kommandant der Festung Hohenasperg. Der jüngere Sohn, Carl Heinrich Rieger, ist der bekannte Schriftausleger, dessen »Betrachtungen über das Neue Testament« im 19. Jahrhundert zahlreiche Auflagen erlebten. 3 Diese Schrift Speners erschien 1677. Sie wurde von J. A. Detzer 1827 und 1833 neu herausgegeben. im Druck erscheinen lassen. Es handelt sich dabei um die Predigtsammlungen: »Die Kraft der Gottseligkeit in Verleugnung seiner selbst« und die »Betrachtungen von der herzlichen Sorgfalt des himmlischen Vaters und seines Sohnes auch nur um eine einzige Seele«. Nach seinem Tode erschienen die Predigtbände »Richtiger und leichter Weg zum Himmel« und »Die Geschichte von der Verklärung Jesu Christi«, denen Texte aus dem Matthäusevangelium zugrundeliegen. In jenen Jahren stand er als Seelsorger in besonders herzlicher Verbindung mit Beata Sturm4, deren pietistisch-mystische Frömmigkeit ihn stark beeinflußte. Ihre Lebensgeschichte hat er ausführlich beschrieben in dem Buch: »Die württembergische Tabea oder das merkwürdige äußere und innere Leben der weiland gottseligen Jungfrau Beata Sturmin« (1730). Das Buch hat damals 1732 und 1737 Neuauflagen erlebt. Im 19. Jahrhundert hat es Carl Friedrich Ledderhose5 nach gründlicher Überarbeitung noch einmal herausgegeben. Das Jahr 1733 brachte ihm einen erneuten Stellenwechsel; denn er wurde zum Stadtpfarrer an der Leonhardskirche ernannt. In welchem Sinn er sein neues Amt zu führen gedachte, das zeigen die folgenden Worte in seiner Antrittspredigt: »Weil ich aber nicht das Meine, sondern das, was Jesu Christi ist, bei euch suche, nicht eure ohnehin fast abgeschorene Wolle, nicht eure fast ausgemolkene Milch, sondern eure übriggebliebenen Seelen, eure köstlichen und unschätzbaren Seelen, darum traue und glaube ich, daß ich sie finden, daß ich wenigstens manchen finden werde; und wieviel habe ich gefunden, wenn ich'eine Seele gefunden habe!« Diese Worte zeigen auch, daß Rieger nicht an den politischen Ereignissen seiner Zeit gleichgültig vorübergegangen ist. Die Ausdrücke »fast abgeschorene Wolle« und »fast 4 Über Beata Sturm siehe auch: J.Roessle: Von Bengel bis Blumhardt, 3. Auflage, Seite 101—108. 5 C. Fr. Ledderhose: Beata Sturm, genannt die Württembergische Tabea, nach ihrem Leben dargcstellt. Das Büchlein erlebte eine Auflage von 16 000 Exemplaren. ausgemolkene Milch« beziehen sich auf die Mißwirtschaft des Herzogs Eberhard Ludwig und seiner Mätresse, der Landhofmeisterin von Grävenitz. Das Land konnte damals aufatmen; denn 1733 war Herzog Eberhard Ludwig gestorben. Wie sehr Rieger für politische, vor allem auch für staatspolitische Fragen aufgeschlossen war, zeigt seine Schrift: »Moralisch-theologische Belehrung von dem eigentlichen Ursprung des bürgerlichen Regiments« (1733). Am Sonntag vor der Hinrichtung des ehemaligen Finanzministers Süß Oppenheimer, die am 4. Februar 1738 in Stuttgart stattfand, hielt er seine berühmte Predigt über Matthäus 20, 8. In ihr warnte er die Gemeinde vor Haßgefühlen und ermahnte sie zur Buße und Besinnung. In seinem Schlußgebet gedachte er des Verurteilten, den er wiederholt im Gefängnis besucht hatte, und forderte die Zuhörer auf, daheim mit der Fürbitte fortzufahren: »Solche Liebe sind wir einem Juden um eines einzigen Juden willen, um Jesu Christi, unsers hochgelobten Heilandes willen, schuldig«. Die Predigt erschien als Sonderdruck unter dem Titel »Gute Arbeit gibt herrlichen Lohn«. Neun Jahre später berief ihn das Konsistorium zum Pfarrer an der Hospitalkirche und übertrug ihm das Dekanatamt. Im gleichen Jahr erschien sein umfangreiches Predigtwerk: »Herzenspostille oder zur Fortpflanzung des wahren Christentums im Glauben und Leben über alle Fest-, Sonn- und Feiertags-Evangelien gerichtete Predigten«. Merkwürdigerweise wurde das Buch außerhalb des Landes im Verlag des Züllichauer Waisenhauses gedruckt. Einen Neudruck des Buches, das Riegers Ruhm als Prediger begründete, veranlaßte 1843 Pfarrer Johann Hinrich Volkening, der Erweckungsprediger des Ravensberger Landes. Nur noch kurze Zeit konnte Rieger sein Amt versehen. Am 22. März 1743 erlitt er einen Zusammenbruch seiner Kräfte, von dem er sich nicht mehr erholen sollte. Er selber fühlte, daß der Herr ihn heimholen wollte. Geduldig ergab er sich in Gottes Willen und legte in seiner Leidenszeit ergreifende Zeugnisse des Glaubens ab. Am Dienstag vor Ostern empfing er auf seinem Krankenlager das Heilige Abendmahl. Nach der Feier sprach er bewegten Herzens: »Nun, was soll ich mehr verlangen? Mich umströmt die Gnadenflut!« Als er am Tage darauf sehr um Luft ringen mußte, sagte er zu einigen Freunden: »Nun, ich sterbe, und Gott wird mit euch sein. Ich besiegle das Evangelium, das ich gepredigt habe, mit meinem Tod; und es reut mich kein Wort«. Ein wenig später bat er sie um ihre Fürbitte: »Unterstützt mich vollends mit eurer Liebe und Kraft, bis es gar überwunden ist. Ich bin wie eine ausgetrocknete Scherbe. Ich weiß nicht, wie lange es noch währt; bleibt bei mir abwechslungsweise und seid Zeugen meines Glaubens bis an mein Ende!« Dann wieder bat er, daß man singen möchte zum Lob der Engel, die ihn abholen werden: »Es sind zwei Heere wie bei Jakob. Ihr seid das eine; überliefert mich mit Beten und Singen an das andre Heer, nämlich an die heiligen Engel!« Am Osterfest sprach er zu seiner Frau: »Liebes Kind, ich sterbe und hätte noch viel zu reden; aber halte dich an Christus allein und behalte ihn!« Am Abend bekannte er bei zunehmender Schwäche: »Es ist immer das Alte. Ich bin eben der arme Sünder, der Gnade bekommen hat, der arme Sünder, der errettet worden ist, der arme Sünder, den er selig gemacht hat; und wenn man's tausendmal umkehrt, so ist es immer das Alte. Mir ist nichts groß und nichts ansehnlich als Jesus allein!« Als ihm in der letzten Leidenszeit das Atmen außerordentlich schwer wurde, meinte er: »Das gehört zu dem ängstlichen Harren der Kreatur.« Einer der Anwesenden ergänzte ihn mit den Worten: »Welche wartet auf die Freiheit der Kinder Gottes.« Ricger er^ widerte: »Auf die herrliche Freiheit! Dieses Wörtlein wollen wir nicht weglassen!« Zu einem andern, der ihm das Wort vorhielt: »Sprich du zu meiner Seele: Ich bin deine Hilfe«, sagte er: »Es heißt eigentlich: Ich bin dein Jesus!« Seinem Schwiegersohn, Pfarrer Ludwig David Cleß, verdanken wir einen Bericht über die letzten Stunden des großen Predigers: »In dieser seiner letzten Nacht fing er von morgens ein Uhr an, je länger je mehr zu erstarren. Gegen fünf Uhr wurde man eines Brandmals am linken Fuß und gegen sechs Uhr eines an der linken Hand gewahr. Man brachte die ganze Nacht mit ihm unter Beten und Singen zu, wie er befohlen hatte, daß man ihn den Chören der heiligen Engel entgegenbringen und mit Gesang an sie überliefern solle, und obschon er die Sprache fast völlig verloren hatte und das Kinn ihm bereits merklich steif zu werden anfing, so faßte er doch nicht lange vor seinem Ende auf die Frage eines ihm werten Freundes, wie ihm sei und ob die Wunden Jesu recht offen stünden, noch alle seine Kräfte zusammen und sagte mit vernehmlicher Stimme: >In Absicht auf mich, ja freilich !<« Am 16. April 1743 ist er in den Morgenstunden selig entschlafen. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Friedhof an der Hospitalkirche. Dankbare Liebe ließ auf den Stein, der sein Grab schmückte, die Worte setzen: »An Aarons Tage starb ein Aaron unsrer Zeit; er war von Jugend auf dem Dienst des Herrn geweiht. Wie stark sein Geist, sein Glaub', sein Licht gewesen, das kann ein jeder noch aus seinen Schriften lesen. Sein Glaub' und Hoffnung, sein Wort und Leben steht in seinem Leichentext: 1. Timotheus 1, 15.« Rieger war in der Tat eine priesterliche Erscheinung, voll des Eifers, durch Predigt und Seelsorge Menschen für Jesus zu gewinnen. Seine Predigten tragen einen ausgesprochen evangeli-stischen Charakter, der immer auf Entscheidung und Bekehrung drängt. Er berührt sich hierin mit Immanuel Gottlob Brastberger, der ihn sehr schätzte. Rieger umschreibt das Ziel seiner Predigt in der Vorrede zur Herzenspostille mit folgenden Worten: »Ich suche überall Christus zugrunde zu legen, seine überschwengliche Erkenntnis und die unvergleichliche Herrlichkeit in ihm den Seelen zu offenbaren, eine würdige Hochachtung ihres allerteuersten Heilandes zu erwecken, den Unglauben anzugreifen, den Glauben zu pflanzen, dessen Güter auszubreiten, mit ihnen die Zuhörer willig zu machen, sich zu entschließen zu einem recht- schaffenen Christentum, und die Quelle anzuweisen, aus der sie alle Kraft zu einem göttlichen Leben schöpfen können. Auf dieser Grundlage suche ich beides, die Glaubenslehren und Lebenspflichten abzuhandeln. Ich behalte, dünkt mich, den Faden meines Textes immer in der Hand, um desto leichter und deutlicher die Hörer von den jeweiligen Wahrheiten zu überzeugen ... Es will sich aber auch hie und da eine gegenteilige Lehrart äußern, da man mit einer gewissen Schärfe nur den Verstand poliert und den Willen verrosten läßt, da man mit einem spitzen Eisen bohrt, das aber nicht glühend ist, da man in einer Predigt den Namen Christi kaum einmal buchstäblich nennt, ihn auch gar nicht evangelisch und in der Kraft anführt. Nun, wer wollte sich Gründlichkeit nicht Wohlgefallen lassen? Wer wollte genaue Bestimmungen, deutliche Erklärungen, ordentliche Verknüpfung der Gedanken und der Wahrheiten, richtige Schlüsse, bündige Überzeugungen verachten? Man müßte zuerst die Heilige Schrift verachten; denn wo ist ein Buch in der Welt, das bestimmter lehrt, gründlicher beweist, deutlicher unterscheidet, bündiger schließt und überzeugender zwingt als eben die Schrift, wenn sie recht verstanden wird? Nur sollte des Moralisierens weniger und des Evangelisierens aber mehr geschehen.« Das sind ohne Zweifel Worte, die für unsere Tage erneute Bedeutung gewinnen. Rieger war ein Meister der Sprache, dem ein außerordentlicher Reichtum an Worten, Bildern und Sprichwörtern zur Verfügung stand. Er verfügte außerdem über eine ausgezeichnete Kenntnis der theologischen Literatur alter und neuer Zeit. Die Schriften der Kirchenväter und vor allem die Werke Martin Luthers hat er fleißig studiert. Das pietistische Schrifttum seiner Zeit ist ihm wohl vertraut. Da finden wir in seinen Schriften, besonders aber in seiner Herzenspostille, angeführt die Bücher von Joh. Amd, J. A. Bengel, J. J. Breithaupt, A. H. Francke, J. H. Hedin-ger, Fr. A. Lampe, Hch. Müller, J. J. Rambach, Chr. Scriver, Ph. J. Spener und anderen. Es ist beachtenswert, daß ihm auch die Schriften englischer Erweckungsprediger wie Th. Goodwin und Isaak Wats und holländischer Theologen wie Hoombeck und Vitringa bekannt sind. Daneben werden reformierte Theologen genannt wie Joh. Calvin und Zach. Ursinus. Trotz der vielfach angeführten Zitate aus den Schriften bedeutender Theologen zeichnen sich seine Predigten durch ihren volkstümlichen und evangelistischen Charakter aus. Er bewegt sich in ihnen von lockender und malmender Bitte bis zu gewaltigen Bußrufen, die gleich Hammerschlägen die Herzen der Zuhörer treffen wollen. Es sind Predigten eines Zeugen evangelischer Wahrheit, der so reden muß, weil ihn die Liebe Christi dringt, und der so verkündigen kann, weil er sich voll und ganz unter die Autorität der Heiligen Schrift beugt. Man hat Rieger unter die älteren Schüler Bengels einreihen wollen. Diesem Versuch stehen gewichtige Bedenken entgegen. Bengel und Rieger sind gleichaltrig; beide sind im Jahr 1687 geboren. Man wird schon aus Altersgründen wohl kaum von einem Schülerverhältnis Riegers zu Bengel sprechen können. Zum anderen sollte man doch beachten, daß beide ihre eigenständige Theologie vertreten. Rieger ist der Vertreter einer ausgesprochen reformatorischen Theologie mit pietistischer Prägung. Der eschatologische Grundzug, der im Lauf der Jahre in Bengels Theologie immer deutlicher hervortritt, fehlt bei Rieger. Man sagt in der Tat nicht zuviel, wenn man die Stellung der beiden in der Theologiegeschichte in folgender Weise bestimmt: Georg Konrad Rieger tritt als der große Prediger ebenbürtig neben den großen Schriftforscher Johann Albrecht Bengel. Wir schließen mit einem Zeugnis Riegers, das seiner Abschiedspredigt in Urach entnommen ist: »Diesen Christus in seinen Wohltaten dem armen Gewissen anzupreisen und dem Gläubigen die unendlichen Schätze der Gnade in ihm zu ihrer Freude aufzuschließen und weit auszubreiten, war recht meine Nahrung und Weide. Wie habe ich meinen Mund so oft mit Freuden aufgetan und bezeugt, daß das wahre Christentum keine Last, sondern der allerglücklichste, ruhigste, fröhlichste und vergnügteste Zustand sei.« 1687 1702- 1706 1708 1710 1713 1715 1717 1718 1721 1733- 1739 1742 1743 am 7. März Georg Konrad Rieger in Cannstatt geboren ■1706 als Schüler besucht er die theologischen Seminare in Blaubeuren, Maulbronn (1703) und Bebenhausen (1704-170 6) wird er in das Fürstl. Stipendium (Ev. theol. Stift) in Tübingen aufgenommen besteht er die Magisterprüfung legt er das theologische Examen in Stuttgart ab und wird Hauslehrer bei Professor Harpprecht in Tübingen Repetent in Tübingen Stadtvikar in Stuttgart Begegnung mit Aug. Herrn. Francke Ernennung zum Pfarrer in Urach und Eheschließung mit Regina Dorothea Scheinemann Gymnasialprofessor und Mittwochsprediger an der Stiftskirche in Stuttgart -1739 Stadtpfarrer an der Leonhardskirche und Berufung auf die Pfarrstelle an der Hospitalkirche in Stuttgart Ernennung zum Dekan am 16. April stirbt Rieger und wird auf dem Friedhof an der Hospitalkirche beigesetzt. 1730 Die württembergische Tabea oder das merkwürdige äußere und innere Leben der weil, gottseligen Jungfrau Beata Sturm 1732—1736 Die Kraft der Gottseligkeit in Verleugnung seiner selbst (acht Predigten über Matthäus 16, 24 und zwölf Predigten über Matthäus 16, 25—28) 1732— 1733 Der Salzbund Gottes mit den evang.-salzburgischen Gemeinden 1733 Moralisch-theologische Belehrung von dem eigent- lichen Ursprung des bürgerlichen Regiments 1733— 1740 Die alten und neuen böhmischen Brüder 1742 Herzenspostille 1744 Die heilige Osterfeier oder heilsame Betrachtungen über die Auferstehung Jesu Christi Richtiger und leichter Weg zum Himmel durch acht Stufen der Seligkeit (Predigten über Matthäus 5, 1—12) 1745 Die Geschichte von der Verklärung Jesu Christi (Predigten über Matthäus 17, 1—9) 1745 Auserlesene Hochzeitspredigten 1748 Auserlesene Leichenpredigten 1753 Evangelische Anweisung zu beten (Predigten über Matthäus 6, 5—13 und Matthäus 7, 7—11) 1755 Auserlesene Kasualpredigten (hier ist neben Antritts-und Abschiedspredigten auch die oben erwähnte Predigt über Matthäus 20, 8 aus dem Jahr 1738 aufgenommen worden). III. Auszüge aus der Predigtsammlung »Die Geschichte von der Verklärung Jesu Christi« Aus den Predigten über Matthäus 17, 1—9 Deine Augen werden den König sehen in seiner Schöne. Jesaja 33, 17 Dies ist eine der bedeutendsten Verheißungen Gottes, die nach Matthäus 17, 1—9 erfüllt worden ist. Christus ist ein König. Eben hatte er von seinem Königreich geweissagt, Matthäus 16,28: »Es stehen etliche hier, die nicht schmecken werden den Tod, bis daß sie des Menschen Sohn kommen sehen in seinem Reich.« Sie führt er nun mit sich auf einen Berg, offenbart die Kräfte seines Reiches und läßt ihre Augen sehen seine Schöne. Wie ist der Herr Jesus so schön und so herrlich, beides innerlich und äußerlich! Ach, daß wir Augen haben möchten, seine Schönheit zu sehen! Mit leiblichen Augen haben wir es in dieser Zeit nicht zu hoffen; aber der Herr wolle doch die Augen unseres Verständnisses erleuchten, den König, den großen König, unsem König Jesus Christus zu sehen, nur ein wenig zu erblicken in seiner Schönheit, seinem Glanz, seiner Pracht und in seiner himmlischen Herrlichkeit! Nun, in der oben angeführten Stelle des Propheten steht: »Wer in Gerechtigkeit wandelt und redet, was recht ist; wer Unrecht haßt samt dem Geiz und seine Hände abzieht, daß er nicht Geschenke nehme; wer seine Ohren zustopft, daß er nicht Blutschulden höre, und seine Augen zuhält, daß er nicht viel Arges sehe: der wird in der Höhe wohnen, und Felsen werden seine Feste und Schutz sein. Sein Brot wird ihm gegeben, sein Wasser hat er gewiß. Deine Augen werden den König sehen in seiner Schöne.« Also sind nicht alle Augen würdig oder tüchtig, den König in seiner Schöne zu sehen. Wer noch den Kot der Ungerechtigkeit auf seinen Augen liegen hat, wer sich seine Augen mit Geschenken blenden läßt, wer seinen Augen alle Freiheit erlaubt, der kann diesen König in seiner Schöne nicht sehen. Wer sich aber wäscht und reinigt von aller Ungerechtigkeit, wer sich selbst verleugnet und Christus nachfolgt, wer dem lieben Gott auch ein Stück Brot zutraut, wer vergnügt ist und auch mit einem Trunk Wasser vorliebnimmt, der wird in der Höhe wohnen, den wird Christus mit sich auf einen hohen Berg führen und dessen Augen werden den König in seiner Schöne sehen. Gebet: Herr Jesu, du Schönster unter den Menschenkindern, ja du Schönster unter den Königen, du Sohn des lebendigen Gottes, öffne uns die Augen, daß wir dich sehen in deiner Schöne! O schönster Immanuel, tritt hervor in deinem Schmuck! Wende jetzt unser Herz und unsre Augen von allem Irdischen hinweg, führe uns mit dir und zu dir in die Höhe, daß wir allein auf dich sehen und an dir unsre Herzensfreude haben mögen. Zeig dein freundlich Angesicht; spiel, o Sonn', mit Liebesblicken, so wird sich das Herz erquicken! Amen. Und nach sechs Tagen nahm Jesus zu sich Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, und führte sie abseits auf einen hohen Berg. Matthäus iy, 1 Es ist des Heiligen Geistes Hauptgeschäft, Jesus zu verklären, das heißt, den uns unbekannten, unansehnlichen und so gering geachteten Jesus bei uns Menschen zu offenbaren, ihn groß, ansehnlich und herrlich zu machen (Joh. 16, 14). Dies tut er auf unzählige Weise. Er hat es aber zuhöchst damit beweisen wollen, daß er die liebliche und herrliche Geschichte von der Ver- klärung Jesu Christi vier heiligen Männern eingegeben hat, sie aufzuschreiben, nämlich drei Evangelisten, unserem Matthäus, Markus und Lukas und dann einem Apostel, dem Petrus, der diese Geschichte mit prächtigen und majestätischen Worten wiederholt (2. Petr, l, 16—18), wenn es heißt: »Wir sind nicht klugen Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unsers Herrn Jesus Christus, sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen; denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: >Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe<. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge«. Wir wollen uns also von dem Heiligen Geiste hinweisen lassen, diese Geschichte wert und teuer zu halten, sie aus dem Munde dieser vier Zeugen mit großer Gewißheit und Freudigkeit unsrer Seelen anzunehmen, sie im Licht des Heiligen Geistes verstehen und betrachten zu lernen zur Erquickung des Herzens, damit Jesus Christus auch vor uns verklärt, unsern Seelen immer größer, lieber, teurer, köstlicher, schöner und unschätzbarer werde und wir selber Zeugen werden können von der Schönheit und großen Herrlichkeit, die in Jesus Christus ist und die wir mit unsern Glaubensaugen an ihm gesehen und erblickt haben. Der große Heiland lasse unsre Kirche einen solch heiligen Berg und alle Lande und unsre Stadt und ihre Häuser und unser aller 1 lerzen voll seiner Ehre werden (Jes. 6, 3)! Wer es verlangt, dem wird sich der Herr nicht unbezeugt lassen. Gebet: Du aber, werter Heiliger Geist, dessen Werk es ja ist, den Sohn Gottes in den Herzen der Menschen zu verklären, verkläre ihn doch auch jetzt in unsern Herzen und führe uns mit ihm auf den Berg hinauf, daß wir da seine Herrlichkeit sehen! Erhebe dazu unsre Sinne, Begierden und Gedanken; laß die Herzen von der Erden ganz zu ihm gezogen werden. Amen. Jesus ging auf den Berg, nicht nur um einen Ausblick und eine Aussicht zu haben, sondern um mit Andacht zu beten und seine Augen noch höher himmelan zu richten. Sieh, wie Christus alle seine großen Werke mit Gebet an tritt! O edles Beispiel der Gottseligkeit und Andacht, das uns gegeben ist! Er hätte befehlen können; und doch betet er, damit wir Menschen von ihm lernen möchten, zu ihm zu beten. Wie sollten wir Menschen uns unterstehen, etwas ohne Gebet anzufangen, da doch er, der Gott war, nichts ohne dasselbe tun wollte! Wir pflegen uns in viele göttliche und menschliche Sachen zu mischen und in viele wichtige oder gefährliche Angelegenheiten einzudrängen, ohne daß wir jemals vorher unsre Augen und Herzen zu Gott im Himmel aufgehoben haben! Wie stimmt dies mit dem Vorbild Jesu Christi überein? Wie können wir da vor einem Moslem bestehen, bei dem nach seinem Gesetz gegen jeden Zeugen Einspruch erhoben werden kann, wenn er nicht täglich sechsmal gebetet hat? Vor der Morgenröte beten sie für den Tag; wenn es Tag ist, danken sie Gott für den Tag; am Nachmittag danken sie Gott, daß der halbe Tage vergangen ist; danach beten sie um einen guten Sonnenuntergang; dann beten sie, daß der Tag vergangen ist; und endlich bitten sie um eine gute Nacht, wenn der Tag vergangen ist. Und wir Christen lassen so viele Sonnen und Monde über unserem Haupte auf- und untergehen und heben so selten unsre Herzen zu ihrem und unsrem Schöpfer auf, ihn um seinen Segen zu bitten und ihn dankbar zu erkennen, wann er uns gegeben worden ist. Unter allen Menschen haben keine mehr Ursache zu beten als die Hochgestellten. Das, was Christus nur einmal widerfuhr, das widerfährt ihnen allezeit. Sie werden auf einen hohen Berg geführt und sehen die Königreiche der Erde; aber ich fürchte, daß es bei ihnen wie bei manchen Schiffsleuten gehe: Je mehr Not, je weniger Andacht! Unter dem, um das er bat, war ohne Zweifel das Anliegen, daß ihn der Vater verklären möchte (Joh. 17, 1). Er konnte sich selber verklären; aber in dem Stand seiner Erniedrigung übergibt er alles Gott, dem Vater. Laßt auch uns vor allem bitten, daß Christus verklärt und sein Reich ausgebreitet werden möge, daß doch viele, die ihn jetzt noch nicht erkennen, ihn in seiner Herrlichkeit sehen möchten! Ja, wenn wir auch wissen, daß es geschehen wird, so laßt uns dennoch darum bitten, damit alles, was wir haben, eine Frucht unsres demütigen Gebetes sei. Gebet: Lieber Heiland Jesus Christus, wir bitten dich, daß du nicht nur unter uns, sondern in aller Welt verklärt werdest, dein Name geheiligt und dein Reich ausgebreitet werde. Es ist ja schade, Herr Jesus, daß dein glorreicher Name, dein seliges Evangelium, deine große Menschenliebe, dein teures Erlösungswerk noch nicht allen Seelen bekannt ist und daß so viele, denen es gepredigt wird, es noch nicht wirklich im Glauben angenommen haben. Nun, so stehe denn auf in deiner Kraft und verkläre dich selbst nach der Macht deiner Herrlichkeit in aller Menschen Herzen. Deine Knechte sähen es gern, daß Jerusalem gebaut und seine Steine und Kalk zugerichtet würden und daß die Heiden deinen Namen fürchteten und die Könige auf Erden deine Ehre. So erfülle deine Verheißung, und laß alle Welt deiner Herrlichkeit voll werden. Amen. Wir fragen, warum der Herr gerade drei Gefährten und Zeugen seiner Verklärung erwählt habe? Er wollte so viele mitnehmen, als genügte, um das Zeugnis von seiner Verklärung glaubhaft zu machen. In zweier oder dreier Zeugen Mund besteht alle Wahrheit, heißt es 5. Mose 19, 15. Es war diese Verklärung Christi auf dem Berg ein Vorbild und eine Darstellung der Herrlichkeit, die Christus durch die Predigt des Evangeliums in der ganzen Welt erlangen sollte. Wie nun diese Wahrheit des Evangeliums, daß Jesus der Christus und der Sohn Gottes sei, drei Zeugen im Himmel hat, den Vater, das Wort und den Heiligen Geist, und drei Zeugen auf Erden, das Wasser, das Wort und das Blut, so fügte es die göttliche Weisheit, daß auch bei dieser Verklärung auf dem Berge ebensoviel Zeugen sein sollten, nämlich drei vom Himmel: Mose, Elia und die Stimme des Vaters, drei auf Erden: Petrus, Johannes und Jakobus. Es ist dem Glauben, der auf alles achtet, anbetungswürdig zu sehen, wie weise die Vorsehung Gottes hinsichtlich Christi alles in Zahl, Gewicht und Maß geordnet hat; denn aus solchen Zusammenstellungen wird erst recht deutlich die Göttlichkeit der Schrift und wird besonders die Lehre von Jesus Christus in recht überzeugender Weise zur freudigen Beruhigung, Lust und Weide des Gewissens. Wie wenig ist unser Unglaube zu verantworten, wenn wir solchen Zeugen, so vielen Zeugen vom Himmel und auf Erden nicht glauben! Seht, wie der Vater seinen Sohn versiegelt hat! Glaubt doch diesem zwölffachen Zeugnis von der Herrlichkeit Jesu Christi! Es sind ja nicht nur die drei Zeugen auf Erden, die Jesus mitgenommen hat, sondern auch drei Zeugen vom Himmel. Wie groß muß der Herr unsern Unglauben ansehen, wenn er so viele Anstalten trifft und so viele Zeugen und Beweise aufführt, um ihn zu überwinden. O ja, es geht schwer ein, wenn wir die Herrlichkeit Christi glauben und ihm wirklich auch etwas Zutrauen sollen! Er ist eben gar klein, schwach und verachtet vor uns. „Wenn wir der Menschen Zeugnis annehmen, so ist Gottes Zeugnis größer; denn das ist Gottes Zeugnis, daß er Zeugnis gegeben hat von seinem Sohn" (1. Joh. 5, 9). Der Herr führte die drei Zeugen aber auf einen hohen Berg. Die Jünger mußten an jenem Abend noch solch einen beschwerlichen Berg hinansteigen; denn er war nicht nur eine deutsche Meile hoch, sondern auch auf allen Seiten rund und fast so steil wie ein Felsen. Seht, diesen hohen und steilen Berg führte der Herr Jesus am Abend noch seine Jünger hinan, als sie müde waren. Es kostet etwas, Geliebte, den Himmelsberg zu ersteigen; es ist Mühe und Gefahr dabei. Ich weiß nicht, ob jemals einer in den Himmel hineingetanzt ist; wenigstens Jesus Christus nicht, dem wir nach-folgen müssen. O ja, ihr Lieben, der Herr Jesus kann uns jetzt und in der Ewigkeit viel schöne Dinge sehen und viel liebliche Sachen hören lassen, aber nicht anders als in seiner Nachfolge. Sein Weg geht oft über Büsche und Hecken, über Berge und Felsen, da es dem Fleisch sauer wird und wir lieber hinliegen und schlafen, lieber gute und angenehme Tage haben möchten. Da müssen wir steigen und klettern; da gilt es vorsichtig zu wandeln und genau vor sich hinzusehen. Da muß man sich mit Händen und Füßen halten, damit man nicht falle und einen gefährlichen Sturz tue. Da muß man anhalten und nicht müde werden, wenn es auch lange währt. Da muß man vorausdenken und sich trösten, damit man trotz allem Jesus nachklettere und zuletzt an einen Ort komme, da alles tausendfältig wird ersetzt werden, was wir ausgestanden haben. Welch ein hoher und steiler Berg dies gewesen sein muß, läßt der Evangelist selber erkennen, da er (im Urtext) ein Wort gebraucht, das nicht so sehr „führen" als vielmehr „tragen" bedeutet, so daß also außerordentliche Hilfe seine Jünger hinaufgetragen habe. Wie lieblich, wie köstlich und wie erfreulich ist dieses Wort! Ei, wir wollen gern in dieser Predigt gewesen sein, wenn wir auch sonst nichts gelernt hätten als dies, daß der treue, besorgte und allmächtige Jesus seine Jünger den steilen und gefährlichen Berg hinaufgetragen und hinaufgehoben habe. O wohl uns des guten Herrn! Jesus tut dies auch noch an uns. Freut euch darüber, geliebte Seelen, die ihr diesem Jesus nachfolgt! Der Weg auf den Berg Gottes ist zwar beschwerlich; aber der Herr Jesus hilft euch. Er bewahrt euch vor gefährlichem Fall, bietet euch seine Hand an, sendet euch seine Kraft und nimmt euch auf seinen Rücken. Er tut eher etwas Außerordentliches, als daß ihr erliegen oder auf halbem Wege wieder umkehren solltet. Seid getrost, Jesus hebt euch hinauf! Jesus trägt euch hinauf! Jesus hilft euch, den Berg zu übersteigen! Ihr dürft nicht sorgen noch fragen: Wer will in den Himmel hinauffahren und Jesus herabholen? Er ist ja darum hemiedergekommen, um euch hinaufzuführen. Überlaßt euch ihm nur in völligem Glauben! Er wird es schon machen, daß ihr von der Erde hinweg auch den letzten Berg, wenn es zum Sterben geht, zu ihm hinauf geführt werdet. Und er ward verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Matthäus 17, 2 Es wird uns nun diese Verklärung auch im besondern und im einzelnen beschrieben, daß sie sich gezeigt habe teils in seinem Gesicht, teils an seinen Kleidern. Von jenem heißt es: »Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne.« Es war also nicht eine Verklärung der Seele und seines Namens, von der er Johannes 17, 5 redet, sondern eine sichtbare Verklärung des Leibes, die sich vor allem im Angesicht gezeigt hat. Das Angesicht ist der Teil des Leibes, der hauptsächlich gesehen wird. Im Angesicht des Menschen ist der Hauptsitz aller Schönheit und Anmut. Ja das Angesicht ist der bedeutendste Schauplatz göttlicher Weisheit und Allmacht; denn welch ein Meisterstück der Schöpfer am ganzen übrigen Leib geschaffen hat, erweist sich darin, daß alles im Angesicht konzentriert ist. Das Angesicht des Menschen ist ein völliger Abdruck des Leibes und des Gemüts. Wer sich auf die Gesichtsform versteht, kann meistens in zuverlässiger Weise sagen, welche innerliche Gemütsneigung und welche Gliedmaßen ein Mensch habe, wenn er sie auch nicht gesehen hätte. Ist das nicht eine wunderbare Sache? Muß man da nicht mit Händen greifen, daß der Mensch nicht ein zufälliges Werk, sondern ein bestaunenswertes Kunstwerk eines unvergleichlich weisen Werkmeisters sei, der mit unaus-forschlicher Weisheit alles in solcher Proportion und Übereinstimmung eingerichtet hat? Soll man hier nicht sagen, daß der große Gott sich selbst in eines jeden Menschen Angesicht verklärt habe? Ich weiß wohl, welch ein Vorzug Christus gebührt, wenn es heißt, daß er an seinem Angesicht verklärt worden sei; ich habe aber große Ursache und Freude gehabt, euch auf euer Angesicht zu verweisen und euch die Augen aufzutun, damit ihr seht, wie schön, wie groß und mächtig der allmächtige Schöpfer sich auf eurem Antlitz verklärt und geoffen-bart hat. Ist es aber so, daß der Schöpfer auch an deinem Angesicht verklärt und in seiner Weisheit und Allmacht erkannt werden will, dann ehre ihn auch hierin, bewundere seine Weisheit, rühme seine Güte und gründe dich auf seine Allmacht und verfahre mit deinem und andrer Angesicht so, daß Gott dadurch nicht geschändet sondern verherrlicht werde. Sollte dies jemand lesen, der die Weise der Isebel hätte und sein Angesicht schminkte, dem will ich jetzt weiter nichts Vorhalten; sein Gewissen wird ihm unter den bisherigen Worten genug gepredigt und solch eitle, schändliche und zugleich törichte, sündliche und schädliche Hoffart gestraft haben. Wir wollen uns, ihr Lieben und besonders ihr vom weiblichen Geschlecht, so verhalten, daß Gott und der himmlische Vater auch in unserm Angesicht verklärt werden kann. Von dem Angesicht Jesu Christi heißt es nämlich, daß es »geleuchtet habe wie die Sonne«. Etliche meinen, es habe wohl noch herrlicher geglänzt als die Sonne; aber die Evangelisten haben nichts Helleres nennen können, um es als Vergleich zu gebrauchen. Andere bleiben lieber bei dem wörtlichen Ausdruck und sagen, daß die Apostel keinen höheren Glanz in ihren Augen hätten ertragen können; zudem müßte ein Unterschied sein zwischen der Herrlichkeit, die Christus hier in der Fremde offenbart, und jener, mit der er im himmlischen Vaterland leuchtet. Die himmlische Herrlichkeit übertreffe die irdische weit mehr als die Sonne und den Schatten, wie wir aus Apostelgeschichte 26, 13 schließen können: »Mitten am Tage, o König, sah ich auf dem Wege ein Licht vom Himmel, heller als der Sonne Glanz, das mich und die mit mir reisten, umleuchtete.« Da steht also der Schönste unter den Menschenkindern und funkelt in himmlischem Glanz und gleicher Klarheit; alle seine Gliedmaßen schimmern wie die schönen Sterne, und doch ist bei allem nichts Schreckliches. Man sieht ihn in seiner überaus gnädigen und erfreuenden Majestät. Er steht da als der rechte Gnadenstuhl und läßt dies eine Mal die Herrlichkeit sehen, die er stets besaß, aber nicht immer gebrauchte. Er legt damit ein öffentliches Zeugnis ab seiner heiligsten Unschuld, seiner göttlichen Hoheit und seiner unvergleichli- chen Schönheit und bietet ein Bild seiner letzten richterlichen Erscheinung und ein lebendiges Muster unsrer künftigen Verklärung. Die Verklärung Jesu Christi wurde aber auch an den Kleidern offenbar; denn sie wurden weiß wie ein Licht oder, wie Markus 9, 3 sagt: »Seine Kleider wurden ganz leuchtend weiß, wie sie kein Bleicher auf Erden so weiß machen kann.« Hieraus ist deutlich zu erkennen, daß die Herrlichkeit nicht nur auf dem Angesicht, sondern auch am ganzen Leib Christi geleuchtet habe, so daß der Glanz auch die Kleider durchdrungen hat. Die schlichten Kleider Christi, die nichts Unsauberes und Verächtliches, aber auch nichts Prächtiges hatten und mit seiner Knechtsgestalt und seinem Lehramt übereinkamen, leuchteten jetzt wie die Sterne und glänzten wie der Blitz. Der ganze Leib schien durch, wie ein brennendes Licht durch ein Kristallglas scheint. Hat Christus seine Kleider, die doch hernach den Kriegsknechten in die Hände fielen, geehrt und seiner Herrlichkeit teilhaftig gemacht, wieviel mehr wird er seinen Glanz den Gliedern mit-teilen, die an seinem geistlichen Leib mit ihm eng vereinigt sind! Ja, wie hier seine Kleider weiß und glänzend waren gleich einem Licht, so sind auch die Kleider des Heils (Jes. 61, 10). Gläubige Seelen, die damit bekleidet sind, glänzen aufs schönste vor Gott; die hingegen, die sich mit dem reichen Mann in Purpur und köstliche Leinwand kleiden, sind vor Gott ein Greuel und Gestank. Darum wollen wir Zusehen, daß wir mit unsern Kleidern Gott ehren und aus ihnen unser inneres Licht der Demut, Keuschheit und Reinigkeit hervorschimmern lassen; denn wir sehen oft, daß Gott bisweilen das, was an seinen Kindern Gutes ist, hervorblicken lasse, so sehr sie es auch zuzudecken suchen. Wie Satan und sein Reich Finsternis ist, so ist Christus und seine Herrlichkeit nicht nur innerlich, sondern auch oft äußerlich und sichtbar lauter Licht. Die Strahlen seiner Gottheit, seines Mittler-und Versöhnungsamtes brechen hervor und leuchten den Menschen in die Augen, damit sie seine Herrlichkeit sehen müssen und dann erfahren und bekennen, daß sein Reich sei ein Reich des Lichtes und keine Finsternis in ihm. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Matthäus 17, 3 Wenn sich der Himmel auftut, die Bewohner jener Welt zu uns kommen und Mose und Elia erscheinen, dann gilt es, die Augen zu öffnen und zu sehen. Wir denken wunder wie begierig wir sehen wollten, wenn uns eine vor einigen Jahren gestorbene Seele, die uns bekannt war, in leiblicher Gestalt erschiene; aber »siehe«, erinnert uns hier der Heilige Geist, siehe hierher, da erscheinen nicht nur einer, sondern zwei von den seligen Himmelsbürgern und reden mit Jesus. Meistens behindern sonst die Sinne den Glauben; hier aber richtet es der wunderbare und weise Gott so, daß sie dem Glauben dienen und förderlich sein mußten. O welch großen Schaden hat es uns schon gebracht, daß wir gewöhnlich so sehr an den Sinnen hangen, nur begreifen und glauben, was wir sehen und greifen, den Wert und Unwert der Dinge nach dem Urteil der Sinne abmessen und sonst allzusehr dem Genuß der äußeren Sinne nachhängen! Wenn wir doch einmal lernten, diesen Schaden zu beheben und die Sinne zu Handleitern des Glaubens und der Gottseligkeit und zu Werkzeugen der Andacht, der Aufmerksamkeit, der Wachsamkeit, der Zucht, der Demut, der Keuschheit und der Selbstverleugnung zu machen. Die drei Apostel haben anfangs geschlafen, als Mose und Elia erschienen sind. Das ist ihnen übel angestanden; darum warnt uns der getreue Evangelist vor solcher Nachlässigkeit und Schläfrigkeit. Er will uns leiblich und geistlich wach haben und sagt: »Siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia und redeten mit ihm«, mit Jesus, der allein sah, hörte, wachte und betete. Wenn einer unter euch in der Kirche schläft, was hilft es ihm, wenn Mose und Elia samt Christus erscheinen und reden? Er sieht, hört und genießt nichts davon. Wer aber leiblich und geistlich wacht, dem kann sich der Herr Jesus offenbaren und mit dem können Mose und die Propheten reden. Darum wachet, nicht nur jetzt, sondern jedesmal, wenn ihr zu dieser Stätte herkommt! Was sollen wir denn sehen? Matthäus sagt: »Da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm.« Markus gibt es mit folgenden Worten wieder: »Und es erschien ihnen Elia mit Mose und hatten eine Rede mit Jesus« (Mark. 9, 4). Am deutlichsten beschreibt es uns der fleißige Lukas: »Und siehe, zwei Männer redeten mit ihm, die waren Mose und Elia. Die erschienen in Klarheit und redeten von dem Ausgang, welchen er erfüllen sollte zu Jerusalem« (Luk. 9, 30. 31). Unser Evangelist berichtet: »Mose und Elia erschienen« oder wurden gesehen. Daraus ist zu erkennen, daß diese Erscheinung nicht nur in einem Bild oder in einer Phantasievorstellung, sondern wahrhaftig und nicht nur den Seelen nach, sondern leiblich geschehen sei; denn sie werden mit Augen gesehen und mit Ohren gehört. Sie kommen, sie reden, sie weichen und gehen hinweg, was alles eigentlichen Leibern zukommt. Das Beste, Vornehmste und Herrlichste ist, daß wir hierin ein so deutliches Zeugnis der Unsterblichkeit unsrer Seelen und ein so schönes Abbild von der Auferstehung unsrer Leiber haben. Wie lieblich und tröstlich ist es, Mose und Elia, die vor einigen tausend Jahren aus der Welt gegangen waren, mit Leib und Seele noch im Leben zu wissen! Wie sicher mögen wir nun zum Tode sagen: »Freue dich nicht, mein Feind, daß ich darniederliege! Ich werde wieder aufkommen, ja ich werde in dem Fallen wieder aufkommen; und wenn ich im Finstern sitze, so ist doch der Herr mein Licht« (Micha 7,8). —»Siehe, ich sage euch ein Geheimnis«, spricht Paulus, »wir werden nicht alle entschlafen; wir werden aber alle verwandelt werden« (1. Kor. 15, 51). Mose entschlief; Elia wurde verwandelt; beide aber erschienen hier aus jener Welt, um uns zu lehren, daß weder unser Sterben, noch unser Verwandeltwerden uns abhalten könne, daß wir nicht wieder in dieser Welt mit Christus erscheinen sollten. Wenn du das Urteil des Todes empfangen wirst auf dem Berg Nebo wie Mose oder wenn die feurigen Rosse kommen und dich aus diesem Tal der Sterblichkeit wegreißen werden, dann denke an dein Wieder- erscheinen mit deinem Heiland. Du wirst getröstet werden und wirst triumphieren über deinen letzten Feind und seine Schrek-ken vertreiben können mit der gewissen Versicherung deiner seligen Auferstehung zur Herrlichkeit. Wenn aber nach dieser Welt noch eine andere und nach dieser Zeit eine Ewigkeit ist, dann ist es nach deinem Tode nicht einmal mit deinem Leib aus, geschweige mit deiner Seele. Wie kannst du nun so sicher und ohne Sorgen dahinleben? Warum ist dein Dichten und Trachten nur auf diese sichtbare und vergängliche Welt gerichtet? Warum bist du so wenig bekümmert um den Zustand deines Leibes und deiner Seele in jener Welt? Warum bereitest du deiner Seele nicht auch dort eine gute Stätte, wo sie ewig wohl versorgt sein kann? Warum führst du sie nicht jetzt schon in die wahre Gemeinschaft Gottes? Warum gewöhnst du sie nicht an die Liebe der geistlichen und himmlischen Güter? Warum verbindest du sie nicht mehr mit den heiligen Männern Gottes, die in ihren Schriften noch jetzt mit uns reden und deren Lebenswandel uns zur Nachfolge aufgeschrieben ist? Ist es nicht darum, weil du Kalbsaugen hast, die nur auf das sehen, was sichtbar ist, aber nicht in jenes unsichtbare Reich der Geister und Seligen dringen? Kommt es nicht von einem starken Unglauben her? Wenn du dich im innersten Grund deines Herzens recht prüftest, dann müßtest du bekennen, daß du weder an die Unsterblichkeit der Seele noch an die Auferstehung des Leibes glaubst. . . . die redeten mit ihm. Matthäus 17, 3 Ist es wohl nicht zuviel begehrt, wenn wir auch gern wissen möchten, worüber diese heilige, vornehme und geheime Gesellschaft auf dem Berge miteinander geredet habe? Wenn zwei oder drei besonders hohe Personen miteinander auf die Seite gehen und sich in ein besonders vertrautes Gespräch einlassen, so würde es großer Unverstand und vermessene Unverschämtheit sein, wenn wir uns da eindrängen und wissen wollten, was sie miteinander verhandeln. So gern wir es wissen möchten, so sehr müssen wir uns doch bezähmen. Es scheint, unser sonst beredter Evangelist Matthäus habe uns hinleiten wollen zu dieser demütigen Bescheidenheit und stillen Zurückhaltung, weil er uns weiter nichts offenbart, als daß Mose und Elia mit Jesus geredet hätten. Worin uns aber Matthäus stecken läßt, darin befriedigt uns der Evangelist Lukas, wenn er sagt: »Sie redeten von dem Ausgang, welchen er erfüllen sollte zu Jerusalem« (Luk. 9, 31). So macht es der liebe Gott. Wenn der eine Evangelist eine Begierde in uns erweckt, dann sollen wir bei dem andern suchen, ob dieser sie uns nicht erfülle. Auf was der eine nur deutet, das führt der andere völlig aus. Beide sollen uns lieb sein und fleißig von uns gelesen werden. Meistens geht es mit der Offenbarung göttlicher Wahrheiten und anderer wichtiger Geheimnisse auf diese Weise. Im Anfang sind sie lange etwas Verborgenes, Unglaubliches und Unvermutetes, danach sagt man uns ein Wört-lein davon und läßt uns eine Weile daran hängen. Dann kommt einer, der es völlig und deutlich heraussagt. Von dem Ausgang Jesu nun erzählen sie, daß er werde erfüllt werden zu Jerusalem. Es war also etwas angefangen, aber noch nichts erfüllt. Die Weissagungen waren da; die Vorbilder waren da; die Opfer waren da; die Verheißungen waren da, aber noch unerfüllt, fast leer, ohne den Kern und Stern der wirklichen Erfüllung durch Christus. Nun sollte durch diesen Ausgang alles erfüllt werden, was Gott von Anbeginn der Welt an geredet hatte durch den Mund seiner heiligen Propheten. Nun stehen die zwei größten Männer Gottes da und bekennen mit ihrem eignen Munde, daß sie nichts haben vollkommen machen können. O, spricht Mose, ich habe zwar von dem Hingang Abrahams und Isaaks auf den Berg Morija geschrieben (1. Mose 22); aber das war noch nicht der rechte Ausgang. Ich habe wohl selber die Kinder Israel aus Ägypten geführt; aber die Erlösung aus der Knechtschaft war nicht der rechte Ausgang. Ich habe zwar manches aufgezeichnet von den Tieren, deren Blut in das Aller- heiligste getragen und deren Leichname außen vor dem Lager verbrannt werden mußten; aber dies war noch nicht der rechte Ausgang. Ich habe wohl jährlich am großen Versöhnungstag einen Sündenbock hinausführen lassen; aber das war auch nicht der rechte Ausgang. Josua hat zwar das Volk aus der Wüste in das Land geführt; aber auch dies war weder der rechte Aus-noch Eingang. Hier ist Jesus, der mit seinem Ausgang alles erfüllen wird: das Gesetz und die Propheten, den Rat Gottes und alles, was zur Seligkeit der Menschen nötig ist. Ist das nicht schön, wenn Mose und die Propheten auch nach ihrem Tode Christus solches Zeugnis geben? Dient das nicht zu einer gründlichen Erkenntnis und Hochachtung Jesu Christi, wenn sich die allergrößten Heiligen so vor ihm erniedrigen und bekennen: Wir alle in soviel tausend Jahren sind nur Anfänger gewesen und haben nichts vollendet; aber dieser Jesus tut allein mehr als wir alle. Dieser Jesus ist der Vollender; seine Arbeit ist vollkommen, und er füllt auch aller anderer Lücken aus. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein; willst du, so wollen wir hier drei Hütten machen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Matthäus iy, 4 Laßt uns nun die Worte des Petrus genauer betrachten! »Herr«, sagt er, »hier ist gut sein!« — »Herr!« Die drei Evangelisten gebrauchen hier dreierlei Wörter: Herr, Rabbi und Meister. Vielleicht hat sich Petrus in der Fülle seines Affektes aller drei Wörter bedient. Werdet nur mit Christus bekannt, liebe Seelen; ihr werdet bald mit ihm auch reden lernen! Es soll euch nicht weniger an Worten fehlen. Ihr werdet eurem großen, herrlichen Heiland Titel genug geben können! Nein, wie groß und ansehnlich wird doch der Herr Jesus in einer Seele! Was für prächtige Namen auch in der Welt sind, die Seele sammelt sie alle zusammen und legt sie vor die Füße Jesu nieder und sagt: »Du bist würdig zu nehmen Preis und Ehre und Kraft!« (Offb. 4, 11). Du bist der rechte einige Herr. Was sollten andere Herren bedeuten? Du bist der Rabbi, du bist der Lehrmeister, du bist der Hausmeister, der Regent und der Herr aller Herren (Offb. 17,14). Was ist das schon für eine Glückseligkeit, einen solchen Herrn zu haben, bei dem einem so wohl ist! O freilich, wann und wo einem wohl und gut ist, da ist Jesus des Wohles Herr, da ist Jesus Meister und Bereiter solch wohltuenden Zustandes. Er verschafft und verleiht solche Herrlichkeit. Wohl uns des guten Herren! Ach liebe Seelen, bleibt kein herrenloses Gesinde! Erkennt auch nicht an als eure Herren den Teufel, die Welt und die Sünde! In ihrem Dienst ist wahrlich nicht gut sein. Unterwerft euch aber Jesus im Glauben und Gehorsam, dann werdet ihr bald erfahren und rühmen: »Herr, hier ist gut sein!« Es ist nirgends gut sein, als wo Jesus ist und wo er im Glauben gesehen wird in seiner Klarheit. Wenn eine Seele die Herrlichkeit sieht, ja sieht, welch einem großen und herrlichen Heiland sie sich anvertraut hat und welch einen guten Meister sie sich erwählt hat, da ist ihr wohl, sie mag sein, wo sie will. Wenn sie nun auch nicht in Jerusalem ist, wenn sie sich auch nicht in der Gesellschaft der Menschen befindet, die auf sie achten, wenn sie auch nicht im Überfluß lebt und nicht einmal eine Hütte hätte, wo sie vor Regen und Wind, vor Frost und Hitze geschützt wäre, wenn sie nur Jesus angehört und gewiß weiß, daß Jesus ihr Herr und Meister ist, so spricht sie: »Hier ist gut sein!« Mose und Elia verlieren nichts von ihrer Seligkeit, wenn sie auch den Himmel verlassen und zu Jesus auf den Berg kommen müssen; sie sind doch selig. Warum sollte daher mir auf Erden nicht wohl sein, in welchem Winkel ich auch stecken müßte, wenn nur Jesus bei mir und ich bei Jesus bin? Aber es ist nicht so, wenn die Menschen recht nach dem Herzen reden sollen, dann heißt es vielmehr bei ihnen: »Dort ist gut sein!« und nicht: »Hier ist gut sein!« Solang einer noch nicht auf dem Berge ist, denkt er: Dort ist gut sein! Wenn er droben ist, findet er es nicht so. Solange einer nicht im Ehestand ist, denkt er: Dort ist gut sein! Sobald er drinnen ist, sagt er nicht mehr: Hier ist gut sein! Ich sehe den oder jenen Stand oder Amt an und denke: Wenn ich dort wäre, sollte mir wohl sein. Wenn ich aber hinkomme, treffe ich es ganz anders an, als ich es mir vorstellte, und sage nun nicht: Hier ist gut sein! Gesetzt aber, ich wäre mit meinem »Hier« zufrieden; gesetzt, dieses Glas Wein, diese Gesellschaft, diese Musik, diese Lustbarkeit täte mir wohl — ach, welch eine elende, eitle, unwürdige Lust ist dies, die auch ein Schwein im Kot und ein Käfer im Mist hat! Was nur den Leib kitzelt, nur die Sinne berührt, nicht aber in das Inwendige des Geistes dringt; was so unbeständig und vergänglich ist, was mich nicht bessert, mich nicht erleuchteter, reiner und himmlischer macht, das verderbt mich verderbten, weltlichen, eitlen, ungeistlichen und tierischen Menschen nur noch mehr. Es verblendet mich, führt mich vom Himmel weg und versenkt mich noch tiefer in Sünde, Hölle, Verderben und Verdammnis. O ihr Lieben, welch ein Unglück ist dies für uns! Wir wünschen alle, daß uns wohl sei, und es könnte uns auch allen wohl sein; dennoch plagen wir uns so sehr und machen uns unser Leben so beschwerlich und peinlich, weil wir unser Wohlsein nicht allein bei Jesus suchen. Außer ihm ist doch nichts als Qual der Verzehrung des Geistes; bei ihm und in ihm aber ist Ruhe, Friede, Vergnügen und Süßigkeit. Ach was kann der Herr Jesus geben! Wie muß es einem um die armen, unwissenden Seelen so leid sein, daß sie hiervon nichts innewerden! Ach, daß ich es doch allen Fürsten und Königen anwünschen könnte (sprach vor einigen Jahren eine begeisterte Seele unter uns), daß auch sie ein Tröpflein schmeckten von dem, was der selige Gott mich Unwürdigen hat kosten lassen! Sie würden dagegen alle ihre anderen vermeintlichen Ergötzungen als faules Wasser ausspeien. O Jesu, mein Bräut'gam, wie ist mir so wohl! Dein' Liebe, die macht mich ganz trunken und voll. O selige Stunden! Ich habe gefunden, was ewig erfreuen und sättigen soll. Gebet: Herr Jesu, wir sagen mit wohlgefaßtem Mut: Bei dir ist gut sein; und ohne dich ist nirgends gut sein. Bei dir ist eitel Leben, Heil und Seligkeit; ohne dich ist der Tod und die Verdammnis. Nun, so wollen wir dir denn Hütten bauen, aber keine anderen als solche in unsren Herzen; denn darin wird es dir gefallen zu wohnen. Weder Mose noch Elia oder sonst jemand außer dir soll diese Stätte bereitet werden. Würdige uns doch, zu uns hereinzukommen. Zeuch ein, du König der Ehren, in unsre Herzen; schaffe alles hinaus, was dir mißfällt; schmücke uns hingegen mit Glauben und mit allem, was dir wohlgefällt, und mache dir eine bleibende Wohnung darin für Zeit und Ewigkeit. Amen. ... so wollen wir hier drei Hütten machen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Matthäus 17, 4 Petrus erweist sich als ein Ehrenmann, daß er nicht nur eine sondern drei Hütten machen will, nämlich für jede Person eine eigene. Man mag fragen, wo der galiläische Fischer schon in damaliger Zeit das gelernt hat, was wir vor hundert Jahren, ja vor fünfzig Jahren nicht gewußt oder doch nicht geübt haben, daß nämlich eine jede Person ihren eignen Raum haben solle. Für Petrus stehe ich ein, daß es bei ihm nicht aus Nachäfferei des Prunkes, sondern aus einer freigebigen, großmütigen und überfließenden Liebe hergekommen ist. Er wollte Mose und Elia länger behalten und sie daher auch auf das bequemste, so gut er konnte, beherbergen, damit sie ja gern bei ihm bleiben möchten. Rechte Liebe erweist nicht nur Gutes, Ehre und Höflichkeit, sondern sie befleißigt sich auch, alles auf das beste und zierlichste zu tun. Sie trägt gern goldene Äpfel in silbernen Schalen auf. Sie schont keine Mühe, sie sinnt auf Mittel und Wege, sie macht sich eine Freude daraus, dienstfertig zu sein, besonders wenn es Christus und die Seinen angeht. Hier zeigt sich das ehrliche Gemüt des Petrus auch darin, daß er nur für andere sorgt und seiner selbst dabei gänzlich vergißt. Er denkt, an ihm sei nichts gelegen; er sei ein schlichter Mann, ein armer Fischer, der schon manchmal über Nacht ohne Bett gewesen sei; er könne wohl unter freiem Himmel bleiben, wenn nur Christus, Mose und Elia ihre Bequemlichkeit hätten. Das laß ich mir Liebe sein, wenn ich anderen Hütten baue und selber ohne Decke auf dem Felde liege; wenn ich andre kleide und desto schlechter meinen eignen Leib einhülle. Das kann aber niemand tun und tut auch niemand, als wer mit Petrus die Freude des ewigen Lebens angefangen hat zu kosten. Sein Herz ist so mit himmlischer Freude erfüllt worden, daß er nichts sonst dagegen aufrechnet. Ach, wo ist jemals unsre Liebe und Ehrerbietung gegen Jesus so hoch gestiegen, daß wir gern nichts haben, nichts genießen und Leiden, Frost und Hitze ertragen wollten, wenn wir nur dem Herrn Jesus desto mehr Ehre erweisen könnten? Wer traut dem Herrn Jesus soviel zu, daß, wenn man gleich über seinem Dienst zu keinem eignen Hüttlein gelangen könnte, er einen doch nicht darben lasse, sondern zu sich in seine Hütte aufnehmen werde, wie vielleicht Petrus dies rechte Vertrauen zu seinem Meister gehabt hat. Und gewiß, wenn nur Jesus eine Hütte hat, so wird es uns nicht fehlen. Wir werden immer auch ein Räumlein bei ihm finden. Jesus scheidet sich nie von einem Petrus, der ihn liebt, für ihn sorgt und arbeitet und so herzlich verlangt, ihn beständig bei sich zu behalten. Das weiß Petrus, das weiß der Glaube wohl; darum ist er ruhig und unbekümmert um seine eigene Versorgung. Da er noch redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Matthäus 17, 5 Es war eine lichte Wolke. Die Wolken sind ihrer Natur nach nicht licht, sondern dunkel, schwer und finster. Diese aber war licht; denn sie war das Kleid, das der Herr anhatte (Ps. 104, 2). Nicht nur die sonnenhelle Klarheit des Leibes Jesu Christi, son- dem vor allem die übergroße Herrlichkeit des Vaters, der jetzt erschien, durchleuchtete sie derart, daß sie eine helle Wolke geworden war. Es ist ein wichtiger Unterschied zwischen der Wolke des Alten und der des Neuen Testaments, zwischen der Wolke am Sinai und der Wolke am Tabor. Jene war durchweg finster; diese ist licht. Jene war von Donner, Blitz und Sturmwinden begleitet; diese aber hat ein liebliches und angenehmes Licht. Das zeigt die unterschiedliche Beschaffenheit des Alten und Neuen Testaments, des Gesetzes und Evangeliums. Dort heißt es: »Fürwahr, du Gott Israel, bist ein verborgener Gott« (Jes. 45,15), jetzt aber: Fürwahr, du Gott der Herrlichkeit, du Vater unsers Herrn Jesu Christi, du bist ein lichter und hell geoffenbarter Gott. Niemand hat Gott je gesehen; aber der eingeborne Sohn in des Vaters Schoß hat uns das ganze Herz Gottes verkündigt (Joh. 1, 18). In dem Gesetz ist Finsternis, Grauen, Schrecken, Furcht und Zweifel; aber in der Gnade des Evangeliums ist Licht, deutliche Erkenntnis unsers Heils, Friede, Ruhe, Gewißheit und volle Zuversicht. In dem Gesetz ist wohl auch eine majestätische Herrlichkeit, die aber schreckt und tötet. Im Evangelium ist eine noch größere Herrlichkeit, die aber tröstet und lebendig macht (2. Kor. 3, 7—11). Wamm bleiben denn so viele unter euch immer bei Mose stehen und eilen nicht lieber zu Christus? Warum begnügt ihr euch mit der Zucht des Gesetzes und einem äußerlich gebesserten Leben? Warum fangt ihr es nur mit Werken an? Merkt ihr denn nicht, daß Gott euch auf diese Weise nie recht bekannt und offenbar wird? Ihr kommt zu keiner Versicherung seiner Gnade und lernt niemals ihn aus innig süßem Vertrauen »Abba, lieber Vater« (Röm. 8, 15) nennen. Es ist immer in euch ein Schrecken vor seiner Allmacht und Gerechtigkeit; ihr empfindet immer, wie euch der Buchstabe anklagt, richtet, verdammt und tötet. Wenn ihr eben meint, daß ihr einen Blick von Gott und eurem wahren Gnadenstand habt, ist es gerade, als wenn es wetterleuchtete. Der Blick verschwindet wieder und läßt euch in größerer Finsternis, Ungewißheit und Furcht stecken, als ihr vorher gewesen seid. Warum geht ihr nicht lieber zu Christus? Warum werdet ihr nicht einmal rechte arme Sünder und laßt eure eigne Gerechtigkeit aus dem Gesetz fahren? Warum öffnet ihr euer Herz nicht dem Licht und euren Willen der überschwenglichen Gnade in Jesus Christus? Warum werft ihr nicht einmal alles weg, alles, was Christus nicht ist, und geht ein auf eine redliche Verleugnung der Welt und eurer selbst? Warum achtet ihr nicht alles für Kot und Schaden, auf daß ihr Christus gewinnen könntet (Phil. 3, 8)? Warum übergebt ihr nicht einmal euer Herz dem einzigen Jesus, daß er es nach allem seinem Willen haben möge? Ihr würdet dann bald die Gnade des Neuen Testaments schmecken; ihr würdet zu dem Licht kommen und innewerden, wie es um euch stehe. Ihr würdet bald in diesem Licht das Licht sehen, nämlich Gott den Vater und Jesus euren Heiland. Es würde in euch still und ruhig werden, und ihr würdet eure Lust sehen an dem Licht und der göttlichen Gnade; aber ihr wollt diesen Weg nicht. Ihr wollt lieber im Alten Testament stehen bleiben und mit Bildern und Schatten umgehen. Ihr wollt euch lieber aus dem Gesetz allerlei Vorschriften machen und weiß nicht was für einen mühsamen Dienst für Gott auferlegen lassen, wenn ihr nur meint, ihr könntet unter dem dunklen Alten Testament noch manches verstecken, verbergen und behaupten, wenn ihr nur nicht zu dem so klaren Licht des Neuen Testaments, zu dem hellen Licht der Gnade, zu dem sonnenhellen Licht der unvergleichlichen Liebe Jesu hinan müßt, das euren ganz falschen Grund, euer geteiltes Herz und eure heimliche Weltliebe allzu deutlich aufdeckt und allzu scharf bestraft. Wahrlich, das ist die Ursache, warum so manche feine und ehrbare Seelen lieber mit Mose im Dunkeln als mit Christus im Licht zu tun haben. O, es ist alles licht und hell um Christus, ein unvergleichliches Licht! Es muß sich einer wohl um sein Herz bewußt sein, wenn er sich in dieses Licht stellen will. Gebet: Starker und heiliger Gott, dessen Macht in den Wolken ist! Es muß dir alles zu Diensten stehen, wenn du deinen heilvollen Rat an uns armen Menschen ausführen willst. Mit einer Wolke hast du den Ausgang deines Volkes Israel aus Ägypten begleitet und beschirmt. In einer Wolke bist du einstmals erschienen. Eine Wolke zeigte sich bei der Verklärung deines lieben Sohnes; eine Wolke nahm ihn vor den Augen der Jünger bei seiner Himmelfahrt hinweg, und in einer Wolke wird er dereinst wiederkommen mit großer Kraft, um den Kreis des Erdbodens zu richten. O laß uns niemals den Himmel und die Wolken ohne gute Gedanken und Betrachtungen ansehen! Stelle uns stets vor Augen einerseits deine unendliche Schöpfermacht, da du den Himmel so wunderbar ausgebreitet, die Wolken als einen Vorhang vorgezogen, so daß niemand dir gleich ist in den Wolken, und andererseits unsre Hoffnung auf das Zukünftige, da du diesen äußeren Vorhang hinwegtun und uns in das innere Gezelt, in den Himmel selber, hineinführen wirst zur ewigen Seligkeit. Amen. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! Matthäus iy, 5 O liebe Seelen, ich bitte euch, laßt euch erwecken und zum Nachsinnen bringen! Seht, was der himmlische Vater tut! Und ihr wollt nicht auch einmal diesen Jesus etwas bei euch gelten lassen? Ihr wollt immerhin fortfahren, ihn zu verachten, zu entehren, sein Evangelium, sein Reich, seine Gnade, seine Güter, seine Liebe und seine Berufung gering zu schätzen. Ihr wollt alle Phantastereien der Welt hochschätzen, bewundern, preisen, verlangen und lieben, nur Jesus nicht! Ihr wollt euch so bald damit begnügen lassen, wenn ihr etwa dem Herrn Jesus im Gebet oder sonst ehrerbietig begegnet oder hie und da etwas für ihn geredet und getan habt. Wie ist das so wenig gegenüber dem, was der himmlische Vater nacheinander tut! Ihr seid nicht Gott; aber wenn ihr Gott wäret, dann würdet ihr Himmel und Erde bewegen, daß Christus erkannt und geehrt würde. Was sollt ihr denn jetzt tun, ihr armen Erdenwürmlein? Solltet ihr denn nicht alles Äußere und Innere zusammennehmen und damit Christus groß machen? Solltet ihr meinen, es wäre genug, wenn ihr dies und das tut? Solltet ihr etwas zurückbehalten an Leib und Seel', an Ehr' und Gut, an Amt und Stand, das nicht alles zur Verherrlichung Jesu Christi angewendet werden müßte? Wie könnt ihr Ehre und Preis annehmen? Seid ihr die Leute, denen Ehre und Preis gebührt? Wer gibt sie euch?Der himmlische Vater tut es nicht! Er gibt Ehre und Preis seinem Sohn. Dann gibt euch Ehre und Preis nur die falsche Welt und der arge Teufel. Nehmt doch nicht mehr Ehre voneinander, um sie für euch zu behalten! Macht es wie der himmlische Vater und gebt Ehre und Preis dem hochgelobten Sohn Gottes! »Er ist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Lob« (Offb. 5, 12). Wenn ich auf der Welt hundert Kronen bekommen und sie bis in den Himmel hinein behalten und dorthin gebracht hätte und auf dem Stuhl das Lamm erblicken würde, so nähme ich sie alle und würde sie diesem Lamm geben und sagen: Ich hätte sie dir längst geben sollen; ich sollte dir tausendmal unendlich mehr geben als dies! Seht, wie groß Jesus ist, dem einmal alles, alle Kronen, alles, was herrlich ist, was Ehre und Preis ist, zu Füßen wird gelegt werden! Seht, wie man es im Himmel macht, wie es Mose, Elia und alle Seligen machen, wie es der Vater im Himmel selber macht: Ehre und Preis geben sie diesem Jesus aus dem Himmel! Es ist ja freilich so, daß aus dem Himmel Jesu Ehre und Preis gebracht werden müssen; denn auf Erden gibt ihm fast niemand Ehre und Preis. Ihr Lieben, das müsse ein Wort der Aufmunterung für uns sein! Wir wollen es nicht umsonst hören und das Beispiel des Vaters nicht vergeblich ansehen. Nun, wodurch empfing denn der Herr Jesus vornehmlich Ehre und Preis? Antwort: »Durch eine Stimme, die zu ihm sprach aus der großen Herrlichkeit: >Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!<« Ehre und Preis widerfuhr ihm durch eine Stimme, die an sich das Geringste dabei war, wenn sie auch hauptsächlich ein Schall gewesen ist, den der Herr in der Luft in seiner Allmacht geschaffen hat. Das Wichtigste war die Botschaft dieser Stimme: »Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!« Ich kann zwar Christus nicht zu einem Sohn Gottes, nicht zu einem Erlöser und Heiland der Welt machen; aber ich habe doch eine Stimme, mit der ich ihn als solchen bekennen kann. Diese Stimme hat mir der allmächtige Gott geschaffen, und mit dieser Stimme will ich meinem allerteuersten Jesu Ehre und Preis geben. Es ist etwas Geringes um eine Stimme; sie ist ein bißchen Wind aus der Lunge, der an die Zähne anstößt und in der Luft einen Hall macht. Wie gering erscheint dies! Aber wie groß und köstlich ist es doch vor meinem Herzen; denn ich kann auch mit dieser schwachen Stimme meinem großen Jesu Ehre und Preis geben. Darum soll auch dies Geringe an mir nicht müßig oder unnütz sein, sondern zur Verherrlichung Christi dienen. O ja, ihr Lieben, laßt dies mit mir euren Entschluß sein! Freut euch und dankt dem Schöpfer, daß er euch eine Stimme gegeben hat; aber gebraucht sie auch gut! Leiht sie dem himmlischen Vater, daß er mit ihr seinem Sohn Ehre und Preis geben kann! Es gibt Ausleger, die meinen, diese Stimme sei nicht unmittelbar die Stimme Gottes gewesen, sondern mittelbar durch den Dienst der Engel so gebildet worden. Es ist wohl ein müßiger und unnötiger Gedanke; aber dies ist doch herzlich zu wünschen, daß der himmlische Vater durch uns reden und unsre Stimme als seine Stimme gebrauchen könne! Es kann Gott nicht mit eigner Stimme zu uns Menschen reden; er bedient sich aber dazu besonders des Dienstes der Menschen, wie David sagt: »Der Geist des Herrn hat durch mich geredet; und seine Rede ist durch meine Zunge geschehen« (2. Sam. 23, 2). Welch eine Veränderung würde aber da in unserem Reden vor sich gehen! Wie würde der Herr unsre Zungen immer so lenken, daß Christus durch unsre Stimme Preis und Ehre gegeben werden könnte, wie es hier geschah mit den Worten: »Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!« Dies ist die gleiche Ansprache, die etwa drei Jahre zuvor am Jordan bei geöffnetem Himmel auch geschehen war. Damals sollte der Herr Jesus sein Amt antreten und mit göttlicher Autorität und Versicherung seiner Sohnschaft in dasselbe eingeführt werden. Es tut viel zu einer mutigen Aufnahme und freudigen Führung eines Amtes, wenn ich ein Kind Gottes bin und weiß, daß ich es bin und der Vater mich versiegelt hat, damit ich ihm angehöre und er an meinem Tun Wohlgefallen habe. Ebenso ist es auch mit unserem allgemeinen Christenberuf. Mein Gott, wie fröhlich läßt es sich da arbeiten, wie tapfer den Teufel aufsu-chen, wie getrost die Welt angreifen, wie unverzagt die Sünden strafen und wie zuversichtlich beten, wenn der himmlische Vater mich zuvor wiedergeboren oder mir ins Herz hineingesagt hat: »Du bist mein Sohn; und mein Vornehmen wird durch deine Hand fortgehen« (siehe auch Jes. 53, 10)! Wo dies aber nicht zugrundeliegt, da murmelt man nur, wie die Götzendiener unter der Erde so etwas dahermurmeln (Jes. 29,4 nach dem Grundtext). Daher ist man auch sonst verzagt, träge, müde und nachlässig. Nun hat der Herr Jesus sein Amt drei Jahre lang geführt und hat es so gut geführt, daß sich der himmlische Vater auch noch vor der Niederlegung desselben nicht enthalten kann, das frühere Zeugnis von ihm zu wiederholen, sein Wohlgefallen an ihm zu bestätigen und noch etwas hinzuzufügen, nämlich die Ermahnung an die Menschen, die das erstemal nicht hinzugesetzt worden war: »Den sollt ihr hören!« O köstliches Verhalten, wenn einer die Ehre und das Zeugnis, das ihm bei der Taufe erteilt wurde, sein Leben lang behält; wenn ich eine Weile Gott gedient habe und er mir das Zeugnis gibt, daß ich noch sein liebes Kind sei und er Wohlgefallen an meinem Werk habe. Das ist schön, wenn es aus dem Munde Gottes vor drei Jahren so von mir gelautet hat und jetzt noch so lautet: »Dies ist mein lieber Sohn!« ja, wenn es vor dreiunddreißig Jahren, vor vierzig und fünfzig Jahren so gelautet hat und ich nicht zurückgefallen bin, und der Herr anerkennt mich noch als sein Kind, billigt noch meine Arbeit und vertraut mir mehr an! Wie bekommt unser Zustand gar oft in drei Jahren ein so anderes Aussehen! Darum bedenke entweder, wovon du gefallen bist, und tue wieder die ersten Werke, oder wache und behalte den Ruhm deines guten Gewissens bis ans Ende! Beidemale wurde dem Herrn Jesus versichert, daß er Gottes Sohn sei. Dieser Punkt war unter den Juden der Stein des Anstoßens; über ihm erhob sich der größte Widerspruch in seinem Lehramt von seiten des Teufels und der Menschen. Bei seinem Leiden vor dem geistlichen und weltlichen Gericht war dies teils die schärfste Anklage, teils die letzte Ursache seiner Verdammung zum Tode, aber auch noch der letzte Lästerpfeil gegen ihn, als er am Kreuz hing: »Bist du Gottes Sohn, so steig herab vom Kreuz!« (Matth. 27, 40). Er helfe sich nun; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn! Was aber bei den Feinden Christi eine Gotteslästerung hieß, das wird zweimal aus dem Himmel von dem Vater selbst als die allerteuerste und wichtigste Grundwahrheit all unsres Heils bestätigt und wider Teufel und Menschen gewiß gemacht. Darum sollen wir auf dies wiederholte göttliche Zeugnis unseren Glauben so unbeweglich gründen, daß auch die Pforten der Hölle ihn nicht überwältigen können. Es gibt keine größere und kräftiger bezeugte Wahrheit als diese: »Jesus Christus ist Gottes Sohn!« Es gibt hingegen auch keine größere Lüge, als dies zu leugnen. Johannes sagt: »Wer ist ein Lügner, wenn nicht, der da leugnet, daß Jesus der Christus sei!« (1. Joh. 2, 22). Er sagt also: Wenn der nicht ein Lügner ist, dann weiß ich nicht, wer sonst ein Lügner genannt werden könnte! Es mögen viele Lügner in der Welt sein; aber so ist keiner unter allen wie dieser, der da leugnet, daß Jesus Gottes Sohn sei. Wo hingegen diese Wahrheit einmal im Herzen Wurzel schlagen kann, da ist alles gewonnen, da ist das Christentum in schönster Blüte, in Kraft und Wachstum, voll Freude und Seligkeit. Wer es von Herzen glaubt, der ist aus Gott geboren, der bleibt in Gott und Gott in ihm, der überwindet die Welt, der zieht seine Straße fröhlich und stirbt selig. Auf Christus hören, wenn er mit uns redet! Nichts Besseres können wir in der Welt erwarten, als daß Christus mit uns redet. An ihm haben wir also einen Propheten, der über alle Propheten ist, auf den alle Welt vertröstet worden ist. Er steht im geheimsten Umgang mit Gott und redet alles zu uns im Namen, auf Befehl und mit dem Wohlgefallen und mit der Genehmigung des Herrn, der nicht stumm ist, der nicht lispelt und murmelt, der da redet, was er von seinem Vater gehört hat, der lehrt und unterrichtet, der befiehlt, anordnet und verbietet, der rät und abrät, der warnt und droht, der tröstet und zuspricht, der zukünftige Dinge verkündigt, der ein allgemeiner Lehrer ist für alle Völker, Sprachen und Leute, der ein lieblicher Lehrer des Evangeliums ist, wie es Jesaja 61, 1—3 heißt: »Der Geist des Herrn Herrn ist über mir, darum daß mich der Herr gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, daß ihnen geöffnet werde, zu verkündigen ein gnädiges Jahr des Herrn und einen Tag der Rache unseres Gottes, zu trösten alle Traurigen, zu schaffen den Traurigen zu Zion, daß ihnen Schmuck für Asche und Freudenöl für Traurigkeit und schöne Kleider für einen betrübten Geist gegeben werden, daß sie genannt werden Bäume der Gerechtigkeit, Pflanzen des Herrn zum Preise.« Er ist ein von Gott gelehrter, wahrhaftiger und beständiger Lehrer, der in- und auswendig lehrt, der eine gelehrte Zunge hat und weiß, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden (Jes. 50, 4), dessen Worte Geist und ewiges Leben sind (Joh. 6, 63). Dies ist das Amt des Herrn, des Messias. Er hat es von seinem himmlischen Vater empfangen, ein Lehrer der Menschen zu sein. An ihn hat jede Seele den Anspruch, daß er sie seine Stimme hören lasse. Das ist seine Pflicht und Schuldigkeit, ebenso wie es unsere ist zu hören. Ich kann aber nicht hören, wenn er nicht redet. Daraus könnt ihr urteilen und versichert sein, daß er es gewiß an seinem Reden und Lehren nicht werde ermangeln lassen. Wenn ich meine Unwissenheit und Torheit erkenne oder wenn ich hie und da zögere und keinen Rat weiß, dann darf ich zu Jesus Christus hingehen, ihn an sein Amt erinnern und getrost sagen: Du Wort des Vaters, rede du und stille meine Sinnen; sag an, ich höre willig zu, ja, lehre frei von innen! So schweigt Vernunft mit ihrem Tand, und du bekommst die Oberhand nach deinem Recht und Willen. Dir räum7 ich all mein Innres ein, das wollest du, ja du allein mit deinem Geist erfüllen.1 Nehmt diesen von Gott gesandten Lehrer mit tausend Freuden auf! Setzt euch zu seinen Füßen nieder und hört seiner Lehre zu! Laßt kein Wort an den Ohren und keine Gelegenheit Vorbeigehen, da ihr ihn hören könnt! Wie gefällt es dem himmlischen Vater so wohl, wenn jemand seinen Sohn hört! Wie redet der Sohn so liebliche Dinge! Ihr hört ja andere, warum ihn nicht? Hört ihn, ihr könnt sonst nicht weiterkommen, ihr könnt sonst nicht zum Glauben gelangen! Durch das Gehör fällt der Heilige Geist in das Herz. Euer Ohr höre sich an ihm nimmer satt; denn wen oder was wollt ihr doch lieber hören als ihn, den euch der Vater vom Himmel so öffentlich, so herrlich, so oftmals anpreist, der euch den Weg Gottes recht lehrt, der zugleich seinen Katheder und Lehrstuhl im Herzen hat, der der liebe Sohn des himmlischen Vaters ist, an dem er all sein Wohlgefallen hat? Ach, höre doch, wer Ohren hat zu hören, das Wort des Lebens, das ihm schon von Ewigkeit her das Wort geredet hat! Hört den, in dessen Mund kein Betrug erfunden worden ist! Hört, ach hört ihn doch, der in die Welt gekommen ist, daß er für die 1 Siehe »Zeugnisse der Schwabenväter«, Band VI: J. A. Bengel: Du Wort des Vaters rede du, Seite 71 Wahrheit zeugen soll! Wer aus der Wahrheit ist, der hört seine Stimme. Hört hin, wenn er ruft: »Tut Buße und glaubt an das Evangelium!« Hört ihn, wenn er ruft: »Lasset euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen!« Hört ihn doch, wenn er ruft »Kommet her zu mir alle! Lernet von mir! Verleugnet euch selbst; nehmet euer Kreuz auf euch und folget mir nach!« Hört ihn, wenn er ruft: »Wachet und betet; sehet zu und hütet euch vor dem Geiz! Hütet euch, daß eure Herzen nicht beschwert werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung, und komme dieser Tag schnell über euch; denn wie ein Fallstrick wird er kommen über alle, die auf Erden wohnen!« (Luk. 21, 34. 35)- So sind wir selig; denn wir hören Christus. Unser Glaube gründet sich auf das Wort des Sohnes, den wir hören sollen. Damit hat der himmlische Vater das prophetische Amt Christi bestätigt und uns die öffentliche, teure Versicherung gegeben, daß seines Sohnes Lehre und Evangelium unser ewiger Trost sein solle. Hören wir ihn, dann hört er uns wieder in unserm Gebet und verachtet nicht das Seufzen in unserer letzten Not. Wenn der Herr noch so freundlich mit uns redet, wenn er uns noch so lieblich lockt, wenn er noch so holdselig von dem Herzen, Willen und Wohlgefallen Gottes predigt, dann ist das alles recht vor dem himmlischen Vater; dazu hat er hier Ja und Amen gesagt. Wer Christus hört, der hört den, der ihn gesandt hat; denn Gott war in Christus und redete durch ihn. Was Christus redete, das waren die Worte seines Vaters und nicht seine eignen Worte, wie Christus selber bei Johannes so oft sagt. Wie sehr versündigen wir uns dann, wenn wir den Sohn Gottes, der jetzt zu der Rechten des Vaters sitzt, nicht hören wollen, da die so hart von Gott gestraft worden sind, die ihn nicht angenommen haben, da er noch auf Erden redete und in seine Herrlichkeit noch nicht eingegangen war! Da das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: »Stehet auf, und fürchtet euch nicht!« Matthäus 17, 6. 7 Nun hat der himmlische Vater seinem Sohn bisher Ehre und Preis gegeben und ihn damit kräftiglich als den wahren und wesentlichen Gott erwiesen; denn er gibt sonst seine Ehre keinem anderen, noch seinen Ruhm den Götzen (Jes. 42, 8). Nun hat er ihn durch eine Stimme vom Himmel öffentlich als den allgemeinen Lehrer der Welt vorgestellt und über ihm ausgerufen: »Den sollt ihr hören!« Nun soll dieses Wort in unsren Ohren fortschallen und eine sehnliche Begierde in uns erwecken, daß er sich doch möge hören lassen. Nun sollen wir gewiß nicht weniger als Samuel inzwischen gebetet haben: »Rede, Herr Jesus; denn dein himmlischer Vater hat dir Bahn gemacht und dich zu hören befohlen!« Und siehe, der Herr Jesus läßt nicht lange auf sich warten. Er findet bald Gelegenheit, seinen Mund aufzutun und sein heilwärtiges2 Amt an uns Menschen zu beweisen. Die erste Probe davon machte er an seinen erschrockenen Jüngern zu einem gewissen Pfand und Vorbild, was er auch an unsren blöden Seelen tun werde. Herr Jesus, du einziger Mittler zwischen Gott und den Menschen, beweise jetzt dein von dem himmlischen Vater bestätigtes Mittleramt auch an uns kräftig, wie du es sofort mit Werken und Worten an deinen Jüngern bewiesen hast. Du bist ja noch derselbe treue Heiland, und dein Mittleramt währt noch immer. O so verlassen wir uns denn auf deine Güte und Wahrheit, daß sie auch uns leite und bringe zu deinem heiligen Berg. Amen. Es muß doch alles dazu helfen, daß der Herr Jesus nur fein bald mit seinem Amt zu uns kommen kann. Sobald der himmlische Vater auf Christus deutete: »Dies ist mein lieber Sohn!« und sobald er seine Stimme erschallen ließ: »Den sollt ihr hören!« verging den Jüngern Gesicht und Gehör. Eben da war die rechte Zeit, da der Herr Jesus auf der Stelle zeigen konnte, was 2 Von dem Hauptwort »Heilwart« abzuleiten, d. h. einer, der Heil bringt uns der himmlische Vater für einen nötigen, lieblichen und unvergleichlichen Mittler an ihm geschenkt habe. Wir wollen daher sehen, an was für Seelen er sein Mittleramt kraftvoll zu beweisen pflege. Dazu dienen uns die Jünger, von denen unser Text sagt: »Da das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr.« Dreierlei wird hier von den Jüngern angezeigt: 1. daß sie gehört, was der Vater gesagt hatte: »Den hört!« und nun folgt: »Da sie solches hörten.« Der Vater zeugt von seinem Sohn. Er macht kund, daß ihm nichts gefalle als sein Sohn; er weist alle Menschen auf ihn hin und empfiehlt ihn als allgemeinen Lehrer. Wer nun dies hört und von dem Vater lernt und auf Christus wartet, an dem kann sich Christus beweisen; der kann Worte des ewigen Lebens von ihm hören, ja selbst das ewige Leben empfangen. 2. Es heißt: »Sie fielen auf ihr Angesicht.« Das war übel getan. Sie hätten sollen stehen bleiben neben Christus und ihn ansehen. Hat doch der himmlische Vater auf ihn gleichsam mit Fingern gewiesen: »Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!« Hätten sie nun ihre Angesichter nicht zu ihm wenden sollen? Der Vater befahl: »Den sollt ihr hören!« und da sie dies hörten, fielen sie auf ihre Angesichter zur Erde, statt daß sie sich zum Anhören hätten recht anschicken sollen. Überdies sagt der Text: »Sie erschraken sehr.« So geht es! Während die Jünger Jesus ansahen in seiner Herrlichkeit, waren sie voll Freude und bekannten: »Herr, hier ist gut sein!« aber da sie ihre Augen von ihm abwandten und zur Erde kehrten, wurden sie voll Furcht. Daher kommt immer noch alle Ängstlichkeit und Furchtsamkeit, wenn man neben Jesus hinsieht, ihn aus den Augen verliert, seine Herrlichkeit vergißt, sich zur Erde neigt und auf das Irdische verfällt; da verschwindet Freude, Licht, Zuversicht und entsteht hingegen Angst, Furcht, Anklage, Finsternis und Traurigkeit. So ist es mit uns schwachen und elenden Menschen! Nunmehr wollen wir beobachten, wie und auf welche Art und Weise der Herr sein Amt an uns Menschen ausrichte. In unserem Text heißt es: »Aber Jesus trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Fürchtet euch nicht, steht auf!« Hier ist der Herr Jesus nun recht auf seinem Arbeitsfeld, in seinem Zentrum und Element; denn dies ist sein Amt. »Er richtet auf alle, die niedergeschlagen sind« (Psalm 145,14). Er beweist dies mit Werken und Worten. Sie waren niedergefallen auf ihre Angesichter; aber Jesus, der stehengeblieben war, Jesus, der die Stimme seines himmlischen Vaters wohl kannte, trat zu ihnen. Der Herr Jesus ist zu allererst so hoch von dem Vater geehrt worden; aber er erhebt sich nicht wegen dieser himmlichen Stimme und Ehre. Er schämt sich nicht dieser armen, blöden und hingefallenen Jünger, sondern tritt zu ihnen, ihnen zu helfen und zu wehren, daß ihnen kein größerer Unfall begegnen möchte. Ach, des treuen Freundes unserer Seelen, der deswegen vom Himmel herabgestiegen ist, daß er nun recht nahe zu uns hintreten und sich unserer Notdurft als ein überall gegenwärtiger Heiland annehmen könnte! Entsetzen wir uns in unserer Unheiligkeit vor der Gerechtigkeit Gottes, so tritt Jesus zu uns. Hat uns Gottes Majestät gedemütigt, so tritt Jesus zu uns. Sind wir in Sünde gefallen, so tritt Jesus zu uns voll Erbarmen und Mitleid. Liebe Seelen, daß wir doch alle nur erst recht niedergeschlagen wären über unsren hohen Sinn, unsren Hochmut, unsere Sicherheit und Freiheit. Ach, daß wir uns doch ebenso vor der Zornesstimme Gottes fürchteten wie hier die Jünger vor der Gnadenstimme! Ach, daß wir von einer recht tiefen und gründlichen Ehrerbietung gegen Gott und göttliche Dinge ergriffen wären! Ach, daß wir das Wort, durch das der Herr mit uns redet und durch das er uns so nahe und gegenwärtig ist, auch mit solcher ehrerbietigen Furcht und Demut anhörten, so würde gewiß der Herr Jesus zu uns eilen und sich noch näher zu uns tun. Er sieht sich nur nach solchen um, die niedergefallen sind auf die Erde, die mürbe geworden sind, die ihre Knie vor Gott haben beugen gelernt, die Scham und Furcht bis in den Staub, ja bis auf ihre Angesichter niedergelegt haben. Ihnen springt er alsbald bei und beweist an ihnen seine wunderbare Güte wie hier an den Jüngern, die er angerührt hat. Da sie weder sahen noch hörten vor Schrecken, gab er ihnen ein anderes Zeichen seiner huldreichen Gegenwart, daß er bei ihnen sei. Er rührte sie an, daß sie ihn doch fühlen möchten. Sie hatten ihn vor Schrecken und Entsetzen nicht gehört, obwohl er mit ihnen geredet hatte; darum rüttelt er sie, damit sie zu sich selber kämen und ihn, auch wenn sie aufsähen, nicht für ein Gespenst ansehen möchten, sondern besser vernehmen könnten. Wie sind wir so elende Menschen! Sind wir ohne Gott, dann sind wir höchst unselig; offenbart sich Gott, dann sind wir verzagt und furchtsam. Will uns der liebe Gott zu seinem Sohn hinlocken, ihn zu hören, dann sinken wir zu Boden. Anstatt daß wir zu Jesus hintreten sollten, fallen wir auf die Erde. Tritt Jesus gleichwohl zu uns, wiewohl wir zu ihm hätten fliehen sollen, dann sind wir aus mancherlei Ursachen so ungeschickt, daß wir seine Gegenwart nicht merken und glauben. Er steht vor uns voll Erbarmen, Liebe und Sorgfalt; aber unsere Angesichter sind vor Traurigkeit oder anderer Unordnung zur Erde gekehrt. Er möchte uns gern auf das beste trösten; aber er muß oft gewahr werden, daß kein Wort bei uns angebracht wäre. Darum rüttelt er uns, ob wir ihn fühlen oder greifen, ob wir aufmerksam werden möchten, seine Gegenwart zu sehen und seine Stimme zu hören. Da sehe man, wie sehr eine Seele eines Heilandes bedarf! O was fehlt dem Menschen! O wie ungeschickt stellt er sich an, wenn er Gott soll zugeführt werden! Was für Mühe und Arbeit, was für Geduld und Langmut muß der Herr Jesus beweisen, ob er, wenn nicht durch Augen und Ohren, so doch durch Tastsinn und Gefühl, durch diesen oder jenen Versuch uns etwas von seiner göttlichen Kraft beibringen könne. Wenn der Vater sie angerührt hätte, wären sie gar vergangen. Das Anrühren durch Jesus aber gibt ihnen Kraft. Das ist eben die Ursache, weshalb unser Mittler Gott und Mensch sein mußte, daß er uns ja recht anrühren, nahe berühren und allerlei Lebenskräfte uns zuführen möchte. Wie streckt er noch immer seine Hand über uns aus und rührt uns an, daß uns kein Übel geschehen soll! Wie rührt er uns an im Heiligen Abendmahl mit seinem leibhaftigen Leib und Blut, die der Welt das Leben geben! O daß wir doch uns nicht verhärten und durch beharrliche Sünden gleichsam fest machen möchten, so daß nichts eindringen kann! Hütet euch vor dieser teuflischen Bosheit, und laßt euch durch die guten Rührungen und Bewegungen, die ihr spürt, aufmuntern und zubereiten für weitere Gnadenwirkungen Jesu Christi! Der Heiland greift sein Amt auch mit Worten an und spricht: »Stehet auf und fürchtet euch nicht!« Welch köstliche und unschätzbare Worte sind aus seinem Munde gegangen! Das sind die ersten Worte, die Jesus geredet hat, nachdem der Vater vom Himmel befohlen hatte: »Den sollt ihr hören!« Alle Worte Jesu sind mir billig unschätzbar; diese aber zehn- und hundertmal mehr. Die will ich denn hören, sie aber auch bewahren in einem feinen und guten Herzen. Es hat mich sehr verlangt, was ich hören werde, da der himmlische Vater so laut rief: »Den sollt ihr hören!« Jetzt höre ich, was dieser geliebte Sohn des Vaters redet, was dieser bestellte Lehrer der Welt spricht, nämlich lauter tröstliche und freundliche Worte. Es ist kein Schelten und Drohen da. Er hätte wohl sagen können: Was seid ihr doch für Leute! Wie muß man sich mit euch plagen! Wie ist euch doch nichts recht zu machen! Zuvor lagt ihr auf dem Ohr und schlieft; jetzt liegt ihr auf der Nase und zittert! Ihr konntet weder wachend Zusehen, noch stehend zuhören! Was wird es endlich mit euch werden! Man weiß ja gar nicht, was man mit solchen ungeschickten Leuten anfangen soll. Lieber Heiland, so hätte ohne Zweifel ich geredet, wenn ich solche Untergebene gehabt hätte; aber du bist geduldiger, sanftmütiger, erbarmender, freundlicher und gnädiger als ich und alle Menschen. Es geht kein unsanftes Wort aus deinem Munde, ja, nichts als Zuspruch, Hilfe und Trost. Wie haben wir uns eines solchen Heilands zu erfreuen! Welch ein Unterschied ist es, wenn Gott der Vater und wenn sein Sohn, unser Mittler, redet! Habe Dank,lieber Heiland,daß du dich dazu verstanden hast, mit uns zu reden; denn dich können wir hören. Du redest Kraft und Leben in uns hinein. Wenn du redest, dann erholen wir uns von allem Schrecken und haben Kraft genug aufzusehen. Das erste Wort Christi ist also: »Stehet auf!« wie es auch sein letztes sein wird: »Stehet auf, ihr Toten!« Wie es nun dort seine Kraft haben wird, die Toten aufzuwecken, so hat es auch die Kraft, uns aus dem geistlichen Tod oder doch aus unserer Trägheit, Niedergeschlagenheit und Ungeschicklichkeit aufzurichten und auf die Füße zu stellen, daß wir wandeln und mit ihm dem Vater entgegengehen können. Der Vater sagt: »Höret ihn!« Dies ist jetzt Jesu erstes Wort: »Stehet auf!« Darum laßt uns hören; laßt uns aber auch aufstehen! »Stehet auf von den Toten, so wird euch Christus erleuchten!« (Eph. 5, 14). Das andere Wort ist: »Fürchtet euch nicht!« Dies ist eine andere Sprache als die im Alten Bund; da mußten sich die fürchten, die sie hörten. Hier ist die Summe all dessen, was der Mittler zwischen Gott und uns, was der große Prophet, was der Dolmetscher des väterlichen Herzens mit uns zu reden hat: »Fürchtet euch nicht!« Fürchtet euch doch nicht vor Gott! Er mag scheinen, wie er will; er ist doch nichts als ein Vater. Es war nicht unbillig, daß sich die Jünger vor dieser majestätischen Offenbarung Gottes fürchteten, da es Psalm 99, 1 heißt: »Der Herr ist König, darum zittern die Völker; er sitzt auf den Cherubim, darum bebt die Welt.« Doch sollen sie sich nicht fürchten. Wieviel weniger sollen wir uns denn über geringere und unnötigere Dinge fürchten! Nein, nein, fürchtet euch nicht, durch mich zu Gott zu nahen; fürchtet euch nicht vor der Stimme Gottes! Sie will nichts anderes, als daß ihr mich hören sollt. Die Stimme Gottes hält euch eure Sünden nicht vor; sie beschämt euch nicht und fordert nicht unerträgliche Dienste. Sie will nichts als von Gnade und Wahrheit, von Kraft und Seligkeit mit euch reden. Darum fürchtet euch ja nicht! Fürchtet euch nicht, zu Gott zu nahen! Fürchtet euch nicht, Christus zu hören und ihm zu folgen! Fürchtet euch nicht, von Welt und Sünde euch loszureißen! Fürchtet euch nicht, als ob es euch im Gehorsam gegen Christus übel ergehen würde! Ohne ihn müßt ihr alles fürchten, bei ihm aber nichts mehr. Welche aufstehen, die dürfen sich nicht fürchten. Ehe Jesus redet, muß man sich freilich fürchten; aber sobald er anfängt zu reden, nimmt diese Stimme alle Furcht hinweg. Welch ein Unterschied! Da die Jünger den Vater reden hörten, erschraken sie; da Jesus hingegen redet, erholen sie sich von ihrer Furcht. Des Herrn Amt ist nicht, die Menschen zu erschrecken, wie es das Gesetz tut; sein Amt ist vielmehr zu trösten, wie es dem Evangelium entspricht. »Er hat mich gesandt, den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, daß ihnen geöffnet werde, zu verkündigen ein gnädiges Jahr des Herrn und einen Tag der Rache unseres Gottes, zu trösten alle Traurigen, zu schaffen den Traurigen zu Zion, daß ihnen Schmuck für Asche und Freudenöl für Traurigkeit und schöne Kleider für einen betrübten Geist gegeben werde, daß sie genannt werden Bäume der Gerechtigkeit, Pflanzen des Herrn zum Preise« (Jes. 61, 1—3). Gebet: O so kehre dich nun zu uns, Herzensjesu, mit deinem segensvollen Mittleramt. Wecke mit deiner Allmachtsstimme auf, die noch schlafen, daß sie aufstehen vom Sündenschlaf und aus dem Verderben errettet werden. Sprich den traurigen und erschrockenen Seelen Mut zu, daß sie sich freuen über allem Guten, das du ihnen erworben hast. Vertreibe durch die völlige Liebe alle knechtische Furcht aus unsem Herzen, und richte darin dein Reich ganz und gar auf, das da ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. Amen. Da sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Matthäus 17, 8 Diesen Vers halte ich für den Diamanten in dem goldenen Ring dieser Geschichte. Die Jünger sahen zuvor Jesus in großem Glanz und großer Herrlichkeit; aber sie wurden darüber bestürzt. Sie sahen Mose und Elia; aber diese entwichen in der Wolke. Sie hörten die Stimme des Vaters von seinem lieben Sohn zeugen; aber sie erschraken und fielen zu Boden. Jetzt sehen sie wieder Jesus, sehen ihn allein, sehen ihn bei ihnen bleibend und fühlen sich gestärkt, getröstet und erfreut darüber. Sie hoben ihre Augen auf, die zuvor geschlossen oder doch mindestens vor Furcht und Schrecken zur Erde gesenkt waren. Wenn wir uns fürchten, wenn wir traurig und verzagt sind, ist es ein gewisses Anzeichen, daß wir Jesus nicht sehen. Was hilft cs uns aber, daß ein Jesus bei uns steht, wenn wir ihn nicht sehen und nicht sehen wollen? Darum hebt eure Augen auf! Markus erzählt von den Jüngern, daß sie sich sogleich umgesehen haben, als Jesus zu ihnen sprach: »Stehet auf, und fürchtet euch nicht!« (Mark. 9, 8; Matth. 17, 7). Bei den Jüngern hat also der Zuspruch Christi etwas genützt. Sie haben alsbald aufgesehen. Wie oft aber muß der Herr Jesus uns zurufen: »Stehet auf!« und wir bleiben doch liegen! Wie oft, wie oft steht in der Bibel: »Fürchte dich nicht, du Würmlein Jakob, ihr armer Haufe Israel! Ich helfe dir, spricht der Herr, und dein Erlöser ist der Heilige in Israel« (Jes. 41, 14). — »Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben« (Luk. 12, 32). — »Fürchte dich nicht, Abram! Ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn« (1. Mose 15, 1). — »Fürchte dich nicht; denn ich habe dich erlöst! Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!« (Jes. 43, 1). — »Fürchte dich nicht; ich bin mit dir! Weiche nicht; denn ich bin dein Gott! Ich stärke dich; ich helfe dir auch;ich erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit« (Jes. 41, 10). Wir aber kehren uns an alle diese Zusprüche nicht und verharren weiter in unserem Zagen. Je mehr man zuspricht, wir sollen uns nicht fürchten, desto mehr fürchten wir uns; denn wir heben unsre Augen nicht auf zu Gott, dem Ewigen, dem Allmächtigen und Wahrhaftigen. Wir heben sie nicht auf zu Jesus, dem treuen, holdseligen und tröstenden Jesus. Wir sehen auf die Erde und sehen nichts als Jammer und Not, lauter boshaftige, ungetreue, eigennützige, unbarmherzige, grausame Menschen, ja verzagte, blöde und klagende Weiber in Mannskleidern, lauter Löwen, Bären, Tiger, vor denen wir uns wie tot auf die Erde legen und den Staub lecken, damit sie sich unser erbarmen oder gleichsam schämen sollen, sich an uns Elende zu wagen. Wir meinen hingegen, wir würden gleich gefressen werden, wenn wir dem Wort Jesu folgen, uns aufrichten oder den Kopf emporheben würden; und so bleiben wir in unserem zagenden Unglauben liegen. Würden wir aber einmal dem Herrn Jesus trauen, auf sein Wort hin aufstehen, von unsern Sünden uns bekehren, auf seine Verheißung uns verlassen und also um uns her, ja über uns hinaussehen (denn wer Jesus sehen will, muß in die Höhe sehen), so würden wir gewiß Jesus sehen und erkennen, daß er wahrhaftig bei uns ist, sich unsrer Seele herzlich annimmt und uns genug Beistand leiht gegen alles, was wir fürchten. Da die Jünger ihre Augen aufhoben, sahen sie sich um nach Mose, nach Elia und nach der Wolke. Sie sahen aber niemand als Jesus allein. Mose war gewichen; Elia hatte sich zurückgezogen; die Stimme des Vaters schwieg, und die Wolke war verschwunden. Christus ist allein da, aber nicht mehr in seinem vorigen Glanz, sondern in seiner gewöhnlichen, niedrigen Knechtsgestalt. Es scheint, daß die Jünger doch viel verloren; es ist aber nichts verloren, sondern alles gewonnen. So wollte sie der himmlische Vater aus der Vielfalt in die Einfalt führen. Er wollte sie in der Tat lehren, daß sie an dem einzigen Christus alles zur Genüge haben. Was sollten sie weiter mit Mose und Elia tun, deren Macht und Ansehen vor dem Amt Jesu nicht bestehen konnte? Das Gesetz und die Propheten führen uns an der Hand zu Jesus. Wenn wir ihn gefunden haben, dann haben wir den einzigen Mittler zwischen Gott und uns und bedürfen keines anderen mehr. Was bedurfte es weiter der Wolke? Die Schatten und Bilder müssen billig weichen, wenn die einzige Sonne der Gerechtigkeit, Jesus Christus, aufgeht. Auch die Stimme des Vaters selber war nimmer nötig, die die Jünger ja nicht ertragen konnten. Der Vater hat einmal geredet; künftig soll niemand mehr gehört werden als dieser sein Sohn allein. Wozu sollte der Glanz an dem Leibe Jesu Christi weiter dienen, den er nun bald hingeben würde zu einer Gabe und einem Opfer am Kreuz, Gott zu einem süßen Geruch unsrer Versöhnung? Was bedeutet die ganze Herrlichkeit auf dem Berge? Tabor kann unmöglich der Himmel sein, und die Erde kann unmöglich eine lange Herrlichkeit gewähren. Es währt alles nur eine kleine Zeit und weist uns an, Jesus zu suchen, zu lieben und zu ergreifen, der allein in Ewigkeit bleibt. Der Endzweck aller Anstalten Gottes, all unserer Führungen soll überall dieser sein: »Nichts als Jesus allein!« Dazu muß alles dienen. Und wenn es auch scheint, als ob unser Gott selber uns in eine weitläufige Peripherie und Mannigfaltigkeit und in Nebenwege hineinführe, so geschieht es doch nur darum, daß wir, von der Menge unsrer Wege ermüdet, desto williger, ruhiger, freudiger immer wieder in das Zentrum und zu dem Hauptpunkt zurücklaufen, der ist: »Nichts als Jesus allein, nichts als Jesus allein!« Laßt es uns ein wenig mit Beispielen erläutern! Nach Gott ist nichts Göttlicheres, Heiligeres und Höheres als sein Wort, die Heilige Schrift. In der Bibel aber geht es vollkommen zu wie hier auf dem Berge. Da sahen die Jünger anfangs Mose, Elia und Jesus; aber hernach sahen sie niemand als Jesus allein. Ebenso geht es einem Menschen, wenn er zum ersten Mal in der Heiligen Schrift liest und noch nicht zur Genüge erkannt hat, wie alles auf den Herrn Jesus zielt. Da findet er bald etwas von Mose, bald von Josua, bald von anderen Propheten und Knechten Gottes und verwundert sich auch wohl bald über diesen, bald über jenen und außerdem über die herrlichen Gaben, die ihnen Gott verliehen hat. Wenn er aber fleißig in der Schrift nach Christus forscht, dann wird ihm endlich offenbar, daß alles auf den einzigen Jesus Christus zielt. Ja, es verschwinden auch die Evangelisten und Apostel endlich vor den Augen des Glaubens, so daß ich in ihren Schriften nicht sie höre, sondern Jesus selbst, und zwar Jesus allein nach dem Wort des Vaters: »Den sollt ihr hören!« Ebenso kann ein treuer Lehrer oft lange an einer Seele arbeiten. Sie hört ihn gern, sieht ihn gern, liebt seine Gaben, verwundert sich über dieses und jenes und möchte gern Hütten bei ihm machen, läuft ihm nach, wo sie ihn genießen kann. Das kann man ja wohl eine Weile geschehen lassen; wenn es aber recht gehen soll, dann muß die Seele einmal ihre Augen recht aufheben und Jesus allein sehen, der ihr hernach recht lieb werden muß und mit dem sie am liebsten, am meisten und vertraulichsten umgeht. Der Lehrer ist ihr auch lieb, sofern er ein Freund des Bräutigams ist; aber Jesus wird allein der Bräutigam, der das ganze Herz und die ganze Liebe kriegt. Kurz, es ist eben doch, auch wenn tausend Prediger da sind, niemand über Jesus, ja niemand neben Jesus. Es sind viel schöne Sterne da, aber eine einzige Sonne, nämlich Jesus. Vor dieser Sonne verbleichen die Sterne, daß man sie gleichsam nimmer sieht. Und so ist es recht. Niemand als Jesus allein! So geht es auch mit dem inneren Werk des Christentums. Anfangs gerate ich Mose und Elia unter die Hände. Das Gesetz weckt mich sicheren Sünder auf, bringt mich zur Erkenntnis meines verdorbenen Zustandes und überzeugt mich, daß es so mit mir nicht bestehen könne. Darüber gerate ich ins Nachdenken, ich hänge mich an Mose und Elia, mache mir Ordnungen und gute Vorschriften, tue den äußeren Unflat ab und werde durch die Kraft des Gesetzes ein ordentlicher Mensch. Ich halte mich für bekehrt; aber Gottes Ordnung geht weiter. Er richtet seine Pfeile auf mich. Er schärft das Gesetz, so daß es lauter Zorn anrichtet und zündet ein Feuer in meinen Gebeinen an. Das Wort des Elia brennt auf mein Herz wie eine Fackel. Es ist, als ob die Flammen der Hölle auf mein Gewissen zuschlügen. Ich komme in Jammer und Not! Ich werde vor das strenge Gericht Gottes gestellt; mein Zustand wird geprüft, und mein Christentum wird untersucht, ob es rechter Art sei. Ich berufe mich auf meinen Wandel und denke, Mose und Elia werden mir bezeugen, wie ich sie ja fleißig gehört, wie ich ihnen in so manchen Stücken gefolgt bin, wie ich ein Liebhaber der Ordnung gewesen sei und wie ich so ehrbar gelebt, nicht getötet und nicht gestohlen hätte. Indem ich mich nun nach Mose und Elia umsehe, sind sie verschwunden und haben mich im Stich gelassen vor dem Gericht Gottes, der alles viel genauer durchsucht, als ich geglaubt hatte, der sich nicht ganz an meine erzwungenen und heuchlerischen Gesetzeswerke kehrt, sondern fragt, ob ich Christus im Geist und in der Kraft kenne, ob ich ihm auch gehorsam zugehört habe, ob ich an diesem Sohn mein einziges Wohlgefallen gehabt habe, ob er an mir sein Amt habe tun können, mich wiedergebären, zum geistlichen Leben bringen und mich in ihn hineinversetzen. Und siehe, da ist nichts! Da bin ich ledig und leer; da bin ich ohne Christus. Da kann Gott kein Wohlgefallen an mir haben; da bin ich ein Scheusal vor ihm. Der Herr fängt an, mit mir zu reden in seinem Zorn und mich zu erschrecken in seinem Grimm. Die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes strahlt mir in die Augen; ich erschrecke und falle auf mein Angesicht vor der schrecklichen Stimme des Fluches. Ich sehe mich um; aber da ist kein Helfer. Ich bin voll Schrecken, und niemand steht mir bei (Jes. 63, 5). Wer muß da das Beste tun? Jesus, Jesus allein! Wenn der nicht bei mir wäre, so dürft' und könnt' ich nicht vor Gottes Auge stehen und vor dem Stemensitz. Ich müßte stracks vergehen wie Wachs in Feuershitz'. Jesus allein kann vor der Stimme und Herrlichkeit Gottes bestehen; der tritt zu mir, rührt mich an, bietet mir Hilfe an und spricht zu mir, ich soll mich nicht fürchten. Ich hebe meine erschrockenen Augen auf; ich sehe Jesus, ich kenne Jesus, ich ergreife Jesus. Ich seufze: Allein zu dir, Herr Jesu Christ, mein' Hoffnung steht auf Erden. Ich weiß, daß du mein Tröster bist; kein Trost mag mir sonst werden. Von Anbeginn ist nichts erkom; auf Erden ist kein Mensch gebom, der mir aus Nöten helfen kann. Ich ruf' dich an, zu dem ich mein Vertrauen han. Ich erfahre, daß nichts als Jesus und der Glaube an sein Blut in dem göttlichen Gericht bestehen kann. Wenn auch einer erst vom Himmel gekommen wäre wie Mose oder um seiner Heiligkeit willen lebendig gen Himmel gefahren wäre wie Elia, so kann er doch vor dem unerträglichen Urteil Gottes nicht bestehen, sondern muß davongehen und Jesus allein bei den erschrockenen armen Sündern lassen. Da heißt es recht: »Jesus allein; nichts als Jesus allein!« Wenn ich auch wirklich in dem Stand der Rechtfertigung stehe, wenn ich gleich der Allerfrömmste auf Erden wäre, würde ich mich doch nicht in meinem Herzen segnen, nicht den Mond ansehen, den vollen Mond, sondern Jesus allein und dies sowohl im Anfang als auch im Fortgang meines Christentums. Ebenso geht es auch in der Heiligung und in der täglichen Erneuerung. Wenn ich wiedergeboren bin, dann habe ich geistliche Kräfte empfangen, durch die ich mit der Gnade Gottes mitwirken, das Böse vertreiben und das Gute ausrichten kann; aber ich darf auch hier sagen: Nichts als Jesus! Es war so recht nach meinem Geschmack, als ich bei einem bekannten Gottesgelehrten unsres Landes folgendes las: »Jede Mitwirkung von unsrer Seite, auch die, welche im Artikel von der Heiligung anzunehmen ist, muß vor Mißbrauch und vor Mißverstand wohl bewahrt werden. Alles Tun von unsrer Seite ist aufzugeben und Christus, der in uns lebt, damit wir nicht so weiter leben, die Herrschaft allein zu überlassen, daß er durch seinen Geist alles Eigene und Selbstische gänzlich zerstöre und austilge.« Wir wollen in allen Stücken lernen, allein auf Jesus zu sehen als das wahrhaftige und lebendige Evangelium, als unser Gesetz und Vorbild. Wir wollen durch die Wüste der Welt nur ihm als unsrem Mose folgen, nur seinen Geist verlangen, anstatt des Geistes des Elia (2. Kön. 2, 9). Wenn wir etwas anfangen, dann wollen wir nicht auf uns und unsre Ehre, Lust und Nutzen blik-ken, sondern allein auf Jesus sehen. Wenn wir etwas zu Ende gebracht haben, dann wollen wir unsre Augen aufheben und Jesus allein ansehen, der uns geholfen hat. Wir haben uns bisher durch mancherlei Dinge zerstreut und unsre Glückseligkeit in dem Vielerlei gesucht. Ach, daß wir glaubten, wir bedürften nur eines; denn eines ist not, Jesus, das beste Teil, das nicht von uns genommen wird (Luk. 10, 41. 42). Seht, wie alles so unvollkommen, unbeständig und vergänglich ist! Wenn uns Gott auch auf Tabor führte, wenn wir die größte Herrlichkeit der Welt genössen, so verschwände sie bald wie die Erscheinung des Mose und des Elia, wie der Glanz, wie die Wolke und wie die Lust; wie ein Rauch verschwindet die Herrlichkeit der Welt. Laßt uns doch alles so gebrauchen, daß Jesus überall der Mittelpunkt bleibe und er allein noch bei uns sei, wenn alles aufhört! Im Tode wird sictTs zeigen, daß wir bald dies, bald jenes nimmer sehen werden. Es wird eins nach dem andern entweichen. Wir werden zuletzt nur noch ein einziges Zimmer sehen und etliche wenige Menschen erblicken und endlich gar niemand mehr. O wie unselig würden wir dann sein, wenn wir auch Jesus nicht bei uns sähen, ja wenn wir nichts als Teufel, eine gräßliche Ewigkeit und den feurigen Pfuhl vor uns sehen würden. Wie getrost kann ich hingegen eines nach dem andern fahren lassen, wenn mir nur Jesus bleibt! Ja, ich bin nie seliger gewesen als um die Zeit, da alles verschwand und der himmlische Vater nun auch mit mir das freudvolle Geschehen wiederholte, das er einst die Jünger erleben ließ, und mich nichts sehen ließ als Jesus allein. Wie ist dies doch schon ein Anfang des ewigen Lebens; denn auch im ewigen Leben werden alle Gesetze, Schattenbilder und Weissagungen verschwinden! Wenn wir unsere Augen wieder aus dem Staub aufheben, werden wir nichts sehen als Jesus allein, Jesus in Gott und Gott in Jesus. Da wird der Spruch erfüllt werden: »Alles und in allem Jesus!« (Kol. 3, 11). Drum auch, Jesu, du alleine sollst mein Ein und Alles sein. Prüf, erfahre, wie ich's meine, tilge allen Heuchelschein! Sieh, ob ich auf bösem, betrüglichem Stege, und leite mich, Höchster, auf ewigem Wege; gib, daß ich nur alles hier achte für Spott und Jesus gewinne: dies Eine ist not! Der lebendige Glaube Der Glaube wird lebendig genannt, weil er in der Wiedergeburt durch die lebensvolle Auferstehung Jesu Christi erst recht geboren und entzündet wird. Der Glaube ist lebendig, weil er Jesus Christus, den lebendigen Heiland, ergreift und das von Christus erworbene Recht zum Leben durch ihn erlangt. Der Glaube ist lebendig, weil er den Menschen auch lebendig macht, alles bei ihm in eine neue Regung und Bewegung bringt, das alte, tote, faule, träge, unlustige und untüchtige Wesen hinwegnimmt und ihn dagegen mit Lust und Liebe, mit Fleiß und Eifer, mit Kraft und Tüchtigkeit erfüllt, Gutes zu tun. Für eine Rede über das heutige überaus wichtige Evangelium bieten sich einem allerlei schöne und der Betrachtung werte Gegenstände. Man könnte reden vom Ursprung des Bösen, vom unlauteren Verlangen mancher Frommen nach den anbrechenden Gerichten und Strafen Gottes über die Gottlosen, vom fleischlichen Religionseifer, mit dem man die, die nicht der gleichen Religion sind, mit Feuer und Schwert oder anderen gewaltsamen Mitteln verfolgt und »das lutherische Unkraut« bis in die innerste Wurzel hinein auszurotten sucht, und zuletzt vom Schlaf und der Sicherheit der jetzt Lebenden. Man könnte davon reden, was das für ein Trost und eine unerkannte Wohltat Gottes sei, daß er unter dem Unkraut noch einen Samen und unter den Gottlosen, die überhandnehmen, noch immer einige fromme Leute erhält und erhalten wird bis zur Ernte am Jüngsten Tag. Ich will aber diesmal von dem reden, worauf der Zweck des Evangeliums am nächsten geht, nämlich von der eigentlichen Beschaffenheit der sichtbaren Kirche Christi auf Erden. Ich will zeigen: 1. den Zustand dieser Kirche, 2. wie ihr geholfen und nicht geholfen werden könne. Jesus Christus, das Haupt seiner Kirche, segne diese Betrachtung und lasse jetzt seine Gnadenkraft in alle seine Glieder milde einfließen zu seiner Ehre und zu unsrer Seligkeit. Amen. Meine Predigt soll handeln von dem eigentlichen Zustand der sichtbaren Kirche Christi auf Erden. Es ist also die Rede von der streitenden Kirche auf Erden und nicht von der triumphie- 1 Aus der kleinen Herz- und Handpostille 6l renden im Himmel, zum andern von der sichtbaren Kirche und von der unsichtbaren. Es gibt eine unsichtbare Kirche auf Erden, die aus lauter bekehrten, gläubigen und heiligen Seelen besteht. Sie wird unsichtbar genannt, nicht weil die frommen Leute nicht sichtbar wären, sondern weil sie nach ihrer wahren Stellung Gott allein bekannt sind. Niemand kann dem anderen ins Herz sehen; Gott allein weiß, ob der andere wahrhaftig oder ein Heuchler sei. Die nun machen die wahre unsichtbare Kirche aus, die Gott in der weiten Welt als die Seinen kennt. Zur unsichtbaren Kirche Gottes gehören auch jene guten Seelen, die keinen öffentlichen Gottesdienst besuchen können, sondern Gott in der Stille und im Geist dienen müssen um der Feinde der Wahrheit willen, unter denen sie wohnen. Ihrer hat Gott vor Luthers Zeiten noch viele Tausende mitten im Papsttum erhalten. Zu dieser Stunde stek-ken in den Ländern, wo der Druck so groß ist, vielleicht mehr, als wir denken und sagen dürfen. Sie können nicht auswandern; aber sie hüten sich doch vor den Greueln des Papsttums und dienen Gott mit allem Ernst nach ihrer Erkenntnis, wie man es vor einigen Jahren an den zwanzigtausend Salzburgern2 erlebt hat. Ich rede jetzt nicht von der unsichtbaren Kirche, die eine Gemeinschaft der Heiligen ist, sondern von der sichtbaren Kirche Christi und ihrer Beschaffenheit. Sie wird aber sichtbar genannt, weil sich ein ganzes Volk, ein Land oder eine Stadt zu der wahren Lehre des Evangeliums bekennen und ein öffentliches Predigtamt und die Verwaltung der Sakramente vorhanden sind, so daß man mit Fingern darauf deuten und sagen kann: Da ist die evangelische Kirche, da wird guter Same ausgesät, da wird Gottes Wort lauter und rein gepredigt, und da werden die Sakramente nach der Einsetzung Christi ausgeteilt. Das kann man alles sehen. Hier fragt sich nun: Was hat es mit dieser sichtbaren Kirche Christi für eine Beschaffenheit? Gehört zu ihrer Natur und ihrem Wesen, daß sie lauter fromme Leute haben muß? Hört sie auf, 2 Über die evangelischen Salzburger hatte er die Schrift verfaßt: »Der Salzbund (2. Chron. 13,5) Gottes mit der evang.-Salzburg. Gemeinde«, 1732-33. die wahre Kirche zu sein, wenn auch mehr oder weniger böse Leute darunter sind? Hierauf wollen wir die Antwort Christi hören. Er sagt: »Das Himmelreich oder der Zustand der Kirche und des Reiches Gottes auf Erden ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Da aber die Leute schliefen, kam der Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon.« Die Erklärung siehe Matthäus 13, 36 ff. Gott bestellt sich also in der ganzen Welt einen Acker und sucht seine Kirche überall zu pflanzen. Von Rechts wegen sollte darauf lauter gute Frucht wachsen; denn er säte nur guten Samen. Nach dem Willen Gottes und nach den Mitteln, die ihr habt, solltet ihr lauter fromme Leute sein, und man sollte kein einziges Unkraut unter uns sehen. Was aber geschieht? Der Teufel, der ein Feind Gottes und der Menschen ist, kommt und sät Unkraut dazwischen. Er führt teils falsche Lehre, teils gottloses Leben ein. Das gute Kraut wächst, das Unkraut wächst auch. Die Knechte des Hausvaters sehen es, verwundern sich und sind darüber betrübt. Sic klagen es ihrem Herrn: »Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut?« Ach ja, ihr Lieben, das ist aus meinem und anderer Knechte Gottes Herzen heraus geredet. Gott hat ja guten Samen und nichts als guten Samen unter uns ausgesät. Woher hat denn unser Acker das Unkraut? Ich weiß, daß man euch ein gutes Wort predigt, daß man euch die Sakramente nach Christi Einsetzung darbietet, daß alle Getauften Gottes Kinder werden dürfen; woher kommt denn das Unkraut? Haben wir euch denn jemals gepredigt, wie ihr fressen und saufen sollt? Haben wir euch jemals gepredigt, wie ihr huren und buben, geizen und schinden, mit Gewalt einherfahren, den Armen um ein Paar Schuhe verkaufen, Land und Leute verderben, Gott verachten, eure Seele verschleudern und von einer Bosheit zur andern gehen sollt? Hat man euch das in den Schulen, Kirchen und Büchern gelehrt, oder hat man euch Kissen und Pfühle unter die Arme gemacht und euch gesegnet, obgleich ihr alle diese Greuel treibt? Hat einmal einer beim Ablegen einer Beichte gehört, daß man ihn da- mit getröstet hat, seine Sünden würden ihm vergeben, ob er nun Buße tue oder nicht, seine Sünden lasse oder mit ihnen fortfahre? Haben wir je einem versichert, Fleisch und Blut im Heiligen Abendmahl werde alles wegnehmen, er sündige soviel er wolle? Wenn es je einer einmal gehört hätte, dann würde er den Teufel gehört haben, der dieses Unkraut ausstreut. Es hat es aber nie einer gehört! O daß ich jetzt alle vor mir hätte, die ich nun zwanzig Jahre hindurch hier in Kirchen und Schulen belehrt habe, und sie vor Gott, unsrem Herrn, fragen könnte, ob ich sie das gelehrt habe, was sie treiben, ob ein anderer es sie gelehrt habe, oder ob es durch unsren Samen in sie gesät worden sei. Ach Herr, hast du nicht durch uns guten und heiligen Samen gesät? Woher kommt denn das Unkraut? Nun, was antwortet der Herr? »Das hat der Feind getan!« Gott Lob und Dank, daß wir Knechte auf Erden einen gnädigeren Gott haben! Könnte denn dieser Herr uns nicht doch zum Teil die Schuld geben? Könnte er nicht sagen: Woher mußte dieses Unkraut kommen? Von euch Knechten und Pfarrern kommt es her! Da ihr schliefet, säte der Feind dieses Unkraut. Ich will meine Strafe dabei hinnehmen, aber auch die verschonende Barmherzigkeit des Hausvaters anbeten und preisen, der da sagt: »Das hat der Feind, der Teufel, getan!« Es ist wahr, die Menschen geben ihm durch ihr Schlafen dazu Gelegenheit; aber die wahre Ursache des Unkrauts ist doch der Teufel. Er hat euch Böse gezeugt und haufenweise ausgesät. Der Teufel hat euch in die Kirche hineingeschoben. Der Teufel gibt euch ein, was ihr an Bösem tut und an Ärgernis und Verwüstung anrichtet. Der Teufel macht, daß jetzt des Unkrauts so viel und mehr ist als des Weizens, so daß man das Unkraut nimmer ausrotten kann ohne Gefahr, den Weizen mit auszuraufen. Stünde nur bisweilen auf diesem Viertel des Ackers ein Stengelein Unkraut und auf jenem Viertel wieder ein Stengelein, dann könnte man es ohne Beschädigung des Weizens ausrotten, wie ja an Orten, wo viel Ackerfeld ist, die Mägde ganze Wege voll Unkraut aus den heranreifenden Äckern ausjäten und doch den Weizen nicht verderben. Aber bisweilen schon in unsrer Zeit sind der Bösen weit mehr; und sie stehen so dicht bei den Frommen und ist alles so ineinander vermengt und durch natürliche, bürgerliche, eheliche und kirchliche Bande ineinander verknüpft, daß man die Bösen nicht mehr ohne Erschütterung und Zerrüttung der Frommen entfernen kann. Ist es dann aber noch eine wahre Kirche, wenn es so steht, daß des Unkrauts und des Bösen so viel, ja etwas mehr ist als des Weizens und der Frommen? Kann man sie noch für eine wahre Kirche halten und ohne Verletzung des Gewissens in ihrer Gemeinschaft bleiben? Antwort: Freilich ja! Christus nennt auch diesen Mischzustand noch ein Himmelreich. Der Acker bleibt noch Gottes Acker. »Hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gestreut?« Er unterscheidet doch noch sein und des Teufels Werk. Seine Knechte bleiben noch auf dem Acker. Er erhält sich noch seinen Samen, der bei dem allem wächst und Frucht bringt. Er gibt die Anweisung, daß seine Knechte sich nicht einbilden sollen, als wenn jemals ein so reiner und gesäuberter Zustand der Kirche zu erhoffen wäre, da kein Unkraut mehr sein würde. Beides werde miteinander bis zur Ernte wachsen, und dann erst werde die Scheidung vor sich gehen. Daraus wird deutlich und für das Gewissen genügend klargestellt, welches der Zustand der sichtbaren Kirche auf Erden sei, nämlich kein so glückseliges Paradies, da nur die schönsten Blumen und köstlichsten Früchte wachsen und kein Teufel, kein Feind, keine Versuchung und kein Unkraut, sondern nur Heilige und Reine zu finden sind, wie sich manche heutzutage nach ihrer Vernunft und nicht nach Gottes Wort solch schöne Gedanken machen. Es ist vielmehr ein Acker, auf den Gott guten Samen, der Teufel aber Unkraut sät; der Acker ist aber nicht des Teufels sondern Gottes Acker, Eigentum und Himmelreich. Eben diese Wahrheit hat auch Christus im 13. Kapitel durch mehrere Gleichnisse vorgetragen. Er hat die Kirche mit einem Netz verglichen, mit dem gute und faule Fische gefangen werden; dann abermals mit einem Acker, bei dem Dreiviertel unfruchtbar und nur ein Viertel fruchtbar sei. Er hat sie verglichen nach Matthäus 3, 12 mit einer Tenne, auf der Spreu und Weizen durcheinanderliegen, und mit einem großen Haus, in dem nicht nur goldene und silberne, sondern auch hölzerne und irdene Gefäße sind, etliche zu Ehren und etliche zu Unehren (2. Tim. 2, 20). So hat es auch die Erfahrung aller Zeiten mit sich gebracht. Solange die Kirche besteht, ist sie niemals ganz rein gewesen; auch unter den zwölf Aposteln war schon ein Judas. Die apostolische Kirche war in einem blühenden und herrlichen Zustand; aber der Satan hat auch da viel Unkraut nebenher eingestreut. Man darf nur die Briefe des Paulus an die Korinther, die Galater u. a. lesen, besonders aber die sieben Briefe in der Offenbarung (Kap. 2 und 3). Ich darf getrost sagen, daß einige Leute auf Grund unrichtiger, parteilicher und übertriebener Bücher sich den Zustand der ersten Kirche vollkommener vorstellen, als es in der Tat gewesen ist. Daraus entstehen hernach eine ungeziemende, nachäffende Meisterung, undankbare und ekelhafte Geringschätzung der jetzigen Kirche und auch andere unordentliche Dinge, deren Folgen man nicht sogleich übersieht. Es bleibt daher eine göttliche Wahrheit, was in dem achten Artikel der Augsburger Konfession steht: »Wiewohl die christliche Kirche nichts anderes ist als die Versammlung aller Gläubigen und Heiligen, so bleiben in diesem Leben viele Heuchler und Böse untermischt.« Daraus ergibt sich nun eine doppelte Ermahnung. Erstens werden wir uns bewahren vor der Sicherheit und dem fleischlichen Vertrauen auf die äußere Gemeinschaft mit der wahren Kirche. Niemand meine, es sei zur Seligkeit genug, wenn man in der wahren evangelischen Kirche geboren und erzogen sei und in ihr zu leben und zu sterben gedenke. Obwohl dies eine unaussprechliche Wohltat Gottes und eine Gelegenheit zum Erwerb unschätzbarer Güter ist, so daß kein Lutheraner Gott dafür genug danken kann, auch wenn er alle Tage eine eigene Betstunde auf den Knien hielte, so würde es doch nicht zur Seligkeit genug sein, wenn er es dabei allein bewenden ließe. Es bedeutet ja nicht mehr, als daß wir auf Gottes Acker sind, auf dem Gott guten Samen hat. Wir haben aber auch gehört, daß der Teufel eben auf diesem Acker Unkraut säe und daß der Hausvater das Unkraut nicht als sein Werk, sondern als des Teufels Gemachte erkläre. Er trage zwar das Unkraut mit großer Geduld; wenn es aber so bleibe, werde er es nicht in seine Scheune sammeln, sondern mit ewigem Feuer verbrennen lassen. Nur der Weizen allein wird von ihm anerkannt, geliebt und ewiglich gesammelt. Es kommt also nicht nur darauf an, ob ihr auf dem Acker steht, sondern auch, ob ihr Weizen oder Unkraut seid. Seid ihr Unkraut, seid ihr vom Teufel, tut ihr Sünde, hindert, verderbt und erstickt ihr das Gute, helft ihr mit bei Ärgernissen, verursacht ihr Schaden und Schande, seid ihr Heuchler, Schein- und Maulchristen — man mag euch als solche bereits erkennen oder nicht—, so seid ihr wohl dem Orte nach in der Kirche, aber nicht von der Kirche, keine lebendigen Glieder der Kirche, kein Stück und Teil der göttlichen Saat, obwohl ihr auf dem Acker einen Platz einnehmt. Ihr seid an dem guten Baum der Kirche, der grünende Äste hat, verdorrte und abgestorbene Äste, die keinen Saft und keine Kraft von dem Baum und seiner Wurzel ziehen. Seht, mithin nützt euch die äußere Gemeinschaft mit der Kirche nichts ohne die innere. Ja, es schadet vielmehr, da ihr desto mehr Verdammnis empfangen werdet, weil ihr mehr Mittel gehabt habt. Liegt euch also daran zu wissen, ob ihr Weizen oder Unkraut seid, ob ihr einmal verbrannt oder ins Bündlein der Lebendigen gesammelt werdet? Man kann dies am besten an den Früchten erkennen; denn wer Sünde tut, der ist vom Teufel (i. Joh. 3, 8). Zweitens sind wir alle herzlich und treulich davor zu warnen, daß sich doch keiner über den schlechten Zustand der Kirche ärgere und deswegen die Gemeinde des Herrn verlasse. Wir haben hin und wieder Leute, die sich bei ihrem Unmut und Eifer gegen das Unkraut allzu sehr übersteigern und vorgeben, daß unsere Kirche nicht für eine wahre Kirche zu halten sei, weil der Gottlosen und Bösen so viel, ja mehr als der Frommen sind, weil zwischen den Reinen und Unreinen kein hinreichender Unterschied bei der Beichte und beim Abendmahl gemacht werde. Wer diese Einsicht habe und mit gutem Gewissen durchkommen wolle, müsse sich von ihr trennen und absondern. Sie tun dies aber nicht allein für sich; sie sind meistens auch in keiner Sache so beredt, als wenn sie auf die Fehler und Mängel zu sprechen kommen, die sie weitläufig ausbreiten, unmäßig übertreiben. Über die Predigten, die Beichte, die Taufe und das Abendmahl sprechen sie verfänglich, hinterlistig und verächtlich, und uns Prediger machen sie allenthalben zum Ziel ihrer lieblosen Beurteilung. Damit stärken sie bei den Weltleuten die ohnehin schon überhandgenommene ungöttliche Gleichgültigkeit; die Gewissen der Schwachen aber verwirren sie, und bei den Gesetzlichen zünden sie ein falsches Feuer an. Dabei sind sie selber von göttlicher Langmut, Liebe und Geduld entfernt. Unser Verhalten zu diesen Leuten besteht darin, daß wir ihnen alles zugute halten, ihnen mit aller Liebe und Sanftmut begegnen, sie entschuldigen, für sie als Verirrte bitten und uns der Gelegenheiten, die uns etwa gegen sie in die Hand gegeben wären, nicht bedienen, sondern nach Anweisung des heutigen Evangeliums gegen sie Toleranz üben und dafür sorgen, daß ihnen kein Leid geschehen soll. Bei solcher Haltung gegen sie darf ich wohl auch ein Wort der Warnung vor ihrem Wege sagen und bekennen, daß ich glaube, solche Leute versündigen sich schwerer an unsrer Kirche, als sie meinen. Es ist eine gewisse Schuld, den Acker zu verwerfen, den der Herr noch als seinen Acker anerkennt. Man geht zwar zu allen gottlosen Leuten in die Häuser, treibt mit ihnen Handel und Wandel und verkehrt um der Nahrung willen mit allen Lügnern, Fluchern und Säufern; man flieht aber unsere Kirche wie Pesthäuser und schmäht sie, wenn man dort mit denen Zusammenkommen soll, die Gottes Wort behandeln, singen und beten. Die Juden waren zur Zeit Jesu so sehr in ihren guten Zustand verliebt, daß sie die Worte im Hohenlied: »Dein Bauch ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Rosen«, auf sich bezogen. So sehen sich auch die Leute an, von denen ich rede. Wir müssen lauter Spreu und Unkraut sein, während es doch unter ihnen den Verhältnissen nach nicht viel besser stehen dürfte. Es lasse sich daher niemand unter euch durch ihren falschen Schein und ihre geschminkten Worte verführen, noch sich an der Gestalt der gegenwärtigen Kirche irremachen. Diesen Zustand hat der Herr vorausgesagt, aber auch bezeugt, daß der Acker dennoch sein Acker sei, der Weizen doch Weizen bleibe und trotz allem Unkraut endlich in die Scheuer werde gesammelt werden. Ich kann euch, ihr christlichen und doch bisweilen ängstlichen Seelen, gewiß versichern, daß es dem Weizen ebenso wenig schadet, daß er mitten unter dem Unkraut stehe, wie es dem Unkraut nützt, daß es mitten unter dem Weizen steht. So wenig es einem Unbußfertigen nützt, wenn ihm beim heiligen Abendmahl ein Würdiger vorangeht und ein anderer nachfolgt, so wenig schadet es einem Gläubigen, wenn ihm ein Unbußfertiger vorausgeht und ein anderer hinterherkommt. Wir wollen also unsre Kirche immer mehr als eine treue Mutter lieben und ehren lernen, wollen uns recht zusammenschließen und mitten unter dem ungeschlachten und verkehrten Geschlecht ohne Tadel und als Kinder Gottes unsträflich und lauter sein. Wir wollen scheinen als Lichter in der Welt (Phil. 2, 15), wollen die Bösen mit Sanftmut tragen lernen. Vielleicht gibt ihnen Gott dereinst Gelegenheit zur Buße, die Wahrheit zu erkennen. Wir wollen gern durch sie leiden und hierin die Geduld und Langmut Gottes nachahmen. Die Absonderung ist kein Mittel, um die Kirche zu verbessern. Der Herr will, daß beides miteinander wachsen soll. Er könnte es selber am besten hindern; er tut es aber nicht. Es müssen Rotten und Ärgernisse unter uns sein, »damit die, die rechtschaffen sind, unter euch offenbar werden« (1. Kor. 11, 19). Wenn sich alle Frommen von der Kirche absondem wollten, dann wäre dies ein ebenso gewaltsames Mittel als das Ausraufen des Unkrauts. Der Herr verwirft es. Wenn die Frommen und Gottseligen noch unter den Bösen bleiben müssen, dann dient dies auch dazu, daß durch ihre Lehre, ihren Unterricht und ihr gutes Beispiel noch bald diese, bald jene Unkrautstaude gewonnen und in Weizen verwandelt, oder daß sie aus Scheu vor den From- men nicht so viel böse Früchte bringt und so manches Böse noch vermieden wird. Man nehme aber an, daß die Frommen sich ganz von den Bösen absonderten, wie ungescheut würde dann nicht nur das Unkraut wachsen, sondern auch die greulichsten Früchte bringen. Es würde aber nimmermehr gebessert werden. Es heißt auch den Weizen ausraufen, wenn man dem Unkraut alle Gelegenheit nimmt, noch in Weizen verwandelt zu werden. Endlich wollen wir, die wir die unaussprechliche Wohltat erkennen, daß der Herr noch immer guten Samen auf seinen Acker sät, noch diesen Trost mitnehmen, daß doch allezeit ein Acker bleiben werde, der Gras und Frucht trägt. Die Leute schlafen wohl; aber der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht. Kommt der Feind und sät Unkraut, so hört des Menschen Sohn auch nicht auf, guten Samen zu säen. Wächst das Unkraut, so wächst der Weizen auch und beides zugleich. Steigt die Bosheit unsrer Zeit, so steigt das Gute auch. Steigt die Finsternis, so steigt das Licht auch auf eine Weise, wie sie vorher noch nicht geschehen ist. Gute Seelen sorgen sich oft, es werde alles voll Unkraut und alles Gute vollends erstickt werden, wenn es so fortgehe. Es ist betrüblich. Man darf es dem Herrn klagen. Man darf auch gebührend steuern und wehren; aber den Herrn, der es zuläßt, soll man nicht heimlich beschuldigen und auch nicht verzagen. Der Feind wird es nimmermehr dahin bringen, daß er den ganzen Acker des Hausvaters verderbe, so daß kein Weizen, sondern lauter Unkraut darauf wäre. Nein, wenn schon wir keinen einzigen Frommen mehr wüßten, so hätte sich doch Gott viele Tausende übrigbehalten, die ihre Knie nicht vor dem Baal gebeugt haben (1. Kön. 19, 18). Wenn die Ernte kommt, muß noch Weizen auf dem Acker sein. Es wird erst dann die rechte Scheidung angehen. Wir wollen nicht voreilig, aber auch nicht schläfrig sein, sondern das Unsre mit Fleiß tun, die Ärgernisse nicht vermehren, ihnen nach Kräften steuern, beten, alles Übrige Gott befehlen und ruhig sein. Gott wird schon sorgen und darein sehen. Er wird uns auch nichts über unsere Kraft zumuten. Er weiß wohl, daß alle seine Knechte zusammengenom- men nicht — und noch weniger ein oder zwei von ihnen — alles Unkraut ausjäten können. Dazu gehören nicht Menschen, sondern Engel am Jüngsten Tage. Endlich kommt die Erntezeit, da wir Garben machen; da wird unser Gram und Leid lauter Freud' und Lachen. Die alte Klage Man hat hier gar mancherlei Zeitungen, geschriebene und gedruckte, deutsche und französische, um zu wissen, wie man Länder verheert, Menschen ermordet, Schlösser zerstört und dergleichen. Es lesen sie Vornehme und Geringe, Männer und Weiber drei-und viermal die Woche, ja täglich. Was dagegen in Christi Reich vorgeht, ob es zu- oder abnimmt, wie das Evangelium im Osten und Westen sich unter den Heiden ausbreite, welche Leute sich dafür aufopfern, wer etwas beiträgt, welche besonderen Anstalten man treffe zur Bekehrung der Juden und Türken, welch wunderbare Dinge sich daraus ergeben, was für schöne Gemeinden hin und her sind, was für wichtige Beispiele von Bekehrungen sich ereignen, was man hie und da über dem Namen Christi leidet und viele tausend solcher Dinge, die alle würdig, lieblich, nützlich und erbaulich sind, die werden nicht bekannt. Es gibt wohl einige, die etwas davon erfahren; aber es gibt auch viele tausend, die ihr Lebtag nichts davon gehört haben. Sie wissen trotz ihrer tausend Zeitungen nicht, ob der Feigenbaum ausschlägt oder verdorrt, ob es gegenwärtig in der Kirche Sommer oder Winter ist, ob es in ihr besser oder schlimmer zugeht. An Hand dieses Gleichnisses gedenke ich auszuführen, wie es bei der Bekehrung eines Menschen zugeht: 1. Gott greift plötzlich den sicheren Sünder an und fragt: Was hast du getan? 2. Bei dem noch unentschlossenen Menschen geht es merkwürdig durcheinander, bis es heißt: Was soll ich tun? 3. Wer nun klug ist, der entschließt sich rasch für etwas Gutes, Sicheres und Gewisses und spricht: Ich weiß wohl, was ich tun will. 1. Soll der Mensch bekehrt und von seiner Sicherheit weg zu ernsthafter Sorge um die Ewigkeit seiner Seele gebracht werden, dann muß Gott den Anfang machen und den untreuen und sorglosen Menschen aufwecken, angreifen und ernstlich fragen: Was hast du getan? So hat es der reiche Mann mit seinem ungerechten Haushalter gemacht, der die Güter seines Herrn zerstreute wie Steine, das eine dahin und das andere dorthin, als ob niemand danach fragen würde. Plötzlich aber fordert ihn sein Herr vor sich, stellt ihn zur Rede und sagt: Was höre ich da von dir? Das hätte ich wohl nimmermehr von dir gedacht. Tu Rechnung von deinem Haushalten und weise deine Geschäfte gründlich nach, oder sei gewärtig, daß du nicht mehr Haushalter bleiben kannst! An der Anwendung auf uns ist sogleich alles gelegen, und ich will nicht weitläufig beweisen, daß wir alle Haushalter Gottes sind. Es wird hoffentlich für uns eine ausgemachte Sache sein, daß wir unserem Herrn und Gott als Eigentum gehören und alles, was wir haben, vom größten bis zum allerkleinsten Ding nach empfangener Vorschrift Gott zur Ehre und dem Mitmenschen zum Nutzen, soll treu verwaltet und angewendet werden. Es würde des ersten Punktes nicht bedürfen, wenn wir miteinander Freudigkeit und ein gutes Gewissen hätten. Aber seht doch, liebe Zuhörer, wie alles so voll untreuer Haushalter ist! Gott hat uns allen eine Seele als ein unschätzbares Kleinod gegeben, die entweder der ewigen Seligkeit oder der unendlichen Unseligkeit fähig ist. Wir aber verschleudern sie derart unsinnig, als ob sie nur ein Stein aus dem Bach wäre, ja als ob wir, wie David fünf Steine, also fünf Seelen, zehn Seelen, hundert Seelen zu verschleudern und umzubringen hätten. Manchem hat Gott einen schnellen, scharfsinnigen und klugen Verstand gegeben. Was könnte er damit für Gott und die Menschen Gutes schaffen! Er wendet ihn aber meist zur Arglist, zum Betrug, Schaden und Verderben an. Den andern hat Gott in dieses und jenes Amt gesetzt. Er könnte ein nützliches Werkzeug werden; aber er mißbraucht das Amt zu seinem Eigennutz, zur Gewalttätigkeit, zum Hochmut und zur Wollust. Dem dritten gab Gott einen gesunden und schönen Leib; den verhurt und versäuft er in elender Weise. Noch eines anderen Hand füllt er mit zeitlichen Gütern; der jedoch verschließt sie aus Geiz oder verschwendet sie mit unnötigem Hausrat, mit Kleider- und Möbelpracht oder mit Fressen, Saufen und wollüstigem Leben. Manchem hat er einen tugendhaften Ehegatten zugeführt; den bringt er jedoch um mit seinem schändlichen Leben, einem andern Kinder, die er der Welt und dem Teufel aufopfert, einem andern große Erkenntnis in göttlichen Dingen und andere geistliche Gaben, die er verfault und unfruchtbar liegen läßt, einem andern viel Gelegenheit, Gutes zu tun, die er versäumt. Gott gibt uns allen den teuren Schatz seines Wortes, dessen wir überdrüssig sind, manchem einen starken Trieb zum Guten, den wir unterdrücken. Heißt das aber nicht die Güter des Herrn durchbringen und untreu verwalten, so daß Gott weder Ehre noch anderen Nutzen davon hat? Ist das nicht eine schwere Verschuldung, so zu handeln? Es ist ja wider die natürliche Billigkeit, wenn ich einem, der mich weiter nichts angeht, seine Güter verderbe; noch weit mehr ist es eine unnatürliche, greuliche und unverantwortliche Bosheit, wenn ein Knecht seinem Herrn und ein Haushalter seinem Fürsten die Güter verderbt, die er hätte pflegen und verbessern und zum Wachstum und Blühen hätte bringen sollen. Wer aber unter uns denkt genügend darüber nach, daß es so viel auf sich habe? Wer fürchtet sich vor der unwandelbaren Gerechtigkeit Gottes, die zuletzt nichts anderes tun kann als heimsuchen und das Ihrige retten (Psalm 90,11)? Wer glaubt es, daß wir so sehr unter Gott sind und nicht über das Geringste, nicht über ein Viertelstündchen, nicht über einen Pfennig Macht haben? Meinen wir nicht großenteils, daß wir mit unseren Gütern dürfen schalten und walten, sie verspielen, verschwenden oder zurückhalten, wie wir eben wollen? Wer nimmt es doch geziemend genug zu Herzen, daß man keine Hand aufheben, kein Auge wenden und keinen Schritt tun darf, als nur im Gehorsam gegen die Ordnung und den Willen Gottes, ihm zur Ehre und zum Wohlgefallen? Wer ist doch recht ernsthaft bemüht mit allem, das ihm anvertraut ist, so treu, sorgfältig, ängstlich und vorsichtig umzugehen als einer, der von jedem Wort und Werk Rechnung tun muß? Wie leben wir in den Tag hinein! Wie setzen wir uns in diese Welt hinein als in unser Eigentum! Wie machen wir aus unsrem Geld und unsren Häusern lauter beständige Güter, lauter herrliche Sachen und ewige Dinge! Sind unsre Begierden nicht wie ein Schlund? Wenn man die ganze Welt in ihn hineinwürfe, so würden die Begierden doch nie sagen: Es ist genug! Was entstehen aus solch verschlingender Begierde und auch aus unsrer Wollust, unsrer Pracht und unsrem Prassen für böse Früchte: Ungerechtigkeit, Unbarmherzigkeit, Neid, Haß, List, Betrug, Übeltat, Raub und eitel böse Dinge! Da wäre ein Mensch in der Lage, die ganze Welt zu vertun und noch eine dazu, wenn er sie hätte. Ich weiß wohl, daß ich noch viel zu wenig gesagt habe; ich glaube aber nicht, daß ich noch mehr sagen sollte. Es ist alles offenbar, nicht nur vor den Augen des Herrn Zebaoth, sondern auch vor uns selbst. Es wird oft genug auch in vergröberter Weise von der Welt erkannt. Man klagt allenthalben über den ungerechten Haushalter; weil er aber so übelberüchtigt ist, will niemand dieser böse Haushalter sein. Ein jeder segnet sich in seinem Herzen (Psalm 10,11), und weil die Langmut Gottes zuwartet, läßt man sich wohl sein und fährt mit seinem Tun unentwegt fort. Soll es aber nicht immerdar so fortgehen, soll der eine oder andere noch herumgebracht und zu der Klugheit der Gerechten bekehrt werden, dann muß Gott eingreifen, einen solchen Menschen zur Rechenschaft fordern und ihn fragen: Was hast du getan? Wie höre ich das und das von dir? Dies geschieht freilich nach den Worten des Evangeliums noch in diesem Leben auf mancherlei Art: zunächst einmal durch das Wort Gottes, wenn wir durch seine Verkündigung von unsrem Zustand und unseren Sünden überzeugt werden und uns nachgewiesen wird, wie unbillig und undankbar wir uns in unsrem Haushalten erzeigt haben. Wenn Gott seine Worte zu Spießen und seine Reden zu Nägeln macht, dann gehen sie durch das Herz, und der Mensch fühlt sich getroffen und bestraft von einer Kraft, die er sonst niemals so gespürt hat. Dann können auch äußerliche Gerichte, Todesfälle, Krankheiten, Gefahren von Menschen usw. den Menschen erschrecken und heimsuchen. Gott kann auch sonst das Gewissen des Menschen angreifen, aufwecken und durcheinander schütteln, so daß dem Menschen auf einmal etwas wie ein Blitz ins Herz schießt und er wie bei einem Wetterleuchten plötzlich und augenblicklich den finstern Ungrund und die Verworrenheit seiner Rechnung einsieht. Wenn er das feurige Gesetz Gottes samt der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes wirklich empfindet, dann ist ihm nicht anders zumute, als stünde er vor dem Richter, dem sogar der gerechte, untadelige und unvergleichliche Hiob auf tausend nicht eins antworten kann (Hiob 9, 3). Ihn dünkt, nicht in selbstgemachter Einbildung, sondern durch die wahrhaftige und kräftige Wirkung des Worts und des Heiligen Geistes, aus dem Munde Gottes selbst die Stimme zu hören: Wie höre ich das von dir, der du bisher den Schein eines klugen und treuen Haushalters gehabt hast? Wie höre ich das von dir, du Prediger; von dir, der du ein Vorgesetzter bist; von euch Vater und Mutter; von dir, der du schon ein alter Mann bist? Wie höre ich dies und das von dir? Der Mensch achtet vorher nicht darauf, man mag ihm davon sagen, was man will. Der ungerechte Haushalter hat auch gewußt, daß er nur als Verwalter über die Güter gesetzt sei, daß er einen Herrn über sich habe, daß ein Beamter leicht verdächtigt und angezeigt werden könne und dann im Fall der Abrechnung nicht bestehen werde. Das hat er freilich alles gewußt und doch darauf hingehaust. Er hat sich etwa getröstet, es werde nicht so übel ausgehen; er werde sich dann schon herausreden, er verfüge zudem über einige Aufzeichnungen. Aber als er gefordert wurde und das Wort hörte: Tu Rechnung! oder, wie im Grundtext steht: Gib deine Rechnungen her, und belege alles mit Urkunden! als er sah, daß es Ernst war, als ihm gedroht wurde: Du kannst forthin nicht Haushalter sein, da war es freilich anders um ihn bestellt. Dies alles lehrte ihn aufmerken. So läßt auch der sichere Mensch immer in sich hineinpredigen und sich alljährlich den ungerechten Haushalter vormalen. Er schneidet aber indessen Pfeifen, solange er im Rohr sitzt; er hängt seinen Lüsten nach, er lebt nach seinem Willen fort und tröstet sich mit diesem und jenem. Ach, wie kann es so bald mit ihm anders werden, wenn Gott mit ihm ins Gericht geht und noch in diesem Leben gewaltig auf ihn eindringt und fragt: Was hast du getan? Was hast du getan, daß deine Seele, die allein mit mir vereinigt sein sollte, an irdischen Dingen hängt? Was hast du getan, daß du deinen Willen aufgegeben hast, indem du ihn mit Weltliebe erfülltest und ihm alle Freiheit gewährtest? Was hast du getan, daß du Leib, Seele, Augen, Ohren und alle übrigen Sinne und Affekte begeben hast zu Waffen der Ungerechtigkeit und der Eitelkeit (Röm. 6, 13)? Was hast du getan, daß du dein Amt, deine Ehre, deine Güter durchgebracht und sie mehr um deinet-als um meinetwillen gebraucht hast? Was hast du getan, daß du so viele Klagen und Seufzer der Engel, der Frommen, der Armen, der Untergebenen wider dich vor Gott erweckt hast, so daß ich jetzt danach sehen und dir den Lohn des Schalksknechts geben muß? Es ist eine grundlautere Gnade und Barmherzigkeit, wenn Gott einen Menschen noch beizeiten aufweckt und zur Erkenntnis seines Zustandes bereit macht. Es ist auf lauter Errettung abgesehen. O daß es der arme Mensch erkennen, recht glauben und zu seinem Nutzen gebrauchen wollte! 2. Da geht es nun im Gemüt recht wunderlich durcheinander. Der Mensch weiß nicht sofort, wozu er sich entschließen soll. Der Haushalter ging in sich selbst und sprach: »Was soll ich tun?« Hätte er zuvor getan, was er hätte tun sollen, dann müßte er jetzt nicht so bestürzt fragen. Jetzt ist guter Rat teuer. Was soll ich tun? Soll ich leugnen oder bekennen? Soll ich versuchen, mich zu rechtfertigen oder mich zum Schelmen machen lassen? Soll ich mich absetzen lassen? Was soll ich hernach anfangen? Soll ich betteln, oder soll ich graben? Das eine mag ich nicht, und das andere kann ich nicht; ich habe weiter keine Wahl. Seht hier das lebendige Bild der zwar aufwachenden, aber noch unentschlossenen, hin und her wankenden und mit sich selber zu Rate gehenden Seele! Schaut, ob dieses Bild nicht dem oder jenem unter euch in Wirklichkeit gleich sei! Wie sucht unser Gott euch so fleißig heim mit seinem Wort und zeigt euch, was rechts und links, was gut und böse ist! Wie macht er dieses Wort zu einem Richter eurer Gedanken und Sinne, zu einem zweischneidigen Schwert, das euch bisweilen Leib und Seele durchbohren möchte (Hebr. 4, 12)! Wie stellt er euch diese und jene Beispiele vor Augen, bei denen es auf euch abgesehen ist! An den Beispielen macht er in geistlicher oder leiblicher Weise seine Gerechtigkeit deutlich, so daß ihr an eure eigene Verschuldung denken müßt. Wie treibt er manchen in die Enge, so daß er seinen verkehrten Zustand nicht leugnen kann! Wenn er auch vor Menschen nicht aus sich herausgeht, so muß er doch bei sich selber heimlich denken, daß es in die Länge mit ihm nicht gut gehe. Ist nicht unser Gott mit manchem so weit gekommen, daß der Übeltäter über sich hat sprechen müssen: »Mein Herr nimmt das Amt von mir«? Wenn ich heute Rechnung ablegen müßte, dann würde ich nicht bestehen; wenn ich in diesem Zustand sterben müßte, dann würde ich nicht selig. Wenn es nicht so wäre, warum ist dann manchem so gar nicht wohl ums Herz, obgleich er auch sein Gesicht verstellt? Warum ist er so unruhig? Warum fürchtet er sich so sehr vor dem Tod? Warum nur möchte er ewig auf der Welt bleiben? Es kommt daher, weil ihm Gott so kräftig ins Gewissen geredet hat: »Was höre ich da von dir? Tu Rechnung von deinem Haushalten; denn du kannst hinfort nicht Elaushalter sein!« Dies geht wahrhaftig mehr im Innern der Leute vor, als sie es sich anmerken lassen. Der ertappte Haushalter offenbart niemand etwas, sondern denkt oder spricht nur heimlich: Was soll ich tun? Da bleiben dann solche aufgerüttelte Seelen in ihren Zweifeln stecken und denken: Was soll ich tun? Soll ich Buße tun oder nicht? Soll ich das Urteil über mich selbst sprechen, ich sei bisher ein Betrüger, ein Heuchler und ein Nichtchrist gewesen? Oder soll ich es aufschieben und meine verdächtigen Rechnungen absichtlich in der verwirrenden Unordnung fortführen? Soll ich der Überzeugung Raum geben, die sich in mir regt, oder soll ich sie als Einbildung unterdrük-ken? Was soll ich tun? Soll ich mein unrecht erworbenes Gut herausgeben und vor der Welt wie ein Narr handeln? Soll ich es behalten, mich noch weiter bereichern und bei der Lage noch Gewinn herausziehen? Soll ich die Gunst bei dem und dem Manne, der mir und den Meinen viel nützen oder schaden kann, aufs Spiel setzen oder sie mir durch weltförmiges und gewissenloses Betragen erhalten? Soll ich mein Amt oder meinen Beruf ausrichten nach Gottes Wort, nach den hoch und teuer beschworenen Grundgesetzen und nach Pflicht und Gewissen? Soll ich mich dabei der Gefahr aussetzen, aus dem Dienst oder um meine Kundschaft und meinen Unterhalt zu kommen? Was soll ich tun; soll ich mich entschließen, selig oder verdammt zu werden? Meine Lieben, ich weiß, daß ich hier eine Saite berühre, der die anderen in eurem Gewissen durch geistliche Übereinstimmung gewiß beistimmen. So geht es manchem armen Gewissen. In solcher Lage stecken sie oft Jahr und Tag. So denken, dichten und ratschlagen sie hin und her. So kommen sie zwischen Tür und Angel, zwischen weltliche Vorteile und göttliche Überzeugung und werden sehr zerquetscht. Jetzt wollen sie, dann wieder nicht. Bald verfallen sie auf dies, bald wählen sie ein anderes und können sich niemals entschließen, durch eine redliche und ganze Übergabe ihres Herzens, ihres Willens und dessen, was sie sind und haben, sich dem zu überlassen, dessen Untertanen sie ohnedies sind. Wie schwer geht es zu, wenn ein Mensch sich wahrhaftig nur als einen Haushalter und Gott allein als den Herrn des Eigentums erkennen soll, nichts als sein Eigentum und alles als fremdes Gut ansehen, alles verleugnen, alles aus Liebe verlassen, in allen, allen Stücken sich ausschließlich nur nach Gottes Willen richten, in sich nichts suchen und alles aus Gott, in Gott, vor Gott, auf Gott hin und um Gottes willen tun. Es heißt noch oft einmal: Soll ich es tun? Was soll ich tun? Mehr als tausendmal heißt es: Was soll ich tun? Es gibt aber zwei besonders gefährliche Versuchungen, in die ein erweckter Sünder verfallen kann: Erstens die geistliche Trägheit und Schwäche und das geistliche Verzagen, da man mit dem beunruhigten Haushalter spricht: »Graben kann ich nicht!« Der faule Geselle hätte wohl arbeiten können; denn bei seinen guten Tagen wird er kräftig genug geworden sein. Er war aber des Müßiggangs gewohnt, und seine zarten Hände schienen nicht für das Graben geschickt zu sein. So geht es noch mancher von Gott angefaßten Seele. Ihr graut vor dem schweren Kampf und der harten Arbeit in der Buße. Sie will sich nicht wehtun, nicht tief auf ihren innersten Grund gehen und sich recht angreifen. Es ist ihr immer, als stünde jemand hinter ihr und redete ihr ins Ohr: »Schone dein selbst; das widerfahre dir ja nicht!« (Matth. 16, 22). Da hält man dies und das für sich und seinen Stand nicht passend. Man redet sich immer ein, es sei unmöglich, anders zu leben. Man beruft sich auf die menschliche Schwachheit im allgemeinen und auf seine eigenen Umstände im besonderen, und man hat sonst hundert Ausflüchte. Man sucht dagegen lieber krumme Wege, um sich auf eine leichtere Weise der scharfen Gerechtigkeit Gottes zu entziehen und sich doch zu helfen. Man verfaßt falsche Kaufbriefe, verlegt sich auf äußere Ehrbarkeit und verläßt sich auf anderer Leute Lob und Zeugnis. Mit unzähligen solchen Verstellungen und Schlichen hält man sich vergeblich auf zu eignem unaussprechlichem Verlust. Zweitens: Eine gefährliche Versuchung ist der geistliche Stolz, bei dem es heißt: »Ich schäme mich zu betteln!« Ich bin bisher ein ehrlicher Mann und Amtmann gewesen und habe anderen Leuten geben können. Sollte ich mich jetzt so gering machen und betteln? Ach, wie tut uns doch die Sünde so unaussprechlichen Schaden. Sie enthebt uns unsres Amtes und aller Ehre und bringt uns um alle Güter. Wenn sie uns nun alles ausgezogen hat, dann hängt sie uns noch dazu einen närrischen Stolz an, daß wir uns des Betteins und fremder Hilfe schämen. Wer ist doch elender als ein Sünder, der so arm ist, daß er nichts mehr hat, und dabei so hoffärtig und faul ist, daß er nicht arbeiten und betteln mag, auch wenn er von der Not getrieben und von Gott erweckt wird, auch wenn er sonst nichts als Verderben, Schande und Untergang vor sich sieht. Auch dann will man seine Armut und seinen ganz verlorenen Zustand nicht aufdecken, auch dann will man noch zudecken, als wäre man gar nicht so untreu und gewissenlos gewesen, auch dann will man noch nicht von der alleinigen Gnade leben, sich recht aufs Gebet verlegen und Tag und Nacht vor dem Herrn liegen, ächzen, seufzen, schreien und anklopfen, daß uns aus lauter Barmherzigkeit etwas gegeben werde, damit wir nicht verderben und sterben. Den Haushalter hat es nur zu lauter falschen Mitteln verleitet, so daß die Schuldner ihn in ihre Häuser aufnahmen für das, was ihnen nachgelassen wurde. Wir wollen jedoch von seiner verschlagenen Art des Denkens noch etwas Gutes lernen, nämlich: 3. Wer klug ist, entschließt sich geschwind zu etwas Gutem, Sicherem und Gewissem wie der Haushalter, der zwar eine Weile hin und her dachte: Was soll ich tun? dann aber als ein Mann von guten Gedanken und Einfällen sich kurz entschloß und sprach: Ich weiß, was ich tun will. Wie freut sich doch der Mann, daß er einen so klugen Einfall hat! Einem jeden Schuldner meines Herrn, denkt er, will ich etwas an seiner Schuld nachlassen und ihm dabei zur Bedingung machen, daß er mich dafür in sein Haus aufnehmen muß. Ich weiß dann, wo ich künftig zu bleiben und zu essen haben werde. Dies war zwar eine neue Untreue gegen seinen Herrn; aber sein kluger Entschluß und seine Vorsicht im Blick auf die Zukunft wird gelobt und uns zur Nachfolge in geistlichen Dingen angepriesen. Da ist nun der der klügste Mann, der sich in geistlichen Dingen geschwind zu etwas Gewissem im Blick auf die Zukunft entschließt und seine Sachen, solange er noch hier ist, so bestellt, daß es ihm, wenn er darben und in der Todesstunde alles verlassen muß, doch nicht fehle und er in die Wohnungen Gottes aufgenommen werde. Wie ist dies doch ein so köstliches Wort aus dem heutigen Evangelium, das mir besonders zu Herzen gegangen ist: Ich weiß, was ich tun will. Ach, daß ich es euch allen in eure Herzen hinein gewaltig und kräftig sprechen könnte, damit wir alle wie ein Mann eins würden und zusammen sagten: Ich weiß, was ich tun will; ich will mir einen guten Grund aufs Zukünftige legen (1. Tim. 6, 19), Glauben und gutes Gewissen erringen und behalten und das ewige Kleinod ergreifen, das mir ange-boten wird. Bisher habe ich toll und dumm in die Welt hinein gelebt und nicht gewußt, was ich tat; aber nun weiß ich, was ich tun will. Bisher habe ich mich mit Fragen, Zweifeln, Besinnen und Schwanken vergeblich aufgehalten um zu wissen, was ich tun soll. Jetzt weiß ich durch Gottes Gnade, was ich tun will. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen (Luk. 15, 18). Ich will nicht lange fragen, ob gute Werke zu tun seien; bis ein andrer fragt, will ich sie getan haben. Ich will mich losmachen von meinen Künsten, Griffen, Vorteilen, von Geiz, Eigennutz und Ungerechtigkeit und vor allem von meinem ungerechten Gut. Ich will nicht mehr mich selbst suchen, meine eigne Ehre und meinen Nutzen in meinem Stand und Amt, sondern Gottes Willen und Ehre und des Nächsten Heil zum Ziel meines Tuns und Lassens haben. Ich will das Irdische für ein geringes, fremdes und unsicheres Gut halten, das Geistliche und Ewige aber für das größte, beständige und wahrhaftige Gut. Ich will im Geringsten treu sein, auf daß mir mehr gegeben werden könne (Matth. 25, 21). Ich will immer an die zukünftige Abrechnung denken; ich will niemals der letzten Stunde vergessen, da ich vom Amt, von der Ehre, vom Reichtum und allem lassen muß, da ich darben und von allen zeitlichen Sachen nicht ein Brosämlein und Tröpflein Trostes haben werde. Ich will nicht mehr sein ein Kind der Welt, sondern ein Kind des Lichtes, nicht mehr wandeln wie die Unweisen, sondern vorsichtig wie die Weisen. Ich will, solange ich noch Zeit habe, Gutes tun und die frühere Untreue mit größerer Treue und die frühere Trägheit mit größerem Fleiß wieder einzubringen versuchen. Ich will die Güter, die ich noch in Händen habe, die Zeit, das Leben, das Wort Gottes, das heilige Abendmahl und die anderen Gnadenmittel mir recht zunutze zu machen suchen wie der Haushalter mit den Briefen tat, die er noch unter den Händen hatte. Ich will, wenn ich in dieser Welt die Sünder so klug, fleißig und unermüdlich im Zeitlichen tätig sehe, mir an ihnen ein Beispiel nehmen und ihnen im Trachten nach dem Geistlichen und Ewigen in nichts nachstehen. Ich will betteln. Ich will den reichen Herrn bitten, der da reich ist über alle, die ihn anrufen (Röm. 10, 12), um den Heiligen Geist, um den Glauben und um alles Gute, das mir nötig ist. Ich will mich schämen, ohne Not um des Leibes Nahrung zu betteln, und will mit meinen eignen Händen schaffen, solange ich kann. Ich will mich aber nicht schämen, andern Kindern Gottes meine Arbeit und Blöße und meinen elenden Zustand im Geistlichen zu entdecken und ihren Rat und Beistand und ihre Fürbitte zu suchen. Ich will den Mammon für einen unbeständigen Reichtum halten, der einen zur Zeit des Darbens in schändlicher Weise verläßt, mag man sich seinetwegen im ganzen Leben noch soviel bemüht haben. Ich will ihn aber wiederum getrost nehmen und mir viel Freunde mit ihm machen. Ich will die Hungrigen speisen und die Durstigen trän- ken, auf daß sie mich aufnehmen in die ewigen Hütten, meinem Glauben Zeugnis geben und mir Gott Barmherzigkeit widerfahren lasse an jenem Tage. Ich will mein Herz schicken da hinein, wo ich ewig wünsche zu sein. Gebet: Herr, der du Erbherr bist über alle Heiden und Völker, du allein Gewaltiger, du König aller Könige und Herr aller Herren, unterstütze mit deiner Kraft unsern ernsten und festen Entschluß, dich allein als unsern obersten Herrn zu erkennen und dir allein zu dienen in Heiligkeit und Gerechtigkeit, die dir wohlgefällig ist. Hilf uns, daß wir allen andern Herren aufkündigen, damit wir nicht nur jetzt in der Gnadenzeit in unsren Gewissen vor deinem Gericht bestehen, sondern auch an jenem großen Tage vor deinem Richterstuhl. Das alles zu deiner Ehre und zu unsrem zeitlichen und ewigen Heil! Amen. VI. Andachten Herr, wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Psalm 73, 25 ; So unvergleichlich uns hier Asaph den Grund seines Herzens offenbart, so wunderlich müssen diese heroischen Worte denen Vorkommen, die nicht so geneigt sind und die nicht in solcher Erkenntnis, Liebe und Erfahrung, in solcher Empfindung und in solchem Sinn und Genuß stehen. Wenn dieser Spruch nicht so bekannt wäre, wenn wir nicht wüßten, daß er in der Bibel steht, wenn wir heute das erste Mal von einem Menschen hörten, daß • Aus dem »Richtigen und leichten Weg zum Himmel durch acht Stufen der Seligkeiten« er nichts nach Himmel und Erde frage, dann würde es manchem wunderlich Vorkommen. Die Leute lassen es schließlich noch gelten, daß ein Christ nicht fragen soll nach der Erde; aber daß man auch nichts nach dem Himmel fragen soll, ist denen, die da meinen, sie seien fromm, fast eine harte Rede. Das ist eben der Unterschied unter den Menschen. Die rohen und offenkundigen Weltkinder wären wohl zufrieden, wenn Gott mit ihnen teilte, ihnen beständig diese Erde ließe und seinen Himmel für sich behielte, wie jener aus einem berühmten Geschlecht die Worte Davids (Ps. 115, 16) dahin mißbraucht hat, daß er sprach: »Der Himmel allenthalben ist des Herrn; aber die Erde hat er den Menschenkindern gegeben«. Die Heuchler aber und die Halbchristen wollen Himmel und Erde miteinander haben. Sie lieben das Zeitliche; doch nehmen sie auch noch das Geistliche bisweilen dazu. Sie wissen wohl, daß sie nicht ewig auf dieser Erde bleiben können; darum ist ihnen doch auch etwas am Himmel gelegen. Sie wollen, aber so spät es immer sein kann, in den Himmel, nicht so sehr, daß sie da vor Gottes Fußschemel ewiglich anbeten und Gott verherrlichen, als vielmehr daß sie nur nicht verdammt werden, was ihrer Eigenliebe gar zu empfindlich wäre. Es ist ihnen also im tiefsten Herzensgrund nicht so sehr um Gott als um sich selbst, nicht um Gottes Ehre, sondern um seine Gaben, seinen Trost und seine Süßigkeit, das ist um ihre eigne Lust und ihren Nutzen zu tun. Endlich aber gibt es auch hin und her noch einen redlichen, uneigennützigen, rechtschaffenen Asaph, der in einem gar lauteren und abgeschiedenen Sinn steht, der auch das Beste und Schönste nicht sucht und achtet, sondern mit sehr hohem Ernst allein Gott um seiner selbst willen begehrt. Wenn Gott ihm die Wahl anböte und sagte: Was bittest du von mir, und was wählst du? Willst du die ganze Erde zu eigen haben und sie viele hundert Jahre besitzen, dann will ich sie dir geben. Willst du den Himmel, dann soll er dir offen stehen, daß du frei hineingehen kannst. Willst du Himmel und Erde miteinander, so daß, wenn du an der Erde genug hast, du mit dem Himmel abwechseln mö- gest? Oder willst du mich allein ohne Himmel und Erde? Eine solch lautere Seele würde antworten und sagen: Herr, gib dich mir; denn wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Himmel und Erde ohne dich wäre nichts als Unruhe, Pein und Hölle für meine Seele; habe ich aber dich, dann müßte mir auch die Hölle zum Himmel werden. Wenn ich nur ein wenig abschweife und dich, meinen Gott, einen Augenblick außer acht lasse, dann sehe ich es ja bei mir zur Genüge, wie ich alsbald in lauter Heftigkeit, Unzufriedenheit, unruhige Begierden, Kummer, Angst und Traurigkeit verfalle und mir selbst zur Last werde, obwohl ich dazu keine äußerliche Ursache habe. Was würde es erst werden, wenn ich in Ewigkeit nicht zu dir kommen könnte, obgleich ich mitten im Himmel säße! Seht also, Gott verspricht uns zwar den Himmel und Freude die Fülle und liebliches Wesen; aber er will uns auch durch die innere Zucht des Heiligen Geistes allhier auf Erden so läutern und scheiden und so gesinnt machen, daß wir nichts lieben, schätzen und suchen als ihn allein, daß wir uns nicht nur um die Erde nicht mehr bekümmern, sondern uns auch nicht einmal das Leben im Himmel wünschten, wenn wir Gott nicht dabei haben könnten. Wer hier in diesem Leben Gott nicht so erkennen und lieben lernt, wer nicht ein solch redliches Herz bekommt, daß ihn nichts erfreut als Gott allein, wer da meint, es gäbe einen besseren Himmel als die Liebe und Gemeinschaft Gottes, als das Anhängen an Gott, das Anschauen Gottes und das Einsinken in Gott, der würde keinen Himmel haben, wenn ihm gleich Gott Himmel und Erde zu seinem Eigentum einräumte. Gebet: Nun, Herr Jesu, lieber Heiland, mache diese Worte zu Spießen und Nägeln, daß unser Herz von ihnen durchstochen und durchdrungen werde; mache sie zu Zucker und Honig, daß unser Herz von ihnen durchsüßt werde. Laß keinem mehr Ruhe, in seinem unbekehrten Zustand zu bleiben, sondern bedränge und treibe ihn, daß er sich von seinem unartigen Herzen befreien und von seinen Sünden selig machen lasse, solange es noch heute heißt. Bei deinen gläubigen Seelen aber pflanze den Himmel auf Erden, öffne ihnen dein Reich, gib ihnen deine Süßigkeit zu schmecken und deren Seligkeit zu genießen. Mache sie dadurch umso williger in deinem Dienst, befestige sie in dem angefangenen Wesen und lasse einmal ihre Seligkeit mit unaussprechlicher Ehre und Herrlichkeit vor aller Welt an ihnen offenbar werden. Amen. Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr. Matthäus 5, 32 Christus will keine leibliche Armen machen, wo keine sind. Er hat selber einmal gesagt: »Geben ist seliger als nehmen« (Apg. 20, 35). Aber zu geistlich Armen möchte er uns alle machen. Er als ein weiser Baumeister will das Gebäude des Christentums und der ewigen Seligkeit bei uns recht beständig und dauerhaft aufführen, wie er am Schluß seiner Bergpredigt andeutet. Darum gräbt er tief, legt das Fundament in die geistliche Armut und spricht: »Selig sind, die da geistlich arm sind«. Wir können uns an den Springbrunnen in unseren Gärten ein Bild davon machen. So hoch das Wasser in ihnen steigen und springen soll, so tief muß es zuvor herabgelassen werden. Unser herzlich getreuer, allerwertester Jesus will uns gern auch hoch erheben bis zur Seligkeit, bis auf einen königlichen Stuhl, ja bis in das Königreich der Himmel hinein; aber zuvor sollen wir ebenso tief herab in unsrem Sinn, sollen niedrig, arm, gebeugt und demütig werden vor Gott und allen Menschen. Gebet: O Gott, du frommer Gott, du Brunnquell guter Gaben, ohne den nichts ist, was ist, von dem wir alles haben und ohne den wir nichts haben, wir sind arme Bettler vor dir und wollen es doch nicht sein, wir sind reich in unsrem Sinn und bedürfen 2 Siehe Anmerkung auf Seite 83 nichts. Darum rufen wir dich denn zuerst um dies Eine an: mache uns zu rechten Bettlern, und reiße unsren falschen Schmuck und Vorrat hinweg. Stelle uns dar zu unsrer Beschämung in unsrer Blöße; zeige uns, wie uns noch so viel mangle; nötige uns, daß wir zu dir gehen und in tiefer Demut und inbrünstiger Begierde bei dir suchen, was wir bedürfen. Du Gott der Herrlichkeit, du reicher Gott, du mitteilsames Wesen, der du auch den Armen und jedem Armen ein ganzes Königreich schenken kannst und willst, wenn wir uns nur überwinden könnten, es frei heraus zu sagen, daß wir noch nichts seien, wenn wir uns nur nicht schämen wollten, unseren wüsten und leeren Zustand vor dir frei heraus zu bekennen, wenn wir nur jetzt in dieser Stunde mit unverfälschtem Sinn dir die Ehre geben und sagen möchten: Ach, reicher Gott, ich bin freilich arm, was soll ich's verbergen; handle du mit mir als ein Reicher mit einem Armen. Ich bin noch kein rechter Christ, mache mich aber dazu, und laß jetzt durch das Wort deines lieben Sohnes dazu den Grund gelegt werden. Ich bin zwar auch der geringsten Gnade nicht würdig, aber dagegen auch der allergrößten Gnade bedürftig, ja des ganzen Schatzes und Reichtums deiner Gnade höchst bedürftig. Doch will ich dir auch für ein Stücklein Brot, ja für ein einziges Brosämlein deiner Gnade danken. Amen. Meine lieben Kinder, zueiche ich abermals mit Ängsten gebäre, bis daß Christus in euch Gestalt gewinne. Galater 4, 191 Diese klägliche und zärtliche Stimme des Apostels Paulus kommt aus einem liebevollen und recht väterlichen Herzen. Die Worte selber können wohl nicht ohne Rührung gesprochen oder gehört werden: Meine Kinder, und noch zärtlicher im Griechischen: Meine lieben Kindlein! Ich nenne sie kläglich; denn sie ist die Stimme einer Mutter, der viele Kinder nach einer schmerzlichen 1 Aus der kleinen Herz- und Handpostille Geburt gestorben sind, einer Mutter, die abermals mit Ängsten gebären soll und unter Furcht und Hoffnung ächzt und seufzt. Paulus hatte die Galater mit viel Mühe und großer Arbeit vom Heidentum zum Christentum bekehrt. Nach ihm kamen untreue Lehrer, die sie von Christus zu Mose, von der Gnade zu den Werken und vom Evangelium unter das Gesetz zurückführten. Paulus mußte ihnen mit Tränen bezeugen: Ihr habt Christus verloren und seid aus der Gnade gefallen, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt. Er trug über sie Leid wie eine Mutter über das Sterben ihrer Kinder. Ihre Zurechtweisung kostete ihn wiederum so viel Angst wie eine gebärende Mutter Schmerzen leidet. Seine mütterliche Liebe, seine alten und neuen Geburtsschmerzen, seine Arbeit und seine Angst will er ihnen zu Ge-müte führen und sie damit empfindlich rühren: »Meine lieben Kindlein, die ich abermals mit Ängsten gebäre, bis daß Christus in euch Gestalt gewinne!« Sie waren damals nicht mehr rechte Kinder, doch nennt er sie noch Kinder und Kindlein, was noch zärtlicher ist, und will damit sagen: Ihr seid doch einmal meine Kindlein gewesen; es ist noch etwas Gutes an euch. Ich hoffe, ihr werdet es wieder werden. Wie hatte ich euch so lieb! Wie seid ihr mir noch lieb! Ihr macht mir zwar doppelte Mühe und Schmerzen; ihr seid aber doch meine lieben Kindlein! Welch eine Freude würde es meinem Herzen sein, wenn ihr allesamt Kinder Gottes wäret durch den Glauben an Christus Jesus, wenn ihr alle wiedergeborene Christen wäret durch das Wort der Wahrheit! Ja, wie würde meine Freude ganz überschwenglich sein, wenn viele unter euch auch meine Kinder wären, die ich durch meinen Dienst gezeugt hätte in Christus Jesus! Wenn diese ganze Gemeinde aus lauter bekehrten, wiedergeborenen und gläubigen Seelen bestände, die von anderen Lehrern vor mir und neben mir wären gezeugt worden, so wäret ihr mir ja billig alle lieb als heilige und geliebte Kinder Gottes. Wenn aber auch nur einige unter euch wären, deren geistlicher Vater ich genannt werden könnte, so müßten sie mir desto lieber sein, weil sie meine Kinder wären, die ich geboren, die ich mit Schmerzen geboren hätte. Und wenn sie noch so schwach und klein wären, nicht Knaben sondern Kindlein, neugeborene Kindlein, so wären sie eben doch liebe, herzlich und mütterlich geliebte Kindlein. VII. Ausgewählte Gedanken Der Ruf in den Weinberg Wir sind umgeben, umfangen und umringt von lauter Gnade. Was war ich von Natur und aus mir selbst? Ein Kind des Zorns, fremd den Testamenten der Verheißung, außerhalb der Bürgerschaft Israels, ohne Christus, ohne Gott und ohne Hoffnung in der Welt! Wie war ich in meinem unbekehrtenZustand so müßig und ohne Nutzen für Gott! Wie brachte ich mein Leben so vergeblich zu! Was habe ich aus dieser Zeit für eine Frucht, deren ich mich jetzt schäme! Was habe ich erarbeitet? Was ist durch mich gehackt, beschnitten, angeheftet, gebunden, gepflanzt und gebessert worden? Ach, was für edle Stunden habe ich verderbt, die ich besser hätte anwenden sollen und können! Wie sind meine besten Jahre versäumt und verschleudert worden! Wie ging eine Zeit um die andere dahin, ohne daß ich Gott einen Schritt näher kam! Ich stand da, wo ich gestanden hatte; ich stand noch müßig am Markt der Tändeleien. Einer nach dem andern ließ sich berufen. Es wurde bald hier einer, bald dort einer bekehrt; ich aber blieb unbeweglich stehen, als wäre ich in eine Salzsäule verwandelt. Endlich aber kam die Stunde, o eine merkwürdige und selige Stunde, die sechste, die neunte, die elfte Stunde, die ich mein Lebtag nicht vergessen will, weil da der Ruf Gottes mit Kraft und Nachdruck, mit Schelten und Locken, mit Bestrafen und Einladen an mich geschah. Die Worte: »Was stehst du hier den ganzen Tag?« warfen mich in den Staub nieder; und die Worte: »Gehe du auch hin«, gehe noch jetzt in den Weinberg! richteten mich wieder auf. Ich bewegte mich also und ging; ich ging vom Markt in den Weinberg, vom Welt- und Sündendienst in den Dienst Gottes. Ich wurde nun aus einem Müßiggänger ein Arbeiter. Ich kam vom Markt in den Weinberg und Lustgarten Gottes. Ich streckte mich und fing an, die Kräfte, die ich empfand, zu gebrauchen und Gott zu dienen. Ich war nun, um was der verlorene Sohn so sehnlich bat, einer der Tagelöhner Gottes. Wie kam mir das als so glücklich und ansehnlich vor! Wem habe ich es zu danken? Meinem Müßiggang, meinem nutzlosen Herumstehen, meinem Wollen und Laufen, meinen werklosen Werken? O nein, allein Gottes Erbarmen! Gott hat uns gerettet und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsren Werken, sondern nach seinem Vorsatz und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus, wie es Paulus erkennt und preist. »Von Gottes Gnade bin ich, was ich bin; und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen«. Der himmlische Hausvater ist aus eignem Antrieb auch nach mir ausgegangen. Aus Gnaden ist er mir erschienen, da ich nicht nach ihm fragte. Aus Gnaden hat er mich beschämt und bestraft; aus Gnaden hat er mich zu seinem Dienst tüchtig gemacht; aus Gnaden einen Vergleich mit mir gemacht, wiewohl er nach dem Recht seiner Herrschaft über mich alles wie einen schuldigen Frondienst von mir hätte fordern können. Aus Gnaden bin ich selig geworden durch den Glauben, und das nicht aus mir, Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, damit sich niemand rühme. Nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die ich getan hatte, sondern nach seiner Barmherzigkeit macht mich Gott selig. An dieser Gnade laß ich mir genügen. Wenn mir Gott weiter nichts gäbe als dies, so könnte ich wohl zufrieden sein; denn Gottes Gnade ist besser als das Leben, und der Dienst Gottes belohnt sich alle Abend selber mit der Frucht eines freudigen Gewissens. Damit die Gnade recht überschwenglich würde, habe ich das Wort der Verheißung mitbekommen: »Was recht sein wird, soll dir werden!« Ich verdiene nichts. Ich kann Gott in Ewigkeit nichts abverdienen, wenn er mich seines Rufs gewürdigt und die erste Gnade an mich gewendet hat. Und dennoch hielte er es für eine Ungerechtigkeit, wenn er meine geringe Arbeit, mein kurzes Stündlein nicht mit etwas vergelten würde. Darum läßt er mir sagen und zusprechen: »Gott ist nicht ungerecht, daß er vergäße eures Werkes und der Liebe, die ihr erzeigt habt seinem Namen«. Womit wird er aber meine Arbeit vergelten? Was wird der Lohn sein? Ach, was anderes als eben wieder Gnade und abermals Gnade und ewige Gnade! Wenn er mir den ganzen Himmel für meine Arbeit gäbe, dann würde dieser Lohn wieder eine neue Gnade sein; denn »das ewige Leben ist Gottes Gnadengabe«. So krönt Gott seine eigne Gnade mit neuer Gnade! Noch ein persönliches Bekenntnis Damit ihr seht, daß es mir ganzer Ernst ist, diesen Tag zu einem wahren Huldigungstag zu machen, so will ich euch mit meinem Beispiel vorangehen und euch damit zur Nachfolge reizen. Ich will zuerst schwören und mich diesem König zu seinem Dienst aufs neue eidlich verbinden und wohlbedacht sagen: »Ich glaube und bekenne hier vor Gottes Angesicht und vor dieser mir anvertrauten Gemeinde, daß du, o Herr Jesus, als wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren, seist mein Herr, der mich verlornen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Satans nicht mit Gold oder Silber, sondern mit deinem heiligen, teuren Blut und mit deinem unschuldigen Leiden und Sterben, auf daß ich dein eigen sein, in deinem Reich unter dir leben und dir dienen soll in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit. Dies zu tun gelobe ich teuer, heilig und feierlich. Und weil du mich noch in besonderer Weise zu einem Diener deiner Kirche und dieser Gemeine berufen hast, daß ich der Tochter Zion dein Wort sagen, dich als den Herzenskönig anmelden, dein Reich pflanzen, die Seelen der Menschen von den Banden der Sünde und vom Joch des Gesetzes loslösen und dir zuführen soll, so nehme ich heute diesen göttlichen Beruf für ein neues Jahr auf mich und verpflichte mich, dich als meinen einigen Herrn zu erkennen, dir hold und treu zu sein, deinen Willen auszurichten, die Seelen zu lieben und in meinen Augen teuer sein zu lassen, keine Mühe zu sparen und kein Urteil zu scheuen, wenn ich eine Seele von ihrem Sündendienst befreien und sie dir und deinem sanften Regiment zuführen kann. Dein bin ich, o Jesu, und mit dir und deiner Sache will ich's halten, du König der Herrlichkeit! Wo ich dein Reich pflanzen, wo ich deine Ehre befördern, wo ich dem Teufel einen Abbruch tun, wo ich der Welt schaden, wo ich die Sünde vertilgen und deine Rechte behaupten kann, da will ich's tun. Ich will anhalten mit Beten. Am Tage will ich lehren öffentlich und verborgen, ermahnen, warnen und trösten. Nachts will ich besonders beten für meine Gemeinde, damit ich noch den einen oder andern herausbeten und zu dir hinbeten möge. Herr Jesus, das soll meine Ehre sein, mich in deinem Dienst zu verzehren. Das soll mein Reichtum sein, eine Seele zu gewinnen. Herr Jesus, dir lebe ich, was ich noch lebe. Herr Jesus, dir sterbe ich, wenn ich sterbe. Herr Jesus, dein bin ich tot und lebendig; mach mich, o Herzensjesu, ewig selig. Amen.« Vom Glauben Wer unter euch will selig werden, der wird nicht auf tausenderlei Dinge hingewiesen, sondern auf eins, auf den Glauben. Gott hat etwas von denen fordern müssen, die selig werden sollen. Der Himmel kann doch nicht der Arche Noah gleich sein, darin sich wilde Tiere und Menschen, Schafe und Wölfe, Fromme und Spötter aufhielten. Die Natur des himmlischen oder seligen Zustands leidet es nicht, daß alle Menschen ohne Unterschied, Freunde und Feinde könnten in den Himmel getrieben werden. So hat Gott notwendigerweise etwas bestimmen müssen, das er an denen haben wolle, die wirklich selig werden sollen. Er hat aber nicht viel, sondern nur eins und zwar das Lieblichste und Leichteste erwählt, etwas, das nicht im Geben, sondern im bloßen Nehmen besteht, etwas, das nur das tut, was Gott tut, seine Friedensgedanken, seinen Liebesrat, seine Gnadenordnung, seine Gabe und sein teuerstes Geschenk, seinen allerliebsten Sohn mit der Fülle der Gnaden und Gaben sich gefallen läßt und annimmt mit der Hand, die Gott selber erschaffen hat und zum Ergreifen lebendig und tüchtig machen will. Ihr meint zwar, daß Gott euch mit seinen Gesetzen und allerlei Forderungen beschwere; ich aber sage und bezeuge: Ehe Gott ein Stäublein Gutes fordert, ehe Gott von euch verlangt, daß ihr nur soviel Gutes tun sollt wie ein Stäublein, das von der subtilsten Feile des Goldschmieds abfällt, läßt er euch Millionen von Reichtümern an Gnade, Versöhnung, Frieden, Heil und Seligkeit anbieten. Was ihr dann tun sollt, ist dies, daß ihr es glaubt und dem großen, treuen und wahrhaftigen Gott all dieses Gute zutraut und ihn niemals bezichtigt, er habe noch etwas heimlich im Rückhalt und meine es doch nicht besonders gut mit euch und eurer Seligkeit. Diese Hefe und diesen Sauerteig solltet ihr euch doch einmal aus dem Sinn schlagen und glauben. Ihr solltet glauben, das ist: aus dem Evangelium, das euch gepredigt wird, Jesus Christus kennenlernen, wie er euch von der Sünde und allem aus der Sünde folgenden Übel, von dem gerechten Gericht Gottes, vom Fluch und Zwang des Gesetzes, vom Anspruch des Teufels, von der Macht des Todes und der Hölle erlöst und euch dagegen erworben habe Unschuld, Gerechtigkeit, Leben und ewige Seligkeit. Ihr sollt glauben, daß in keinem andern Heil, auch kein andrer Name den Menschen gegeben sei, darin sie können selig werden als der Name Jesus. Ihr sollt glauben, daß ihr weder eigne Gerechtigkeit noch irgendeine andere Würdigkeit nötig habt, um zu Gott zu kommen. Wie ihr jetzt seid, wie das Evangelium euch in der gegenwärtigen Lage antrifft, elend und jämmerlich, arm, blind und bloß, so sollt ihr euch aufmachen, durch Christus zu Gott gehen und dann in Christus alles finden und hinnehmen, was euch selig machen kann. Ihr sollt glauben, daß ihr in Christus habt volle Vergebung eurer Sünden, Erlassung aller damit verdienten zeitlichen und ewigen Strafen, Freiheit vom bösen Gewissen, Friede mit Gott, Zugang zu seiner Gnade, Gerechtigkeit, die vor Gott gilt und besteht, selbst wenn er zehn Rügegerichte über euch hielte, dazu ein volles Recht zum ewigen Leben, ein größeres Recht als es Adam im Stand des Ebenbildes Gottes hatte. Ihr sollt glauben, daß in dieser Wegnahme eures Sündenübels und in dieser gläubigen Annahme der himmlischen Güter und des geistlichen Segens durch Christus der Grund liege, hernach mit ganz anderen Augen anzusehen die irdischen Güter, weltliche Ehre, fleischlichen Lüste, darin man vorher sein Wohl gesucht hat. Man betrachtet sie als etwas ganz Geringes, man verleugnet sie immer mehr und findet seine Ruhe und Zufriedenheit in Christus, der allein köstlichen Perle und dem unschätzbaren Schatz. Ihr sollt endlich glauben, daß nur der glücklich sein kann, der durch Christus von dem heimlichen Haß gegen Gott, von der Anklage eines unruhigen Gewissens, von der knechtischen Furcht vor dem Tod, von der Eitelkeit der Welt und ihres Dienstes, von der Unersättlichkeit seiner nagenden Begierden und von seinen ungezähmten Leidenschaften erlöst und dagegen gerecht und heilig geworden ist, ein Kind Gottes, ein Bruder Jesu Christi, ein Tempel des Heiligen Geistes, ein Bürger und Hausgenosse Gottes und ein Erbe aller himmlischen Güter. Dies ist der Glaube, auf den es ankommt. An diesem Glauben hängt Christus und all sein Verdienst. An diesem Glauben hängt die Vergebung der Sünden, die Gnade Gottes, die Gerechtigkeit und ewige Seligkeit. An diesem Glauben hängt das Zeugnis des Heiligen Geistes, daß wir Gottes Kinder seien. Wer an den Sohn Gottes glaubt, der hat solches Zeugnis für sich, und dies ist das Zeugnis, daß uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und solches Leben ist in seinem Sohn. An diesem Glauben hängt auch die ganze Verwandlung unsres Herzens, durch die wir nun gegen Gott und die geistlichen Güter, aber auch gegen die Welt und was darinnen ist, ganz anders gesinnt sind als vorher. Es kann auch unmöglich anders sein. Solange der Mensch noch ohne Glauben ist, solange hat er weder Gott noch seine Gnade und sein Wohlgefallen, weder seinen Sohn noch seinen guten Geist, weder seinen Himmel noch einen Geschmack seiner Liebe oder sonst etwas Gutes. Wie arm, verlassen und dürftig ist doch ein Mensch bei seinem Unglauben, wenngleich er auf zehn kaiserlichen Thronen säße. Eben darum, weil er so arm und leer ist, schwärmt er in seinem Hunger und Durst in der Welt umher und sucht, wo er etwas zur Abkühlung seiner brennenden Begierden erlangen kann. Wenn wir aber durch das Evangelium zum Glauben kommen und durch den Glauben Gott als unseren Gott in Christus, als unsren gnädigen Gott erkennen und besitzen, dann haben wir genug an seiner Gnade. Wir sind dann in allen Stücken reich gemacht und haben genug hier und dort ewiglich. Dann machen wir aus den anderen Scheingütern kein Werk mehr, fragen nichts mehr nach Himmel und Erde, wenn Gott unsres Herzens Teil und Trost geworden ist. »Was soll ich mehr verlangen? Mich beströmt die Gnadenflut . . .!« Von der Wiedergeburt Keiner wird als Christ geboren; ein jeder muß erst, wann er geboren ist, ein Christ werden. Diese Veränderung aus einem Nichtchristen in einen Christen, aus einem Unbarmherzigen in einen Barmherzigen, aus einem Unreinen in einen Heiligen, aus einem Irdischen in einen Geistlichen, aus einem Toten in einen Lebendigen, aus einem Blinden in einen Sehenden, aus einem Heuchler in einen Wahrhaftigen heißt man die Wiedergeburt. Sie ist ein Werk Gottes, zwar auch nach seiner Allmacht und Heiligkeit, aber hauptsächlich nach seiner Barmherzigkeit . . . Er zeugt uns nach seinem Willen, seinem gnädigen und erbarmenden Willen durch das Wort der Wahrheit zu Erstlingen seiner Kreaturen, das ist zu seinen Kindern, die die edelsten und vornehmsten sind unter allen seinen Geschöpfen. Froher Glaube Es darf eine Seele, die dem Herrn Jesus anhangt, ein Geist mit ihm geworden ist und ihn herzlich liebt, ihren Zustand nicht für verdächtig oder ihr Christentum für falsch halten, wenn sie nicht durch die Hölle zu Christus geführt, wenn sie nicht durch einen ängstlichen Bußkampf und durch Zittern und Zagen zum Glauben gebracht worden ist. Denn obwohl dies meist um unsrer Unart und langen Untreue willen nötig ist, so ist es doch nicht allgemein. Es gibt auch Seelen, bei denen das geistliche Leben mit einem Hochzeitsreigen und einem Singtanz anfängt (Luk. 15, 25), und die Purpurkrämerin Lydia ist mit Freuden an den Herrn Jesus gläubig geworden (Apg. 16, 14. 15). Die Verachtung des allgemeinen Priestertums Es schämen sich nicht nur die Hohen und Vornehmen ihres Priestertums, sondern auch die Geringen und Niedrigen. Man schämt sich, so oft in der Kirche zu sein; man schämt sich, sich auf die Bibel zu berufen; man schämt sich,mit frommen Leuten vertraulich umzugehen; man schämt sich, die Unwissenden zu unterrichten; auch seine Kinder hängt man nur an fremde Leute hin. Was sind das für Priester, die man selten im Tempel, öfters im Kaffee und Wirtshaus antrifft? Was sind dies für geistliche Priester, die in der einen Hand das Glas, in der andern die Karten halten und für die Bibel keine Hand mehr frei haben? Was sind das für geistliche Priester, die nicht segnen, sondern fluchen, nicht beten, sondern schwören? Sollen das geistliche Priester sein, die nicht dem lebendigen Gott, sondern dem Bacchus und der Venus ein Opfer über das andere bringen? Nicht nur Christus schämt sich euer, sondern auch Luther speit euch ins Gesicht und spricht, er habe keine solche Jünger erzogen. Die Verpflichtung zum christlichen Wandel Bedenkt doch, christliche Seelen, wie sehr euch Christus besonders gestellt hat! Er hat euch erwählt von der Welt. Ihr müßt euch zu gut dünken, euch wieder unter die Kleie zu mischen; ihr seid ein Edelgestein und darum zu würdig, daß ihr euch auf den Mist werfen laßt. Ihr seid zu hoch erhaben, daß ihr eines Welt-kindcs Speichel lecken, ihm schmeicheln oder das Geringste von der Welt ihm abbetteln solltet. Der Pfarrer und seine Mitarbeiter Was fördert wohl das evangelische Predigtamt mehr: die Un-bekehrten und Gottlosen, die Schweine, die den Acker umwühlen, und die Füchse, die den Weinberg des Herrn verderben, oder die Frommen, der gute Same und die edlen Reiser? Welcher Pfarrer kann wohl mehr ausrichten, der allein ist oder der willige Seelen hat, die sich nicht nur gern erbauen lassen, sondern auch mit ihrem Licht der Erkenntnis und der Gottseligkeit anderen zur Erbauung voranleuchten und nach dem Maß der Gaben, die ihnen Gott ausgeteilt, und nach den Gelegenheiten, die er ihnen an die Hand gibt, an anderen zu arbeiten suchen? Eigennutz ist ohne Zweifel der größte Herr auf Erden. Er kommandiert zu Wasser und zu Land, Hohe und Niedere, Herren und Knechte, Heiden, Türken, Juden und Christen, Geistliche und Weltliche, Männer und Frauen, Junge und Alte. Es gibt nicht lauter Ehrgeizige und Wollüstige. Manche sind nachlässig gegen ihre Ehre und kalt gegen die Wollüste, als ob sie Stein und nicht Fleisch wären; wenn es aber auf die Eigensucht ankommt, dann muß ein Paulus klagen: »Sie suchen alle das Ihre« (Phil. 2, 21). Eigennützig sind die Ehrgeizigen; denn sie bedürfen Geld zur Ausführung und Aufrechterhaltung ihrer Bestrebungen. Eigennützig sind die Wollüstigen, damit sie etwas haben durchzubringen. Eigennützig sind aber auch die Geizigen. Johannes nennt dieses Laster die Augenlust (1. Joh. 2, 16). Die Weltkinder sind ja wohl Kinder; denn was die Kinder sehen, das möchten sie gern haben. So geht's insgemein uns Menschen. Wir sehen wie dort Achan den babylonischen Mantel (Jos. 7,21) die Güter dieser Welt; indem wir sie sehen, gelüstet es uns nach ihnen. Das Gelüst macht, daß wir danach greifen, obgleich wir oft nicht mehr davon haben, als daß wir es sehen und unsere Augen sich daran weiden. Es redet der Heilige Geist ganz verächtlich und sogar spöttisch von dieser Lust nach Geld und Gut. Sie ist eine Augenlust und weiter nichts. Der Reiche sieht mehr vor sich als ein anderer; aber er kann darum nicht mehr genießen, ja oft nicht einmal so viel wie ein anderer, der sich genügen läßt mit dem, was da ist. Der Reiche hat die Mühe und ein anderer die Brühe. Des Reichtums genießt nicht der Reiche sondern der andere; der Reiche aber hat von seinem Reichtum nichts als den Namen und die Sorgen, wie der heilige Bernhard sagt. 1 Aus der Schrift: »Die Kraft der Gottseligkeit in Verleugnung seiner selbst« Es erstreckt sich diese Eigennützigkeit weit und breit über des Menschen Handlungen und schließt in sich allerlei Arten von Ungenügsamkeit, Kargheit und Begierde. Alles aber fließt zusammen in dem Geiz. Wer diesen verleugnet, der hat die Quelle verstopft, aus der alle anderen Bächlein fließen. Es ist aber der Geiz eine unordentliche Begierde nach den Gütern dieser Welt, sie zu erwerben und in ihnen sein Vergnügen zu suchen. Ich nenne ihn eine unordentliche Begierde, weil ich glaube, wiewohl ich hierüber nicht streiten mag, daß es auch eine ordentliche und unsträfliche Begierde gebe nach den Gütern des zeitlichen Lebens. Die Gelehrten teilen sie ein in natürliche und künstliche Güter. Unter den natürlichen verstehen sie Speise und Trank, und was sonst zur Erhaltung des menschlichen Lebens gehört. Daß man nun nach ihnen verlangen dürfe und müsse, das lehrt einen jeden täglich seine eigne Erfahrung. Darf ich aber nach Speise und Trank verlangen, so werde ich wohl auch nach Äk-kern, Weinbergen, Gärten und Wiesen verlangen dürfen, durch die Speise und Trank herbeigebracht werden müssen. Ist mir dies erlaubt, dann wird mir hoffentlich nicht verargt werden können, wenn ich auch ein Haus verlange, unter dessen Schirm und Schatten ich einerseits sicher wohnen, andererseits die Mittel zu meiner Erhaltung aufbewahren kann. Gibt es aber eine ordentliche und unverwerfliche Begierde nach den natürlichen Gütern, dann wird man wohl auch eine nach den künstlichen oder durch Fleiß und Kunst der Menschen verfertigten Gütern zulassen müssen, unter denen das Geld das wichtigste ist, weil man sich mit ihm anschaffen muß, was man zur Erhaltung des Lebens braucht. Wenn ich nun mit vielen nichtssagenden Worten über die Verächtlichkeit dieses glänzenden Kots, dieses Dreck-götzen und dieser Hand voller Sand schmähen und darauf dringen wollte, daß niemand das geringste Verlangen danach haben solle und müsse, dann habe ich doch die Sorge, daß ich mehr verderbte als gut machte. Das ernstliche Drängen auf das wahre Christentum wird ohnehin als etwas Unmögliches angesehen von Leuten, die die Verbindung der menschlichen Gesellschaft mit dem Christentum nicht recht einsehen. Man kann also einen, der Verlangen zeigt nach Geld und Gut, noch nicht ungehört verdammen. Ich muß zuvor fragen, wie und warum er es verlange, ob er es verlange als ein unentbehrliches Mittel zu seinem Unterhalt oder als Zweck, seine Freude und Glückseligkeit darauf zu gründen. Das erstere ist erlaubt und unschuldig; allem Vorwand und Mißbrauch aber muß sonst vorgebeugt werden. Ich bin ein Glied der bürgerlichen Gesellschaft. In ihr kann ich ohne Geld nicht fortkommen. Ich werde daher wohl die Mittel suchen und ergreifen müssen, die mir zu diesem allgemeinen Erfordernis helfen. Die Armut hat allerlei schwere Versuchungen zur Sünde im Gefolge. Wenn ich nun etwas von den zeitlichen Gütern mir darum wünsche, damit ich nicht in jene Stricke fallen möge, dann dünkt mich, ich sei auf dem Wege Agurs, der gebeten hat: »Armut und Reichtum gib mir nicht; laß mich aber mein bescheiden Teil Speise dahinnehmen. Ich möchte sonst, wo ich zu satt würde, verleugnen und sagen: Wer ist der Herr? Oder wo ich zu arm würde, möchte ich stehlen und mich an dem Namen meines Gottes vergreifen« (Spr. 30, 8—9). Das Geld kann zu einem geeigneten Mittel gemacht werden, Gottes Ehre, Erkenntnis und Reich und des Nebenmenschen Wohlfahrt, leibliche und geistliche Besserung zu fördern und zu meiner eignen mäßigen Bequemlichkeit etwas beizutragen. Wenn nun eines Menschen Herz durch die Gnade so gereinigt und zubereitet ist, daß er die zeitlichen Güter allein als ein gutes Mittel für solchen Zweck verlangt, dann finde ich darin nichts Strafwürdiges. Es ist ohne Zweifel eine Wohltat Gottes, wenn er eines Menschen Hand mit dem Samen zeitlicher Güter füllt, so daß er links und rechts um sich werfen, reichlich den Armen ausstreuen und eine große Ernte für die Ewigkeit vorbereiten kann. Wenn nun jemand mit solcher Absicht nach diesem Samen verlangt, dann habe ich nichts dagegen einzuwenden. Ich begehre gerechter mit jedermann umzugehen, als die Welt mit den Kindern Gottes umgeht. Man stößt sich bisweilen so unnötig und heuchlerisch, wenn einer, der das Ansehen eines frommen Mannes hat, eine christliche Per- son heiratet, die neben dem Schatz des Reiches Gottes ihm auch noch einiges Vermögen mitbringt, wie es doch auch bei einem Prediger auf unschuldige Weise geschehen kann. Die Besoldung ist oft schmal und geht schwer ein; der ganze Schwarm der öffentlichen und verborgenen Bettler liegt ihm auf dem Hals; er muß manche arme, kranke und betrübte Leute besuchen, die oft mit einem halben Gulden sich leichter trösten lassen als mit dem ganzen Evangelium Jesu Christi. Hinzu kommt noch, was ein treuer Prediger um des Evangeliums willen tun muß, aber der Welt nicht zu sagen wünscht. Verdient nun ein solcher Frommer, der ohnehin ein Erbe der Welt sein sollte, eine derartige Verleumdung, wenn er mit voller Hand dem Evangelium unsres Herrn Jesu Christi zu dienen sucht? Der weise König Salomo hat wenigstens einen gelinderen Ausspruch darüber getan und gesagt: »Weisheit ist gut mit einem Erbgut und hilft, daß sich einer der Sonne freuen kann« (Pred. 7, ti). Die Welt steckt derart voller Vorurteile, daß Vorgesetzte bei ihren Untergebenen oft keinen Respekt haben, wenn diese arm sind. Manchmal läßt man einen frommen und weisen oder geschickten und brauchbaren Mann nichts gelten, weil er nicht reich ist. Salomo hat's schon wahrgenommen, daß eine belagerte Stadt hätte können gerettet werden durch den klugen Rat eines armen weisen Mannes, der darin war; aber niemand habe ihn beachtet, weil er arm war (Pred. 9, 13—15). So ist es also gut, wenn einer sein Amt, seine Weisheit und Tugend auch durch dieses Mittel unterstützen und nachdrücklich machen kann. Das Christentum läßt es zu, seinen Lebensunterhalt zu verlangen; wenn man sie aber hat, nämlich Nahrung und Kleider, dann soll man sich genügen lassen (1. Tim. 6, 8). Es läßt zu, daß die Könige David, Salomo und Josaphat Silber und Gold zusammenbringen aus der Beute der überwundenen Feinde, aus der Schiffahrt und aus ähnlichen rechtmäßigen Mitteln zu einem guten Zweck, nämlich für den Tempel des Herrn und für die Rettung des Vaterlandes. Es läßt zu, ja es gebietet sogar, daß ein jeder in seinem Beruf ernstlich und mit angestrengtem Fleiß arbeite, um nicht nur sich selbst und die Seinigen zu versorgen, sondern auch etwas übrig zu haben, damit er es den Bedürftigen gebe (Eph. 4, 28). Es läßt zu, wenn von der Arbeit für die eigenen Bedürfnisse und die schuldige Handreichung an die Bedürftigen noch ein Überschuß vorhanden ist, daß man es für die Zukunft aufbewahren darf, so daß also die Eltern den Kindern nach solcher Ordnung Schätze sammeln mögen (2. Kor. 12, 14). Es läßt zu, daß die Kaufleute in diese oder jene Stadt gehen, dort handeln und Gewinne machen, wenn sie nur sonst die göttliche Ordnung in acht nehmen (Jak. 4, 13). Mithin geschieht weder der Vernunft noch dem Hauswesen und dem bürgerlichen Staat durch das Christentum irgendwie Eintrag. Die allerheiligste Lehre Jesu Christi wehrt nur der unordentlichen und unmäßigen Begierde nach zeitlichen Gütern. Dies muß nun aber recht verstanden werden; denn ich habe gewiß mit dem Vorigen nichts weniger im Sinn gehabt, als einen Mantel auszubreiten, unter den alle Liebhaber der Welt und des Geldes sich verkriechen und ihren irdischen Sinn bedecken können. So sehr ich weiß, daß mein lieber, teurer Herr Jesus mit seinen Forderungen die Natur der menschlichen Gesellschaft nicht aufhebt, weder faule Hummeln noch sonst träge und verdrossene, leichtsinnige, verschwenderische und unordentliche Bürger erzieht, welch' böse Tatsache die Welt ihm gern anhängen möchte, so sehr bin ich in meiner Seele versichert, daß der Herr Jesus auch in diesem Stück das natürliche Verderben des Menschen in seinem tiefsten Grund angreift und den Geiz nach seiner Wurzel und Frucht so aufdeckt und verdammt, wie es sonst keine Sittenlehre tun kann. Nur kommt auch hier alles darauf an, was denn Geiz sei. Man macht sich davon meistens keinen rechten Begriff. Einem Zornigen, einem Säufer oder Ehrgeizigen kann man seinen Fehler anmerken; aber kein Mensch will es auf sich kommen lassen, daß er geizig sei. Es ist ein allzu verächtliches Laster. Es würde demnach vergeblich sein, wenn ich scharf wider den Geiz reden und kurz und bündig vor ihm warnen wollte. Das würde jedermann wohl anhören können, wobei sich jeder aus der Schlinge ziehen und in seinem Herzen segnen würde, daß er nicht geizig sei. Weil aber dies ein entsetzlicher Selbstbetrug und eine der Hölle würdige Verblendung ist, muß ich eure Gemüter härter anfassen; denn es gibt unter allen Lastern keines, das so wie dieses den Menschen tyrannisiert und auch mitten unter uns unbeschränkt herrscht. Ich will euch solche Kennzeichen des Geizes vorlegen, die einem jeden, der sie hört, zu ernstlichem Nachsinnen dienen und ihm zeigen können, ob er dieses Lasters schuldig sei oder nicht. Ich bitte euch aber, daß ihr mit großem Ernst und heimlichem Seufzen dem zuhört, was euch auf Grund des göttlichen Worts gesagt werden soll. Jeder unbekehrte Mensch ist geizig. Wer sich nicht deutlich bewußt ist, daß die große Veränderung seines Herzens und seines ganzen natürlichen Sinnes sich durch die überschwengliche Größe der mächtigen Gnade Gottes in der Bekehrung einmal in ihm vollzogen hat, der denke daran, daß er noch geizig sei, wenn er schon bisweilen das Geld mit Händen zum Fenster hinauswürfe! Der unendliche Abgrund in der menschlichen Seele und die unermeßliche Leere des Geistes kann mit nichts als mit dem unendlichen Gott angefüllt werden, an den man sich in der Bekehrung durch den Glauben an Jesus Christus wenden muß. Geizig ist der, bei dem aus dem Abgrund seines leeren, armen und elenden Herzens unendliche Begierden nacheinander aufsteigen, durch die der Mensch immer noch mehr begehrt, als er tatsächlich hat, als ihm nötig ist und als Gott ihm durch ordentliche Mittel zufließen läßt. In der Sprache des Heiligen Geistes wird es sogar mit Nachdruck die Begierde genannt, mehr zu besitzen. Dies kann man zum Beispiel bei Judas finden. Er mußte mit den andern Jüngern bekennen, daß er bei Christus nie Mangel gehabt habe. Er war aber mit dieser Versorgung nicht zufrieden, sondern wollte noch etwas mehr haben, nämlich auch eignes Geld. Dies merke man nun besonders gut! Der Geiz steckt im Herzen als unruhige und nagende Begierde, mehr zu haben. Wo die Begierde ist, nur immer mehr zu bekommen und danach wieder etwas anderes zu erlangen, wiewohl man seiner nicht bedarf, da ist der natürliche und eigentliche Geiz. »Denn die da reich werden wollen (seht, im Willen, in der Begierde steckt der Geiz!), die fallen in Versuchung und Stricke ..denn Habsucht (das ist Reicherwerdenwollen) ist eine Wurzel allen Übels« (l. Tim. 6, 9.10). Geizig ist, wer den Reichtum nicht nur als ein sehr hohes oder als das höchste Gut, sondern auch als ein wahrhaftiges Gut ansieht. Wer die Reichen darum für glückliche Leute hält, weil sie reich sind, wer seine eigne Freude und Ruhe darin sucht, daß er viele Güter hat und meint, je mehr man habe, desto glückseliger sei man auch, wie dies ja die durchgängige Meinung der Menschen ist, der ist geizig. Christus nennt den Reichtum etwas Ungerechtes und Untreues. Er stellt ihn ausdrücklich den wahrhaftigen Gütern entgegen und sagt, daß er das geringste sei, das einem Menschen gegeben werden könne, ja daß er auch dann noch etwas Fremdes sei, wenn der Mensch ihn habe (Luk. 16, 10—12). An anderer Stelle nennt er ihn eine Zugabe, etwas Zufälliges, das, ob es da ist oder nicht, einem Christen gleichgültig sein soll (Matth. 6, 33). Wer dagegen die von Gott geschickte Armut mit Kleinmut, Ungeduld, Murren und Schelten trägt und sich durch ungerechte Mittel heraushelfen will, wer es gern wie andere haben möchte oder nur immer auf die sieht, die mehr besitzen, wer den Reichtum, bessere Nahrung und Wohlbefinden bei anderen mit scheelen Augen ansieht und von dem Reichen übel oder mit betonter Verachtung redet, der ist geizig. Wo sich so viele und unruhige Sorgen wegen der Nahrung finden, wo man Tag und Nacht danach trachtet, wie man sich und den Seinen viel sammeln möge, wo man mit solcher Vielgeschäftigkeit das Herz niederdrückt, so daß es sich nicht frei zu Gott erheben und seinem Wort Raum geben kann, ja wo man sich eine bestimmte Summe vorsetzt, wo man überlegt, wieviel man von allen Ausgaben einsparen und mit Zinsen anlegen kann, wo man immer in seinem Sinn rechnet, handelt und plant, da ist der Geiz. Wo man die zeitlichen Dinge so hoch schätzt und anschlägt, dagegen von geistlichen Dingen, von Gott und seinem Wort, von der Besserung der Seele, vom Himmel und von der Seligkeit, über fromme Christen geringschätzige Gedanken und kaltsinnige Meinungen hat, da ist der Geiz so gewiß wie bei Judas, der die Salbe mit fünfzig, Christus aber mit fünfzehn Talern veranschlagt hat. Wo man grob heraus sagt: Hätte ich nur Geld, hätte ich nur so und soviel, wo man alles, was man unbedingt entbehren kann, zu lauter Geld machen will, wo man beim Heiraten, beim Ämterwechsel und dergleichen hauptsächlich aufs Geld sieht, da verrät sich der Geiz. Wer vor den Dürftigen Herz und Hände verschließt, wer zwar etwas, aber kärglich und dabei das Schlechteste und Wertlose oder nicht nach dem Verhältnis seines Vermögens und nur langsam und mit Unlust gibt, der ist geizig; denn die Schrift nennt es auch Geiz, wenn man kärglich und unlustig gibt (2. Kor. 9,6). Geizig ist, wer sich selbst von dem Seinigen nichts Gutes gönnt, noch das Herz hat, etwas davon unerschrocken zu genießen. Ein solcher hat nach dem bekannten Sprichwort das Geld im Kasten; aber der Teufel hat den Schlüssel dazu. Der ist wie jener Geizige, der genug Wein im Keller liegen hatte, aber keinen davon trank. Wenn er in den Keller kam, dann klopfte er mit dem Finger an das Faß und sprach: Du magst wohl ein gutes Weinchen sein, wenn man dich kosten dürfte! Auch der ist geizig, der nicht sehen kann, wenn andere mild und freigebig sind, sondern mit Judas spricht: Was soll diese Vergeudung; etwas weniger hätte es auch getan. Ein Geiziger möchte Blut weinen, wenn er nur sieht, wie andere so verschwenderisch mit dem Wasser umgehen. Ein gewisser Geistlicher empfindet Mitleid mit den Männern, die geizige Weiber haben, die murren, sooft der Mann den Armen etwas geben will. Sie lauem unten im Hause, daß nur ja nicht ein Bettler vor den Hausherrn kommen kann. Sie sind rechte Kettenhunde, die da wachen und bellen und niemand so leicht zu ihren Männern kommen lassen. Er setzt aber hinzu: »Ich wünschte, daß die Männer dann mehr Herz hätten und vor dem Angesicht ihrer Weiber den Armen ganze Hände voll Geld gäben und so die Absicht der Weiber durchkreuzten, sollten die darüber noch so böse und zornig werden. Es wäre so mehr Hoffnung, daß deren geiziger Sinn gebrochen würde, als wenn sie den Armen nur still und insgeheim etwas geben.« Es ist dagegen auch Geiz, wenn die Männer ihre verständigen und häuslichen Frauen so kurz halten, daß sie ihnen keinen Pfennig Geld zur freien Verwendung überlassen, und so ungern und gezwungen das herausgeben, was zur Haushaltung nötig ist. Geizig ist auch, wer wie Bileam den Lohn der Ungerechtigkeit liebt, wer sich um des Geldes willen zu etwas Bösem gebrauchen läßt, wer um der Kundschaft, um Wohlstand und Nahrung willen oder um in seinem Amt zu bleiben, wider sein besseres Wissen und Gewissen Böses tut, schwört, betrügt, lügt, verfälscht, Verrat übt usw. oder von andern Böses geschehen läßt, wie dies besonders in den Wirtshäusern vorkommt. Dies gilt auch von allen denen, die zu weit greifen und ihren Nächsten auf allerlei Weise übervorteilen. Geizig ist, wer um eines irdischen Vorteils willen den Sonntag entheiligt (Luk. 14), die Predigten oder das heilige Abendmahl versäumt und das Gebet entweder ganz unterläßt oder es ohne Andacht und in der Eile verrichtet, dabei immer mit seinen zeitlichen Sachen beschäftigt ist oder auch zwischenhinein dem Gesinde allerlei befiehlt und dann mit Beten fortfährt. Geizig ist, wer sich und alle seine Geschäfte, Gänge und Mühseligkeiten bezahlt haben will und überall fragt wie Judas: »Was wollt ihr mir geben?« Es ist Geiz, wenn die Priester nicht auch eine Tür am Hause Gottes umsonst schließen, wenn die Obrigkeiten Geschenke annehmen vor und nach dem gefällten Urteil und damit das Recht beugen, wenn man die Sache so lange verzögert und erschwert, bis die Leute, nachdem sie es müde geworden sind, kommen und etwas bringen. Es ist Geiz, wenn man bei der Auszahlung der Handwerksleute fordert, sie sollen so und so viel nachlassen, oder ihnen zum eigenen Vorteil die Arbeit vorher teurer verdingt, wenn man andern ihre Schulden und Forderungen für ein geringes Geld abkauft, um sich nachher mit den Zinsen einen desto größeren Gewinn zu verschaffen, wenn man beim Ausleihen einer Summe Geldes gleich etwas davon in der Hand zurückbehält oder sonst erhöhten Zins nimmt. Ja, auch das ist Geiz, wenn man von Leuten, die wegen unverschuldeter Armut entleihen müssen, auch nur den üblichen Zinssatz nimmt; denn ihnen sollen die Reichen leihen und nichts dafür nehmen (Luk. 6, 35). Es kommt vom Geiz her, wenn Vornehme beim Einkäufen oder beim Vergeben von Arbeit alles wohlfeiler und beim Verkaufen alles teurer haben wollen, weil sie die und die seien. Wenn man in Amtsgeschäften Geschenke nimmt, unter welcherlei Vorwand es auch geschieht und so süß, so allgemein und privilegiert es auch sein mag, so ist es doch eine Frucht, die aus der Wurzel des Geizes aufwächst. Wer seine ordentliche Nahrung, seine Besoldung oder Entlohnung hat, der würde gewiß nicht das geringste Geschenk annehmen, wenn er von allem Geiz rein wäre. Wer das menschliche Herz kennt und seine Vorstellungen fürchtet, der wird's bekennen müssen. Es ist Geiz, wenn man Leute, die in Bedrängnis sind, zum Verkauf nötigt, hernach mitsteigert und ihnen umso weniger auszahlt2, oder wenn man dem Gesinde und den Arbeitern Speise und Lohn verkürzt und denen, die etwas verdient haben, es schwer und sauer macht, die Bezahlung zu erhalten. Dahin gehört auch die üble Angewohnheit, daß man ungern zahlt, vor allem da, wo es aus der eigenen Tasche geht. Geizig ist, wer einen Acker um den anderen, ein Haus um das andere und ein Amt um das andere an sich nimmt, bis er alles hat, wiewohl er es nicht nach Gebühr verwalten kann (Jes. 5, 8). Geizig ist, wer sich über einen zeitlichen Verlust sehr kränkt und über einen Schaden oder ein Unglück so ungeduldig und trostlos gebärdet, als wenn ihm ein Stück vom Herzen gerissen wor-2 das heißt, durch die Versteigerung eine Wertminderung herbeiführen den wäre oder sich wenigstens mehr darüber betrübt, als wenn er mit tausend Sünden Gott beleidigt hätte. Er gleicht jenem Micha, der einherging und schrie: »Sie haben mir meine Götter genommen, wen habe ich jetzt mehr?« (Richter 18, 23. 24). Geizig ist, wer nie eifriger betet, als wenn es sich um zeitliche Dinge handelt, und auch nie freudiger dankt, als wenn es sich um bescherten Segen in zeitlichen Gütern handelt. Augustinus schreibt über Psalm 30: »Du rufst Gott an im Gebet. Aber warum? Damit er dich Geld und Gut gewinnen lasse oder, um in deiner Sprache zu reden, damit er dich segnen solle? Auf diese Weise rufst du den Gewinn und nicht Gott an. Du machst Gott zu einem Knecht deines Gewinns. Wie verächtlich behandelst du Gott! Wenn Gott zu dir käme ohne Gold und Silber, so würdest du ihn schwerlich willkommen heißen.« Geizig sind alle, die sich den notwendigen Hausrat nicht selber kaufen, sondern sich mit Entleihen bei anderen behelfen, die etwas borgen und es nimmer zurückgeben und besonders armen Leuten unter der Hand zu verstehen geben, daß sie es gern behalten möchten. Ein Anzeichen eines geizigen Gemüts ist es, wenn man den Vornehmen, den Reichen und anderen Leuten, von denen man einen Vorteil hat, etwas vorheuchelt, sie umschmeichelt, ihnen ihre Laster durch die Finger sieht und sie nach dem Tod in unwürdiger Weise heraushebt und nicht in gleicher Weise einen wie den andern behandelt. Der Geiz spricht zu manchen, was jene Männer zu dem Priester sprachen: »Schweige und halte das Maul« (Richter 18, 19). Geizig ist, wer Korn aufbewahrt, bis die Teuerung kommt, wer den Handel allein an sich bringt zum Schaden seines Mitmenschen, wer als ein reicher Mann sich eine Weile schädigt, bis er den andern neben sich ruiniert und ausgemergelt oder sonst irgendwie die Sache an sich gebracht hat. Geiz verrät auch dies, wenn man mit oft wiederholten Worten für ein Geschenk dankt, damit die Leute Wunders meinen, wie dies alles für uns eine so große Ehre sei und ein andermal wieder etwas bringen. Geiz zeigt sich auch da, wo man seinen Mammon öfters betrachtet, seine Augen daran weidet, das Geld mit Lust zählt, auch wenn es einem nicht einmal gehört. Geiz ist es, wenn man oft des Nachts aufsteht, nachprüft und zwei- oder dreimal mit dem Finger immer wieder untersucht, ob das Schloß auch recht eingeschlagen habe, wiewohl man Türen und Kästen wohl verschlossen hat. Furcht, ängstliches Mißtrauen und bange Einbildungen erwachsen auch aus dem Geiz. Es ist meistens auch ein Merkmal, daß sich der Geiz cingenistet hat, wenn man immer sorgt, es werde uns noch fehlen und ausgehen, ehe man sterbe, wenn häufig der Gegenstand der Unterhaltung ist, wie jetzt so geldarme Zeiten seien, wie sich nichts mehr gewinnen lasse, wie es vordem so gut wirtschaften war. Auch das ist Geiz, wenn man meist nur von seinen großen Ausgaben spricht und darauf hinweist, wie die Einnahmen so gering werden und so schwer eingehen, wie man, wenn es nicht anders komme, seinen Haushalt auf die Dauer nimmer bestreiten könne. Ja, auch das ist Geiz, wenn ich beim Handel mit meinem Mitmenschen, bei Teilungen so genau das Meine suche und mir nicht lieber unrecht geschehen lasse, wenn ich nicht den Schein vermeide, daß ich meinen Vorteil suche, und lieber rechte und balge oder die Freundschaft abbreche. Endlich mag auch dies ein beachtliches Zeichen eines vom Geiz gefesselten Gemütes sein, wenn sich jemand über diese ausführliche Beschreibung des Geizes ärgert. Als Christus eine Predigt gegen den Geiz gehalten hat, heißt es: »Das alles hörten die Pharisäer. Die waren geldgierig und spotteten sein« (Luk. 16, 14). Nun hätte ich dies auch befürchten können; dennoch wollte ich auf diese Weise davon reden, damit der eine oder andere die rechte Gestalt dieses Lasters erkennen und über solche Kennzeichen noch weiter nachdenken möchte. Durch diese Früchte muß ich einmal auf die verborgene Wurzel und durch diese Bemerkungen einmal zur Erkenntnis meines betrüglichen Herzens kommen. Wohlan denn, meine Zuhörer, wenn ihr nur einige von diesen genannten Kennzeichen an euch merkt, wenn ihr findet, daß sie euch beherrschen und keinem Kampf und Widerstand begegnen, wenn ihr euch plötzlich in dem einen oder andern Stück getroffen fühlt, dann glaubt um der Wahrheit Gottes willen, daß ihr unter die Geizigen gehört, wenn ihr es auch eurer Lebtage nicht gedacht haben möget! Laßt euch aber, bitte, durch das Wort Gottes überzeugen, das ein Richter der Gedanken und der geheimen Sinne des Herzen ist! Ach, ihr Lieben, schämt euch doch nicht, es vor Gott zu bezeugen; denn man mutet euch solches Bekenntnis nicht vor Menschen zu! Klagt euer geiziges und irdisch gesinntes Herz vor ihm an und laßt euch umso williger durch Jesus Christus aus dieser Verderbnis zur Verleugnung führen! Wenn nun auch der grobe Geiz nicht mehr über euch herrscht, weil ihr bekehrt seid, so müßt ihr doch darüber erschrecken, daß in euch eine Wurzel liegt, die je und je mancherlei böse Sprößlein treibt. Man kann nicht genug Augen haben, darauf zu merken, und nicht genug Hände, sie mit dem scharfen Messer der Verleugnung abzuschneiden. Nun entziehe sich jetzt niemand dieser Heimsuchung Gottes mit vergeblichen Worten. Der Arme denke nicht, daß nur der Reiche allein geizig sei. Nein, es gibt doch, wenn auch selten, einen Reichen, der nicht geizig ist; dagegen gibt es viele hundert Arme, die bis über die Ohren im Geiz stecken. Der Geldbesitz macht an sich nicht geizig; aber Geld begehren, wie dies die Armen tun, das ist Geiz. Es sage niemand, er sei nicht geizig, er wolle gern zufrieden sein, wenn nur seine Schulden bezahlt oder dies und jenes beglichen wäre. Hast du keinen besseren Grund als diesen, dann will ich dir prophezeien: Wenn deine Schulden bezahlt sein werden, dann willst du dich besser kleiden, dann willst du besser speisen, wohnen, einiges an Gütern kaufen, deine Kinder voranbringen und endlich noch einen Vorrat oder, um in deiner Sprache zu reden, einen Notpfennig sammeln; aber ehe du damit fertig bist, wirst du sterben müssen. Sage auch nicht: Ich bin nicht geizig; denn ich gebrauche keine außergewöhnlichen Mittel! Was ich habe, das erwerbe ich redlich und lasse auch gern einem andern das Seine. Wo die Liebe zur Welt, die Liebe zu Geld und Gut und die Begierde regiert, immer mehr zu sammeln, da ist der Geiz, wenngleich ich niemand Unrecht tue. Das unzufriedene Herz schafft allein den Geiz und nicht die ungerechten Mittel. Es spreche auch niemand: Ich bin nicht geizig; denn ich lasse mir Essen und Trinken wohl schmecken, bin zufrieden und verlange nichts weiter, als was ich habe. Dahinter kann auch noch der Geiz und die Liebe zum Geld stecken. Vielleicht hast du es noch nicht weiter gebracht als jener reiche Kornbauer (Luk. 12). Solange du noch nicht reich bist in Gott, solange bist du noch geizig. Merke den Unterschied wohl! Ein reicher, gottloser Esau kann aus Hochmut und Prahlerei sagen: »Ich habe genug«; aber nur allein ein frommer Jakob kann erwidern: »Und ich habe alles genug« (1. Mose 33, 9. 11). Segne dich auch nicht, als wärest du nicht geizig, weil du alles dem Segen Gottes zuschreibst und ihm dafür dankst! Obschon dies an sich gut ist, so kannst du doch dabei noch so geizig sein wie jener geizige Pharisäer, der Gott auch dankte (Luk. 18, 11). So ist es auch mit dem Almosen. Die Pharisäer waren ehrgeizig und gaben doch viele und reiche Almosen. Stelle dich auch nicht damit aus der Reihe, daß du sagst, du seiest nicht geizig, sondern haltest nur das Deine zusammen, es seien schwere Zeiten, die einen aufmerken lehren, Vorteil sei nicht verboten, und wer die Augen nicht aufmache, der müsse den Beutel auftun! Dieses Mäntelchen ist wohl schön, wenn kein Herz darunter steckt, das das Geld liebhat und darum geizig ist. Wir reden jetzt ernstlich miteinander; denn es geht um die wichtige Tatsache, ob du geizig, das ist ein Götzendiener, seist oder nicht. Was dünkt dich von der Rede Hiobs, in der er sein Gewissen bis aufs kleinste Stäublein ausstäubt und unter anderem spricht: »Hab ich mich gefreut, daß ich großes Gut hatte und meine Hand allerlei erworben hatte? . . . Damit hätte ich verleugnet Gott in der Höhe« (Hiob 31, 25. 28). Wie sollten diese Worte uns zu Spießen und Nägeln werden, geliebte Zuhörer! Du weißt ja, daß Hiob ein sehr reicher Mann war; aber er hat sich über solch großem Gut niemals gefreut. Was dünkt dich? Hast du dich niemals über dein großes Gut gefreut? O wie hüpft dein Herz, wenn du nur Hoffnung hast, etwas zu gewinnen! Hiob hat sich nie gefreut, daß er allerlei Gut erworben hatte; denn wenn er sich dessen gefreut hätte, dann hätte er damit Gott in der Höhe verleugnet. Wer unter uns denkt daran? Wer hält es für eine Verleugnung Gottes, wenn er sich über das Erworbene freut? Wie freut man sich jeden Gewinnes; wie verleugnet man aber auch damit Gott in der Höhe! Behüte Gott, sprichst du, auf diese Weise ist jedermann geizig und mithin ein Götzendiener, und es wird kein Mensch selig. Antwort: Es ist gewiß, daß der Geizigen mehr ist, als ich zu sagen vermag und du glauben kannst. Unterdessen sei ein jeder seiner Sache gewiß. Schaue nicht auf andere, sondern lerne die Beschaffenheit der Sache aus Gottes Wort, das dich am Jüngsten Tag richten wird! So halte nun die Sache für höchst wichtig, um über sie unter der Furcht des Herrn ernstlich nachzudenken! Geiz ist Abgötterei, die dem Menschen keinen Anteil am Reich Gottes gewährt (Kol. 3, 5). Besteht nun jemand unter seiner scharfen Prüfung und hat er die Versicherung und Freudigkeit vor dem allwissenden Gott, daß er zwar die Tücke und Versuchung seines zum Geiz geneigten Herzens wohl spüre, aber mit Ernst dagegen kämpfe und sich vor den feinen Stricken des Argen sorgfältig bewahre, daß die Liebe zur Welt und zum Zeitlichen in ihm gebrochen sei, ja daß er die ganze Welt nicht nehmen wollte, wenn er sie gewinnen würde und doch Schaden an seiner Seele nehmen müßte, besteht nun einer, sage ich, bei dieser scharfen Durchforschung seines Wandels, wie muß ihn dies erfreuen und trösten! Wie wird er Gottes Gnade preisen, die ihn hier errettet hat, wo so viele gleichsam an goldenen und silbernen Stricken in die Verdammnis und in das Verderben hinabgesenkt werden (1. Tim. 6, 9)! Und so wird mich nicht weder das fleißige Nachdenken noch das mühevolle Nachforschen jemals gereuen. Der Herr sei unser Teil und unsres Herzens Schatz ewiglich und schenke uns diese Frucht. Amen. Immanuel Gottlob Brastberger IMMANUEL GOTTLOB BRASTBERGER 1716 — 1764 Wer ist unter uns, der sich heute bei meinem ersten Aufruf sein Herz abbetteln läßt? Sind es etwa einige unter den Großen und Vornehmen, unter den Geringen und Armen, unter den Alten und Jungen? Darf ich es heute meinem Gott und Heiland noch sagen, es sei mir gelungen, etliche Herzen für ihn zu erbitten? Darf ich mich darüber freuen, daß ich die Ehre habe, eine so angenehme Beute, ein so kostbares Geschenk von etlichen Herzen meinem Herrn Jesus zu überreichen? O was sollte mir das ein liebliches Angeld für die Zukunft sein! Aus Brastbergers Antrittspredigt in Nürtingen (1756) Immanuel Gottlob Brastberger, der vor zweihundert Jahren am 13. Juli 1764 in Nürtingen gestorben ist, gehört zu den würt-tembergischen Vätern, die durch ihre Predigt- und Andachtsbücher das geistliche Leben des Schwabenvolkes tiefgehend beeinflußt und in biblizistische Bahnen gelenkt haben. Bei ihnen fanden die Gläubigen, was sie besonders im Zeitalter des Ver-nunftglaubens oft vergeblich in der Kirche suchten: das in biblischer und leicht verständlicher Sprache dargebotene Zeugnis vom vollen Heil in dem gekreuzigten und auferstandenen Heiland Jesus Christus. Diese Prediger begnügten sich nicht mit Halbheiten; sie drängten mit ganzem Ernst auf Entscheidung und Bekehrung. Man spürte es ihrer Verkündigung an, daß sie Menschen für Jesus gewinnen wollten. Brastberger hat dies einmal bei der Investitur eines Pfarrers mit folgenden Worten zum Ausdruck gebracht: »Ein Prediger muß alle Gelegenheit auskaufen, wo er den Seelen beikommen kann, öffentlich und besonders in der Kirche, bei der Anmeldung (zum Abendmahl) oder zu Hause oder auf dem Felde, in gesunden und kranken Tagen. Er muß recht darauf studieren, wie er es doch machen wolle, daß er diesen oder jenen, einen nach dem andern anfasse, überzeuge, gewinne, herumhole und zur Bekehrung bringe.« Viel zu wenig bekannt ist noch, daß diese bescheidenen schwäbischen Pfarrer in ihrer Art Vorläufer der großen Evangelisationsbewegung gewesen sind, die im 19. Jahrhundert durch Elias Schrenk eingeleitet wurde. Es ist schade, daß Brastberger in keinem theologischen Lexikon der neueren Zeit erwähnt wird; umso beachtlicher bleibt die Tatsache, daß gerade ihm A. Ritschl in seiner »Geschichte des Pietismus« eine eingehende Untersuchung hat zuteil werden lassen.1 1 Albredit Ritschl: Geschichte des Pietismus, 1886, III. Band, Seite 86—100 Brastberger wurde am 10. April 1716 in Sulz am Neckar als Sohn eines Dekans geboren. In Heidenheim an der Brenz, wohin der Vater wenige Jahre später versetzt worden war, besuchte der Knabe die Schulen, um sich für das Studium der Theologie vorzubereiten. Über seine Jugendzeit ist nichts bekannt. Es scheint aber, daß er in einem gläubigen Elternhaus aufgewachsen ist; denn er berichtet in seiner kleinen Selbstbiographie2, daß ihn der Vater am Tage der Konfirmation mit sich auf sein Zimmer genommen und mit ihm auf den Knien gebetet habe. Im Jahr 1733 muß er den Tod des Vaters beklagen. Um diese Zeit wird er mit dem Studium der Theologie begonnen haben, das er 1737 mit der Prüfung vor dem Konsistorium in Stuttgart abschloß. Im Rückblick auf seine Studienjahre klagt er sich später an, daß er oft sehr leichtsinnig gewesen sei und dem Zug der Gnade widerstrebt habe. Als Vikar in Stuttgart erkrankte er an einem Leiden, das ihn zeitlebens nicht mehr verlassen und zu seinem frühen Tod im Alter von 48 Jahren geführt hat. Es handelt sich nach seinen Schilderungen um ein Hüftleiden, das sich von Jahr zu Jahr verschlimmerte. Im Jahr 1738 wurde er, der eben zweiundzwanzig Jahre alt geworden war, zum Militär- und Garnisonspfarrer in Ludwigsburg ernannt. Er trat sein neues Amt an, ohne seines Glaubens gewiß zu sein. Über das erste Jahr seiner Tätigkeit urteilt er: »Obwohl ich das Zeugnis eines eifrigen und vorbildlichen Predigers hatte, war ich doch eben im Grund genommen ein unbe-kehrter, blinder Mensch, ein Gesetzeseiferer und Pharisäer, der das Leben von den Toten forderte und andern Lasten auflegte, die er selber nicht anrühren wollte. Ich kannte bei allem Guten, das ich hatte und tat, Jesus nicht, blieb ein Sklave meiner innerlich herrschenden Sünden, suchte bei aller Bemühung in meinem Amt nur meine eigene Ehre und wollte besonders an der Schmach des Kreuzes J esu keine Gemeinschaft haben und keinen Anteil nehmen.« 2 In den »Basler Sammlungen«, 1802, Seite 110 ff., und im »Christenboten«, 1835, Nr. 15 In den beiden folgenden Jahren erkrankte er aufs neue und mußte gleichzeitig schwere innere Kämpfe durchleiden, die ihren Höhepunkt in der zweiten Krankheitszeit erreichten. Er berichtet darüber: »Da wurden alle Winkel meines Gewissens von dem Licht der göttlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit durchstrahlt. Alle meine Sünden wachten auf und fielen als zentnerschwere Steine auf mein beklemmtes Herz. O wie lernte ich da als ein fluch- und todeswürdiger Sünder nach Gnade, nur nach einem Tröpflein Gnade seufzen! Da fühlte ich den Zorn des Allmächtigen, und seine Hand lag Tag und Nacht schwer auf mir, daß mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird. Da brach mir der Mund auf, daß ich anfing, meine Missetaten vor Gott und Menschen zu bekennen und meinte, wenn ich nur auf den freien Markt hinstehen und jedermann sagen könnte, was für eine schnöde und befleckte Kreatur ich sei.« Während seiner Stuttgarter Zeit hatte er ähnliche Kämpfe durchgemacht. Damals war er mit dem Pietismus bekannt geworden und hatte sich vor allem mit den Schriften von Johann Jakob Rambach3 beschäftigt. Diesmal war es ein Vertreter des schwäbischen Pietismus, der Waisenhauspfarrer Beckh4, dem er es verdankte, daß er aus den schweren Seelenkämpfen herausfand und zur Gewißheit des Heils gelangte. Er schließt seinen Bericht mit den Worten: »Ich ward von der Zeit an in eine wahrhafte Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe aufgenommen, wofür dem Herrn in alle Ewigkeit Lob, Preis und Dank gebracht werden soll«. Nach seiner Genesung bekannte er freimütig vor seiner Gemeinde, was er auf seinem Krankenlager erlebt hatte. Den vollen Frieden des Her- 3 Johann Jakob Rambach (1693—1735) war zuletzt Professor der Theologie in Gießen. Von Rambachs Schriften sind zu nennen: »Betrachtungen über das ganze Leiden Christi«, »Sieben Betrachtungen über die letzten Worte des für uns leidenden Heilandes«, »Die eherne Schlange« und »Wohlunterrichteter Katechet«. Rambach ist auch als Verfasser verschiedener Kirchenlieder bekannt geworden (»Großer Mittler, der zur Rechten . . »Der Herr ist gut, in dessen Dienst wir stehn«, »König, dem kein König gleichet«, »Wie herrlich ist's, ein Schäflein Christi werden« u. a.) 4 Matthäus Friedrich Beckh (1708—1780). Er war seit 1736 beinahe 44 Jahre lang als Prediger am Zucht- und Waisenhaus in Ludwigsburg tätig. zens erlangte er im Lauf der Zeit. In seiner Selbstbiographie schreibt er: »Ich lernte, mich an das Wort Gottes halten und als ein armer Sünder in Jesu Blut Gerechtigkeit und Frieden suchen und finden. Der treue Heiland schenkte mir oft sowohl unter dem Gebet als unter der Verkündigung seines Evangeliums einen empfindlichen Genuß seiner Gnade und Liebe. Ich hatte an der Veränderung, die mit mir vorgegangen, und in dem vielfachen Segen meines Amtes Merkmale, daß das Herz Gottes durch Christus gegen mich armen Sünder geneigt sei; ich konnte Jesus den Seelen mit Freuden anpreisen und sie von der Schönheit, Seligkeit und Vortrefflichkeit des Christentums versichern. Ich wußte, daß ich aus dem Tod ins Leben gekommen war; denn ich liebte die Brüder, und es bedrückte mich oft, daß ich besonders armen Gliedern Jesu Christi nicht soviel Gutes tun konnte, als ich gern wollte«. In Obereßlingen, wohin er 1745 versetzt wurde, fand er eine offene Tür für seine Verkündigung5; es fehlte allerdings auch nicht an Enttäuschungen. Nach vierjähriger Tätigkeit erkrankte er wieder längere Zeit. Damals glaubte er, daß sein Ende herbeigekommen sei: »Da es dem Herrn gefallen, mich zu Anfang des gegenwärtigen Jahres auf ein neues Krankenlager niederzulegen, ist es auf demselben abermals durch viele schmerzliche Kämpfe durchgegangen, indem ich dermaßen rein ausgezogen und von aller eignen Gerechtigkeit und Würdigkeit entblößt worden bin, daß ich oft ausrufen mußte: Des Todes Bande erschrecken mich, ach Herr, errette meine Seele. Diese Not bin ich nicht imstande, mit Worten auszudrücken«. Durch Gottes Güte durfte er sich wieder von seiner Krankheit erholen. Er war allerdings gesundheitlich so angegriffen, daß er sich einige Jahre lang durch Vikare im Amt vertreten lassen mußte. 5 Wie sehr er als Prediger geschätzt war, zeigt eine kleine Bemerkung in Ph. M. Hahns Selbstbiographie. Er schreibt: »Ich wußte von gar keinen frommen Leuten, außer daß ich einmal von Pfarrer Reinöl in Nellingen von Pietisten gehört, die aus seiner Gemeinde nach Obereßlingen zu einem gewissen Pfarrer Brastberger liefen, welches er meinem Vater erzählte.« Noch einmal sollte er im Jahr 1756 seinen Stab weitersetzen. Es erreichte ihn ein Ruf als Pfarrer und Dekan nach Nürtingen, dem er im Gehorsam des Glaubens folgte. In welchem Geist er sein neues Amt zu führen gedachte, zeigt seine Antrittspredigt, die in den vorliegenden Band aufgenommen worden ist. Das geistliche Leben in der Gemeinde suchte er durch die Einrichtung kleiner Gemeinschaftskreise zu fördern. Im Jahr 1758 gab er sein Predigtbuch »Evangelische Zeugnisse der Wahrheit« heraus, das bis weit in das 19. Jahrhundert hinein viele Auflagen erlebt hat8. Sein Buch ist Bekenntnis und Zeugnis zugleich. Er schreibt als lutherischer Christ, der weiß: »Nicht alle haben den Glauben Luthers, die sich Lutheraner nennen; nicht alle sind evangelisch, die das Evangelium bekennen. Sollte der teure Gottesmann Luther wieder aufstehen und in die Welt kommen, er würde vielleicht vielen, die sich nach seinem Namen nennen, ins Gesicht speien, weil sie nichts weniger haben als seinen Glauben.« Die Predigtnot seiner Zeit ist ihm nicht verborgen. Es ist ihm »bis auf den heutigen Tag ein unbeschreiblicher Ekel«, wenn er Prediger hört, die »in ihrem Vortrag das wichtige Stück der Bekehrung und Wiedergeburt als eine schon lang ausgemachte Sache voraussetzen und ihre Zuhörer als lauter heilige, auserwählte und geliebte Kinder Gottes entweder wirklich ansehen oder doch nichts anderes erkennen lassen, wiewohl bei dem größten Teil derselben kein Schatten des wahren Christentums zu finden ist«. Es geht ihm in seinen Predigten um die Erweckung der Zuhörer, die zu einem »wahren, tätigen und Gott wohlgefälligen Christentum« angeleitet werden sollen. Dies sieht er als seine Aufgabe an, der er sich nicht entziehen darf; denn »wen der Herr nach seinem Stand und Beruf als einen Zeugen der Wahrheit bestellt hat, der darf nicht schweigen. Er muß das Wort der Wahrheit reden. Er muß damit anhalten, es sei zu rechter Zeit oder zur Unzeit, es gefalle den Leuten oder es gefalle ihnen nicht«. * Die dem Herausgeber vorliegende Ausgabe der »Evangelischen Zeugnisse« von 1878 erschien als Stercotyp-Ausgabe in Reutlingen. Eine von W. Baur besorgte Ausgabe bezeichnet sich als 85. Auflage. Den »Zeugnissen der Wahrheit« folgte im Jahr 1760 ein weiterer Predigtband »Die Ordnung des Heils oder die Buße zu Gott«. In der Vorrede verwahrt er sich dagegen, daß ihn bei der Herausgabe des Predigtbandes irgendwelche geldliche Gewinnsucht leite. »Die Dinge aber, die ich suche, sind freilich höhere und unschätzbare. Die Seelen der Menschen sind's, die den Sohn Gottes sein teures Blut gekostet haben; der Segen ist's, der in Ewigkeit auf die wartet, die viele von ihnen gewonnen haben.« So läßt er auch hier noch einmal den evangelistischen Grundzug seiner Verkündigung erkennen. Im Jahr 1762 erfolgte der völlige Zusammenbruch seiner Kräfte. Die Füße versagten den Dienst. Die letzten zwei Jahre seines Lebens war er ans Bett gefesselt. Wie sehr ihn der Zustand der Kirche und der Gemeinde bewegte, zeigt ein unveröffentlichter Brief an Ph. Dav. Burk7, der vermutlich aus seiner letzten Krankheitszeit stammt. In ihm heißt es: »Auf die bevorstehenden Feiertage wolle Sie der Herr ausrüsten mit einem reichen Maß des Geistes und der Kraft, damit das Evangelium von dem in Christusjesus erschienenen Heil auch durch Ihren Mund in Gottes Kraft erschallen möge. >Wer ein Lehrer ist<, schreibt der selige Rieger in seiner gestrigen Adventspredigt, >der mache doch, daß er etliche Seelen Christus zuführe, wenn er gleich darüber von der Welt als ein Räuber, Verführer und Entführer ausgeschrieen werden sollten Würde es mir so gut, durch Gottes Gnade noch einmal auf die Füße zu kommen, so wollte ich dieses selige, vor der Welt verschrieene Handwerk wieder anfangen, wo ich es gelassen habe. Doch bin ich auch auf meinem Krankenbett nicht gar müßig, sondern tue, was mir der Herr zu tun Gelegenheit verschafft. Ich habe schon oft bedauert, daß es unsern jüngeren Brüdern so gar sehr mangelt an einem rechten Hunger nach Seelen, da sie nach ihren Grundsätzen meinen, sie werden ihnen von 7 Philipp David Burk (1714—1770) starb als Dekan in Kirchheim unter Teck. Burk gab 1753 einen Gnomon zu den zwölf kleinen Propheten heraus. Er ist besonders durch sein Buch »Rechtfertigung und Versicherung« bekannt geworden. selbst in die Arme geflogen kommen. Das ist nicht wahr. Der Herr erbarme sich über seine Kirche! Doch genug!« Die lange Krankheitszeit benützte Brastberger, um einen letzten Predigtband zu schreiben. Er erschien ein Jahr nach seinem Tod unter dem Titel »Betrachtungen über die Heilsgüter des Neuen Bundes«. In der Vorrede läßt er uns einen Blick tun in die Gedanken, die ihn in jenen Tagen bewegten: »Es gefiel dem Herrn, mich von meinem Posten beiseite zu stellen und auf ein beschwerliches und schmerzensreiches Krankenlager hinzulegen, durch dessen empfindliche Umstände ich nun schon zwei Jahre lang zu aller öffentlichen Arbeit untüchtig gemacht worden bin. Dabei kann ich es dennoch dem Herrn meinem Gott nicht genug danken, daß er mir unter allen fast unbeschreiblichen Schmerzen den ungehinderten Gebrauch meines Kopfes und Verstandes so frei von Krankheit gelassen hat, daß ich zum Meditieren, Nachdenken und Schreiben fast mehr als in gesunden Tagen aufgelegt gewesen bin und die Durchsicht und Drucklegung dieser Predigten ohne Hindernis habe besorgen können. Der Herr Jesus, dessen blutigen Verdiensten wir all das Gute, das wir in Zeit und Ewigkeit genießen, schuldig sind, lasse sich auch diese einfältige Bemühung in Gnaden gefallen und lege darauf einen bleibenden Segen für alle, die diese Blätter lesen werden«. Brastberger schrieb diese Zeilen am 24. April 1764. Wenige Monate später, am 13. Juli 1764, ist er zur Ruhe des Volkes Gottes eingegangen. 1733 1733'34 1737 1738 1739 1740 1745 1749 1756 1758 1760 1761 1762 I764 Immanuel Gottlob Brastberger am 10. April in Sulz am Neckar geboren Versetzung des Vaters nach Heidenheim a. d. Brenz, Besuch der Schulen Tod des Vaters Beginn des Studiums der Theologie in Tübingen Abschluß der Studien, Vikariat in Stuttgart, ernstliche Erkrankung Ernennung zum Garnisonsprediger in Ludwigsburg am 13. Januar Heirat mit Maria Elisabeth geb. Conz aus Stuttgart, neue schwere Erkrankung im August Rückfall in das alte Leiden, schwere seelische Kämpfe, Bekehrung zu Christus Ernennung zum Pfarrer von Obereßlingen aufs neue erkrankt, Niederschrift einer kleinen Selbstbiographie am 12. Oktober Ernennung zum Pfarrer und Dekan in Nürtingen »Evangelische Zeugnisse der Wahrheit« »Ordnung des Heils« »Worte des Heils, in vierzig Predigten der Gemeinde Gottes bei verschiedenen Gelegenheiten vorgetragen« letztes Krankenlager, Niederschrift der Predigtsammlung »Betrachtungen über die Heilsgüter des Neuen Bundes« (erschienen 1765) Brastberger stirbt am 13. Juli Das VJort Gottes1 Wie bei der ersten Schöpfung das allmächtige Wort des Vaters das Mittel war, durch das alle sichtbaren und unsichtbaren Kreaturen hervorgebracht wurden, so ist auch das Wort des geoffen-barten Willens Gottes das gesegnete Mittel, durch das die natürliche Dunkelheit und Verwirrung in der Seele vertrieben, das helle Licht der göttlichen Weisheit in ihr angezündet und alles wieder in Ordnung gebracht wird. Es ist der lebendige Samen, der, wenn er in das Herz des Menschen hineingeworfen und durch den Geist Gottes lebendig gemacht wird, den ganzen neuen Menschen mit seinen Früchten hervorbringt, wie aus einem Samenkörnlein ein Baum mit all seinen Ästen, Blättern und Früchten hervorwächst. Es ist hauptsächlich das Wort des Evangeliums, das diese Kraft an den Herzen der Menschen beweist. Das Gesetz kann unmöglich das geistliche Leben geben; es ist kein Gesetz gegeben, das da lebendig machen könnte. Es hält uns zwar vor, was wir tun und lassen sollen; es bereitet ein wenig auf die neue Geburt vor, indem es uns die göttliche Herrlichkeit und Gerechtigkeit offenbart, uns unsre Unarten und den geistlichen Tod aufdeckt, den wir aus der alten Geburt ererbt haben, und also die Notwendigkeit einer neuen Geburt zeigt. Die neue Geburt selber wird aber nicht durch das Gesetz zustandegebracht, sondern sie wird durch das Evangelium gewirkt. Dieses ist Geist und Leben; es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben. Es ist die lautere Milch, die die neugeborenen 1 Die folgenden Auszüge sind dem Predigtband »Evangelische Zeugnisse zur Aufmunterung im wahren Christentum« (Ausgabe von 1878) entnommen. Kindlein in ihrem schwachen Leben stärkt und erhält. Es ist das lindernde Öl, das die Schmerzen der aufgerissenen Gewissenswunden heilt. Darum schreibt Paulus: »Ich habe euch gezeugt in Jesus Christus durch das Evangelium« (1. Kor. 4, 15). An die Unbußfertigen Ein wahrer Christ hat keine Ursache, unruhig und ängstlich zu sein. Warum? Er glaubt ja an Gott und Jesus; er weiß, daß in des Vaters Haus viele Wohnungen sind. Er ist versichert, daß ihm der Herr Jesus in des Vaters Haus auch ein Plätzlein bereitet hat; die Versicherung hat er aus dem Mund Jesu: »Ich will wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf daß ihr seid, wo ich bin.« Er hört, daß der Weg dorthin Jesus selber sei. Wer ihn hat, der hat des Vaters eignes Herz und darf sich zu ihm alles Guten versehen. O wie selig sind die Seelen, die diese Versicherung haben! Aber was soll ich den andern sagen, die sich durch ihre beharrliche Unbußfertigkeit von all diesen Seligkeiten selber ausschließen? Ihr könnt zwar alle dies auch haben; aber ihr wollt es nicht, nehmt es nicht an und seid gleich den Kindern, die den ersten Brei wieder ausspeien. Ihr tretet nicht ein in die Ordnung der Bekehrung, in der man allein dieser hohen Güter teilhaftig werden kann. Ach, daher seid ihr ja zu bedauern! Ihr möchtet gern den Elimmel haben und wollt doch die Welt und ihre elenden Torheiten nicht fahren lassen. So setzt ihr euch aber zwischen zwei Stühle nieder; ihr kriegt hier nicht viel und dort gar nichts. Ach, darum sollte ja euer Herz erschrecken und unruhig werden; denn ihr glaubt nicht an Gott und nicht an Jesus. In dem Himmel sind zwar viele Wohnungen, aber die Hölle ist noch groß genug. Da ist ein Feuer, das euch bereitet ist und in das euch der Richter hinabstoßen wird. Der Weg dazu ist euer Leichtsinn, eure Trägheit und Herzenshärte. Da liegt ihr unter dem Zorn des Allmächtigen und habt nur zu erwarten ein Weh nach dem andern. O ihr Armen! Warum wollt ihr so elend bleiben? Besinnt euch lieber eines Besseren! Tut Buße und lernt das Evangelium glauben! Nehmt das an, was euch von der ewigen Liebe bestimmt ist, dann wird eurer Seele noch geholfen, und ihr werdet des Friedens Gottes teilhaftig werden können, der höher ist als alle Vernunft und die Herzen und Sinne der Gläubigen in Christus Jesus bewahrt zum ewigen Leben. Bußgebet Herr, unser Gott, wir bitten dich, du wollest uns unsre Sünden noch in diesem Leben vor Augen stellen, damit sie uns nicht erst an jenem Tage vor Augen gestellt und wir vor Engeln und Menschen zuschanden gemacht werden. Unser Verderben ist so groß, unsere Natur so vergiftet und unserer Sünden so unzählig viel, daß wir den tausendsten Teil davon nicht einmal zu erkennen vermögen. Wolltest du sie uns auf einmal aufdecken und als ein geharnischtes Kriegsheer vor Augen stellen, so müßten wir verzagen; denn wir würden es unmöglich ertragen. Ach, handle auch darin nach deiner großen Barmherzigkeit und führe uns durch dein heilsames Gnadengericht hindurch. Stelle uns eins nach dem andern vor Augen und decke uns auch unsere verborgenen Fehler auf. Laß uns einen Blick tun in den Abgrund unseres Verderbens; aber zeige uns auch zugleich die unergründliche Tiefe deiner Gnade, durch die wir Vergebung aller dieser großen und unzähligen Sünden erlangen können. Wenn wir unser Elend sehen, so laß uns ja nicht stille stehen, bis daß ein jedes sagen kann: Gott Lob, auch mich nimmt Jesus an! Die Eigenliebe Sie ist dem Menschen angeboren und vom Satan als ein schändliches Gift ins Herz gespien worden. Sie blendet dem Menschen die Augen, so daß er den inneren Zustand seiner Seele nicht nach seiner wahren Beschaffenheit schätzen und beurteilen kann. Daher kommt es, daß er immer das Beste von sich hofft, allerlei gute Gedanken von sich selber hegt und sogleich mit einer großen Elle abzumessen pflegt, wo er nur ein wenig Gutes an sich findet. Wenn dann noch das günstige Urteil anderer Menschen dazukommt, die ihn noch höher halten, als er in der Tat ist, dann wird er auf solch stolze Höhen gestellt, daß er darüber an seinem ewigen Heil unaussprechlichen Schaden erleiden kann. Gegen die Gefahr einer solch höchst schädlichen Selbsterhöhung sollte uns der Spruch bewahren: Ein jeder wird nur soviel taugen, als er gilt in Gottes Augen! Wir haben es in unsrem Christentum nicht mit Menschen, sondern mit dem lebendigen Gott zu tun. Seine Augen sehen viel weiter als aller Menschen Augen. Er hat in seiner Hand eine Waage, auf der er die Geister wiegt; denn er heißt der Gott der Geister alles Fleisches. Was hilft es, wenn ich in meinen Augen etwas tauge, und vor Gottes Augen tauge ich nichts? Was wird es mir nützen, wenn mich alle Menschen hinaufsetzen, und der Herr setzt mich herab? Was für einen Vorteil werde ich davon haben, wenn ich mir immer schmeichle: deine Sachen stehen gut, dein Herz ist gut, dein Christentum ist gut, deine Werke sind gut, du bist in deinem Leben noch lange nicht so gottlos wie viele tausend andere, und ich werde einmal bei meinem Abschied aus der Welt die Hand des Herrn sehen müssen, wie sie für mich an die Wand hinschreibt: »Man hat dich gewogen und zu leicht befunden!« Wie unersetzlich wird da der Schaden meines Selbstbetruges sein! Darum sollte sich doch ein jeder erwecken lassen, seinen ganzen Herzenszustand augenblicklich vor dem Herrn auszubreiten und mit David zu seufzen: »Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich und erfahre, wie ich's meine. Und siehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite du mich auf dem Weg der Ewigkeit«. Liebe Leute, nehmt doch diese wichtige Sache nicht so auf die leichte Achsel! Laßt es euch darum zu tun sein, daß ihr vor Gottes Augen etwas taugen und nicht nur von Menschen für etwas angesehen werden möchtet. Gebet: Großer Gott, schenke Gnade zur Erkenntnis unsrer selbst. Wir sind so ungeschickt, uns selber zu prüfen, weil uns die Eigenliebe immer blenden will. Wir sind geneigt, uns mit dem Guten zu behelfen, das wir in eigner Kraft und in scheinbaren Werken auftreiben können. Die Heuchelei steckt in unser aller Herzen verborgen. Wie oft haben wir schon unter unserem Singen und Beten und bei allen gottesdienstlichen Handlungen vor dir die Unwahrheit gehegt und dabei geheuchelt! Das kann vor deinen Augen unmöglich taugen. Vergib uns diese Sünde. Reinige unsre Seele von aller Schalkheit und unsern Geist von allem falschen Wesen. Schenke uns Wahrheit, Lauterkeit und Einfalt in all unserem Tun, damit wir dir gefallen können in Jesus Christus, deinem lieben Sohn. Amen. Das Wort von der Sündenvergebung O liebe Seelen, was ist es doch um einen wahren Christen, um einen Menschen, der Vergebung der Sünden hat! Er kann getrost und guten Mutes sein, auch wenn er sonst nichts hat. Wenn er bettelarm ist und auf dem ganzen Erdboden keinen Fußbreit Eigentum aufzuweisen hat, darf er doch getrost sein; denn er hat Vergebung der Sünden. Wenn er im tiefsten Staub der Verachtung sitzt und kein Mensch nach ihm umsieht und jedermann gleichsam über ihn hinwegsteigt, besitzt er doch die größte Ehre; denn er ist ein Kind Gottes und hat Vergebung der Sünden. Wenn er sich mit einem elenden und kränklichen Körper herumschleppen muß und dem Leiblichen nach wenig gute Stunden hat, darf er doch getrost sein; denn er hat etwas Besseres, nämlich Vergebung der Sünden. Er hat's aus dem Munde Jesu, aus dem Evangelium gehört: »Sei getrost, mein Sohn, meine Tochter, deine Sünden sind dir vergeben!« Das ist ein wahrhaftiger Trost, ein himmlischer Trost, ein ewig bleibender Trost. Wenn alles schwindet, wenn der Abgrund der Hölle und des Todes stürmt, so bleibt dieses Wort: »Dir sind deine Sünden vergeben!« Obgleich man sich's nicht immer so mit Freuden aneignen kann, so bleibt's doch; denn es ist ein Wort des Herrn Jesus. Er hat's gesagt: »Dir sind deine Sünden vergeben!« Er ist aber der Mann, der Macht hat, auf Erden Sünden zu vergeben. Obgleich noch hie und da sich täglich manche Fehltritte ereignen, so hebt er doch den Trost nicht auf; denn Johannes sagt: »Meine Kindlein, solches schreibe ich euch, daß ihr nicht sündigt. Und ob jemand sündigt (wenn wir von der Sünde übereilt worden sind), so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist. Und derselbe ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt« (1. Joh. 2, 1—2). So ist und bleibt denn einem wahren Christen, solange er bei der Gnade bleibt, diese Quelle unverstopft. Er kann und darf es glauben: Ich habe das höchste Gut in der Welt, nämlich Vergebung der Sünden. Wo aber Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit. Das Gewissen Es ist das von Gott anerschaffene Vermögen unserer vernünftigen Seele, nach dem wir unsere Gedanken, Begierden, Worte und Werke mit der Vorschrift des göttlichen Willens vergleichen und ein Urteil darüber fällen können, ob sie ihm ge- mäß oder nicht gemäß seien, ob mithin das, was wir tun, recht oder unrecht sei. So ist das Gewissen ein Richterstuhl Gottes, den er mitten in unserer Seele aufgerichtet und befestigt hat, vor den alle äußeren und innerlichen Handlungen des Menschen, sowohl das, was er tut, als das, was er unterläßt, gebracht und unparteiisch beurteilt werden müssen. Es ist ein Licht, das alles durchleuchtet; es ist ein Statthalter des höchsten Gesetzgebers, der mit besonderem Nachdruck vorschreibt, was man zu tun oder zu lassen habe; es ist ein Zeuge, der genaue Kenntnis von allem hat, was der Mensch denkt, redet und verrichtet, und der einen augenblicklich von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Handlung überführt; es ist ein Richter, der den Menschen entweder losspricht, wenn er recht getan hat, oder aber ihn verurteilt, wenn er unrecht gehandelt hat. Wenn nun ein wahrer Christ die Vergebung aller seiner Sünden in dem Blut Jesu erlangt hat und sich von ganzem Herzen befleißigt, er sei daheim, oder er walle, daß er nur dem Herrn wohlgefalle, und sein Gewissen gibt ihm Zeugnis, so daß es ihn seines ganzen Lebens wegen nicht beißen darf, was ist das für ein unaussprechlicher Trost in allen Umständen! Wie mutig kann er da sein unter allen Lügen, Verleumdungen und Lästerungen der Welt und ihrer Kinder; wie fröhlich in allen Leiden und Trübsalen; wie fest und ruhig bei allen Vorwürfen des Satans, des Verklägers der Brüder; wie herzhaft, wenn es in Not und Tod, ja gar in die lange Ewigkeit hineingeht! Wie hat einer da an seinem guten Gewissen ein tägliches Wohlleben, und wie kann er sich jeden Abend auf das Versöhnungskissen ruhig niederlegen! O daß wir doch alle miteinander von diesem herrlichen Vorteil etwas Wahrhaftiges aus der Erfahrung zu sagen wüßten; daß doch unser aller Herz mit dem Blute Jesu gewaschen und unser Gewissen damit besprengt wäre, so daß wir mit Freudigkeit sprechen könnten: Unser Trost ist der, daß wir ein gutes Gewissen haben. Wenn wir sonst in der Welt keinen Trost und keine Freude haben, wenn uns die Kinder dieser Welt auch die gesunde Luft nicht gönnen wollen, wenn wir uns als Verführer und Verführte ansehen lassen müssen, wenn sie uns schmähen und allerlei Übles wider uns reden, so können sie uns den Trost nicht rauben, daß wir ein gutes Gewissen haben. Der zweite Artikel »Ich glaube, daß Jesus Christus, wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr!« Dies ist der Anfang der Erklärung des herrlichen Glaubensbekenntnisses, das wir von der zweiten Person in der hochgelobten Gottheit, von unsrem gebenedeiten Heiland Jesus Christus, abzulegen pflegen. Wenn es so allezeit im Geist und in der Wahrheit geschähe, wie es mit dem Munde geschieht, was wären wir für selige Leute! Welchen Mut, welche Kraft und Freudigkeit im Leben, Leiden und Sterben muß es uns geben, wenn uns unser teuerster Erlöser nach seiner Person und seinem Amt so wichtig, groß und teuer wäre, daß wir ihn immer im Glauben ansehen könnten als den ewigen und eingeborenen Sohn Gottes, der mit seinem himmlischen Vater auf dem Thron der Herrlichkeit sitzt, alles beherrscht und regiert, und als den wahrhaftigen Menschen-und Mariensohn, der durch seine heilige Menschwerdung unser Goel1 und Bruder geworden ist, so daß er an uns und wir an ihn einen rechtskräftigen Anspruch haben. Möchte ein jeder auf Grund der Wahrheit sagen können: Dieser Gottes- und Menschensohn ist mein Herr, und ich bin sein Knecht. Er ist mein, und ich bin sein. Ich weiß, was er an mir getan hat, »da er mich verdammten und verlorenen Sünder erworben und gewonnen hat, 1 Goel wurde in Israel der nädiste Blutsverwandte genannt, der nach dem Gesetz verpflichtet war, sich seiner Familie in allen Notfällen anzunehmen (3. Mose 25, 25; 2. Sam. 14, 7). Im Zeitalter des Pietismus wurde diese Bezeichnung in Predigten und Liedern gerne auf Jesus Christus übertragen, um damit anzudeuten, daß er sich als der Erlöser der Menschen angenommen habe. nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben; auf daß ich sein eigen sei und in seinem Reich unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit; gleichwie er ist auferstanden vom Tode, lebet und regieret in Ewigkeit. Das ist gewißlich wahr.« Ich sage, was wäre das für eine herrliche und selige Sache, wenn es bei allen wahr wäre, was sie mit dem Munde bekennen! So aber sitzt es bei den meisten nur auf der Zunge, und das Herz ist leer. Daher protestiert auch unser Herr und Heiland gegen solche leere Schwätzerei. Er sagt: »Es werden nicht alle, die zu mir sagen: >Herr, Herr<, in das Himmelreich kommen« (Matth. 7, 21). »Bin ich Vater, wo ist meine Ehre; bin ich Herr, wo fürchtet man mich?« (Mal. 1, 6). Auch der Apostel Paulus will Mund und Herz beisammen haben: »So du mit deinem Munde bekennst Jesus, daß er der Herr sei, und glaubst in deinem Herzen, daß ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn so man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet« (Röm. 10, 9. 10). Seinen Korinthern schreibt er: »Niemand kann Jesus den Herrn heißen ohne durch den Heiligen Geist« (1. Kor. 12, 3). Siehe also, was nützt es dich, Jesus einen Herrn zu heißen, wenn der böse Geist, der Weltgeist, der unreine Geist in deinem Herzen wohnt und das Regiment führt? Was wird dein kaltsinniges Herr- Herrsagen dem Herrn Christus für eine Ehre sein, wenn du dich mit deinem Herzen von ihm abgekehrt hast und mit deinem Wandel seinem heiligen Willen schnurstracks zuwiderhandelst? Wie sind ein Vater oder eine Mutter erfreut, wenn ihre Kinder immer schreien: Lieber Vater, liebe Mutter! Dabei tun sie aber nicht, was von ihnen verlangt wird. Welch eine Ehre ist es für einen Herrn und König, wenn seine Knechte und Untertanen immer rufen: Gnädiger Herr, allerteuerster König! Wenn sie ihm aber etwas zuliebe tun sollen, sind sie nirgends zu Haus oder laufen gar mit den offenkundigen Rebellen. So ist es nun einmal auch bei dem Herrn Jesus. Viel Herr-, Herrsager sind der Hölle zugezählt. Es ist etwas Großes, wenn man ihn seinen Herrn nennen kann; aber es kann's niemand ohne den Heiligen Geist, ohne seine Erleuchtung, Kraft und Gnade. Gebet: Herr Jesu, du eingeborener Sohn des Vaters, der du in der Fülle der Zeit auch ein wahrhaftiger Menschensohn geworden bist, wir danken dir, daß du durch dein Bluten und Sterben uns das Recht erworben hast, als dein Eigentum in deinem Reich unter dir leben zu dürfen. Du bist nun unser Herr, und wir sind deine Knechte und Mägde. Wir beten dich an in deiner großen Herrlichkeit, wo du zur Rechten Gottes erhöht bist und alle deine Feinde noch zum Schemel deiner Füße gelegt werden sollen. Laß uns nicht unter der Zahl deiner Feinde erfunden werden! Wir haben dich im Glauben als unsern Herrn angenommen. Dir wollen wir dienen; dein wollen wir sein mit Leib und Seele; dir wollen wir anhangen von ganzem Herzen. Laß dir unseren Entschluß gnädig gefallen. Neige dein Zepter zu uns, nimm dich unser an und bringe uns durch in dein ewiges Reich. Amen. Die Gnade suchen Wer in der Gnade fest werden will, der muß Gnade haben. Ein Baum, der noch nicht in das Erdreich eingepflanzt und gesetzt ist, kann in ihm nicht einwurzeln und fest werden. So ist es auch mit dem Menschen. Wie kann er von der Festigung in der Gnade reden, wenn er noch nicht einmal Gnade hat? Wenn jemand noch ein Schalksknecht ist, der kein andres Handwerk treibt, als Schulden auf Schulden zu häufen, Gott und Menschen zu beleidigen, die Güter und Gaben Gottes durchzubringen und zu verschleudern und in seiner Unbußfertigkeit nur das zu tun, was sein leichtsinniges Herz gelüstet, der hat keine Gnade, der steht eben unter dem Zorn Gottes, der flattert im Dienst der Sünden und des Satans herum und trägt die Anwartschaft zur ewigen Verdammnis in seinem Herzen. Darum mußte der verschuldete Knecht im Evangelium (Matth. 18, 23—35) erst Gnade suchen, als er, von seinem Herrn vorgefordert, ihm das Schuldbuch vorgelegt und er als einer erfunden wurde, der seinem Herrn zehntausend Taler schuldig war. Da er nichts hatte zu bezahlen und der Herr den Befehl erteilte, daß man ihn, sein Weib, seine Kinder und alles, was er hatte, verkaufen sollte, wußte er in seiner Seelenangst nirgends hinaus und nahm seine Zuflucht zu der Gnade. Seine Schuld konnte er nicht leugnen und durch eignes Verdienst und eigne Würdigkeit nichts abtragen. Es blieb ihm nichts übrig, als daß er demütig seine Knie beugte und fußfällig um Gnade bat, und dadurch erlangte er auch, was er suchte, nämlich Gnade. »Es jammerte den Herrn des Knechts, und er ließ ihn los, und die Schuld erließ er ihm auch.« Nun war er in dem Zustand, in dem er in der Gnade hätte befestigt werden können, wenn er hätte wachen und Treue beweisen wollen. Damit müssen alle die anfangen, die gern in der Gnade des lebendigen Gottes befestigt werden möchten; sie müssen vor allen Dingen Gnade suchen. Siehe, mein lieber Mensch, der du durch unzählige Sünden dem großen König Himmels und der Erde mit einer unbeschreiblichen Schuld verpflichtet bist, du hast mit deinem Ungehorsam gegen Gott und mit der Abweichung von der Richtschnur seines heiligen Gesetzes das Kerbholz deiner Sünden recht voll gemacht. Eine jede dieser Sünden hat den Tod und die ewige Verdammnis verdient, und du solltest von Rechts wegen ihr überliefert werden; denn die Gerechtigkeit Gottes richtet an dich die Forderung: »Bezahle, was du mir schuldig bist!« Du hast aber nichts, um zu bezahlen. Du mußt gleich beim Beginn der Abrechnung schamrot dastehen und kannst »auf tausend nicht eins antworten«. Du kannst dein Herz nicht selbst ändern und das, was geschehen ist, nicht ungeschehen machen. Du kannst die Brandmale, mit denen dein Gewissen befleckt ist, nicht austilgen. Mit deinem künftigen Gehorsam kannst du auch das nicht hereinbringen, was du mit deiner vorigen Gottlosig- keit verderbt hast. Gesetzt den Fall, daß du es auch dahin bringen kannst, künftig keine neue Schulden zu machen, so bleiben doch die alten immer bestehen. Sie erwirken dir das Urteil, daß du in den Kerker geworfen werden sollst. Was bleibt dir also übrig? Nur ein Entweder — Oder! Entweder mußt du der göttlichen Gerechtigkeit als ein ewiges Racheopfer anheimfallen, oder du mußt deine Zuflucht zur Gnade nehmen, zur ewigen Erbarmung Gottes in Christus Jesus, zur Versöhnung im Blute deines Erlösers, um deswillen der himmlische Vater dir noch Gnade und Barmherzigkeit erzeigen will. Du mußt sie in deiner Sündennot ergreifen und unter der Anklage deines Gewissens deine starren Knie beugen und fußfällig bitten: Herr, habe Geduld mit mir! Sei meiner Missetat gnädig, die da groß ist! Ich armer Mensch, ich armer Sünder steh hier vor Gottes Angesicht. Ach Gott, ach Gott, verfahr gelinder, und geh nicht mit mir ins Gericht. Erbarme dich, erbarme dich, Gott, mein Erbarmer, über mich! Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht; denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht. Laß doch auf mein Gewissen die Gnadenflut fließen! Ist dies Bitten und Flehen ernstgemeint, geht es aus dem innersten Grund deines beklommenen, geängsteten und zerschlagenen Herzens, dann wirst du erfahren, was der Knecht im Evangelium erfahren hat: Der Herr wird sich deiner jammern lassen und dich um des heiligen Verdienstes seines Sohnes willen von Schuld und Strafe lossprechen. Er wird dir seine väterliche Huld zuwenden und dich so ansehen, als hättest du nie einen Fall getan. Da hast du, was du gesucht hast, nämlich Gnade. Du stehst in der Gnade und kannst auch in der Gnade befestigt werden. Die Gnade bewahren! Die Gnade ist ein kostbares Kleinod, das bald wieder verloren werden kann; darum muß es sorgfältig bewahrt werden. Der begnadigte Knecht im Evangelium (Matth. 18, 23—35) bewahrte die Gnade nicht, sondern ging von dem König hinaus und fand einen seiner Mitknechte, den er angriff, würgte und an dem er grausame Unbarmherzigkeit übte. Er wollte schlechterdings von ihm bezahlt sein und verlor dadurch die Gnade. Er verscherzte das wieder, was ihm geschenkt worden war. Daraus sehen wir, daß die Gnade bewahrt werden muß. Die Gnade wird viel leichter verloren, als daß sie wieder erlangt wird. Mancher Sünder ist schon mit Zittern und Beben vor dem Angesicht Gottes gestanden und hat Gnade gesucht. Er hat sie auch unter Gebet und Tränen erlangt; aber nachher ist er wieder von dem Angesicht Gottes weggelaufen, hat die Sünde wieder liebgewonnen und sich nach und nach in den Unflat der Welt hineinbegeben und sich zu solchen Dingen verleiten lassen, bei denen eine Gemeinschaft mit Gott nicht bestehen kann. Dadurch hat er die Gnade wieder verloren. Darum lerne doch jede Seele, wie nötig es sei, die Gnade zu bewahren. Die Gexoißheit des Gnadenstandes Die Gewißheit des Gnadenstandes ist ein recht schätzenswerter Vorteil im Christentum, ein Vorteil, von dem nicht alle Seelen zu sagen wissen. Es kann einer wahrhaft bußfertig sein und doch seines Gnadenstandes noch nicht recht gewiß sein. Es kann einer Vergebung der Sünden haben und doch darüber noch keine Versicherung besitzen, ebenso wie einer einen versiegelten Brief oder eine Quittung bei sich tragen kann, obwohl er die Siegel noch nicht aufgebrochen und, was darin steht, noch nicht gelesen hat. Daher findet man besonders bei schwachgläubigen Seelen, daß ihnen ihr Gnadenstand oft streitig gemacht wird, bald vom Satan, der ihnen ihre Sache vorwerfen will, bald von der ungläubigen Vernunft, die gegen die Wahrheit und Rechtschaffenheit ihrer Bekehrung allerlei Einwendungen macht, und bald von ihrem eignen Gewissen, das mit seinen Vorwürfen ihre Seele ängstigt und spricht: Wenn du wahrhaft begnadigt wärst, dann hättest du diese oder jene sündliche Unart nicht mehr an dir. Über alle solche Steine des Anstoßes können Seelen, die im Glauben stark sind, hinwegschreiten, denn sie haben eine gewisse Versicherung ihres Gnadenstandes. Sie haben nicht nur das Zeugnis der Heiligen Schrift für sich, in der die Kennzeichen und Eigenschaften derer angeführt werden, die sich der Gnade und der Vergebung der Sünden versichert fühlen dürfen, sondern sie haben dabei auch das Zeugnis ihres eignen Herzens und Gewissens, die beide eine selige Erfahrung von allem erlangt haben, was zur Ordnung des Heils gehört. Überdies haben sie noch bei sich das Zeugnis und die Antwort des Heiligen Geistes, der die Verheißung des Evangeliums in ihnen versiegelt und ihrem Geiste Zeugnis gibt, daß sie Kinder Gottes seien. Aus diesem dreifachen Zeugnis folgt eine unumstößliche Versicherung des Gnadenstandes, so daß sie nicht nur mit Paulus sagen können: »Ich weiß, an wen ich glaube«, sondern auch hinzufügen können: »Ich bin des gewiß, daß er mir mein Erbteil bewahren wird!« Da hofft man nicht nur von ferne, daß man seine Seele als Beute davonbringen werde, sondern man weiß gewiß, daß es Wahrheit sei: Die Schafe Jesu sollen nicht mehr umkommen, und niemand soll sie ihm aus seiner Hand reißen! Da spricht man nicht nur mit stammelnder Zunge: »Ach ich hoffe, Gott werde mir um Christi willen auch gnädig sein, mir meine Sünden vergeben und mich als sein Kind annehmen«, sondern da trotzt man der Sünde, der Hölle und dem Satan und rühmt mit ungezweifelter Gewißheit: »Mir ist Barmherzigkeit widerfahren, mir sind meine Sünden vergeben! Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen?« Wie werde ich meines Gnadenstandes gewiß? Es gehört dazu erstens anhaltendes Gebet, wie uns die Jünger Christi lehren, die baten: »Herr, stärke uns den Glauben!« (Luk. 17, 5); zweitens fleißige Betrachtung des Wortes Gottes, wie Petrus sagt: »Seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch des Evangeliums wie die neugeborenen Kindlein, damit ihr dadurch zunehmet!« (1. Petr. 2, 2). Wie machen es die Kinder, wenn sie wachsen sollen? Sie essen und trinken und ruhen. Mache es auch so mit freudigem Ergreifen und mit glaubensvollem Genießen der durch Christus erworbenen Gnadengüter! Hierzu ist drittens auch der Umgang mit anderen redlichen Seelen nützlich, die im Christentum schon stärker geworden sind; viertens ein ernstliches Merken auf alles, was Gott durch seinen Geist im Herzen wirkt; fünftens redliche Treue gegen seine Zucht im Gewissen, damit man das meide, was er an uns straft, und dem nachkomme, was er uns befiehlt. Wer so im Geringsten treu ist, dem wird mehr gegeben werden. Wer so in den Dingen des geistlichen Lebens sich übt, der wird geistliche Stärke bekommen. Er wird Jesus kennenlemen und seines Gnadenstandes gewiß werden. Er wird den Frieden mit Gott erlangen und tausendfach Anlaß finden, den Herrn zu loben. Er wird immer mehr in seinem Sinn vom Irdischen entfernt werden und in das göttliche, himmlische Wesen eindringen. O wie wird da die Besserung gar schnell wachsen; wie wird da das Herz fest werden durch die Gnade! Ach, daß wir es doch dahin bringen möchten! Wir können ja, wenn wir wollen. Fangt nur einmal recht an, liebe Seelen: Laßt euch das Fleisch nicht träge machen, verfluchet seine Zärtlichkeit! Ihr gebt euch ja um eitle Sachen in tausend Müh und Fährlichkeit. Wie, daß ihr um das höchste Gut, so müd', verzagt und sorglos tut! Der Gnadenruf zum Reich Gottes ist noch bis auf den heutigen Tag allgemein; er ergeht an alle Menschen an allen Enden und Orten, wo das Evangelium gepredigt wird. Wenn nur einer hört, was der gütige Gott für Gedanken des Friedens über die Menschenkinder habe; wenn einem gesagt wird, wie sauer sich's der Sohn Gottes habe werden lassen, die Seelen der Menschen mit seinem Blut zu erkaufen, sie vom ewigen Tod zu erlösen und ihnen einen ganzen Himmel voll Seligkeiten zu erwerben; wenn einem der Geist Gottes so ins Herz dringt und einem gleichsam ins Ohr hineinsagt: »Sünder, was machst du? Wie steht's mit dir? Wo läufst du hin?« wäre es da nicht Zeit, daß du umkehrtest und für das Heil deiner Seele sorgtest? Ei wie, mache dich auf; wache auf, der du schläfst und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten! Wenn einer diesem Gedanken nachdächte, sich sogleich im Gebet vor den Herrn hinwürfe und anfinge zu schreien: Ach, Herr Jesus, erbarme dich mein, errette mich, bekehre mich, sonst gehe ich verloren! siehe, das hieße eine eilfertige und ungesäumte Bekehrung. Dazu gehört aber ferner, daß sich einer der ersten Gnade sofort bedient und sich von allen Hindernissen losreißt, die der Bekehrung entgegenstehen. Die Jünger im Evangelium (Matth. 4, 18—22) ließen es bei einem guten Gedanken und Vorsatz nicht bewenden, sondern traten sofort ab vom Weg der Ungerechtigkeit, verließen Schiffe, Netze, Fische, Vater, Mutter und alles und folgten ihm nach. Sie hätten auch denken können: Man kann nicht so geschwind mit allem fertig werden. Ei, das ist zuviel auf einmal. Wir werfen den Gnadenruf zum Reich Gottes nicht weg, aber wir können nicht sofort alles hintansetzen. Es wird auch nach und nach gehen, und wir wollen gewiß nicht Zurückbleiben. Ich sage, daß sie nicht so dachten, sondern sich sogleich der Kraft bedienten, die ihnen die erste Gnade darreichte, und nun erst recht zu einer ernstlichen Bekehrung durchdrangen. Dies sollten wir doch von ihnen lernen. Wenn einer aus dem Wort Gottes überzeugt wird, daß seine Sache nicht richtig stehe, daß er mit seinem gegenwärtigen Sündenleben nicht selig werden könne, sondern daß es kurzum mit ihm anders werden müsse, dann sollte er ja die ersten Gnadenzüge nicht wieder vorübergehen lassen. Er sollte nicht einem gleichen, der aus tiefem Schlaf aufgeweckt worden ist und bereits die Augen halb geöffnet hat, aber ehe er sich besinnt, sie ganz aufzutun und aus dem Bett zu steigen, wieder aufs neue einschlummert und daliegt. Nein, nein, eilen sollte man und sich der ersten Gnade bedienen; man sollte sofort vom Weg der Ungerechtigkeit abtreten; man sollte sofort alles verlassen, was einen an der Nachfolge Jesu hindern will; man sollte sofort hindurchdringen durch alle Hindernisse, die der Bekehrung entgegenstehen. Dies gilt für das Schiff eitler und irdischer Geschäfte, das Netz sündlicher Gesellschaften oder die Fische sündlicher Lüste, für Vater oder Mutter, Geschwister, Verwandte, Bekannte oder welchen Namen sie sonst immerhin haben mögen. Weg, weg mit allem, sollte es heißen! Hindurch, es gilt mir, ich muß eilen, daß ich meine Seele rette! Siehe, das heiße ich eine ungesäumte Bekehrung! Die Bekehrung nicht auf schieben! Ein Strick, der nur aus wenigen Fäden zusammengeflochten ist, wird leichter zerrissen als ein Seil, das aus vielen starken Schlingen besteht. Ein Mäuerlein im Weinberg wird leichter niedergerissen als die Mauer eines großen Turmes. Einer, der hurtig und munter fortläuft, kommt in einer Stunde weiter als ein langsamer Schleicher an einem ganzen Tag. Siehe, so ist's mit der Bekehrung! Die Sünden sind die Stricke des Satans; je bälder sie zerrissen werden, je leichter ist's geschehen. Sie sind eine Mauer zwischen Gott und dem Sünder; je eher sie niedergerissen wird, je leichter ist der Zugang zur Gnade. Das Christentum ist ein Lauf; je eher man sich auf den Weg macht, je weiter kommt man. So ist auch die erste Gnade die kräftigste. Wer sich ihrer bedient, der kann es in kurzer Zeit weit bringen. Darum sollte man ja nicht säumen; denn eine ungesäumte Bekehrung ist die sicherste. Wer seine Bekehrung von einem Tag, Monat und Jahr zum andern auf schiebt, der ist ein Tor; denn die Zeit steht ja nicht in seiner Macht und Gewalt. Das Ziel kann ihm unterdessen aus den Augen kommen, und er kann mit seinem Zaudern verlorengehen. Wer aber sofort zufährt, das angenehme »Heute« auskauft und denkt: Heute, heute, da ich die Stimme Gottes höre, will ich mein Herz nicht verstocken, der handelt weise und bringt seine Seele als Beute davon. Andre, die den Brunnen erst graben wollen, wenn das Feuer im Hause schon brennt, sind die ärgsten Toren. Eine solch ungesäumte Bekehrung ist die lieblichste und seligste. Je eher man selig sein kann, desto lieblicher ist es. Wenn einer heute schon Gnade haben kann, warum soll er bis morgen warten? Wenn einer von Jugend an ein Eigentum Jesu heißen kann, wieviel hat der an Vorteil einem anderen voraus, der erst im späten Alter anfängt, am Turm seiner Seligkeit zu bauen! O wie weit kann man's da bringen! Was ist es für eine Ehre, wenn man ein »alter Jünger« (Apg. 21,16) heißt! Um die Bekehrung wissen! Es geht mit der Bekehrung nicht so still und unvermerkt daher, daß man es nicht spürte, sondern es geht mit ihr eine solch gewaltige und augenscheinliche Veränderung vor, die dem Menschen selbst und anderen nicht verborgen bleiben kann. Der Hausvater im Evangelium (Joh. 4, 47—54) erforschte von seinen Knechten die Zeit, in der es mit seinem Sohn besser geworden wäre; und sie konnten ihm die Stunde sagen: »Gestern um die siebte Stunde verließ ihn das Fieber«. Ein Kranker kann also wissen und merken, um welche Zeit es besser geworden ist mit ihm. Der unbekehrte Zustand ist eine gefährliche Krankheit, ja gar ein geistlicher Tod, darin der Mensch liegt. Wenn nun ein Mensch durch die Gnade Gottes von ihr befreit wird, dann kann er cs ja wissen: Um die und die Zeit hat mich der Herr, da ich in Sünden tot war, aufgeweckt. Ein Mensch weiß die Zeit, den Tag und das Jahr, darin er geboren ist; wenigstens steht es im Taufbuch geschrieben, und da kann er es erfahren. Die Bekehrung ist eine neue und geistliche Geburt, durch die der Mensch neues Leben ins Herz bekommt. Da kann er ja wissen, wann es etwa angefangen habe und wie es geschehen sei. Einer, der lange Zeit blind gewesen ist, weiß die Zeit, in der ihm die Augen wieder aufgetan worden sind. Vor der Bekehrung ist der Mensch geistlich blind; in der Bekehrung wird er erleuchtet. Das kann er ja wissen und merken. Ein jeder weiß, wann es Nacht gewesen und Tag geworden ist. Das Leben in Sünden ist gleich einer finsteren Nacht; mit der Bekehrung folgt der helle Tag. Das ist eine Veränderung, die man wissen kann. Daher schreibt Johannes: »Wir wissen, daß wir aus dem Tod zum Leben gekommen sind; denn wir lieben die Brüder« (1. Joh. 3, 14). Und Paulus sagt: »Die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen« (Röm. 13,12). Gebet: Herr Jesu, mache uns willig, den Ruf der Gnade anzunehmen. Du rufst uns immerfort, du bietest uns Gnade an, du lädst uns in deine Nachfolge ein und willst uns mit allem Ernst selig haben. Das hast du nun so lange an uns getan, und wir hätten dir sofort auf den ersten Ruf und Wink folgen und gehorsam werden sollen; aber wir besinnen uns so lange. Wir zaudern immer und lassen eine Gnadenzeit nach der andern fruchtlos dahingchen. Vergib uns diese Schläfrigkeit und ermuntere uns, daß wir noch hereinbringen, was wir versäumt haben. Es ist doch der Mühe wert, daß wir uns zu deiner Nachfolge je eher, je lieber entschließen. Wir haben es in Zeit und Ewigkeit zu genießen. Du willst uns aller Seligkeit teilhaftig machen. Nun denn, liebster Jesu, gib dich uns und nimm uns hin. Amen. Man darf die wahre Frömmigkeit nicht bis ins Alter aufsparen, wenn man auf dem Sündenmarkt genug herumgelaufen ist und nicht mehr vollbringen kann, was man in seiner Jugend getan hat. Da möchte oft mancher Alter noch der Trunkenheit nachhängen, wenn er nur den Wein vertragen könnte; er hätte oft gute Lust, sich in Zänkereien und Raufereien einzulassen, wenn er nur nicht fürchten müßte, daß er bei seiner Gebrechlichkeit und Schwächlichkeit den kürzeren ziehen würde. Mancher alte Mann hat noch hurerische und ehebrecherische Augen in seinem Kopf und möchte die sündlichen Lüste gern ausüben, wenn nur das Blut in den Adern nicht erkaltet wäre. Kann man das Frömmigkeit heißen? Kann das eine Bekehrung sein, die Gott wohlgefällig ist? Nichts weniger als dies! Solche elenden Leute haben nicht die Sünde verlassen, sondern die Sünde hat sie verlassen. Was ist es nicht für eine mißliche und gefährliche Sache um die Bekehrung auf dem Sterbebett, wenn einem Menschen der Tod auf der Zunge sitzt und er sieht, daß es mit ihm zu Ende geht und er aus der Welt hinaus muß. Dann fängt er an, dem großen Gott ein paar gute Wörtlein zu geben, schickt einige Seufzer zum Himmel, greift geschwind nach dem Abendmahl und meint, jetzt sei alles wett und eben und seine Seele werde aus dem Mund auf in den Himmel fahren. Sein Herz aber ist nie geändert, sein Elend ihm nie aufgedeckt, sein Sinn nie zu Christus hingeneigt und zur wahren Gemeinschaft mit Gott tüchtig gemacht worden. Er würde sein Sündenleben nach einigen Wochen ganz gewiß wieder von vorn angefangen haben, wenn er aufgekommen wäre. Ich frage: Was soll das für eine Frömmigkeit und Bekehrung sein? Nichts ist es und weniger als nichts. Es geht eben in Erfüllung, was wir sonst zu singen pflegen: Ich fürcht' fürwahr, die göttlich' Gnad', die er allzeit verspottet hat, werd' schwerlich ob ihm schweben. Ach, im Alter hält es überaus schwer! Wer will einen alten Eichbaum biegen? Wer will einen alten Wolf bändigen? Wie will ein Mohr seine Haut ändern und ein Parder seine Flecken? Wie sollen sie Gutes tun lernen, die Böses gewohnt sind? Gewiß, das ist eine gefährliche Sache. Man sieht es ja an unseren alten Leuten; die gehen so in ihrem gewohnten Wesen dahin und haben meist ein Herz dicker als Schmer und einen Nacken härter als Eisen. O denen muß eine scharfe Lauge auf den Kopf kommen, wenn sie noch mürbe werden sollen. Sie müssen noch gewaltig erschüttert werden, wenn das Gebäude ihres vieljährigen Maulchristentums Zusammenstürzen soll. Kaum, kaum wird hie und da noch solch ein alter und verrosteter Sünder zurechtgebracht, und das ist hernach wie ein Zufall. Das soll zwar alte Leute nicht dahin führen, daß sie ihre Bekehrung selber wegwerfen und denken: Mit mir ist es zu spät, ich will lieber fortmachen! O nein! Es soll sie vielmehr heilsam erschrecken, daß sie keinen Augenblick versäumen und sich noch heute weinend und betend zum Herrn Jesus wenden, damit sie noch gerettet werden. Die neue Geburt Die neue Geburt aus Gott ist ganz und gar ein Werk göttlicher und übernatürlicher Kräfte; der lebendige Gott muß sie in uns wirken und zustandebringen. Der himmlische Vater, der als Urheber aller Dinge das ganze große Weltgebäude durch das kräftige Wort seiner Allmacht am Anfang geschaffen und hervorgebracht hat, schafft uns gleichsam durch das Wort des Evangeliums von neuem. Er ist es, der uns durch den unvergänglichen Samen seines Wortes aufs neue zeugt und gebiert, und daher mit Recht unser Vater genannt wird. Daher ist es der Sohn Gottes, dem wir wegen der ewigen Zeugung vom Vater das geistliche Leben und die neue Geburt von oben zu danken haben; denn er hat uns dazu die Gnade erworben und ist ein Menschenkind geworden, damit uns die Macht gegeben werden könnte, Gottes Kinder zu werden. Er ist es, der uns als der zweite Adam wirklich zum geistlichen Leben erneuert. Wie nämlich durch den ersten Adam uns die natürliche Geburt und das natürliche Leben mitgeteilt wird, so wird uns durch die Kraft der Auferstehung Jesu Christi, des zweiten Adams, das geistliche Leben mitgeteilt. Daher werden die Gläubigen Glieder seines Leibes, Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Gebein genannt. Es ist aber auch der Heilige Geist, der solch neue Geburt in uns zustandebringt; denn er ist der Atem des lebendigen Gottes. Wie er bei der ersten Schöpfung auf den Wassern schwebte und aus dem ersten Klumpen so viele herrliche Kreaturen hervorgebracht hat, so ist er auch bei der neuen Geburt beschäftigt, das erste Fünklein geistlichen Lebens in die verdorbene Seele des Menschen hineinzulegen und an ihm so lange zu arbeiten mit vielen Anreizen, Lockungen, Bestrafungen und Ermunterungen, bis der neue Mensch ausgeboren ist. Darum sagt der Herr Jesus, daß wir Geist aus Geist geboren werden müssen. Solch ein wichtiges und großes Geschäft ist es um die neue Geburt aus Gott, ein Geschäft, für das alle menschlichen Kräfte nicht hinreichen, und ein Werk, an dem sich die drei Personen der hochgelobten Gottheit herrlich beweisen. Vom Glauben Durch den Glauben ergreift man all das Gute, das in Jesus Christus ist. Der Glaube ist ein Werk des Heiligen Geistes, der ihn als ein göttliches Licht nach der Ordnung einer wahren Buße und Bekehrung in dem Herzen eines gebeugten Sünders anzündet. Da wird er aus dem geistlichen Tod aufgeweckt und des Lebens, das aus Gott ist, teilhaftig gemacht. Da bekommt er offene Augen, daß er Gott und seinen Sohn Jesus Christus recht lebendig erkennt. In dieser Erkenntnis besteht das ewige Leben, und mithin hat ein Gläubiger schon hier in diesem Leben den Grund und die Anlage des ewigen Lebens in sich. Der Glaube ist die Hand, mit der er Christus erfaßt samt all seinen erworbenen Heils- und Gnadenschätzen. Das ist die größte Seligkeit, deren ein Sterblicher fähig werden kann. Durch den Glauben wird man ins Reich Gottes versetzt, das aber nicht Essen und Trinken ist, worin die Gottlosen in dieser Welt meistens ihren Himmel suchen, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. Das sind Güter, die nur der recht schätzen kann, der sie schmeckt, kostet und erfährt. Ein Gläubiger ist also gerecht. Die Anklagen seines Gewissens sind niedergeschlagen, der Zorn Gottes ist in Gnade verwandelt, die Flüche des Gesetzes können ihn nicht treffen und das große Verdienst des Erlösers ist ihm zu eigen geschenkt, so daß er mit Paulus ausrufen kann: »Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht«. Da darf man wohl sagen: »Predigt von den Gerechten, daß sie es gut haben!« Saget's doch der ganzen Welt, wie wohl eine Seele von dem ersten Augenblick an beraten sei, wenn sie durch den Glauben mit Christus vereinigt und der Gnade der göttlichen Kindschaft teilhaftig geworden ist. Ich habe nun den Grund gefunden! Es ist lieblich, wenn eine begnadigte Seele mit wahrer Glaubensfreudigkeit sagen kann: Ich habe nun den Grund gefunden, der meinen Anker ewig hält, wo anders als in Jesu Wunden? Da lag er vor der Zeit der Welt, der Grund, der unbeweglich steht, wenn Erd' und Himmel untergeht. Wenn ein Sünder durch das Wort Gottes aus seinem geistlichen Sündentod erweckt wird, dann fängt er an einzusehen, wie das Sandgebäude seines Christentums bisher ohne Grund gewesen sei und wie übel es ihm ergangen wäre, wenn er in einem solch elenden Zustand hätte die Welt verlassen sollen. Dann wird er in einen heiligen Schrecken und Kummer versetzt, wie er es doch angreifen könne, daß er seine Seele rette. Er fängt daher an, unter Gebet und Flehen die Gnade Gottes, die Vergebung der Sünden und das Recht zum ewigen Leben zu suchen. Hält er nun ernsthaft in seinem Suchen an, dann folgt darauf auch ein seliges Finden, das Freude bereitet. Die Gnade wird seinem Herzen durch den Heiligen Geist zugeeignet, der unsrem Geist Zeugnis gibt, daß wir Gottes Kinder sind. Da geht ein fröhliches Jauchzen an: Ich habe nun den Grund gefunden, der meinen Anker ewig hält. Bisher war ich gleich einem Schifflein, an dem Mast und Segel zerbrochen waren und das auf dem ungestümen Meer bald in die Höhe getrieben, bald vom Abgrund verschlungen wird. Nun habe ich den Grund gefunden, der den Anker meiner Hoffnung festhält. Wo aber? Ach, nicht in meinen eignen Werken, Kräften, Verdiensten und Tugenden, sondern in Jesu Wunden, in dem blutigen Verdienst des Mittlers, der mich mit Gott versöhnt, meine Sünden getilgt und mir Gerechtigkeit und Seligkeit erworben hat. Da lag der Grund meiner Hoffnung schon vor der Zeit der Welt; denn der Vater hat mich in seinem Sohn erwählt und zu seinem Eigentum erkoren, ehe der Welt Grund gelegt war. Das ist ein Grund, der ewig feststeht, wenn Erd' und Himmel untergeht. Die stärksten Türme der Welt müssen über den Haufen fallen, die festesten Mauern und Schlösser müssen unter dem Schall der letzten Posaune fallen, ja Erd' und Himmel müssen vergehen; ich aber habe einen Grund meines Glaubens gefunden, den keine Macht überwältigen kann, einen Grund, der ewig fest steht, wenn Erd' und Himmel untergeht. O selige Gewißheit einer solch begnadigten Seele! Wer kann glückseliger genannt werden als ein Mensch, der solche Hoffnung hat, daß er mit Paulus sagen kann: »Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes?« Möchtet ihr, meine Lieben, nicht auch einen solchen Grund haben? Wollt ihr euch immer mit dem Sandgebäude eures Christentums behelfen, das keinen Grund hat? Möchtet ihr nicht lieber eurer Seligkeit gewiß sein? Möchtet ihr nicht lieber auf einen rechten Grund dringen, der auch in der letzten Glut, im Feuer des Todes und des Gerichtes bestehen könnte? Petrus, der Felsenmann, hatte einen solchen Grund gefunden, und ihr könnt ihn auch finden, wenn ihr nur wollt. Gebet: Herr, unser Gott, mache unser Herz fest durch die Gnade. Es ist ja dein Werk und deine Sache. Du hast die Grundsteine zu unsrem Heil selber gelegt, ehe die Erde gegründet wurde. Dein lieber Sohn hat durch sein blutiges Werk der Versöhnung alles zuwegegebracht, was uns hier und dort beruhigen und selig machen kann. Nun kommt es nur darauf an, daß wir unsern Glauben auf dieses Werk gründen, dein Wort annehmen und uns zum seligen und fröhlichen Genuß deiner Gnade bringen lassen. Dazu mache uns, o himmlischer Vater, tüchtig. Offenbare uns deinen Sohn; lehre uns an Jesus glauben und in der Wahrheit bleiben der Höllenpforte zum Trotz. Amen. Vom Sterben der Gläubigen Wenn Zeit und Ewigkeit sich voneinander scheiden, dann wird auch bei den Gläubigen alles Ungemach abgetan und ihnen die Fülle der himmlischen Erquickung zugeteilt. Dieser wichtige Wechsel, der für alle Ungläubigen ein Übergang zu einem ewigen und unausdenklichen Jammer ist, wird für die Gläubigen der Eingang in das himmlische Jerusalem sein, wo Freude die Fülle zur Rechten Gottes ist immer und ewiglich. Darum ist der Ge- rechte auch in seiner Todesstunde getrost, legt seine Hülle willig ab und wartet mit Verlangen auf die Heerscharen der heiligen Engel, die unter Jauchzen und Frohlocken seine Seele in die Wohnungen des ewigen Friedens begleiten werden. Da haben's ja die Gerechten ewig gut. Da werden sie in Abrahams Schoß getröstet; ihr Glaube wird ins Schauen verwandelt, und ihre Hoffnung erreicht das erwünschte Ziel, auf das sie sich längst gefreut haben. O Wonne, o Seligkeit! Da hat es ein Gerechter ewig gut. Jawohl, hier hat er7s ewig gut; er schwimmt in einer Friedensflut. Was Vater, Sohn und Geist genießen, wird ewig stromweis7 auf ihn fließen. Er wird, und nicht zum bloßen Schein, bei Gott nun ewig selig sein. Da wird er die Frucht seiner Werke essen und mit Verwunderung erfahren, wie seine unvollkommene Treue so herrlich belohnt wird. Der Schlüssel des Gebets »Was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun, auf daß der Vater verherrlicht werde in dem Sohne« (Joh.14,13). Mit diesen Worten gibt uns der Herr Jesus gleichsam den Schlüssel zum Vaterherzen Gottes in die Hand; dieser Schlüssel ist das Gebet. Das Vaterherz des freundlichen Gottes ist voll Gnade und Liebe. In seinem Schoß liegen alle guten und vollkommenen Gaben bereit. Es ist alles bereit, was wir verlangen. Es kommt nur darauf an, daß wir7s nehmen, daß wir ins Vaterherz Gottes hineingreifen und herausnehmen, wessen wir bedürfen. Das geschieht durch das Gebet. Dazu braucht man weiter nichts, als daß man es täglich, stündlich und augenblicklich auf den Namen, auf das Verdienst, auf das Wort Jesu wage und dem himmlischen Vater sage, so wird er es sogleich mit seinem gnädigen »Es geschehe!« bekräftigen. Der Herr Jesus, der »der Pfleger der heiligen Güter« (Hebr. 8, 2) ist und dem der Vater alles in seine Hände gegeben hat, wird alles tun, was zu unsrem Heil gereichen kann. Er ist nahe allen, die ihn anrufen, die ihn mit Ernst anrufen. Er tut, was die Gottesfürchtigen begehren; er hört ihr Schreien und hilft ihnen. Eine der allernützlichsten und lieblichsten Künste, die ein Jünger Christi sich befleißigen soll zu lernen, ist die Kunst zu beten oder die Art und Weise, mit dem lebendigen Gott zu reden und von ihm das zu erlangen, was wir zu unsrem geistlichen und leiblichen Heil bedürfen. Diese Kunst wird nicht auf hohen Schulen gelernt oder durch die Kräfte der Vernunft und des fleischlichen Verstandes erlangt. Sie wird in der Schule des Herrn Jesu und durch die Kraft und Wirkung des Heiligen Geistes erlernt. Wer beten lernen will, der muß ein Jünger Jesu werden. Er muß sich von Herzen zu ihm wenden und in seine Schule gehen. Gebet: Herr Jesu, lehre uns beten! Du hast uns durch deinen Hingang zum Vater die Gaben des Heiligen Geistes erworben. Er ist ein Geist der Gnade und des Gebets. Sende ihn in unsre Herzen, daß er rufe: Abba, lieber Vater! Lehre uns, wie wir ernstlich, kindlich und gläubig beten sollen. Wir sind dazu von uns selbst nicht tüchtig. Darum entzünde unsre Herzen und tu unsre Lippen auf, daß unser Mund deinen Ruhm verkündige. Amen. Was ist es um die Kirche? Der Weinberg (Matth. 20, 1—16) ist seine Kirche, die Gemeinschaft seines Gnadenreiches, die nicht in Müßiggehen, Essen und Trinken, sondern in Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist besteht. Dahin beruft der Herr die Leute aus der Finster- nis ins Licht, aus dem Tod ins Leben, aus der Gewalt des Satans zu Gott, aus dem Müßiggang zur Arbeit, aus der Sorglosigkeit zur Sorge über die Frage: »Was muß ich tun, daß ich selig werde?« Soll nun jemand ein wahres Glied der Kirche Christi sein und heißen, dann muß er diesem Gnadenruf gehorsam werden. Er muß ihn annehmen, mit dem himmlischen Vater eins werden, sich seinen Willen gefallen lassen und ihm geloben: Es bleibt dabei, ich will folgen, den Sündenmarkt verlassen und von dem Polster meines geistlichen Müßigganges aufstehen. Herr, hier bin ich; rede, denn dein Knecht hört! Da hast du mich; mache mich tüchtig für deinen Dienst und brauche mich nach deinem Wohlgefallen! Es ist mir leid, daß ich so lange müßig gestanden bin. Dinge mich doch, lieber Vater, und sende mich hin unter die Zahl deiner Arbeiter! Wem es ernstlich darum zu tun ist, daß es mit ihm zu einem gänzlichen Übergang aus dem unbußfertigen Sündenzustand in den Dienst Gottes komme, von dem kann man sagen, daß er ein wahres Glied der Kirche Gottes geworden sei. Gott trägt die Bösen unter den Guten, solange die Welt steht. Dies ist eine große Langmut. Er sät guten Samen und läßt es doch geschehen, daß der Satan immer Unkraut dazwischen sät. Das Gute wächst unter seiner Gnade; aber er läßt die Bösen auch stehen und ihre Bosheit hoch genug treiben. Das ist eine unaussprechliche Geduld. Von Rechts wegen sollte es nicht so sein; denn das Unkraut hat nichts unter dem guten Weizen zu suchen. Es muß ausgejätet werden. So gehört von Rechts wegen kein Gottloser und Heuchler zum Genuß der Gnadengüter des Reiches Gottes und kein unbekehrter Mensch zum Abendmahl zugelassen. Kein Unbußfertiger ist tüchtig, eine Patenstelle zu vertreten. Die armen Leute freuen sich oft darüber und bilden sich etwas auf ihre Patenstellen ein. Sie sagen, sie dürfen damit prangen. Jawohl, sie stehen da wie auf dem Pranger, auf dem sie sich schämen sollten, daß sie so lügen. Die Sakramente und Gnadenmittel gehören nur den Bußfertigen und den Gläubigen. Ein jeder gehe in sich und prüfe sein Christentum, damit er wisse, unter welche Gattung er gehöre. Mein lieber Mensch, ist dir daran gelegen, daß du es wissest? Bist du guter Weizen oder Unkraut? Gehörst du unter die Kinder des Reiches oder unter die Kinder der Bosheit? Was treibt dich, die Sünde oder die Gnade? Wer beherrscht dich, Gott und sein Geist oder Satan? Bitte doch um geöffnete Augen, daß du sehen möchtest! Wenn du findest, daß du bisher nur ein leerer Halm und ein dürres Unkraut gewesen bist, so fange an zu flehen und zu ringen, bis dein Herz durch die Gnade geändert und umgestaltet worden ist! Es möchte dich sonst ewig gereuen. Wer aber an sich erfahren hat, was der Herr durch sein Wort und seinen Geist tun kann, wer das Siegel des Geistes auf seinem Herzen hat, daß er unter die Kinder des Reiches gehöre, der danke Gott für solche Gnade. Er lasse sich noch weiter bearbeiten, daß er hundertfältige Frucht bringe und einmal unter denen sein möge, die da glänzen und leuchten werden wie die Sonne in ihres Vaters Reich. O was wird das für eine Herrlichkeit sein! Laßt uns unterdessen Geduld haben und alle Treue beweisen. Zeichen der Zeit Merkt fleißig auf die Zeichen solcher Zeiten, auf die unfehlbar die Gerichte Gottes folgen müssen! Wenn Sünden öffentlich im Schwange gehen, die nach dem Wort der Heiligen Schrift Gottes Rache herbeirufen; wenn man bei der äußersten Unbußfertigkeit in der größten Sicherheit einhergeht; wenn das Wort Gottes verachtet wird, die Boten des Friedens verfolgt werden, die wahre Frömmigkeit verspottet wird, alle Ermahnungen und Warnungen in den Wind geschlagen und alle überreichen Wohltaten Gottes zu einem Polster der Sicherheit gemacht werden: was können wir aus solchen Zeichen anders schließen, als daß die Gerichte Gottes nicht mehr fern sein werden, wiewohl sich daraus der Zeitpunkt, wann sie losbrechen werden, und ihre Art nicht bestimmen lassen. Bewahrt daher euer Herz sorgfältig vor allen Irrtümern und Verführungen! Bittet den Herrn um das nötige Maß seiner himmlischen Salbung, damit ihr die Geister prüfen und die Wahrheit von der Lüge unterscheiden könnt und euch durch keinerlei Schein blenden und von dem richtigen Weg des Lebens abziehen laßt! Geht aus der sündlichen Gewohnheit der argen Welt heraus! Hat der Heiland eine so eilige Flucht angeraten, um das leibliche Leben zu retten, o wie viel nötiger wird es sein, für die Erhaltung der unsterblichen Seele zu sorgen! Fliehet, fliehet daher aus des Satans Stricken! Fliehet aus den betrügerischen Netzen der verführerischen Welt! Fliehet aus den Banden der euch süß dünkenden Sünden, die die ewige Finsternis nach sich ziehen! Habt keine Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, strafet sie aber vielmehr; denn was heimlich durch sie geschieht, das ist auch schändlich zu sagen! Gehet aus Babel heraus, damit ihr nicht an ihren Sünden teilnehmt und dann etwas von ihren Plagen erleidet! Sucht beizeiten die wahre Versöhnung mit Gott! Dringt ein in seine Gemeinschaft durch eine wahre Bekehrung! Macht euch den Richter zum Freund, damit ihr bei dem Ausbruch der Gerichte nicht zuschanden werdet! Fliehet zum Thron der Gnaden, in die Freiheit seiner Wunden, damit euch der höllische Bluträcher nicht ergreife, sondern ihr vielmehr unter Jesu Flügeln auch mitten unter seinen Gerichten sicher sein könnt! Wann ihr dann einmal aus der Finsternis des höllischen Ägyptens ausgegangen seid, so geht doch nicht wieder zurück, und werdet nicht lüstern nach den Fleischtöpfen ihrer sündlichen Ergötzungen ! Hütet euch vielmehr vor Fressen und Saufen und vor Sorgen der Nahrung! Laßt damit nicht euer Herz beschwert und euern Geist gefesselt werden, da ihr sonst als die Trunkenen dahintaumeln und nicht eher als durch das Geprassel der höllischen Flammen aus eurem Schlaf der Sicherheit aufgeweckt würdet! Wachet und betet, stellt euch vor den Riß, fallt dem erzürnten Richter in die Rute und sucht dem künftigen Zorn zu entrinnen! Drum so laßt uns immerdar wachen, flehn und beten, weil die Angst, Not und Gefahr immer näher treten; denn die Zeit ist nicht weit, da uns Gott wird richten und die Welt vernichten. Die Wiederkunft Jesu Christi »Des Menschen Sohn wird kommen in seiner Herrlichkeit«, spricht der Heiland im Evangelium (Matth. 25, 31—46). Er deutet also dadurch an, daß er nicht nur nach seiner herrlichen und den Sinnen der Menschen unbegreiflichen Gottheit sich offenbaren und etwa in einer dunklen Wolke unter Donner und Blitzen wie auf dem Berg Sinai herabfahren, sondern in einer sichtbaren Gestalt als ein wahrhaftiger Mensch mit seinem verklärten Leibe vor aller Menschen Augen erscheinen und sich darstellen werde. Eben der Leib also, den Jesus in dem Leibe seiner jungfräulichen Mutter an sich genommen, eben der Heiland, der zu Bethlehem in einer harten Krippe gelegen hat, dessen Mund an den Brüsten der Maria gesogen hat und dessen Hände die Hirten und die Weisen aus dem Morgenland geküßt haben, eben der Jesus von Nazareth, der zu Jerusalem gegeißelt, gemartert, gekreuzigt und in des Todes Rachen gelegt worden ist, der aber aus der Höhle des Grabes wieder hervorgegangen ist, sich den Seinen lebendig gezeigt und hernach sichtbar in den Himmel aufgenommen worden ist, der wird vom Himmel so kommen, wie man ihn gesehen hat gen Himmel fahren. Die Wunden, die ihm bei seiner Kreuzigung geschlagen worden sind, werden an seinem verklärten Leibe besonders hell glänzen und seinen Feinden gezeigt werden als Denkmal des Frevels, den sie an ihm begangen haben, aber auch als Zeichen des Sieges, den er über sie erhalten hat. Dann wird eintreffen, was Sacharja geweissagt hat (Joh. 19, 37): »Sie werden sehen auf den, in welchen sie gestochen haben«. Es wird herrlich sein, wann Jesus als ein König kommen wird. Der König wird sagen zu denen zu seiner Rechten: »Kommether, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!« Als er auf der Erde erschien, kam er in einer armen Knechtsgestalt ohne Gefolge und ohne Diener; denn »er erniedrigte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein andrer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden« (Phil. 2, 7.8). Er war zwar der König von Israel, der gekommen war, sein Reich einzunehmen; aber seine Bürger hatten ihm die königliche Würde versagt und ihn mit Spott und Schmach hinausgestoßen. Bei seiner letzten Zukunft dagegen wird er erscheinen als ein siegreicher König mit Kronen auf seinem Haupte, die er als Zeichen seiner ihm gegebenen oberherrlichen Gewalt trägt. Es wird majestätisch sein, wann er kommen wird in seiner Herrlichkeit, in einem solch überschwenglichen Glanz, in dem sich alle Strahlen seiner göttlichen Herrlichkeit gleichsam konzentrieren und seine anbetungswürdige Vollkommenheit offenbaren werden. Wenn irdische Könige ihre gesamte Macht und Pracht, ihre Ehre und Herrlichkeit zeigen wollen, dann wird das Äußerste angewendet, damit nichts an Herrlichkeit und Glanz, an Überfluß und Kostbarkeit mangeln möchte. So wird es bei der Wiederkunft des Königs aller Könige an nichts fehlen, was ihn nach allen Seiten groß und majestätisch machen kann. Da wird sich bald ein Schauplatz seiner Macht, bald ein Schauplatz seiner Güte, bald ein Abgrund seiner Erbarmung, bald ein unaussprechlicher Glanz seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit, bald eine unergründliche Tiefe seiner Allwissenheit offenbaren, die aller Menschen Herzen durchstrahlt und ihnen die verborgensten Gedanken aufdecken wird. Es wird majestätisch sein; denn dieser große König wird auf dem Thron der Herrlichkeit sitzen. Wie bei seiner Himmelfahrt der Vater ihm gleichsam seinen Wagen entgegengeschickt und ihn auf einer Wolke in den Himmel eingeführt hat, so wird er auch auf diesem Triumphwagen des himmlischen Vaters wieder erscheinen und eine lichte Wolke wird ihm als Thron dienen, wenn aller Himmel Himmel sich öffnen und ihm den Weg bahnen werden, damit er sich mitten in der Luft an einen über alle Menschen erhabenen Ort setzen kann und die Augen aller Menschenkinder ihn schauen und vor ihm erscheinen können. Es wird majestätisch sein; denn er wird als Richter der Lebendigen und Toten auf diesem Thron der Herrlichkeit sitzen. Da er in der Welt seinen Einzug hielt, verkündigte er: »Gott hat seinen Sohn nicht gesandt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde«; nun aber kommt er als ein Richter, einem jeden zu geben nachdem er gehandelt hat bei Leibesleben, es sei gut oder böse. Der Stuhl seiner Herrlichkeit, darauf er sitzen wird, ist ein Richterstuhl, vor dem alle Menschen das Endurteil zur Seligkeit oder zur Verdammnis holen müssen. Er allein wird Macht haben, Sünder selig zu machen oder zu verdammen. Pilatus selber, vor dessen Richterstuhl er einstmals verurteilt worden ist, wird vor diesem Richterstuhl sich stellen und das Urteil über seine Ungerechtigkeit empfangen müssen. Es wird etwas Herrliches und Majestätisches sein, wenn alle Völker vor ihm versammelt werden. Das Feuer und Wasser, die Erde und das Meer, die Hölle und der Abgrund werden ihre Toten wiedergeben und sie vor diesen Richterstuhl stellen müssen. Alle Könige und gekrönte Häupter werden ihre Kronen zu den Füßen dieses Stuhls nicderlegen; alle, die in der Welt auf Thronen gesessen haben und als Götter verehrt worden sind, werden herabsteigen, sich bücken und dem geschlachteten Lamm die Ehre geben müssen; alle Obersten und Gewaltigen, Feldherren und Hauptleute, die in ihrem Leben ganze Königreiche bezwungen und unter ihre Füße getreten haben, vor deren Kommando alles gezittert hat, müssen hier vor dem Thron Jesu zittern und sich zu seinen Füßen niederwerfen; alle Reichen, Adeligen, Vornehmen und Gelehrten, die sich wohl in stinkendem Hochmut gebrüstet und sich die Röcke haben küssen lassen, werden als erniedrigte Sklaven erscheinen und sich schämen müssen. Der römische Antichrist selber, der sich als ein Gott der Erde über alles, was göttlich und menschlich ist, erhebt und die Füße geküßt haben will, wird als ein Schlachtschaf des ewigen Todes daliegen und die Füße des Richters nicht einmal berühren dürfen. Alle Hoffärtigen, die sich in ihrem Putz wie Pfauen aufgeblasen haben, werden da nackt und bloß, arm und dürftig, zitternd und bebend herzukriechen. Alte und Junge, Reiche und Arme, Große und Kleine, Juden und Heiden, Christen und Türken, und was jemals auf dem Erdboden gelebt hat, wird durch die Allmacht des Richters herbeigebracht und vor das Gericht gestellt. Dabei wird es dann herrlich sein, daß alle heiligen Engel mit Jesus kommen und sich bei dem Gericht einfinden werden. Wie sie bei seiner Ankunft im Fleisch herabgekommen sind und die Luft mit ihren Lobgesängen erfüllt haben, wie sie den siegreichen Überwinder bei seiner Lebendigwerdung im Grabe bewillkommnet haben, wie sie ihn bei seinem Einzug in den Himmel mit Jauchzen und Trompeten eingeholt haben und ihm entgegengekommen sind, so werden sie bei seiner Ankunft nicht Zurückbleiben, sondern alle den König begleiten, seine Gefährten sein und seinen Willen zu vollbringen sich bemühen. O welch unzählige Heere solcher heiligen Geister werden da erscheinen, welche Heerscharen der Boten Gottes werden da gesehen werden, die auf seinen Wink sich werden bereit finden lassen, das zu tun, was er befiehlt! Durch ihren Dienst wird der König die große Versammlung der Menschen voneinander scheiden, wie ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet. Der Herr wird die Schafe zu seiner Rechten, die Böcke aber zu seiner Linken stellen. Gute und Böse, Gläubige und Ungläubige, Heuchler und redliche Seelen werden miteinander aus den Gräbern hervorgehen und so dem Herrn entgegengerückt. Manche verdammte Kinder werden ihre gläubigen Eltern und manche verfluchte Zuhörer ihren zur Seligkeit eilenden Pfarrer bei den Händen ergreifen und mit ihm zum ewigen Reich eingehen wollen. Welch eine betrübte und schreckliche Scheidung wird da vor sich gehen, wenn sie ihnen von der Seite weggerissen und auf die Linke gestellt werden! Wie mancher verkappter Heuchler, der wohl in der besten Hoffnung auf die Seligkeit dahingestorben ist, wird dann noch aus dem Haufen der Schafe hervorgesucht und zu den unreinen Böcken verwiesen werden. O welch unendliche Strahlen der Majestät und welche Herrlichkeit, die von keines Menschen Verstand und keinen Engelzungen genugsam ausgesprochen werden kann! Lebendiger Gott, dein Wort ist Wahrheit, und es werden eher Himmel und Erde vergehen, als daß nur ein einziger Buchstabe davon Zurückbleiben wird. Es ist durch den Mund deines eigenen Sohnes verkündigt, durch den Mund so vieler treuer und wahrhaftiger Zeugen bestätigt und durch ihr Blut und ihren Tod, ja durch unzählige Wunder und mächtige Wirkungen bekräftigt worden. Wir sollten es im Glauben und ohne Zweifel annehmen; aber wir müssen uns schämen, daß unser Herz noch so ungefestigt, wankend und zweifelnd ist. Ach, wie werden uns die teuren Wahrheiten oft so streitig gemacht! Wie geht es in unseren verfinsterten Herzen manchmal durcheinander, wenn wir dir trauen sollen ohne zu sehen und zu fühlen! Darum erbarme dich über uns und erstatte durch deinen Geist, was unsrem Glauben noch mangelt. Versiegle in uns dein Wort, und laß uns seine Kraft an unsern Herzen erfahren im Leben, Leiden und Sterben. Amen. Das zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Jesaja 42, 3 Dies ist das liebliche Zeugnis von Christus, unsrem teuersten Erlöser. Es kommt einer schüchternen Seele überaus wohl zustatten, wenn sie die Schwachheit ihres Glaubens und ihr geistliches Unvermögen empfindet. Was kann einen mächtiger aufrichten, als wenn man hört und liest, daß wir an Christus einen Heiland haben, der so zärtlich mit uns umgehen, das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen will! Das wollen wir unsern schwachen Herzen fein öfters Vorhalten. Ich habe vor acht Tagen aus dem sonntäglichen Evangelium euern Herzen sechs untrügliche Kennzeichen vorgelegt1, an denen der wahre und lebendige Glaube erkannt werden kann. Welchen Eindruck nun diese Darstellung auf eure Gemüter gemacht und inwieweit ihr euch nach ihnen geprüft und euren Zustand untersucht habt, das ist dem lebendigen Gott bekannt. Es ist freilich zu vernehmen, daß die, die sich bisher mit ihrem blinden Wahn- und Vemunftglauben beholfen haben, in ihrem alten, toten Wesen fortfahren und sich einreden wollen, als ob sie die damals genannten Kennzeichen alle an sich finden und 1 Predigt am 3. Sonntag nach Epiphanias über Matthäus 8, 1—13. Als sechs Kennzeichen des wahren und lebendigen Glaubens nennt Brastberger: 1. Die Armut des Geistes, 2. die Zuflucht zu Jesus in der Zeit der Not, 3. die Aufopferung in seinen heiligen göttlichen Willen, 4. den Gehorsam gegen seine Ordnung und Befehle, 5. die tätige Liebe gegen den Nächsten, 6. die lebendige Hoffnung des ewigen Lebens. mithin an ihrer Seligkeit nicht zu zweifeln hätten. Dagegen werden die, bei denen das Gnadenwerk der Bekehrung wahrhaftig angefangen hat, vielleicht den meisten Anstand genommen haben, sich diese Kennzeichen eines wahren und lebendigen Glaubens anzueignen. Ach, wird wohl manche schüchterne Seele gedacht haben, ich kann nichts weniger als die Kennzeichen eines lebendigen Glaubens bei mir finden. Ich stehe noch in keiner rechten Demut und Armut des Glaubens. Es fehlt mir noch an der rechten kindlichen Zuversicht zu Gott und meinem Heiland; ich kann noch nicht so gelassen und zufrieden mit dem göttlichen Willen sein. Mein Gehorsam gegen seine göttlichen Verordnungen und Befehle ist noch schwach; meine Liebe gegen den Nächsten ist noch nicht lauter genug, und die Hoffnung des ewigen Lebens wird mir manchmal vom Satan streitig gemacht, so daß ich oft selber nicht weiß, woran ich bin. Mithin bin ich eben eine elende und ungläubige Kreatur und muß mich vor Gott und Menschen schämen. Sie allein eben sind es, in deren Herzen der lebendige Glaube angezündet ist, obgleich noch das Gefühl ihres Verderbens und ihrer vielen Schwachheiten damit verbunden ist. Ihnen kann nun das heutige Evangelium (Matth. 8,23—27) in vortrefflicher Weise wohl zustattenkommen, wenn sie aus ihm erkennen, daß es wahr sei, was von Christus aufgezeichnet steht: »Er wird das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen«. Wir wollen demnach sechs Trostgründe für schwachgläubige Seelen festhalten: 1. Die Schwachheit des Glaubens schließt keinen von der Nachfolge Jesu aus. 2. Der schwache Glaube ist auch ein wahrer Glaube. 3. Der schwache Glaube sowohl als der starke hat Jesus bei sich. 4. Das Gefühl der Schwachheit des Glaubens ist heilsam und nützlich. 5- Das Gebet eines Menschen, der schwach im Glauben ist, ist auch ein Gebet, das erhört wird. 6. Das Kämpfen und Ringen eines Menschen, der schwach im Glauben ist, endet meist in einem herrlichen Sieg. Gebet: Herr Jesus, stärke uns den Glauben. Du hast ja selbst verheißen, du wollest das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen. Beweise dies auch an uns, du freundlicher Erbarmer; blase das glimmende Fünklein an und laß deine Gotteskraft in unsrer Schwachheit mächtig sein. Amen. Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. Matthäus 5, 6 Hier ist nicht die Rede von leiblich Hungernden und Dürstenden, sondern von solchen, die einen geistlichen Hunger und Durst in ihren Seelen empfinden. Obgleich auch jene von dem liebreichen und gütigen Schöpfer täglich gespeist und getränkt werden, so haben doch diese, nämlich die geistlich Hungernden und Dürstenden, vor jenen einen ungemein großen Vorzug. Der leibliche Hunger und Durst ist keine Seligkeit, sondern vielmehr eine peinliche Empfindung, die in unserem Leib entsteht, wenn die Nahrungssäfte einen merklichen Abgang erlitten haben. Von den geistlich Hungernden und Dürstenden sagt unser lieber Heiland, daß sie selig seien. Sie befinden sich in einem seligen und gottgefälligen Zustand, in dem sie fähig sind, aller Güter seines Gnadenreiches teilhaftig zu werden. Leiblich Hungernde und Dürstende sehnen sich nur nach leiblichen und vergänglichen Gaben, nach einem Stücklein Brot oder anderen Speisen und nach einem frischen Trank, ihren Durst zu stillen. Die geistlich Hungernden und Dürstenden sehnen sich nach geistlichen und göttlichen Gütern und Gaben, nach der Gerechtigkeit Jesu, durch die ihr geistlicher Mangel behoben und die Gemeinschaft mit Gott wieder hergestellt werden kann. Leiblich Hungernden und Dürstenden kann ihr Verlangen nicht immer erfüllt werden, weil entweder eine große Teuerung entsteht oder weil sie sich in einem dürren Lande befinden und weder Brot noch Wasser haben. Geistlich Hungernde und Dürstende dagegen können immer, zu allen Zeiten und an allen Orten das finden, was sie verlangen. Leiblich Hungernde und Dürstende spüren doch bald wieder, obgleich sie gesättigt und getränkt werden, den vorigen Hunger und Durst, weil die zu sich genommene Speise und der Trank immer wieder verzehrt und die Kräfte geschwächt werden. Geistlich Hungernde und Dürstende dagegen werden in der Gerechtigkeit Jesu und in den Gnadengütern seines Reiches so gesättigt, daß ihre geistlichen Lebenskräfte von Tag zu Tag vermehrt werden, bis sie endlich zu dem vollkommenen Genuß aller Seligkeiten durchdringen. So selig sind sie, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit! O daß auch unter uns Seelen wären, die nach Gott, nach Jesus und seiner Gnade, nach seinem Wort und seiner Gerechtigkeit einen recht verlangenden Hunger und Durst bei sich empfänden! O daß niemand unter uns mehr hungerte nach den Scheingütern dieses Lebens, nach vergänglicher Ehre, nach Reichtum und Wollust der Welt, daß doch niemand mehr dürstete nach den unreinen Mistpfützen der Sünde, bei denen der arme unsterbliche Geist so gar nicht befriedigt und gesättigt werden kann, sondern vielmehr aufs erbärmlichste zermartert und geplagt wird! Ei, daß doch jedermann hungerte und dürstete nach der Gerechtigkeit und mit David sprechen könnte: »Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue?« O wie herrlich würden wir gesättigt werden! Der liebe Heiland hat's verheißen: »Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden«. Maria rühmt: »Die Hungrigen füllt er mit Gütern, aber die Reichen läßt er leer«. Unser Herr Jesus sättigt so gern alles, was lebt, mit Wohlgefallen. Er hat seine Freude daran, wenn er seine milde Hand und seinen reichen Schoß auftun und die Hungrigen mit Wohltaten überschütten kann. Gebet: Herr Jesu, wirke in uns Hunger und Durst nach deiner Gnade. Wir wissen selber nicht, was uns fehlt. Gib es uns zu erkennen und laß uns unsern Mangel fühlen. Hilf ihm aber auch ab, und stille unsern Seelenhunger, so wollen wir dich preisen. Amen. Vergebet, so wird euch vergeben! Lukas 6, 37 Das Vergeben findet statt bei Fehlern und Sünden, die unser Nächster an uns begangen hat. Dazu sind die Herzen der Menschen von Natur gar nicht aufgelegt. Sie pflegen die Beleidigungen, die ihnen angetan werden, in Erz und Marmor einzugraben. Oft sind sie so feindselig und unversöhnlich, daß sie von keiner Vergebung etwas wissen wollen, sondern einander vor das Jüngste Gericht laden und in ihrer Unversöhnlichkeit in den Abgrund der ewigen Verdammnis dahinfahren. Bußfertige Seelen aber sind zur Ausübung dieser Christenpflicht bereit und willig. Sie sehen sich selber als die Schalksknechte an, die dem großen König mehr als zehntausend Taler schuldig gewesen sind und sie geschenkt erhalten haben. Warum sollten sie ihrem Mitknecht nicht auch hundert Groschen schenken? Sie sehen sich an als Pilger, die immer zwei Bündel auf ihren Achseln tragen, ein großes und ein kleines. Das kleine hängt hinten hinunter: es sind die Beleidigungen und Sünden ihres Nächsten; das große aber hängt vorne herab; das sind die eignen Sünden. Es ist in ihren Augen so groß, daß sie das andere darüber vergessen. Wenn sie also mit Petrus fragen: »Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist's genug siebenmal?« dann antwortet ihnen der Heiland: »Ich sage nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal!« Dazu werden sie durch die Gnade tüchtig, und dadurch erlangen sie den Vorteil, daß sie wieder Vergebung empfangen, redliche Vergebung, ewige Vergebung, so daß aller ihrer Sünden nicht mehr gedacht werden soll. Es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest zuerde, welches geschieht durch Gnade. Hebräer 13, 9 Das allerwichtigste Geschäft aller, die ihre Seele gern retten möchten, ist dies, daß sie Gnade suchen und der Versöhnung mit Gott durch Jesus Christus, unsern Heiland, teilhaftig werden. Wenn aber ein Mensch auch dahin kommt, daß er von der Gnade ergriffen, herumgebracht und in die Gemeinschaft des Heils, das in Christus liegt, eingeführt worden ist, darf er deswegen nicht glauben, daß nun alle Berge überstiegen seien und er sicher und sorglos sein könne. O nein, es schleichen viele Feinde um eine begnadigte Seele herum, die sich bemühen, sie wieder aus der erlangten Gnade herauszutreiben und in den vorigen elenden und gnadenlosen Zustand zurückzuziehen. Da ist es dann ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde in der Gnade, daß man recht in Christus eingewurzelt werde wie ein starker Baum, der auch durch die gewaltigsten Sturmwinde nicht mehr herausgerissen werden kann. Nach dieser Festigung des Herzens in der Gnade sollten alle trachten, die bereits von ihr angefaßt und aus dem Stand des Zorns und der Ungnade errettet worden sind. Es sollte ja keiner sich leichtsinnig, träge und saumselig machen lassen, damit der Feind nicht Gelegenheit finde, ihm die einmal erlangte Gnade zu rauben und ihn in die vorige Finsternis der Sünde und des Unglaubens wieder hineinzureißen. Gottes Wort zeigt uns, welch eine betrübliche Sache es ist, wenn man ein ungefestigtes Herz hat, wenn man die einmal erlangte Gnade wieder verliert, wenn man der Vergebung der Sünden wieder verlustig geht und aus einem Kind des Friedens ein Sklave Satans wird. Ach, daß wir durch diese Vorstellung uns doch erwecken ließen, alle Treue zu beweisen, damit wir den seligen Frieden mit Gott unverrückt genießen möchten. Gebet: Großer Gott, sei uns gnädig um deines großen Namens willen. Wir sind treulose Knechte und Mägde, die dir mehr als zehntausend Pfund schuldig sind, und wir könnend dir nicht bezahlen. Wir können nichts auftreiben, deine Gerechtigkeit zu befriedigen. Wenn nicht dein lieber Sohn, unser Erlöser und Bürge, für uns bezahlt hätte, müßten wir ewig in deinem Schuldturm schmachten; aber um deines Sohnes willen willst du uns gnädig sein und uns alle unsre Schuld erlassen. Du willst uns unsre Sünden vergeben, daß ihrer ewiglich nicht mehr gedacht werden soll. Dies laß uns doch in tiefster Demut erkennen. Zu diesem Gnadenstuhl führe uns hin, daß wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden. Lehre uns auch, die einmal erlangte Gnade sorgfältig zu bewahren. Befestige unsre Herzen in der Gnade, erhalte uns in der Gnade und mache uns fruchtbar zu allem Guten durch die Gnade. Ohne Gnade ist alles Pein; laß sie allein mein Leben, meinen Himmel sein! Amen. Der Christ und das Wort So oft ihr das Wort Gottes hören, lesen oder betrachten wollt, bereitet euch vor mit herzlichem Gebet und Flehen. Wenn ihr auf dem Wege seid, den öffentlichen Gottesdienst zu besuchen, so heiligt alle eure Tritte und Schritte mit innigem Seufzen, daß der Herr nicht nur dem, der das Wort vortragen soll, sein Herz erleuchten, seine Lippen salben und seinen Mund auftun wolle, damit es in göttlicher Kraft verkündigt werden möge, sondern auch eure Herzen zu einem feinen und guten Land zubereiten wolle, in das der köstliche Samen eindringen und reiche Frucht bringen könne. So oft ihr eure Bibel oder ein anderes gutes Buch in die Hand nehmt, flehet herzlich: Ach Herr, öffne mir die Augen, daß ich sehen möge die Wunder an deinem Gesetz! Tue mir das Herz auf wie der Lydia, damit ich verstehe, was ich lese, und es meiner Seele zur Nahrung und meinem inneren Menschen zur Stärkung werde! Habt ihr euch auf solche Weise zum Hören und Betrachten des göttlichen Worts vorbereitet, dann seht zu, daß ihr während dieser Zeit ein stilles und zu Gott gekehrtes Herz behalten mögt. Laßt unter diesem heiligen Geschäft keine fremden Gedanken bei euch aufkommen. Schließt die Tür eurer äußeren Sinne zu, und richtet eure ganze Aufmerksamkeit auf das, was ihr hört und leset. Stellt euch vor, daß ihr jetzt vor dem Angesicht des lebendigen Gottes steht, der durch den Mund seiner Knechte mit euch redet. Faßt gleichsam alle Worte auf mit heiliger Begierde und nehmt es nicht an als Menschenwort, sondern, wie es denn wahrhaftig ist, als Gottes Wort. Wenn ihr auch nicht alles behalten könnt, dann achtet besonders auf das, was bei eurer eignen Lage am meisten ans Herz dringt. Unter dem Lesen und Hören fahrt auch fort mit inbrünstigem Seufzen, daß der Herr euch alles zum Segen werden lassen möge. Hütet euch sorgfältig, daß ihr euch nach dem Hören und Betrachten des Worts nicht wieder zerstreuen laßt. Geht nicht sogleich vor den Kirchentüren wieder ein auf eitles Geschwätz und unnötiges Geplauder. Seid solche Leute, denen ein teures Kleinod anvertraut worden ist. Sucht es nun in der Stille zu bewahren und an der rechten Stelle in eurem Herzen unterzubringen bis auf die Zeit, da ihr es hervorholen und gebrauchen werdet. Ist es möglich, dann werfet euch auf der Stelle oder doch noch am gleichen Tage vor dem Herrn auf eure Knie und bittet, daß er selbst euch das Wort in euren Herzen versiegeln wolle. Denkt dem weiter nach, was ihr gelesen und gehört habt. Redet davon mit den Eurigen oder mit andern wahren Christen. Freut euch über das Wort als über eine große Beute und dankt dem Herrn, daß er euch wieder neue geistliche Kräfte geschenkt hat. Sucht auch auszuüben, was ihr gehört und gelesen habt. Laßt das Wort Gottes eures Fußes Leuchte und ein Licht auf eurem Wege sein. Verlangt nach ihm immer eifriger, und achtet es höher als alle Schätze der Welt. Wenn ihr euch so verhaltet, dann werden die Absichten des Satans an euch zuschanden werden. Er wird euch das Wort wohl lassen müssen. Euer Glaube wird dadurch gestärkt, euer inneres Wachstum gefördert. Ihr werdet zur Seligkeit zubereitet und bewahrt werden. Wem es nun darum zu tun ist, der nehme diese gute Lehre an und folge ihr. Die Gnade des Herrn stärke euch dazu. Flehet mit mir: O Gott, du höchster Gnadenhort, verleih, daß uns dein göttlich Wort von Ohren so zu Herzen dring', daß es sein' Kraft und Schein vollbring'! Allerlei Prediger Es ist in kurzen Worten viel gesagt, wenn Paulus seinem Timotheus schreibt: »Tu das Werk eines Predigers des Evangeliums« (2. Tim. 4, 5). Überall finden sich Prediger, die ihren Gemeinden etwas vorzutragen bemüht sind. Was es aber für Prediger sind und wie sie das ihnen anbefohlene Werk treiben und ausrichten, das ist eine andere Frage. Es gibt fleischliche Prediger, die den Weg zum Leben breit und die Pforte zum Reich Gottes weit machen, die zu den Sünden ihrer Zuhörer Stillschweigen und Frieden, Frieden predigen, wo doch kein Friede ist. Sie werden deswegen vom Herrn stumme Hunde genannt werden, die nicht strafen können, und von Paulus Bauchdiener (Röm. 16, 18), denen der Bauch ihr Gott ist. Sie fragen nichts danach, ob die Seelen scharenweise zu- gründe gehen, wenn sic nur ihre reichlichen Einkünfte haben und ihrem Fleisch gute Tage machen können. Sie sind meist auch blinde Prediger, die selbst nicht auf dem rechten Wege wandeln und es auch nicht leiden können, wenn andere darauf zu gehen begehren, und deswegen die Sache Christi verdächtig machen, ja sogar die Ausübung der wahren Gottseligkeit für Phantasie, Ketzerei und Träumerei ausschreien. Von ihnen gilt, was der Sohn Gottes zu den Pharisäern gesagt hat: »Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließet vor den Menschen! Ihr gehet nicht hinein, und die hinein wollen, lasset ihr nicht hineingehen« (Matth. 23, 13). Es gibt gesetzlich gesinnte Prediger, die zwar über den elenden Zustand der Menschen bekümmert sind, über die Sünden und Laster eifern, den maßlosen Fluch, Ungnade und Verderben ankündigen, deren Eifern wie das Eifern Jesu ist, aber das Leben von den Toten fordern und bei allem Dringen auf geheiligtes Leben, auf Vermeidung der Sünden und auf Ausübung des Guten den armen Seelen nicht die rechte Quelle zeigen, wo sie Kraft, Licht und Leben schöpfen können. Mit ihnen allen ist Paulus nicht zufrieden; darum schärft er seinem Timotheus ein: »Tu das Werk eines Predigers des Evangeliums!« Das Evangelium ist die selige Botschaft von der allgemeinen Gnade Gottes in Christus Jesus. Sie steht nun vor aller Menschen Herzen, ermahnt sie, züchtigt sie und bietet ihnen die Kraft an, das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste zu verleugnen und züchtig, gerecht und gottselig in dieser Welt zu leben. Dies soll das Zentrum und der Mittelpunkt der ganzen Lehre für die sein, die Prediger des neuen Bundes, evangelische Prediger heißen wollen. Ihr Werk soll aus seinem unermeßlich weiten Umfang doch immer wieder dahin zusammenfließen, daß sie den Seelen zeigen, wie außer Christus kein Licht, keine Gnade, keine Kraft und keine Seligkeit zu finden, aber in Christus alles anzutreffen sei, was die Menschen selig, heilig und herrlich machen kann. Über solche Prediger, die die Seelen allein zu Christus, geradewegs zu und bis Christus hinweisen, jauchzt Jesaja im Geist, wenn er ausruft: »Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König! (Jes. 52, 7). O daß doch der Herr der heutigen verdorbenen Welt viele solcher treuen Knechte schenken möchte, die da tüchtig wären, das Werk eines evangelischen Predigers zu treiben! Ach, daß doch alle fleischlich Gesinnten geistliche, alle Blinden erleuchtete und alle gesetzlich Gesinnten evangelische Prediger würden, aus deren Worten Milch und Honig der Gnade fließen möchten! Ach, daß sie den Seelen die ewige, die unergründliche Gnade des Erbarmers so lange und so ernstlich und liebreich vorhielten, bis sie ganz gebeugt und demütig in den Schoß Jesu und zu seinen Füßen hinsinken und aus seiner Fülle Kraft und Leben schöpfen könnten! Ach, was sind wir ohne Jesus? Dürftig, jämmerlich und arm! Ach, was sind wir? Voller Elend, o Herr Jesu, dich erbarm! Laß dich unsere Not bewegen, die wir dir vor Augen legen! Verherrliche deinen Jesusnamen an uns allen. Befreie uns von unsrem großen Verderben. Zieh uns hinein in deine Liebe und laß uns erfahren, daß dein Evangelium eine Gotteskraft sei, alle selig zu machen, die daran glauben. Amen, ja es geschehe also! Amen. Leiden in der Nachfolge Jesu In der Nachfolge Jesu gibt es etwas zu leiden. Dies sagt der treue Heiland dem Petrus voraus. Er spricht: »Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und wandeltest, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst. Das sagte er aber, zu zeigen, mit welchem Tode er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hat, spricht er zu ihm: Folge mir nach!« denn Petrus ist um des Namens Jesu willen gekreuzigt worden. Was ist das anders als ein deutliches Zeugnis, daß es in der Nachfolge Jesu etwas zu leiden gebe. Der Heiland ist nicht auf Rosen und Lilien, sondern durchs Leiden zur Herrlichkeit eingegangen. Darum hat er uns allen diese Lektion hinterlassen: »Will mir jemand nach-folgen, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach«. Die Welt möchte freilich auch gern selig sein, wenn nur die schwere Pein nicht wäre, die alle Christen leiden. »Welchen aber der Herr liebhat, den züchtigt er. Er stäupt einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt«. Das will dem alten Adam nicht schmecken; er möchte gern immer herrlich und in Freuden leben. Es geht aber nicht an, es wird nichts daraus. Es muß gelitten und gestritten sein. Es ist wahr, der Gottlose hat auch seine Plage, sein böses Gewissen, die heimliche Unruhe seines Herzens und die Furcht vor dem Tode. Die Ungeduld in leiblichen Trübsalen ist ihm Plage genug; denn da kann sich ein elender Weltmensch nicht fassen. Er hat nirgends einen Halt; er wird bitter, grimmig und zornig und möchte nur gern alles zerreißen. Bei dem allem ist einer elend genug daran und will sich doch nicht in die Nachfolge Jesu begeben. In ihr gibt es noch ganz besondere Leiden, die kein Unbekehr-ter erfährt; da muß der alte Mensch sterben und sich in Christi Tod begeben. Dies geht freilich sauer an; man grämt sich gewaltig darüber und meint, es solle nicht sein. Solange einer mit der Welt mitmacht, ist er überall wohl daran. Sobald er aber anfängt sich abzukehren und es mit Christus und seinen Freunden zu halten, wird er ausgespien, verworfen und verlästert, ja sogar unter Druck und vielen Ärgernissen an der Seele gekreuzigt. Da muß ein Christ fein leiden können, wenn er den Ruhm haben will, daß er Christus liebe. Hinter dem Ofen ist gut ein Christ sein. Ohne Leiden ist es keine Kunst, Jesus nachzufolgen. Alle Vier- teljahr ein paar Stunden den Mantel umzuhängen und vor dem Beichtstuhl eine andächtige Miene zu machen, kostet den alten Menschen keinen Tod. Man kann es schon dahin bringen, von äußerlichen und groben Lastern abzustehen, weil es bei der vornehmen Welt eine Schande ist. Das ist aber noch kein wahres Christentum. Dies beweist nur soviel, daß man sich selbst und nicht Jesus liebe. Wenn man Jesus liebt, dann muß man mit ihm in die Schmach und in das Leiden hinein. Da kann man erst zeigen, was einem am nächsten am Herzen liegt. Leidenszeit als Gnadenzeit Es ist kein Mensch in der Welt, so gewaltig und vornehm, so reich und glücklich er auch sein mag, dem nicht zuweilen ein Leidensstündlein über den Hals käme; denn es ist eine unausbleibliche Zugabe des menschlichen Lebens, daß gute und böse Tage, Glück und Unglück, Wohlsein und Leiden miteinander abwechseln. Dies hat auf Seiten Gottes heilige und weise Absichten, damit doch ein jeder bedenken möchte die Zeit, darin er heimgesucht wird. Dem Jakob war die Zeit seines harten Dienstes bei Laban eine gesegnete Zeit, in der er den Herrn mit Ernst suchen lernte. Dem Joseph war die Zeit seiner dreijährigen Gefangenschaft eine gesegnete Zeit, in der er auf die Hilfe Gottes warten lernte. Dem David war die Zeit seiner Verfolgung eine gesegnete Zeit, von der er spricht: »Ich danke dir Gott, daß du mich demütigst und hilfst mir« (Psalm 118, 21). Dem kranken Hiskia war sein Krankenlager eine gesegnete Zeit, in der er die Wundermacht Gottes erfuhr und den Entschluß faßte: Ich werde mich scheuen mein Leben lang vor solcher Betrübnis meiner Seele. Der König Manasse hatte keine gesegnetere Zeit als die, da er in Ketten und Banden lag und anfing, sich zu dem Herrn zu bekehren. So könnte einem jeden die Leidenszeit gesegnet werden, wenn er nur wollte. Freilich gibt es auch unempfindliche Gemüter, die unter allen Schlägen Gottes nicht einmal mürbe werden, wie der Prophet sagt: »Du schlägst sie, aber sie fühlen es nicht; du plagst sie, aber sie bessern sich nicht. Sie haben ein härter Angesicht denn ein Fels und wollen sich nicht bekehren« (Jeremia 5, 3). Allein da sind sie ja selbst schuld daran; es ist hernach kein Wunder, wenn sie dem Gericht der Verstockung anheimfallen. Nach der Absicht des guten Gottes sollte es nicht so sein, sondern wenn eine Plage, eine Krankheit, eine Not, eine Trübsal über einen Menschen kommt, sollte er denken: Nun, wo kommt dies her? Warum werde ich krank? Warum nimmt mir Gott das Liebste, was ich habe? Warum schlägt dies Wetter der Trübsal über mein Haus und Haupt zusammen? Darum, weil mich der Herr aufruft, weil er mich aus meiner Sicherheit, Sorglosigkeit und meinem Leichtsinn aufwecken, mir den Sündenschlaf aus den Augen wischen, mich aus der Zerstreuung in die Stille, mich in die Wüste führen und mir etwas ins Ohr sagen will. Das ist die Ursache, warum die Trübsal über mich kommt. Wohlan denn! Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir. Ich bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße! So kann eine Leidenszeit eine recht bequeme und gesegnete Zeit zur Bekehrung werden. Bei wem unter uns ist es aber dahin gekommen? Wer darf sich in die Augen sehen lassen? Ach, wie wenige mögen es sein, die bei der Musterung unseres Gottes bestehen können? Wie lange aber wollt ihr in einer solchen Ungewißheit bleiben? Wollt ihr euch auf eure Taufgnade berufen? Wo ist sie? Herrscht das Leben und die Liebe Christi noch in euren Herzen? Wie ist es mit eurem Sündenbekenntnis und eurem Gang zum Abendmahl? Was habt ihr seit dem letzten Genuß des Abendmahls schon wieder geredet und getan? Seid ihr der Sünde abgestorben? Lebt ihr Gott in Christus? O elende Leute, sucht doch etwas Besseres! Bleibt nicht in einer solchen peinlichen Ungewißheit stecken, da ihr nicht wißt, ob ihr bekehrt oder unbekehrt, unter dem Zorn oder unter der Gnade, Kinder Gottes oder Kinder der Finsternis seid. Behelft euch nicht mit einer falschen, bodenlosen und trügerischen Hoffnung! Davon habt ihr ja selbst den allergrößten Schaden. Ei, nehmt doch euer Heil wahr, da es euch so nahe ist! Wenn ihr indessen die edle Gnadenzeit verschleudert habt, dann kauft doch die Tage, Stunden und Augenblicke aus, die ihr jetzt noch habt und genießt. Wenn einer einen langwierigen Schaden oder ein schmerzhaftes Gebrechen an seinem Leib hat, läßt er sich's nicht verdrießen, alles anzuwenden, damit er davon befreit werde. Er bedient sich der angenehmen Frühlings- und Sommerszeit, da er die Brunnenwasser und warme Bäder gebrauchen kann. Da setzt er alles beiseite, läßt alle Sorgen und Geschäfte zurück und macht seine Kur durch. Sollte denn eine unsterbliche Seele nicht ebenso viel wert sein? Sollte es sich nicht der Mühe lohnen, einige Tage und Wochen recht auszunutzen, um auf den Zustand eures Herzens und auf das Werk der Gnade zu achten und unter Gebet und Flehen so lange zu ringen, bis ihr spüren dürft, daß es besser mit euch wird und ihr vom Tod zum Leben durchgedrungen seid? Herr Jesu, du bist der Anfänger und Vollender des Glaubens. Du mußt den Glauben in unsern Herzen anzünden, sonst werden wir ewiglich im Finstern bleiben müssen. Es ist dein Werk, daß der Glaube in uns gemehrt, gestärkt und erhalten werde. Ach, in welch einer peinlichen Ungewißheit müßten wir uns unaufhörlich zermartern, wenn du dich nicht unsern Seelen offenbaren und das Wort der Wahrheit durch deinen Geist in unsern Herzen versiegeln wolltest. Erbarme dich unser, da du weißt, wie sehr wir von Natur in der Macht des Unglaubens verstrickt sind. Mache uns los von den höllischen Banden und befestige uns in der Wahrheit, daß wir nimmer wanken, sondern an dir bleiben, dem treuen Heiland, der uns durchbringen will zum rechten Vaterland. Kyrie eleison, Amen. So wahr als ich lebe, spricht der Herr Herr, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe. So bekehret euch doch nun von eurem bösen Wesen! Warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel? Hesekiel 33, 11. Einleitung »Das sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne: Ich weiß deine Werke: Du hast den Namen, daß du lebest, und bist tot.« Dies, Geliebte, ist das bedenkliche Wort, das Johannes auf Jesu Befehl, dem Bischof der Gemeinde zu Sardes Vorhalten mußte. Dieser Bischof wurde zwar von andern dafür gehalten, als ob er auch unter denen wäre, die aus dem geistlichen Tod erweckt und in das geistliche Leben eingedrungen sind; aber er, der die Geister Gottes und die sieben Sterne hat — ich meine den Herrn Jesus, dessen Augen wie die Feuerflammen sind —, ließ ihm ein anderes Zeugnis ausstellen. Er ließ ihm sagen: Ich weiß deine Werke und deinen ganzen Zustand. Du hast nur den Namen, daß du lebest. Es scheint nur so; du wirst von andern dafür angesehen und meinst es wirklich selber, du seist erweckt und lebendig; aber du bist tot, du liegst noch im geistlichen Tod und stehst in Gefahr, des ewigen Todes zu sterben. Wenn du nicht Buße tun und wachsam sein wirst, dann werde ich über dich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, in 1 Aus Brastbcrgers Predigtsammlung »Ordnung des Heils oder die Buße zu Gott und der Glaube an unsern Herrn Jesus Christus«, Reutlingen, 1856, Seite 99—116 welcher Stunde ich über dich kommen werde. O welch eine gefährliche Sache ist es demnach, wenn sich die Menschen so jämmerlich selber betrügen im Hinblick auf den Zustand ihres Herzens. Wie viele mögen wohl auch unter uns sein, die den Namen haben, daß sie leben, und sind doch tot, wie viele, die sich selber für Christen halten und auch von andern als solche angesehen werden; aber der allwissende Heiland denkt und urteilt ganz anders über sie. Das sollte uns zum heilsamen Nachdenken erwecken und uns den Schlaf der Sicherheit aus den Augen wischen. Ich werde die gegenwärtige Stunde dazu verwenden, um mit euch über den elenden Zustand derer zu reden, die noch im geistlichen Tod liegen. Wir haben, wie ihr wißt, die verlesenen Textworte schon einige Mal unseren Betrachtungen zugrundegelegt, und zwar so, daß wir das eine Mal daraus gelernt haben, was die wahre Buße und Bekehrung sei und worin sie bestehe, und das andere Mal, welches die Beweggründe seien, die uns dazu reizen, erwecken und ermuntern sollen. Unter ihnen war der erste Beweggrund der teure Eidschwur des lebendigen Gottes, durch den er auf das feierlichste erklärt, daß er keinen Gefallen habe am Tode des Gottlosen und daß er vielmehr geneigt sei, alles anzuwenden, was zur Rettung des Sünders erforderlich ist. Das hätte ja wohl die Macht des Unglaubens zerbrechen und einen jeden unter uns reizen sollen, sich diesem freundlichen Gott ungesäumt und von ganzem Herzen zuzuwenden. Wenn aber dieser Beweggrund noch nicht genug ist, dann will ich euch nun wieder einen andern vorlegen, der ebenfalls imstande sein sollte, euch aus der gefährlichen Sorglosigkeit herauszubringen. Das ist der geistliche Tod, in dem alle unhußfertigen Menschen liegen. Ich werde euch zeigen: 1. welch ein jämmerlicher Zustand der geistliche Tod ist, 2. wie man aus ihm nur durch eine wahre Bekehrung befreit werden kann. Gebet: Lebendiger Heiland, laß uns deine Lebenskraft an un-sern Herzen erfahren. Von Natur sind wir alle tot in Übertrc- tung und Sünde; und je länger wir in diesem Zustand bleiben, desto gefährlicher steht es um uns. Herr Jesu, ich soll jetzt mit Toten reden; das würde eine unnütze und vergebliche Sache sein, wenn du nicht selbst redetest. So rede denn, daß die Toten deine Gottesstimme hören und leben möchten. Laß eine gewaltige Bewegung in die toten Herzen kommen, daß sie erweckt und zum ewigen Leben erhalten werden. Amen. Wenn uns die Betrachtung des geistlichen Todes, in dem alle unbekehrten Menschen begraben liegen, ein Beweggrund zur wahren Bekehrung werden soll, dann müssen wir vor allem merken: l. welch ein jämmerlicher Zustand der geistliche Tod ist. Es ist überhaupt der Zustand, in dem ein unbußfertiger Mensch in seinem Leichtsinn, Unglauben und seiner Blindheit entweder gar nicht oder doch nicht ernstlich um sein Heil bekümmert ist und weder Lust noch Kraft hat, sich von dem loszureißen, was ihn ins ewige Verderben bringen kann. Das ist der geistliche Tod, in dem der unbußfertige Sünder liegt und von dem der Herr unser Gott in unsrem Text bezeugt, daß er daran keinen Gefallen habe. Es ist der Zustand, von dem Paulus seinen Ephe-sern schreibt, daß sie auch darin gelegen und tot gewesen seien in Übertretung und Sünde, der Zustand, von dem derselbe Apostel an einer andern Stelle bezeugt, daß alle Wollüstigen darin begraben seien; denn er spricht von einer Witwe: »Welche aber ihren Lüsten lebt, die ist lebendig tot«. Das mag wohl ein jämmerlicher Zustand genannt werden; denn er ist nicht nur höchst elend, sondern auch höchst gefährlich. Er ist höchst elend; denn er ist verbunden mit einer großen Blindheit und Unwissenheit in geistlichen und göttlichen Dingen. Wie nämlich ein natürlich Toter nichts weiß von alle dem, was in und außer ihm vorgeht, so ist auch ein geistlich Toter in einem solch finstern Zustand, daß er weder sich selbst noch Gott und Jesus kennt. So groß auch die Erkenntnis sein mag, die ein Unbekehrter haben kann und durch die er über göttliche Wahrheiten zu reden und zu disputieren imstande ist, so ist es doch nur eine tote Erkenntnis und ein leeres Wissen. Er kennt sein eignes Herz nicht, sieht sein angeborenes Verderben nicht ein und merkt nicht, daß so viel Greuel und der Same zu allen Bosheiten in seinem Inwendigen verborgen liegen. Er spricht in seinem Sinn: »Ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts« und weiß nicht, daß er elend und jämmerlich, arm, blind und bloß ist. Wie er nun sich selbst nicht kennt, so kennt er auch Gott und Jesus nicht. Er macht sich lauter falsche Begriffe von der Barmherzigkeit Gottes, auf die er hineinsündigt, und läßt seine Gerechtigkeit und Heiligkeit außer acht. Er sieht Gott an als einen sogenannten guten Mann, der fünf gerade sein läßt und alles nicht so genau nimmt. Er macht Jesus zu einem Sündendiener und braucht sein heiliges Verdienst als ein Polster, auf das er sich hinlegt und sicher weiterschläft. Solch falsche Gedanken hat ein geistlich toter Mensch von der Buße und Bekehrung. Er meint, sie bestehe darin, daß er etwa von den gröbsten Lastern ablasse und alle Vierteljahr die Absolution im Beichtstuhl hole, obgleich das Herz von der Liebe zur Welt und zur Sünde nie gereinigt wird. So blind ist er auch im Blick auf die Lehre vom Glauben, von dem er meint, daß er nur in dem nicht weiter verpflichtenden Gedanken bestehe, nach dem man sich das Verdienst Christi in fleischlichem Vertrauen zueignet und doch dabei weiterhin ein Sklave seiner bösen Neigungen und Gewohnheiten bleibt. So dunkel und finster sieht es bei denen aus, die im geistlichen Tod liegen. Es ist aber auch damit verbunden ein gewaltiger Unglaube, durch den das Herz gegen das Wort der Wahrheit verriegelt wird; er ist eben das Bollwerk, das den armen Menschen im geistlichen Tod gefangenhält. Das ordentliche Mittel, die Menschen aus dem Tod der Sicherheit aufzuwecken, ist das Wort Gottes, gegen welches das Herz eines Unbußfertigen aber verriegelt und verschlossen ist. Er weist die Pfeile der göttlichen Wahrheit von sich ab; er verrammelt und verschanzt sich, so daß man ihn nirgends anpacken kann. Er will der nicht sein, der er doch in der Tat ist. Er ist mit tausenderlei Feigenblättern versehen, mit denen er seine geistliche Blöße bedeckt hat. Er hat ein ganzes System von Entschuldigungen und Ausflüchten an der Hand, mit denen er sich wehren und verteidigen kann. Es ist dann mit dem armen betrogenen und ungläubigen Sünder nirgends etwas anzufangen. Hört er die göttlichen Unterweisungen, dann meint er, er wisse alles schon lange besser und habe nicht nötig, es erst zu lernen. Hört er die göttlichen Drohungen, dann meint er, sie gingen ihn nicht an; es werde so schlimm nicht ablaufen. Hört er die Verheißungen des Evangeliums, dann fährt er mit ungewaschenen Händen zu und wendet auf sich an, was nur bußfertigen Seelen und redlichen Kindern Gottes zugehört. Greift man ihn ernstlich an und sagt zu ihm wie einst Nathan zu David: »Du bist der Mann des Todes«, dann wird er bitterböse und sträubt sich mit Händen und Füßen. Solange die geistlich Toten in diesem Zustand sind, ist das Wort Gottes an ihnen verloren; sie bleiben in ihrem Unglauben verstrickt. Es ist ferner damit eine erschreckende Leichtsinnigkeit und Sorglosigkeit im Blick auf das Heil der Seele verbunden; denn wie ein leiblich Toter sich nicht mehr um Sachen kümmert, die in das diesseitige Leben gehören, so hat auch ein Unbußfertiger keine oder doch wenigstens keine wahre und ernsthafte Sorge im Blick auf die Sachen, die in das jenseitige Leben gehören. Seine Hauptsorge ist: Was werden wir essen, was werden wir trinken? Wie fange ich es an, daß ich Reichtum, Ehre und gute Tage erlange? In diese und ähnliche Sorgen und Gedanken ist der arme Mensch verstrickt; ans Seligwerden denkt er nicht. Das ist seiner Meinung nach eine Nebensache; das wird sich schon geben. Auf dem Kranken- und Sterbebett wird alles gut werden. Wohlauf und laßt uns leben! Laßt uns die melancholischen Grillen in einem Glas Wein ersäufen! Laßt uns einen Zeitvertreib hervorsuchen, daß uns die Zeit nicht so lang werde! Wir wollen doch ebensogut in den Himmel kommen wie die närrischen Leute, die keine gute Stunde haben und ihre Köpfe hängen lassen wie das Schilfrohr. Da ist den elenden Leuten mitten in ihren Sünden so wohl wie den Schweinen in der Mistpfütze. Es fällt ihnen nicht auf, daß ihren Seelen Not und Gefahr droht. Der geistliche Tod hat seine Stufen, so daß ein Mensch vor dem andern einen höheren Grad desselben erreicht. Wir haben davon ein deutliches Bild an drei verschiedenen Personen, die von dem Herrn Jesus in den Tagen seines Fleisches aus dem leiblichen Tod erweckt worden sind. Die eine war des Jairus Töchterlein, die eben gestorben war, die andere war der Jüngling von Nain, den man aus dem Tor heraus zu Grabe trug, und die dritte war Lazarus, der schon vier Tage im Grabe gelegen war und bereits angefangen hatte, in Verwesung überzugehen. So hat auch der geistliche Tod eines Unbußfertigen seine gewissen Stufen. Einige haben erst vor kurzem ihre Taufgnade und ihr geistliches Leben verloren, andere sind schon Sklaven ihrer Lüste und Leidenschaften und werden von ihnen bald zu dieser, bald zu jener Ausschweifung hingerissen. Wieder andere liegen schon viele Jahre in den Gräbern der Sünden und Laster und sind ein stinkendes Aas, das seinen üblen Geruch weit und breit zum Ärgernis aller ehrbaren Menschen von sich gibt. Sie haben lauter faule, scheußlich unreine Gedanken, sie reden faule, stinkende und unzüchtige Worte und wälzen sich in den faulen und stinkenden Werken des Fleisches, die vor Gott und Menschen ein Greuel sind. Wenn aber einer einmal in dem untersten Grad des geistlichen Todes steckt, so ist er aller Lust und Kraft zum Guten beraubt; denn er findet keinen Geschmack daran. Was einem aber nicht schmeckt, das macht einem wenig Vergnügen. Nun findet ein fleischlich gesinnter Mensch sein Vergnügen in lauter fleischlichen Dingen, irdischen Gütern und in eitlen Ergötzungen. In ihnen ist sein Herz ersoffen; darum kann die Freude an Gott und seinem Wort nicht in ihm aufkommen. Wenn er ganze Tage und halbe Nächte in einer elenden Gesellschaft zubringen kann, dann ist das sein Element, in dem er lebt; soll er aber eine Stunde zum Gebet und zur Betrachtung des göttlichen Wortes aufwenden, dann wird ihm die Zeit langweilig, und er wünscht, recht bald wieder von diesem verdrießlichen Geschäft frei zu sein. So unlustig ist man zu allem Guten, wenn man ein totes und erstorbenes Herz hat; wo es aber so aussieht, da ist gewiß auch keine Kraft zum Guten. Man merkt zwar an den unbußfertigen Kindern dieser Welt, daß auch sie Rührung und Überzeugung kennen; denn die vor-laufende Gnade ist allgemein und geht an keines Menschen Herz vorüber. Da gibt es auch bei den elendesten Gemütern tausenderlei heimliche Unruhe, unzählige Gewissensbisse und manche gute Vorsätze, dies und das abzutun und anders zu werden. Die Kinder kommen oft bis zur Geburt; aber es ist keine Kraft da zu gebären. Sie wollen die Besserung von außen anfangen und den inneren Grund ungebrochen lassen. Da geht es nirgends vonstatten. Es geht eine Weile; aber es kommt zu nichts Ganzem, zu keinem Übergang vom Tod ins Leben. Da werden die guten Rührungen wieder erstickt, und die selbstgemachten und auf eigner Kraft aufgebauten Vorsätze fallen wieder zusammen. Solche Leute gleichen einem, der durch ein starkes Geschrei aus dem Schlaf aufgeweckt worden ist, aber bald wieder einschlummert und weiterschläft, weil er das warme Nest nicht hat verlassen und aufstehen wollen. O wie viele haben schon des Anklopfens und der Schläge genug gehabt und sind doch wieder in den geistlichen Tod gesunken. Wenn es nun bei diesem Zustand so elend aussieht, dann kann man leicht erkennen, daß er auch höchst gefährlich sein müsse; denn der geistliche Tod ist der nächste Weg zum ewigen Tod. Wiewohl nun der Herr unser Gott in unsrem Text mit einem teuren Eid versichert, daß er kein Gefallen am Tod des Sünders habe, muß er doch allen beharrlichen Sündern mit Wehmut zurufen: »Warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel?« Mein Wohlgefallen ist es nicht; aber ihr wollt sterben. Ich will euch aus dem geistlichen Tod erwecken; aber ihr wollt mit Gewalt sterben. Geistlich Tote seid ihr schon; jetzt wollt ihr auch des ewigen Todes sterben. Ein solch betrübtes Ende nimmt zuletzt die Sünde und Sicherheit, der Leichtsinn und die Sorglosigkeit der Menschen. Sie sind keinen Augenblick gesichert gegen die Macht des leiblichen und geistlichen Todes; sie tragen ihn mit sich in ihrem Busen umher, und er läuft ihnen auf dem Fuß nach. Wenn sie nun von ihm ergriffen werden in ihrer Unbußfertigkeit, in ihrem eitlen Sinn, in ihrer Unentschlossenheit, in ihrer Doppelherzigkeit, wenn die Botschaft unvermutet zu ihnen kommt: »Wie, höre ich das von dir? Tue Rechenschaft von deinem Haushalten; denn du kannst hinfort nicht mehr mein Haushalter sein!« wenn das Urteil vollzogen wird: »Haue ihn ab, was hindert er das Land!« dann werden sie dahingeschleppt in die finstern Kammern des ewigen Todes. Da ist kein Licht, keine Gnade, kein Wort Gottes, kein Evangelium, keine Zeit mehr, für das Heil der unsterblichen Seele zu sorgen, sondern es ist der Ort und Zustand, wo sie von Gott, der Quelle des Lichts und des Lebens, auf ewig getrennt sind. Es ist der andere Tod, wo ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht verlöscht, wo sie als Schlachtschafe ewig sterben und doch nicht sterben werden. Dieser unaussprechlichen Gefahr sind alle Unbußfertigen jeden Augenblick unterworfen, sie seien jung oder alt, gesund oder krank, vornehm oder gering. Wenn sie sprechen werden: »Es ist Friede und hat keine Gefahr!« dann wird sie das Verderben schnell überfallen. Wer glaubt aber unsrer Predigt, und wer fürchtet sich vor dem Zorn des Allmächtigen? Wer läßt sich dadurch antreiben, daß er in diesem Augenblick in sein Inneres geht und seinen Zustand erforscht, ob er nicht auch unter die Zahl der geistlich Toten gehöre? Das kann man doch bald wissen. Kann man doch auch einem das Jahr, den Monat, die Woche, den Tag, ja die Stunde sagen, in der man leiblicher Weise geboren ist; warum sollte man denn nicht auch das Jahr und die Zeit wissen können, da man zum neuen Leben aus Gott gebracht worden ist? Wir werden jetzt in unsrem zweiten Teil hören, wie man durch eine wahre Bekehrung aus dem geistlichen Tod erweckt und errettet werde. Wir müssen dabei teils ihn betrachten, der einen Sünder aus dem geistlichen Tod erwecken kann und will, teils die Art und Weise, wie es dabei zugeht, teils die Kennzeichen, woran man es merken kann, daß man vom geistlichen Tod errettet ist. Es ist der dreieinige Gott selber, der die Sünder aus dem geistlichen Tod erweckt und in unsrem Text versichert: »So wahr ich lebe, spricht der Herr Herr: Ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß er sich bekehre und lebe«. Er ist es allein, der den Sünder von diesem großen Verderben befreit. Da ist es der himmlische Vater, der den Sünder durch sein Wort rege macht und aufweckt. Da ist es der Sohn Gottes, der sowohl von den leiblich als auch von den geistlich Toten selber bezeugt: »Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, daß die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören, und die sie hören werden, die werden leben«. Da ist es der Heilige Geist, der das selbstsichere Herz angreift und es solange bearbeitet, bis es zum geistlichen Leben gebracht worden ist. Der lebendige Gott kann die Menschen aus dem geistlichen Tod erwecken; denn er hat Macht und Vermögen dazu. Menschenkräfte reichen dazu nicht hin. Wie sich kein leiblich Toter selber lebendig machen kann, so kann auch kein Mensch sein eignes Herz beleben und lebendig machen. Der Herr, der lebendige Gott, muß es tun. Der Herr Jesus, der in den Tagen seines Fleisches dem verstorbenen Lazarus mit seiner gewaltigen Machtstimme zugerufen hat: »Lazarus, komme hervor!« der ist noch jetzt die Auferstehung und das Leben. Er hat durch seinen Tod dem geistlichen und ewigen Tod die Macht genommen und den Menschenkindern das Recht zum Leben erworben. Er will es aber auch tun; denn er will nicht, daß jemand verloren werde, sondern daß sich jedermann zur Buße kehre. Er will, daß allen Menschen geholfen werde und alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Er hat ja erklärt: »Ich will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben und solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun«. O wer doch nur sein Gnadenwerk nicht hindern wollte, der würde bald erfahren, was die Kraft Gottes vermag! Die Art und Weise, wie Gott diese Erweckung aus dem geistlichen Tod zustande bringt, ist wunderbar und herrlich. Sie läßt sich aber besser erfahren als weitläufig beschreiben. Bei manchen geht es schnell, bei manchen aber aus eigner Schuld langsam. Es geht schnell mit der Erweckung zu, wenn die Seelen, sobald sie den ersten Aufruf der Gnade hören und die erste Kraft des Worts an ihrem Herzen empfinden, sich nicht lange mit Fleisch und Blut besprechen, sondern alsbald zufahren, die empfangene Bewegung ins Gebet nehmen, sich vor dem Herrn demütigen, sich ohne Ausnahme dem Herrn Jesus ergeben und sich der Kur seiner Gnade überlassen. Bei solch willigen und folgsamen Seelen kann es über Nacht zu einem seligen Bruch kommen, so daß aus einem schnaubenden Saulus ein begnadigter Paulus und aus einem Verfolger ein Jünger Jesu wird. Bei anderen aber geht es aus eigner Schuld bei dieser Befreiung vom geistlichen Tod langsam zu, wenn sie entweder der wirkenden Gnade lange Zeit widerstreben oder wenn sie zuviel vernünfteln, kritisieren und disputieren, wenn sie nicht allem, was die Welt hat, auf einmal absagen, wenn sie aus Menschenfurcht ihre innere Unruhe niemand entdecken, wenn sie aus Menschengefälligkeit ihre vorigen guten Freunde und Kameraden aus der Welt nicht vor den Kopf stoßen, wenn sie aus unzeitiger Blödigkeit nicht zu Christus mit all ihrem Verderben hingehen und wenn sie sonst etwas ausdingen wollen, das mit der Gemeinschaft Gottes und Jesu Christi nicht bestehen kann. Da geht es langsam her, bis solch zaudernde Gemüter die Bande des geistlichen Todes zerreißen und von der Macht der Sünde und des Unglaubens loswerden. Bei allen, es gehe schnell oder langsam, muß es doch zu einem ernstlichen Durchbruch kommen, wenn sie ihre Seele retten wollen. Dieser ernstliche und völlige Übergang aus dem Tod ins Leben hat seine bestimmten Kennzeichen, an denen man ihn merken kann. Man merkt es an der Bewegung des Herzens, daß einer nicht leiblich tot, sondern lebendig sei. Es haben ja die Naturforscher durch fleißige Beobachtung gemerkt, daß das Herz im Menschen zuerst anfängt zu leben. So kann einer auch an der Ergriffenheit und Bewegung und inneren Erschütterung seines Herzens merken, daß er nimmer geistlich tot sei; denn die Erweckung aus dem geistlichen Tod fängt im Innern, im Herzen an. Sie zermalmt die Härte des Herzens und macht es weich. Sie nimmt die Kaltsinnigkeit des Herzens weg und fängt an, es zu erwärmen. Sie behebt die Unempfindlichkeit des Herzens und macht es beugsam und weich. Wer dies an sich fühlt, bei dem ist der Anfang der Erweckung aus dem geistlichen Tod gemacht. Man kann es am Schlagen der Pulsadern merken, daß einer nicht mehr leiblich tot, sondern lebendig sei. Wenn sie sich regen, kann man daraus entnehmen, daß Leben vorhanden sei. Bei der Erweckung aus dem geistlichen Tod regen sich die Pulsadern des Gewissens. Es wird in der wahren Bekehrung rege gemacht, so daß es anfängt, sein Amt zu tun. Es bestraft einen für die begangenen und gegenwärtigen Sünden, zieht sie ins Licht, tadelt alles und nimmt es in Zucht, wenn es auch nur der verborgenste Gedanke wäre, der dem reinen Auge Gottes mißfällig ist. Wer die Zucht und innere Rührung seines Gewissens bei sich fühlt und darauf merkt, hat daran ein Kennzeichen, daß er im Anfang der geistlichen Erweckung stehe. Man kann es am Aus- und Eingehen des Atems merken, daß einer nicht leiblich tot, sondern lebendig sei. Wenn er ausbleibt, dann ist der Tod vorhanden; solange man ihn aber noch spürt, ist noch Leben in dem Menschen vorhanden. So ist es auch bei der Erweckung aus dem geistlichen Tod. Der Odem des geistlichen Lebens ist das Gebet. Sobald es in heiligen und ernstlichen Seufzern zu Gott anfängt aufzusteigen, merkt man auch, daß das Herz ein Fünklein geistlichen Lebens empfangen habe. Je mehr es nun zunimmt, je gläubiger, brünstiger, ernstlicher und kindlicher es wird, desto mehr muß die Macht des geistlichen Todes weichen und die Kraft zum Leben sich einstellen. Man kann es auch aus dem Gebrauch der Zunge und der Sprache entnehmen, daß einer nicht mehr leiblich tot sei, sondern lebe. Es heißt von jenem Jüngling, den Jesus auferweckt hatte: »Der Tote richtete sich auf und fing an zu reden«. Daran merkte man, daß er nicht mehr tot war. So geht es bei der Erweckung aus dem geistlichen Tod zu; sobald ein Mensch anfängt geistlich zu leben, tut sich sein Mund auf. Er empfängt eine gelöste Zunge, geht aus seinem Herzen heraus, klagt sich selbst an und sucht einen vertrauten Freund, dem er seine Not entdecken und seinen Kummer offenbaren kann. Da merkt man bald, worauf es hinausgeht, und man erkennt, daß der Tod der Sicherheit vertrieben wird. Man kann aus dem Gebrauch der äußeren Sinne, des Gesichts, des Gehörs, des Geruchs, des Geschmacks und des Gefühls merken, daß einer nicht mehr leiblich tot, sondern lebendig sei. So kann man es auch merken, daß einer nicht mehr geistlich tot sei, wenn er die inneren und geistlichen Sinne gebrauchen kann, wenn er offene Augen hat, sich selbst, Gott und Jesus zu erkennen, wenn sein Ohr geöffnet ist, die Stimme des Herrn zu verstehen, wenn er ein zartes Gefühl von Sünde und Gnade in seinem Gewissen hat, wenn sein Geschmack an göttlichen Dingen zunimmt, wenn der Name Jesus einem so herrlich wie eine ausgeschüttete Salbe riecht. Siehe, daran kann man merken, daß der geistliche Tod gewichen sei! Es wird auch daran deutlich, daß einer nicht mehr leiblich tot, sondern lebendig ist, wenn er seine Seelenkräfte gebrauchen kann, wenn sein Verstand, sein Wille und sein Gedächtnis in Ordnung sind, so daß er etwas fassen, begreifen, wählen, verwerfen und behalten kann. So merkt man es auch an den geistlichen Seelenkräften, daß man nicht mehr geistlich tot sei, wenn der Verstand mit göttlichem Licht, der Wille mit göttlicher Liebe und das Gewissen mit göttlichem Frieden anfängt durchdrungen zu werden. Das ist ja ein offenbares Kennzeichen, daß man nicht mehr im geistlichen Tod sei, wie Johannes schreibt: »Wir wissen, daß wir vom Tod zum Leben gekommen sind; denn wir lieben die Brüder« (1. Joh. 3, 14). Man entnimmt es auch dem Appetit oder der natürlichen Begierde nach Speise und Trank, daß einer nicht leiblich tot, sondern lebendig, ja gesund sei. Wenn einem Essen und Trinken wohl schmeckt, dann spricht man: Gottlob, ich bin munter und gesund; es schmeckt mir alles wohl, was ich esse und trinke! So ist es ein offenbares Kennzeichen, daß man nicht geistlich tot, sondern lebendig ist, wenn einem das Wort Gottes, die köstliche Seelenspeise, wohl schmeckt, wenn man dessen Kraft empfindet, wenn man daran seine Freude hat und in ihm so recht sein geistliches Wohlleben sucht. Endlich sieht man auch, daß man nicht leiblich tot, sondern lebendig ist, wenn man auf seine Füße treten, gehen und stehen, wenn man wandeln, schaffen und arbeiten und nach der Arbeit wieder schlafen und ruhen kann. So ist es auch ein ganz untrügliches Merkmal der Errettung aus dem geistlichen Tod, wenn man nun wandeln kann im Licht der göttlichen Gnade, wenn man mit Lust und Freude seine Kräfte im Dienst Gottes verzehrt, das Joch Jesu gern und willig trägt, die Schmach Jesu auf sich nimmt und ihm nachfolgt, dabei aber auch im Element seiner Gnade und Versöhnung ruht, die Sünde haßt, die Welt mit ihrer Lust verschmäht und sich mit innigem Verlangen nach dem Ewigen und Himmlischen sehnt. Das sind die Kennzeichen, an denen man merken kann, ob man aus dem geistlichen Tod errettet und von ihm befreit sei. Daran prüft euch nun, Geliebte; denn es muß euch daran gelegen sein! Ihr müßt wissen, ob ihr tot oder lebendig seid, ob ihr ins Reich Gottes eingedrungen seid oder ihm noch ferne steht. Habt ihr noch tote, kalte, erstorbene, in Liebe zur Welt und Sünde verstrickte Herzen ohne Licht, ohne Gnade, ohne ernstlichen Kummer über euer ewiges Heil, ohne Kraft und Lust zum Guten, aber voll Eigenliebe, Hoffart, Schalkheit, Sicherheit und Leichtsinn, Zorn und Feindseligkeit, Trägheit und Schläfrig- keit? Ach, dann sieht es gefährlich mit euch aus! Ihr liegt noch im geistlichen Tod. Ihr habt nur den Namen, daß ihr lebt; aber ihr seid tot. Euer Wissen ist tot, euer Schwätzen ist tot, euer Glaube ist tot, eure Hoffnung ist eine tote und betrogene Hoffnung, und ihr könnt in diesem Zustand heute oder morgen dahinfahren in den ewigen Tod. Laßt es nicht darauf ankommen! »Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten!« Wendet euch noch heute zu dem lebendigen Heiland! Legt eure toten Herzen vor ihm nieder; bittet um Gnade zum Leben, und laßt nicht nach mit Flehen, bis ihr vom Tod zum Leben durchgedrungen seid! Verwendet aber auch zu eurer Beruhigung diese Kennzeichen, ihr Seelen, die ihr durch die Gnade zum geistlichen Leben erweckt worden seid! Ihr sagt immer, daß ihr noch im Tode liegt; der Herr hat euch aber lebendig gemacht: ihr spürt es ja in euren Herzen, daß geistliches Leben darin ist. Die Pulsader eures zarten Gewissens schlägt auch bei der geringsten Abweichung. Ihr fühlt den Odem des geistlichen Lebens im Gebet und in unaussprechlichen Seufzern. Euer Mund ist aufgetan, daß ihr von dem reden könnt, was die Gnade in euren Seelen wirkt. Eure geistlichen Sinne sind aufs Gute gerichtet. Eure inneren Kräfte sind mit der geistlichen Lebenskraft Jesu tingiert. Ihr hungert und dürstet nach dem Wort des Lebens und habt daran einen köstlichen Geschmack. Ihr bemüht euch im Dienste Gottes etwas zu arbeiten, obgleich ihr noch schwach und kraftlos sein möget. Ihr habt euch aufgemacht; ihr seid von dem breiten Weg der Welt abgetreten und begehrt jetzt Jesus nachzufolgen. Eure Seele kann auch sonst nirgends ruhen als in Jesus und in seiner Gnade. Nicht wahr? Nun so seht, das sind deutliche Beweise, daß ihr nicht mehr geistlich tot seid. »Darum danksaget dem Vater, der uns tüchtig gemacht zu dem Erbteil der Heiligen im Licht, welcher uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes, an welchem wir haben die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden!« (Kol. l, 12—14). Bewahret die geistlichen Lebensfünklein wohl, die euch mitgeteilt sind! Geht einher in der Kraft des Herrn, zerreißet alle Bande und Stricke, die euch wollen gefangenhalten und seufzet täglich: Liebe, zeuch uns in dein Sterben: laß mit dir gekreuzigt sein, was dein Reich nicht kann ererben; führ ins Paradies uns ein! Doch wohlan, du wirst nicht säumen, laß uns nur nicht lässig sein; werden wir doch als wie träumen, wenn die Freiheit bricht herein. Amen. Lebendiger Gott, du hast mit einem teuren Eid versichert, daß du kein Gefallen habest am Tode des Gottlosen, sondern daß er sich bekehre und lebe. Es ist ein erbärmlicher Zustand um den geistlichen Tod, wenn die armen Seelen ohne Licht, ohne Gnade, ohne Kraft und ohne Hoffnung dahingehen und am Ende in den ewigen Tod versinken. Es ist aber etwas Liebliches, Seliges und Herrliches in dir, in deiner Gnade und Gemeinschaft zu leben und wiedergeboren zu sein zu einer lebendigen Hoffnung. Ach, erwecke uns alle aus dem geistlichen Tode; ach, bringe uns alle zum neuen, geistlichen und göttlichen Leben. Du bist ja nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen. Du willst lebendige Leute in deinem Reich haben, die auch imstande sind, dir zu leben, dich zu lieben und dir zu dienen. Mache uns zu solchen seligen Gottesmenschen. Dein Wort ist Geist und Leben; laß uns seine Kraft erfahren zu unsrem Heil und zu deinem Lob, du Liebhaber des Lebens. Amen. Was einstmals der Herr seinem Knecht Jeremia sagte: »Du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen, was ich dich heiße. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten!« (Jer. 1, 7. 8) das ist auch jetzt mein Stab, an den ich mich halte, da ich heute das erste Mal an dieser heiligen Stätte vor das Angesicht dieser Gemeinde getreten bin. Der Herr hat mich zu euch gesandt, und ich habe mich entschlossen, in seinem Namen zu gehen. Er hat befohlen, euch zu predigen; und ich werde tun, was er mich heißt. Zwar könnten mir ebenso wie dort dem Jeremia allerlei Bedenken kommen, teils wegen meiner eigenen Untüchtigkeit, die ich mehr als zu gut kenne, teils wegen der vielfachen Hindernisse, die sich in den Gemeinden der heutigen verdorbenen Christenheit zu finden pflegen und die einen Knecht Christi hinlänglich bange machen können. Allein, da der Herr sagt: »Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten«, lasse ich auch diese Bedenken schwinden und trete nun ganz getrost vor eure Herzen hin, um das auszurichten, wozu mich mein guter Jesus gesandt hat. Ach, daß es doch mit großem Segen geschehen möchte; daß mich heute der Herr zur festen Stadt, zur eisernen Säule und zur ehernen Mauer machen würde, um auszuhalten gegen alle listigen Anläufe des Satans und gegen alle Bollwerke der Finsternis, die sich gegen die Erkenntnis Jesu Christi erheben werden; daß mein Jesus in dieser Stunde kräftig anfinge zu beweisen, daß er mit mir sei und mir einen Sieg nach dem andern schenken werde! Auf seiner Seite wird es nicht fehlen. Er wird dem Donner seines Wortes Kraft geben, auch die härtesten Herzen zu zermalmen. Er wird sein Evangelium zum 1 Antrittspredigt in Obereßlingen (1745); aus den »Evangelischen Zeugnissen« Spieß und zur Angel machen, um die Seelen gewaltig anzufassen und in seine treuen Arme hineinzutreiben. Laßt es nur auf eurer Seite nicht mangeln! Da mich der Herr zu euch gesandt hat, nehmt mich mit Liebe und Freundlichkeit auf. Da mich der Herr predigen heißt, hört und nehmt zu Herzen, was ich euch im Namen des Herrn sagen werde. Ich fürchte mich nicht; denn ich weiß, daß Jesus bei mir ist. Ich habe auch ein gutes Vertrauen zu euch, daß ihr mir einen Zugang zu euren Seelen vergönnen und meine Arbeit nicht vergeblich sein lassen werdet. Wenn Paulus seinen Korinthern die Wichtigkeit und Vortrefflichkeit des Predigtamtes anpreisen will, schreibt er ihnen: »So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott vermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasset euch versöhnen mit Gott!« (2. Kor. 5, 20). So sollen sich billig noch jetzt alle Lehrer und Prediger aus-weisen, und so sollen sie auch von ihren Zuhörern angesehen und aufgenommen werden. Der große Gott hat einstmals seinen eignen Sohn in die Welt gesandt, um das zu verkündigen, was in des Vaters Herz von Ewigkeit her im Hinblick auf die Seligkeit der gefallenen Menschen vorgegangen ist. Der treue Hirte verrichtete sein Amt mit der größten Freundlichkeit und Leutseligkeit. Er suchte überall den Sündern zu bezeugen, daß er nicht gekommen sei als ein Richter und strenger Herr, die Welt zu verdammen, sondern daß die Welt durch ihn selig werde. Er ging umher, tat wohl und machte alle gesund, die mit Seuchen behaftet waren. Er lief den verlorenen Schafen nach und rief hinter ihnen her: Kehret wieder, kehret wieder! Warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel? Er ermahnte sie nicht nur, sondern bat sie auch mit inbrünstiger Begier, daß sie die Feindseligkeit gegen ihren gütigen Schöpfer aufgeben, seine Gnade annehmen und sich mit ihm versöhnen lassen möchten. Daher ist er allen, die das Amt der Versöhnung predigen sollen, als ein lebendiges und vollkommenes Muster dargestellt. Nachdem der große Erzhirte durch die Himmelfahrt uns seine sichtbare Gegenwart entzogen hat, hat er seine Knechte ausgesandt, die seine Stelle unter den Menschen vertreten und an seiner Statt Botschafter sein sollen. Sie sollen mit eben demselben Sinn erfüllt sein, von dem das Herz Jesu durchdrungen gewesen ist. Sie sollen nicht Leute sein, die über das Volk herrschen, den Gewissen unerträgliche Lasten auferlegen oder als gesetzliche Treiber den armen Schafen zuviel zumuten, sondern Hirten, die die Herde Christi weiden nicht um schändlichen Gewinnes willen, sondern von Herzensgrund. Sie sollen Herolde sein, die das Evangelium von der allgemeinen Gnade Gottes in Jesus Christus ausposaunen und den Sündern herzhaften und guten Mut zu ihrem Erlöser machen. Sie sollen Botschafter sein, die den Frieden verkündigen, die Gutes verkündigen, die da sagen zu Zion: »Dein Gott ist König!« Sie sollen ermahnen, wie ein Vater seine Kinder ermahnt. Mit aufgehobenen Händen sollen sie bitten, damit sich Seelen bereit finden lassen möchten, auszugehen vom Tod ins Leben, von der Finsternis ins Licht, aus der Gewalt des Satans zu Gott und zu empfangen die Vergebung aller ihrer Sünden und das Siegel der Versöhnung in ihren Herzen. O seliges Geschäft! Wie freue ich mich doch, daß mich der Herr wert geachtet hat, auch unter euch ein Botschafter seiner Gnade zu werden! Wie schätze ich mich so glücklich, daß ich im Namen eures und meines Heilandes vor eure Herzen hintreten darf, um euch an Christi Statt zu ermahnen und zu bitten: »Lasset euch versöhnen mit Gott!« So und auf keine andere Art begehre ich von euch angesehen und aufgenommen zu werden. Was Paulus von seinen Galatern rühmt, daß sie ihn nicht verachtet und verschmäht, sondern als einen Engel Gottes, ja als Christus Jesus aufgenommen haben, da er ihnen das Evangelium in aller Schwachheit predigte, das möchte ich am heutigen Tage auch in dieser Gemeinde erleben. Nehmt mich nicht auf mit Verdruß als einen beschwerlichen Gesetzgeber, als einen Mietling und Lohnknecht, der nur eure Wolle, eure Milch und euren Zehnten verlangt (denn damit wäre mir ja wohl schlecht geholfen), sondern als einen Engel und Boten Gottes, ja als Christus Jesus selber und seid so freudig, wie sich ein Land oder ein Volk freut, wenn der König und Fürst einen Botschafter zu ihnen sendender ihnen die Erlassung aller bisherigen Lasten, Frondienste und Beschwerden und den Genuß aller herrlichen Vorrechte und Freiheiten verkünden und sie noch dazu liebreich ermahnen und bitten soll, daß sie diese Gnadenbeweise annehmen und sie mit frohem Herzen genießen möchten. So und nicht anders nehmt mich heute auf! So und nicht anders werdet ihr mich finden, solange es dem Herrn gefällt, mich bei euch zu lassen. Damit ihr aber in der gegenwärtigen Stunde davon eine Probe habt, will ich damit den Anfang machen. Ich will die nachdrücklichen Worte des Paulus, eines der treuesten Knechte Jesu Christi, zugrunde legen: »Gehorchet euren Lehrern und folget ihnen; denn sie wachen über eure Seelen, als die da Rechenschaft dafür geben sollen, damit sie das mit Freuden tun und nicht mit Seufzen; denn das ist euch nicht gut. Betet für uns!« Ich will daraus entnehmen die erste Bitte und Ermahnung in dem Herrn an eure Herzen und euch Vorhalten: I. Die Bitte und Ermahnung selber nach ihrem Inhalt, II. die Beweggründe, die euch anreizen und erwecken sollen, meiner ersten Bitte und Ermahnung Raum zu geben. Herr Jesu, fange selber an, die Herzen kräftig zu ermahnen und lockend zu bitten, daß sie sich deine Gnadenbotschaft gefallen lassen. Im Vertrauen auf deinen mächtigen Beistand bin ich jetzt zu diesem Volk gekommen, um ihnen zu sagen, wie du, mein Herr, gegen sie gesinnt seist. Du weißt aber, daß ich von mir selber nicht tüchtig bin, nur ein einziges gutes Wort zu reden. Darum tue du selber meine Lippen auf. Teile mir ein großes Maß deiner göttlichen Salbung mit, und sammle dir durch meinen unwürdigen Dienst auch in dieser Gemeinde eine Herde, die deine Stimme hört und dir nachfolgt. Ich weiß, du tust es; denn du bist mein Gott. Du stehst mir bei; du machst deinem Wort Bahn. Du streckst deine Hände nach diesen Seelen aus, und du erreichst an ihnen deine seligen Liebesabsichten. Dafür wirst du Preis und Ehre haben in die ewigen Seligkeiten. Amen. So hört denn meine erste Bitte und Ermahnung in dem Herrn an eure Herzen. Merket: I. die Bitte und Ermahnung selber nach ihrem Inhalt. Sie wird nach dem Sinn des Apostels hauptsächlich in vier Stücke eingeteilt: 1. Gehorchet euren Lehrern, 2. folget euren Lehrern, 3. machet, daß sie ihr Amt mit Freuden tun und nicht mit Seufzen und 4. betet für eure Lehrer! Wollt ihr heute anfangen, diese vier Stücke ernstlich zu bedenken und sie in geheiligter Weise zur Ausübung bringen? O wie gesegnet würde dann mein Eingang in eure Gemeinde sein! Ich bitte und ermahne euch demnach: Erstens: Gehorchet euren Lehrern! Der Apostel versteht unter den Lehrern alle, die vom Herrn berufen und eingesetzt sind, die Herde Christi zu weiden und für ihr geistliches und ewiges Heil zu sorgen. Er nennt sie nach dem Grundtext Führer und Vorausgehende, die nicht nur ihren Zuhörern den Weg zur Seligkeit zeigen, sondern auch selber darauf wandeln und vor ihnen hergehen sollen, wie ein Hirte vor seiner Herde hergeht, wenn er sie aus- und einführt. Er schreibt den Gläubigen aus der Gemeinde der Hebräer, daß sie ihren Lehrern und Führern gehorchen sollen. »Gehorchet euren Lehrern!« Dazu gehören auch hauptsächlich drei Stücke: einerseits daß man die Lehrer höre, andererseits daß man ihre Predigt annehme und ihnen glaube, und zuletzt, daß man die von ihnen verkündigten Wahrheiten ausübe und ihnen gehorsam werde. Soll das Wort eines Lehrers in einer Gemeinde gesegnet sein, dann muß man a. ihn hören. Die Ohren, die uns der gütige Schöpfer gegeben hat, sind gleichsam die Türen, durch die der Schall der göttlichen Wahrheit in unser Herz eindringt und die herrlichsten Wirkungen hervorbringt. Es hat uns aber unser Gott nicht nur leibliche Ohren geschenkt, einen deutlichen Schall zu vernehmen, sondern er hat auch unsern Seelen geistliche Ohren gegeben, das ist eine gewisse Fähigkeit, die Wahrheiten zu erfassen und zu begreifen, die uns gesagt werden. Man muß hören mit leiblichen Ohren, wie der Heiland ausgerufen hat: »Wer Ohren hat zu hören, der höre!« Man muß aber auch hören mit den geistlichen Ohren, wie David sagt: »Höre Tochter, schaue darauf, neige deine Ohren!« Das Hören mit leiblichen Ohren hilft nichts, wenn nicht auch die Ohren des Geistes geöffnet sind und die Seele gerührt wird. Viele Tausende haben einstmals den Herrn Jesus mit leiblichen Ohren gehört und sind doch verlorengegangen. Viele Tausende hören noch jetzt äußerlich die allerherrlichsten und seligsten Zeugnisse der Wahrheit ein Jahr nach dem andern und einen Sonn- und Feiertag nach dem andern und bleiben doch die alten, toten, unbekehrten und unveränderten Leute. Wie nötig ist es daher, daß man nicht nur von außen höre, daß man nicht nur gern höre und sich all der Gelegenheiten bediene, da etwas Gutes und Erbauliches gelesen, gehört und betrachtet wird, daß man nicht nur in der Predigt, in den Katechisationen und Kinderlehren, während des Sündenbekenntnisses und vor dem Altar, im besonderen Umgang und an den Krankenbetten höre, sondern daß man auch innerlich höre, damit der Verstand erleuchtet und der Wille kräftig angerührt werde. Geschieht dies, dann ist damit auch das zweite unfehlbar verknüpft, daß man b. dem Vortrag der Lehrer glaube und die von ihnen verkündigte Wahrheit annehme; denn der Glaube kommt aus dem Hören. Darauf zielt eben das Wort mit eigentlichem Nachdruck, das in unserem Text steht: »Glaubet euren Lehrern!« Die Lehren der Heiligen Schrift sind Sachen, die nicht nur angehört, bewundert, gelobt und gebilligt, sondern auch geglaubt werden müssen. Der Glaube ist das einzige Mittel zur Seligkeit; denn wer da glaubt, der wird selig. Darauf dringt der große Gott allenthalben in seinem Wort. Er will, daß die Menschen glauben sollen, was von seiner ewigen Liebe und seinem Erbarmen, von dem Endzweck seiner Schöpfung und von seiner väterlichen Vorsehung gesagt wird. Er will, daß sie glauben sollen, was von der Sendung seines Sohnes in die Welt, von seinem Leiden, Bluten und Sterben, von seinem Erlösungswerk und seiner herzlichen Begierde, die Sünder selig zu machen, geschrieben steht. Er will, daß sie glauben, was von ihrem tiefen Verderben, ihrem unergründlichen Jammer und Elend, von der Notwendigkeit einer geistlichen Veränderung, von der Ordnung des Heils, von der Bekehrung, der Wiedergeburt, Rechtfertigung, Erneuerung und Heiligung aufgezeichnet ist. Er will, daß sie glauben, was von der Seligkeit der Kinder Gottes, von den Gütern des Heils, der seligen Gemeinschaft mit Christus im Reich der Gnade und von der unaussprechlichen Seligkeit im Reich der Herrlichkeit geschrieben steht. Das soll nicht nur lebendig erkannt und mit kindlichem Beifall als Wahrheit angesehen werden, sondern auch mit herzlichem Verlangen und Zutrauen angenommen und von den Seelen sich angeeignet werden, wie Paulus von seinen Thes-salonichern sagt: »Darum danken wir auch Gott ohne Unterlaß, daß ihr das Wort göttlicher Predigt, als ihr es von uns empfinget, nicht aufnahmet als Menschenwort, sondern, wie es das in Wahrheit ist, als Gottes Wort« (1. Thess. 2, 13). Ist dies der Fall, dann kann es auch am dritten Stück nicht fehlen. Die gehörten und geglaubten göttlichen Wahrheiten werden auch ausgeübt werden. Es wird vom Gehör zum Gehorsam kommen. Wenn der Heiland durch seine Knechte sagt: »Tut Buße und glaubet an das Evangelium!« so werden die Seelen gehorsam sein und in eine wahre Herzens- und Sinnesänderung ein-treten. Wenn der teure Jesus spricht: »Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken!« dann werden die Seelen gehorsam sein und kommen. Wenn der Sohn Gottes sagt: »Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir!« dann werden die Seelen, die es hören und glauben, gehorsam sein und ihm nachfolgen. Wenn der treue Heiland sagt: »Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach«, dann wird es als eine kräftige Aufmunterung ihr Herz durchdringen, und sie werden dieser heilsamen Ermunterung gehorchen. Das ist das erste Stück meiner Bitte und Ermahnung an eure Herzen: Gehorchet nur eurem Lehrer! Hört nicht nur auf das, was euch gesagt wird, sondern nehmt es an, glaubt es, und gehorcht dem Geist, der euch überzeugen möchte! Das andere Stück lautet: »Folget euren Lehrern!« Dies zielt auf die Pflicht der Lehrer, die auch Vorbilder ihrer Herde sein sollen. Ein Prediger, der gute Wahrheiten predigt, aber sie nicht selber tut, der ist ein blinder Leiter, der mit denen, die ihn hören, in die Grube fällt. Von ihnen sagt der Heiland: »Auf Moses Stuhl sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles nun, was sie euch sagen, das tut und haltet; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht tun« (Matth. 23, 2. 3). Es sind elende Leute, die anderen predigen und doch selber verwerflich werden. Sie reißen auf der andern Seite mit ihrem ärgerlichen Leben das wieder nieder, was sie auf der einen Seite mit ihrer Lehre aufgebaut haben. Dies ist dem Sinn Christi und seinem Geist gänzlich zuwider. Lehrer sollen Führer sein, die auf dem Weg der Buße, der Wiedergeburt, des Glaubens und der Verleugnung vorangehen. Sie sollen an Kraft, Gnade und Geist ein weit höheres Maß besitzen als die, die von ihnen geführt werden. Sie sollen unter ihren Zuhörern im Ernst und Fleiß der Heiligung voranleuchten wie die Sonne unter den Sternen, so daß sie mit Paulus sagen können: »Seid meine Nachfolger!« (1. Kor. 4, 16). Welch eine Aufmunterung kann es einer Gemeinde geben, wenn man an dem Wandel des Predigers alles das als ein lebendiges Vorbild finden kann, was Gutes, Heilsames und Erbauliches aus seinem Munde gegangen ist. Da geht der Hirte voran, und die Schafe folgen nach. Da leuchtet der Führer mit seinem Vorbild voran, und die anderen eifern ihm nach. Da ist der Prediger wie ein Feldherr, der die geistlichen Feinde herzhaft und mu- tig angreift und weder Schmach noch Plage, weder Leiden noch Verfolgung scheut, und die Zuhörer kämpfen als die guten Streiter Jesu Christi und werden durch das Vorbild ihres Anführers zu gleichem Ernst gereizt. In solche Verbindung wolle der Herr auch uns untereinander bringen. Ich bin zwar viel zu arm und unwürdig, als daß ich mich euch als Vorbild darstellen dürfte; ich will euch lieber auf das vollkommenste Vorbild des Wandels hinweisen und euch anregen, ihm nachzufolgen. Dabei gedenke ich nicht, jemand unter euch wissentlich oder vorsätzlich zu ärgern; ich möchte nicht unter denen sein, die den Menschen Lasten auflegen, die sie selber mit keinem Finger anrühren. Davor wolle mich der Herr gnädig bewahren. Ich möchte euch nicht allein selig werden lassen; ich will mit euch selig zu werden suchen. Ich will nicht nur predigen, sondern durch Gottes Gnade das tun und selber ausüben, was ich predige. Ich will euch nicht nur die Straße zum Reich Gottes weisen, sondern ich will auch mitgehen und versuchen, dem Vorbild meines Jesu immer ähnlicher zu werden. Kommt nur und schließt euch mir an! Kommt, wir wollen zum Herrn; kommt und beugt eure Knie mit mir öffentlich und daheim; betet mit mir, seufzet mit mir und ringet mit mir, daß ihr durch die enge Pforte eingehet! Es wird euch in Ewigkeit nicht gereuen, Jesus nachgefolgt und auch mir, seinem armen Knecht, nachgeeifert zu haben. Das ist das zweite Stück meiner Bitte und Ermahnung an eure Herzen: Folget mir eurem Lehrer! Dazu kommt das dritte: »Macht, daß eure Lehrer ihr Amt mit Freuden tun und nicht mit Seufzen!« Auch das liegt einem Diener Christi sehr am Herzen. Was ist es doch eine betrübliche Sache, wenn die Lehrer ihr Amt mit Seufzen tun müssen, wenn sie sehen, daß ihre Arbeit an den Seelen vergeblich ist, wenn öffentliche Ärgernisse herrschen und der Strom der bösen Gewohnheiten alles dahinreißt. Sie müssen ihr Amt mit Seufzen tun, wenn die armen Menschen mit aller Gewalt lieber verdammt, verloren und unglückselig bleiben als selig werden wollen. Sie müssen ihr Amt mit Seufzen tun, wenn sich die unter dem Fluch und Zorn befindlichen Sünder so lange umsonst ermahnen und bitten lassen, die Gnade eines barmherzigen Gottes und Heilandes anzunehmen, wenn sie mit dem Herrn Jesus zuletzt klagen müssen: »Jerusalem, Jerusalem, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flügel; aber ihr habt nicht gewollt« (Matth. 23, 37). Sie müssen ihr Amt mit Seufzen tun, wenn bei der reichlichen Darbietung und bei dem Überfluß des göttlichen Wortes alles nur roher, verstockter, boshafter und unempfindlicher wird, wenn sie nach langen Jahren kaum einige Seelen aufweisen können, die sich durch ihren Dienst haben gewinnen und in die Arme Jesu treiben lassen. Ach, das preßt ihnen die tiefsten Seufzer aus. Darüber stehen sie Tag und Nacht mit Tränen vor Gott und können den Zustand einer widerspenstigen Gemeinde nicht genug beklagen. Sucht dies doch zu verhüten, teuerste Seelen! Es ist meine ernstliche Bitte und Mahnung an euch alle: Macht, daß ich mein Amt nicht mit Seufzen tun müsse! Es ist meine Bitte an die Obrigkeit dieses Ortes: Macht,daß ich mein Amt nicht mit Seufzen tue, wenn durch eure Schuld den Sünden Tür und Tor aufgesperrt und den Lastern und Bosheiten freier Lauf gestattet wird! Es ist meine Bitte an die Bürger unsrer Gemeinde: Macht, daß ich mein Amt nicht mit Seufzen tue, wenn ich sehen müßte, daß ihr mir feindselig, lieblos und eigennützig eure Herzen verschlösset! Es ist meine Bitte an Männer und Frauen, an Alte und Junge: Macht, daß ich mein Amt nicht mit Seufzen tue, wenn ihr in Neid, Hader, Zank und Zwietracht und andern Sünden dahinlebtet und den Gang des Reiches Gottes hindern wolltet! Es ist meine Bitte an euch, ihr Kinder: Macht auch ihr nicht, daß ich mein Amt mit Seufzen tue, wenn ich als ein betrübter Zeuge sehen müßte, daß ihr eure Jugend schon dem Teufel opfern und die Blüte eurer Jahre den Lüsten der Welt aufopfern wolltet! Ja, es ist auch meine Bitte an die Lehrer und Eltern der Kinder: Macht auch ihr nicht, daß ich mein Amt mit Seufzen tue, wenn ihr diesen armen Kindern ein Ärgernis geben und mit eurem bösen Vorbild die zarten Rührungen der Gnade wieder ersticken wolltet! Nicht mit Seufzen und bitterer Traurigkeit, sondern mit Freuden möchte ich mein Amt unter euch verrichten. Dies würde aber geschehen, wenn ihr dem Wort des Herrn Raum gebt, wenn ihr euch alle miteinander, Alte und Junge, Jünglinge und Jungfrauen, Herren und Knechte, Männer und Frauen, in die Ordnung des Heils einführen, euch als verirrte und verlorene Schafe suchen und finden und von dem lauen, toten und nichtigen Maulchristentum in die Gemeinschaft mit Jesus Christus bringen ließet. Ach, daß ihr euch alle erbitten ließet, nicht mehr nach eurem vorigen Wandel der Sünde und dem Satan, sondern dem Herrn Jesus Christus zu dienen, der euch so teuer erkauft hat, daß ihr heute den Anfang machtet, weinend und betend zum Heiland zu kommen und euch ihm zu Füßen zu werfen, damit wir alle miteinander heute oder morgen vor den Thron Gottes mit Freuden hintreten können und ich mit wahrem Grund sagen dürfte: Siehe, hier bin ich und die Kinder, die du mir in Obereßlingen gegeben hast! Das würde Freude und eine erwünschte Beute für meinen Jesus sein. Darum ist das dritte Stück meiner Bitte und Ermahnung an euch: Macht, daß ich mein Amt mit Freuden tue und nicht mit Seufzen! Viertens: »Betet für uns!« Das wird ein gesegnetes Mittel und der Kanal sein, alles Gute, was wir nur wünschen und verlangen, auf uns herabzuleiten. Paulus erbittet siclTs fast in allen seinen Briefen von seinen Zuhörern. Wie er für seine Gemeinde fast täglich die Knie beugte und herzlich betete, so wollte er, daß seine Zuhörer auch für ihn bitten möchten, doch nicht nur für ihn und seine Mitarbeiter, sondern auch für sich selbst; denn er schließt sie mit ein: Betet für uns! Darum bitte ich und ermahne ich euch herzlich: Betet für mich und für euch selbst! Betet für mich, daß mich der Herr mit einem reichen Maß der Salbung und des Geistes ausrüsten und mich zu einem tüchtigen und gesegneten Werkzeug machen wolle, eure Seelen aufzusuchen, euch mit Geduld, Liebe und Sanftmut zu tragen und euch zu pflegen wie eine Amme ihr Kind pflegt! Für euch aber betet, daß euch der Herr die Augen eures Verstandes öffnen, euch folgsame, kindliche und gehorsame Herzen schenken, ja euch zu einem gut zubereiteten Erdreich machen wolle, in dem der Same des göttlichen Wortes hundertfältig Frucht bringe! Betet, wenn ihr in dieses Gotteshaus geht, daß der grundgütige Gott mir den Mund und euch das Herz auftue, daß keiner unerweckt und ungerührt und un-bekehrt von dannen gehe! Betet, wenn ihr aus dem Gotteshaus herausgeht, daß der Herr das gepredigte Wort in euch versiegeln und mich bald eine gesegnete Wirkung davon zu seinem Preis sehen lassen wolle! Betet, wenn ihr daheim oder unterwegs seid, wenn ihr euch niederlegt oder wenn ihr aufsteht! Betet allein, betet mit mir in meinem Haus, betet in der Schule, betet mit euren Kindern! Betet alle zusammen, daß der Herr ein rechtes Feuer unter uns anzünde, durch das alle Schlacken der Unlauterkeit, der Bosheit und der Heuchelei verzehrt und unsre Seelen ganz in Liebe zu Jesus entflammt werden! Dies ist das vierte und fast wichtigste Stück meiner Bitte und Ermahnung an eure Herzen. Das ist es, was ich mir gleich zu Anfang so herzlich, brünstig und innig von euch ausgebeten haben will. Ist es etwas Unbilliges? Ist es etwas, das euch schädlich und mir nicht nützlich und erfreulich wäre? O nein, es sind Dinge, über deren Erfüllung wir uns alle in Ewigkeit erfreuen können. Höret auch noch kurz die Beweggründe, die euch reizen und wecken sollen, meiner ersten Bitte und Ermahnung Raum zu geben und sie mir zu gewähren! Wir wollen aus dem Wort des Paulus nur drei erwägen: i. Die Lehrer wachen über eure Seelen. Die Seelen der Zuhörer sind ein unschätzbares Kleinod, das nicht mit vergänglichem Silber oder Gold, sondern mit dem teuren Blut Christi, des unschuldigen und unbefleckten Lammes, erkauft ist. Sie sind ein teures Pfand, das den Lehrern anvertraut ist, daß sie es wieder unversehrt in die Hände Gottes übergeben sollen. Darum müssen sie wachen. Sie müssen dem treuen Jakob nacheifern, der des Tages fast vor Hitze und des Nachts vor Kälte verging und dem oft kein Schlaf in die Augen gekommen ist. Sie müssen Aufseher haben, die ihnen alle hereinbrechende Gefahr zeigen, sie vor dem drohenden Schaden warnen und in alle Seligkeit einführen sollen. Sollte es da nicht billig sein, ihnen zu gehorchen, ihrem Beispiel zu folgen, sie vor allem bitteren Seufzen zu bewahren und ihnen ihr Amt mit Freuden zu erleichtern, ja mit anhaltendem Beten ihnen einen Segen nach dem andern zu erbitten? Wenn einer unter euch auch nur eine Magd oder einen Knecht hat, die ihm für das Seine sorgen, das Vieh und die Güter in acht nehmen und Tag und Nacht bemüht sind, seinen Wohlstand zu fördern, wird er solchen Dienstboten nicht alle Liebe zu erweisen suchen und mit ihnen so umgehen, daß sie ihr Geschäft mit Freuden und mit gutem Willen verrichten können? Sollte aber eine Seele, sollten zehn, hundert, zweihundert Seelen nicht mehr wert sein als Millionen unvernünftiger Tiere? Womit kann man die Liebe der Lehrer vergelten, die über solch teure Seelen wachen und sorgen müssen? Der zweite Beweggrund ist der, daß sie Rechenschaft geben müssen. Diese Rechenschaft wurde dem Propheten Hesekiel ernstlich vorgehalten: »Du Menschenkind, ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel; du sollst aus meinem Munde das Wort hören und sie von meinetwegen warnen. Wenn ich dem Gottlosen sage: Du mußt des Todes sterben, und du warnst ihn nicht und sagst es ihm nicht, damit sich der Gottlose vor seinem gottlosen Wesen hüte, auf daß er lebendig bleibe: so wird der Gottlose um seiner Sünde willen sterben; aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern.« Könnte aber etwas Wichtigeres gesagt werden? Wie leicht ist etwas versäumt und verwahrlost! Wie leicht kann man etwas zuviel und wie leicht etwas zu wenig tun! Welch eine Rechnung würde da herauskommen, wenn das Blut so vieler Seelen unter euch von meiner Hand gefordert werden sollte! Diese Last solltet ihr mir billig versüßen, wenn ihr mir folgen, mir gehorchen und für mich beten würdet. Der dritte Beweggrund ist folgender: Es ist für die Zuhörer nicht gut, wenn die Lehrer ihr Amt mit Seufzen tun müssen; denn da fällt die Rechenschaft auf sie zurück. Das Wort, das sie gehört haben, wird sie richten am Jüngsten Tage. Sie werden keine Entschuldigung haben. Sirach sagt von den Tränen der Witwen: »Fließen nicht die Tränen der Witwe über die Wange hinab, und richtet sich ihr Hilferuf nicht gegen den, der sie hervorgepreßt hat?« (Sirach 35, 15). Jakobus redet von dem Seufzen der Arbeiter, denen der Lohn gekürzt oder vorenthalten wird. Der Lohn schreie zu Gott und klage die ungerechten Leute an (Jak. 5, 4). Ja, Paulus bezeugt sogar, daß Gott das Seufzen der Kreatur höre und dadurch bewegt werde. O wieviel mehr wird er das Seufzen seiner Knechte hören, wenn dem großen Heiland sein Schmerzenslohn vorenthalten wird, wenn sie ihre Hände ausstrecken müssen den ganzen Tag nach einem ungehorsamen Volk. Dies würde euch gewiß nicht gut sein, ihr Lieben. Es würde euch nicht gut sein im Leiblichen, da ihr euch allerhand Gerichte Gottes auf den Hals zöget; es würde aber auch nicht gut sein im Geistlichen, da ihr euch einer großen Seligkeit beraubtet, die ihr genießen würdet, wenn ihr das Amt des Geistes an euch geschehen lassen wolltet. Darum bitte und ermahne ich euch noch einmal: Gehorchet euren Lehrern und folget ihnen; denn sie wachen über eure Seelen, als die da Rechenschaft dafür geben sollen, damit sie das mit Freuden tun und nicht mit Seufzen; denn das ist euch nicht gut! Betet für uns! Nehmt mich ganz hin und gebraucht mich zu eurem Besten! Ich schenke euch hiermit mein Herz; gebt ihr mir das eure! Höret, glaubet, gehorchet, folget, lasset euch mit Freuden lenken und betet! Die Gnade Jesu Christi sei mit euch. Amen. Herr Herr, wecke uns auf aus der schädlichen und gefährlichen Sicherheit, mit der unsere Herzen von Natur eingeschläfert sind. Ach, wie ist doch die Sorglosigkeit in Sachen unsres ewigen Heils so groß, und wie gehen die meisten unter uns so leichtsinnig dahin, als ob sie mit dem Tode einen Bund und mit der Hölle einen Vertrag gemacht hätten! Erbarme dich über solch arme Seelen; laß einen Strahl deines göttlichen Lichts in ihr Inwendiges fallen, daß sie über ihren gefährlichen Zustand heilsam erschrecken, vor deinem lodernden Zorn zittern und anfangen, um ihre Rettung mit Ernst besorgt zu werden. Du, o Gott, bist ja allein der, der die Toten aufwecken kann. So beweise deine göttliche Macht an uns in dieser Stunde und verleihe deinem Wort Kraft, daß es vielen ein Geruch des Lebens zum Leben werde. Amen. Ach Herr, »erforsche mich und erfahre mein Herz; prüfe mich, und erfahre, wie ich's meine. Und siehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.« So hat einstmals dein Knecht David gefleht, und wir haben gewiß Ursache, dich um diese Gnade demütig anzurufen. Ach, wir dürfen ja unsern trügerischen Herzen gar nichts Gutes Zutrauen. Es sind unzählige Schlangensamen darinnen, unter denen sich der Sauerteig der schändlichen Heuchelei verstecken kann. Darum dringe, o Gott, mit deinem Licht in die Herzen ein und decke uns die hintersten Winkel auf. Ziehe den heuchlerischen Pharisäer hervor, und stelle ihn dar in seiner schändlichen Blöße, daß wir uns darüber vor deinem heiligen Angesicht aufrichtig schämen und die Ver- 1 Aus Brastbergers Predigtsammlung »Die Ordnung des Heils oder die Buße zu Gott und der Glaube an unsern Herrn Jesus Christus«, Reutlingen 1856 gebung aller unsrer groben und feinen Heuchelei in dem Blute Jesu Christi mit Ernst suchen mögen. O Herr, schenke uns allen ein gerades und redliches Herz, ein lauteres Auge, einen Geist ohne Falsch, einen aufrichtigen Sinn in all unsrem Tun, damit wir dir gefallen können in Christus Jesus, unsrem Herrn. Amen. Herr Herr, bekehre du uns, so werden wir bekehrt. Ach, es steht ja nicht in unsrer eignen Kraft, unser grundverdorbenes Herz zu ändern. Wir fühlen wohl, daß wir dazu gar keine Kraft besitzen, und doch redest du so freundlich, so herzlich und liebreich mit uns, daß wir unempfindlicher als ein Stein sein müßten, wenn wir uns dadurch nicht erwecken lassen wollten, nach dir zu verlangen. Ach, zünde dies Verlangen nach dir und deiner Gnade in unsren Seelen an, damit wir dir bei deinem brünstigen Verlangen nach unsrem Heil entgegenkommen mögen. Hilf uns, daß wir uns deiner treuen Hand überlassen, uns dir ganz ergeben und auf den Weg treten, auf dem wir als dein geheiligtes Eigentum dir zur Ehre leben und in deiner Gemeinschaft ewig selig sein können. Amen. Herr, unser Gott, du freundlicher Liebhaber unsrer Seelen, du bist nicht der, der die Menschen von Herzen plagt und betrübt. Du möchtest uns ja lieber mit lauter Freude und Wonne in dein Reich cinführen; aber du kennst auch den Leichtsinn unsres verdorbenen Herzens, das manchmal eine scharfe Strafe nötig hat. Du weißt, wie wir meistens von der elenden Weltfreude so trunken sind, daß wir die reine göttliche Freude nicht fassen können, bis wir jenen Unrat ausgespien haben. Ach, so handle denn mit uns, wie du es für gut befindest. Entleide uns die eitle Freude, bezähme unsem leichten Sinn, beuge unsem stolzen Nacken, und führe uns hinein in eine tiefe Erkenntnis unsres Elends und Verderbens. Wirke dadurch in uns eine göttliche Traurigkeit, die da wirket zur Seligkeit eine Reue, die niemand gereut. Führe uns aber auch wieder aus ihr heraus und erfreue alle betrübten Seelen mit dem Licht deines Antlitzes, daß sie dich hoch preisen, wenn ihr Mund voll heiligen Lachens und ihre Zunge voll Rühmens geworden ist über dem großen Heil, das in Jesus Christus ist, deinem Sohn, unsrem Herrn und Erlöser. Amen. Vor dir, o allwissender Gott, und vor deinen hellen Sonnenaugen ist ja alles bloß und aufgedeckt. Du kennst unser Inwendiges, du verstehst unsre Gedanken von ferne, und es ist kein Wort auf unsrer Zunge, das du, Herr, nicht alles wüßtest. Warum wollten wir denn unsre Missetat leugnen und entschuldigen? Wir müssen es ja bekennen, daß nichts Gutes in uns und an uns ist; wir haben ja gesündigt und sind ungehorsam gewesen. Ja, leider geschieht es noch täglich, daß wir sündigen, ehe wir es vermuten. Wir haben viele Sünden an uns, die wir nicht einmal einsehen und verstehen. Das alles bekennen wir mit Wehmut unsres Herzens und beugen uns darüber in den Staub vor deinem heiligen Angesicht. So sei denn gnädig unsrer Missetat, die da groß ist, tilge sie durch das Blut Jesu Christi, des unschuldigen und unbefleckten Lammes, und reinige uns durch deine Gnade von aller Untugend, und schenke uns Kraft, im Licht deines Antlitzes zu wandeln, so wollen wir deine Treue ewig rühmen. Amen. Herr Jesu, lehre uns beten. Du siehst es so gerne, wenn ein Sünder umkehrt und weinend und betend dir naht. Du weißt aber auch, wie einer Seele in ihrer Herzensangst zumute ist und wie das Herz und der Mund oft lange verriegelt bleiben, bis ihre Bande los werden und das Beten seinen Anfang nimmt. Rühre unser aller Herzen an, daß keiner in seinem Leichtsinn dir immerfort den Rücken zukehre. Schenke Gnade, daß wir alle, je eher, je lieber, uns zu dir wenden mögen. Teile allen, die dich suchen, mit die Gabe des Heiligen Geistes, der da ist ein Geist der Gnade und des Gebetes, daß sie in ihrer Sündennot und bei allem Elend in deinem Namen zum Vater beten, im Gebet mit ihm ringen, im Kämpfen und Ringen anhalten und nicht nach-lassen, bis die Last von ihrem Herzen weggenommen ist und sie dich mit fröhlichem Munde preisen können. Amen. Herr, unser Gott, wir erkennen und erfahren es wohl, daß wir nicht aus eigner Vernunft und Kraft an Christus, unsern Herrn, glauben oder zu ihm kommen können. Dazu sind wir ja freilich von uns selbst ganz untüchtig und ungeschickt; und doch können wir ohne Glauben dir nicht gefallen noch selig werden. Ach, erbarme dich doch über uns, lebendiger Gott, und zerbrich in uns die Macht des Unglaubens. Zünde in unsren finsteren Herzen ein Licht an, daß wir dich und deinen Sohn Jesus Christus erkennen lernen. Du hast ja vormals das Licht hervorgehen heißen aus der Finsternis; laß dein göttliches Licht auch in unsre Seelen fallen, daß die Finsternis vertrieben werde und wir dahin kommen mögen, im Lichte deiner Gnade zu wandeln und in ihr selig zu sein. Amen. Dir, o himmlischer Vater, sei Lob und Dank gesagt, daß du uns nicht nur geoffenbart hast, wie und auf welche Weise wir arme Menschen aus unsrem unergründlichen Verderben errettet werden und wieder in den Besitz der verlornen Seligkeit gelangen sollen, sondern uns auch dein heiliges Evangelium verkündigen läßt. Du willst es an unsern Herzen gebrauchen als ein bewährtes, ja als das einzige Mittel, die Macht des Unglaubens in uns zu zerstören und das Licht des Glaubens in unsern Seelen anzuzünden. Ach, laß seine Kraft auch uns erfahren, ja gebrauche es als ein gesegnetes Netz, recht viele Seelen in die Gemeinschaft deiner Gnade hineinzuziehen. Wir bitten dich darum und trauen es deiner Freundlichkeit zu, der du unsre Seelen liebhast. Amen. Heiliger Vater, heilige uns in der Wahrheit, dein Wort ist die Wahrheit. Wir sind in uns und an uns selber unheilige Leute, befleckte Menschen, unreine und verdorbene Kreaturen, die sich vor dem Licht deiner Heiligkeit nicht sehen lassen dürfen; aber dein lieber Sohn hat reines Blut, uns abzuwaschen. Dein Geist kann uns heiligen, von aller Unsauberkeit uns reinigen und nach deinem göttlichen Bild erneuern. Ach, laß uns dazu durch deine Gnade gelangen. Wir möchten nicht nur gern gerecht und selig, sondern auch fromm und heilig sein, wie du uns gerne siehst, daß wir wandeln auf dem Weg deiner heiligen Gebote, dir gefallen in Jesus Christus, unsrem Herrn, und ein guter Geruch würden zum Preis deines göttlichen Namens. Dazu sind wir nicht tüchtig von uns selber; aber du kannst alles in uns wirken, beides: das Wollen und das Vollbringen. Tue es, o Gott, um deiner Liebe willen. Amen. Heiliger Gott, du wohnst in einem Licht, da niemand zukommen kann. Du bist das allerreinste, heiligste und unbefleckteste Wesen, und du willst uns nach deinem göttlichen Bilde erneuern lassen. Wie müssen sich aber auch die heiligsten unter allen Sterblichen auf Erden schämen, wenn sie erkennen, daß sie noch so viel Sündliches, Unreines und Unheiliges an sich haben! Du hättest ja wohl tausendfache Ursache, uns als unreinen Staub vom Erdboden zu vertilgen. Wenn wir nicht wüßten, daß unsre Herzen mit dem Blut der Versöhnung besprengt und unser Mangel durch den vollkommensten Gehorsam deines Sohnes erstattet worden wäre, so müßten wir verzagen und dürften unsre Augen nicht zu dir aufheben. Es beugt uns noch mehr, daß wir nicht Treue genug beweisen im Ablegen dessen, was uns an Sündlichem und Unlauterem anklebt. O wir hätten schon von mancher Sünde frei werden können, wenn wir im Kampf gegen sie mehr Ernst anwenden wollten. Du schenkst Gnadenkräfte genug; unser Geist ist auch willig, aber das Fleisch und das verderbte Herz ist träge, faul und schläfrig. Darum werden wir so oft überwunden und hingerissen, daß wir uns hernach selbst anklagen und verurteilen müssen. Das alles gestehen und bekennen wir mit Scham und Wehmut vor deinem heiligen Angesicht. Wir flehen aber auch, du wollest um Jesu Christi willen dich über uns erbarmen und in deiner unbegreiflichen Geduld und Langmut nicht müde werden. Trage uns noch fernerhin mit väterlichem Verschonen und erwecke uns, daß wir das, was deinen heiligen Augen zuwider ist, täglich mehr ablegen, abtun und wegschaffen, alle Versuchungen durch deine Gotteskraft überwinden, von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes uns immer mehr reinigen und in der Heiligung allen Ernst beweisen mögen. Segne dein Wort an unsern Seelen um deines Namens willen. Amen. Herr Jesu, du großer König der Ehren, wie selig sind deine Knechte, die in deiner Furcht wandeln und vor dir stehen! Welch eine Gnade ist es, ein Mitgenosse deines Reiches zu heißen, deines königlichen und himmlischen Reiches, eines Reiches, da man nicht in Essen und Trinken und Wollüsten seinen Himmel sucht, sondern da man recht königliche, geistliche, göttliche und himmlische Güter und Gaben zu genießen hat. Was kann edler sein als der Schmuck deiner Gerechtigkeit, womit du die Deinen zierst? Was ist höher als dein Friede, der über alle Vernunft geht? Was ist lieblicher als die Freude im Heiligen Geist, die du den Deinen gönnst? Was ist seliger, als dir, einem so guten und so freundlichen Herrn, zu dienen? Wo ist größeres Vergnügen, als wenn wir wissen, daß wir Gott gefallen und bei all denen wert und bewährt erfunden werden, die dich kennen und lieben? Das sind recht königliche Geschenke, die du in deinem Reich austeilst. Die könnten wir ja alle auch haben, wenn wir nur wollten. Du läßt uns dazu einladen; du läßt uns den Weg zeigen, um sie zu erlangen. Du zeigst ihn uns mit den kurzen Worten: »Ändert euren Sinn, und glaubt dem Evangelium; denn das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen!« Ach, unser eitler, stolzer, fleischlicher und irdischer Sinn hindert uns daran, solch großer Seligkeit teilhaftig zu werden. Ändere ihn durch deine Gnade, wandle ihn um; beuge und demütige, erleuchte und durchdringe unsre Herzen, daß wir aufschauen, das Angebot deiner ewigen Liebe annehmen und uns selig machen lassen. Amen. Lieber himmlischer Vater, zeige uns deinen Weg, und leite uns auf dem Pfad, auf dem wir zum ewigen Leben gelangen können. Es ist kein andrer Weg als der der Buße und des Glaubens. Auf ihm wandeln wir freilich von Natur nicht; wir wissen diesen Weg nicht, wir verstehen ihn nicht, und wenn er uns gezeigt wird, dann wollen wir nicht darauf treten. Ach, was haben wir Menschen für verkehrte Herzen, die immer abweichen auf schädliche, uns ins Verderben führende Irrwege! Was kostet es doch für Mühe, bis wir uns überreden lassen, von solchen Irrwegen abzulassen und auf den Weg zu treten, den du uns in deinem Wort vorgelegt und angewiesen hast! Das ist der Weg des Friedens, der Weg, der zum Leben führt, der neue und lebendige Weg, den uns dein Sohn Jesus Christus durch sein eignes Blut bereitet hat. Es ist der heilige Weg, auf dem auch die Toren nicht irren können, wenn sie sich nur von deiner Gnade leiten lassen. Es ist die rechte Ordnung, in der man zum vollen Genuß des Heils und in den Besitz aller Seligkeiten gelangen kann. Ach, lebendiger Gott, bringe doch unsre verirrten Herzen zurecht. Überzeuge uns, daß wir nur zur Ruhe kommen, wenn wir uns in deine Ordnung fügen. Neige unsern Sinn, daß wir einsehen, wie lieblich und selig es sei, wenn wir uns deiner Gnadenleitung überlassen. Amen. Georg Konrad Rieger I. Zur Einführung 7 II. Die wichtigsten Daten aus Riegers Leben 15 Verzeichnis seiner Schriften 16 III. Auszüge aus der Predigtsammlung »Die Geschichte von der Verklärung Jesu Christi« 17 Matth. 17, 1—9) IV. Predigt über Matthäus 13, 24—30 61 V. Predigt über Lukas 16, 1—9 72 VI. Andachten: g3 Psalm 73, 25 g3 Matthäus 5, 3 8g Galater 4, 19 87 VII. Ausgewählte Gedanken: 8g Der Ruf in den Weinberg 89 Noch ein persönliches Bekenntnis 91 Vom Glauben 92 Von der Wiedergeburt 95 Der lebendige Glaube 60 Froher Glaube 96 Die Verachtung des allgemeinen Priestertums 96 Die Verpflichtung zum christlichen Wandel 97 Der Pfarrer und seine Mitarbeiter 97 Die alte Klage yt VIII. Von der Verleugnung des Eigennutzes 98 Immanuel Gottlob Brastbergei I. Zur Einführung 115 II. Kleine Zeittafel zu Brastbergers Leben 122 III. Aus den »Evangelischen Zeugnissen« 123 Das Wort Gottes 123 An die Unbußfertigen 124 Bußgebet 125 Die Eigenliebe 126 Das Wort von der Sündenvergebung 127 Das Gewissen 128 Der zweite Artikel 130 Die Gnade suchen 132 Die Gnade bewahren 135 Die Gewißheit des Gnadenstandes 135 Wie werde ich meines Gnadenstandes gewiß? 137 Ernstmachen mit der Bekehrung 138 Die Bekehrung nicht aufschieben 139 Um die Bekehrung wissen 140 Bekehrung auf dem Sterbebett? 142 Die neue Geburt 143 Vom Glauben 144 »Ich habe nun den Grund gefunden« 145 Vom Sterben der Gläubigen 147 Der Schlüssel des Gebets 148 Was ist es um die Kirche? 149 Zeichen der Zeit 151 Die Wiederkunft Jesu Christi 153 IV. Andachten: 158 Das zerstoßene Rohr (Jes. 42, 3) 158 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit (Matth. 5, 6) 160 Vergebet, so wird euch vergeben (Luk. 6, 37) 162 Es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde (Hebr. 13, 9) 163 Der Christ und das Wort 164 Allerlei Prediger (2. Tim. 4, 5) 166 Leiden in der Nachfolge Jesu 168 Leidenszeit als Gandenzeit 170 V. Der geistliche Tod (Predigt über Hes. 33, 11) 173 VI. Predigt über Hebräer 13, 17.18 188 VII. Ausgewählte Gebete 202 Die Reproduktionen zu den Bildern von Georg Konrad Rieger und Immanuel Gottlob Brastberger sind nach Aufnahmen der Landesbildstelle Württemberg entstanden. zwei Männer, die in apostolischer Vollmacht das Wort Gottes verkündigten. Es kam noch hinzu, daß sie durch ihre volkstümliche Sprache, die an Luther geschult war, und durch ihren seelsorgerlichen Ernst, der auf Entscheidung für Jesus drängte, in besonderer Weise zu den Herzen der einfachen Christen sprechen konnten. Man muß es bedauern, daß die Schriften der beiden Wahrheitszeugen weithin der Vergessenheit anheimgefallen sind. Brastberger, der einer der einflußreichsten Prediger der evangelischen Christenheit gewesen ist, wird kaum noch in einem theologischen Wörterbuch erwähnt. Umso dankbarer müssen wir Pfarrer Dr. Roessle sein, daß er uns durch die Herausgabe des Rieger-Brastberger-Bandes den Zugang zu den Schriften der beiden Schwabenväter wieder erschlossen hat. Die Auswahl aus ihren Schriften vermittelt ein abgerundetes Bild ihrer Gedankenwelt und ihrer Predigtweise und hinterläßt bei dem Leser den Eindruck, daß im Grunde genommen die beiden Gottesmänner unserer Zeit noch viel zu sagen haben. Man wird das Buch, das übrigens 200 Jahre nach Brastbergers Tod erscheint, nicht ohne Gewinn für das eigne Glaubensleben aus der Hand legen. M 1 1 m 1 a IN DER REIHE »ZEUGNISSE DER SCHWABEN VÄTER« SIND ERSCHIENEN: Band I FR. CHRISTOPH OETINGER Selbstbiographie Genealogie der reellen Gedanken eines Gottesgelehrten 148 Seiten, Leinen DM 5.80 Vorbestellpreis DM 5.— Oetingers berühmte Lebensbeschreibung ist die Geschichte seiner inneren Entwicklung und gibt uns zugleich eine Einführung in seine großartige Gedankenwelt. Band II FR. CHRISTOPH OETINGER Die Weisheit auf der Gasse Aus den theologischen Schriften 164 Seiten, Leinen DM 6.20 Vorbestellpreis DM 5.30 Aus dem Inhalt: Die Theologie aus der Idee des Lebens abgeleitet. Aus dem »Biblischen und emblemati-schen Wörterbuch«. Wie man die Heilige Schrift lesen soll. Dreifache Sittenlehre. Betrachtung über das Geheimnis Gottes. Band V JOHANN LUDWIG FRICKER Weisheit im Staube 164 Seiten, Leinen DM 6.50 Vorbestellpreis DM 5.60 Johann Ludwig Fricker hat uns das tiefsinnige Buch »Weisheit im Staube« (»Das ist die Anweisung, wie man in den allergeringsten und gemeinsten Umständen auf die einfältig leitende Stimme Gottes bei sich achten soll«) hinterlassen. Band VI JOH. ALBRECHT BENGEL Du Wort des Vaters, rede du! Ausgewählte Schriften, Predigten und Lieder 160 Seiten, Leinen DM 6.20 Vorbestellpreis DM 5.30 Aus dem Inhalt: Bengel über sich selbst. Von der rechten Weise, mit göttlichen Dingen umzugehen. Vom Beten aus dem Herzen. Von der Übereinstimmung des alten und neuen Testamentes. Das Blut Jesu Christi. Lieder. Gebete. Aus den Predigten. Briefe. Uber das Jüngste Gericht. Vom ewigen Leben. Band VII JOH. ALBRECHT BENGEL In der Gegenwart Gottes Bekenntnisse und Zeugnisse etwa 160 Seiten, Leinen DM 6.50 Vorbestellpreis DM 5.60 Inhalt: I. Selbstbiographische Notizen. II. Bekenntnisse und Zeugnisse. III. Aufzeichnungen über das Markusevangelium IV. Die sieben Sendschreiben. V. Predigten. Band VIII PHILIPP MATTHÄUS HAHN Die gute Botschaft vom Königreich Gottes Eine Auswahl 164 Seiten, Leinen DM 6.50 Vorbestellpreis DM 5.60 Aus dem Inhalt: Von der Gerechtigkeit und Freiheit Gottes. Kurzer Auszug der christlichen Lehre. Die Lehre der Heiligen Schrift vom Himmel. Die gute Botschaft vom Königreich Jesu. Aus Predigten und Briefen. Weitere Bände sind in Vorbereitung IM VERLAG ERNST FRANZ METZINGEN / WÜRTT. § m P üa p 1 § m m M m § m hMSIIISMSMSMSMSTSMMMSMMMSISMM