Bibel
Hilfe
FÜR DIE GEMEINDE
Ausgewählte
Psalmen II
Von Jakob Kroeker
Gustav Schloeßmanns
Verlagsbuchhandlung
(Gustav Fick) Leipzig und Hamburg
Ausgewählte Psalmen
Übersetzt und ausgelegt
von
Jakob Kroeker
Direktor des Missionsbundes „Licht Im Osten"
Zweite Auswahl
Gustav Schloeßmanns
Verlagsbuchhandlung
(Gustav Fick)
Leipzig und Hamburg
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Diese Schrift
gehört der Sammlung
Bibelhilfe für die Gemeinde
eine volkstümliche
Einführung für Bibelleser
unter Mitarbeit von
Univ. Prof. Dr. theol.
Emil Brunner, P. Paul Burkhard, P. Bernhard Heinz Fork, Lic. Dr. Wilhelm Herbst, Dozent Lic. Volkmar
Herntrich , Professor D. Hans
Wilhelm Herzberg, Univ. Prof. D. Dr. Alfred Jepsen, Generalsup. i. R. D. Dr. Kalweit, Dr. Wilhelm Knappe,
Missionsdirektor Jakob Kroeker, Dr. theol. Hanns Lilje, Lic. Gerhard Puttkammer, Univ.
Prof. Lic. Dr. Johannes Schneider, Oberkons. Rat Dr. theol. Wilhelm Schütz,
D. Paul Le Seur, P. Udo Smidt
herausgegeben von
D.
Erich Stange
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Übersicht
I. Die Herrschaft des Gesalbten Psalm 2
1. Die Auflehnung der Völker (Vers 1 — 3).
2. Die
souveräne Gottestat (Vers 4 — 6).
3. Das Zeugnis des Gesalbten (Vers 7 — 9).
4.Der Aufruf zur Glaubenshuldigung (Vers 10 — 12).
II. Das Bekenntnis der Toren Psalm 14
1. Das Bekenntnis der Toren (Vers 1).
2. Das Suchen Gottes (Vers 2 — 3)
3. Die Blindheit der Übeltäter (Vers 4).
4. Die Rechtfertigung
der Bedrängten (Vers 5-6).
5. Die Sehnsucht des Glaubens (Vers 7).
III. Die Himmel rühmen die Ehre Gottes Psalm 19
1. Den Ruhm der Schöpfung (Vers 2 — 7).
2. Die Herrlichkeit des Gesetzes (Vers 8-15).
3. Das Flehen um
Bewahrung (Vers 13 — 15).
IV. Ist Gott für mich so trete...Psalm 27
1. Das Bekenntnis zu
Gottes Wirklichkeit (Vers 1).
2. Das Vertrauen zu Gottes Bewahrung (Vers 2 — 3).
3. Die Sehnsucht nach Gottes Gegenwart (Vers 4 — 6).
4. Das Jubelopfer für Gottes Hilfe (Vers 6b).
V. Des Menschen Zuflucht zu Gott Psalm 27b
1. Seine Zuflucht zu Gott (Vers 7 — 8).
2. Sein Ringen um Hilfe (Vers 9 — 10).
3. Sein Flehen um Leitung (Vers 11 — 12).
4. Seine Glaubenszuversicht für die Zukunft (Vers 13).
VI. Groß ist der Herr in seinem Heil! Psalm 40
1. Die Heilserfahrungen des Glaubens
(Vers 2 — 4).
2. Die Selbsthingabe an Gott (Vers 5 —11).
3. Das Schuldbewußtsein der Gläubigen (Vers 12-13).
4.Das Flehen im Angesichte der Feinde(Vers 14 — 18).
VII. Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz! Psalm 51
1.Das Ringen um Vergebung (Vers 3-5).
2. Das Bekenntnis der Sündenschuld (Vers 6 —11).
3.Die Neuwerdung des Lebens (Vers 12 — 15).
4. Das Dankopfer des Begnadeten (Vers 1 6 — 19).
5. Der Gebetsanhang (Vers
20 — 21),
VIII. Das Heil der Völker Psalm 87
1. Gottes Gründung auf heiligen Bergen (Vers 1b — 2).
2. Das Zeugnis von der Herrlichkeit Zions (Vers 3),
3. Völker als Bekenner des HErrn (Vers 4- 5).
4. Gott als Quelle des Heils (Vers 6—7).
IX. Christus, der Priesterkönig Psalm 110
1. Christus und seine messianische Weltherrschaft (Vers 1
— 3).
2. Christus und sein ewiges Priestertum (Vers 4).
3. Christus und sein heiliges Völkergericht (Vers 5-7).
X. Danklied der Festgemeinde Psalm 118
1.Die feiernde Gemeinde (Vers l — 4).
2.ein heiliges Bekenntnis (Vers 5-9).
3.Das große Gotterlebnis (Vers 10 —18).
4.Die verschlossenen Tempeltore (Vers 19-23).
5.Der priesterliche Segensgruß (Vers 24 — 29).
1. Das rufen aus
der Tiefe (Vers l —2).
2.Das Wissen um die Sünde (Vers 3-4).
3. Das Warten auf Erlösung (Vers 5-8).
XII. Groß ist der HErr! Psalm 138
1.Des Glaubens Lobgesang (Vers l —3).
2.Des Glaubens
Erwartung spricht(Vers 4 — 6).
3.Des Glaubens Gewißheit (Vers 7-8).
XIII. Geheimnisse Gottes Psalm 139
Das Geheimnis der Allwissenheit Gottes (Vers 1-6).
2. Das Geheimnis der Allgegenwart Gottes (Vers 7 — 12).
3. Das Geheimnis der Schöpfermacht Gottes (Vers
13-18).
4. Das Geheimnis
der Feinde Gottes (Vers 19-22).
5. Das Flehen des Psalmisten (Vers 23-24).
XIV. Gottes Königsherrschaft Psalm 145
1.Gott in seiner unfaßbaren Erhabenheit (Vers 1 — 7).
2. Gott in seinem ewigen Königtum (Vers 8 —13).
3. Gott in seinem gnädigen Walten (Vers 14-21).
zur zweiten Psalmenauswahl
Auch
in dieser zweiten Psalmenauswahl ist nur eine
beschränkte Anzahl von Psalmen übersetzt
und gedeutet worden. Berücksichtigt wurden vornehmlich jene Psalmen, die
dem Glauben der Kirche und ihrer Glieder am
bekanntesten sind. Lange nicht immer ist es der ganze Psalm, der zur
Gemeinde gesprochen hat oder Spricht. Oft sind es nur einzelne, inhaltsschwere Verse, durch die Gott So stark
reden konnte, daß Sie hinfort zum Glaubensinhalt der Gemeinde wurden. Um
die Auslegungen nicht zu lang werden zu lassen, mußte auf Psalmen mit vielen
Versen, wie Z. B. Psalm 68,104,119, verzichtet werden. Denn ohne ein näheres
Eingehen auf den Inhalt der einzelnen Verse bleibt die Sprache der
Psalmen dem Menschen von heute fremd und unverständlich.
Der Versuch ist auch diesmal
gemacht worden, bereits durch die Übersetzung den eigentlichen Sinn des
Inhalts erkennen zu lassen. Wo dies durch
eine wörtliche Wiedergabe des Textes nicht möglich erschien, Sind in
Klammern [ ] hin und wieder Worte hinzugefügt worden. Die in Klammern gesetzten
Worte stehen mithin nicht im Urtext. Sie sollen lediglich dem klareren Verständnis des eigentlichen Textes dienen.
Das Wissenswerte,
das zu den Palmen im allgemeinen gesagt werden muß, findet der Leser in den Vorbemerkungen der ersten Sammlung. Grundsätzliches ist daselbst auch am
Schlusse unter der Überschrift „Was haben
die Psalmen uns heute zu sagen?"
gesagt worden. Möchte auch dieser zweiten Auswahl eine ebenso warme
Aufnahme von der in der Schrift forschenden Gemeinde werden, wie sie der ersten
Sammlung wurde.
Psalm 2
1. Was regen sich die
Nationen auf,
warum sinnen die Völker
auf das, was doch vergeblich ist?
2. Es erheben sich die
Könige der Erde, und die Fürsten beraten
miteinander wider den HErrn und wider seinen Gesalbten:
3. „Auf! laßt uns
zerreißen ihre Fesseln und von uns werfen ihre Bande!"
4. Der im Himmel
Thronende, er lachet, es spottet ihrer der HErrr1) [der Welt].
5. Alsdann redet er sie an
in seinem Zorn
und in feinem Grimm
erschreckt er sie:
6. „Habe ich doch meinen
König geweiht,
[ihn gesetzt] auf Zion,
meinem heiligen Berge."
7. Nun laßt mich den
Ratschluß des HErrn erzählen:
Er sprach zu mir: „Mein Sohn bist du,
ich habe dich heute gezeugt!
8. Erbitt' es von mir,
Völker möcht' ich zum Erbe
dir geben,
zu deinem Besitztum die
Enden der Erde.
9. Mußt du sie mit
eisernem Zepter brechen,
wie Töpfers=Geschirr wirst
du sie zerschmettern."
10. Drum seid verständig,
ihr Könige der Völker!
Lasset euch warnen, ihr
Richter auf Erden!
11. Dienet dem
HErrn [hinfort] in Ehrfurcht
und jubelt [ihm zu] mit
Zittern.
12. Huldigt dem Sohne, auf
daß er nicht zürne
und ihr zugrunde geht auf
eurem Wege,
13. denn leicht könnte
sein Zorn entbrennen.
Heil2) [jedoch]
allen, die in ihn ihr Verträum setzen!
Es gibt heute auf Erden
zunächst nur einen Raum, wo dieser
Lobgesang auf die kommende Königsherrschaft
des Messias (= Gesalbten) in Wahrheit betend gefunden wird: in der gläubigen
Gemeinde.
________________Psalm 2__________________
Denn
seit dem ersten Entstehen der Kirche hatte der Psalm für sie stets einen Messianischen und einen
eschatologischen, d. h.- einen heils= und einen endgeschichtlichen Charakter. Liegt es heute im Geiste der Zeit, daß wieder die Völker sich besonders
Stark auf sich selbst besinnen, um so
mehr besinnt sich die Gemeinde Christi
auf den, der für alle Zukunft allein ihr Herr und Retter sein kann:
Christus. Er ist ihr der im Psalm genannte
Gesalbte, der König schlechthin. Auf seine Herr= Schaft gründet Sie allein ihre Heilssehnsucht und Heilserwartung. ,,Herrscher, herrsche Sieger, Siege!" — So singt und
betet Sie, wie es einst die Urgemeinde
im Geiste ihrer eschatologischen Sehnsucht und Erwartung tat „Ja, komm,
-Herr Jesu!"
Bereits
die kleine Jüngergemeinde in Jerusalem glaubte, daß der Psalm von dem königlichen Sänger
David gesungen worden sei (Apgsch. 4,25 f.). Die Annahme beruhte auf einer falschen
Überlieferung. Weder hat sich David selbst in dem Psalm als Gesalbten besungen, noch
ist das Lied von einem Zeitgenossen im Blick
auf David als König gedichtet worden. Versuche, in einer geschichtlichen Person den König zu
finden, sind bisher vergeblich
geblieben. Zwar ist anzunehmen, daß
der mit einer prophetischen Schaubegnadete, in
der Geschichte unbekannt gebliebene Sänger eine königliche Persönlichkeit als historischen
Hintergrund für diesen Psalm hatte,
Man hat angenommen, daß er an die frommen
Könige im Reiche Juda, wie z.B.
Josaphat, Usia ,Hiskia oder auch Josia gedacht hat. Aber keiner dieser Könige, auch nicht ihre Zeit= und Umwelt waren
groß genug, daß Sie mit ihrem
geschichtlichen Hintergrund der Inhalt dieses Psalms hätten sein können.
Man vermutet daher, daß der Sänger die Anregung zu
Seiner prophetischen Schau und Erwartung aus der Verheißung gewonnen habe, die einst der Prophet Nathan
dem Könige David geben mußte, als dieser
sich berufen glaubte, dem -Herrn ein Zedernhaus bauen zu sollen. Die Verheißung lautete: „Wenn einst deine
Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern legst, dann will ich deinen Nachwuchs
aufrichten, der von deinem Leibe
kommen wird, und will sein Königtum befestigen. Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich
will seinen Königsthron auf ewig befestigen.
Ich will ihm Vater Sein, und er Soll mir Sohn sein" (2.Sam. 7,12—16). Auf
Grund dieser Prophetenworte wurde offenbar der
Sänger begnadet, für sein Volk jenes
ideale Königtum zu erwarten, wo Gott als Herr der
Geschichte im innigsten Verhältnis mit
seinem Gesalbten auf dem Throne Davids
stehen werde. Aber keine Zeit, weder jene nach dem Zusammenbruch Nord=Israels oder Judas, noch jene nach der
Heimkehr aus der babylonischen Gefangenschaft brachte dem
jüdischen Volke die Erfüllung der prophetischen
Schau, wie Sie dem Sänger von der Herrschaft des Gesalbten geworden war.
Das
Ist Selbst von den jüdischen Auslegern sehr bald erkannt worden. Sie haben daher längst vor dem Zeitalter Jesu das Lied als einen
messianischen Psalm angesehen.
Weit bewußter und überzeugter hat dies jedoch Später die
neutestamentlichte Jüngergemeinde getan. In der
Erscheinung Christi fand Sie den Anbruch der Erfüllung. Sehr bald erkannte aber auch die Kirche Christi, daß trotz des Kommens Jesu in Knechtsgestalt, trotz seines Todes am Kreuz und trotz Seiner
Rechtfertigung durch die Auferstehung
die volle Erfüllung noch
ausstehe. Auch im
Zeitalter der Kirche hat Sich nie voll und ganz der Inhalt
der prophetischen Schau des Psalms erfüllt. Daher hat derselbe mit
seiner prophetischen Erwartung für Sie nicht nur einen messianischen, Sondern auch
einen endgeschichtlichen Charakter. Alles bisherige Heilsgeschehen durch Christus ist für Sie erst der Anbruch von der zukünftigen Gottesherrschaft. Um die Völker für diese Herrschaft zu erlösen,
erschien der Gesalbte im
Fleisch, und er wirkt heute als Auferstandener
durch sein Evangelium innerhalb der Völkerwelt, um Sein Werk zu
vollenden,
Ganz im Gegensatz Zum
ersten Psalm Steht der Inhalt des zweiten. Dort geht
es um die Lebenshaltung des einzelnen
Menschen zu Gott. Hier jedoch ist die Schau Völker=
und weltumspannend. Nicht der
Einzelne, die Nationen
werden angeredet. Es gibt
Zeiten in der Geschichte, wo Gott sich durch
sein Wort mehr an den Einzelnen wendet. Es gibt
aber auch Zeiten, wo Gleichsam die Sorge um das Heil der Einzelnen ganz zurücktreten muß vor den großen Entscheidungsstunden, die die Völkerwelt durchlebt. So beginnt
auch unser Psalm nicht mit einer Gottesfrage an den Einzelnen,
er beginnt mit dem
großen göttlichen „Warum?// an
die Völkerwelt.
1. Was regen
Sich die Nationen auf,
warum Sinnen die
Völker auf das, was doch vergeblich ist?
2.
Es erheben
Sich die Könige der Erde, und die Fürsten beraten miteinander wider den
HErrn und wider Seinen Gesalbten:
An Sich waren Solche Aufregungen innerhalb
der alten Geschichte
keine seltene Erscheinung. Große Weltreiche
erlebten sie bei jedem neuen Thronwechsel. Sobald ein Großkönig
abtrat, war es eine der ersten Maßnahmen
seines Nachfolgers, daß er die unterjochten
Völker unter Sein neues Zepter wieder zur Ruhe zu
bringen suchte. In der Zeit des Übergangs
waren sie in Unruhe und
Auflehnung geraten. In ihrer Sehnsucht nach Freiheit und
Selbständigkeit glaubten sie, daß vielleicht
jetzt die Stunde ihrer Freiheit und
Selbständigkeit gekommen Sei. War der neue
Herrscher zu Schwach und zu unklug, um die mit
neuem Hoffen erfüllten Völker zu beruhigen,
dann begann nicht selten der Zerfall eines bis dahin noch so
Starken Weltreiches.
Den Inhalt Solch einer geschichtlichen Erscheinung überträgt der Sänger auch auf Gottes Königtum, wie er es im
prophetischen Geiste ersehnte und für die
Zukunft kommen sah. Er kannte die
Welt. Er wußte von ihrer innerlichen
Auflehnung, wenn zu irgendeiner Zeit oder in irgend= einem Menschen etwas von der Herrschaft Gottes
Sichtbar wurde. Sie vertrug nie das
Licht, das durch Menschen auf ihr Leben fiel, die, wie einst Noah, mit Gott wandelten. Sie sah sich jeder Zeit in ihrem Gewissen durch Menschen verurteilt, die in Ehrfurcht Gott bejahten
und ein im Umgang
mit Gott geschärftes Gewissen hatten. Was wird aber erst geschehen, wenn in
einem geschichtlichen Gesalbten die Souveränität und Königsherrschaft Gottes in
ihrem vollen Umfange
sichtbar werden wird ?
Alsdann
beginnt eine Stunde größter Entscheidung: für
oder wider die angebrochene Gottesherrschaft. Es
liegt in der Größe und im Wesen jeder
Gottesoffenbarung, daß sie nicht etwa nur
den einzelnen Menschen, daß sie auch die Völker Stellt. In ihrer Autorität
zwingt sie letzthin alle Welt, Sich mit ihr
auseinanderzusetzen, sie entweder zu bejahen oder zu verneinen. Sie erfaßt die Nationen, daß Sie zu jener Aufregung gelangen, von der der Psalmist redet.
Fürsten, die Gott in Seinem Herrschaftsanspruch
verneinen, zwingt sie, einen gemeinsamen Kampf gegen
sie zu führen. Je mehr nun Gottes Herrschaft
und Offenbarung innerhalb der Geschichte in
einer Person sichtbar wurden, desto leidenschaftlicher wurde hinfort auch der Kampf gegen sie. Golgatha
war einst die entschlossenste Verneinung Gottes.
Gott war in Christus unter die Menschen getreten, um
seine Königsherrschaft über alles Fleisch zu
offenbaren. Die Antwort der Menschheit auf dieses
Kommen Gottes im Sohn war das Kreuz«
Von Golgatha her ist auch verständlich
der Leidensweg der Kirche im Verlauf der Jahrtausende.
Je bewußter sie durch
ihr Leben ein Lebensraum für die Herrschaft
Gottes auf Erden wurde,
je offener sie sich zu dem bekannte, den einst Juden
und Römer kreuzigten, desto mehr
hatte auch Sie die Leiden des Christus zu teilen. Je
mehr
die Kraft ihres Lebens und der Inhalt ihrer Hoffnung der Gekreuzigte war, den
Gott durch die Auferstehung rechtfertigte, desto stärker wurde der Kampf gegen
ihr Bestehen, gegen ihre Sendung und gegen Ihre Sehnsucht nach einer
vollendeten Gottesherrschaft auf Erden. Die prophetische Schau in der
Offenbarung Johannes von einem letzten Kampfe Wider Christus und wider Seine
Gemeinde wird nur der Austrag von jenem Ringen
zwischen Weltmacht und Gottesreich Sein, wie es der Sänger bereits in
seinen Tagen innerhalb der Geschichte entstehen sah.
Von Gott und seiner Heilsoffenbarung und Autorität
aus gesehen ist diese Aufregung der Völker und dieser Kampf der Fürsten ganz
unverständlich. Gott will durch seinen Gesalbten ja nicht herrschen, um zu
knechten. Seine Offenbarung will ja nicht binden, sie will befreien und
erlösen. Jesus konnte seine mes- sianische Sendung, die er vom Vater empfangen
hatte, in die Worte zusammenfassen: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, das
Leben der Menschen zu verderben, sondern um es zu erretten" (Luk. 9,56).
Unbegreiflich bleibt daher die Unruhe der Völker und das Ratschlagen der
Machthaber der Erde. Ihre Auflehnung bringt sie nur noch in vermehrte Unruhe.
Gott gegenüber müssen sie samt ihren Fürsten an ihrem eigenen Kampfe zugrunde
gehen. „Warum?" fragt daher der Herr sowohl die Völker als auch ihre
Gebieter. Er fragte sie zu allen Zeiten, er fragt sie auch heute: „Warum?"
Die Antwort war jedoch bisher noch immer dieselbe:
3. „Auf ! laßt uns zerreißen ihre Fesseln und von
uns werfen ihre Bande!"
Eine
Welt, die die Finsternis mehr liebt als das Licht, fühlte sich, nie wohl, wenn
das Licht triumphierte über die Finsternis. Sie hielt ihre Knechtschaft immer
wieder für Freiheit, sie suchte dauernd in ihrem Sterben das Leben. Sie fand
nie ein Verständnis für jene Gemeinde, die Christus als ihrem Herrn und Retter
huldigte. Daher währt der Kampf gegen die Gemeinde als den Lebensraum der
Gottesherrschaft auf Erden. Sie geht dauernd ihren einsamen Lebensweg, und je
und je einmal wird ihr von der Welt ein neues Golgatha bereitet.
Menschen
wie unser Sänger, die zuvor eine so klare Schau von Gottes Majestät und
Herrschaft gewonnen haben, besitzen auch ein entsprechend klares Urteil über
die Völker, über deren Ohnmacht und Untergang. Wenn der Mensch den Kampf wider
Gott bis zu seinem letzten Austrag will, so mag er ihn haben. G o t t f ü r c h –
t
e t i h n n i c h t.
4. Der im Himmel Thronende, er lachet, es spottet
ihrer der HErr [der Welt].
So
sieht der Psalmist Gott als den HErrn der Während Völker sich auflehnen und
Fürsten miteinander ratschlagen, waltet Gott in majestätischer Ruhe innerhalb
der Geschichte. Sein Thron wankt nicht, mögen unten auch Völker rebellieren und
Fanatiker Sich zur Propaganda und die Starken Sich Zum Kampf gegen Gott
zusammen-
finden.
Wenn auch die Träger des Kulturbolschewismus sich erkühnen zu Sprechen: „Mit
den Göttern hier unten sind wir fertig geworden, mit den Göttern droben werden
wir fertig werden, wohin sie sich auch immer in ihren himmlischen Örtern
verkriechen mögen", - der HErr Spottet ihrer! Der Psalmist gebraucht hier
im Hebräischen offenbar absichtlich einen Ausdruck, mit dem Gott als Herr von
allem Weltgeschehen bezeichnet wird. Was bedeutet alles Planen und Rebellieren
der Menschen hier unten gegenüber seinem souveränen Thronen und Walten über
Himmel und Erde, über Machthaber und Völker! Spricht Er, So vergehen die Völker
vor dem Hauch seines Mundes, Herrscht Er, So wird der Gang der Geschichte nicht
von Königen und Fürsten bestimmt. Die Geschichte nimmt vielmehr einen Verlauf,
wie Er es will. Er setzt Könige ein und setzt Könige ab. Er ruft als seinen
Knecht einen Nebukadnezar und Stürzt ihn in seinem Größenwahn in krankhafte
Wahnvorstellungen. Er ruft Rom für eine geschichtliche Aufgabe und läßt es auf
der Höhe seiner Macht zerbrechen, als es die Grenzen seiner Aufgabe überschritt,
Gott ist Gott auch in seinem Thronen über seine Schöpfung -, in feinem
souveränen Walten inner halb der Völkerwelt!
Der
Sänger läßt daher Gott „lachen" und „Spotten" über das Getue der
Menschen auf Erden. Er überträgt damit Handlungen auf Gott, die dem Bilde der
großen Machthaber seiner Zeit entsprachen. Sie lachten in ihrem
Machtbewußtsein, sie Spotteten in ihrer Sicherheit. Dem eigentlichen Sinne nach
wollte der Sänger aber damit nur ausdrücken, in welch einer majestätischen Ruhe
Gott die Welt regiert und mit welch einer Nichtachtung er auf alle Rebellionen
der Menschen antwortet. Denn Gott lebt nicht seinem Machtbewußtsein. Er Spottet
in seiner Souveränität nicht über die Verirrungen Seiner verlorenen Söhne und
Töchter. Er als Schöpfer und Vater leidet unter deren blindem Fanatismus und
Rebellion gegen ihn viel tiefer als sie Selbst. Gerade weil Sie an ihrer
eigenen Machtentfaltung zugrunde gehen, möchte er mit Seiner Herrschaft zu
ihrer Erlösung einsetzen. Der tiefste und letzte Grund, daß er Seinen König
sandte, war ja, daß seine
Herrschaft
den Völkern zur Erlösung werden möchte. Nicht etwa Zufall schenkte der Welt den
Gesalbten, es war die Tat des souveränen Herrn der Geschichte.
6. „Habe ich doch meinen König geweiht,
[ihn gesetzt] auf Zion, meinem heiligen Berge."
Das war eine souveräne Tat, sie floß aber aus der
Barmherzigkeit. An dieser geschichtlichen Tat kann niemand mehr rütteln. Keine
Menschenauflehnung vermag sie aus der Geschichte Zu Streichen. Sie bleibt die
nie Schweigende Kundgebung, daß Gott Anspruch erhebt auf den Menschen, auf
dessen Geschichte und auf dessen Zukunft. Der Mensch gehört nicht sich selbst.
Er gehört Gott als seinem Schöpfer. Die Völker sind nicht da für die Machthaber
dieser Welt. Sie sind berufen, ein Königreich Gottes zu werden.
Zwar bleibt das Recht den Menschen, Gottes
Königsherrschaft abzulehnen. Ihnen bleibt das Recht, sich in ihrem Wollen und
Schaffen, in ihrer Macht und Größe zu vergöttern. Dann sollen sie aber wissen,
daß Gott sich gegen sie durchzusetzen vermag. Nicht etwa allein um seiner
Souveränität willen, vielmehr auch um des Heiles der Menschen willen.
5.Alsdann redet er sie an in seinem Zorn und in
seinem Grimm erschreck er sie.
Steigern die Völker ihre
Auflehnung gegen ihn, entsprechend steigert er Sein Handeln gegen sie. Er fährt
wie ein Sturm in ihre Ruhe, er tritt mit seinen Gerichten in ihre Geschichte.
Angesichts dieser Gerichtshandlungen müssen alsdann Völker verschmachten vor
Erwartung der Dinge, die plötzlich über sie kommen. Zu ihrem Schrecken müssen
sie entdecken, daß nicht mehr sie den Gang der Geschichte und die Ereignisse
der Zeit bestimmen, sondern daß das Weltgeschehen vielmehr von einer höheren
Hand bestimmt wird. Fühlten sie sich bisher auch als Herren der Geschichte,
plötzlich entdeckten sie, daß sie nur ein Spielball von übermächtigen
Geschichtsereignissen geworden sind. Gott redet in seinem Zorn. Er handelt in
feinem Grimm und die Völker erleben ihr Gericht. In unserm letzten Völkerringen
war kein Volk mehr groß genug, den Gang der entsetzlichen Geschehnisse zum
Schweigen zu bringen. Gott redete, und bis heute denken alle Völker mit
innerlichem Zittern an die Jahre zurück, wo er zu ihnen redete in seinem Grimm.
Ob Siegermächte oder Besiegte — alle waren nachher gezwungen, den blutigen Weltkrieg
als eine Zeit schwersten Gerichts zu deuten.
Nun läßt der Sänger den
Gesalbten selbst reden und kundtun, daß er nicht etwa sich selbst machthungrig,
ruhmsüchtig oder selbstherrlich auf den Thron gesetzt hat. Seinem Königsein
liegt ein göttlicher Ratschluß zugrunde.
7. Nun laßt mich
den Ratschluß des HErrn erzählen: Er Sprach zu mir: „Mein Sohn bist du, ich
habt dich heute gezeugt!
Gott
selbst, die höchste Autorität der Welt und der Geschichte, hat ihn auf den Königsthron gesetzt. Damit zugleich
hat Er ihn in die Gottessohnschaft und in die göttlichen Sohnesrechte erhoben.
Innerhalb der heidnischen Weltvölker war diese Sprache nicht fremd. Mit der
Thronbesteigung wurden ihre Könige hinfort als Söhne der Landesgottheit
angesehen. Das Volk glaubte, daß es durch seinen vergotteten König von dem
höchsten Gott seines Landes selbst regiert werde. Daher war der Name „Sohn
Gottes" für die Könige im Morgenlande ein bekannter Titel. Besonders
vorherrschend war dieser Glaube im alten Ägypten. Daselbst galt jeder Pharao
als eingesetzter Sohn des höchsten Landesgottes Rẽ. Jeder Thronfolger
mußte vor seinem Regierungsantritt in der alten Tempelstadt On in der Nähe von
Memphis durch den höchsten Oberpriester zur Gottessohnschaft geweiht werden.
Aber nicht in diesem Sinne redet hier der Psalmist
von der Gottessohnschaft des Gesalbten. Bei dem klaren Gottesbegriff, den
Israel besaß, wäre die Vorstellung von einer leiblichen Gottessohnschaft des
Gesalbten völlig unmöglich gewesen. Zwar bedient ich der Psalmist der beiden in
Ägypten herrschenden Formeln „mein Sohn bist du" und „ich habe dich
gezeuget", nicht aber im Sinne einer kreatürlichen Zeugung. Er füllt die
Worte mit einem höheren Inhalt. Für ihn sind es die Ausdrücke für die
königliche Sohnesstellung des Gesalbten auf Grund einer göttlichen
Sohneserklärung. „Nicht der König als Mensch, Sondern Seine Funktion als König
erhält dadurch ihr besonderes Gewicht, sie ist — das ist die alttestamentliche
Auffassung des Königtums überhaupt — Funktion und Werkzeug des göttlichen
Willens3)“
Könige, wie die heidnischen Weltvölker sie besaßen,
sollte ja der theokratische, von Gott als König geleitete Volkstaat Israel
ursprünglich überhaupt nicht besitzen. Als man in den Tagen Samuels begann,
nach einem König zu rufen und der Prophet traurig über dieses Verlangen war, da
Sagte der Herr zu ihm: „Willfahre dem Begehren des Volkes in allem, was sie zu
dir sagen, denn nicht dich, sondern mich haben sie verworfen, daß ich nicht
König über sie sein soll"
(l. Sam. 8,7). Bisher war Israel sein und Aufbau
immer eine Tat Gottes gewesen. Nun wollte das Volk sein Schicksal und seine
Zukunft von dem Willen und der Hand eines menschlichen Königs abhängig machen.
Samuel mußte es daher auf die schweren Folgen solch einer Forderung aufmerksam
machen. Aus der Freiheit von Söhnen gegenüber dem Herrn würde Israel in die
Stellung von Knechten ihrem Könige gegenüber gelangen. Das würden die Folgen des begehrten Königtums sein.
Der vom Psalmisten geschaute Gesalbte wird aber wieder nicht König im
Sinne der Machthaber der Weltvölker sein. Er wird Sohn sein in seinem Gehorsam
Gott gegenüber. Daher wird Gott durch ihn Völker zu ihrem eigenen Heil regieren
können. Als Sohn in seiner Hingabe an den Willen Gottes darf er daher Anspruch
erheben, daß ihm die Sohnesrechte gegeben werden.
8. Erbitt' es von mir,
Völker möcht' ich zum Erbe dir
geben, zu deinem Besitztum die Enden der Erde.
Die Welt ist einst nicht
geschaffen worden, daß sie nur Welt in sich sei, sie soll Welt für Gott sein.
Und Gott will nicht nur im Himmel herrschen, sondern seinen Thron auch auf die
Erde setzen und Völker für feine Herrschaft erlösen. Sie sind auf ihn
und seine Herrschaft hin erschaffen. Daher kommen sie in keiner anderen
Königsherrschaft zur Ruhe, ganz einerlei, ob diese von Machthabern der Erde
oder von Göttern und Dämonen ausgeht. Nachdem er aber den Sohn als König hat
einsetzen können, der in seiner Stellung
zu ihm Hingabe und Gehorsam, und in Seiner Stellung zur Welt Liebe und Erlösung
sein wird, nun kann er ihm die Völker zu eigen geben und die Enden der Erde ihm
untertänig machen.
Das Recht der freien Entscheidung wird den Völkern
aber auch unter der Herrschaft des Gesalbten bleiben. Wie diese Entscheidung
nun auch Immer ausfallen mag, das Fundament seines Thrones und die Vollmacht
seiner Herrschaft werden dadurch nicht
berührt oder erschüttert werden.
9. Mußt du sie mit
eisernem Zepter brechen, wie Töpfer=Geschirr wirst du sie zerschmettern."
Mit dem Herrschen des Gesalbten wird nicht nur die
Vollmacht des Erlösers, sondern auch die Autorität des Richters Verbunden sein.
Wem sein Zepter nicht zum Heil werden kann, dem muß es zum Gericht werden. So
werden in der prophetischen Schau des Sängers im Gesalbten nicht nur die
Grundzüge des kommenden Weltheilandes, sondern auch die des Weltrichters
sichtbar, seine Sendung wird sich nicht nur auf den engen Raum des heiligen
Landes und auch nicht auf ein einziges „auserwähltes" Volk beschränken,
sie gilt der ganzen Welt. Der Raum für das Gemälde seiner Herrschaft wird so
groß sein, wie die kommende Heilsgeschichte groß an Erlösung und Gerichtsein
wird. Des Gottessohnes Herrschervollmachten werden dem Gott entsprechen, der in
seiner göttlichen Autorität ihn gesandt hat.
Nun wird erst recht Verständlich, wie kein König in
Israel" weder vor der babylonischen Gefangenschaft noch nachher diesem
messianischen Königsbilde entsprochen hat. Erst als J e s u s im Fleisch
erschien, wurden in Seinem Reden und Dienen, in Seinem Leiden und Sterben die
Vollmachten einer messianischen Königsherrschaft sichtbar. Er konnte nach
seiner Auferstehung mit den Worten von seinen Jüngern scheiden: „Mir ist gegeben
alle Gewalt im Himmel und auf Erden“ (Matth. 28,18). Christi Kommen ins
Fleisch“ sein Dienen und Sterben in Knechtsgestallt waren aber nur die
Einleitung und Vorbereitung von einem zweiten Kommen in Herrschervollmacht und
Vollendungsherrlichkeit. Zwischen diesem ersten Kommen Christi und seiner
Wiederkunft lebt nun die Gemeinde innerhalb der Völkerwelt. Sie lebt aber der
lebendigen Hoffnung, daß mit seinem Wiederkommen er seine Herrschervollmachten
im vollen Umfange offenbaren wird. Seine Parusie, d. h. sein Erscheinen wird
nicht nur zu Gericht sein, sondern zugleich auch „Der Anfang eines neuen ewigen
Daseins Christi auf der Erde" zum Heil der Völkerwelt.
Es ist klar, wie sehr der unbekannte Sänger mit
feiner prophetischen Schau im Geiste der großen Propheten Seines Volkes lebte.
Mit seinem Psalm gehört auch er zu den Propheten, wenn auch zu den unbekannt
gebliebenen. Wie Jeremia war auch er Völkerprophet. Er wendet sich in seinem
Aufruf nicht etwa nur an sein eigenes Volk. Er bittet:
10. Drum seid verständig, ihr Könige der Völker! Lasset euch warnen, ihr
Richter auf Erden!
Denn es ist nicht selbstverständlich, daß alle in
dem Gesalbten die Herrlichkeit einer angebrochenen Gottesherrschaft sehen
werden. Die Neigung wird weiter bestehen, in auflehnender Haltung der im Sohn
offenbar gewordenen Gottesherrschaft gegenüber zu verharren. Aber die Völker
werden in ihren Vertretern, d. h. in ihren Königen und Richtern aufgefordert, ihre
Gesinnung zu ändern. Jede vermehrte Auflehnung wird für sie nur vermehrtes
Gericht bedeuten. Gottes Herrscherwille kann um des Heiles der Zukunft willen
nicht gebrochen werden.
11. Dienet dem HErrn [hinfort] in
Ehrfurcht und jubelt [ihm zu] mit Zittern.
12. Huldigt dem Sohne, auf daß er
nicht zürne und ihr zugrunde geht auf dem Wege,
13. denn leicht könnte sein Zorn
entbrennen.
Es gibt mithin nur einen Weg, um dem Gericht zu
entrinnen: die freiwillige Glaubenshuldigung des von Gott eingesetzten Königs.
Ihm in Ehrfurcht zu dienen wird nicht Knechtschaft, sondern Erlösung bringen.
Ihm zuzujubeln wird keine unwürdige Erniedrigung der menschlichen
Persönlichkeit, sondern innerliche Erhebung zu Gott sein. Dem Sohne zu huldigen
oder ihn zu „küssen" — wie andere übersetzen — wird der Weg sein, Anteil
an der Herrschaft und an der königlichen Würde des Sohnes zu nehmen. Wer sich jedoch anders entscheidet, der soll
wissen, daß er auf seinem eigenen Wege zerbrechen wird. Ein Entfliehen wird
nicht möglich sein, weil der Mensch nicht vor sich selbst zu entfliehen vermag.
Denn sein Gericht liegt ja in seiner auflehnenden Haltung gegen Gott.
13b. „Heil [jedoch] allen, die in
ihn ihr Vertrauen setzen."
Mit dieser Gewißheit schließt der Sänger seinen
prophetischen Psalm. Bereits in seinen Tagen rang er um eine neue
Glaubenshaltung der Völker und deren Könige der Souveränen Herrschaft Gottes
gegenüber. Angesichts der immer neu entstehenden Gerichte innerhalb der
Völkerwelt hatte sich ein Weltweh auf seine Seele gelegt. Von der
Machtentfaltung, vom Kulturfortschritt, von der Götterverehrung und vom
Wohlstand der Völker aus sah er keine Zukunft kommen, die Heil unter ihren
Flügeln für alle haben würde. Er sah sie aber in der Anerkennung der absoluten
Gottesherrschaft, wie sie durch den Sohn in das Leben der Völker und deren
Geschichte treten will.
1.) Der Name „Adonai" = „Herr" hat z. Z.,
da der Psalm gedichtet wurde, bereits die Bedeutung von „Allherr",
„Allgewaltiger", d. h. „Herr der ganzen Welt".
2.) „Heil" ist hier
der umfassende Begriff für alle Segnungen, die denen, ob Jude oder Heide,
werden müssen, die dem Gesalbten in Ehrfurcht huldigen. Dies Heil wird in den
kommenden Tagen des Gerichts besonders stark
sichtbar werden.
3) A. Weiser, Die Psalmen, 1935,
S. 27. S.16
Überschrift: Dem Musikmeister von
David
1.
Es sprechen die Toren in ihrem Herzen:
„Es gibt keinen Gott!"
Verderbt, abscheulich handeln sie, keinen gibt es, der Gutes tut.
2. Es schaut der HErr vom Himmel
herab
auf der Menschen Söhne,
zu
sehen, ob einer so einsichtig sei,
daß er nach Gott fragt.
3. Doch alle Sind sie abgewichen,
sie sind entartet insgesamt.
Keiner ist, der Gutes tut,
[unter allen] auch nicht einer.
4. Sind denn die Übeltäter ohne
Einsicht, daß sie mein Volk wie Brot verschlingen, den HErrn aber nicht
anrufen?
5. Da erfaßt sie ein gewaltiger
Schrecken,
denn Gott ist bei dem Geschlecht
der Gerechten.
6. Mög't ihr auch schmähen den
Trost des Elenden, der HErr ist dennoch seine Zuflucht!
7. "Ach käme aus Zion
für Israel Rettung! Wendet der HErr seines Volkes Geschick, wird Jakob
frohlocken, wird Israel sich freuen.
Der Psalm ist zwar klein und schlicht, sein Inhalt
und seine Schau sind aber welt= und völkerumspannend. Redet er auch nur von den
Verhältnissen innerhalb eines kleinen Ausschnittes der Geschichte, sein Urteil
ist jedoch durch die nachfolgenden
Jahrtaufende gerecht« fertigt worden. Das ist ja das Große an den Wahrheiten
der Heiligen Schrift, daß sie zwar anknüpfen an bestimmte, geschichtliche
Ereignisse, ihr Inhalt erweist sich aber So übervölkisch und überzeitlich, daß
er hinfort zu den Völkern zu reden vermag. Es wäre nun auch bei diesem kleinen
Psalm sehr wertvoll, wenn wir dessen Sänger und auch die Zeitverhältnisse
genauer kennen würden, unter denen er einst entstand. Jedenfalls ist das kleine
schöne Lied in einer Zeit gedichtet worden, wo sich nicht nur viele innerhalb
der heidnischen Nachbarvölker, sondern auch; manche im jüdischen Volke offen
zur Aufklärung und zum Unglauben ihrer Zeit bekannten.
Verschiedene Ausleger nehmen daher an, daß der
Psalm in der griechischen Zeit oder während des Schweren Ringens der Makkabäer
entstanden sei. Denn zweifellos find die Toren, von denen die Rede ist, in den
eigenen Volksgenossen des Sängers zu suchen. Auch lebte damals in den Frommen
Israels besonders stark die Erwartung, daß der Tag des Herrn nahe sei. Von diesem
Tage er warteten sie, daß er die Herrschaft der Feinde zerbrechen und den
Anbruch des messianischen Königreiches bringen werde. Es Spricht daher aus dem
letzten Teile des Psalms besonders stark eine endgeschichtliche
Zukunftserwartung. In dieser lebten damals viele Elende und Unterdrückte. Sie
Schauten aus, ob nicht endlich das
Morgenrot jener Heilszukunft anbreche, von der die Propheten so klar
geweissagt hatten.
Völlig
anderer Einstellung waren die Toren, von denen der Sänger redet. Sie erwarteten
die neue Zukunft nicht von einer kommenden messianischen Heilszeit. Für sie lag
sie im Anschluß an die herrschenden Geistesströmungen ihrer Tage. Bewußt
verleugneten sie die große Vergangenheit ihrer Väter, die Geschichte ihres
Volkes. Sie teilten den Geist und die Weltanschauung der Griechen.
Zu
allen Zeiten schaute aber Gott, der der Herr der Geschichte ist, vom Himmel
herab. Ihm entging nicht, wer nach ihm fragte und wer ihn verneinte. Menschen
und Völker wurden von ihm eines Tages in solch Schrecken versetzt, von denen
sie sich selbst nicht mehr erlösen konnten. Hatte es auch in der Geschichte gar oft den Anschein, als ob
der Unglaube triumphiere über den Glauben, die Finsternis siege über das Licht,
die Weltmacht über Gottes Heilszukunft - Gott war noch immer stark genug, alles
Widergöttliche entweder zu erlösen, oder im Gericht enden zulassen. Seine
Zukunft wird nicht dadurch bestimmt, wie Menschen über ihn denken. Sie erhält
ihre Bestimmung von jenen Heilsabsichten, die er zum Wohle der Menschheit in sich
trägt.
Einige
Sätze in der Mitte des Psalms sind schwer zu übersetzen und mithin auch nicht
leicht zu erklären. Zwar ist das Lied innerlich ganz verwandt mit Psalm 53; in
demselben ist aber der Text noch weniger
verständlich.
Trotzdem hat das schöne Lied auch der Kirche Christi unserer Tage Großes zu
sagen. Es redet von der Sprache der Toren und vom suchen Gottes. Es spricht von
der Blindheit der Übeltäter und von der
Rechtfertigung
der Gerechten und zuletzt schließt es mit einem Gebet des Glaubens.
Der
Sänger redet offen und kühn, wie die Propheten es taten. Wenn ein Jesaja oder
Jeremia von den Göttern und Götzen zu reden hatte, von denen sein Volk sein
Heil erwartete, dann nannte er sie „Nichtse", „Würger". Als Nichtse können Sie in ihrer Ohnmacht dem
abergläubischen Volke in seiner Not und Angst weder helfen noch etwas geben.
Als Würger rauben sie ihm das Leben, anstatt daß sie es retten und Segnen, es
bauen und Schützen. So nennt der Psalmist hier Menschen, die in einem
verwandten Geiste leben: Toren.
1. Es sprechen die
Toren in ihrem Herzen: „Es gibt keinen Gott!"
Ein
mutiges Wort! und zwar in einer Zeit, wo es zur Aufklärung, zum Wohle des
Volkes und zum Aufbau der Zukunft gehörte, in der Verneinung Gottes zu leben
und den Geist des Griechentums zu bejahen. Man liebte griechische Bildung, man
beteiligte sich am Sport und an den Wettkämpfen, man war stolz auf den
griechischen Hut. Man pflegte die Schönheit und genoß das öffentliche Gesellschafsleben.
Über alle innerlichen Hemmungen, die dem jüdischen Menschen durch das göttliche
Offenbarungsgesetz kommen mußten, setzte man Sich skrupellos hinweg. Man war
froh, endlich vom quälenden Schuldbewußtsein frei zu sein. Die Sündenfrage war
für immer gelöst. Opfer zur Sühne der Schuld gab es nicht mehr. Man wußte sich
nur dann Schuldig, wenn man die Staatsgesetze übertreten hatte. Ersatz für
gottesdienstliche Erbauungen fand man im Theater; Erleuchtung und Wissen
schöpfte man aus der griechischen Dichtung und Philosophie. Sie ersetzten Mose
und die Propheten.
Das
war der Geist, in welchem die Toren lebten. Sie schämten sich, Glied eines von
Gott erwählten Volkes zu sein. Sie verleugneten die prophetische Mission, die
Gott in das Leben ihrer Väter gelegt hatte. Ihr Leben war weltoffen und
zeitbejahend. Sie kannten nichts mehr von einem Kampf des Glaubens, der die
Welt zu überwinden sucht. Gibt es keinen Gott, dann gibt es auch kein
entsprechendes Gottesreich, auch keine Ewigkeit mit einem Leben nachdem Tode.
Vergänglich wie alle Kreatur ist auch der Mensch. Sein Glaube ist Irrtum, Seine
Hoffnung Täuschung
Denn
was hatte den Vätern all ihr Ringen, Glauben, Hoffen eingetragen? Zwar hatte
man in kindlichem Gottesglauben das Gesetz gepflegt. Dasselbe hatte aber das
Volk moralisch geknechtet. Man hatte zwar in den politischen Wirren und
Spannungen Gott vertraut. Der jüdische Staat hatte sich aber nicht der
Beherrschung durch die großen Weltvölker entziehen können. Auch hatte man
heilige Opfer gebracht, tägliche Waschungen vollzogen, Sabbate gehalten und
Feste dem HErrn gefeiert. Zuletzt hatte aber das Volk doch das Gericht für
seine angebliche Schuld tragen müssen. Kein Opfer, keine Pflege des Tempels,
kein heiliger Priester- dienst hatten die furchtbare Katastrophe des Volkes
aufzuhalten vermocht. Man hatte sich von den Heiden abgesondert,
versucht, als ein dem HErrn geweihtes Volk zu leben. Und dennoch war das ganze
Volksleben mit dem Fortschritt der Zeit immer abhängiger geworden von
weltlichem Einfluß und von heidnischer Kultur.
Diese
Widersprüche innerhalb der Reichsgottesge-schichte jener Tage hatte man nicht
zu überwinden
vermocht.
Da man sich deren Lösung nicht — wie die Propheten es taten — von Gott her
geben ließ, suchte man sie vom eigenen Volke und von der allgemeinen Geschichte
aus zu finden. Von hier aus konnte sie aber nicht gefunden werden. Da erfolgte
der innerliche Bruch mit der Vergangenheit: „Es gibt keinen Gott" Es gibt
auch keine heilige Geschichte der Väter, es gibt keine Sonderstellung Israels,
es gibt keine Offenbarung im Gesetz. Es gibt auch keine Zukunft über Grab und Tod hinaus.
Das war das neue Bekenntnis, dem man lebte,
Verständ-lich, daß aus demselben eine entsprechende Moral und Lebenshaltung
erwachsen mußte. Aus trüben Quellen fließen auch
trübe Wasser. Wird der Mensch erst sich selbst zum Schöpfer seines Lichtes und
zur Quelle seiner Erkenntnis, dann entspricht sein Leben den dunklen
Leidenschaften und Begierden, die er in sich trägt. Hat er keinen Gott mehr,
dann wird er sich selbst zum eigenen Dämon.
1 b. Verderbt, abscheulich handeln sie, keinen
gibt's, der Gutes tut.
Die
Begriffe von Gut und Böse sind überwunden. Die Bestimmung über die Begriffe
Recht und U n r echt hat man von Gott gelöst und in das eigene
Ermessen des Menschen gelegt. Schlechtes an sich gibt es nicht. Es wird zum
Guten, sobald es nützt und wenn man Vorteile von ihm hat. Indem aber jeder nur
das Seinige sucht, arbeitet man am Untergang
aller. Die geschichtlichen Folgen der Gottesleugnung waren daher noch
immer Gottlosigkeit. Der Mensch lebt hinfort nicht nur los von Gott, er
entwickelt sich auch zum Dämon des Nächsten. Ein Kain, der sein Verhältnis zu
Gott verlor, verlor damit auch sein Verhältnis zum Bruder. Anstatt als
Erstgeborener und Stärkerer seinem
Bruder
zu dienen, erschlug er ihn. Was Gottesleugnung ist, deutet die Weltgeschichte.
Alle ihre Versuche, sich selbst zu
erlösen, Herr ihrer eigenen Dämonen zu werden, endeten nur in neuen
Enttäuschungen und in neuen Weltkatastrophen.
Aber
im engsten Zusammenhang mit dem Bekenntnis des Toren steht noch etwas weit
Größeres. Die Weltgeschichte hätte sich längst ihr Endgericht geschaffen, wenn
nicht in ihr auch
wäre,
das ihr zu ihrem Heil gereichen mußte. In diesem Suchen liegt das Ringen Gottes
um seine Schöpfung: das Suchen und Seligzumachen dessen, der nicht den Tod des
Sünders will, sondern daß er sich bekehre und lebe (Hes. 18, 23).
2. Es Schaut der HErr vom Himmel herab auf der
Menschen Söhne, zu sehen, ob einer so einsichtig sei, daß er nach Gott frage.
Es
ist wiederum etwas ganz Großes an der Heiligen Schrift, daß sie nie nur vom
Fall des Menschen spricht. Wohl erzählt sie, daß die ersten Menschen sich zu verbergen
suchten, als sie Gottes Nähe vernahmen. Aber sie erzählt auch, daß Gott in den
Garten hineinrief: „Adam, wo bist du?" Dieser Ruf Gottes ist seitdem nie
mehr verstummt. Wohl verschweigt sie nicht Kains Brudermord. Sie sagt uns aber
auch, daß Gott Ihm ins Gewissen rief: „Wo ist dein Bruder Abel?" (1. .Mos.
4,9). Wohl berichtet sie uns Jakobs Betrügereien. Sie zeigt alsdann aber auch
ebenso klar, wie Jakob erst durch schwere Lebensführungen und Glaubens kämpfe
zu einem Israel wurde, zu dem Gott sich mit seinem Segen bekennen konnte. Wohl
Spricht sie offen von Davids Meuchelmord und Ehebruch. Sie sagt uns aber auch,
daß der Prophet Nathan ihm die Schuld zum Bewußtsein bringen und sagen mußte:
„Du bist der Mann!" (1. Sam. 12,7). Wie offen schildert die Schrift z. B.
auch Israel=Judas Dirnenschuld. Das Volk verläßt den Herrn als seinen Retter
und Eigner und buhlt bald mit Ägypten, bald mit Assur, bald mit Babel, um durch
sie vor dem Untergang bewahrt zu werden. Sie verschweigt uns aber auch nicht,
daß Gott dem Volke vor jedem drohenden Gericht seine Propheten sandte, um ihm
den Weg zum Leben oder zum Tode vorzulegen.
Das
ist Gottes Herabschauen auf der Menschen Söhne. Es ist die große Ausschau des
Vaters nach seinem Verlorenen. So hat Jesus dieses Herabschauen gedeutet (Luk.
15,20). Gott sucht Verbindung mit dem Einzelnen, um ihm persönlich, aber auch
durch ihn dem Ganzen dienen zu können.
Er sucht nicht das Gute an sich. Er sucht den Menschen seines Ebenbildes, um
ihn mit Gutem zu begnadigen, und um durch
ihn Gutes zu wirken. Dem Könige
Asa von Juda ließ der Herr einmal sagen: „Des HErrn Augen Schweifen über die
ganze Erde, damit er sich stark erweise
für die, deren Herz ihm ungeteilt gehört“ (2.Chron. 16,9). Dies Wort
mußte der Seher dem Könige sagen, weil er sich durch ein Bündnis mit Benhadad,
dem Könige von Syrien, gegen den König von Nord=Israel Baesa, zu Stärken
suchte. Hierin hatte der sonst fromme König töricht gehandelt. Daher konnte
sich Gott zu dieser Handlung nicht bekennen. Durch den Propheten Hesekiel
klagte einst der HErr, wo es sich um Jerusalems Schuld und Gericht handelte:
„Und ich suchte unter ihnen einen, der eine Schutzmauer bauete, oder vor mir
für das Land in den Riß trete, daß ich es nicht verderbe, aber ich fand
keinen" (Hes. 22,30). Das war zu allen Zeiten das Erschütternde im Leben
eines Zum Gericht reifen Volkes, wenn in demselben Gott zuletzt niemanden mehr
fand, durch den er dem Ganzen
helfen und es vor dem Untergang bewahren
konnte.
In
diesem Lichte wird verständlich, was es einst für die Geschichte Israels
bedeutete, wenn das Volk Persönlichkeiten in Seiner Mitte hatte, die nach Gott
fragten. Hätte es in den letzten Jahrhunderten seiner Geschichte nicht so große
und Starke Persönlichkeiten gehabt, es wäre bereits viel früher seinem
staatlichen und religiösen Zusammenbrach anheim gefallen. Indem sie da waren,
konnte Gott nicht allein zu seinen Propheten reden, er redete durch sie auch
zum Volke! Sie waren es, die die Not ihrer Zeit zum Inhalt ihres Gebets
machten. Hatte das Volk die innere Verbindung mit Gott verloren, sie waren
bereit, in ihrer Person, d. h. durch ihre Fürbitte und durch ihr Zeugnis
diese Verbindung zwischen Volk und Gott wieder herzustellen. In diesem Geiste
redete einst Abraham mit Gott über die Rettung von Sodom und Gomorra
(1.Mos,18,23ff.). Mose flehte auf dem Berge für sein Volk, das unten um ein
goldenes Kalb tanzte (2. Mos. 32,7 ff.). Josua lag auf seinem Angesichte vor
Gott nach dem unglücklichen Ausgang des Kampfes mit dem Städtchen Ai und rang
um die Zukunft seines Volkes (Jos. 7,6 ff.). Daniel zog sich in sein Kämmerlein
zurück, nachdem Nebukadnezar beschlossen hatte, alle Weisen und Sternkundigen
umzubringen, weil sie den vergessenen Traum dem Könige nicht sagen konnten. Im
Kämmerlein erbat er sich von Gott den vergessenen Traum, damit die Weisen und
Sternkundigen vom Tode errettet werden möchten (Dan. 2,17 ff.). Erst im vollen
Glanz der Ewigkeit werden wir erkennen, welch eine ungeheure Bedeutung und
Tragweite jene Persönlichkeiten für die Geschichte der Völker und für das Reich
Gottes hatten, die im Kämmerlein betend und führbittend für ihre Zeit, ihr Volk
und ihre Kirche mit Gott rangen. Nach Jesu Wort sind sie auch im Zeitalter der
Gemeinde das Salz der Erde und das Licht der Welt.
Um
so verlassener von Gott ist aber ein Volk, wenn von demselben gilt, was unser
Sänger aussprechen muß. Gott Schaut zwar aus, ob einer so einsichtig sei und
nach ihm frage.
3. Doch alle sind sie abgewichen, sie sind entartet insgesamt. Keiner ist,
der Gutes tut, [unter allen] auch nicht einer.
Nachdem
Gott vergeblich nach den wenigen Gerechten in Sodom und Gomorra gesucht hatte,
da mußte das Gericht eintreten, von dem er zu Abraham geredet hatte. Fehlt dem
Fleisch erst die bewahrende Salzkraft, dann verfällt es der Fäulnis, sucht Gott erst in der Geschichte vergeblich nach
Trägern seines Lichtes, dann bedeckt Finsternis das Erdreich und Dunkel die
Völker. Wie allgemein diese Finsternis mit ihrem Verderben ist, hat ja Paulus
im Römerbrief erschütternd beschrieben. Er geht von diesem Psalmwort aus und
stellt fest, daß weder Juden noch Griechen gerecht sind. Sie alle sind vor Gott
schuldig und stehen unter der Sünde und
deren Gericht. Daher kann die Erlösung weder von Juden noch von Griechen
kommen, sondern allein von dem Einen, der auch Sünder gerecht machen kann.
Es
gehört zum Fluch der Sünde, daß sie den Menschen trotz allem Sehen — blind
macht. Der Mensch glaubt zwar in seinem übeltun Sein Glück zu finden, es wird
ihm aber zum Wege ins Verderben!
4. Sind denn die Übeltäter ohne Einsicht, daß sie
mein Voll wie Brot verschlingen, den HErrn aber nicht anrufen?
Unbegreiflich
ist dem Psalmisten das Tun der Übeltäter. Ihr Handeln ist ohne Einsicht, ohne Überlegung.
Sie verschließen sich den Folgen, zu denen ihr Handeln für sie und andere
führen muß. Da sie Gott verloren haben, haben Sie auch den Nächsten verloren. Ihnen ist des HErrn Volk
nur noch Brot, das sie verzehren, nur Ausbeuteobjekt, das sie zu ihrem eigenen
Vorteil auszunützen suchen. Das wird hier bildlich mit dem Begriff
„fressen" oder „verschlingen" ausgedrückt. Da sie keine
Gewissensbindung
dem Bruder gegenüber mehr kennen, machen sie sich die Schwachen, die
Gottesfürchtigen in allem dienstbar.
Von
diesen redet hier der Psalmist als vom Volk des Herrn. Sie wollen lieber
Unrecht leiden als Unrecht tun. Sie lieben nach dem Gesetz den Nächsten wie
sich selbst. Sie begehren nicht des Nächsten Weib und schielen nicht nach des
Nächsten Haus. Sie leben nicht vom Brot, das andere erworben. Im Schweiße ihres
Angesichts essen sie das Brot, das sie mit eigenen Händen erarbeitet haben. An
ihren Händen klebt kein Blut. Ihr Brot ist nicht durch Tränen anderer getränkt.
An ihrem Acker hängt kein Betrug, an ihrem Gewinn kein Fluch der Armen. Der
Segen des HErrn steht ihnen höher als der Gewinn der Erde. Die Seele des
Nächsten ist ihnen wertvoller als die Genüsse ihres Lebens. Sie können opfern,
damit andere gewinnen, können auf Rechte verzichten, damit andere nicht
geknechtet werden. Sie stellen ihre Freude zurück, damit andere nicht seufzen.
Auch ernten sie nicht, wo andere säeten.
Ganz
anders ist die Haltung der Übeltäter. Sie machen geradezu das Volk des HErrn
zum Brot, das sie verschlingen. Sie kommen in keine Gewissensnöte, wenn sie
anderen einen Tränen und Leidensweg bereiten. Skrupellos können sie nehmen, wo
sie nicht zu fordern haben. Sie können entrechten, wo immer ihre Macht und ihr
Einfluß dazu ausreichen. Sie pflegen ihr Wohlleben, wenn es auch auf Kosten
Hungernder und Armer geht. Waren es doch gerade die Griechenfreunde, die durch
den Anschluß an den Geist jener Zeit besonders viel Macht und Einfluß besaßen.
Die Gesetzestreuen oder Gerechten dagegen waren machtlos diesen Starken
gegenüber. In der Öffentlichkeit hatten sie wenig Geltung, und schwer konnten
sie sich ihr Recht verschaffen. Sie
wurden zwar geduldet, nicht aber geliebt und geachtet. Das war ihr Leidensweg
in jener Zeit.
Daß
dieser ihnen nicht etwa von fremden, ,sondern von den eigenen Volksgenossen
bereitet wurde, geht offenbar aus den Sätzen hervor:
4b. daß Sie mein Volk wie Brot verschlingen, den
HErrn aber nicht anrufen?
Man
nimmt an, daß es besonders auch manche innerhalb der Priesterkreise waren, die
sich offen zur griechischen Aufklärung und zur Verleugnung des Gottes ihrer
Väter bekannten. Sie aßen zwar das Brot des Heiligtums, das von den Gerechten
dem HErrn geweiht worden war. Sie lebten von den Opfern, die sie mit den
Altären des HErrn teilten. Den HErrn aber riefen sie nicht an. Sie brachten es
fertig, von einem geistlichen Berufe zu leben, während sie die Berufung zum
geistlichen Dienste verleugneten. Gottes Tempel war ihnen eine Brotstätte,
nicht aber das Heiligtum, um sich dort mit der Gemeinde gemeinsam zum HErrn zu
erheben. Die äußerliche Pflege der Gottesdienste war ihnen nur die Quelle ihres
priesterlichen Einkommens. Je größer die Zahl der Opfernden, um so größer war
ihr Gewinn.
Wie
gewissenlos Priester ihren Dienst tun konnten, bewiesen bereits die Söhne des
Hohenpriesters Eli. Von ihnen erzählt die Schrift: „Sogar ehe man das Fett
verbrannte, kam der Bursche des Priesters und sprach zu dem, der das Opfer
brachte: ,Gib Fleisch her für den Priester zum braten; er will nicht gekochtes
Fleisch von dir, sondern rohes.' Sagte dann der Opfernde zu ihm: ,Man soll doch
Zuerst das Fett verbrennen, dann nimm, was dein Herz begehrt', so Sprach er:
,Nein! Sondern gleich sollst du es geben! Wo nicht, so nehme ich es mit
Gewalt" (1.Sam.2, 15 ff.). Wieviel mehr mußte sich im Verwandten Geiste
jeder Heiligtumsdienst in einer Zeit vollziehen, wo man sich erkühnte zu
Sprechen: „ES gibt keinen Gott!" In solchen Zeiten schweigt die Anbetung,
des Herzens, es herrscht nur noch das Geplärre der Lippen. Da lügen die
Priester, so oft sie auch „HErr! HErr!" sagen, oder ihre Hände zum Segnen
des Volkes erheben. Es kommt aber die Stunde, wo ihnen ihr Handeln zum Gericht
werden muß. Davon redet die Fortsetzung des Psalms.
Hatte
es auch den Anschein, als ob hinfort solch ein Geist die Zukunft beherrschen
werde, plötzlich, unerwartet tritt eine Wendung ein. Sie wird zum Schrecken der
Übeltäter, rechtfertigt aber die leidenden Gerechten. Die Erkenntnis, daß Gott
ein Gott der Gerechtigkeit ist, der das Tun der Frevler im Gericht enden läßt,
aber das Leben der Gerechten schließlich doch mit Segen krönt, ließ die unter
dem Geist ihrer Zeit Leidenden stark bleiben im Kampf. Zwar dauerte auch ihnen
das Kommen der Stunde Gottes oft zu lange. Sie wurden aber dennoch nicht
schwach im Glauben. „Wenn die Stunden sich, gefunden, bricht die Hilf mit Macht
herein!"
5. Da erfaßt
sie ein gewaltiger Schrecken, denn Gott
ist bei dem Geschlecht der Gerechten.
Vielleicht
darf nach dem Hebräischen das Wörtchen „da"' sowohl zeitlich als auch
räumlich gefaßt werden. Gerade dort, wo sich die Übeltäter schwersten
versündigen und zu einer Zeit, wo Sie sich am sichersten fühlen, auf der Höhe
ihrer Macht zu stehen glauben, werden sie vom Schrecken des HErrn erfaßt
werden. Sie glaubten, ohne Vergeltung das Leben der Gerechten bedrücken und
ausnutzen zu können.
Sie
sahen das Warten der Gerechten für Aberglaube und Schwärmerei an. Daß Fromme
beteten, in ihrer Not ihre Zuflucht zum HErrn nahmen, besagte ihnen nichts. In
der Haltung Gebeugter vor Gott sah man keine Macht, vor der man sich zu
fürchten habe. Der Sänger ruft jedoch diesen Spöttern zu:
6. Mög't ihr auch schmähen den Trost des Elenden,
der HErr ist dennoch seine Zuflucht!
Ein schwer
zu übersetzender Vers,
abhängig von dem
Einfühlungsvermögen des Übersetzers. Vielleicht entspricht es noch mehr
dem Sinne desselben, wenn man ihn in die Sprachliche Form faßt: Die Annahme des
Elenden mög't ihr Schmähen, daß der Herr seine Zuflucht ist.
Das
Recht mag den Frevlern bleiben, daß sie auch das Höchste und Heiligste der
Gerechten verächtlich machen. Wer selbst keinen
Umgang
mit Gott kennt, verliert auch die Ehrfurcht vor dem Beten anderer. Im
Bewußtsein der eigenen Überlegenheit Schmäht man das Knien des Nächstem vor
Gott. Plötzlich sehen sich aber solche
Übeltäter vom Schrecken erfaßt. Innerhalb ganz bestimmter Geschichtsereignisse
wird offenbar, daß Gott bei dem Geschlechte der Gerechten wohnt Glaubte man
auch, sie seien dem Zufall der Zeit und
der Willkür ihrer Umgebung preisgegeben - es zeigte sich: Gott wacht über sie.
Er deckt sie in der Stunde der Not, wo andere ihren Untergang erleben, in
Zeiten der Verwirrung, wo andere blind in ihr Unglück rennen, sehen sie sich von
einer sicheren Hand geführt. Brechen andere in Angst und Verzweiflung
zusammen, werden sie durch einen Trost und eine Kraft begnadet, durch die sie
auch das Schwerste zu überwinden
vermögen. Geht anderen hoffnungslos ihre Zeit und ihre Welt unter, im Umgang
mit Gott erlischt ihnen nicht ihre Hoffnung und verlieren sie nicht die
Zukunft.
Gerade
in Leidenszeiten, in Gerichtstagen, in Geschichtskatastrophen wird vielfach
allen sichtbar, daß der HErr unter denen wohnt, die in ihrem Leben geschlagenen
Herzens und gedemütigten Geistes geblieben sind. Gerade in Zeiten, wo sich
andere reich und stark und satt wußten, lebten sie im Bewußtsein ihrer
Abhängigkeit vom HErrn. Galt diese Glaubenshaltung auch in den Augen anderer
als Schwäche, sie erlebten in derselben doch die Kraft der Gegenwart Gottes.
Wurden von anderen auch Gottes Wirklichkeit und Gegenwart bestritten und
bespottet, ihnen waren sie der Inhalt ihres Glaubens, die Quelle ihrer Kraft
und das Geheimnis ihres Segens.
So
wird am Leben derer, die ihren Halt an Gott gefunden haben, offenbar,
was andere in ihrem Leben ohne Gott sind. An der
Gottesfurcht
wird das wahre Angesicht der Gottlosigkeit sicht-
bar.
Wie überaus sündig die Welt sein und handeln kann, zeigte sie erst, als Jesus
von Gott gesandt in die Welt kam, um ihr zum Retter zu werden. Andererseits muß
aber an der Welt auch offenbar werden, wer die Gerechten sind. Im Dienste an
der Welt muß sich Zeigen, in welchem Geiste sie dienen, welche Kräfte sie beleben,
welch eine Sehnsucht sie erfüllt. Davon redet zuletzt noch der Schlußvers
unseres Psalms.
Gerechte
leiden seelisch nicht nur unter dem, was sie an Schmähungen, Trübsalen und
Verfolgungen von anderen zu erdulden haben. Mehr noch leiden sie priesterlich
unter dem, daß die Frevler sind, was sie sind.
7. Ach käme aus Zion für Israel Rettung! Wendet der
HErr seines Volkes Geschick, wird Jakob frohlocken, wird Israel sich freuen.
Dem
Sänger schweben all die jüdischen Gemeinden vor, die zerstreut im Lande und in
der Fremde lebten. Was war aus ihnen geworden? Schwerer noch als unter der Fremdherrschaft, die auf ihnen
lastete, litten sie unter dem Geiste ihrer Priester und Lehrer. Berauschten
sich die einen am Geiste der Zeit, so verfielen die anderen in knechtende
Gerechtigkeit. Beide Strömungen rangen um ihren Einfluß auf die hirtenlos
gewordenen
Gemeinden.
Der
Psalmist ist von einem innerlichen Weh erfaßt. Mit so vielen anderen leidet er
unter diesem Zustand. Er findet nicht viele Worte zum Gebet, sein Seufzer
drückt aber aus, was ihn bewegt. Es ist ein Seufzer des Glaubens. Er glaubt
noch an die Möglichkeit einer Rettung, denn er glaubt an Gott. Ihm wohnt der
Herr zu Zion, doch nicht etwa, weil er glaubte, Gott sei in seiner Gegenwart
nur an den Berg Zion in Jerusalem gebunden. Auch er kennt Gott als den
Allgegenwärtigen. Aber Zion war in der großen Vergangenheit der Geschichte
seines Volkes unzählige Male die Stätte gewesen, von der aus Gott seine
Gegenwart, seine Macht und sein Heil geoffenbart hatte. Daher ist ihm Gott der
Gott zu Zion. Die Betonung liegt für den Sänger mithin nicht auf Zion, sie
liegt für ihn auf Gott.
Allein
Er ist groß genug, seines Volkes Geschick zu wenden. Gerade der Ausdruck
„Geschick" läßt erkennen, daß der Psalm entweder während der babylonischen
Gefangenschaft oder weit später entstanden ist. Es ist der Ausdruck, der von
den Propheten und nachher so oft für das leidvolle Ergehen des heimatlos
gewordenen Volkes gebraucht wurde. Der Glaube des Psalmisten weiß aber, daß
Gottes Barmherzigkeit zu triumphieren vermag auch über das Gericht. Aus dieser
Gewißheit entstand sein Flehen.
Auch
ist er sich darüber klar, welch eine Freude es in vielen auslösen wird, wenn
erst die ersehnte Wendung von Gott aus kommen kann. Mehr als manche wahrhaben
wollten, lebte in vielen verborgen dennoch eine lebendige Gottesfurcht. Mochte
es auch im öffentlichen Leben den Anschein haben, als ob fast das ganze Volk
ein Opfer der heidnischen Aufklärung und des innerlichen Verfalls geworden
wäre, kann Gott erst auf Grund seiner Vergebung in das Geschick seines Volkes
eingreifen, dann wird sich zeigen, wie viele ihr Knie nicht vor den Göttern der
Fremden gebeugt haben. Ihre Freude und ihr Frohlocken werden es allen bezeugen,
wie wenig sie dem Geiste ihrer Zeit verwandt gewesen waren.
Es
war eine prophetische Zuversicht und Erwartung, von der sich der Psalmist
innerlich begnadet und getragen sah. Durch sie blieb er stark trotz aller
Leiden und Kämpfe, mit denen seine Zeit verbunden war. Er konnte hoffen und
warten, so dunkel die Gegenwart auch noch
war, denn er hatte Gott nicht verloren. Gott ist aber nicht nur ein Gott
der großen Vergangenheit, er ist der Gott der weit größeren Zukunft, Er fleht
gegenwärtig inmitten des Sechstagewerks seiner Neuschöpfung. Durch Christus
sucht er zu erlösen, die sich für seinen Herrschaftsanspruch an den Menschen
erlösen lassen wollen. Sie sollen Anteil haben an dem König= reich der Himmel,
an dem Schöpfungssabbat der Vollendung, auf den hin alles Wirken Gottes
angelegt ist.
Überschrift: Dem Musikmeister, ein Psalm Davids
19 a. Das Lied der Schöpfung
2. Die Himmel rühmen die Ehre Gottes1),
und die Feste verkündigt das Werk seiner Hände.
3. Ein Tag kündet2) es dem ändern
und eine Nacht tut es der anderen kund —
4. [und zwar] ohne Sprache, ohne Worte,
mit lautloser Stimme [reden sie].
5. Ihr Schall geht aus in alle Lande,
ihr Reden bis ans Ende der Welt.
Dort hat er der Sonne ein Zelt gesetzt.
6. Und sie — dem Bräutigam
gleich, der sein Gemach
verläßt--- sie freut sich wie ein Held, zu laufen ihre Bahn.
7. An einem Ende des Himmels steiget sie auf, bis zum
andern Ende reicht ihr Umlauf, vor ihrer Glut bleibt nichts verborgen.
19b. Die Herrlichkeit des Gesetzes
8. Das Gesetz des HErrn ist vollkommen,
es erquickt die Seele.
Das Zeugnis des HErrn ist zuverlässig,
den Einfältigen macht es weise,
9. Die Ordnungen des HErrn sind gerade
[und] erfreuen das Herz.
Das Geheiß des HErrn ist lauter
und erleuchtet die Augen.
10. Die Furcht des HErrn ist rein,
sie bleibt für immer bestehen.
Die Urteilsprüche des HErrn sind wahr,
gerecht
sind sie allzumal.
11.
Köstlicher sind sie als Gold,
als
Feingold in Menge, und süßer als Honig und Honigseim.
12.
Auch dein Knecht hat ihre Unterweisung vernommen;
wer
sie bewahrt, wird reichlich belohnt.
13.
Wer [aber] kann merken, wie oft er fehle? Von Fehlern, den unerkannten, sprich
mich los.
14. Auch vor mutwilligen Übertretungen3)
schütze deinen Knecht, laß sie nicht über mich herrschen.
Dann werde ich Schuldlos sein, und frei bleiben von
Schweren Verfehlungen.
15. Mögen dir gefallen die Worte meines Mundes, ja,
das Sinnen meines Herzens, HErr, du mein Hort und mein Erlöser!
Wir wären Götter, könnten wir Gott in seiner Größe,
Majestät und Herrlichkeit fassen. Wohl suchen wir Gott, ohne ihn finden zu
können. Wir wissen von ihm nur insoweit, als er in seiner Offenbarung selbst zu
uns kam und uns durch seinen Geist erleuchtete. Wir wissen uns auch als ein
kleines Glied der Schöpfung. Ihren Gesamtorganismus begreifen wir aber nur
insoweit, als es uns möglich war, forschend und horchend in ihre Geheimnisse,
in ihre Ordnungen und in ihre Energien zu dringen. Ob Offenbarung, ob
Schöpfung: beide wollen uns zu jeder Zeit die Majestät des Ewigen, die Größe
des Schöpfers und die Herrlichkeit des Allmächtigen verkündigen.
In ihren Dienst stellt sich auch unser Psalm. Er
redet zu uns von zwei Welten, die aber beide denselben Schöpfer rühmen. Die
erste Hälfte des Psalms spricht von der Herrlichkeit der Schöpfung und die
zweite von der Herrlichkeit der Offenbarung. Entsprechend der Größe des Inhalts
hat der Sänger auch eine entsprechende dichterische Form gefunden. Er spricht
als ein von Gottes Offenbarungsherrlichkeit Ergriffener. Daher haben seine Worte einen so vollen Klang.
Auch die Jahrtausende haben seinem Zeugnis nichts von seiner Schönheit und
Kraft, von seiner Wucht und Klarheit rauben können.
Zwar ist der Psalm kaum von ein und demselben
Dichter gesungen worden. Durchweg wird angenommen, daß nämlich vom ersten Teil
des Psalms, dem Lied der Schöpfung, der Schluß verlorengegangen sei. Vielleicht
hat man sich, bei der Zusammenstellung des Psalms dadurch bestimmen lassen, daß
beide Teile, sowohl der Inhalt der ersten als auch der der zweiten Hälfte ein
gewaltiges Zeugnis von der Offenbarungs-herrlichkeit sind. Der erste Sänger
besingt
Nicht etwa nur der
israelitisch=jüdische Mensch jener Zeit wurde gelegentlich innerlich ergriffen
und erschauerte, wenn er sinnend vor der Schöpfung mit ihrem rhythmischen Gang,
mit dem Pulsschlag ihrer Kräfte und mit der Schönheit und der Mannigfaltigkeit
ihres Lebens Stand. Lieder von Weltentstehung und Weltbewunderung haben daher auch andere
Völker gesungen. Aber in ihren Mythen und Sagen suchen wir vergeblich nach
einer verwandten Schau. Erst auf Grund der Offenbarung sieht der Mensch, im
Weltall nichts anderes als den Abglanz der Majestät des Ewigen. Im geschaffenen
Stoff muß er die mannigfaltige Weisheit des Schöpfers bewundern. Unser Sänger
Schreibt zwar nicht als Naturforscher und Naturphilosoph. Er Singt aber als ein
von dem Ruhm der Schöpfung Ergriffener:
2. Die Himmel rühmen die Ehre
Gottes,
und die Feste verkündigt das Werk
seiner Hände.
Für ihn haben die Himmel ihr Schweigen gebrochen.
Er hört ihr Rühmen, er versteht den Inhalt ihrer Sprache. Er war dem Geiste des
Schöpfers verwandt; daher verstand er das Lied, das die Schöpfung ihrem
Schöpfer singt. Denn nur Verwandtes kann das Verwandte verstehen. Nur ein
gottverwandter Geist des Menschen, der nicht sein eigener Schöpfer, sondern von
oben herab geboren ist, vermag das Göttliche in den wechselnden
Erscheinungsformen innerhalb des Schöpfungswerkes zu vernehmen. Seine Schau
macht aber den Menschen nicht zum Sklaven der Schöpfung, sondern erhebt ihn zur
Anbetung des Schöpfers. Nicht so die Heiden! Für sie Schweigen die Himmel.
„Aber kein einziges Volk auf der Welt ist imstande, einen schweigenden Himmel
zu ertragen. Leise und laut, betend und fordernd ertönt aus jedem Volk der Ruf:
,O Gott, rede doch! Darum deuten die Magier den Sternenhimmel. Darum tanzen die
Derwische! Darum fragen die Griechen ihr Orakel! Sie alle wollen nur eins: den
Himmel zum Reden bringen. Aber der Himmel Schweigt4)."
Erst Menschen, die wie Samuel und die Propheten ein
Ohr für das persönliche Reden Gottes
gewonnen, hören auch die Himmel Gottes
Herrlichkeit rühmen. Ihnen erzählt des Himmels Gewölbe von dem Werk seiner
Hände. In den größten und kleinsten Erscheinungen und Daseinsformen der
Schöpfung vernehmen sie Töne von dem Anbetungspsalm der Seraphim vor dem Throne
des Schöpfers: „Heilig, heilig, heilig ist der HErr der Heerscharen, die Fülle
der Erde rühmt seine Herrlichkeit!" (Jes. 6,3). Solche Menschen sind innerlich verwandt dem Geiste Jesu, zu
dem der Vater auch durch die Lilien des Feldes und durch die Sperlinge auf dem Dache reden konnte. Sie
bleiben nicht bei der Schöpfung hängen, bauen nicht den Himmeln ihre Altäre und
knien nicht anbetend vor den Kräften der Erde. Auch bleiben sie nicht stecken
in der Eigengesetzlichkeit der Schöpfungsordnungen. Sie unterstellen Sich
vielmehr bewußt und hingebend dem unmittelbaren Wirken ihres Schöpfers. Sie
verwechseln nicht Werk und Meister. Je tiefer sie eindringen in die Wunder der
Schöpfung, desto größer wird ihnen der wesenhafte Abstand zwischen dem Geiste
des Schöpfers und dem Werk seiner Hände. Nie kann ihnen daher der Himmel den
ersetzen, der im Himmel als Herr der Schöpfung thront. Nie erwarten sie vom
Segen der Erde, was ihnen allein im Glaubensumgang mit dem Herrn der Erde
werden kann.
Wie stark unserem Sänger die gesamte Schöpfung im
Diente ihres Schöpfers steht, das sagt er uns durch Strophen:
3. Ein Tag kündet es dem andern
und eine Nacht tut es der anderen
kund —
4. [und zwar] ohne Sprache, ohne
Worte,
mit lautloser Stimme [reden Sie].
Schweigend bricht zwar an jedem Morgen der Tag aus
nächtlichem Dunkel hervor. Schweigend legt sich auch die Nacht nach jedem Tage auf die gesamte müde
Schöpfung. Und dennoch reden sie. Durch ihr Kommen und Gehen künden sie
gleichsam ein Geheimnis. Ihr Gehorsam ist
nur eine Wirkung jener Gesetze und Ordnungen, die sie von ihrem Schöpfer
empfangen haben. „Die Naturwirkungen sind Gottes Wirkungen; die Naturgesetze
Sind Gottes Gedanken", Sagt Oersted, der berühmte Entdecker des
Elektromagnetismus in seinem Buche „Geist in der Natur", Sie können in dieser
heiligen Gesetzmäßigkeit als Tag und Nacht nur dienen, weil sie im Wirken eines
Höheren stehen. Jeder Tag und jede Nacht künden von dem Tun und dem Willen
ihres Souveränen Schöpfers. Sie sind das Werk seiner Hände, das Tagebuch einer
ewigen Schöpfungsgeschichte.
Sind doch die Bedingungen des Lebens und das
Wohlsein aller höheren Geschöpfe von der täglichen Umdrehung der Erde um ihre
eigene Achse abhängig. Wo auf der Erde nur ewig die Sonne glüht, da herrscht
die Wüste. Wo auf ihr nur die Kälte der Nacht herrscht, da starrt alles in
Schnee und Eis. Wer daher im Tagebuch Gottes zu lesen vermag, dem kündet jeder
neue Tag Gottes Weisheit und Schöpfermacht, zu dem redet jede Nacht von der
Güte und Liebe dessen, der als Schöpfer Himmel und Erde regiert. Obgleich ihre Kunde
klang= und wortlos ist, so reden beide dennoch eine verständliche Sprache. Auch
der schlichteste Mensch sieht sich gelegentlich von einer inneren Ehrfurcht und
Bewunderung erfaßt, wenn er das Licht des Tages und die Ruhe der Nacht genießt,
6a. Ihr Schall geht aus in alle
Lande, ihr Reden bis ans Ende der Welt.
Weltumspannend ist ihr Wirken, weltumspannend ist
daher auch ihre Kunde. So sind Himmel
und Erde mit ihrer Sprache „das Buch der Gotteserkenntnis für alle Welt".
Es waren in der Geschichte nicht selten die ganz Großen, in deren Leben in
wunderbarer Wechselwirkung und Harmonie Ehrfurcht vor Gott und großes Wissen um
die Schöpfung standen. Und alle Freunde des biblischen Wortes müssen immer
wieder erkennen, wie die göttliche Offenbarung in Worte und Gleichnisse gefaßt
ist, die aus dem Wörterbuch der Schöpfung gewählt worden sind.
Am stärksten sah sich der Sänger vom Tageslauf der
Sonne, von ihrem Auf= und Untergang beeindruckt. Er Sagt:
5b. Dort hat er der Sonne ein Zelt
gesetzt.
6. Und sie — dem Bräutigam gleich,
der sein Gemach verläßt — Sie freut sich wie ein Held, zu laufen ihre Bahn.
7. An einem Ende des Himmels
steiget sie auf bis zum ändern Ende reichet ihr Umlauf, vor ihrer Glut bleibt
nichts verborgen.
Man muß von den Bergen Judas aus einmal den Aufgang
der Sonne über die Moabiter Berge im Osten und das Dahinscheiden der Abendsonne
im weiten Westen des Mittelmeeres gesehen haben, um diese eindrucksvolle
Sprache ganz zu verstehen. Der Ausdruck der Freude, der Schönheit und der
Kraft, die aus der Haltung des Bräutigams spricht, wenn er sein Brautgemach
verläßt, ist dem Sänger das Gleichnis um die Sonne in ihrer majestätischen
Ruhe, in ihrer flammenden Pracht, in ihrem Gleichschritt durch die Jahrtausende zu besingen. Das Himmelsgewölbe
ist ihr Wohnzelt, vom Schöpfer ihr aufgeschlagen. Aus diesem tritt sie am
Morgen heraus, in dieses zieht sie sich bei ihrem Untergang wieder zurück. Der
Semite drückt den Begriff „Sonne" durch ein Wort männlichen Geschlechts
aus. Ihm ist sie „der Flinke", während er den Mond „den Wanderer"
nennt. Nicht etwa müde, — wie ein Held im Gefühl seiner Kraft beginnt sie im
Osten ihren Tageslauf und hüllt die Erde in ihre Lichtfülle, so daß sich
niemand ihrer Glut entziehen kann.
Ihr Tageslicht ist mithin die Himmelsgabe, die sie
der Erde und deren Lebensfülle spendet. Im Dienste ihres Schöpfers flehend,
erhält sie durch ihr Licht die Gewässer im Meere im flüssigen Zustand. Sie
bedingt die Gasform der Luft, die wir atmen. Ihr Licht verwandelt sich je nach den Bedürfnissen der irdischen
Haushaltung in Wärme, in Elektrizität, in Magnetismus, in chemische Anziehung
und Abstoßung, in Arbeitskraft, in Bewegung und Leben. Die Lebenswärme unseres
Leibes, der Kreislauf unseres Blutes, jeder Pulsschlag unseres Herzens, jede
Bewegung unserer Glieder ist eine Umsetzung der ursprünglichen Wirkung des
Sonnenlichtes.
Was Wunder, wenn diese göttliche Werkstätte, aus
der so reiche Segensströme für die Erde und ihre Bewohner fließen, bereits in
alten Zeiten Männer, wie unser Sänger einer war (vgl. Ps. 8; 104; Jes. 40,
21—26), mit tiefer Ehrfurcht, höchster Ergriffenheit und glaubensvoller
Anbetung dem Schöpfer gegenüber erfüllte! Ihnen schließt sich ein neuzeitlicher
Forscher mit den inhaltsschweren Worten an: „Ein Herold der Größe Gottes — ein
Wunderwerk seiner Allmacht — ein glühendes Zeugnis seiner Liebe — ein Abglanz
seiner Majestät — ein Lichtschimmer seines ewigen Reiches: das ist der
Riesenball der Sonne5)!"
Hatte unser Psalmist die Anregungen für seinen
Psalm beim Anblick der Gottesherrlichkeit in der Schöpfung empfangen, so sah
der zweite Sänger dieselbe Gottesherrlichkeit in dem geoffenbarten Wort. Dieses
fand er in der Thora, d. h. in dem geschriebenen Gesetz. Das ist ihm, wie ein
neuerer Ausleger sagt, „die geistige Sonne ohne Sonnenflecken, ein Abglanz des
ewigen Lichtes, ein Ausstrahlen der Herrlichkeit Gottes". Vom Gesetz so zu
reden und es in seinem Inhalt so zu erfassen, wie der Psalmist es tut, vermag
nur jemand, der es in seinen Wirkungen als Kraft Gottes erlebt hat. Ihm ist das
Gesetz nicht eine Sammlung von Lehren und Aufsätzen, die er als
Schriftgelehrter zu Studieren hat. Aus ihm hört er Gott in seiner Liebe und in
seinem Gericht zu seiner horchenden Seele reden. Nicht ein toter Buchstabe, der
lebendigmachende Geist Spricht zu ihm aus dem Gesetz. Über die mannigfaltigen
Wirkungen, die der Psalmist uns vom Gesetzt zu sagen hat, kann man die
Überschrift setzen:
Wie der Begriff „Herrlichkeit" im Blick auf
Gott, den Quell aller Offenbarung, mehr ist als nur eine Benennung des
Lichtglanzes, von dem Er umgeben ist, so auch im Blick auf das Gesetz. Die
Herrlichkeit ist hier Ausdruck der göttlichen Kraft und Segensfülle, welche
diejenigen im Gesetz finden, die betend horchen, was ihnen Gott selbst durch
dasselbe sagen will.
8. Das Gesetz des HErrn ist
vollkommen, es erquickt die Seele.
Das Zeugnis des HErrn ist
zuverlässig, den Einfältigen macht es weise.
So Sprach der Sänger nicht
etwa nur aus einer gewissen äußerlichen Gesetzesfrömmigkeit heraus. Er hatte an
der Thora, in dem geschriebenen Gesetz etwas von der Herrlichkeit Gottes
gesehen. In den von ihm genannten verschiedenen Eigenschaften des Gesetzes
erkannte er Eigenschaften Gottes, Wirkungen seiner Offenbarung. Die
Vollkommenheit der Offenbarung in ihren mannigfaltigen Wirkungen entsprach
mithin der Quelle, aus der sie floß. Gott ist vollkommen, daher kann auch sein
Gesetz ein vollkommenes sein. Das Wort „vollkommen" ist im Alten Testament
ein oft wiederkehrender Begriff. So wird z. B. Abraham nach der Geburt Ismaels
aufgefordert: „Wandle vor mir und sei vollkommen" (1. Mos. 17,1). Ismaels
Geburt war nicht aus einem Wandel vor Gott hervorgegangen. Abraham hatte das
Vertrauen zur empfangenen Verheißung verloren. Daher hatte er Hagar in sein
Zelt genommen. Dieses sein Verhalten hatte nicht der vollkommenen Offenbarung
entsprochen, die in der Verheißung zu ihm von einem Erben geredet hatte. Nun
wird er erneut aufgefordert, entsprechend der empfangenen Offenbarung vor dem
Allmächtigen zu wandeln. Gott vermag zu geben, was er verheißen hat. Der
Begriff „vollkommen" ist hier mithin mehr als „tadellos",
„fehlerfrei". Er bezeichnet ein vollkommenes, nicht schwankendes Verhalten
einer empfangenen Verheißung gegenüber, hinter der Gott in seiner
Vollkommenheit und Allmacht steht.
Von den Opfertieren, die der Israelit als Schuld=
und Brandopfer auf den Altar des Herrn zu bringen hatte, wurde verlangt, daß
sie „vollkommen" sein sollten. Ein vollkommenes Tier war mithin ein
fehlerfreies, mit keinem Gebrechen behaftetes Tier. Ohne Tadel, ohne Fehl, ganz
dem Wesen und der Eigenart Gottes entsprechend, so sah der Fromme in Israel das
geoffenbarte Gesetz vom Sinai an. Weil es der Vollkommenheit Gottes entspricht,
daher vermag es auch die Seele zu erquicken. Denn Gott will den Menschen durch
seine Offenbarung nicht knechten, er will ihn vielmehr von der knechtenden
Furcht der Heiden vor ihren Göttern freimachen. Der eigentliche Begriff für
„erquicken" besagt auch mehr als nur „erfreuen". Er bedeutet: „Die
Seele zurück ins Leben rufen". Darin liegt letzthin das große Geheimnis
der Mission der Offenbarung. Durch sie will Gott den Menschen wieder zurück aus
dem Tode ins Leben, d. h. aus der Knechtschaft der Sünde in die Gemeinschaft
mit sich selbst führen. Am vollkommensten ist ja diese Mission an Christus
offenbar geworden. Sein Wirken war und ist ja kein geringeres als die
Wiederbringung des Verlorenen. Er sucht alle ins Leben zurückzuführen, die tot
sind in Sünden und Übertretungen. Er ist daher auch die weit vollkommenere Gottesoffenbarung. In
ihm ist Gott in seiner Vollkommenheit unter uns getreten, wie es ihm vorher
durch kein gesprochenes und geschriebenes Gesetz möglich war.
Unser Psalmist bezeichnet das Gesetz weiter als ein
„Zeugnis Gottes". Gott lebt nicht sich selbst. Er lebt seiner Schöpfung,
in derselben besonders dem Menschen als seinem Ebenbilde. Ihm sind die Menschen
Söhne und Töchter, wenn auch solche, die irren und in der Fremde weilen. Ihnen
will er sich in seinem Wort, durch
seinen Geist und durch sein mannigfaltiges Walten offenbaren, jede Offenbarung
soll ihnen ein Zeugnis seiner Liebe, seiner Treue, seiner Hilfe und seiner
Bewahrung sein. Das ist ja das Eigenartige auch am Alten Testament, daß dessen Erzählungen,
Berichte, Personen, Gebete, Lobgesänge nur eine große Kunde von dem sein
wollen, der in seiner Barmherzigkeit zu tun vermag weit über unser menschliches
Verstehen und Flehen.
Wer nun wagt, diesen Zeugnissen zu vertrauen, der
erlebt, wie zuverlässig sie sind. Niemand fand in der Glaubenshingabe an die
Zeugnisse Gottes den Tod, man gewann das Leben. Sie machen die Einfältigen
weise. Wie geklärt in ihrem Urteil, wie sicher in ihren Handlungen, wie klar in
ihren Zielen, wie fruchtbringend in ihrem Dienen werden selbst schlichte,
einfache Menschen, die ihr Leben zu ordnen suchen nach den Zeugnissen des Herrn. Sie wissen etwas von göttlicher
Führung. Sie lernen ihre Tritte in Gottes Fußstapfen setzen. Sie fürchten sich,
in ihrem Dienen Luststreiche zu machen, in ihren
Handlungen unfruchtbar zu werden. Wie ein Abraham sehen sie sich in das
Vertrauen Gottes gezogen. So werden sie weise, ohne eingenommen von sich selbst
zu sein. Der Inhalt ihres Rühmens ist allein der HErr, der durch seine
Zeugnisse auch zu ihnen gesprochen hat.
9. Die Ordnungen des HErrn sind
gerade [und] erfreuen das Herz. Das Geheiß des HErrn ist lauter und erleuchtet
die Augen.
Man muß solchen Lobpreis des Gesetzes angesichts
des moralischen Tiefstandes lesen, der damals unter den Nachbarvölkern
herrschte, Unsittlichkeit, Betrügerei, Gewalttätigkelten, Gewinnsucht wurden
unter den anderen Völkern vielfach gerade von denen am stärksten betrieben, die
über die Macht und den Einfluß im Volke verfügten.
Entsprechend ungerade, biegsam, dem eigenen Ermessen der bestechlichen Richter
preisgegeben, waren auch die gesetzlichen Erlasse und Verordnungen, die das
soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben ordnen sollten. Sieht ein
Volk sich aber nicht mehr durch
obrigkeitliche Ordnungen geschützt, so erstirbt in ihm die Freude und die
Schaffenskraft. Wie hebt sich dagegen die innere Stimmung und die Freude
am Leben innerhalb eines Volkes, wenn es erkennt,
wie sein Staat durch seine Verordnungen und Gesetze die Härten des Lebens, besonders auch für die Armen und
Schwachen, zu mindern Sucht.
Im Gegensatz zu dem Leben der
Nachbarvölker gab es in Israel=Juda Zeiten, wo auch das öffentliche Leben unter
die Normen des geoffenbarten Gesetzes gestellt wurde. Stellten diese Normen in
ihrem Inhalt und in ihrer Form auch nicht etwas Vollendetes dar, so lernte man
doch in ihrem Lichte
den wahren Unterschied zwischen gut und böse, zwischen Licht und Finsternis,
zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit verstehen. Wie klar werden aber Augen, die erleuchtet werden durch
das Licht göttlicher Offenbarung! Welch ein zartes Gewissen gewinnen Menschen,
denen das Geheiß des HErrn höher steht als jeder Gewinn des Lebens! Wie lauter
werden Handlungen, die aus kindlichem Glaubensgehorsam gegen den HErrn fließen!
Davon redet unser Sänger. Er kann weiter bezeugen:
10. Die Furcht des HErrn ist rein, sie
bleibt für immer bestehen. Die Urteilsprüche des HErrn sind wahr,
gerecht sind sie allzumal.
In dem Begriff „Furcht des
HErrn" handelt es sich wohl hier
weniger um das persönliche Verhalten des einzelnen zu Gott, d. h. um die
aus dem Glauben geborene Gottesfurcht.
Verstehen wir den Vers richtig, so handelt es sich
in dem Begriff vielmehr um Gottes Bundesverhältnis
zum Menschen. Dieses bleibt bestehen, wenn auch
die Zeiten sich ändern und die Menschen in Irrtum und Schuld
verfallen. Gott bleibt seiner
Offenbarung zum Heile des Menschen treu. Aus dieser Treue fließen
auch alle seine Rechtsbestimmungen. Sie entsprechen der göttlichen Wahrheit.
Sie sind gerecht allzumal, sowohl in dem, was sie
versprechen, als auch in dem, was sie fordern oder verbieten. Ob Gebot oder
Verbot — in beiden Fällen soll der Mensch in ihnen
sein Heil, nicht sein Verderben finden.
So wird verständlich die hohe
Wertschätzung des Gesetzes, mit der der Sänger Schließt. Gottes Offenbarung im Gesetz ist ihm
„letzter Wert und höchstes Gut". Sie kann weder durch Feingold in Menge
noch durch Genuß von Honig und Honigseim
aufgewogen werden.
11. Köstlicher sind sie als Gold, als Feingold
in Menge, und Süßer als
Honig und Honigseim.
Trotz dieses"
Hohenliedes über das Gesetz fühlt man es dem Psalmisten ab, daß er noch nichts
Gemeinsames hat mit den späteren Rabbis, den Thoralehrern, die das Gesetz schließlich
vergötzten und Gott zum Nationalgott des israelitischen Volkes erniedrigten.
Diesen war die obere Welt Gottes letzthin nichts anderes als eine Welt der
Thora und ihres Studiums. Um der Thora willen, so wähnten sie, schuf Gott die
Welt, um ihretwillen erhält er sie. Wo Sie ist, da ist Er. Das gesamte Tun und
Leben Gottes wird durch das Gesetz bestimm. Er hat sich selbst den Bestimmungen
des Gesetzes, ja der Autorität der Rabbinen und ihren Festsetzungen
unterstellt, bewegt sich innerhalb der
gesetzlichen Ordnungen und Schranken6).
Wie fern lag unserem Sänger solch
eine rabbinische, gotteslästerliche Gesetzesverehrung! Ähnlich dem Sänger von Psalm 119 ist es
ihm Freude und Wonne, daß er durch die Offenbarung Gott selbst in seinem Wollen und
Walten, in seiner Liebe und Gerechtigkeit schauen durfte. So wird verständlich,
wie er seinen Psalm mit dem inhaltsvollen Zeugnis abschließen konnte:
12. Auch dein Knecht hat ihre Unterweisung vernommen; wer sie bewahrt, wird reichlich
belohnt.
Wenn er solch ein Hoheslied über den Wert des Gesetzes gesungen hat, so hat er nicht als ein
Unkundiger geredet. Er hatte zuvor sein Ohr
den Unterweisungen des Gesetzes geöffnet. So
oft er nun sein Leben durch diese Unterweisungen bestimmen ließ, wurde
er nicht enttäuscht. Nicht verloren, gewonnen hat sein Leben
durch den Gehorsam dem Gesetze des HErrn gegenüber.
Er ist überzeugt, daß auch alle anderen
Menschen einen reichlichen Lohn empfangen
werden, die Gottes Unterweisungen in ihrem Herzen bewahren.
Wie richtig der Psalmist das Gesetz
auffaßte, das bezeugt zuletzt sein Gebet. Im
Lichte des Gesetzes sah er Gott, dann aber auch sich selbst. Sobald
Menschen sich in die Gegenwart Gottes versetzt sehen, werden sie sich auch sehr bald des Abstandes zwischen Gott und sich selbst bewußt, Jesaja sprach: „Wehe mir ich bin sündiger Lippen!" nachdem
er den Herrn sitzen sah auf einem hohen und erhabenen Thron (Kap. 6,1). Tiefe
Gotteserkenntnis weckte im Menschen immer auch ein entsprechend tiefes
Schuldbewußtsein. Auch unser Sänger betont:
13. Wer [aber] kann
merken, wie oft er fehle? Von Fehlern, den unerkannten, sprich mich los.
Der Psalmist hat sich zwar nicht den Unterweisungen
des HErrn entzogen. Wie oft hatte aber sein Glaubensgehorsam diesen
Unterweisungen nicht entsprochen. Mancher Ungehorsam legte sich ihm Schwer auf
seine Seele. Außerdem mußte er sich fragen: wie viele Fehler sind überhaupt
unerkannt geblieben! Wissen doch alle Glaubenden, daß ihnen plötzlich Sünden
zum Bewußtsein kamen, die sie ohne innere Skrupel jahrelang gepflegt hatten.
Ein großer Kenner des Hebräischen übersetzt den Vers: „Wer kann sich doch jedes
seiner Irrtümer bewußt sein? Für Solche, die
mir entgangen, strafe mich nicht7)."
Der Sänger kannte außerdem sich
selbst. Er wußte, wie schwach der Mensch der Versuchung gegenüber sein kann. Er
vertraute nicht sich selbst. Auch suchte er seine Bewahrung nicht in seinem Charakter, in
seiner moralischen Stärke. Er wußte, daß er
nicht erhaben über der Macht der Sünde stehe. Daher bittet er:
14. Auch vor mutwilligen Übertretungen schütze deinen Knecht, laß sie nicht über mich herrschen. Dann werde ich Schuldlos sein, und frei bleiben von
schweren Verfehlungen.
Wie nahe kommt der Sänger in diesem
seinem Flehen den beiden Bitten, die Jesus auch seiner Jüngergemeinde auf das Herz und auf
die Lippen gelegt hat: „Vergib uns unsere Schulden" und „führe uns nicht
in Versuchung". Nicht etwa nur die Vergebung, sondern auch die Bewahrung
vor der Sünde ist Gnade. Für beides bedarf es einer Macht, die Stärker ist als
die Sünde in ihrer Versuchung, die größer
ist als der Mensch in seiner Schwachheit. Diese
Macht kann nur Gott sein. Daß solch eine
Glaubenshaltung auch von der Gemeinde Jesu
Christi übernommen werden konnte, geht ja besonders aus den Briefen des Apostels Paulus hervor. Wenn auch erst
im neuen Bunde die Sünde in ihrer wahren Herrschaft und Dämonie, die Vergebung auf
Grund des Todes Christi, die Bewahrung durch die
Macht der Gnade Gottes in ihrer Tiefe erfaßt werden konnten, die Grundgedanken
lagen bereits auch in solch einem gläubigen Gebet eines alttestamentlichen
Frommen.
Daß es diesen Frommen in ihrem
Flehen nicht etwa um eine verdienstliche Leistung oder nur um ein nachgesprochenes
Gesetzesgebet ging, sondern um
tiefste Herzenssehnsucht und kindliche Glaubenshingabe, das besagen die Schlußworte:
16. Mögen dir gefallen die Worte
meines Mundes, ja, das Sinnen meines Herzens, HErr, du mein Hort und mein Erlöser!
Worte des Mundes und Gesinnung des
Herzens deckten sich beim Psalmisten. Die
Worte seines Gebets waren Ausdruck der
Sehnsucht seiner Seele. Seine Erwartungen gingen auf Gott. Denn Gott allein
kann ihm in der Welt mit ihren diabolischen Versuchungen und ihrer Macht der Sünde der Zufluchtsort und der Goel, d. h. der Erlöser sein. Das Wort bedeutet eigentlich
„Einlöser", einer, der einen Gefangenen einzulösen,
loszukaufen hat. Nur Gott ist zu solch einer
Loskaufungstat groß und Stark genug. Er macht auch Gebundene
frei. In seiner Barmherzigkeit hebt er
Menschen aus der Gewaltherrschaft der Finsternis heraus und versetzt sie in die Königsherrschaft
des Sohnes seiner Liebe. Mit dem Zeugnis des
Sängers decken sich auch die Erkenntnis und der Glaube der Kirche Christi. Mit
dem Apostel Paulus kündet sie täglich neu
aller Welt: „Ich weiß, auf wen ich meine Zuversicht gesetzt
habe und bin überzeugt, daß Er mächtig ist,
mein mir anvertrautes Gut bis zu jenem Tage
zu bewahren" (2. Tim. 1,12).
Anmerkungen zu Psalm 19
1) Das auch mit „Ehre", ,,Majestät" übersetzte Wort bedeutet
hier mehr: die Himmel rühmen die ganze schöpferische Gottesfülle, die sich in ihnen
offenbaren kann.
2) Im Hebräischen
ist die Wortwurzel die Wortwurzel „weissagen", die
eigentlich „hervorsprudeln", ein „Reden in Ekstase" oder „unter
Eingebung einer höheren Macht" bedeutet.
3) einige Ausleger fassen das Wort nicht sachlich,
sondern personhaft und übersetzen mit
„Übermütigen", Sie nehmen an, daß der Psalmist in diesen Übermütigen jene
Griechenfreunde innerhalb seines Volkes sah, die manchen
Frommen zu schweren Verführern wurden,
4) E. Braun=Dipp: Du sollst an das Leben glauben. Seite 45. Evangel. Missionsverlag
Stuttgart und Basel.
5) Dr. A. R.
Böhner: Kosmos. S. 92. Leipzig. Ferdinand Hirt
& Sohn. 1882,
6) Nach Dr. Ferdinand Weber: Jüdische Theologie.
S.158f. Leipzig, Dörffling &Franke. 1897.
7) A.B. Ehrlich: Die Psalmen.
Überschrift : Von David1)
1. Der HErr ist mein Licht und mein
Heil, wen sollte ich fürchten?
Der HErr ist die Schutzwehr2)
meines Lebens, vor wem sollt' ich erschrecken?
2. Wenn Bösewichte [auch] wider
mich nahen, die mein Fleisch
verschlingen wollen, meine Bedränger und die mich befehden — so müssen
sie straucheln, sie werden fallen.
3. Ob auch ein Heer sich wider mich
lagert, unerschrocken bleibt [dennoch] mein Herz. Selbst wenn ein Krieg sich
erhebt wider mich, auch dann bleib` ich voller Zuversicht.
4. Eins erbitt' ich mir vom HErrn,
das such' ich zu erlangen,
daß ich weilen möcht' im Hause des
HErrn,
und zwar mein [ganzes] Leben lang,
um hier die Schöne des HErrn
zu schauen,
sie zu betrachten3) in
seinem Tempel.
5. Denn er birgt mich in seiner
Hütte
am Tage des Unheils. Er Schirmt
mich mit dem Schirme seines Zeltes;
auf einen Fels hebt er mich empor.
6. Drum darf ich kühn mein Haupt
erheben
vor meinen Feinden ringsumher.
Drum will ich opfern in seinem Zelt
das Jubelopfer mit Posaunenschall,
dem HErrn will ich singen und
Spielen.
Manche unserer starken Glaubenslieder innerhalb der
Kirche Christi haben ihre lebendige Quelle in den alttestamentlichen Psalmen.
Auch Paul Gerhardt holte sich seine Glaubenszuversicht und den Inhalt für sein
Lied aus der mutigen und kühnen Sprache unseres Psalms. Es ist nicht zu
verkennen, daß der Psalmist eine sehr kühne Sprache führt. Er führt sie aber
nicht in unverantwortlichem Selbstbewußtsein. Sie war ihm nur der Ausdruck für
sein Bekenntnis zu Gott. Die Lebenshaltung, die sich ihm aus diesem Vertrauen
zu Gott ergab, konnte ihm durch keine Macht erschüttert werden. =b einzelne, ob
viele sich wider ihn erheben, nicht er fällt, nein sie müssen Straucheln und
fallen.
Nachdem sein Glaube diesen inneren Halt in Gott
gefunden hat, ist seine Seele nur noch von
einer Sehnsucht erfüllt. Es ist die Sehn = Sucht nach dauernder
Gemeinschaft mit Gott. Das Weilen und Bleiben in Gottes Nähe und Gegenwart geht
ihm über alles. Sie allein bieten ihm Deckung und Sicherheit im Leben mit
seinen Drangsälen und Feindseligkeiten. Und so oft er Gott in seiner Hilfe
erlebt, soll jede Tat Gottes ihm zum Inhalt eines neuen freiwilligen Dankopfers
werden. Um seines warmen Inhalts und um seiner zuversichtlichen Glaubenshaltung
willen hat man den Psalm auch mit dem 23. verglichen. Beide Sprechen in großer
Gewißheit von dem Sichgeborgenwissen in Gott und von dem Stillesein im Leben,
das sich daraus ergibt. „Und wenn die Welt voll Teufel wär'...", singt
Luther mitten in Zeiten schwersten Kampfes, und zwar aus derselben
Glaubenszuversicht heraus.
Die Vulgata, d. h. die lateinische Übersetzung hat
in der Überschrift des Psalms: „Von David" noch die Worte hinzugefügt:
„bevor er gesalbet ward". Es ist jedoch fraglich, welche von den drei
Salbungen Davids gemeint ist. Die Schrift berichtet von einer Salbung durch Sa-
muel (1. Sam. 16,13), weiter von jener nach der Anerkennung Davids durch den
Stamm Juda (2. Sam. 2,4) und zuletzt von der, die mit
der Huldigung von
ganz Israel verbunden war (2. Sam. 5,3). Wenn an der
Annahme festgehalten werden darf, daß der Psalm von David selbst gesungen
worden ist, dann ist das Lied wohl in jenen Schweren Zeiten entstanden, die für
ihn vor der ersten oder vor der zweiten Salbung lagen. Die Verfolgungen durch
Saul gaben David täglich neu Gelegenheit, seine Stärke und Zuflucht allein in
Gott zu suchen. Und je länger, desto klarer sah
er sich in seinem Vertrauen zu Gott durch den Gang der Geschichte
gerechtfertigt. Die Feinde fielen, die uneinigen Stämme aber einigten sich und
David durfte König über Israel sein. Die reiche Frucht seiner tiefen Erlebnisse
mit Gott legte er alsdann nieder in diesem mutigen und Starken Glaubenspsalm,
um zu bezeugen, wie er seine königliche Stellung und seinen Dienst allein Gott
verdanke.
Mit diesem macht der Psalm uns zuerst bekannt. Es
ist das granitne Fundament, von dem der weitere Inhalt getragen wird. Mit Recht
ist gesagt worden, daß das Lied einen ausgeprägten Bekenntnischarakter trägt.
Obgleich von einem Könige abgelegt, so ist es dennoch kein politisches und kein
weltanschauliches Bekenntnis. Es ist das Bekenntnis des Glaubens zu Gott
1. Der HErr ist mein Licht und mein
Heil, wen sollte ich fürchten? Der HErr ist die Schutzwehr meines Lebens, vor
wem sollt` ich erschrecken?
Solche Bekenntnisse
waren stets die reiche Frucht großer Lebenserfahrungen. Erst nachdem die Jünger
während ihrer Nachfolge Jesus in seiner Vollmacht und Autorität gehört und
gesehen hatten, sprach Petrus eines Tages im Namen aller: „HErr, zu wem sollten
wir geben? Du hast Worte ewigen Lebens. Wir haben geglaubt und erkannt, daß du
der Heilige Gottes bist" Joh. 6,68f.). Das Erleben Gottes war mithin immer
älter als das Erkennen und Bekennen Gottes. Nie hätte der Psalmist so kühn und
mutig von Gott zu reden vermocht, wenn er nicht im Ernst seines Lebens, in der
Härte seines Kampfes, in den Nächten seiner Drangsale Gott in seiner
Wirklichkeit und Offenbarung geschaut hätte. Denn in seinem Bekenntnis spricht
er nicht in erster Linie von seinem Verhältnis zu Gott. Er redet vielmehr
zunächst von dem Verhältnis Gottes zu ihm. Gott ist ihm „Licht",
„Heil"', „Schutzwehr" geworden - alles sind bildliche Ausdrücke für die
Segenswirkungen, die sich in der Beziehung Gottes zu ihm auswirkten.
Von Gott als seinem „Licht" zu reden vermag
der Mensch erst dann, wenn Gott ihm in seinem Ringen, Fragen und Irren zum
Lichte werden konnte. Steht der Mensch vor schweren Entscheidungen und er sieht
plötzlich klar den von Gott gegebenen Weg vor sich, so weiß er, daß Gott ihn
durch sein Licht zu leiten versucht. Weiß der Mensch sich vom Dunkel der
Nacht und von den Zweifeln des Lebens überfallen, und Gott erleuchtet durch
seine Nähe das Dunkel und klärt durch sein Wort die Zweifel, dann weiß er: der
HErr in seinem Lichte ist stärker als alle unsere Finsternis, er ist größer als
alle seelischen Zweifel und Konflikte. Findet der Mensch sich durch alle
Strömungen und Weltanschauungen der Zeit nicht mehr hindurch, und Gott läßt
sein Urteil auf sie fallen, dann erkennt er, daß seinem Leben Inhalt, Kraft und
Richtung allein durch Gott und seine Offenbarung werden können. Er gewinnt
alsdann mehr und mehr eine Lebenshaltung, durch die er bejaht, was in der Geschichte,
in der Kultur und im Völkerleben licht und wahr ist, und er verneint, was sich
im Leben als falsch und unwahr erweisen muß.
Entsprechend ist das Bekenntnis des Sängers auch
vom „Heil" Gottes. Nachdem Gott ihm zum Heil geworden ist, kann er
unmöglich in den Verlockungen der Sünde, in den Genüssen des Lebens, im Gewinn
der Erde sein Heil suchen. In ihnen findet der Mensch sein Verderben und seinen
Tod, nicht aber seinen Segen und seine Rettung. Am Heil von unten her zerbricht
der Mensch. Das Heil von Gott her macht ihn aber gesund in seiner Seele, klar
in seinem Urteil, stark in Seinem Kampf und zuversichtlich in seinen
Erwartungen. Denn Gottes Heil erfaßt, durchheiligt und bestimmt den ganzen
Menschen. Solch eine innerliche Abhängigkeit von Gott macht Menschen des
Glaubens im praktischen Leben immer unabhängiger von allen Widersprüchen und
Ängsten. Sie können, wie einst die Propheten, auch in Schweren Abfalls= und Krisenzeiten der
Geschichte, Gottes Boten und Diener sein. Ihnen ist Gott letzte Autorität und
Wirklichkeit, der sie sich freudig mit ihrem Leben, Dienen und Hoffen
unterstellen.
In solch
einer Glaubenshaltung erlebt der Mensch Gott alsdann auch als seine
„Schutzwehr", als Zuflucht und Bewahrung. Denn beides liegt in dem
hebräischen Wort. Es besagt nicht nur, daß Gott die Zuflucht des Glaubenden
ist, sondern zugleich auch seine Burg, seine Schutzwehr, in der er nicht
vergeblich seine Deckung und Sicherheit sucht. Daher seine starke
Glaubenszuversicht: „Wen sollte ich fürchten? Vor wem sollt' ich
erschrecken?" Wie stark blieben Menschen auch in schwersten Kämpfen, wenn
Gott ihnen Deckung und Sicherheit sein konnte! Wie Daniel am Hofe Nebukadnezars
konnten sie auch auf verführerischem Posten zum Segen des Ganzen
verantwortliche Dienste erfüllen. Das Geheimnis in der Bewährung war zu allen
Zeiten das unbedingte Vertrauen zu Gottes Stärke und Schutz, Allein von dieser
Glaubensgrundlage aus werden auch die weiteren Ausführungen des Sängers
verständlich.
Je mehr der Mensch eine
lebendige Schau von Gottes Majestät, Allmacht und Barmherzigkeit gewinnt,
entsprechend wächst in ihm auch ein rückhaltloses Vertrauen zu Gott. Gottes
machtvolles Handeln in seinem Leben erweckt in ihm zugleich einen dem Tun
Gottes verwandten Glauben und eine entsprechende Gewißheit und Hingabe. Der
Psalmist wagt zu sagen:
2. Wenn Bösewichte
[auch] wider mich nahen, die mein Fleisch verschlingen wollen, meine Bedränger
und die mich befehden — so müssen sie Straucheln, sie werden fallen.
Der Sänger setzte sich nicht blind über den Ernst
und den Kampf des Lebens hinweg. Er unterschätzte seine Feinde nicht. Er wußte
von ihrem tierhaften Charakter und daß sie in der Verfolgung ihrer Ziele
skrupellos seien, skrupellos sein Leben zu verschlingen. In der Verfolgung
seiner eigensüchtigen Pläne und Ziele kann ja der Mensch dem Menschen zur
Bestie, zum Dämon werden. Ob Lüge, ob Verleumdung, ob Meuchelmord - ihm ist
jedes Mittel recht, um seine Beute zu gewinnen. Wie satanisch war Sauls
Verhalten David gegenüber, wenn er von ihm hundert Vorhäute der Philister als
Brautgabe verlangte. „Aber Saul gedachte David durch die Philister zu Fall zu
bringen" (1. Sam. 18,25 f.). Um Jeremias, den Unheilspropheten,
loszuwerden, ließ Zedekia ihn in eine Schlammgrube werfen, damit er daselbst
heimlich umkomme (Jer. 38,6 f.).
Wozu Menschen fähig sind, das wußte auch unser
Sänger. Er kannte seine Feinde als Bösewichte, als Bedränger, als Menschen, die
zu jeder Fehde und Übeltat fähig wären. Aber sie erschüttern seine
Glaubensgewißheit und sein Ruhen in Gott nicht. Nicht er wird zerbrechen an dem
Kampf, ihr Kampf wird das Unheil werden, an dem zuletzt sie zugrunde gehen
müssen. Er ruhte in der Gewißheit, daß nicht der Feind über sein Leben zu
bestimmen hätte, sondern allein Gott, dem sein Leben gehörte und geweiht
war. Der Kampf der Feinde gegen ihn war ihm ein Kampf gegen Gott. Mit Gott aber
wird kein Feind fertig. Auch dann nicht, wenn er sich mit Gesinnungsgenossen
umgibt und zu einem Heerhaufen wird.
3. Ob auch ein Heer sich wider mich
lagert, unerschrocken bleibt [dennoch] mein Herz. Selbst wenn ein Krieg sich
erhebt wider mich, auch dann bleib` ich voller Zuversicht.
Auch Feinde finden sich zu gemeinsamer Handlung zusammen, wo sie einzeln
nicht mit dem Leben und der Glaubenshaltung der Gottvertrauenden fertig werden
können. Kaiphas und Pilatus wurden Freunde, als es sich um die Beseitigung Jesu
handelte. Auch Gegner werden zu Freunden, sobald es sich um die Erreichung
verwandter Ziele handelt. Hätte der Sänger das Vorgehen seiner Feinde von
seinem eigenen Können aus eingeschätzt, er hätte in Angst und Verzweiflung
fallen müssen. Er war jedoch so Zuversichtlich, daß er nicht einmal das
Vorgehen der Feinde zu einem Notschrei seiner Seele machte. Das Schwergewicht
des Kampfes lag für ihn nicht in dem Vorgeben der Feinde gegen ihn, Ihm war es
das Anrennen der Feinde gegen Gott. Daher unterlag er nicht seiner seelischen
Aufregung, er gewann vielmehr eine Kraft des Glaubens, durch die er die Welt
überwand. „Weil losgelöst von jedem ängstlichen Besorgtsein um das eigene ich
und ganz auf Gott und dessen Macht und Können konzentriert, gewinnt der Glaube
das innere Gleichgewicht und die ruhige stete Kraft der richtigen Entscheidung:
Wer glaubt, flieht nicht4)." Solch ein Glaube singt bis heute:
„Hab' ich das Haupt zum Freunde und bin geliebt von Gott, was kann mir tun der
Feinde und Widersacher Rott"
Je mehr Gott mit seinem
Tun und Handeln in das Leben eines Menschen treten kann, desto mehr sehnt sich
derselbe nach Gott, dem lebendigen Gott. Er will Gott nicht
nur erleben in seinem Wirken, ihn nicht nur sehen in seinen Taten, er sehnt
sich nach der Gemeinschaft mit Gott selbst, nach dem Weilen in Gottes Nähe
und Gegenwart Wie ein Kind in der Liebe des Vaters nicht nur dauernd das
empfangende sein will, sondern sich danach sehnt, auch seiner eigenen Liebe dem
Vater gegenüber einen Ausdruck zu geben, so auch der Glaube. Die Möglichkeit
dazu findet er in der Pflege der Gemeinschaft mit Gott, in der inneren Erhebung
zu Gott in Dank und Anbetung. Der Psalmist kleidet diese Sehnsucht in die
Worte:
4. Eins erbitt' ich mir vom HErrn,
das such' ich zu erlangen, daß ich weilen möchte` im Hause des HErrn, und zwar
mein [ganzes] Leben lang, um hier die schöne des HErrn zu schauen, sie zu
betrachten3) in seinem Tempel.
Mit diesen Worten drückt er aus, auf welchem Wege
seine Sehnsucht gestillt werden kann. Wenn wir annehmen dürfen, daß David den
Psalm gesungen hat, so liegt die Annahme nahe, daß er ihn vielleicht nach jenen
Tagen niederschrieb, wo er die Bundeslade von der Stadt Kirjath=Jearim
hinaufgeholt hatte nach Jerusalem (2. Sam. 6, 17f.). Wir wissen, welch eine
Sehnsucht ihn erfüllte, als er nach allen Wirren, Kämpfen und Irrungen endlich
die Regierung über ganz Israel hatte übernehmen können. Ihn verlangte danach,
seine königlichen Dienste in der Gegenwart des HErrn zu tun. Er errichtete
daher der Bundeslade in Jerusalem ein neues Zelt. Sie war ihm das Symbol für
Gottes Gegenwart. Denn die klare Schau von der Allgegenwart Gottes, von der
Jesus zum Weibe am Jakobsbrunnen sprach, hatte David noch nicht. Ihm war Gottes
Nähe noch gebunden an das „Zelt", an die „Hütte", an den
„Tempel". Hier wollte er weilen Sein ganzes Leben lang.
Dieses Weilen im Hause des HErrn soll seinem Leben
den Inhalt geben. Er will diesen Inhalt gewinnen durch Anschauen der Schöne des
HErrn. Unter dem Begriff Schöne verstand er nicht etwa den Glanz beim
feierlichen Verlauf der Gottesdienste, auch nicht etwa den Lichtglanz Gottes,
wie der junge Jesaja ihn bei seiner Berufung schaute. Er verstand darunter die
Huld Gottes, die jene erfahren dürfen, die sich im Tempel mit all ihren Nöten
und Kämpfen, mit all ihren Klagen und Dankopfern zu Gott erheben suchen.
So stark der Sänger auch von der Gegenwart des
HErrn in zeit= und ortsgebundener Vorstellung redet, das Entscheidende war ihm
aber die Sehnsucht nach einer dauernden Lebensgemeinschaft mit Gott. Sie soll
täglich sein Leben ausfüllen. Ob es David oder letzthin ein anderer
gottbegnadeter Sänger war, dauernd weilten nicht einmal die Priester im
Heiligtum. Ihr weilen im Tempel war durch die Dienstordnungen der Priester
geregelt. Aber nicht von einem dauernden mystischen Sichversenken in Gott redet
hier der Psalmist. Wohl will er teilnehmen an den gottesdienstlichen Feiern der
gemeinsamen Erhebung zu Gott. Nicht aber, um dauernd im Heiligtum zu bleiben.
In den Gottesdiensten sucht er immer neu die Schau für Gottes Huld und Gnade
fürs tägliche Leben zu gewinnen. Betritt er den Tempel, so geschieht es, um den
HErrn selbst aufzusuchen5). Ihm ist es nicht um die innere Schönheit
des Heiligtums, nicht um die äußerliche Feierlichkeit der Gottesdienste zu tun.
Das Heil, nach dem er sich sehnte und
das er suchte, lag für ihn in der persönlichen Gemeinschaft mit Gott,
5. Denn er birgt mich in seiner
Hütte am Tage des Unheils. Er schirmt mich mit dem Schirme seines Zeltes, auf
einen Fels hebt er mich empor.
6 a. Drum darf ich kühn mein Haupt
erheben vor meinen Feinden ringsumher.
Wie stark der Psalmist die heiligsten und
innerlichsten Vorgänge und Wirklichkeiten
seines Lebens in Bildern ausdrückte, beleuchten diese seine weiteren
Ausführungen. Ihm ist hier Gottes Gegenwart und Handeln eine „Hütte", in
der er Zuflucht am Tage des Unheils finden darf. Es war ihm nicht schwer, in
diesen Bildern zu reden. Zu seiner Zeit
waren die Heiligtümer zugleich Zufluchtsstätten der Verfolgten. Wer ins
Heiligtum flüchtete und die Hörner des Brandopferaltars faßte, durfte nicht
mehr vom verfolgenden Bluträcher getötet werden. Er hatte seine Zuflucht zu
Gott genommen. Oder waren es andere feindliche Nachstellungen und Verfolgungen,
wie z. B. David sie zur Genüge von Saul erlebte, so ist es der Herr, der den
Verfolgten auf einen hohen „Fels" erhebt.
Dort vermag ihn kein Speer noch Pfeil des Feindes mehr zu erreichen. Aus allen Bildern, Gleichnissen und
Ausführungen Spricht mithin das
unerschütterliche Gottvertrauen, das den Sänger in allen
Kämpfen und Stürmen des täglichen Lebens erfüllte. Das Blickfeld seines Glaubens füllte Gott aus. Gott selbst war
ihm Zuflucht, Schutzwehr, Bergung
und Bewahrung. Daher konnte er im Bewußtsein seiner Sicherheit auf alle Feinde herabschauen. Neutestamentlich
ist von Paulus dieselbe
Glaubenszuversicht mit den Worten ausgedrückt worden: „Ist Gott für uns,
wer mag wider uns sein?" (Röm. 8,31).
Gott gegenüber kann der Psalmist nicht mit Gegenleistungen
aufwarten. Keine Gegenleistung vermag
die mannigfaltige Hilfe, die er geschaut und erlebt hat, auch nur annähernd aufzuwiegen. Er kann Gott auf
all sein Tun und Helfen nur
antworten durch den Ausdruck vertrauender
Liebe und restloser Glaubenshingabe.
6b. Drum will ich opfern in seinem Zelt das
Jubelopfer mit Posaunenschall. Dem
HErrn will ich singen und Spielen.
In dem Jubelopfer, das er
bringt, in dem Liede, das seine Lippen Sprechen, in dem Posaunenton, den er
erklingen läßt, bringt er sich selbst Gott
als Gabe dar. Nicht ein Geschenk
seiner Hände, nicht ein Loblied Seiner Lippen, nicht ein Spiel seiner Posaune —
ihn selbst soll der HErr als Jubelopfer empfangen. Dies soll ihm freiwillig,
mit Freuden, unter frohem Posaunenschall gebracht werden. Das ist G l a u b e n s h i n g a b e, wie
sie nur
von Persönlichkeiten verwirk licht
wird, die Gott in ihrem Leben nichts mehr vorzuenthalten suchen.
Nach all dem Großen, was sie in der Gotteswirklichkeit geschaut, und nach all
den Handlungen Gottes, die sie in ihrem bewegten Leben erfahren haben, steht
ihnen fest, daß nur Einer restlosen Anspruch auf ihr Leben haben darf, und das ist Gott!
Anmerkungen zu Psalm 27a
1)
1Da nach Form und Inhalt die ersten 6 Verse ganz
verschieden sind vom Schlußteil des Psalms, so ist anzunehmen, daß es sich um zwei Psalmen
handelt, die weder denselben Verfasser haben noch zur gleichen Zelt geschrieben
worden sind.
2)
2Wörtlich: „Festung", „Bollwerk", also
Zufluchtsort und Sicherheit.
3)
3Das Wort drückt ein Sichversenken in die Sache, eine sich
innerlich weidende Betrachtung aus, die
der Seele ein Genuß ist, und bei der sie die Huld der Gegenwart Gottes erlebt.
4)
4) Nach A. Weiser, Die Psalmen. Deutsch. S. 68.
5)
5) Nach Ehrlich bedeutet das Verbum eigentlich:
„untersuchen, jemanden besuchen oder
aufsuchen". Er übersetzt daher den Vers; „und ihn aufzusuchen in
seinem Tempel".
7. Vernimm, o HErr, mein lautes
Rufen, sei du mir gnädig, erhöre mich!
8 Mein Herz sagt mir, daß du mich mahnst: Suchet doch mein Angesicht! Dein Antlitz, HErr, dich Suche ich!
9. Verbirg vor mir dein Antlitz nicht, weis' deinen Knecht nicht zürnend
ab. Du, meint Hilfe, verstoß mich nicht, verlaß mich nicht, Gott meines Heils!
Ob auch Vater und Mutter mich verlassen, es nimmt aber der HErr mich auf.
U. Lehre mich, HErr, zu gehen deinen Ja, leite mich auf ebener Bahn, um
meiner vielen Feinde willen.
12. Gib mich nicht preis der Gier meiner Dränger, denn falsche Zeugen
steh'n wider mich auf und sagen Lügen gegen mich aus.
13. Doch ich bin gewiß, daß ich werde schauen des HErrn Güte im Lande der
Lebendigen. Hoff' auf den HErrn und sei
getrost, fest sei dein Mut und hoff auf den HErrn!
Es bleibt unerklärlich, wie dieser tiefe
Klageruf einer einsamen, mit Not und
Feindschaft ringenden Seele an den vorigen Psalm angeschlossen werden
konnte. Das Gewöhnliche in den Psalmen ist, daß sie mit einem Angstschrei der
Seele beginnen, aber mit einer zuversichtlichen Glaubensgewißheit schließen. Es entspricht das den innerlichen
Vorgängen der menschlichen Seele. Menschen, die in ihrem Schmerz und in
ihrer Not innerlich fast zerflossen, gewannen Trost und Frieden, Kraft und
Zuversicht, nachdem sie Gelegenheit hatten, den
ganzen Kummer ihres Herzens vor
Gott auszuschütten. In Gottes Gegenwart und Nähe rangen sie sich zu neuem Hoffen und Vertrauen durch. Alsbald
Verwandelte sich ihre Klage in Anbetung. Das war zu allen Zeiten der
gewöhnliche Vorgang in der menschlichen Seele. Verständlich, daß wir dasselbe
Bild auch in vielen Psalmen wiederfinden.
Dieses
Klagelied paßt mithin nicht an den Schluß des vorigen Psalms, sondern ist mit
seinem Inhalt ein ergreifendes Gebet für sich. Wir kennen weder seinen
Verfasser noch die Zeit, in der es entstanden ist. Es gab im Leben eines David
zwar genug Tage und Erlebnisse, die mit ihrem Druck ihm ein solches Gebet
hätten auf die Seele legen können. Es ist aber weniger die Sprache Davids, die
aus dem Klagelied zu uns spricht, wohl aber die eines Frommen während der
prophetischen Zeit. Kennen wir mithin den Verfasser auch nicht, so kennen wir
aber sein innerliches Ringen mit Gott. Wie er, nehmen auch wir unsere Zuflucht
zu Gott, um nicht unter unserem seelischen Druck und unter den Lasten des
Lebens zusammenzubrechen. Wie manchem sind seither Worte des Sängers zum Inhalt
des eigenen Gebets geworden, und zwar in Zeiten, wo die Seele innerlich so
litt, daß sie kaum eigene Worte für ihren Schmerz zu finden vermochte.
Glücklich alle, denen ihre Ängste und Nöte zu einem
Weg zu Gott werden konnten! Das Leben
mit seinen Härten und Enttäuschungen kann eines Tages den Menschen
einfach körperlich und seelisch zusammenbrechen lassen, wenn er nicht von Gott
jene höheren Kräfte gewinnt, die sich stärker erweisen als jeder Druck des
irdischen. Mag die Zuflucht zu Gott in der Geschichte auch oft als ein Ausdruck
der Schwäche bewertet werden, in ihr fanden ringende solche Kräfte, die sie nie
in sich
selbst hätten finden können. Auf
den Knien sind Siege errungen, Verzweiflungen überwunden, Hoffnungen gewonnen
worden, wie sie Zusammengebrochene ohne Gottes Eingreifen nie hätten erleben
können. Was das Gebet in seinem tiefsten Wert und Wesen ist, kann mithin nicht
vom Urteil Fremder bestimmt werden, sondern allein von denen, die in schwersten
Nöten im Gebet die Kraft Gottes gewannen, durch die sie das Leben überwanden.
Auch der Psalmist stand offenbar in einem schweren
Ringen. Seine Worte sind nicht der Ausdruck eines gewöhnlichen Gebetsumgangs
mit Gott. Sie verraten gleich beim Anruf Gottes die Angst und Not eines
Frommen, der am Ende seiner Kräfte und Ängste zu Gott schreit:
7. „Vernimm, o HErr, mein lautes
Rufen,
sei du mir gnädig, erhöre mich!"
Es liegt in der Natur des Menschen, zunächst sich
selbst zu helfen. Er vertraut seiner
Kraft, er verdoppelt seine Anstrengungen, er überprüft seine Handlungen, er
sammelt seine innere Spannkraft. Zuletzt bricht er jedoch zusammen. Nicht er
meistert das Leben, die Verhältnisse, Kämpfe und Leiden meistern ihn.
Vergeblich sucht sein Auge nach Rettung, er sieht nur noch den Abgrund. Es ist
die Not im Sturm, wo das Lebensschiff nicht mehr Herr der schäumenden Wogen
werden kann. In dieser Not erfolgt die Zuflucht zu Gott. Es gibt hinfort für
den Ringenden nur noch eine Hoffnung, und die ist auf Gott gerichtet. Ist Gott
nicht gnädig und erhört Er nicht, dann gibt es keine Rettung mehr.
Nicht etwa nur gewöhnliche Menschen können in
solche Nöte und Ängste hineinkommen. Wie oft waren es gerade die Erfahrungen
der bewährtesten Knechte Gottes! Das zeigen die seelischen Leiden und die
Schweren Gebetskämpfe der Propheten. Ein Jeremia klagt in seiner Verzagtheit
angesichts seiner erfolgten Mission und der Widersprüche seines Volkes: „Warum
ward mein Schmerz denn ewig, meine Wunde unheilbar und will nicht gesunden? Wie
ein Trugbach wardst du mir, HErr, wie ein Wasser, auf das kein Verlaß
ist!" (Jer. 15,18 f.). Unter den großen weltgeschichtlichen Vorgängen
seiner Tage bricht der Prophet Habakuk fast zusammen. Er versteht nicht, daß
Gott nicht in den Gang der Geschichte eingreift. „Warum siehst du denn dem
Treulosen zu und Schweigst, wenn der Gottlose den Gerechten verschlingt?"
(Hab. 1,13). Seine Seele wird erst stille, nachdem auch er auf seine Warte
steigt und horcht, was der HErr auf seine Klage zu antworten hat. Gerechte
können so Stark leiden, daß sie seelisch und körperlich unter den Verhältnissen
und angesichts der Vorgänge in der Geschichte fast zusammenreden.
Unser Sänger beruft sich in seinem Anruf darauf,
daß der HErr doch selbst den Menschen auffordert, sein Angesicht zu suchen.
8. Mein Herz sagt mir, daß du mich mahnst: Suchet
doch mein Angesicht!
Auch unser Sänger gehört nicht zu den Gottfernen.
Er besaß ein inneres Gemerk für die Mahnungen des Herzens. Diese Mahnungen
flossen aus der Erkenntnis des HErrn, aus den Zeugnissen, die er von Gott
vernommen hatte. Er wußte von der göttlichen Huld und Gnade, die dem Menschen
zu allen Zeiten zuruft: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, so
sollst du mich preisen." (Ps. 50,15.) Je länger er ringt, desto stärker
mahnt ihn sein Herz, dem göttlichen Ruf zu folgen. Nun folgt er dem verborgenen
Zuge seiner Seele, betritt den Weg der Rettung und Spricht:
„Dein
Antlitz, HErr, dich suche ich!"
So fand er durch die Not
den Weg zu Gott. Für Gott wurden aber die Ängste und Nöte des Sängers die
Gelegenheit, mit seiner Huld und Hilfe in dessen Leben zu treten. Als einst die
Jünger auf dem stürmischen See Genezareth
sich beim Rudern abmühten, weil sie starken Gegenwind hatten, da wurden
gerade die Wogen für ihren HErrn und Meister der Weg, um sich ihnen zu nahen
(Mark. 6, 48 f.). Ein wunderbares Bild von Gottes Tun. Er macht der Menschen
Verlegenheiten zu seinen Gelegenheiten, um ihnen seine Herrlichkeit zu
offenbaren.
9. Verbirg vor mir dein Antlitz nicht, weis' deinen Knecht nicht zürnend
ab. Du, meine Hilfe, verstoß mich nicht, verlaß mich nicht, Gott meines Heils!
Gerade dieses innerliche Ringen im Gebet beweist,
daß der Psalmist nicht unbekannt war mit Gott. Er wußte, daß Gott auch sein
Antlitz verbergen, zum Flehen des Menschen schweigen kann. In den Tagen des
Propheten Jeremia schrie das Volk während einer großen Hungersnot zu Gott. Es rief: „Wenn unsere Sünden wider uns zeugen,
so greife ein, o HErr, um deines Namens willen; ja, so oft sind wir treulos
geworden, an dir haben wir gesündigt. Du Hoffnung Israels, du sein Retter in
der Not" (Jer. 14, 7 f.). Aber der HErr schwieg, griff nicht mit seiner
Hilfe ein. Sein Angesicht leuchtete nicht seinem Volke. Er sagte vielmehr zum
Propheten: „Sie lieben es, von einem zum ändern zu laufen, ihre Füße schonen
sie nicht, jedoch der HErr hat keinen Gefallen an ihnen" (V.10). So stark
das Volk sich damals auch auf den HErrn berief, 'so viel man ihm auch opferte,
so oft man auch im Tempel zum gemeinsamen Fasten und Flehen zusammenkam, für
Gott sprach aus allem trotz aller äußerlichen Not nicht das Herz, es sprachen
nur die Lippen. Die Not hatte zwar das Volk gezwungen die Zuflucht zu Gott zu
nehmen und die Sprache des Glaubens zu sprechen, aber alles war letzthin nur
eine Schein= und nicht eine Herzensbuße. Der HErr sah, daß es beim Volke nur
ein augenblickliches zu=ihm=laufen war, dem morgen, nach überstandener Not,
wieder ein suchen nach anderen
Göttern folgen werde. Gott ist aber nicht käuflich!
Auch nicht durch die Tränen einer Notbuße, nicht durch ein Fasten im Sacktuch
und nicht durch das Flehen einer hin und her laufenden Gemeinde. Entweder Baal
oder Gott!
Die Not des Volkes steigerte sich, da rief es:
„Verschmähe uns nicht um deines Namens willen, schände nicht den Thron deiner
Herrlichkeit! Sei eingedenk deines Bundes mit uns und brich ihn nicht!"
Der HErr jedoch antwortete dem Volke: „Wenn gleich Moses und Samuel vor mich
träten, mein Herz würde sich nicht diesem Volk zuwenden" (Jer. 15,1 f.).
So viel Macht im Gebet Moses und Samuel einst in
ihrem Leben auch hatten, auch ihr Flehen
würde angesichts der inneren Haltung des Volkes vergeblich sein. Denn
auch Propheten können einem Volke in seiner Not Gott nicht zurückgeben, wenn
das Volk nicht durch innere Umkehr wirklich Raum für Gottes Gegenwart hat und
die sittliche Grundlage für sein machtvolles Eingreifen zu schaffen bereit ist.
So
kannte der Sänger Gott. Er wußte nicht nur von Gottes Gnade, er begriff auch
dessen Gerichte. Er wußte, wie gerecht und sittlich fundiert, d.h. begründet
sie sind. Sein Flehen war daher nicht allein ein Schrei um Hilfe, es war
zugleich ein Ringen um eine richtige Herzensstellung zu Gott. Muß Gott zürnen,
dann soll er in seiner Barmherzigkeit hinwegräumen, was als Schuld zwischen Ihm
und dem eigenen Leben steht. Vielleicht ist das Trennende größer als der Mensch
selbst es weiß. Aber er ringt darum, nicht verstoßen, sondern begnadigt zu
werden. Er beruft sich nicht auf seine eigene Gerechtigkeit, auf sein
tadelloses Leben. Er hat zwar keine schwere Schuld, nicht grobe Sünden Gott zu
bekennen. Heil in seiner tiefsten Bedeutung kann ihm aber allein von Gott her
werden. Eine Wandlung in seinen Verhältnissen, Ruhe und Frieden für seine Seele
können erst eintreten, wenn Gott mit seinem Eingreifen ihm wieder zum Heil und
zur Rettung seines Lebens wird.
Wie das Vertrauen des Psalmisten während seines
innerlichen Ringens zu Gott wuchs, das äußerte er, vielleicht ihm selbst nicht
einmal ganz bewußt, mit den Worten:
10. Ob auch Vater und Mutter mich verlassen, es nimmt
aber der HErr mich auf.
In solch eine seelische Vereinsamung von der Seite
des Elternhauses und seiner Verwandten ist David wohl nie hineingekommen. Es
ist daher nicht seine Sprache, die im Psalm spricht. Viel näher läge es, an die
dunkelsten Stunden im Leben eines Propheten Jeremia zu denken. Er erlebte es,
daß seine eigenen Verwandten sich wider ihn verschworen. Jeremia erzählt uns
aus jener Zeit: „Ich aber war wie ein zahmes Lamm, das zur Schlachtbank geführt
wird, ich ahnte nichts. Sie schmiedeten Pläne wider mich: Laßt uns den Baum
verderben in seiner Blüte, ihn ausrotten aus dem Lande der Lebenden, und Seines
Namens werde nicht mehr gedacht" (Jer. 11,19). Wissen wir auch nicht die
näheren Zusammenhänge der mörderischen Pläne, die man gegen Jeremia schmiedete,
sie reden aber von dem einsamen Weg, den der Prophet zu gehen hatte.
Auch einem Jeremia konnte auf seinem einsamen Leidenswege
nur noch Hilfe von dem kommen, der größer war als alles Planen und Tun der Feinde. So erwartete auch der Sänger, daß der
HErr ihn aufnehmen werde, selbst wenn Vater
oder Mutter ihn verlassen sollten. Es liegt nahe, anzunehmen, falls der Psalmist nicht Jeremia selbst gewesen ist, daß es ein unbekannt
gebliebener Prophet war, der sich gerade um
seiner Glaubenshaltung und Überzeugung willen so
einsam fühlte. Vielleicht suchte auch er,
ähnlich den großen Propheten, seinem Volke zu
dienen, und sein Dienet brachte ihn in schwere
innerliche Nöte und äußerliche Konflikte.
Auch sein Weg wurde einsamer und einsamer, wie
der aller Gottespropheten, die in ihrem
Glaubensgehorsam Gott mehr gehorchen als den
Menschen.
Daß es Sich beim Psalmisten um eine
Persönlichkeit reicher Lebenserfahrung handelt, geht aus seinem ferneren
Flehen hervor. Zwar ist seine Seele stille geworden
in dem Gott seines Heils. Er hat die Zuversicht gewonnen, daß der HErr ihn nicht verlassen,
sondern in seine Gemeinschaft aufnehmen
wird. Seinen ferneren Weg sieht er aber nur
dann gesichert, wenn Gott sein Leben unter
seine göttliche Führung stellt.
11. Lehre mich, HErr, zu gehen deinen Weg. Ja, leite mich auf ebener Bahn, um meiner vielen Feinde willen.
Je mehr ein von Gott Begnadigter sich gesegnet
sieht, desto mehr sehnt er sich nach völliger Abhängigkeit von Gott. Er weiß,
wie leicht auch Gerechte irren, in ihrem Urteil sich täuschen, in ihren
Unternehmungen fehlgehen können. Da sie aber auf eigenen Wegen nie fanden,
wonach sich letzthin ihre Seele sehnte, wie oft ein errungener äußerer Segen
sich weit mehr als ein Fluch erwies, daher die Sehnsucht nach göttlicher
Führung. Ein anderer Psalmist betet aus derselben Sehnsucht heraus : „Setze
meine Tritte in deine Fußstapfen, damit mein Gang nicht wankend sei" (Ps.
17, 5). Und als Moses einst aufgefordert wurde, vom Sinaiberge
aufzubrechen und das Volk seiner verheißenen Heimat entgegenzuführen, da betete
er: „Wenn nicht dein Angesicht mitgeht, so laß uns nicht von hier
hinaufziehen" (2. Mos. 33,15). Denn göttliche Ziele können nur unter
göttlicher Leitung gefunden werden.
Wie sicher wird jedoch das Handeln, wie klar wird
die Schau, wie ruhig das Verhalten derer, die bewußt ihr Leben unter Gottes
Leitung gestellt haben. Professor Dr. Hahn, dieser baltische Blutzeuge Christi,
hatte Gelegenheit, mit anderen rechtzeitig zu fliehen. Aber Johannes 10, wo
Jesus vom Mietling spricht, bestimmte ihn, im Gefängnis zu bleiben, um anderen
in ihren schwersten Nöten dienen zu können. Einem Jeremia wurde nach dem Fall Jerusalems von Nebukadnezar
freigestellt, entweder im Lande unter der Obhut des Statthalters Gedalja zu
bleiben oder unter Nebukadnezars persönlichem Schutze mit nach Babel zu ziehen.
Jeremia blieb. Sein weit älterer Berufsgenosse, der Prophet Elia, sah sich
jedoch in den kritischen Zeiten eines Königs Ahab an den Bach Krith und zu einer armen Witwe nach Sarepta gesandt
(1. Kön. 17, 9 f.). Gott führt seine Kinder und Knechte oft zwar ganz verschiedene
Wege. Aber er führt sie. Und jeder fand gerade auf dem Wege sein Ziel und
seinen Segen, den er im Glaubensgehorsam an Gottes Leitung ging.
Um
aber nicht irre zu gehen, sich selbst zu täuschen über des HErrn Wege, fleht
der Psalmist um Unterweisung und um geebnete Wege. Er weiß etwas von dem, wie
leicht persönliche Wünsche für Gottes Wege gehalten werden können, wie leicht
es ist zu gehen, ohne gesandt worden zu sein. Schon um der Feinde willen möchte
er Gottes Wege gehen und mit seinem
Leben unter Gottes Leitung stehen. Sie sollen keinen gerechten Anlaß finden,
seiner zu Spotten oder ihn um etwaiger Ungerechtigkeiten willen zu hassen. Er
will ihnen mit seiner Gesinnung, mit seinem Verhalten und mit seinem Leben
nicht zu einem berechtigten Anstoß werden. Leidet er, so will er als Gerechter
und Unschuldiger leiden, nicht aber um törichter Handlungen und um falscher
Wege willen.
Daß
sie zu allem fähig sein können, wußte der Psalmist. Er kannte ihre falsche
Gesinnung und innerliche Skrupellosigkeit.
12. Gib mich nicht preis der Gier meiner Dränger, denn falsche Zeugen
steh'n wider mich auf und sagen Lügen gegen mich aus.
Gottlosigkeit ist fähig auch Verleumdung und Lüge,
Heuchelei und Mord in ihre Dienste zu stellen. Zur Erreichung ihrer Ziele sind
ihr alle Mittel heilig. Auch der Psalmist weiß sich von der Gefahr bedroht, daß
er der Gier seiner Feinde zum Opfer fallen könne. Die Aufstellung von falschen
Zeugen war in der Verfolgung der Gerechten zu allen Zeiten ein sehr beliebtes
Mittel. Wie oft bedienten sich auch Staaten und Obrigkeiten dieses Mittels, um
in der Verfolgung der Kirche Christi sich den Schein des Rechts zu geben!
Welche Lügen sind nicht gegen die einzelnen Jünger Jesu und gegen die Gemeinde
des HErrn ersonnen worden, um sie vor der Öffentlichkeit in ein Strafbares
Unrecht zu versetzen! Um das gesetzliche Recht zu gewinnen, die russischen
Stundistenbrüder verfolgen zu können, beschuldigten die höchsten
Regierungsbeamten diese Brüder, daß sie religiöse Nihilisten seien. Große
Verfolgungen, die die Kirche Christi in ihrer
Geschichte erlebt hat, begannen sehr oft damit, daß man die Jünger Jesu
Christi als geheime oder offene Staatsfeinde hinstellte. Als jedoch in Rußland
die Revolutionen in den Jahren 1905 und 1906 niedergeschlagen wurde und die
Militärgerichte die Akten der Revolutionäre durchsahen, hat man nicht einen
einzigen Namen eines Stundistenbruders gefunden. Gerechte, wie auch der
Psalmist einer war, haben nichts mit Revolutionen und Aufständen zu tun. Gehen
sie einen einsamen Leidensweg, so gehen sie ihn unschuldig und allein um der
göttlichen Wahrheit willen.
Welche Wandlungen vermag der Mensch doch in Gottes
Gegenwart und Nähe zu erleben! In Angst und Unruhe hatte das Leben den
Psalmisten versetzt. Er wurde selbst nicht mehr fertig mit seinen innerlichen
und äußerlichen Nöten. Da nahm er seine Zuflucht zu Gott, er schüttete sein
Herz vor dem HErrn aus. Die Umgebung, die Verhältnisse, die Feinde hatten sich
unterdes nicht verändert. Dennoch blickt er zuletzt voller Zuversicht und
Hoffnung in die Zukunft. Seine Seele ist stille geworden in Gott. Nach dem er
wieder in Gottes Nähe war und sein Glaube Gottes Können schaute, erwachte er zu
völlig neuer Zuversicht. Nicht Untergang, Rettung wird ihm die Zukunft bringen.
Nicht die Feinde in ihren Anschlägen, vielmehr Gott mit seinem Segen und mit
seinem Schutz wird triumphieren. Er wird des HErrn Güte im Lande der Lebendigen
Schauen.
Von einer Auferstehungshoffnung des Psalmisten ist
hier wohl nicht die Rede. Er ist nur der Zuversicht, daß der HErr ihn vor allen
Anschlägen seiner Feinde bewahren wird. Aber dessen ist er sich gewiß!. Ohne zu
sehen, glaubt er, ohne zu schauen, traut er. Jm Gebetsumgang mit Gott hat er
neu glauben gelernt. Hinfort steht er über seiner Zeit und seiner Umgebung.
Diese erschüttern ihn nicht mehr. Ihn erfüllt eine von Gott geschenkte
Glaubensgewißheit, die sich stärker erweist als alles, was ihn umgibt.
Sie macht hinfort sein Handeln wieder stark, seinen Gang gewiß, sein Auftreten
mutig, sein Leben still und hoffnungsvoll,
13b. Hoff auf den HErrn und sei
getrost, fest sei dein Mut und hoff auf den HErrn! —
ruft er zuletzt noch
seiner Seele zu. Denn alle seine Erwartungen sind auf Gott gerichtet. Die
Quellen seiner Kraft ruhen allein in Ihm. Er will nicht stehen bleiben bei der
Stärke der Feinde, nicht die Kraft in seinem zagenden Herzen suchen. Er will
Zeuge sein, wie Gott sein Vertrauen rechtfertigen und die Geschichte seines
Lebens krönen wird mit neuer Gnade und Herrlichkeit.
Welche Wandlungen vollziehen sich doch in
der Seele eines Menschen im Gebetsumgang mit Gott! Sie erweisen sich nicht etwa
nur als eine Wandlung seelischer Stimmungen, sie bewähren sich als eine neue
Glaubens= und Lebenshaltung inmitten der Stürme und Strömungen der Zeit. Nie
hätten die alttestamentlichen Propheten ihren verantwortlichen Dienst tun und
ihren einsamen Prophetenweg gehen können, wenn sie nicht zur rechten Stunde
immer neu diese Wandlungen erlebt hätten. Sie wären an ihrem Prophetsein
zerbrochen. Nun gingen sie aber trotz ihrer menschlichen Schwachheit und trotz
der Größe ihrer Aufgaben von Hingabe an Hingabe, von Kraft zu Kraft und trugen
Gottes Heils-oder Gerichtsgedanken unter ihr Volk.
Dem Wesen nach deckt sich mit dem auch der Dienst
der neutestamentlichen Gemeinde. Hätte sie nicht in den Zeiten innerer Anfechtungen,
dienstlicher Niederlagen, Schwerer Aufgaben, weltlicher Feindschaft neue Kraft
und Zuversicht, neue Sendung und Hingabe im Umgang mit Gott gewonnen, sie hätte
längst aufgehört, in der Welt eine Prophetin Gottes und eine Zeugin Jesu
Christi zu sein. Wenn sie aber heute noch ist, wozu sie sich berufen weiß, dann
verdankt sie ihr Bestehen und Dienen, ihr Glauben und Hoffen allein dem Gott,
der durch Christus auch sie in seine Gemeinschaft gezogen hat. Sie bestätigt
mit ihrer Glaubenshaltung das Zeugnis des Apostels Paulus: „Er sprach zu mir:
Meine Gnade genügt dir; denn die Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung
So will ich mich denn am liebsten meiner
Schwachheiten rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkomme" (2.
Kor, 12,9).
Überschrift: Dem
Musikmeister, von David ein Psalm
2. Voll Zuversicht
habe ich des HErrn geharrt,
und er neigte
sich zu mir und erhörte
mein Flehen.
3. Er zog mich empor aus der Grube des Verderbens,
empor aus dem
schlammigen Kot,
und stellte auf
Felsengrund meine Füße,
und machte sicher
meine Schritte.
4. Er gab mir ein neues Lied in den Mund,
einen Lobgesang auf
[Ihn,] unseren Gott.
Es sehen's gar viele,
und von Furcht1) ergriffen
fassen auch sie Vertrauen
zum HErrn.
5. Heil dem Manne, der sein Hoffen auf den Herrn setz, der es
nicht hält mit den Hoffärtigen, die dem Truge verfallen sind.
6. Wie gar zahlreich
hast du, o HErr, mein Gott,
deine Wunder werden lassen
und die Absichten, die du mit uns hast,
— es gibt nicht deinesgleichen —
wollt' ich sie verkünden, von ihnen reden,
sie sind ja unmöglich zu zählen.
7. Schlachtopfer und
Speisopfer begehrtest du nicht, doch Ohren hast du mir [zum Hören] gegeben,
Brandopfer und
Sündopfer forderst du nicht.
8. Da Sprach ich: „Siehe,
ich bin gekommen!
Im Buche2)
steht’s für mich geschrieben.
9. Ich habe Lust, mein Gott, zu tun deinen Willen,
dein Gesetz trage ich in meinem Herzen.
10. Ich verkündigt [deine] Gerechtigkeit in großer Gemeinde; siehe, ich
verschloß nicht meine Lippen, das weißt du, HErr!
11. Deine Gerechtigkeit verbarg ich nicht im Herzen, von deiner Wahrheit und
deiner Hilfe hab' ich gesprochen,
ich verschwieg nicht
deine Gnade und Treue in der großen Gemeinde.
12. Du, HErr, wirst
dein Erbarmen nicht verschließen vor mir, deine Gnade und Treue mögen beständig
mich schirmen!
13. Denn Gefahren
ohne Zahl umgeben mich.
Meine Verschuldungen
haben mich erfaßt, ich kann sie nicht
übersehen Weit mehr
Sind ihrer als Haare meines Hauptes, da will mir mein Mut3)
entsinken!
14. Laß dir's gefallen, HErr, mich
zu erretten,
eile, o HErr, und komm mir zu
Hilfe!
15. Beschämt und Schamrot mögen alle werden,
die darnach trachten, mir das
Leben zur nehmen.
Es werden zurückweichen und
zuschanden werden,
die Freude an meinem Unglück
haben,
16. Erschaudern werden sie ob ihrer Schmach, sie, die über mich rufen: „Ha!
Ha!"
17. Laß alle frohlocken und deiner sich freuen,
die dich, HErr, suchen, laß
sprechen zu jeder Zeit: „Groß ist der HErr!" —
alle, die deine Hilfe begehren!
18. Ich aber, ich bin elend und arm,
du, HErr, wirst für mich sorgen,
meine Hilfe und mein Retter bist
ja Du!
Mein Gott, ach verziehe doch
nicht!
Gar manche Psalmen wirken wie ein belauschter Gebetsumgang mit Gott. Man
sieht sich beim Lesen derselben versetzt in das Gebetskämmerlein des Beters. Im
Alleinsein mit Gott spricht hier der Mensch weit offener, unbefangener, wahrer
und kindlicher als im gewöhnlichen Umgang vom Menschen zum Menschen. In Gottes
Gegenwart wagt er auszusprechen, was er anderen gegenüber verschweigen würde.
Ob die Freude über Gottes Tun, ob die Erkenntnis der eigenen Schuld, ob die
Angst und Sorge angesichts der Feinde, Gott gegenüber kleidet die Seele alles
in Dank und Anbetung oder in Flehen und Hoffen. Daher finden so viele in der
Sprache der Psalmen sich selbst, die Spannungen ihres eigenen Seelenlebens
wieder.
Daß alttestamentliche Sänger den Mut hatten, ihre Herzensgespräche mit Gott
niederzuschreiben, diesem Umstande verdanken wir es, daß sie nun als Zeugnisse
des Glaubens weiterreden von Geschlecht zu Geschlecht. Wie Stark ist doch der
Eindruck, wenn man auch diesen Psalm unbefangen auf sich wirken läßt! Man
vergißt, wer einmal so gesprochen hat, man steht selbst vor Gott. Man ist der
Sänger und Beter, der Rufende und Wartende. Was fragt die gläubige Seele nach
Zeit und Herkunft des Psalms - sein
Inhalt ist ihre Sprache, ist ihr Alleinsein mit Gott. Denn bei der Frage nach
dem Verfasser unseres Psalms und der Zeit seines Entstehens kommen wohl nur
zwei Personen ernstlich in Frage: Entweder David oder Jeremia. David besaß in
seinen Tagen noch nicht das klare Urteil über den eigentlichen Wert und Unwert
der Opfer. Erst mit Jesaja und Jeremia begann jenes klarere Verstehen, daß der
HErr nicht Schlachtopfer und Brandopfer verlangt, vielmehr den
Menschen selbst begehrt, und zwar in
seiner Glaubenshingabe und in seinem Glaubensgehorsam. Ob wir nun die großen
Erfahrungen eines David oder eines Jeremia in den einzelnen Versen des Liedes
sehen,
entscheidend für uns ist, daß hier ein Mensch zu uns redet, der das Alleinsein
mit Gott kennt.
Sie sind es, mit denen der
Sänger uns zunächst vertraut macht. Sie überwiegen bei ihm jede Klage, jedes
Flehen. Das Große, das er von Gott empfangen hat, erfüllt ihn so stark mit
Dank, daß er zuerst davon Sprechen muß, Gott hatte mit der Erhörung auf sein
Flehen geantwortet. Nun wird ihm dieses Tun Gottes zum Inhalt seines
Zeugnisses.
2. Voll
Zuversicht habe ich des HErrn geharrt,
und er neigte sich zu mir und erhörte mein flehen.
Der Sänger war nicht
unbekannt mit Gott. Er wußte, daß eine geängstete Seele nicht vergeblich bei
ihm Zuflucht Sucht. Auch wußte er, daß Gott größer sei als alles, was den
Menschen ängstigen und erschüttern kann. Daher hatte er sich in seinen Nöten im
Gebet zu Gott gewandt. Offenbar hatte ihn Gott aber mit seiner Antwort und
Hilfe warten lassen. Dennoch harrte der
Sänger zuversichtlich, und zwar bis Gottes Stunde zum Handeln gekommen war. In
seinem Flehen vor Gott hatte er Festigkeit, Geduld und Vertrauen offenbart. Nun
wußte er etwas von dem, was ein Sänger unserer Tage mit den Worten bezeugt:
„Wenn die Stunden sich gefunden, bricht die Hilf mit Macht herein!" Das
hatte der Psalmist zuletzt erlebt. Gewaltiges hatte Gott getan. In bildlicher
Rede bringt der Sänger das zum Ausdruck,
3. Er zog mich empor aus
der Grube des Verderbens,
empor aus dem Schlammigen Kot,
und stellte auf Felsengrund meine Füße,
und machte sicher meine Schritte.
Auf Grund dieses Verses könnte man an das schwere Erlebnis eines Jeremia denken. Er wurde ja in eine
Schlammgrube des Prinzen Melchia geworfen, damit er daselbst umkomme (Jerem,
38,6 f.). Aber darauf bezieht sich dieser Vers nicht. Bei Jeremia handelte es
sich um eine wirkliche Zisterne ohne Wasser und mit tiefem Schlamm, während
hier die Grube des Verderbens und der kotige Schlamm nur bildlich zu verstehen
sind. Daß der Psalmist diese Bilder von der Grube und vom Schlamm auf sich
anwandte, will besagen, daß sie ihn mit dem Untergang bedrohten. Ob er nur mehr
an seinen seelischen Zusammenbruch, an ein Irrewerden an Gott oder mehr an
einen physischen Untergang dachte, an feindliche Bedrohung und Verfolgung, das
wissen wir nicht. Was er uns zu erzählen hat, das ist die tatsächliche
Gotteshilfe, die ihm in seinem Zustande zum Leben gereichte.
Daß wir beim Psalmisten vielleicht mehr an innerliche Glaubenskonflikte
und seelische Leiden zu denken haben, geht offenbar daraus hervor, daß er von
einem Felsengrund redet, auf den er sich durch die Tat Gottes gestellt sieht.
Er watet nicht mehr wie in einem unsiecheren Sumpfgebiet. Er kann wieder feste,
sichere Tritte tun. Denn das hebräische Wort für Felsengrund bezeichnet hier
nicht den Zufluchtsort, auf den der Verfolgte sich vor den Nachstellungen des Feindes hinauf zu
retten vermag. Hier ist nur gesagt, daß Gott den Lebensweg so gestaltet, daß er
neues Vertrauen zum Leben gewinnt! Gott sichert seinen Weg und gibt ihm Raum zu
gehen, Diese Lebensfreudigkeit und Zuversicht hat ihre Grundlage in dem Handeln
Gottes.
4. Er gab mir ein neues Lied in
den Mund,
einen Lobgesang auf [Ihn,] unseren Gott.
Es sehen's gar viele, und von Furcht ergriffen
fassen auch sie Vertrauen zum HErrn.
Das neue Lied ist hier ein Lied der Anbetung
und des Zeugnisses. Gott hat in sein Leben eingegriffen, und das hat ihm den
Inhalt zu einem neuen Psalm gegeben. Der Sänger beschreibt damit einen
Seelenvorgang, den auch heute alle mit ihm teilen, die Gottes Hilfe in schweren
Nöten und Kämpfen erlebten. Alle Anbetungspsalmen — ob der einer Mirjam, der
Schwester Moses (2. Mos. 15,1-21), ob der einer Hannah, der Mutter Samuels (1.
Sam. 2,1 ff.), ob der eines David oder eines Daniel oder
eines Nebukadnezar (Dan. 4,3l ff.), oder auch eines Darius (Dan. 6,26 ff.) —
alle diese Lieder wurden aus einer neuen Schau für das Tun Gottes geboren. Sie
machten Gottes Majestät und machtvolles Handeln zu ihrem Inhalt.
Solche Lieder des Lobpreises und der Anbetung
wurden aber zu allen Zeiten zu einem Zeugnis. Durch sie wird Gott in das Leben der Zagenden und Müden, Ringenden und
Harrenden getragen. Auch sie sollen wieder neue Kraft gewinnen, daß sie laufen
und nicht ermatten, daß sie wandeln und nicht müde werden (vgl. Jes.40,31).
Schlicht und dennoch stark drückt es der Psalmist mit den Worten aus, daß viele, wenn sie sein Zeugnis hören, Gottes Taten sehen werden, von der Furcht
Gottes werden
ergriffen werden. Wenn der Sänger hier von der Furcht spricht, so versteht er
darunter jene Gottesfurcht, die zu jeder Zeit aller Weisheit Anfang war. So wie
Gott sich in seiner Wirklichkeit ihm offenbarte, so kann er sich auch denen offenbaren, die einsam, zagend und wartend ihren
Lebensweg gehen. Auch sie sollen in ihrer Glaubenshaltung zu Gott nicht enttäuscht
werden, wie er nicht enttäusch worden ist. Das
Zeugnis seiner Erfahrungen mit Gott soll anderen den Mut geben, ebenfalls
Vertrauensvoll auf Gott zu warten, bis seine
Stunde zum Helfen gekommen ist. So wurde das
Erleben der Gläubigen zu allen Zeiten nicht nur zu einem Psalm der Anbetung,
sondern auch zu einem Zeugnis für den Nächsten. Gottes Offenbarungstaten sollen
nicht etwa nur zum Beter, sie sollen auch zu
denen reden, die vielleicht den Mut zum geduldigen Warten verloren haben, die
in der Gefahr stehen, auf ihrem dunklen Lebenswege zusammenzubrechen.
Ergriffen von dem,
wie Gott sein zuversichtliches Harren mit seinen Taten und Wundern beantwortet
hat, fährt der Psalmist nun fort:
5. Heil dem Manne,
der sein Hoffen auf den HErrn setzt, der es nicht hält mit den Hoffärtigen, die
dem Truge verfallen sind.
Der Sänger weiß, wie
Gottes Eingreifen seinem Leben einen neuen Inhalt und eine neue
Zuversicht für Gegenwart und Zukunft gegeben hat. Nun schätzt er alle glücklich, die dieselbe
Glaubenshaltung zu Gott gewonnen haben, die
im Dunkel und Kampf des Lebens mit der Wirklichkeit Gottes zu rechnen wagen.
Sie haben sich abgewendet von den Hoffärtigen, die trunken sind von sich selbst
und ihrem Können, Hoffart lebte immer vom Truge, Wirklichkeitsmenschen, die
sich ihrer Schwachheiten und der Grenzen ihres menschlichen Könnens bewußt
sind, können nicht hoffärtig sein. So weit ihr Einfluß auch reicht, so stark
sie in ihrem Handeln auch sind so fruchtbar
ihr Leben sich auch für andere erweist, sie bleiben
sich ihres Menschseins und ihrer
Verantwortung bewußt. Hoffart jedoch entsteht immer auf Grund eines berauschten Selbstbewußtseins. Das nennt der Psalmist
hier: „dem Trug verfallen". Wer auf solche
Menschen sein Vertrauen setzt, der teilt
eines Tages das Gericht der Hoffärtigen.
6. Wie gar zahlreich
hast du, o HErr, mein Gott,
deine Wunder werden lasen,
und die Absichten, die du mit uns
hast
— es gibt nicht deinesgleichen —
wollt' ich sie verkünden, von ihnen reden,
sie sind ja unmöglich zu zählen.
An seinen eigenen
Erfahrungen hat der Psalmist einen geschärften Blick gewonnen für die
unzähligen Segenstaten Gottes. Die Reichsgottesge-schichte wird ihm zu einem Buch göttlicher Taten und
Wunder. Sie sagen ihm, wie wertvoll der Mensch in Gottes Augen ist. Vergeblich
sucht er in der Schöpfung, ob droben im Himmel, ob drunten auf Erden nach etwas
Verwandtem, mit dem er Gott vergleichen könnte. Er ist innerlich überwältigt
von der Gottesschau, die ihm auf Grund der Gotteshandlungen geworden ist. Er
findet weder ein Wort noch ein Bild, um Gott wirklich zu nennen, ihn in seinem Heilswillen und in
seinen Heilstaten zu schildern. So viel größer Gott ist als der Mensch, so viel
größer und majestätischer ist auch sein
Bild und sein Tun. Weder ein Mensch
noch die Geschichte haben je Gott ganz zu nennen, Gottes
Heilsoffenbarungen alle zu erzählen vermocht. Gottes Gnade und Offenbarung
übersteigen in ihrer Fülle, Größe und Tiefe alles menschliche Denken und
Verstehen. Kein Zeugnis von Gott vermag mithin Gott ganz zu bezeugen und zu
künden.
7. Schlachtopfer und Speisopfer begehrest du nicht,
doch Ohren hast du mir [zum Hören] gegeben,
Brandopfer und Sündopfer forderst du nicht.
Erfüllt von den großen
Gottestaten kommt der Psalmist ganz von selbst auf die Frage, wie er seinem
Dank einen greifbaren Ausdruck geben kann. Er denkt an die Schlacht= und
Speisopfer, an die Brand= und Sündopfer im gottesdienstlichen Leben seines
Volkes. Ihm jedoch genügen sie nicht. Er hat das Vertrauen zu ihrem Wert und
ihrer Heiligkeit verloren. Nach ihm hat Gott weder Schlacht= noch Speisopfer
als Ausdruck einer lebendigen Gemeinschaft begehrt. Ihm sind Brandopfer nicht
mehr ein Gott wohlgefälliger Ausdruck des Dankes, die Sündopfer nicht mehr das
wahre Schuldbekenntnis eines Menschen vor Gott. Der Psalmist war ganz vertraut
mit der Deutung, die man den einzelnen Opfern gegeben hatte. Nach der
bisherigen Überlieferung trugen Schlacht= und Speisopfer einen gemein schafts- bildenden Charakter. Von ihnen bekam Gott
immer nur einen kleinen Teil. Der weit größere wurde von den Opfernden mit
ihren Angehörigen und Freunden als Gemeinschaftsmahl verzehrt. Die Schlacht=
und Speisopfer waren mithin gemeinschaftsbildend, und zwar mit Gott einerseits
und mit den Geladenen andererseits, die an der Opfermahlzeit teilnahmen. Solch
eine Gemeinschaft aber begehrt Gott nicht, sagt der Psalmist.
Die Brandopfer und
Sündopfer waren anderer Art. Beim Brandopfer gehörte das ganze Opfer Gott,
nicht etwa nur ein kleiner Teil des Opfers. Es war nur Gabe als Ausdruck einer
innerlichen Huldigung oder eines empfundenen Dankes. Von der Darbringung der
Sündopfer erwartete der Opfernde Entsündigung, Sühne für Schuld und
Verfehlungen. Von ihnen sagt der Sänger, daß Gott sie nicht gefordert hätte.
Damit stellte der Psalmist aber fest, wie tief er das Wesen der wahren
Gemeinschaft erfaßt hatte. Nicht Tieropfer können zur Gemeinschaft führen.
Gemeinschaft mit Gott
und auch untereinander kann nur entstehen auf Grund innerlicher
Geistesverwandtschaft. Mit Gott Gemeinschaft pflegen können nur Menschen, denen
Gott seinen Geist schenken konnte. Gemeinschaft untereinander kann nur
bestehen, wenn sich alle durch ein und den-
selben Geist Gottes zu einer heiligen Bruderschaft verbunden wissen.
Nun wissen wir/ daß diese hohe
Erkenntnis einst dem Volke Israel erst mit seinen großen Propheten wurde. Es
ist mithin kaum anzunehmen, daß bereits David so über das Wesen der
Gemeinschaft und so über das Geheimnis wahrer Gotteshuldigung und so über die
Tiefen der Sündenvergebung gesprochen hätte. Davids Sohn Salomo versuchte ja
während seiner Regierung alles bis zu seiner Zeit Dagewesene in der Darbringung
von Opfertieren zu übertreffen. Nach Vollendung des Tempelbaus opferte er so
viele Schafe und Rinder, daß man sie nicht zählen noch berechnen konnte (1.
Kön. 8,5). In solch einem Geiste und in verwandter Erkenntnis lebte nicht der
Beter unseres Psalms. Ihn erfüllte der Geist der Propheten. In welchen
Handlungen er den Ausdruck des Dankes, das Geheimnis der Vergebung und das
Wesen der Hingabe sah, das sagt er uns in den folgenden Versen.
8.Da sprach ich: »Siehe, ich bin
gekommen!
Im Buche steht's für mich
geschrieben.
9. Ich habe Lust, mein Gott, zu tun deinen Willen, dein Gesetz trage ich in
meinem Herzen."
Der Psalmist macht sich selbst, sein Leben zum
Opfer, das er Gott darbringt. Nicht ein Tier kommt, „ich komme!" Ich, dein
Knecht, ich, dein Sohn, ich, der Begnadigte, ich, der Gerettete aus der Grube
des Verderbens. Allein diese Gabe kann der Gnade und Größe Gottes entsprechen.
„Es gibt nur eine Haltung des Menschen, die diesem Gott gibt, was ihm gebührt.
Das ist die Haltung des Gehorsams und der Beugung unter Gott4)."
Gott sucht die Gemeinschaft mit dem Menschen seines Ebenbildes, mit dem
Geschöpf, das ihm innerlich verwandt ist. Wenn der Vater als Dank die Liebe des
Kindes erwartet,
dann kann kein Opfergeschenk ihm Ersatz für diese ersehnte Liebe bieten. Es
gibt vor Gott keinen Ersatz für jene persönliche Hingabe, die aus dem Glauben an
seine Offenbarung und aus der Liebe zu ihm selbst fließen. Was der Psalmist zu
tun hat, findet er im Buche, eigentlich in den Buchrollen Geschrieben. Mit
Freuden ist er bereit, des HErrn Willen zu tun. Er trägt das Gesetz als eine
Kundgebung der Heilsabsichten seines Gottes in seinem Herzen, Ohren hat
Gott ihm gegeben, wörtlich: „grubst du mir", damit er höre wie ein Jünger
(Jes. 50,4). Das ist dem Sänger Ausdruck des Dankes, Opfer der Liebe,
Gemeinschaft mit Gott.
Der Hebräerbrief hat nun diese Psalmstelle frei
wiedergegeben und sie auf Christus bezogen. „Schlacht= und Speisopfer willst du
nicht, einen Leib aber hast du mir geschaffen. An Brand- und Sündopfern hast du
kein Wohlgefallen. Da Sprach ich: Siehe, ich komme, um deinen Willen zu
erfüllen, mein Gott, wie in der Buchrolle von mir geschrieben steht"
(Hebr. 10,5—7). Erst in Jesu erfüllte sich im vollen Umfange dies Wort,
das ursprünglich ein Beter im Alten Testament nur im Blick auf seine
persönliche Glaubenshaltung Gott gegenüber aussprach. Daher nahm der
Hebräerbrief in der Verbindung, wo er das weit höhere Opfer Jesu
behandelte, das Wort einfach für Christus und seine Hingabe an den Vater in
Anspruch.
Die großen
Glaubenserfahrungen mußten dem Psalmisten aber auch zum Inhalt eines gewaltigen
Zeugnisses für andere werden.
10. Ich verkündige [deine]
Gerechtigkeit in der großen Gemeinde, siehe, ich verschloß nicht meine Lippen,
das weißt du, HErr!
11). Deine Gerechtigkeit verbarg
ich nicht im Herzen, von deiner Wahrheit
und Hilfe habe ich gesprochen, ich verschwieg nicht deine Gnade und Treue in
der großen Gemeinde.
So wird Gottes Handeln durch das Zeugnis der
Begnadeten zu einer frohen Botschaft für die Gemeinde, für die Welt und für die
späteren Zeitalter. Was sie an Gerechtigkeit, an Wahrheft, an Hilfe, an Gnade
und Treue erlebten, soll in anderen ein verwandtes Vertrauen und dieselbe
glaubensvolle Hingabe an Gott erwecken. Erlebte Gnade will andere zum Erleben
der Gnade führen. Zu allen Zeiten war daher
Zeugendienst des Glaubens Missionsdienst an der Gemeinde und am Volk.
Menschen
mit großen Glaubenserfahrungen lebten nie in einem frommen Selbstbewußtsein.
Sie bespiegelten sich auch nicht in ihren Erfahrungen und in ihrer Frömmigkeit.
Sie haben Gott gesehen. Unmöglich können sie hinfort Gefallen an sich selber
haben. Trotz aller Gemeinschaft mit Gott sind sie sich je länger desto mehr
ihres persönlichen Abstandes von Gott bewußt geworden. Sie wissen etwas von dem
Tier, das im Menschen erwachen und zu einer Bestie werden kann. Sie trauen sich
nicht selber zu, was allein durch Gnade ihnen geschenkt und durch die Kraft des
Heiligen Geistes in ihnen gewirkt werden kann. Auch unser Sänger setzt daher
alle seine Erwartungen allein auf Gott.
12. Du, HErr, wirst
dein Erbarmen nicht verschließen vor mir, deine Gnade und Treue mögen beständig
mich schirmen!
Das ist der Segen tiefer Selbsterkenntnis. Er macht den
Menschen abhängig von Gott. Er berechnet nicht die eigenen Kräfte. Er nimmt
seine Zuflucht zur Gnade und zur Treue Gottes. Sie allein sind groß und stark
genug, um den Menschen in der Welt zu beschirmen und zu bewahren,
13. Denn Gefahren
ohne Zahl umgeben mich.
Meine Verschuldungen
haben mich erfaßt, ich kann sie nicht übersehen. Weit mehr sind ihrer als Haare
meines Hauptes, da will mir mein Mut entsinken.
Der Psalmist sah die Welt, und er
sah, sich selbst. Die Welt, durch die sein Lebensweg ihn führte, war voll von
zahllosen Gefahren. Ob sie mehr äußerlicher oder mehr innerlicher Natur waren, sie gereichten ihm zur
Versuchung. Das Leben mit seinen Lockungen, Verführungen und Sünden hatte sich
stärker erwiesen als er. Es hatte ihm Gelegenheit zu zahllosen Verschuldungen
geboten. Er vermochte sie nicht zu zählen. Er wußte aber, daß sie als Schuld
anklagend vor Gott standen. Alle frommen Versuche, selbst mit den ungezählten
Sünden fertig zu werden, hatten sich als völlig vergeblich erwiesen. Da war dem
Ringenden der Mut entsunken. Seine Kräfte waren gelähmt, und vergeblich rang er
um Trost. Was allein Frieden seiner Seele geben konnte, war die Gnade. Er
kannte sie in ihrer Größe, daher nahm er zu ihr
seine Zuflucht
Wurden
zu jeder Zeit auch die Menschen anders, die in der Gemeinschaft mit Gott zur
Ruhe kamen, die Welt, in der sie lebten, blieb dieselbe. Sie sahen sich weiter
umgeben von den Feinden Gottes und den Spannungen des Lebens. Sie kannten daher
nicht nur ein Kämmerlein, in dem sie gelegentlich im Gebet vor Gott traten. Das
Leben wurde ihnen
Zum Gebet.
14. Laß dir's gefallen,
HErr, mich zu erretten,
eile, o HErr, und komm mir zur Hilfe!
Offenbar durchlebte der Psalmist eine Zeit
besonderer Nöte und Drangsale. Auch ihm dauerte es zu lange, wie Jahrhunderte
Später einer Maria und Martha, bis Gott mit seiner Hilfe eingriff (vgl. Joh.
11,20). Aber Gott verspätete sich noch nie. Verzog er auch, um so sichtbarer
und gewaltiger ward später alsdann sein Eingreifen. Daß Jesus Autorität vom Vater
auch über den Tod empfangen hatte, konnte erst an dem kranken Lazarus offenbar
werden, nachdem er gestorben war.
15. Beschämt und schamrot mögen
alle werden,
die darnach trachten, mir das
Leben zu nehmen.
Es werden zurückweichen und
zuschanden werden,
die Freude an meinem Unglück
haben.
16. Erschaudern werden sie ob ihrer Schmach,
sie, die über mich rufen: „Ha! Ha!"
Zu jeder Zeit konnte
Gott im Leben derer, die ihm vertrauten, wahrmachen, was einst Joseph zu seinen
Brüdern Sagte: „Ihr zwar gedachtet mir Böses zu tun, Gott aber hat es zum Guten
gewendet, daß er täte,
was jetzt am Tage ist, ein großes Volk am Leben zu erhalten" (l. Mos.
50,20). Je stärker Pharao Israel knechtete, desto größer wurden Ägyptens
Gerichtswehen und desto näher rückte die Stunde für das auf Erlösung wartende
Volk. Mit Gott rang der Mensch noch immer vergeblich. Ob das ein Saul in den
Tagen Davids oder ein Jojakim zur Zeit Jeremias war. Bisher gereichte noch
immer der Kampf der Feinde wider Gott zu ihrem eigenen Gericht. Zwar glaubten
sie in ihrer Feindschaft gegen einen Menschen zu kämpfen, ihr Kämpfen erwies
sich aber als ein Kampf gegen Gott. Je länger die Feinde sich in demselben zu
halten suchten, desto größer wurde der Zusammenbruch, den sie sich
vorbereiteten.
Daß
alle, die den HErrn suchen, Gottes Gerechtigkeit auch in der Geschichte und in dem Leben ihrer Feinde erfahren
möchten, erfleht der Psalmist mit den Worten:
17. Laß alle frohlocken und deiner
sich freuen,
die dich, HErr, Suchen, laß Sprechen zu jeder Zeit: „Groß ist der HErr!" —
alle, die deine Hilfe begehren.
Wer
Gottes Größe, Majestät und Erbarmen im eigenen Leben erfahren hat, ist erfüllt
von der Sehnsucht, daß sie erlebt werden möchten von allen Ringenden und allen
Zagenden. Wer erst selbst in seinen Nöten, Kämpfen und Gefahren eine neue Schau
für Gottes Können gewonnen hat, der ringt im Gebet darum, daß sich auch andere
in den Spannungen ihres Lebens von Gottes Macht und Hilfe begnadet sehen
möchten. Wer in seinen Nöten Gott gefunden hat, findet alsbald auch den
Nächsten mit seinen Nöten und möchte ihn teilnehmen lassen an dem Heil, das ihm
selbst von Gott aus werden konnte.
18. Ich aber, ich bin elend und
arm,
du, HErr, wirst für mich sorgen,
meint Hilfe und mein Retter bist ja Du!
Mein Gott, ach, verziehe doch nicht!
Ergreifend ist zum Schluß
dieses Bekenntnis. Es läßt uns noch einmal die großen Seelenkämpfe und Nöte
erkennen, die der Psalmist innerlich durchlebte. Gottvertrauen und
Mutlosigkeit, Glaube und Todesangst ringen in ihm um die Herrschaft. Das ist
menschlich. Gott aber versteht diese Spannungen in der Seele Seiner Knechte.
Stehen sie auch gelegentlich unter dem Starken Eindruck, daß sie Gott nicht
mehr halten können, dann hält Gott um so fester sie. Seine Gnade triumphiert
zuletzt nicht nur über die Gefahren, von denen sie sich umgeben sehen. Sie
triumphiert auch über die geheimsten und schwersten Seelenkämpfe, die sie
innerlich durchleben.
Anmerkungen zu Psalm 40
1)Eb. Kalt übersetzt Viele sehen es und fürchten [Gott] und bauen auf
den Herrn.
2) Es sind die Buchrollen, welche
die überlieferten Gottesworte der Thora und der alt. Propheten enthielten, die der Sänger „in echtem biblischen
Schriftverständnis auf sich selbst"
bezog.
3) R. Kittel übersetzt: ,,Mein Herz
ist mir entsunken". Fr. Delitsch: Und mein Herz hat
mich verlassen".
4) A. Weiser Die Psalmen, 3. 106.
Überschrift: Dem Sangmeister,
ein Psalm Davids, als zu ihm kam Nathan, der Prophet, nachdem er sich
vergangen hatte mit Bathseba 1)
3. Gott! Sei mir gnädig nach
deiner Huld! Nach der Größe deines Erbarmens tilge meine Missetaten!
4. Völlig reinige mich von meiner Schuld !Ach, von meiner
Sünde mach` du mich rein!
5. Denn ich weiß wohl um meint
Missetaten, meine Sünde ist mir stets gegenwärtig.
6. An dir allein hab' ich gesündigt, was mißfiel deinen
Augen, das hab' ich getan. — Dieweil du so gerecht
bist in deinen Worten, ohn' jeden Fehl in
deinem Urteil.
7. Siehe, ich bin ja in Schuld geboren, in
Sünden hat mich meine Mutter empfangen.
8. Siehe, an Wahrheit im Innersten hast du Gefallen, drum
tu' mir Weisheit im Verborgenen kund 2).
9. Entsündige mich mit Ysop, so werde ich rein, wasche mich, so werde ich
weißer als Schnee.
10. Laß mich [wieder] hören Freude und Wonne,
daß frohlocken die Gebeine, die du
hast zerschlagen,
11. Verbirg [HErr] dein Antlitz vor meinen Sünden,
und alle meine Missetaten tilge du.
12. Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen
neuen, gewissen Geist.
13. Verwirf mich nicht von deinem
Angesicht, und deinen Heiligen Geist nimm nicht von mir.
14. Gib mir wieder die Wonne deines Heils, und stütze mich
durch einen willigen Geist.
15. So will ich Übertreter deine Wege lehren, daß Sünder
sich zu dir bekehren.
16. Rette mich von Blutschuld, o
HErr, du Gott meines Heils
damit juble meine Zunge ob deiner Gerechtigkeit.
17. HErr, tue du meine Lippen auf, daß mein Mund deinen
Ruhm verkünde!
18. Denn Schlachtopfer gefallen dir nicht — sonst geb' ich sie dir —, auch
Brandopfer begehrst du nicht.
19. Das Schlachtopfer, das dir3) gefällt, ist ein zerbrochener
Geist; ein zerschlagenes Herz wirst du, o Gott, nicht verachten.
20. Tue wohl an Zion nach deiner
Huld, und baue
auf Jerusalems verwüstete Mauern.
21. Dann wirst du Gefallen haben an rechten Opfern, an Brandopfern und Ganzopfern. Hinaufsteigen
werden Farren auf deinen Altar.
Es ist
verständlich, daß man diesen Bußpsalm in seiner Tiefe und ergreifenden Wirkung
innerhalb „der Kirche öfter als irgendeinen Psalter gesungen und gebetet hat" (Luther). Unter den sieben Bußpsalmen
nimmt er die erste Stelle ein. Sünde und Gnade, Schuld und Vergebung
werden hier in einem Geiste geschaut, wie
es Später auch die Apostel und die Gemeinden getan haben. Der Psalmist
lebte im Geiste jener großen Propheten seines Volkes, die in ihrer Heilsschau und Heilserwartung weit über
die Erkenntnis
ihrer Zeit hinauswiesen. Nicht
sühnen will der Beter seine Schuld, er ringt um Vergebung auf der Grundlage der göttlichen Barmherzigkeit. Nicht
im Bewußtsein eigener Kraft will er sein Leben verbessern, er fleht um eine Erneuerung durch den Heiligen Geist. Nicht etwa irgendein Opfer
soll der Inhalt seines Dankes sein,
sein Mund soll rühmen die großen Taten Gottes. Was er als Dankopfer Gott
zu bringen hat, ist ein zerbrochener Geist und ein zerschlagenes Herz.
Nach der Überschrift soll der Psalm von D a v i d sein. Nachdem er den Ehebruch mit Bathseba begangen und deren Mann Uria
hatte töten lassen, sei dieser Psalm der Inhalt seines Bußgebets gewesen. So
gern man an diesen Zusammenhängen auch
festhalten möchte, sie entsprechen aber kaum der geschichtlichen Wirklichkeit.
Des Psalmisten Verständnis für Sünde und Vergebung war viel tiefer und
wahrer als das während der Zeiten eines David. So wertvoll Davids Gebete und
Lobgesänge der Kirche auch immer bleiben
werden, an die prophetische Höhenlage des 51 Psalms
reichen sie
kaum hinan. Auch am
Gebetsleben der alttestamentlichen Gottesknechte erkennen wir, daß der
HErr die Seinigen aus Klarheit in Klarheit und damit aus Erkenntnis in
Erkenntnis führte. Je tiefer und klarer die Gotteserkenntnis der Propheten vor
der eines David wurde, desto reiner und unmittelbarer wurde auch der
Gebetsumgang mit Gott. Vielleicht darf angenommen werden, daß unser Psalmist etwa im Zeitalter eines
Jeremia oder noch etwas später gelebt hat
Dem Sänger ist seine Sünde
zur inneren Not geworden. Sein Gewissen war erwacht, und seine Seele kam nicht
mehr zur Ruhe. Das ist die Folge der bösen Tat, daß sie noch immer den
Menschen sehend machte. Nachdem
Adam und Eva im Garten Eden das Gebot Gottes übertreten hatten, erkannten sie,
daß sie nackt seien. Sie hatten Gott gegenüber etwas verloren, was sie vordem
besaßen. Schuld muß an dem
Menschen nach dem Ebenbilde Gottes immer neu als
Schuld aufbrechen. Hinfort
helfen keine Art von Feigenblätter mehr, ob sie religiöser, moralischer oder
völkischer Natur sind, um die offenbar gewordene Blöße zu verbergen. In diesem
Gericht liegt aber weit mehr Gnade,
als der Mensch zu ahnen vermag. Würde nicht die Nacktheit immer wieder durchbrechen, der Mensch würde alsdann in
seiner Selbsterlösung zur Ruhe kommen, ohne in Wirklichkeit von sich erlöst zu
werden.
3. Gott! Sei mir gnädig nach
deiner Huld! Nach der Größe deines Erbarmens tilge meine Missetaten!
Ist
auch nicht anzunehmen, daß David der Verfasser des Psalms ist, so spricht
dennoch ein Beter zu uns, der sich der Größe seiner Schuld bewußt war. Sie kann
ihm in ihrer erdrückenden Schwere allein durch den genommen werden, dessen
Barmherzigkeit größer ist als jede Schuld eines Menschen. So groß und
schwer seine Missetaten sind, ebenso
reich und groß
muß auch die Vergebung sein. Diese sucht er nicht im göttlichen Recht. Er erwartet sie
von der göttlichen Barmherzigkeit. Ihr vertraut er, daß sie in ihrer Kraft ihn
reinigen wird von jeder Schuld und Befleckung des Lebens.
4. Völlig reinige mich von meiner
Schuld!
Ach, von meiner Sünde mach' du mich
rein!
5. Denn ich weiß wohl um meine Missetaten,
meine Sünde ist mir stets
gegenwärtig.
Wenn
die Schrift vom Reinigen Spricht, so
tut sie das im tiefsten Sinne nur in bildlicher Weise. Ein Mord, wie ihn z. B.
David an Uria begehen hieß, oder ein Ehebruch, wie er ihn mit der Bathseba
beging, sind nicht äußere Befleckungen, die man abwaschen und aus dem Leben
tilgen kann. Sie sind innerste Verfehlungen, die hinfort aufs engste mit dem Wesen und der Zukunft des Menschen zusammenhängen.
Sie fließen aus einem Verderben, von dem niemand sich selbst
freizumachen vermag.
Die religiösen
Reinigungen, von denen die Schrift Spricht, wollen nur Symbol, Bild und Zeichen
eines inneren Vorgangs sein. Je bewußter der Mensch zur Erkenntnis seiner
Schuld erwacht, desto klarer wird seine Sehnsucht nach Vergebung. Gott in
seiner Barmherzigkeit antwortet auf diese Sehnsucht und macht die Vergebung zum
Anbruch eines neuen Lebens. Mit dem Augenblick, wo der verlorene Sohn in den
Armen seines Vaters lag, begann das Leben eines wiedergefundenen Sohnes. Diese
Wendung von der Schuld zur Vergebung, von der Vergebung zum Anbruch eines neuen
Lebens liegt nicht im Können eines Menschen.
Niemand entflieht seiner Schuld. Niemand bringt das redende Verbrechen zum
Schweigen, niemand vermag sich selbst zu erneuern. Was aber bei Menschen
unmöglich ist, das vermag Gott. Er tilgt
durch seine Vergebung die Sünde so völlig aus dem Buche des menschlichen
Lebens, daß er ihrer nicht einmal mehr gedenken will. Nur auf Grund dieser
vergebenden Barmherzigkeit Gottes vermag der Mensch im Glauben auch über seine
schwerste Schuld zur Ruhe und zum Frieden zu kommen.
6. An dir allein hab1
ich gesündigt,
was mißfiel deinen Augen, das hab'
ich getan. —-
Das
ist das Erschütternde, daß jede Schuld
gegen den Nächsten zur Sünde gegen
Gott wird. Solange aber die Sünde vor
Gott steht, erwacht sie eines Tages
todsicher auch im Gewissen des Menschen. Der Mensch vergißt erst dann
Sünden, wenn Gott ihrer nicht mehr gedenkt.
Könnte der Mensch vergessen, bevor Gott in seiner Barmherzigkeit die
Sünde zugedeckt hat, dann käme er innerlich
zur Ruhe
auch ohne Vergebung. Der
Mensch bliebe dann in seinen Sünden und seine Zukunft bliebe ohne Erlösung.
Welche
Gnade liegt mithin in Gottes gerechtem Wort, in seinem
Urteil ohne Fehl! Leuchtet sein Wort in das Leben eines Menschen, dann wird die
Finsternis als Finsternis, die Sünde als Sünde, die Schuld als Schuld offenbar.
Gottes Urteile ohne Fehl lassen keine Täuschung über den Charakter der Schuld,
keine Täuschung über die Folgen einer Sünde Zu. Sie zwingen den Menschen, sich
als den zu erkennen, der er ist: ein Schuldner vor Gott. Gott gegenüber
hilft aber keine Selbstrechtfertigung,
nützt kein Leugnen, versagt jede Flucht. Entweder zerbricht man an
seiner Schuld vor ihm, oder man fleht um Vergebung. Wie wenig aber Vergebung
Menschen erniedrigt, beweisen alle jene großen Persönlichkeiten der
Geschichte, die wie Augustin, Huß, Luther,
Calvin und unzählige andere mehr erst nach erlebter Vergebung der
Welt
zu einem unvergänglichen Segen geworden sind. Erst als Begnadigte wurden sie zu
Boten der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens. Als solche konnten sie
der Menschheit hinfort den Weg vom Tode
zum Leben, aus der Schuldverhaftung zur Erlösung künden.
Wie
tief der bekennende Psalmist seine Sünde
erkannte, drückt er auch
durch das Bekenntnis aus:
7. Siehe, ich bin ja in Schuld
geboren,
in Sünden hat mich meine Mutter
empfangen.
In Verbindung mit den
vorigen Versen wird hier die Sünde in
ihrem tiefsten Zusammenhang
gesehen. Sie ist nicht etwa nur
persönliche Schwäche, auch ist sie nicht
eine zusammenhanglose Einzelverfehlung. Der Mensch steht als Sünder vor
Gott nicht nur auf Grund persönlicher Verfehlungen, Widersprüche und
Auflehnungen. Er ist Glied einer Menschheit,
die sich
als Gesamtheit
in ihrer Geschichte immer wieder schuldig
machte vor Gott. Wie
stark jedes neugeborene Kind Anteil an dieser Gesamtschuld hat, können Eltern
am ersten an ihren Kindern erkennen.
So unschuldig und rein Neugeborene in den
ersten Monden ihres Lebens auch zu s'ein scheinen, mit zunehmendem Alter werden in ihnen Regungen wach,
sind sie zu Handlungen fähig, die
nach und nach nichts mehr mit Unschuld zu tun haben. Paulus redet im Römerbrief
von einem Todesleib, mit dem wir alle als Glieder der
Menschheit verflochten sind. Er wirft die Frage auf, die nie in der Menschheit
zur Ruhe kam: „Und wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?" Aber
als einer, dem Gott seinen Sohn hat offenbaren können, antwortet er: „Gott sei
Dank! Er hat's getan durch Jesus Christus, unseren Herrn!'' (Röm. 7,24.25.)
Wenn der Psalmist betont,
daß ihn bereits seine Mutter in Sünden
empfangen habe, so ist nicht anzunehmen, daß er etwa das Kind aus
einem unehelichen Verkehr gewesen sei. Auch liegt ihm fern, etwa das Entstehen
des Menschen auf Grund der göttlichen Schöpfungsordnung, d. h. durch Zeugung,
Empfängnis und Geburt als etwas Sündhaftes zu bezeichnen. Er bringt nur das
Erschütternde zum Ausdruck, daß der Mensch bereits von seinem ersten
Werden an einer Menschheit angehört, die als Ganzes und
in jedem einzelnen Gliede dem von
Paulus genannten Todesleibe angehört.
Je bewußter nun der Mensch in die Nähe Gottes kommt, desto bewußter wird ihm
sein Schuldigsein vor Gott Als Jesaja (6, 5) am Tage feiner Berufung den HErrn
auf dem Throne seiner Macht und Herrlichkeit
sitzen sah, da erkannte er, daß er sowohl selbst unreiner Lippen sei, als auch unter
einem Volke mit unreinen Lippe» wohne.
Der Sänger entschuldigt
seinen sündhaften Zustand nun nicht damit,
daß letzthin alles ja nur Vererbung wäre und mithin dem Menschen
die persönliche Verantwortung
abgenommen sei. Er wagt vielmehr, in die letzten Tiefen seines Lehens und
Handelns hinabzusteigen. Hier entdeckt er die dunklen Quellen auch all seiner
persönlichen Schuld.
8. Siehe, an Wahrheit im Innersten
hast du Gefallen,
drum tu' mir Weisheit im Verborgenen kund.
Dieser
Vers ist nicht leicht zu übersetzen. Falls wir seinen eigentlichen Sinn erfaßt und wiedergegeben haben, so will der
Psalmist mit einem bildlichen Ausdruck sagen, daß
er in seinem Innersten das nicht hat,
was Gott in demselben sucht. Der wörtliche Ausdruck für
„Innerstes" ist eigentlich „Nieren". Sie galten in der alten Zeit als
der zarteste Sitz aller menschlichen Empfindungen und Regungen. Durch diesen bildlichen Ausdruck bezeichnete man mithin die verborgensten
Tiefen des Herzens mit all
ihren geheimen Neigungen und Kräften. Gott sucht nun nach Wahrheit oder auch
Wahrhaftigkeit in dem Innersten des
Menschen. Nur sie decken sich mit ihm
und seiner Gerechtigkeit. Sie allein erweisen sich als ein Segen für den
Menschen. Der Sänger muß
aber feststellen, daß in ihm sich
ganz andere Kräfte regen als jene, die aus der Wahrheit und der Offenbarung
Gottes fließen. Er findet, daß es in den Tiefen seines Herzens dunkel ist. Entsprechend dieser Quelle ist
nun auch all sein Wollen und Handeln voll Unheil und Dunkel.
Daher
fleht er, daß Gott ihn diese verborgene Weisheit lehren möge.
Er vermag weder die göttliche Wahrheit zu
erkennen, noch weniger vermag er ihrem Lichte entsprechend zu handle. Das ist
aber die
Gnade, die mit solch einer
gottgewirkten Selbsterkenntnis verbunden
ist, daß sich in ihr ein
Glaube erhebt, der
in Gott sucht, was
der Mensch in sich nicht findet.
So wird
aus dem Gericht über sich selbst der Anfang zu einer glaubensvollen
Erhebung zu Gott.
Diesen
Anfang erkennen wir beim Psalmisten in seinem erneuten Flehen um Vergebung. Sie ist ihm aber nicht nur ein
Zudecken seiner
bisherigen Schuld. Sie ist ihm zugleich Reinigung,
d. h.
Entsündigung von aller Befleckung durch die
Sünde.
9. Entsündige mich mit Ysop, so werde ich rein,
wasche mich, so werde ich weißer als Schnee.
10. Laß mich [wieder] hören Freude und
Wonne,
daß frohlocken die Gebeine, die du hast
zerschlagen
Von
dieser Reinigung spricht der Psalmist noch vom Standpunkte des
Alten Testaments aus. Die Lehre von
der Unreinheit hatte sich in der
Überlieferung allmählich zu einem
unermeßlichen Labyrinth ausgebildet,
Personen und Sachen wurden unrein durch die
Berührung mit allem, das im Gesetz als unrein bezeichnet
wurde.
Es gab Stufen der Verunreinigung.
Dementsprechend waren
alsdann auch die Mittel, die zur Wiedergewinnung der Reinheit
führen
konnten. Die stärkste Verunreinigung
geschah durch die Berührung mit
einer menschlichen Leiche. Als ähnlich unrein galten auch alle, die
vom Aussatz befallen wurden.
Bei geringeren Verunreinigungen erfolgte
die Reinigung durch verschiedene Waschungen. War jedoch jemand
durch die Berührung einer Leiche unrein geworden, so
mußte er sich am dritten und
siebenten Tag „entsündigen" lassen, d. h. er wurde mit dem Wasser der Entsündigung besprengt (4.Mos.
19,13ff.).
Die
Aussätzigen blieben solange unrein, als ihre Krankheit währte.
Konnte aber von einem Priester festgestellt werden, daß die Krankheit
erloschen sei, so mußte der Wiedergenesene sowohl seinen Leib als auch seine
Kleider waschen lassen. Nach sieben Tagen wurde die Reinigung noch einmal vollzogen. Alsdann hatte der Geheilte
ein genau vorgeschriebenes Opfer zu
bringen. Mit dem Blute des Opfertieres wurde er besprengt. Die Besprengung geschah mit einem Ysopbüschel.
Diese Reinigungshandlungen
dienten dem Psalmisten als Bild für
jenen inneren Vorgang, den er erflehte. Die Vermittlung der Reini-
gung durch den Priester tritt in seinem Flehen aber bereits ganz zurück.
Der Beter erwartete sie ausschließlich als eine
Tat Gottes. Ihn so zu reinigen, richtiger zu entsündigen, daß er
reiner wird als der Schnee, kann nur durch
eine Handlung Gottes
geschehen. Mit der Entsündigung wird für
ihn alsdann wieder Freude und Wonne verbunden sein. Mit der seelischen
Genesung wird sich alsdann auch ein physisches Wohlbefinden verbinden. Seelsorger und
Ärzte wissen aus Erfahrung, wie den Menschen eine verborgene
Last krank machen
oder bis zur Verzweiflung bringen kann. Welch eine Veränderung tritt
jedoch bei vielen ein, denen Gott eines
Tages durch den Geist Jesu
Christi versichern kann: „Sei
getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben" (Matth. 9,2).
Wie stark der Psalmist
seine Vergebung und Entsündigung als eine
Tat Gottes ansieht, geht noch aus den Worten hervor:
11. Verbirg
[HErr] dein Antlitz vor meinen Sünden, und alle meine Missetaten tilge du.
Nur Gnade vermag das, was sie
als Sünde und Schuld aufdeckte,
auch wiederum so zuzudecken, daß der unter der Vergebung stehende
weiß: Gottes Antlitz ruht nicht mehr auf meiner Sünde und Vergangenheit, sie
ruht auf dem heimgefundenen Sohn, der den Weg zurück ins Vaterhaus fand.
Vergebung, Reinigung,
Entsündigung sind für Gott nur erste Anfänge, um aus dem Menschen ein Neues zu
schaffen. Nachdem der Vater den verlorenen Sohn geküßt hatte, überließ er ihn
nicht sich selbst, nicht seinem Elend und der Fremde. Er nahm ihn auf in sein
Vaterhaus. Hinfort begann für den bisher
Verlorenen ein völlig neues Leben. Paulus redet daher im Blick auf
diejenigen, die Jesus Christus angehören, von einem „Einst" und von einem „Jetzt". Um dieses Neuwerden
seines Lebens fleht auch unser Psalmist, wenn er es auch alttestamentlich
ausdrückt.
12.
Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz
und gib mir einen neuen, gewissen Geist.
Der
Beter hat zu stark erkannt, daß sein Herz,
sein Innerstes, die
Quelle seiner unreinen Gesinnung und
Handlung ist. Soll in seinem Leben auf
dem Boden der Vergebung ein Neues beginnen, so muß ein solches durch das
Schaffen Gottes entstehen. Das hebräische Wort
„schaffen" bezeichnet eine Tätigkeit, die nie von Menschen, sondern immer nur von Gott ausgesagt werden kann.
„Schaffen" — d. h. „erschaffen", aus dem Nichts ein Neues werden
lassen, kann Gott allein.
Bekehrung, Wiedergeburt, Leben in
Christo, das sind Vorgänge im Innersten des Menschen, die immer
zu ihrem
alleinigen Quell und Inhalt
Gottes schöpferisches Wirken haben.
Das göttlich Neue wird
aber von einem entsprechend neuen Geist beherrscht. Es ist bezeichnend für die klare Schau und Erkenntnis der alttestamentlichen Propheten, daß sie ein Neues für
einzelne, für ihr Volk oder letzthin
auch für die Welt nur von dem Wirken
des Heiligen Geistes erwarteten.
Welche Verantwortung hat die neutestamentliche Gemeinde nach Pfingsten, die nach Jesu Verheißung den Heiligen Geist als
seinen Sachwalter unter sich wirksam weiß!
Auch
unser Sänger bittet um einen neuen „gewissen" Geist. Im
Geiste liegen die Energien, d. h. die
Kräfte zu dem ersehnten neuen Leben. Mit den biblischen Ausdrücken
„einen neuen gewissen Geist" soll nach dem Hebräischen gesagt werden, daß es sich um einen auf Gottes Offenbarung
und Heil festgerichteten Geist handelt.
Sodann kann das Leben auf Grund einer
geistigen Neugeburt nur in der Gegenwart und in der Gemeinschaft mit
Gott bestehen. Ein vom Angesichte des Herrn Verstoßener wird vergeblich um die
höheren Kräfte eines neuen Lebens ringen. Der Psalmist fährt daher fort und
bittet:
13. Verwirf mich nicht von deinem
Angesicht, und deinen Heiligen Geist nimm nicht von mir.
Kann der HErr durch den Heiligen
Geist in uns wohnen, d.h. unser
Leben zu einem Raum für seine Gegenwart und sein Wirken machen,
dann leben wir vor seinem
Angesichte. Wir sind alsdann
nicht mehr uns selbst und auch nicht der Welt überlassen. Unser Leben hört auf,
ein steuerloses und zielloses Schiff auf wogender See zu sein. Der HErr leitet
uns mit seinem Lichte. In unserer Schwachheit schöpfen wir aus seiner Fülle
Gnade um Gnade. Werden wir müde, so erneuert er unsere Kraft. Rufen wir
angstvoll, so antwortet er uns. Zagen wir, so tröstet er uns und läßt uns sein
Tun und seine Wunder sehen. Es erfüllt sich dann als ein täglich neues Erleben
der Wirklichkeit und Wirksamkeit Gottes, was der Sänger weiter mit seiner Bitte
verbindet:
14. Gib mir wieder die Wonne deines Heils, und stütze mich
durch einen willigen Geist.
Dem Menschen ohne Gott
eine unverständliche Sehnsucht. Wer jedoch die dämonischen Tiefen seines
Herzens kennenlernte, wie auch unser
Psalmist, dem ist dieses Gebet des Herzens verständlich. Ihm liegen die Quellen
seiner Freude und Wonne hinfort nicht mehr in der Lust dieser Welt. Er findet
sie allein in Gott und in der Offenbarung seines Heils. Damit sein neues Leben
in Zukunft allein auf Gott und die Segnungen seines Heils gerichtet bleibe,
dazu bedarf er eines willigen Geistes. Die Kräfte seines
Handelns sollen nicht im gesetzlich Notwendigen, auch nicht im äußerlich Erzwungenen liegen. Seine
Sehnsucht geht dahin, daß jeder Gehorsam Glaubensgehorsam, jede Liebe
freiwillige Hingabe, jeder Dienst freudige Teilnahme an dem Wirken Gottes sei.
Der Sänger erflehte letzthin dasselbe, was Paulus später
mit den Worten bezeugen konnte: „Ihr habt nicht den Geist der Knechtschaft
empfangen, so daß ihr euch wieder fürchten müßtet, Sondern ihr habt den Geist
der Sohnschaft empfangen; in diesem rufen wir: Abba, Vater" (Rom. 8,15.)
Mit dieser Klarheit
beurteilte der Psalmist einerseits das Leben, das hinter ihm lag, und
anderseits die Geburt jenes neuen
Lebens, das er für sich auf Grund einer göttlichen Schöpfertat erflehte. Dieses
Leben soll aber nicht ohne Wirkung bleiben. Ihm ist es eine schöpferische Tat der Barmherzigkeit. Es soll daher zu einem entsprechenden
Zeugnis von dieser Barmherzigkeit werden.
15. So will ich Übertreter deine Wege
lehren,
daß Sünder sich zu dir bekehren.
Aber auch
solch ein Zeugnis kann nur aus der Gnade fließen. Wenn
Gott nicht beruft, entsteht
kein Prophet — wenn Gott
nicht sendet, kein
Apostel Jesu Christi. Auch zum
Reden mit
den Abtrünnigen bedarf es einer besonderen Gnade und Vollmacht. Wer
Abtrünnigen Gottes Wege lehren, Sünder zum HErrn bekehren will, muß
wissen, daß es hier um einen
Dienst geht, der außerhalb des
Könnens auch des frömmsten
Menschen liegt. Beides kann
allein der HErr. Der begnadete Mensch kann aber dieses Tun des HErrn
bezeugen. Er wird den Nächsten zur glaubenvollen Hingabe an Gottes
Wirken ermutigen. Der auf der Vergebung stehende und zum Dienst
Begnadete trägt Gott
durch sein Zeugnis in das Leben des Menschen,
damit dieser dadurch zu
Gott komme, der in seiner Barmherzigkeit auch
ihn
zu einem neuen Leben begnadigen will.
16. Rette mich von
Blutschuld, o HErr, du Gott meines Heils, damit juble meine Zunge ob deiner
Gerechtigkeit.
In den folgenden Versen erhebt sich der Psalmist zu jener
prophetischen Höhe, in deren geistiger Luft auch er lebte. Das äußert sich in
dem
Dankopfer, das ihn im Blick auf seine Erhörung bewegte. Bevor er
jedoch von diesem Dankopfer spricht, erfleht er noch einmal Rettung vom
HErrn, als dem Gott seines Heils. Leider ist der Sinn des ersten Satzes
unklar. Man weiß nicht, was der Verfasser unter dem Worte „Blutschuld"
versteht. Bat er um Bewahrung vor
einer Bluttat, die er
etwa begehen könnte? Oder stand er in Gefahr, daß Feinde an ihm eine
Blutschuld verüben konnten? Keine Deutung paßt richtig in den inneren
Zusammenhang dieses Gebets.
Am klarsten wäre der Übergang zu dem nachfolgenden
Dankopfer,
wenn man übersetzen könnte: „Rette mich ohne Blutopfer" statt „von
Blutschuld". In der Zeit vor dem Propheten Jesaja konnte man sich
Rettung ohne Blutopfer nicht denken. Und solange das Heiligtum in Jerusalem
noch nicht zertreten war, wurden sie als Sühne für begangene
Schuld und zur Erlangung der Vergebung gebracht. Aber während der
babylonischen Gefangenschaft bestand keine
Möglichkeit, dem HErrn Schuld=
, Brand= und Schlachtopfer zu bringen. Die heiligen Altäre des HErrn waren
abgebrochen. Es fehlten die berechtigten Opferstätten. Die
Sehnsucht nach Vergebung und Rettung lebte aber trotzdem in den einzelnen und
vielen fort. Im Munde unseres prophetischen Sängers wäre
mithin solch ein Gebet: „Rette mich ohne Blutopfer" überaus denkbar.
Er gehörte jedenfalls zu jenen, die mit den großen Propheten erkannt
hatten, daß Vergebung, Rettung ihren Grund
nicht etwa
in einem dargebrachten Opfer an sich haben.
Sie sind eine
Tat Gottes, der in seiner Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Sünden vergibt,
Missetaten nicht anrechnet und vom Bösen zu erretten vermag.
Auch in seiner
Gerechtigkeit ist Gott Liebe. Sie will der
Psalmist rühmen, wenn Gott ihm seine Rettung werden läßt:
17. HErr, tue du meine Lippen auf,
daß
mein Mund deinen Ruhm verkünde!
Nichts vermag die Lippen zum Dankopfer so schnell zu
öffnen als die
göttliche Erhörung. Wird der Mensch überwältigt von der Tat der Vergebung, dann
huldigt er dem, der sich in seiner Gnade größer erwies, als seine Schuld je
war. Greift Gott mit seiner Rettung ein, dann werden in der Seele des
Geretteten neue Psalmen geboren. Wir hätten die biblischen Psalmen mit ihrer
Anbetung und ihrer Lobpreisung
Gottes
nicht, wenn nicht im Leben der Sänger eine rettende oder erlösende Tat Gottes
vorangegangen wäre. Ohne Gebetserhörung entstehen keine Dankespsalmen. Diese haben immer eine
erlebte Tat Gottes zum Inhalt ihres Ruhmes.
18. Denn Schlachtopfer gefallen dir nicht —
sonst geb' ich sie dir —, auch Brandopfer begehrst du nicht.
In ihrer Bedeutung waren die Schlachtopfer ein Ausdruck
entweder
des Dankes und der Gemeinschaft mit Gott oder aber auch der Gemeinschaft mit
den Volksgenossen. In dem prophetischen Lichte, das der Verfasser über das
Wesen wahrer Dankbarkeit und Gott wohlgefälliger Gemeinschaft gewonnen hatte,
erklärte er aber, daß Gott weder Gefallen an Schlachtopfern hat, noch baß er
nach Brandopfern verlangt. Kein
Opfer kann Ersatz sein für die
Liebe und die Hingabe des
Opfernden selbst. Im 50. Psalm fragt der HErr Sein
Volk:
Esse ich denn das
Fleisch der Stiere?
Trinke ich etwa das
Blut von Böcken?
Dank bringe Gott als
Opfer dar,
und bezahle so dem
Höchsten deine Gelübde (V. 15—14).
Nicht nach dem Genuß ihm
dargebrachter Opfer sehnt sich Gott. Er
Begnadet Menschen und erlöst
Verlorene für eine persönliche Glaubenshingabe an ihn und für eine
direkte
Geistesgemeinschaft mit ihm. Nicht Opfer sollen den Umgang
zwischen ihm und seinen heimgefundenen Kindern vermitteln. Das können nur Liebe und Hingabe tun. Der Psalmist drückt
das mit den Worten aus:
19. Das Schlachtopfer, das dir
gefällt, ist ein zerbrochener Geist; ein zerschlagenes Herz wirft du, o
Gott, nicht verachten.
Wie offen für Gottes Gabe
und Gegenwart, für Gottes Offenbarung
und Rettung waren je und je Menschen zerbrochenen Geistes und
zerschlagenen Herzens! Sie erfuhren den vollen Trost des
Prophetenwortes(Jes.42,3):
„Ein geknicktes Rohr wird er nicht
zerbrechen und einen
glimmenden Docht nicht auslöschen." Als Jesus selbst in die Welt kam, ging
er nicht zu selbstgerechten und auch nicht zu den Starken. Ihn führte seine Mission zu den geistlich Armen und
nach Gerechtigkeit Dürstenden. Er fand die Mühseligen und Beladenen, um
sie durch sein Kommen und seine Heilandsbotschaft zu erquicken. Im Verlangen nach ihm, in der
Sehnsucht nach seinem Heil sah
Gott zu jeder Zeit allein
die Opfer,
die er begehrte und die
ihm gefielen. Paulus hat dem im Römerbrief (12,1) mit
den Worten einen bleibenden Ausdruck gegeben: „Brüder, ich ermahne euch bei der
Barmherzigkeit Gottes, bringt euren Leib
als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer dar, so
verrichtet ihr einen folgerichtigen [= vernunftgemäßen] Gottesdienst."
Der kurze Anfang enthält noch ein Doppeltes: Ein Gebet
und eine
Glaubenserwartung:
20. Tue wohl an Zion nach deiner
Huld,
und baue auf Jerusalems verwüstete
Mauern.
Inhalt
des Gebets ist mithin Zion, das Zentrum des geistigen und
religiösen Lebens seines Volkes in der verwüsteten Heimat. Denn wahrscheinlich
ist dieser Nachtrag in den Tagen eines Propheten Haggai oder Zacharja als
Ergänzung entstanden. Der Verfasser dieses Anhangs
konnte nicht annehmen, daß auch nach
der Rückkehr aus der Gefangenschaft der opferlose Gottesdienst
weiter andauern
werde. Wenn er auch die prophetische
Schau des Psalmisten für die
Zeit der Gefangenschaft verstehen konnte, nach der Begnadigung Zions
und dem Wiederaufbau Jerusalems und des Tempels würden aber die
Opfer wieder dargebracht werden.
Sein
Glaube drückt nun die sehnsuchtsvolle Erwartung aus, daß nach
der Wiederbegnadigung Zions der HErr Gefallen haben wird an den
Opfern, die das Volk in seiner Liebe und Dankbarkeit ihm darbringen
wird.
21. Dann wirst du Gefallen haben an
rechten Opfern,
an Brandopfern und Ganzopfern. Hinaufsteigen werden Farren auf
deinen Altar.
Wir gewinnen aus diesem
Anhang einen kleinen Eindruck davon, wie
unnennbar schwer es den Gesetzestreuen in Israel werden mußte, die
Propheten in ihrer höheren Schau und in ihren messianischen Erwartungen zu
verstehen. Redeten sie doch im voraus von jener kommenden Zeit, wo man Gott
anbeten werde im Geiste und in der Wahrheit. Solch
eine Anbetung ist aber letzthin unabhängig
von jeglicher
Opferform. Sie wird geboren
aus der Liebe und Hingabe an den, der in
seiner Barmherzigkeit Menschen für die Gemeinschaft mit sich begnadet und
freimacht
Anmerkungen
zu Psalm 51
')
Die Psalmen 51-72 bilden eine kleine Sammlung für sich, die nach dem
griechischen Text(L X X) die Überschrift „Gesänge Davids", nach dem Hebräischen „Gebete
Davids" trägt. Die Alten haben jedenfalls angenommen, daß der 51. Psalm ein Bußpsalm von David sei und haben ihm
dementsprechend
die überlieferte Überschrift gegeben, die
aber nicht zum eigentlichen Inhalt des Psalms gehört.
2) Mit dem Ausdruck „im Verborgenen" wird nicht
das sinnlich=leibliche, sondern das geistige und
sittliche Vermögen der menschlichen Persönlichkeit bezeichnet. Auf dieses
allerheiligste Gebiet, wo der Mensch
in freier Willensentscheidung den Versuchungen zur Sinnlichkeit widersteht und
seine Sehnsucht auf das Göttliche richtet, ist Gottes Wohlgefallen gerichtet.
3) „Schlachtopfer fallen nicht in die Gattung der
Sünd= oder Brandopfer. Sie waren die von den bereits Entsühnten und
Gerechtfertigten darzubringenden Friedens und Dankopfer. In ihnen lag .nicht
mehr ein Ausdruck der Reue. Sie sprachen von demütiger Hingabe und
tiefempfundener Dankbarkeit. Zerbrochen und
zermalmt heißt das Innere eines Menschen, dessen sündige Natürlichkeit
gebrochen=dessen ungöttliche Selbstheit getötet, dessen unempfängliche
Härte gemürbt, dessen hochmütige Selbstüberhebung
geniedrigt, kurz welcher in sich selbst zernichtet und welchem Gott alles ist.
In einem solchen nach Gnaden lechzenden Geiste und Herzen bestehen die wahrhaft gotteswürdigen
und gottgefälligen Opfer," Franz
Delitsch, Psalmen, Band I, S. 393.
Überschrift: den Söhnen Korahs1) ein Psalm, ein Lied
1b. Seine Gründung ruht auf heiligen Bergen.
2. Es
liebt der HErr die Tore von Zion mehr
als alle
Wohnungen Jakobs.
3. Herrliches ist von dir zu Sagen,
du Stadt Gottes. Sela2).
4. Ich zähle Rahab und Babylon zu denen,
die Mich
erkennen, und
siehe, selbst von Philistäa, Tyrus und auch Mohrenland
heißt es:
,der ist dort geboren!'
5. Von Zion aber wird man sagen:
,Mann für Mann ist dort
geboren!'
Er selbst, der Höchste, hat sie
gegründet."
6). Der HErr zählt auf im Buch der Völker:
„Der und der ist dort geboren!"
7. Und Sie Singen im frohen Reigentanz:
„Alle meine Quellen sind in dir!"
Trotz seiner kurzen, fast
zusammenhanglosen Sätze ist der Psalm von besonderer innerlicher Stärke und
gewaltiger Glaubenserwartung. Das kann von ihm aber nur gesagt werden, wenn er
eschatologisch, d.h. als eine prophetische Schau von einer künftigen Heils-zeit
verstanden wird. Von seiner prophetischen Glaubenswarte schildert der Sänger
eine Heilszeit, die Zions Grenzen gesprengt habe wird. In derselben werden von
der Macht der Erkenntnis des Herrn auch die Völker ergriffen werden. Es ist nun
der Psalm auch immer von der Kirche Jesu Christi rein heils= und
endgeschichtlich gedeutet worden. Sie nahm das Wort „Zion" auch für sich in Anspruch und sprach damit die
prophetische Erwartung aus, daß sie einmal die eigentliche „Mutterstadt"
aller Völker für die Zukunft werden müsse. Die von der Erkenntnis Gottes
ergriffenen Völker würden ihre Geburtsstätte und geistliche Heimat zukünftig
einmal in ihr als dem eigentlichen Zion Gottes haben. Von Christus
Jesus aus ist solch eine Deutung verständlich und be-
rechtigt. Jedoch vom Inhalt des Psalms
allein aus wäre sie nicht so selbstverständlich. Man kann den Inhalt des
Psalms auch als Ausdruck eines überaus starken, ja überspannten Nationalbewußtsein
des jüdischen Volkes deuten. Zion
soll noch einmal so der Mittelpunkt
innerhalb der Völkerwelt werden, daß es ein Ruhm sein wird, daselbst geboren zu sein. Zwar verbanden die
Frommen in Israel damit immer die
große Erwartung, daß das den
eigentlichen Ruhm
Zions ausmachen wird, daß man daselbst die Gelegenheit finden werde,
den HErrn
in seiner
Erhabenheit, Majestät und Größe kennenzulernen.
Eine solche nationaljüdische Deutung ist vom Glauben der Kirche stets
als viel zu enge verworfen worden. Auch wir wollen daher den Psalm von
der Glaubenserwartung der Gemeinde aus zu uns reden lassen. Unsere Deutung ist
mithin darauf gerichtet zu erfassen, welch eine prophetische Heilsschau sich ihr auch von diesem Psalm aus für die Zukunft
erschlossen hat.
Wie dankbar wären wir
wiederum, wenn wir seinen Dichter und die Zeit
seiner Entstehung wüßten. Manche Ausleger sahen in ihm die Wiedergabe
des unmittelbaren und starken Eindrucks, den man unter der wunderbaren Errettung Jerusalems im Jahre 70l gewann. Sanherib hatte die Stadt mit 185 000 Mann belagert. Jeder Versuch einer Rettung war völlig aussichtslos geworden.
Da ließ der Herr das Heer der assyrischen Weltmacht in einer Nacht so
zusammenbrechen, daß nicht ein einziger
feindlicher Pfeil auf die Stadt abgeschossen werden konnte. „Diese wunderbare
Erhaltung der Stadt bestärkte Israel in dem Glauben an jene messianischen
Verheißungen, nach denen Zion der Mittelpunkt des neuen weltumspannenden
Gottesreiches werden sollte." Auch machte die Erhaltung nach 2. Chron.
32,23 auf die andern ebenfalls von
Assur bedrohten
Völker einen so starken Eindruck, „daß
manche von ihnen dem HErrn Gaben nach Jerusalem brachten und dem König Hiskia
von Juda Kleinodien, so daß er bei allen Völkern in hohem Ansehen
Stand".
Andere Forscher verlegen
jedoch die Entstehung des Psalms in eine viel jüngere Zeit, also in die
nachbabylonische. In den Zeiten vor und nach Alexander dem Großen lebten z.B.
in Ägypten über eine Million Juden, Auch die großen Provinzen in Mesopotamien
und in Syrien waren mit vielen Juden bevölkert. Überall übten sie einen
ungemein starken Einfluß aus. Sie zogen die Völker mit hinein in die Verehrung
des lebendigen Gottes. Auch weckten sie in ihnen eine Sehnsucht nach den großen
Festfeiern, die zur Ehre Gottes und seiner Gesetzesoffenbarung in Zion
veranstaltet wurden. Je mehr damals sich auch Israels moralisches
Familienleben, die geistige Höhenlage des Volkslebens, die lebendige und
sittliche Erkenntnis des alleinigen Gottes
von der herrschenden Unsittlichkeit, den menschlichen Göttervorstellungen, den niedrigen Leidenschaften der
heidnischen Völker abhob, um so
stärker wurde der Eindruck, den Israel=Juda mit seiner Gotteserkenntnis,
mit seiner Gottesverehrung und seinen Gottesdiensten auf die anderen machte.
Auf Grund dieser
Erwägungen im Blick auf den Inhalt des Psalms darf wohl angenommen werden, daß
er eher nach als vor der babylonischen
Gefangenschaft entstanden ist. In dem Falle ist er auch zur Zeit seines
Entstehens bereits messianisch, d. h. als prophetische Schau einer kommenden großen Heilszeit
verstanden worden. Von dieser Schau aus werden alsdann auch die einzelnen
Heilserwartungen des Psalms in ihrem großen Umriß verständlich.
Der Sänger stellt zunächst eine
geschichtliche Wirklichkeit fest, die niemand leugnen kann.
1b. Seine Gründung ruht auf heiligen Bergen.
2. Es liebt der HErr die Tore von Zion mehr
als alle
Wohnungen Jakobs.
Wie so oft in der Bibel,
so geht auch hier die prophetische Schau von einem bestimmten Punkt, von einer
gegenwärtigen Person, oder von einem augenblicklichen Ereignis der Geschichte
aus. Denn der Herr tritt mit seiner Offenbarung nie in einen leeren Raum.
Er spricht nie, ohne daß durch sein Wort Personen oder Zeiten direkt
angesprochen werden. Wenn auch in ihrem Inhalt immer übergeschichtlich, so war
die göttliche Offenbarung jedoch nie geschichtslos. Die Bibel kennt kein
geschichtsloses Denken. Sie weiß bereits, wie solch ein Denken ein gottloses Denken
ist. Hier ist unter der genannten Gründung mithin einfach Jerusalem mit dem
Zentralheiligtum auf dem Zionsberge zu verstehen.
Der Verfasser zieht aber
den ganzen geographischen Umkreis mit hinein in seine Schau. Der Tempel als
Offenbarungsstätte Gottes ruht auf heiligem Berge, d. h. auf dem Zionsberge.
Derselbe ist aber umgeben von jener Höhenkette, die bis heute die Stadt
Jerusalem umschließt. Und in den Tagen des Sängers war Zion tatsächlich der
geschichtliche Punkt, von dem aus sich die Herrlichkeit und das Tun des
lebendigen Gottes nicht etwa nur den Bürgern Jerusalems und den Wohnungen
Jakobs enthüllte.
Gott drang mit seiner Offenbarung vom
Tempel aus über das israelitische Volk hinaus selbst bis zu den Nachbarvölkern.
Er wollte auch deren Licht werden, wie er Israels Licht hatte werden können. Er
wollte auch sie in seine Erkenntnis und damit in sein Heil hineinziehen, wie er
das im Laufe der Jahrhunderte versucht hatte, unter den Stämmen Jakobs zu tun.
In höherem Lichte gesehen, ist „seine Gründung" mithin immer der ganz
bestimmte, lokale Punkt, von dem aus Gott zu den einzelnen und zu den Völkern
kommen will. Einst, zur Zeit des Sängers, war es das Heiligtum auf dem
Zionsberge. Nachdem hat aber Gottes Kommen zu den Völkern dauernd diese
Gründung durchbrochen. Als Zion aufhörte, eine Offenbarungsstätte seiner
Gegenwart für Israel und die Völker zu sein, als man den Tempel zu einer
Mördergrube entweihte, da fand Gott innerhalb der Menschheitsgeschichte immer
wieder neue lokale Punkte, die er als „Seine Gründung" ansehen konnte. Das
hat in seiner ganzen Tiefe mit Paulus die Gemeinde Jesu Christi erfaßt. Für die
Kirche ist Gottes „Gründung" nicht
an einem leeren Heiligtum, oder gar an einem zerstörten jüdischen Tempel zu
Jerusalem hängen geblieben. Sie hat im Glauben eine viel lebendigere „Gründung
Gottes" gefunden, und zwar in der Person Jesu Christi und in der mit ihm
Verbundenen Gemeinde. Zu
ihrem Heil hat sie erkannt, daß sie mit Christus als ihrem erhöhten Haupt und
gegenwärtigen Herrn der Tempel Gottes innerhalb der Völkerwelt sein darf. Es
ist das nicht geschehen dank ihrer eigenen Kraft und Frömmigkeit. Sie kennt
sich in diesem ihrem geschichtlichen Sein nur als eine Schöpfungstat Gottes.
Das lebendige Wort von Gott hat sie geweckt, herausgerufen aus allen Nationen,
und sie weiß sich in Christo zu einer Behausung Gottes im Geiste begnadet.
Nicht religiöser Fanatismus, nicht pharisäische Überhebung, nicht
schwärmerische
Weltverneinung spricht aus
dieser ihrer Glaubensgewißheit.
Für sie ist es nur Hingabe an
Gottes erlösende Tat durch
Christus.
Darum wagt die Kirche
Christi so freimütig zu reden, wie sie redet. Sie wagt von ihrer Stellung und
ihrer Aufgabe in der Welt zu zeugen, wie die Schrift von ihnen zeugt. Einst war
Zion der geschichtlich=geographische Punkt, von dem aus Gott mit seiner
Wahrheit und mit seiner Erkenntnis zu Israel und zu den Völkern kam. Heute ruht
diese „Gründung" auf viel wirklicheren Fundamenten, nämlich auf der Person
Jesu Christi. Er ist nicht eine tote oder dogmatische Grundlage. Als der im
Fleisch erschienene, gekreuzigte und auferstandene Sohn des Vaters und als der
Herr seiner Gemeinde ist er eine lebende und
eine in Autorität sich offenbarende Person. In ihm hat die Welt es nicht
mehr mit einem geographischen Punkt oder mit einem Steinernen Heiligtum zu tun. Sie hat sich mit ihm als dem zukünftigen
Erben der Völkerwelt auseinanderzusetzen. Die Gemeinde hat in ihm den
ewigen und gegenwärtigen Hohenpriester, zu dem sie von Person zu Person
sprechen kann. Nicht ein Es — ein Er,
nicht eine Sache — nein! eine uns nahe
und eine uns verstehende Person ist Er!
Einst konnte der Sänger
feststellen, daß der Herr Zions Tore, durch die das Volk zu Gott im Heiligtum nahte,
mehr liebte als alle anderen Wohnungen
Jakobs. Gott hat zu jeder Zeit jene
Wege und Stätten geliebt, die den
einzelnen oder Völkern zu offenen Toren wurden, durch die der Mensch zu Ihm
kommen konnte. Wieviel mehr haben diese Tore aber eine letzte, allertiefste
Erfüllung in dem Einen gefunden, der da von sich bezeugen konnte: „Ich bin der
Weg, und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch
mich!" (Ev. Joh. 14, 6), In ihm als dem fleischgewordenen Wort kam Gott zu
den Völkern der Welt. Durch ihn fanden bisher Mühselige und Beladene, Verirrte
und Verlorene zurück ins Vaterhaus Gottes.
Wieviel mehr kann daher
die Gemeinde von ihm, ihrem Christus bezeugen,
daß der HErr ihn als Sohn mehr liebt als alle seine anderen Schöpfungswerke. Christus bleibt der unersetzbare Offenbarungsweg,
auf dem Gott mit seiner Herrlichkeit und seinem Heil zum Menschen kommt,
um ihn in seine Lebensgemeinschaft und Gottesherrschaft zu ziehen.
Wahrscheinlich spricht der Dichter aus einem großen Erlebnis
heraus. Er befindet sich unter einer
feiernden Festmenge, die nicht nur allein aus den Gauen des heiligen
Landes zu einem der großen Jahresfeste nach Jerusalem hinaufgekommen ist. Unter der festlichen Menge sieht er auch Bürger der
großen Weltvölker vom Nil und vom Euphrat, Angehörige der Nachbarländer in
Philistäa und Phönizien. Sie alle sind erfüllt von anbetender Ehrfurcht vor
Gott. Denn auch sie wissen sich ergriffen von der Erkenntnis Gottes. So sieht
der Sänger Zion als Mittel= und Sammelpunkt aller Gottanbetenden in der Welt.
Das gibt ihm die Kraft und Erleuchtung, sein hohes Lied von der Herrlichkeit
Zions zu singen.
3. Herrliches ist von dir zu sagen,
du Stadt
Gottes. Sela,
Worin er im einzelnen die
Herrlichkeit der Gottesstadt sah, sagt der Sänger
uns nicht. Aus dem Geschichtszusammenhang, des Tempels wissen wir aber, wie dem Glauben des Volkes das Werden,
Entstehen und Bestehen des Heiligtums im engsten Zusammenhang mit dem
Tun Gottes stand. In der Überlieferung
lebte fort, daß einst David aus Dank für die Errettung seines Volkes aus einer Gerichtsplage die Tenne von dem Jebusiter Arawna gekauft und dem Herrn daselbst
einen Altar erbaut hatte. Hier
sollte Später der Tempel errichtet werden. Fort und fort erzählte man
sich auch den unvergeßlichen Eindruck, den die Tempelweihe gemacht hatte, als der jugendliche König Salomo
sein Weihgebet gesprochen und den
fertiggestellten Tempel seiner heiligen Bestimmung
übergeben hatte. Wie sichtlich hatte
Gott im Jahre 701 durch sein plötzliches
Eingreifen in die verzweifelte Lage Jerusalems bewiesen, daß er selbst
über den Tempel als sein Eigentum wache und ihn nicht Frevlerhänden ausliefere. Unzählige Feiern mit ihrer innerlichen
Erhebung zu Gott hatten sich
bisher im Tempel vollzogen. Immer wieder war hier die Sehnsucht aller nach Gott
gestillt worden, denen keine fremden Altäre hatten Ersatz bieten können für die
Altäre des Heiligtums.
Aber dieses Hohelied Zions
konnte man nur deshalb Singen, weil letzthin das Geheimnis der Herrlichkeit
nicht etwa im Tempel als Tempel lag. Wäre das Heiligtum zu Jerusalem nicht mehr
gewesen als nur ein herrlicher Tempelbau, ähnlich den gewaltigen Tempeln an den
Ufern des Nilstroms, nämlich in Theben oder in On, dem Späteren Heliopolis,
oder ähnlich den Heiligtümern in Babylon und Phönizien, der Glaube hätte nicht
diese Sprache für die Herrlichkeit des Tempels gefunden.
Das Geheimnis der
Herrlichkeit Zions war Gott.
Gott in der Offenbarung seiner Gegenwart, Gott in der Klarheit
seines Worts, Gott in der Fülle seiner Segnungen, Gott in der Überwachung
seines Heiligtums – Er machte den Inhalt
der Herrlichkeit Zions aus. Weit mehr
gilt das noch von dem Geheimnis Christi und seiner Gemeinde. Auch innerhalb der
Evangelien und der Paulusbriefe, innerhalb der Johannisoffenbarung und der
Überlieferungen der Kirche wird das Hohelied von der Gemeinde gesungen. Welch
ein
gewaltiges Wort Jesu von seiner Jüngergemeinde, wenn er Sagt: „Sei ohne
Furcht, du kleine Herde, denn es ist eueres Vaters Wohlgefallen, euch die
Königsherrschaft zu geben" (Luk. 12, 32). Wie steht hinter dem Zeugnis
und der Mission der Kirche die ganze Autorität des Auferstandenen, wenn es
Matth. 28,19 heißt: „Darum gehet hin und machet alle Völker zu Jüngern und
taufet sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes,"
Wagt Paulus doch von der Gemeinde zu sagen: „Ich
bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch
Fürstentümer, noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes
noch Tiefes noch keine andere Kreatur uns mag scheiden
von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn“.
(Röm. 8, 38 ff.).
Welch eine Herrlichkeit
der Gemeinde deutet der Apostel an, wenn er im ersten Kapitel des
Epheserbriefes am Schluß sagt: „Alles hat er (Gott) ihm zu Füßen gelegt und ihn
(Christus) zum
altes überragenden Haupte der Kirche gemacht, die sein Leib ist, die Fülle
dessen, der das All in allem
erfüllt." Ebenso gewaltig ist auch das Wort der Johannisoffenbarung, wenn
sie in einem ihrer Psalmen zu sagen wagt: „Würdig bist du, HErr, das Buch zu
nehmen und seine Siegel zu öffnen. Denn du bist geschlachtet worden und du hast
uns durch dein Blut losgekauft für Gott aus allen Stämmen und Sprachen, Völkern
und Nationen. Du hast uns für Gott zu Königen und Priestern gemacht auf
Erden" (Off. 5, 9 f.).
Aber wenn die Kirche ihr Hoheslied von
der Kirche singt, so singt auch sie es nicht um der Herrlichkeit
willen, die etwa in der Kirche selbst läge. Die Herrlichkeit der Gemeinde
liegt in der Christusherrlichkeit innerhalb
der Gemeinde.
Im Antlitze ihres Hauptes und HErrn
spiegelt sich ihr wider der Lichtglanz Gottes (vgl. 2. Kor. 4, 5 f.). Auf sich selbst gesehen singt sie mit
Woltersdorf : „Wer bin ich, wenn es mich betrifft? Ein Abgrund voller
Sündengift". Die Herrlichkeit ihres Geheimnisses liegt einzig und allein
in Gott. Durch dessen Barmherzigkeit allein weiß sie sich begnadigt, mit
Christo eine Behausung Gottes im Geiste zu sein. Spricht sie von der Kraft und
dem Reichtum ihres Lebens, so tut sie es nur von der Glaubenshaltung eines
Paulus aus: „Ich lebe aber; doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in
mir. Denn mein jetziges Leben im Fleische ist ein Leben im Glauben an den Sohn
Gottes, der mich geliebt und sich für mich geopfert hat". (Gal. 2, 20). Nur von dieser Warte aus
will daher der Glaube das Hohelied von der Gottesstadt gedeutet wissen, das der
Psalm in die Worte faßt: „Herrliches ist von dir zu sagen, du Stadt
Gottes!" —
Es bleibt ein Geheimnis
des Glaubens, daß er dauernd vom
Gegenwärtigen auf das Zukünftige schließt. Von der gegenwärtigen
Herrlichkeit Gottes aus gewinnt er auch eine Schau für eine entsprechende
Herrlichkeit der Völker. Seine Glaubenserwartungen wachsen, je mehr sich seine
Gotteserkenntnis weitet und in ihr sich ihm Gott in der Fülle seines Heils und
seiner Herrlichkeit offenbart. Denn es ist doch etwas ganz Großes und
Gewaltiges, was im Blickfeld des Sängers sichtbar wurde.
Er kleidet es in eine Hoffnung, die ihm bereits gegenwärtige Erfüllung ist; er
nimmt vorweg, was zukünftig sein wird:
4. „Ich zähle Rahab und Babylon zu denen,
die Mich
erkennen,
und siehe, selbst von Philistäa, Tyrus und auch
Mohrenland
heißt es:
,der ist dort geboren!'
So läßt der Psalmist Gott
sagen. Gewiß, nur von Gott her ist solch eine prophetische Schau und
Glaubenserwartung zu verstehen. Wäre der Psalmist von der Veranlagung oder von
der Weltanschauung, oder von den Kräften der damaligen Völker ausgegangen, er
hätte nie solch eine Glaubensprache der Erwartung zu führen gewagt. Er läßt
Gott seine Bekenner zählen und Gott findet Ihn=Erkennende — „Jedaim" — in
Ägypten und Babylon, in Philistäa und Tyrus, selbst in Kusch, d. h. in dem
wilden Äthiopien. Das war nicht etwas Selbstverständliches. Das konnte er nicht
etwa aus der geschichtlichen, völkischen oder politischen Entwicklung dieser
Völker schließen, Gott geht in seiner Heilsgeschichte auch über Völkergesetze
und Geschichtsentwicklungen hinaus. Er
macht Menschen=Unmögliches zu seiner Stunde zu einer heiligen
Wirklichkeit. Sobald Menschen — ganz gleich, wer und wo sie sind - von ihm
„erkannt" werden, werden sie Erkennende, die sich hinfort mit allen
anderen in Zion zu Ihm bekennen. So baute sich auf Grund heiliger
Gotteserkenntnis zu allen Zeiten eine heilige Heilsgemeinschaft auf.
Ein begnadeter Ausleger
unserer Tage sagt fein und treffend zu dieser prophetischen Erwartung des
Psalms folgendes: „Zion ist Gottes Gründung und Bau auf heiligen Bergen; ihre
Tore liebt Gott: er selbst hütet sie und das Volk, das durch sie aus= und
eingeht. Wunderbares wird in dieser Stadt Gottes vernommen, zu ihrer und Gottes
Ehre. Sie birgt das Volk seiner Vertrauten, Erkannten und Erkennenden. Man hört
in ihr Gottes Stimme. Er ruft aus, wer in dieser seiner Stadt geboren sei, also
ihrer Bürgerschaft zugehöre, nicht nur als zugelassener Fremder andersartigen
Wesens, sondern als einheimischer, eingeborener, vollberechtigter Bürger. Horch,
welche Namen er ehrenvoll ausruft und innig liebend verkündigt! „Israel" nur? Nein, „R a h ab"
zuerst: das ist Ägypten. Dazu „Babel", einst Israels Erzfeinde! — Horch,
wie die Namen weiter lauten: „Philister, Tyrer, Äthiopier, und sieh, wie sie da
aufstehen in Zion, neugeboren in Gottes Volk hinein, einer um den anderen! —
Welcher Volksname fehlte? Und so richtet der Höchste Zion auf. Nicht bringen
sie Besetzung in die Stadt, durch Vermengung
des Gegensätzlichen, im Rassengemisch; sie sind ja alle durch die Erkenntnis
Gott neu geboren, sie haben ihr Leben in Zion aus Gottes Liebe und sind alle
einig in einem Bekenntnis und Loblied; sie singen im Reigen: ,Alle meine
Quellen sind in dir!' Sie sind das Volk der Vertrauten Gottes, die, von ihm
erkannt, ihn erkennen3)"
Wie verwandt ist diese
prophetische Erwartung des Psalmisten denen
der großen Heilspropheten! Sie
durchbrachen jede völkische und nationale Enge ihres Volkes. Sie kündeten Gott
als den Gott des Heils für alle Völker, auch wenn sie einst Israels bitterste
Feinde gewesen waren. Israels Erinnerungen an Ägypten waren
keine leichten. Wie eine Wettmacht einem kleinen Volke ein Sklavenhaus Bereiten
konnte, hatten Israels Väter jahrhundertelang erlebt. Auch Babels Macht und Beutehunger hatte man in ihrer
ganzen Macht und Schwere
kennengelernt. Welche Fehden hatte Israel=Juda mit den seßhaften Philistern und
den reichen Phöniziern auskämpfen müssen. Die Erkenntnis des HErrn läßt aber
vergeben und macht vergessen. In ihr werden einstige Feinde Freunde und
singen gemeinsam ein neues Lied, das Lied
von der Heilsoffenbarung Gottes in und durch Zion. Aber auch im Blick
auf sein eigenes Volk sieht der Psalmist ein völlig Neues anbrechen:
5. Von Zion aber wird man sagen:
,Mann für
Mann ist dort geboren!'
Er selbst,
der Höchste, hat sie gegründet."
Das war ja bisher der
große Schmerz aller wahren Propheten gewesen, daß Israel=Juda so wenig als
ganzes Volk voll geworden
war der Erkenntnis des HErrn. Es widersprach dem Herrschaftsanspruch Gottes. Es
verließ seine lebendigen Quellen in ihm und erwählte sich löcherichte Brunnen,
die kein Wasser hatten. Wie ein untreues Weib vergaß das Volk den HErrn und
buhlte mit den Göttern der Nachbars Völker. In seiner Untreue suchte es seine
Zuflucht bei jenen Großmächten, die seine Feinde waren. In der neuen Heilszeit
wird es jedoch von jedem im neuen Zion heißen können: „Mann für Mann ist dort
geboren." Alle atmen Zions Geist. Zion ist ein Gottesstaat geworden, in dem
jeder Bürger in der Erkenntnis des HErrn
lebt. In dieser Glaubenserwartung lebte der Sänger. Er teilte damit die
gewaltige Hoffnung, die alle großen
Propheten im Blick auf die messianische Heilszeit hatten. Der Sänger
spricht von ihr aber als einer, der sie
bereits in ihrer vollen Wirklichkeit erlebt. Im Glauben nimmt er vorweg, was erst in ferner Zukunft heilige
Wirklichkeit werden kann. Das entspricht der Art des Glaubens. Er denkt und
lebt dauernd in der Eschatologie der Heilsgeschichte; er steht
dauernd in lebendiger Erwartung einer Heilszukunft und Heilsvollendung.
Gegenwärtiges ist ihm Bürgschaft für das noch Zukünftige, Christus ist ihm
Inhalt seiner lebendigen Hoffnung. Gemeinde wird ihm Prophetin von dem
kommenden Reich.
6. Der HErr zählt auf im Buch der Völker:
„Der und der ist dort geboren!"
7. Und sie singen im frohen Reigentanz:
„Alle
meine Quellen sind in dir!"
Mit dieser Erkenntnis
aller Heilsbürger läßt der Psalmist seine Schau ausklingen. Wie wenig dieselbe
völkisch oder national gebunden war, bezeugt dieser Schluß. Er läßt Gott
feststellen, wer aus dem Geiste Zions geboren, wer geistliches Heimatrecht in
Gottes „Gründung" gefunden hat. Sooft Menschen im Laufe der Jahrtausende
diese Aufgabe des Zählens zu übernehmen suchten, war ihre Rechnung falsch. „Zählen" kann nur Gott, wer unter
den Völkern
zu den Ihn=Erkennenden gehört. Er läßt die Grenze seines
Gottesreiches wachsen entsprechend dem Fortschreiten der Gotteserkenntnis unter
den Völkern.
Alle Kraftquellen des Gottesreiches liegen
aber in Gott. Zog Gott auch im laufe der
Geschichte manche Mittel und Wege mit in seine Offenbarungsgeschichte,
um durch sie zum Menschen zu kommen und um ihn in seine Gotteserkenntnis ziehen zu können, je länger, desto tiefer erkennt
der Glaube, daß die Quellen seiner Kraft jedoch nicht in den von Gott
benutzten Wegen und Mitteln liegen. Für ihn
gibt es letzthin keinen Ersatz für
Gott und dessen Offenbarung und Gemeinschaft. Auch das Heiligte in der Geschichte kann ihn, den Heiligen, nicht
ersetzen. Die Kirche als Glaubensgemeinschaft
auf Grund
der von
Gott erwirkten Heilserkenntnis
kann mithin nie sich selbst zum Inhalt
ihres Ruhmes und zum Inhalt ihrer Mission
und ihres Zeugnisses machen. Auch sie
singt im Glauben im voraus bereits jenen Psalm von der Ausschließlichkeit aller
Heilsoffenbarung in Gott, den einmal ein vollendetes Gottesreich zur Ehre
Gottes und des Lammes singen wird: „Halleluja denn Gott, der Altmächtige, hat
das Reich eingenommen. Lasset uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre
geben!" (Off. 19,6f.)
Anmerkung zu Psalm 87
1)„Den Söhnen Korahs."
Hierzu vgl. „Bibelhilfe", ausgewählte Psalmen. Erste Auswahl,
Anmerkung zu
Psalm,46.
2)„Sela" vgl. in der
ersten Psalmenauswahl der „Bibelhilfe" Anmerkung 3 zu Psalm 32.
3) Nach einem Vortrag von
Pfarrer Wilh. Schlatter, Bern, während der theologischen Woche in
Männedorf vom 5. bis 9. April 1937.
Überschrift: Ein Psalm Davids
1. Ausspruch des HErrn zu meinem Herrn:
„Setze dich zu meiner Rechten,
bis ich deine Feinde mache zum Schemel
deiner Süße!"
2. Es streckt das Zepter deiner
Macht
der HErr von Zion aus:
wHerrsche inmitten deiner Feinde!"
3. Willig stellt sich dir dein Volk
am Tage deines Heerzugs,
im heil'gem Schmuck kommt aus des
Frührots Schoß
gleich dem Tau dir deine jungt
Mannschaft.
4. Geschworen hat der HErr und nicht gereuen wird es ihn:
„Priester sollst
du sein in Ewigkeit
nach der Ordnung
Melchisedeks!"
6. Der Herr zu deiner Rechten
Zerschmettert
Könige [und Widersacher]
am Tage seines
[heiligen] Zorns.
6. Gericht hält er [einst] unter den
Völkern
— voll von Leichen [wird das Land] —
zerschmettert Häupter auf weiter Erde.
7. Aus dem Bach am Wege wird er
trinken,
daher [mutig] sein Haupt erheben.
Nach dem einheitlichen
Zeugnis des Neuen Testaments haben wir mit einem ausgesprochen messianischen
Psalm zu tun. Die drei ersten Evangelien erzählen, daß er von David im
prophetischen Geist geschrieben worden sei. Als Jesus einst den Pharisäern die
Frage verlegte: „Was haltet ihr von Christus? wes Sohn ist er?"
antworteten sie ihm: „Davids Sohn." Nach dieser Antwort fragte Jesus sie:
„Wie nennt ihn denn David vom Geiste erleuchtet: Herr', da er sagt: ,Der Herr
sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum
Schemel deiner Füße mache'" (Matth. 22,41). Jesus wollte die Pharisäer
darauf führen, daß der Psalm einerseits den Messias als einen „Sohn"
Davids bezeichnet, daß David aber ihn zugleich auch seinen „Herrn" nennt.
Sie sollten erkennen, daß es nur biblisch oder Schriftgemäß sei, wenn Jesus als
Sohn Davids, der sich als den geweissagten Christus wußte, als solcher zugleich
auch Gottes Sohn und göttlichen Wesens sei.
Von wissenschaftlicher Seite hat man die Frage
so gedeutet, daß Jesus „nur eine
falsche Auffassung" der damaligen Zeitgenossen für seinen Zweck habe
ausnutzen wollen. Nun muß zugegeben werden, daß mit der Annahme, daß wir es
hier nur mit einem messianischen Offenbarungspsalm zu tun haben, den
gewissenhaften Schriftauslegern manche schwere Fragen kommen müssen. Angesichts
des Sohnescharakters unseres HErrn
und Heilandes ist es aber wiederum auch unmöglich anzunehmen, daß Jesus etwa
eine falsche Annahme der Juden für seinen Zweck habe ausnutzen wollen.
Wir müssen daher auch beim Versuch
gewissenhafter Schriftdeutung manches, was
uns in der Schrift infolge ihrer Knechtsgestalt nicht erklärbar bleibt, einfach auf sich beruhen lasen.
Welch einen positiven und bleibenden Ertrag der Glaube der Gemeinde
alsdann aus der Schrift zu gewinnen vermag,
das bezeugen Paulus in seinen Schriften und der Verfasser des
Hebräerbriefes. Denn gerade vom Alten Testament aus spricht der Hebräerbrief in
so anschaulicher und glaubensstärkender Form
von Christus und seiner unvergleichlichen Erhabenheit. Wie klar redet er vom
ewigen Priestertum und vom vollkommenen Selbstopfer Jesu Christi.
Welch ein wachsendes und vertieftes Christusverständnis ist daher vom
Hebräerbrief aus je und je in die Gemeinde geflossen, die wie Paulus darum
rang, Christum zu erkennen, wie sie zuvor von ihm erkannt und ergriffen worden
sei.
Würde jedoch durch eine messianische Deutung des Psalms das
Gesamtbild Christi wesentlich verschoben werden, das uns das prophetische Wort
von ihm gibt, dann müßte sich die Kirche ernstlich fragen, ob und inwieweit sie
berechtigt sei, allein von diesem Psalmworte aus neue Wesenszüge im
Christusbilde zu sehen. Die großen Grundgedanken aber, die der Psalm von dem
Gesalbten als zukünftigen Priesterkönig gibt, entsprechen ganz denen, die
überhaupt das prophetische Wort" enthält. Christus und seine messianische
Weltherrschaft, ewiges Priestertum und sein heiliges Völkergericht werden durch
das Wort der großen Propheten nur noch weit stärker und Umfassender bezeugt, als es im 110. Psalm geschieht. Was hat
er uns nun in seiner prophetischen Schau über diese drei
Seiten des messianischer Priesterkönigs
zu sagen?
Je mehr in Israel die
nationale Selbständigkeit und der Glanz seines Königtums zusammenbrachen, desto
mehr richteten die Propheten den Glaubensblick ihrer Gemeinde auf einen letzten
Davidssproß: den Gesalbten der Endzeit. Als man im Gericht die Theokratie, d.
h. die Gottesherrschaft in Israel sterben sah, gewann man im Glauben die Eschatologie, d. h. die lebendige Zukunftserwartung. Unmöglich konnte der
Glaube des Volkes zugeben, daß mit dem Zusammenbruch der Gottesherrschaft in
Israel auch die Weltherrschaft Gottes zusammenbrechen müsse. Gott werde und
Gott müsse um seiner selbst und der Menschheit willen, so groß und erschütternd
die gegenwärtigen Katastrophen auch immer sein mochten, in Zukunft das neu
beginnen und für immer vollenden, was je durch ein Verheißungswort von seiner
Heilszukunft gesagt worden Sei. Gott muß und wird das letzte Wort haben.
So wurden vom Glauben des
israelitisch=jüdischen Volkes auch die dunkelsten
Zeiten seiner wechselvollen Geschichte überwunden. Auf Grund der Schau
der Propheten und der von Gott empfangenen Verheißungen überwand man das rein
„Irdisch=Geschichtliche" und gewann eine lebendige Hoffnung für das kommende Endgeschichtliche". Mit der
Gegenwart ging dem Glauben nicht auch
die Zukunft unter. Darin zeigte sich, zum
Heil der israelitischen Gemeinde die schöpferische Kraft des prophetischen
Wortes und der damit verbundenen lebendigen Hoffnung.
In diesem geschichtlichen Zusammenhang steht
auch der 110. Psalm. Er ist ein ausgesprochener Königspsalm, innerlich verwandt
dem Inhalt des 2. Psalms. Um der Gemeinde klarzumachen, welch eine
Herrscherpersönlichkeit der kommende Heilskönig einmal sein werde, knüpften die
Propheten ihr Verheißungswort bei der geschichtlichen Person Davids an. Von ihm
aus leiteten sie den Blick des Glaubens
und der Hoffnung hinüber auf den zukünftigen Gesalbten, den verheißenen
Messiaskönig. Denn David war für alle
auf Grund der Machtentfaltung und des Glanzes, mit denen sein Königtum begnadet
war, ein Vorbild von der Machtstellung und der Herrlichkeit des
endgeschichtlichen Heilskönigs geworden.
Ob wir nun annehmen, daß David selbst oder
einer seiner ihm nahe Stehenden Propheten
unseren Psalm zuerst gesungen hat, entscheidet letzthin nicht über den
eigentlichen Inhalt desselben. Es war ja in jenen alten Zeiten üblich, daß bei einem eingetretenen Thronwechsel dem neuen
Herrscher ein entsprechender Huldigungspsalm gesungen wurde. Offenbar geschah
es auch in den ersten Jahren nach der Thronbesteigung Davids. Daß das Lied von
einem Propheten in der Umgebung Davids gesungen wurde, geht vielleicht auch aus
dem ersten Worte des Psalms:
„Spruch" oder '„Ausspruch" hervor. Mit diesen Worten eröffneten
gelegentlich die Propheten ihre vom HErrn empfangene Schau. So heißt es auch in unserem Psalm:
1. Ausspruch des
HErrn zu meinem Herrn:
„Setze dich zu meiner Rechten,
bis ich deine Feinde mache zum
Schemel deiner Füße!"
Ohne einen geschichtlichen
Hintergrund sind diese prophetischen Sätze in ihrer Wucht und Stärke nicht zu
verstehen. Es fragt sich nur, in welchen Erlebnissen Davids wir sie etwa zu
suchen haben. Vielleicht dürfen wir die innerliche Anregung bereits in jener
festlichen Stunde sehen, wo David die Bundeslade von Kirjath=Jearim feierlich
nach Zion hinaufbrachte. Er selbst hatte sich mit einem leinenen Priestergewand
festlich geschmückt. Durch Seinen Tanz um die Bundeslade während ihres Einzuges
hatte er seiner Freude darüber Ausdruck gegeben, daß er hinfort seinen
königlichen Dienst in der Gegenwart des HErrn tun könne. Indem David der
Bundeslade als Thronsitz Gottes den ersten Platz auf Zion einräumte, bekundete
er damit, daß hinfort sein eigenes Thronen nur an der Seite des Herrn der
Geschichte angesehen werden dürfe. Er sah sich nur als Beauftragter des
unvergleichlich Größeren an, dem er sich verpflichtet und verantwortlich wußte.
Von ihm allein hatte er seine königlichen Vollmachten empfangen. Ihm gegenüber
mußte er Rechenschaft ablegen von alt seinem königlichen Tun. Denn David sah
sein Thronen zur Rechten Gottes begründet durch einen direkten Aussprach des
HErrn. Derselbe hatte im Blick auf den Hirtenknaben David zum Propheten Samuel
gesprochen: „Auf und salbe ihn, denn der ist's!" (1.Sam,16,12), Außerdem
waren nach dem Tode Sauls die Männer von Juda gekommen und hatten ihn zum
Könige über das Haus Juda gesalbt (2. Sam. 2,4), (Später hatten auch die
übrigen zehn Stämme ihn zu ihrem Könige erwählt. In diesem geschichtlichen
Geschehen war zum Ausdruck gekommen: „Setze dich zu meiner Rechten!"
Nach diesen Ereignissen vollzog sich im Verlauf von zwei Jahren die siegreiche Beendigung des Syrisch=ammonitischen und zuletzt auch des
edomitischen Krieges. Der Krieg mit den Ammonitern im Ostjordanlande und deren
Verbündeten war der größte, längste und
glorreichste im Leben Davids. Er endete mit der Eroberung Rabbas, der
Hauptstadt der Ammoniter.
2. Es streckt das Zepter deiner Macht
der HErr von Zion aus:
„Herrsche inmitten deiner
Feinde!"
Wahrscheinlich sind diese
zwei Geschichtsereignisse der Hintergrund der prophetischen Schau unseres
Königspsalms. Gegenwärtiges Geschehen hatte das Auge des Geistes empfänglich
gemacht für das Geschehen in der ferneren Zukunft Geschichtliches wurde
Anknüpfungspunkt für das Offenbarungswort des Propheten. Eine rein örtliche und
auf Israel begrenzte Herrschaft des Gesalbten zur Rechten des Thronsitzes
Gottes wurde zu einer prophetischen Schau, in der man im Geiste eine
messianische Weltherrschaft für die Endzeit kommen sah. Ihr Träger, der Gesalbte,
wird sich durch Gottes Ausspruch autorisiert sehen: „Setze dich zu meiner
Rechten" „Zur Rechten" ist der Ehrenplatz, den Gott als
Weltherrscher allein dem einräumt, den er als seinen Gesalbten in seine
Hoheits= und Herrschergemeinschaft aufnimmt. Hinfort teilt dieser als berufener
Stellvertreter Gottes und Vollstrecker des göttlichen Willens die innerliche
Autorität und äußere Herrschergewalt Gottes. Daher ist das messianische
Königsbild in seiner Autorität und Herrschervollmacht weltund völkerumspannend. Wie lange und mit welcher Absolutheit der
Gesalbte herrschen soll, drücken auch die Worte aus: „Bis ich deine Feinde
mache zum Schemel deiner Füße!" Zum Zeichen absoluter Oberhoheit setzte
einst der Sieger seinen Fuß auf den Nacken des unterworfenen Feindes. So
Schreibt z. B. in den Tell=Amarna=Briefen, die 1887 zufällig von Fellachen
gefunden wurden, ein Statthalter ums Jahr 1400 v. Chr. seinem Oberherrn, dem
damaligen Pharao: „Siehe, ich bin der Schemel der Füße des Königs, meines
Herrn." Diese Sitte der ältesten Zeiten dient dem Psalmisten als Bild und
Gleichnis, um die zukünftige absolute Souveränität des Gesalbten über alle
seine Feinde zu schildern.
Seit den Tagen der Apostel sind nun diese Psalmworte auf die Erhöhung Jesu Christi und auf dessen Sitzen zur
Rechten Gottes gedeutet worden. So schreibt z. B. der Apostel Paulus in
seiner gewaltigen Christusschau im
Epheserbrief: „Da er ihn von den Toten auf erweckt hat und gesetzt zu
seiner Rechten im Himmel über alle Fürstentümer, Gewalt, Macht, Herrschaft und
alles, was genannt mag werden, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der
zukünftigen; und hat alle Dinge unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt zum
Haupt der Gemeine über alles, welche da ist sein Leib, nämlich die Fülle des,
der alles in allem erfüllt". (Ephes. 1, 20 ff.). Derselbe Apostel sagt im
15. Kapitel des 1. Korintherbriefes,
wo er uns das hoffnungsstarke Bild der Endvollendung gibt: „Darnach kommt das
Ende, wenn er das Reich Gott und dem Vater überantworten wird,
wenn er aufheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und Gewalt. Er
muß aber herrschen, bis daß er alle seine Feinde unter seine Füße lege"
(1. Kor. 15,25. 26). Besonders stark hat auch der Hebräerbrief auf die
prophetische Schau dieses Psalms und auf seine messianische Bedeutung
hingewiesen. Um den zagenden und zweifelnden Hebräerchristen die einzigartige
Hoheit Jesu Christi nahezulegen, weist er sie darauf hin: „Alles hast du seinen
Füßen untertan gemacht" (Hebr. 2,8).
Zu Anfang seines 8. Kapitels sagt derselbe Brief: „Das ist nun
die Hauptsache, davon wir reden: Wir haben einen solchen Hohenpriester, der da
sitzet zur Rechten auf dem Stuhl der Majestät im Himmel" (vgl. auch Hebr,
10, 12).
Von welch einem Umfang Christi messianische
Herrschaft einmal sein wird, bringt Petrus mit dm Worten zum Ausdruck: „Welcher
(Christus) ist zur Rechten Gottes in den Himmel gefahren und sind ihm Untertan
die Engel und die Gewaltigen und die Kräfte" (1. Petri
3,22). Das ist mithin auch die Deutung gewesen, die die christliche Gemeinde
dem Inhalt unseres Psalms immer wieder gegeben hat. In demselben fand ihre
endgeschichtliche Erwartung zu jeder Zeit einen lebendigen Ausdruck. Alle
geschichtlichen Teilerscheinungen einer sich offenbarenden Gottesherrschaft waren
ihr stets eine Garantie, daß sich in dem Priester= und Königtum Christi einmal
eine Volker= und weltumspannende Gottesherrschaft vollenden wird. Nach ihrer
Hoffnung, die in Gott und in Christus Jesus ihre Quellen hat, kann Gottes
Souveränität und Herrschaft, Gottes Liebeswille und Heilsoffenbarung nicht mit
einem Versagen gegen die Macht der Finsternis und der Hölle enden. Je Schwärzer
die Nacht, je größer die Katastrophen, je verworrener die Geschichte werden
wird, desto bewußter singt sie ihr Glaubens= und Hoffnungslied: „Es kann nicht Ruhe werden, bis Jesu Liebe Siegt, bis dieser
Kreis der Erden zu seinen Füßen liegt!"
Damit nun die messianische Königsherrschaft
ihre geschichtliche Mission auch vollenden
kann, sieht der Psalmist, wie sich das Volk in seinen besten und
fähigsten Männern dem Könige am Tage seines Heerbannes zur Verfügung Stellt:
3. Willig
stellt sich dir dein Volk am Tage deines Heerzugs,
im heil'gen
Schmuck kommt aus des Frührots Schoß
gleich dem Tau dir deine junge Mannschaft.
Dies wird der Tag sein, wo
der König zur Sammlung und zum Aus-
zuge sein Volk aufrufen wird, um jene Feinde und Widersacher zu unterwerfen,
die sich der in die Geschichte getretenen Gottesherrschaft nicht unterordnen
und sie nicht anerkennen wollen. Die Sammlung wird jedoch freiwillig, aus
heiligem Antrieb und innerer Kraft geschehen. Nicht im Geiste eines gewaltsamen
Aufgebots oder eines fraglichen Söldnerheeres wird sie sich vollziehen. Denn es
geht um des HErrn Kriege. Sich ihnen mit allem, was man hatte, opferwillig zur
Verfügung zu stellen, galt als heiligste Pflicht. Die herbeieilende
Jungmannschaft, die sich festlich geschmückt zum Kampf stellte, um eine höchste
Mission zu erfüllen, wird vom Psalmisten mit dem schönen Bild vom Tau in der
Morgenfrühe verglichen. Wie der aus dem Mutterschoß der Morgenröte in
unzähligen Perlen aufgetretene Morgentau, so taucht aus der stillen
Verborgenheit des Volkes die streit= und kampfbereite Jugend auf. Sie umgibt
den messianischen König, der sich aufgemacht hat, den göttlichen Willen zu
erfüllen: Herrsche inmitten deiner Feinde!
Diese dichterischen Schilderungen, wie sich in
der Endgeschichte die weltumfassende Herrschaft des messianischen
Priesterkönigs vollenden soll, sind zwar von der Hoffnung der Gemeinde in dem
einen festgehalten worden, daß Christus in der ihm zur Rechten des Vaters
gewordenen Autorität und Vollmacht dienen wird, bis auch der letzte Feind gegen
die angebrochene Gottesherrschaft überwunden sein wird. Nie wird jedoch
Christus als Priesterkönig nach altheidnischer Sitte triumphierend seinen Fuß
auf den Nacken seiner Feinde setzen. Auch in der Vollendung der
Gottesherrschaft auf Erden wird er seinen wahren Heilands= und Lammescharakter
nie verleugnen: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu
verderben; er ist gekommen, um sie zu erlösen." Gewiß wird die
Weltgeschichte dem Ende zu mehr und mehr einem Schlachtfelde gleichen. Je mehr
sich die Völker erheben und sich zu einem letzten Kampf gegen Gott und seinen
Gesalbten rüsten, um so mehr wird sich auch Christi Majestät und Herrschaft
offenbaren. Sein souveränes Herrschen wird sich aber darin kundtun, daß er die
Völker an ihrem eigenen Kampf
zerbrechen läßt. Ihr Kampf gegen
Christus wird zu einem Kampf des einen Volkes gegen das andere werden. Christus
führt seinen Kampf um die Herrschaft Gottes auf einer den Völkern unerreichbaren Ebene. Jene Zeiten,
wo auch die Kirche Christi noch glaubte helfen zu sollen, durch weltliche
Machtmittel das Reich Gottes zu vollenden, waren stets die dunkelsten in ihrer
Geschichte. Die Kreuzzüge um die Jahrtausendwende brachten dem nahen Osten
nicht eine vermehrte Gottesherrschaft, sie erregten vielmehr den größten
Widerwillen der Völker gegen die Kirche. „Heilige Kriege", zu denen vom
päpstlichen Stuhle in Rom oder von Kirchenfürsten der Länder aufgerufen wurde,
trugen nie eine auf der Grundlage der Erlösung ruhende Gottesherrschaft unter
die Völker. Sie erniedrigten die Kirche selbst zu einer gegen Christus sich
auflehnenden Weltmacht.
Die
wahre Kirche Christi hat mithin auch die dichterische Darstellung, daß sich die Jungmannschaft im kriegerischen
Schmuck dem Heilskönig zur Verfügung stellt, für sich umgedeutet. Sie
sieht für sich darin nur das Bild der
freiwilligen Hingabe ihrer
besten und letzten Kräfte
an die
missionarische, prophetische und seelsorgerische Aufgabe, die Christus für seine Gemeinde hat. Durch
das Zeugnis und durch den Dienst, nicht aber durch die Gewalt und
Machtentfaltung der Kirche kommt Christus mit seiner Erlösung
und Gottesherrschaft zu den Völkern. So baut er sich innerhalb der Geschichte
seine endgeschichtliche Gottesherrschaft auf.
Der innerliche Aufbau des
Psalms ist ja durch zwei feierliche Gottessprüche fundiert. Der erste beginnt
mit einem prophetischen Spruch, der zweite mit einem heiligen Schwur. Dieser Schwur lautet:
4. Geschworen hat der HErr und nicht
gereuen wird es ihn:
„Priester sollst du sein in Ewigkeit
nach der Ordnung Melchisedeks!"
Daß das messianische
Königtum der Endzeit nicht auf der Ebene der gegenwärtigen Weltmonarchien, auch
nicht auf der Ebene eines allgemein religiösen Priestertums liegen wird, wird
hier stark durch den Schwur von dem ewigen Priestertum Jesu Christi unterstrichen.
Die beiden feierlichen Gottessprüche sichern dem Gesalbten der Endzeit also
eine doppelte höchste Würde zu: die Königs= und die Priesterwürde. Wie aber die
Königswürde nicht auf der Ebene eines Nebukadnezar, eines Alexander, eines
Cäsar, eines Titus oder verwandter Weltgrößen liegen wird, so auch nicht die
Priesterwürde. Nicht einmal auf das aronitisch=levitische Priestertum, sondern
allein auf das nach der Ordnung Melchisedeks greift des Herrn Schwur zurück.
„Das Priestertum
Melchisedeks erscheint in der Geschichte nicht als Glied einer
Geschlechtsfolge." Es wurzelte nicht in gesetzlichen Rechten und in menschlicher Erbfolge. Es hatte weder
Vergangenheit noch hatte es eine Nachfolge. Es Stand da, so sagt der
Hebräerbrief, ohne Vater, ohne Mutter, ohne Stammbaum, ohne Anfang seiner Tage,
ohne Ende seines Lebens, gleichgestellt dem Sohne Gottes (vgl. Hebr. 7,3),
Damit wurde Melchisedeks nicht etwa als eine der Mythologie angehörende
Persönlichkeit hingestellt. Damit wurde nur beschrieben, wie unerklärlich und geheimnisvoll seine Erscheinung
in seinem Zeitalter gewesen war. Denn in den Tagen
eines Melchisedeks war ein König der Gerechtigkeit und ein Fürst mit einer
ausgesprochenen Friedensstadt eigentlich etwas Undenkbares und daher
Unbegreifliches. An dieses Psalmwort anknüpfend, deutet daher auch der
Hebräerbrief die unvergleichliche Erhabenheit des königlichen Hohenpriestertums Jesu Christi. Nachdem Jesus zum
Opferlamm für die Welt geworden war und sich alsdann durch die
Auferstehung von seinem Vater gerechtfertigt sah, empfing er zur Rechten der
Majestät Gottes
neben der Königs auch die Hohepriesterwürde, und zwar nach der Ordnung
Melchisedeks. Damit stellt der Hebräerbrief das Hohepriestertum Christi nicht
nur über jedes Priestertum der Nationen, er überordnet es auch weit der
Priesterordnung A r o n s. ES ist ein völlig neuer Priestertypus, der in
Christus zur Rechten Gottes sichtbar wird.
Derselbe ist jedem levitischen Hohenpriester weit überlegen. Nicht weil
Jesus zum aronitischen Hohenpriestergeschlecht gehörte, empfing er seine
Priesterwürde. Er empfing sie als Gesalbter vermöge seiner Geistesgemeinschaft,
die er als Sohn mit dem Vater hatte.
Für das Priestertum nach
der Ordnung Melchisedeks war bezeichnend seine
Unmittelbarkeit, Melchisedeks
Priestertum war nicht geschichtslos in seiner Erscheinung, wohl aber
übergeschichtlich in seinem Ursprung, in seinen Vollmachten und Rechten. Es
stand völlig unabhängig da von den damaligen Autoritäten der Geschichte und von
den Priestern alter geweihter Kultusstätten. Daher war einst auch den
kanaanäischen Königen Melchisedeks Persönlichkeit, Priesterdienst und
Friedensherrschaft so unerklärlich. Sie vermochten ihn nicht in den bestehenden
Geschichtsverlauf einzuordnen. Selbst das Priestertum Aarons kannte
diese Melchisedeksche Unmittelbarkeit nicht. Das Recht, Priester zu sein,
führte Aron auf das levitische Gesetz zurück. Christus, so bezeugt der
Hebräerbrief, ist aber nicht nach dem Gesetz ewiger Priester geworden, sondern
kraft unvergänglichen Lebens. Er wurde es durch den unmittelbaren Schwur
Gottes. Damit ist Christus in seiner Hohenpriesterwürde auch Bürge eines
unvergleichlich höheren Bundes geworden (vgl. Hebr. 7, 15—23).
Entscheidend
für das Melchisedeksche Priestertum war auch die Unwandelbarkeit seines
Trägers. Dieser stand jenseits von einem geschichtlichen Anfang und einem
geschichtlichen Ende. Während es in der aronitischen Priesterordnung
„zahlreiche Priester gab, weil der Tod sie hinderte,
es immer zu bleiben, besitzt dieser ein unvergängliches Priestertum, weil er in Ewigkeit bleibt" (Hebr. 7,
23. 24). In seiner Person nimmt
er Anteil an der Ewigkeit Gottes, mithin
trägt auch sein Priestertum den Stempel
der Unvergäng-lichkeit. Daran knüpft der
Hebräerbrief auch jenen Wesenszug in dem un- vergleichbaren Hohenpriestertum Jesu Christi an: „Während das Gesetz Menschen zu Hohenpriestern bestellt, die mit
Schwachheit behaftet sind, stellt das
Eideswort, das nach dem Gesetz erging, den auf ewig vollendeten Sohn auf" (Hebr. 7, 28). So ist nicht Aron
mit seinem auf dem Gesetz
ruhenden Hohenpriestertum, sondern
Melchisedek mit seiner uns mittelbaren Erscheinung zum Urbild der Doppelwürde
des endgeschichtlichen Priesterkönigs geworden. Unvorstellbar ist die Fülle des
Segens, die durch dieses Zeugnis des Hebräerbriefes von der Hohenpriesterwürde
Jesu Christi nach der Ordnung Melchisedeks der Kirche in ihrem Ringen und
Dienen, in ihren Leiden und Anfechtungen im Laufe der bald zwei Jahrtausende
geworden ist.
Auch die Schlußverse
unseres Psalms werden von der Kirche auf Christus als den Priesterkönig der
Endzeit bezogen.
5. Der HErr zu deiner Rechten
zerschmettert Könige [und Widersacher]
am Tage seines
[heiligen] Zorns.
Die Erwartung, daß der
kommende Tag des Herrn am Ende
der Zeitalter mit einem furchtbaren Völkergericht verbunden sein werde,
beherrschte die ganze alttestamentliche Zukunftserwartung. Das Neue Testament
hat diese Erwartung des prophetischen Wortes mit übernommen. Das letzte
prophetische Buch der Bibel spricht die Erwartung aus, daß Christus die
Nationen (Heiden) „regieren wird mit eisernem Zepter, sie wie Töpfergeschirr
zertrümmern wird" (vgl. Off. 2,27). Petrus sah bereits in seinen Tagen das
Gericht anfangen „am Hause Gottes",
und im 1. Petrusbrief lesen wir: „Beginnt es aber zuerst bei uns, was wird das Ende derer sein, die
dem Evangelium Gottes sich nicht
beugen; wenn der Gerechte kaum gerettet wird, wo wird der Gottlose und
Sünder bleiben?" (1. Petri 4,17 f.) dieselbe Gerichtserwartung enthält
auch der 2. Petrusbrief in seiner Schau von der Wiederkunft Christi: „Der
jetzige Himmel aber und die jetzige Erde sind durch das
nämliche Wort für das Feuer (- wie die Welt Noahs für die Wasserflut —)
aufgespart für den Tag des Gerichts und des Verderbens der gottlosen
Manchen" (2.Petr. 3,7 ff,), In unserem Psalm heißt es nun
weiter:
6. Gericht hält er [einst] unter den
Völkern,
— voll von Leichen [wird das Land] —
zerschmettert Häupter auf weiter Erde.
Erst in zweiter Linie
können diese Verse endgeschichtlich gedeutet werden. Der Inhalt redet zunächst wieder nur von David, dem geschichtlichen
Herrscher auf Zion. Ihm wurde vom Sänger
verheißen, daß Gott als Allherr über
seine Rechte wache. Die „Rechte" ist im alttestamentlichen Sprachgebrauch das Bild der Macht. David wurde mithin
zugesichert, daß der HErr mit ihm und seiner Macht sein werde, die
ihm mit der Königswürde geworden war. Ja, der HErr selbst wird die Könige, die
sich seiner Einsetzung und seinem Regieren widersetzen, zerschmettern. Das wird
ein Tag sein, wo des HErrn Zorn entbrennt. Gottes Zorn kann aber nur ein
heiliger Zorn sein. Seine Gerichte über Könige und Widersacher werden sittlich
fundiert, d. h. in der innerlichen Einteilung und widergöttlichen Lebenshaltung
der dem Gericht Verfallenen begründet Sein.
Die Folgen dieser seiner
gerechten Gerichte unter den Völkern werden furchtbar sein. Der Psalmist sieht,
wie die Welt zu einem Leichenfelde wird. Weltgeschichte gestaltet sich mehr und
mehr zu einem Weltgericht. Häupter,
Fürsten, Autoritäten sehen sich von einer unwiderstehlichen, geheimnisvollen
Macht zerschmettert. Nun geht aus dem Königtum Davids aber eindeutig hervor,
daß diese Erwartung sich nur engbegrenzt in Davids Leben erfüllt hat. Wohl sah
er sich von Gott begnadet, sämtliche Feinde Israels zu schlagen. Es gelang ihm
auch, die Grenzen seines Landes weit hinein in die Gebiete der Nachbarvölker zu
tragen. Gesalbter innerhalb der Völkerwelt, wie er von der prophetischen Schau
unseres Psalms geschildert wird, ist David jedoch nie geworden. Diese
Nichterfüllung des Geschauten im Königtum Davids trug nun mit dazu bei, das
Unerfüllte prophetisch und messianisch zu deuten. Was der geschichtliche David
nicht vollenden konnte, soll und wird einmal zukünftig durch den verheißenen
Davidssproß vollendet werden.
Welche Gefahren einst
selbst für Israel=Juda damit verbunden waren, zeigte die spätere Entwicklung
der Geschichte. Es entstanden allmählich jene nationalen religiösen Kräfte, die
sich an der göttlichen Berufung ihres Volkes in Abraham, an den einzelnen
Verheißungen Gottes für Thron und Tempel in Jerusalem, an der Unmöglichkeit,
daß das auserwählte Volk je untergehen könnte, so berauschten, daß sie für
die Bußpredigt der Propheten völlig
unzugänglich wurden. Welch einen heiligen Kampf hatte ein Amos (Kap. 5,18 ff.),
ein Jesaja (Kap. 9,12 f.), ein Jeremia (Kap. 7,3 f.; 26,9) bis zum Tage des
nationalen Zusammenbruchs ihres Volkes mit diesen Kreisen und deren Propheten
zu führen. Ihr Kampf blieb zuletzt vergeblich. Sie mußten ihr Volk im Gericht politisch und völkisch zusammenbrechen
sehen.
Mit
Recht bemerkt daher einer der neueren Ausleger der Psalmen zu dieser Stelle, daß hier die Gefahren sichtbar
werden, die „in der Verbindung von
der Religion und Politik schlummern, wenn der politische Wille den Glauben sich dienstbar macht. Die Tatsache,
daß z. B. Amos (5,18 ff.) jene
nationale religiöse Hoffnung auf den Tag Jahves zerstört, weil er sieht,
wie dabei Gott zum Parteigänger einer nationalen Selbstüberhebung
herabgewürdigt wird und menschlicher Wille sich Gottes zu bemächtigen versucht,
macht klar, daß im Alten Testament selbst diese Gefahren gesehen und bekämpft werden von einer
Haltung aus, die darüber wacht, daß Gott wirklich das werde, was Gottes
ist" (A. Weiser).
Die messianische Deutung auch dieser Verse auf Christus
ist nur insoweit möglich,
wenn sie von Christus aus geschieht. Nicht der Psalm kann die Farben für das
Charakterbild Christi der Endzeit
geben. Christus muß von seiner Persönlichkeit aus das Licht
auf das prophetische Wort des Psalms fallen lassen. Sein Leben und sein Dienst
müssen zeigen, inwieweit sich sein Priesterkönigtum deckt mit den Erwartungen,
die im Psalm ausgesprochen werden. Alsdann zeigt sich sehr bald, wieviel durch
ihn als Offenbarung Gottes schlechthin auch in der Schilderung des Psalms vom
endgeschichtlichen Königtum überwunden worden ist. Der Priesterkönig wird keine
Leichenfelder auf weiter Erde
hinterlassen. Wohl wird er in seiner Souveränität und Autorität die Völker
richten. Dies wird jedoch nur insoweit geschehen, als er sie ihrem eigenen
Gerichte überlassen muß. Weil sie keinen Raum für seine Herrschaft haben und
die Erlösung, die mit derselben verbunden sein wird, je länger desto bewußter
ablehnen, um so mehr verwickeln sie sich in ihre eigenen Gerichte. Er
beugt und zerschmettert Könige, Häupter und Autoritäten nur insoweit, als er
sie zerbrechen läßt in dem Kampfe, den sie gegen ihn zu führen wagen. Sein
König= und Priestertum ist fundiert und autorisiert durch Gott, den Herrn der Geschichte.
Je mehr sich seine Feinde zusammenschließen, um ihn zu entthronen und um
das Evangelium seines Priestertums zu vernichten, um so erschütternder wird die
Welt diesen ihren Kampf als einen Tag seines Zorns erleben.
Im Schlußverse wird wieder
direkt auf David Bezug genommen. Sein
Inhalt schildert, wie der König beim Verfolgen seiner geschlagenen Feinde neue
Kraft gewinnen wird.
7. Aus dem
Bach am Wege wird er trinken,
daher [mutig] sein Haupt erheben.
Im
Geiste sieht der Sänger, wie der Feind sich durch die Flucht zu retten sucht.
David verfolgt ihn aber bis zur persönlichen Erschöpfung. Da begegnet er am
Wege einem fließenden Bach, er löscht seinen Durst. Und nun kann er wieder
mutig sein von Sieg gekröntes Haupt erheben und den Feind bis zur Vernichtung
verfolgen. Auch dieses Wort enthält nur Insoweit einen Hinweis auf Christus, als man
es geistig
umdeutet. „Das ist meine Speise", sagte Jesus in den Tagen seiner Knechtsgestalt, „daß ich den Willen dessen tue, der
mich gesandt hat und sein Werk vollende" (Ev. Joh. 4,34). Die
Evangelien bezeugen von ihm, daß er nach
beendetem Tagewerk, wenn er dem Volke die Frohbotschaft vom Reiche
Gottes gebracht, die Kranken geheilt, die Mühseligen und Beladenen zu sich
gerufen hatte, auf einen Berg ging, um zu beten. Der Bach, aus dem mithin Jesus
trank und Christus als der erhöhte Priesterkönig gegenwärtig trinkt und bis zur
Vollendung trinken wird, ist sein Umgang mit Gott. Die Psalmen der Vollendung
werden daher auch nicht allein auf die
Anbetung Christi abgestimmt sein, so gewiß durch ihn als ewigen Priesterkönig
der Welt auch der Endsieg Gottes geworden ist. Ihr Inhalt wird voll sein von der Anbetung Gottes und des Lammes. Die Offenbarung Johannes
deutet einiges von dem Inhalt der Psalmen der Vollendung mit den Worten an:
„Halleluja! Der Herr unser Gott, der Allmächtige, hat die Herrschaft übernommen!
Laßt uns froh sein und jubeln und ihm die Ehre geben! Denn die Hochzeit des
Lammes ist gekommen, seine Braut hat sich bereit gemacht, sie durfte sich
kleiden in glänzend weißer Leinwand (Off. 19,6 ff.),
1. „Danket dem HErrn, denn
er ist freundlich,
ja, seine Gnade währet
ewiglich!“
2. So spreche denn Israel:
„Ja,
seine Gnade währet ewiglich!"
3. Es spreche das Haus Aarons:
„Ja,
seine Gnade währet ewiglich!"
4. Die den HErrn
fürchten, sollen sprechen:
»Ja,
Seine Gnade währet ewiglich!"
5. In meiner
Drangsal rief ich zum HErrn, mich erhörte der HErr, er machte mich frei.
6. Der HErr ist für mich, ich fürchte mich nicht,
was können mir Menschen tun?
7.
Der HErr ist für mich, meine Hilfe ist er mir,
drum werd1
ich meine Lust sehen an meinen Feinden.
8. Es
ist besser, seine Zuflucht beim HErrn zu suchen,
als sich zu
verlassen auf Menschen.
9.
Es ist besser, seine Zuflucht beim HErrn zu suchen,
a1s sich zu verlassen auf Fürsten.
10. Mögen alle Heidenvölker mich umringen,
fürwahr,
ich zerhaue sie im Namen des HErrn,
11. Mögen sie mich umringen, allseitig umringen,
fürwahr,
ich zerhaue sie im Namen des HErrn.
12. Mögen sie
wie Bienen mich umringen,
fürwahr,
ich zerhaue sie im Namen des HErrn,
13. Man hat mich
zwar gestoßen, daß ich fallen sollte,
doch
der HErr ward meine Hilfe.
14. Meine Stärke1)
und mein Psalm ist der HErr,
er
war meine Rettung am Tage der Not.
16. Man singt mit
Freuden vom Sieg
in den Hütten der Gerechten:
„Die Rechte des HErrn behält den
Sieg!"
16).
„Die Rechte des HErrn ist erhöhet,
die Rechte des
HErrn behält den Sieg!"
17.
Ich werde nicht sterben, ich werde leben,
um des HErrn
Taten zu verkünden.
18. Hat mich auch der HErr schwer
gezüchtigt, aber dem Tode gab er mich nicht preis.
19.Öffnet mir der Gerechtigkeit Tore,
hinein will ich geben, will danken dem
HErrn!
20. Dies ist das Tor des HErrn,
seine Gerechten werben hineingehen.
21. Ich danke dir, daß du mich erhöret hast,
daß du HErr] meine Rettung warst!
22. Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
der ist zum Eckstein geworden.
23. Vom HErrn ist
dies geschehen.
Wahrlich, ein Wunder vor unseren Augen!
24. Dies ist der
Tag, den der HErr gemacht, lasset uns freuen und fröhlich in ihm sein.
28. „0 HErr, auch ferner schaffe uns
Heil! Ja, HErr, laß alles
Wohlgelingen!"
26. Gesegnet sei, der da kommt im Namen des HErrn.
Wir segnen euch vom Hause des HErrn aus.
27. Gott ist der
HErr, er hat uns Licht gegeben! Bindet das Festopfer mit Stricken, [bringt es]
zu den Hörnern des Altars!
28. Mein Gott bist du, drum will ich dir danken, dich, meinen Gott, will ich erbeben.
29.“Danket
dem HErrn, denn er ist freundlich, ja, seine
Gnade währet ewiglich!"
Der Lieblingspsalm
Luthers! Das wird verständlich, wenn man seinen tiefen Inhalt auf Grund
bestimmter geschichtlicher Ereignisse zu erfassen sucht. Denn das Verständnis
für die Sprache des Dankes und der Anbetung des Psalms setzt ganz bestimmte
Glaubenserfahrungen des Sängers voraus. Da später Luthers schwere Erlebnisse in
vielem denen des Psalmisten verwandt waren, so wird verständlich, daß er im
Psalm ausgedrückt fand, was auch seine Seele in Dank und Erhebung Zu Gott
bewegte. Auch Luther sah sich aus „Nöten geholfen, daraus ihm weder Kaiser noch
König noch Mensch hätte helfen können. Mit der Auslegung dieses seines edelsten
Kleinodes, seines Schutzes und Schatzes beschäftigte er sich in der Einsamkeit
seines Patmos." (Nach Heinrich Wiese.) Alle
Ausleger sind sich darin eins, daß es sich beim Psalm um eines der schönsten
Danklieder handelt, das von der jüdischen Festgemeinde nach erfahrener Rettung
aus schweren Nöten gesungen wurde. Fraglich bleibt aber, bei welchem festlichen
Anlaß, und zwar nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft, es der
Ausdruck des Dankes zum HErrn war. Am wahrscheinlichsten
bleibt, daß wir diesen Anlaß in der
Zeit eines Esra und Nehemia
zu suchen haben. Das Buch Nehemia erzählt uns in seinem 8.Kapitel von
einem großen Laubhüttenfest, das
nach der Fertigstellung des neuen Tempels gefeiert wurde. Eine große Glaubenstat
war trotz schwerster feindlicher Widerstände
vollendet worden. Wie stark die Gemeinde die Durchführung des Wiederaufbaues der Mauern Jerusalems als eine
besondere Hilfe des HErrn ansah, bezeugen Nehemias persönliche Worte:
„Als nun alle unsere Feinde das hörten, da
fürchteten sich alle Heiden, die um uns her sind, und der Mut entfiel
ihnen, denn sie erkannten, daß durch unseren Gott dies Werk vollführt war"
(Kap. 6,16 f.). „Einen Monat Später (Neh. 8,1) wurde das Nehemia 8,14-18
beschriebene Laubhüttenfest gefeiert, wie es seit den Tagen Josuas nicht
begangen worden war. Und es war eine sehr große Freude. Das vom Bau
hergenommene Bild des Psalms (V. 22) erinnert an den Abschluß des Mauerbaues.
Alle diese Parallelen scheinen mir so schlagend zu sein, daß ich mit Sicherheit
glaube sagen zu können: Psalm 118 wurde zum erstenmal bei der Feier des
Laubhüttenfestes im Jahre 440 v. Chr. gesungen. Der Dank, den der Psalm atmet,
die Freude/ das gesteigerte Selbstbewußtsein
der Gemeinde, die trotzdem wohl weiß, wie sehr sie der göttlichen Hilfe
bedarf, erklären sich bei dieser Datierung in jeder Hinsicht genügend"
(Franz Delitzsch).
Für
diese Annahme spricht auch, daß der 25. Vers unseres Psalms; „O HErr, schaffe auch ferner uns Heil!"
hinfort der bestehende Festruf seit dem
Entstehen des zweiten Tempels war. Derselbe wurde während des feierlichen Umzuges um den Brandopferaltar von
der feiernden Gemeinde gesprochen. Solch ein Umzug wurde während der
ersten Sechs Tage einmal, und am siebenten
Tage siebenmal vollzogen.
Damit
ist uns der geschichtliche Rahmen angedeutet, in welchem wir die Entstehung unseres Dankliedes
zu suchen haben. Aber auch dieses tief empfundene
Danklied erhält erst dann seine
Bedeutung auch für uns, wenn es wie einst bei
Luther der Ausdruck unseres
Dankes zum HErrn wird. Nicht ganz leicht ist es, den Inhalt des Psalms in sachliche Hauptbegriffe zu ordnen. Er gehört zu
jenen Dichtungen, in denen jeder Vers
einen geschlossenen Sinn für sich hat, mit eigenem Duft und eigener Farbe. „Ein Gedanke fügt sich an den
andern, wie Zweig an Zweig, Blume an Blume." Gesungen wurde das
Lied jedenfalls in der Form einer
feierlichen Liturgie. Es begann wohl mit dem Aufstieg zum Tempeltor und
wurde alsdann im Heiligtum fortgesetzt. Man hat diesen Wechselgesang
folgendermaßen eingeteilt; Vers 1-18 Der Festzug auf dem Wege zum Tempel; 19-25
vor dem Tempeltor; 26.27 Empfang durch die Priester; 28.29 Dank der
Festteilnehmer im Tempel2). Lassen wir aber den Inhalt selbst zu uns
reden.
Mit
dieser macht uns der Psalm zunächst vertraut. Sie umfaßt das ganze Volk. Es hatte Gottes Hilfe aus
schwersten Nöten so wunderbar erlebt und suchte sich nun als Festgemeinde dankbar zu Gott zu erheben. Was sich
später noch viel wesenhafter und wirklicher in der Kirche Jesu Christi
offenbart, das war in seinen Grundzügen bereits in der Volksgemeinde Israel
vorhanden: Die erfahrene Gotteshilfe für das Ganze
war zugleich ein Segen für jeden
einzelnen. Daher feierte auch der
einzelne mit der ganzen Festgemeinde. Er
wußte sich mit eingeschlossen in den Dank, den man dem HErrn zu bringen
suchte.
1.
„Danket dem HErrn, denn er ist freundlich, ja, seine Gnade währet
ewiglich!"
Mit diesem Festruf wurde
offenbar die Gemeinde von Vorsängern empfangen. Dieselbe setzte sich aus dem
feiernden Volk, aus den Priestern und Leviten und aus den Gottesfürchtigen
zusammen. An jede Gruppe besonders ergeht nun der Aufruf, sich mit am Dank zu
beteiligen.
2.
so spreche denn Israel: „Ja, seine Gnade währet ewiglich!"
3.
Es spreche das Haus Aarons: „Ja, seine Gnade währet ewiglich'.“
4.
Die den HErrn fürchten, sollen sprechen:
»Ja, seine Gnade währet ewiglich!"
Das offenbar gewordene
Heil Gottes war allgemein. Mithin mußte auch die dankbare Erhebung eine gemeinsame sein. Nicht etwa
nur das Haus Aarons, also die legitime Priesterschaft, sollte bekennen, daß des HErrn Gnade von Zeitalter zu
Zeitalter währt. Dasselbe Bekenntnis soll die ganze Gemeinde erfüllen.
Dasselbe gilt auch heute. Wo immer ein
gesundes Glaubensverhältnis der
Gemeinde
zu Gott
besteht, da begnügt sich dieselbe nicht
mit einer Stellvertretung
durch die Priesterschaft. Sie ist in
ihren vielen Gliedern persönlich
mitbeteiligt, so oft es gilt, den HErrn in seiner Huld und seinem Heil zu bekennen. Selbst
jene sucht sie mit in ihre
Gemeinschaft hineinzuziehen, die bisher nur zu den Gottesfürchtigen, d. h. zu den
Proselyten gehören. Es waren dies jene Fremden aus den Nationen,
besonders auch aus den Griechen, die sich innerlich von Gottes Offenbarung und Wirklichkeit ergriffen wußten.
Sie hatten erkannt, daß Israels Gott der alleinige HErr der Welt, der
Schöpfer Himmels und der Erde sei. Auch sie sollen in dieser feierlichen Stunde
vollen Anteil nehmen an der Freude und an
dem Dank, die die Festgemeinde erfüllen und bewegen. Alle von
Gott her kommenden und erlebten Heils =
und Segensoffenbarungen wollen
letzthin nie Privatbesitz einzelner sein.
Sie suchen alle zu erfassen, die innerlich offen für Gottes Handeln in der Geschichte
sind. Von dieser geschlossenen
Gemeinde erfolgt nun:
Sein Inhalt ist nicht irgendeine Formel. Auch nicht der Mensch in seiner
Güte und Größe, nicht die Welt in ihrer Blüte und Schönheit. Der Inhalt
ist Gott in seinem gnädigen Handeln. Was die Volksgemeinde in schwersten Nöten
an erneuter Hilfe erlebte, war ihr zu einer tieferen Erkenntnis der Güte und
Barmherzigkeit Gottes geworden. Fällt die Entstehung des Psalms tatsächlich in
die letzte Zeit des Wiederaufbaues der Mauern des Heiligtums unter Nehemia,
dann ist verständlich, wie das Bekenntnis zunächst mit der Feststellung beginnt:
5. In meiner Drangsal rief ich zum HErrn, mich erhörte der HErr, er machte
mich frei
Daß Israel in seinen
Drangsalszeiten immer wieder seine Zuflucht zum HErrn nahm, darin lag des
Volkes Rettung. Das Gebet zu Gott
ist Menschen noch nie zum Verhängnis
geworden. Wem es Zum Bewußtsein kam, daß er das Leben mit seinen Nöten
und Widerwärtigkeiten, mit seinen Härten und Versuchungen nicht mehr zu
meistern vermochte, und er nahm seine
Zuflucht zu Gott, der erlebte von Gott eine Rechtfertigung seines
Vertrauens. Die größten Siege
im Leben eines Menschen sind
noch immer auf den Knien errungen
worden. Auch Israel hatte das
Ende seiner Drangsal erlebt, als es in seiner Ohnmacht zum HErrn rief. Es gibt
einen Gott, der Gebete erhört. Er macht
Gedrückte und Geknechtete frei, sobald er ihnen mit seiner Hilfe antworten kann.
Aber jede
erlebte Gebetserhörung und Rettung durch Gottes Hand wirken sich nicht nur in dem besonderen Falle aus. Es kommt dem Menschen nicht nur zum Bewußtsein, daß Gott ihm geholfen
habe. Sie schaffen gleichzeitig für
die Zukunft ein Gottvertrauen und eine Furchtlosigkeit, wie man sie
vordem nie gehabt hatte. Gnade führt stets zu vermehrter
Gnade, gerechtfertigtes Vertrauen zu stärkerem Vertrauen.
Auch die Festgemeinde bekennt in ihrem
Dankliede, wie stark und tief ihr Vertrauen hinfort in Gott ruht.
6. Der HErr ist für mich, ich fürchte mich nicht, was können mir
Menschen tun?
Im Handeln Gottes wird
sich der Mensch der Nähe Gottes bewußt. Kann
Gott in den Gang der Geschichte zum Heile des Menschen eingreifen, so erkennt der Mensch, daß der HErr ihm nicht
fern ist. Ist aber Gott für uns, wer mag dann wider uns sein? Hinfort ist Furchtlosigkeit keine
Selbsttäuschung, sie ist eine
bewußte, starke Glaubenshaltung zu Gott. „Du kommst zu mir mit Schwert, Speer und Spieß",
sprach einst David zum Philister Goliath, „ich aber komme zu dir im Namen des
HErrn der Heerscharen, des Gottes der Schlachtreihen Israels, die du verhöhnt
hast" (1. Sam. 17, 45). Solch ein
Vertrauen zu Gott und solch eine Abhängigkeit von Gott macht aber zu allen Zeiten unabhängig von Menschen. Nie
hatten die alttestamentlichen
Propheten gewagt, ihre schweren Missionen zu erfüllen, wenn sie nicht in
ihrer Sendung gewußt hätten: „Mit uns ist Gott!" „Ich fürchte mich nicht!" — ist daher nicht die Sprache eines
von sich selbst Berauschten. Es ist
nicht die Geste eines religiösen Schwärmers und Schauspielers. Es ist der Ausdruck
höchster Zuversicht zu Gott. Denn
solch eine Sprache fließt aus der
Glaubensgewißheit:
7. Der HErr ist für mich, meine Hilfe ist er mir, drum werd ich meine Lust sehen an meinen Feinden.
Der Prophet Elisa wußte, daß das Heerlager der Syrer groß genug war, sein
Volk zu erdrücken. Er wußte aber auch, daß „derer, die bei uns sind, sind mehr
als derer, die bei ihnen sind". Daher betete er, daß Gott seinem Diener
die Augen öffnen möge, damit er sehe. ,,Und Gott öffnete dem Diener die Augen,
und er sah da war der Berg
rings um Elisa her voll feuriger
Rosse und Wagen"
(2.Kön.6,16f.). Und bis heute war auch die Kirche nie unsicher über den Ausgang
der Widersacher Gottes und den Sieg der in Christo angebrochenen
Königsherrschaft. So oft auch die Feinde den Kampf wider Gott und seine
Gemeinde aufzunehmen versuchten, sie zerbrachen an ihren eigenen Kämpfen. Selbst ihre Erfolge und Siege
mußten ihnen zuletzt zum Gericht werden.
Den scheinbaren Sieg des jüdischen Tempels über den Menschensohn
verwandelte der HErr zum größten Triumph des Lebens über den Tod. Man schuf durch das Kreuz einen
Gekreuzigten, im Gekreuzigten aber
gab Gott
der Welt einen Auferstandenen.
Es ist verständlich, daß
der Dichter nun zu der für alle Zeit gültigen Feststellung kommt:
8. Es ist besser, seine Zuflucht beim HErrn zu suchen, als sich zu
verlassen auf Menschen.
9. Es ist besser, seine Zuflucht beim HErrn zu suchen, als sich zu
verlassen auf Fürsten.
Ein
doppeltes; „Es ist gut!" Also ein doppeltes Heil, das der Glaube erkannt
hat. Sein Vertrauen gründet sich nicht auf Menschen, wörtlich „Adam", d. h. auf alles vom Fleisch Geborene.
Zwar kann Gott Menschen gebrauchen,
um durch sie zu helfen, zu trösten, zu stärken und zu erfreuen. So wird
der Mensch zu einem Engel der Barmherzigkeit. Der Glaube vertraut jedoch nicht
dem Menschen. Der Mensch ist fähig, für seinen Nächsten auch zum Dämon zu
werden. Die größten Enttäuschungen erlebte
daher der Mensch immer wieder am Menschen, die Völker erlebten sie an
Völkern. Dasselbe gilt auch von den höchsten Vertretern der Menschheit, von ihren Fürsten und Königen. Wie
wurde Israel enttäuscht, als es in
seiner Politik bald der assyrischen, bald der ägyptischen, bald der babylonischen
Weltmacht vertraute. Der Rohrstab, auf den man sich stützte, zerbrach und durchbohrte Israels Hand. Im Leben
der Glaubenden
sind nicht etwa entscheidend die Machtmittel, über die die Weltmächte verfügen. Gott ist es, der ihre Zuflucht ist. Mit Gott werden
aber auch Weltmächte nicht fertig. Bis heute liegt die Stärke der Gemeinden nicht etwa in ihrer Auseinandersetzung mit der Welt. Sie liegt vielmehr in dem großen Kampfe,
durch den Gott sich mit der Welt
auseinandersetzt.
Nachdem
der Sänger in seinem Bekenntnis uns
vertraut gemacht hat mit seiner Glaubenshaltung resp. mit der der ganzen
Gemeinde, zeigt er nun, aus welch einem Handeln
Gottes diese entstanden ist. Zwar klingen die nächsten Verse wie der Wahn eines von sich selbst
eingenommenen Menschen. Die Sprache
aller von sich selbst und ihrer Macht Berauschten war zu allen Zeiten
phrasenhaft. „Wo sind die Götter des Landes Samaria?" fragte einst der
Rabsake, als er mit seinem assyrischen Heer Jerusalem belagerte. „Haben sie
etwa Samaria aus meiner Hand errettet? Wo ist einer unter allen Göttern dieser
Länder, der sein Land aus meiner Hand errettet hätte, daß euer Gott Jerusalem
aus meiner Hand erretten sollte?" (Jes.
36, 19 f.) Auch Nebukadnezar fragte auf der Höhe seiner Macht die drei
Freunde Daniels, die nicht vor dem goldenen Bilde in der Ebene zu Dura
niederfallen und es anbeten wollten: „Wenn ihr es nicht anbeten werdet, so
werdet ihr sofort in den brennenden Feuerofen geworfen werden. Wer ist der
Gott, der euch aus meiner Hand
erretten könnte?" (Dan.3,15.)
Unser
Dichter nimmt nämlich die Möglichkeit an, daß die Heiden in ihrer Gott feindlichen Haltung
geschlossen ihn umgeben können. Sie können
ihn von allen Seiten umzingeln, ja ihn in ihrer Übermacht wie ein Bienenschwarm überfallen.
10. Mögen alle Heidenvölker mich umringen,
fürwahr, ich zerhaue sie im Namen des HErrn.
11. Mögen sie mich umringen, allseitig
umringen,
fürwahr, ich zerhaue sie im Namen des HErrn.
12. Mögen sie wie Bienen mich umringen,
fürwahr, ich zerhaue sie im Namen des HErrn.
Nie hätte der Psalmist
jedoch angesichts solcher Gefahren die kühne Sprache des Glaubens zu führen
gewagt: „Ich zerhaue sie im Namen des HErrn!", wenn er nicht gewußt hätte,
der Kampf
ist Gottes. Im Glauben rechnete er
damit, daß entsprechend der Größe der Gefahr auch die Größe der Hilfe sein
werde. Aus demselben Vertrauen heraus kann daher ein neuzeitlicher Dichter
Singen: „Größer als der Helfer ist die
Not ja nicht!"
Auch der Psalmist weiß von
Versuchen, die gemacht wurden, ihn zu
Fall zu bringen:
l3. Man hat mich zwar gestoßen, daß ich fallen
sollte, doch der HErr ward
meine Hilft.
14.Meine Stärke und mein Psalm ist der HErr, er war meine Rettung «m Tage
der Not.
Eine
genaue Beschreibung, worin die Versuche bestanden, um den Sänger zu Fall zu bringen, erwähnt der Psalmist nicht. Er
Spricht nur allgemein vom Tage der Not, an welchem ihm der HErr zur Rettung
wurde. Aus dem Buche Nehemia Kap. 4 können
wir als wahrscheinlich ersehen, welcher Art diese Nöte waren. Dort wird
erzählt: „Als aber Sanballat hörte daß wir die Mauer aufbauten, sprach er
zornig und voll Ärger und Spottete über
die Juden und sprach in Gegenwart seiner Landsleute und der Truppen von
Samaria: ,,Was treiben die elenden Juden da? Wollen sie schon pflastern? wollen sie schon zum Feste Schlachten? wollen sie
schon heute vollenden? wollen sie die verbrannten Steine aus dem
Schutthaufen wieder ins Leben rufen?' Darauf antwortete ihm Tobia, der beim
Statthalter von Samaria zu Gaste war und die Gebiete Ammons im Ostjordanlande
beherrschte: ,Laß sie nur bauen, wenn ein Fuchs hinaufspringt reißt er ihre
Steinmauer ein." Diese Schmähung der Feinde machte Nehemia damals zum
Inhalt seines Gebets. Aus dem Umgang mit Gott gewann er den Mut für sich und
alle Mitbauenden, die aufgenommene Wiederherstellung
der Mauern Jerusalems mutig fortzusetzen.
Es gehörte aber stets z u m Charakter wahrer Glaubensmenschen, daß sie nie eine
erlebte Rettung, die ihnen allein
von Gott werden konnte, sich selbst zuschreiben. Nicht sich unterstreichen sie — Inhalt ihres
Lobgesanges ist Gott. Nicht Heldengedichte
schaffen sie — ihre Psalmen preisen die Majestät und das Tun des in der Geschichte sich offenbarenden
Gottes.
15. Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten: „Die
Rechte des HErrn behält den Sieg!"
16. „Die Rechte des HErrn ist erhöhet, die Rechte des HErrn behält den
Sieg!"
Gemeinden, die auf jedem
Gebiete ihres Glaubens, ihres Ringens und ihres Dienens abhängig sind von ihrem
HErrn, sterben am eigenen Selbstruhm. In ihren Hütten kann allein von dem Sieg
gesungen werden, den die Rechte des HErrn errungen hat. Wohl sind sie
Triumphierende, aber stets nur Mittriumphierende. Die Entscheidung kam von
Gott, wenn auch durch sie. Es war der Arm des HErrn, der den Kampf zum Siege
führte, das Leid in Freude verwandelte, einen Ausweg aus dem Tode gab. Das zu
bezeugen macht den Inhalt ihres Psalms aus, gibt denselben seine Wärme und
Stärke.
17. Ich werde nicht sterben, ich werde leben, um des HErrn Taten zu
verkünden.
Gewonnene Gotteserkenntnis
verpflichtet. Empfangener Segen soll
zum Segen vieler werden. Wer Gott in seiner Größe und helfenden Barmherzigkeit gesehen, soll entsprechend von
Gott reden, damit auch andere eine tiefere Gottesschau gewinnen. Der
Sänger und mit ihm die Gemeinde hat Gott in seiner rettenden Tat erlebt. Daß er
und mit ihm die Volksgemeinde noch lebte, war nur von Gott her zu verstehen. Es war Gnade, daß die
Vergangenheit mit ihrem Gericht und ihrer Not ihm
nicht zum Tode gereichte. Wie oft hat L u t h e r sich von diesem Vers aufrichten lassen!
18. Hat mich auch der HErr schwer gezüchtigt, aber dem Tode gab er mich
nicht preis.
Daß der Sänger sich nicht
dem Tode preisgegeben sah, daß die Drangsal seines Lebens sich nur als eine
gnädige Zucht Gottes ausgewirkt hatte, darin
erkannte er göttliche Absichten und Ziele. Ihm soll das neugeschenkte Leben
nicht eine Selbstverständlichkeit sein. Es verpflichtet
ihn Gott gegenüber. Als
Geschenk der Gnade hat er es im
Angesichte des Todes wieder empfangen. Als
ein Opfer der Liebe soll es forthin im Dienste des Zeugnisses von Gottes
Taten stehen. Wie stark sich das mit dem neuen Sein und Leben der Gemeinde Jesu
Christi deckt, drückt Paulus im Römerbrief mit den Worten aus: ,,Gebt euch Gott
hin als solche, die aus dem Tode zum Leben hindurchgedrungen sind"
(Röm.6,13).
Steht der Psalm Im engsten
Zusammenhang mit dem unter Esra und Nehemia vollzogenem Wiederaufbau Jerusalems
und des Tempels, dann ist auch das vorausgegangene Zeugnis von dem großen
Gotterleben eigentlich ein Zeugnis der Gesamtgemeinde. Obwohl der Dichter in
der Ichform spricht, redet er doch aus dem Erleben aller. Offenbar war der Tempelbau endlich vollendet worden. Die
Festfreude über die neue Tempelweihe
erreichte mehr und mehr ihren Höhepunkt. Noch stand man aber vor den verschlossenen Tempeltoren. In Spannender
Erwartung harrte die Gemeinde auf den Augenblick, wo die Tore sich öffnen und
sie endlich wieder Gottes Heiligtum
werde betreten dürfen. In dieser Erwartung singt sie:
19. öffnet mir der Gerechtigkeit Tore, hinein will ich gehen, will danken dem HErrn!
Was jahrelang die ungestillte
Sehnsucht einer aus der Knechtschaft
heimgekehrten Gemeinde gewesen war, sollte in den nächsten Augenblicken
nun heilige Wirklichkeit werden. Unendlich viele Schwierigkeiten und
Hemmnisse hatte man überwinden
müssen. Manche der eigenen Volksgenossen hatten sich in der Beteiligung am Aufbau sehr lässig erwiesen. Getäfelte
Häuser, reiche Kornfelder, gepflegte Wein= und Ölgärten hatten ihr Interesse
ganz in Anspruch genommen. Andere waren gleich beim Beginn des Baues ganz
mutlos geworden. Sie brachen in ein lautes Weinen aus, als sie die Anfänge des
neuen Tempels zu sehen bekamen. Es waren
jene Kreise, die noch den alten Tempel in seiner Größe und Pracht aus der
Glanzzeit Salomos gesehen hatten. Selbst eine zeitweise Unterbrechung des Baues
hatte Serubabel, der Statthalter, überwinden müssen (vgl. Haggai 2, 2 — 9).
Aber der Glaube hatte alle Widerwärtigkeit
überwunden und das Werk vollendet. Unbeschreiblich war daher die Freude
der Gemeinde. In dieser jubelte sie:
20. Dies ist das Tor des HErrn, seine
Gerechten werden hineingehen.
Die Tore, die sich in den
nächsten Augenblicken öffnen sollten, werden „Tore
der Gerechtigkeit" genannt. Sie führten zum HErrn der Gerechtigkeit.
Vor ihn darf nur eine Gemeinde treten, die sich durch Gnade von Gott gerechtfertigt sieht. Ihr ist Gottes Gerechtigkeit eine Ursache zum Leben
geworden. Jene Gerechtigkeit, die
einst das Volk zu seinem Heil in die
Gefangenschaft sandte, richtete zur rechten Stunde
auch wiederum jene babylonische
Weltmacht, die dem Volk solch ein schweres Exil bereitet hatte. Zwar
hatte sie Israel ins Gericht geführt, aber im Gericht ein Volk erzogen, das
begnadet wurde, eine neue Heimat aufzuerbauen. Nun sollen sich die Gerechtigkeitstore öffnen, damit die
Gemeinde im Heiligtum vor den Herrn
der Gerechtigkeit treten könne. Hier sollte das Höchste kund werden, das sie in ihrer Freude in sich trug:
21. Ich danke dir, daß du mich erhöret hast, daß du [HErr] meine Rettung
warst!
Schlichte Worte, die
aber unendlich viel sagen! Durch sie drückte die Gemeinde das ganz Große der Geschichte
aus, das sie erlebt hatte. Es gibt
Höhepunkte im Erleben des
Glaubens, wo dem Menschen die Worte fehlen,
um Gott gegenüber ganz das
sagen zu können, was er an Freude und Dank über
Gottes Tun in sich trägt. Er
ist so überwältigt von Gott, daß sein Schweigen mehr sagt als sei Reden sagen
könnte. Ihm ist alles Geschehen wie ein
Wunder, eine Tat dessen, der in Seiner Allmacht keine Wunder kennt, sondern nur
ein Souveränes Handeln.
22. Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein
geworden.
25. Vom HErrn ist dies geschehen.
Wahrlich, ein Wunder vor unseren Augen!
Ein geschichtliches Ereignis beim Neuaufbau des
Tempels wird aber Besonders erwähnt. Während des Baues ist von den Bauleuten
ein Stein verworfen worden. Später war gerade dieser verworfene Stein geeignet
zum Gipfel= und Schlußstein. Ein solcher wird hier offenbar genannt. Denn
zweifellos ist „ein bestimmter Stein unter den Bausteinen des Tempels gemeint:
dieser Stein, den die Bauleute geringschätzig ansahen, ist zum Eckhaupt
geworden, d.h. bildet nun den Scheitel des rechten Winkels an den vier Seiten
des quadratischen Baues, das stattliche Gebäude schützend und stützend — ein
Bild der Macht und Hoheit, zu welcher das nun wieder um den Tempel als seinen
nationalen Mittelpunkt gescharte Israel aus
tiefer Erniedrigung heraus inmitten der Völkerwelt gelangt ist" (Franz Baethgen).
Im Lichte des Neuen
Testaments hat diese Stelle eine prophetische Bedeutung
erlangt. Schon der Prophet Jesaja sprach von einem Stein (Kap. 28,16), der als ein Hinweis auf Christus angesehen wurde: „Drum Spricht
Gott der HErr: ,Siehe, ich lege in Zion einen Stein, einen bewährten Stein, einen kostbaren, grundlegenden
Eckstein. Wer glaubt, wird nicht zuschanden." Jesus in seiner
Knechtsgestalt wurde zwar trotz seiner
messianischen Vollmacht verworfen. Die jüdische Tempelgemeinde als
Trägerin der göttlichen Offenbarung verwarf ihn mit den Worten; „Wir wollen
nicht, daß er über uns herrsche!" Ihn, der
Autorität zum Herrschen hatte, lehnte man
ab, um sich von denen beherrschen
zu lassen, die nur knechteten.
Gott aber rechtfertigte durch die Auferstehung den durchs Kreuz verworfenen.
Christus wurde zum Herrn seiner Gemeinde,
zum Grund- und Schlußstein einer neuen
Behausung Gottes im Geist. Petrus schreibt daher in seinem ersten Brief:
„Schließt euch an ihn an, den lebendigen Stein, der von den Menschen zwar
verworfen, bei Gott aber auserlesen und kostbar ist" (l.Petr.2,4).
Den Schlußakt der erhebenden Tempelweih=Feier bildete der
priesterliche Segensgruß. Eigentlich
war es Gott, der durch die Priester seine Gemeinde grüßte und Segnete.
24. Dies ist der Tag, den der HErr gemacht, laßt uns freuen und fröhlich
in ihm sein.
Eine Volksgemeinde,
die in Ehrfurcht und Anbetung vor
Gott und dessen Wundern steht, kennt keinen
Selbstruhm. Die erste Tempelweihe, die das Volk begehen durfte, war ein Tag,
der allein durch Gottes Eingreifen in das Geschick seines Volkes hatte kommen können. Inhalt der Freude konnte
daher nicht der Mensch, auch nicht die Gemeinde, sondern allein der HErr
sein, der sich seines Volkes in seiner
Drangsal angenommen hatte. Bleibender Besitz kann aber auch der
neubegonnene Zustand nur dann werden, wenn
auch in Zukunft Gottes Handeln
sich zum Heil des Volkes offenbaren kann.
Daher die Bitte:
26. „O HErr, auch ferner schaffe uns Heil! Ja, HErr, laß alles
Wohlgelingen."
Im Reiche Gottes sind
weder Zustände noch Segnungen ein abgeschlossener Besitz oder eine ruhende
Größe. Wenn Israel vor neuer Knechtschaft bewahrt
werden soll, muß es weiter Gottes Tun und Handeln erleben. Nicht das, was man
empfangen hat, sondern das, was man dauernd von Gott empfängt, sichert eine
neue gesegnete Zukunft. Ein Gott wohlgefälliges Gelingen auf allen Gebieten des
Lebens kann es nur geben, wenn der Herr fort und fort sich in seiner Barmherzigkeit und in seinem Heil der
Volksgemeinde offenbaren kann.
Zuletzt wird
die Festgemeinde von den Priestern noch unter den allgemeinen Segen gestellt:
26. Gesegnet sei, der da kommt im
Namen des HErrn! Wir segnen euch vom Hause des HErrn aus.
So wurde die
Gemeinde im Namen des Herrn durch Priester und Leviten auf dem Zionsberge willkommen geheißen. Diese Worte klangen Jahrhunderte später im Munde derer wieder, die
Jesus bei seinem Einzuge in Jerusalem mit dem Jubel begrüßten:
,,Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des HErrn!" Der Sinn des
nächsten Satzes ist nun nicht, daß durch die
Priesterschaft die gesegnet werden, „die vom Hause des HErrn sind".
In ihrem Segensspruch drückten sie aus, daß sie vom Hause des Herrn aus die
Festgemeinde segneten. Das Heiligtum ist der Ort,
wo der Herr zeltet, von dem aus sich seine Gegenwart der Gemeinde mitteilt.
Nicht etwa die Priester vermögen
zu segnen. Sie können nur den Segen
dessen weiterleiten, der als Herr seines Volkes im Heiligtum wohnt, um die Gemeinde selbst zu segnen.
Nicht leicht ist der Sinn des folgenden Verses
wiederzugeben:
27.
Gott ist der HErr, er hat uns Licht
gegeben! Bindet das Festopfer mit Stricken, [bringt es] zu den Hörnern des Altars!
Die neueren Ausleger
übersetzen: „Der HErr ist Gott, er gab uns Licht! Bindet den Reigen mit Zweigen
bis an die Hörner des Altars!" sie nehmen an, daß während der heiligen
Festfeier vom Volke ein feierlicher Reigentanz
um den Brandopferaltar, mit Weidenzweigen und Palmen geschmückt
aufgeführt wurde. Man beruft sich darauf, daß auch unter den Arabern ähnliche
Sitten bestanden hätten. Auch wissen wir
von David, daß er, als er die Bundeslade von Kirjath=Jearim hinaufholte gen
Jerusalem, seiner Freude dadurch Ausdruck gab, daß er um die heraufziehende
Bundeslade herum tanzte (2,Sam. 6,14 f.). Also undenkbar ist es mithin nicht, daß auch die Gemeinde in ihrem
Überschwang von Freude über das neu
entstandene Heiligtum einen Reigentanz aufführte.
Näher
scheint aber immer noch die ältere Annahme zu liegen, daß es
sich hier um die Schlachtopfer handelte,
die man
an die kupfernen Ringe an
der Nordseite des Brandopferaltars anbinden sollte. Die „Hörner des Altars" waren
hervorragende Spitzen an den vier Ecken des Brandopferaltars (2.Mos. 29,12; 30,10;
3.Mos. 4,7,18,25; 8,15; 1. Kön. l, 50f.;
2,28). Die Opfer waren durch die Stricke
hinfort dem Altar, d. h. dem Gott, dem geopfert werden sollte, verhaftet. Durch die Weihe zum Brandopfer waren sie bereits dem bisherigen Leben gestorben. Die Stricke
verbanden sie schon mit dem HErrn,
dem sie geschlachtet werden sollten.. In diesem Opfer sprach die
Gemeinde symbolisch aus, wie letzthin sie
selbst ein dem HErrn geweihtes Opfer, d. h. Volk, sei. Ihr Leben
in Zukunft sei gebunden an den Altar, auf
dem die Ganzopfer dem HErrn dargebracht wurden. Nicht die heidnischen Nachbarvölker, Gott allein
hat in Zukunft
Anspruch auf die Festgemeinde, die aus
Not gerettet nun feiernd und anbetend vor ihm steht.
Wie
Paulus später in diesen Gedankengängen lebte, das beweisen seine Ausführungen im Römerbrief. Ihm ist durchs Kreuz
die Gemeinde der Welt gestorben. Was sie hinfort lebt, das lebt sie Gott.
Ergriffen von Christus ist sie gebunden an
Christus. Sie steht mit ihrem Leben in derselben Hingabe an Gott, in der
er lebt. Christi Tod ist ihr Tod der Welt gegenüber.
Christi Leben ist ihr Leben Gott gegenüber (Röm. 6,11).
Mit
dem Bekenntnis, durch welches der Psalm eröffnet wurde, schließt er auch wieder.
28. Mein Gott bist du, drum
will ich dir danken, dich, meinen Gott,
will ich erheben. 29. „Danket
dem HErrn,
denn er ist freundlich, ja, seine Gnade
währet ewiglich!"
Angesichts der großen
Erlebnisse in der Vergangenheit und der so sichtbaren Wunder des HErrn muß der
Ausklang des Dankliedes derselbe sein wie der Anfang gewesen war. Die
Grundhaltung der Gemeinde bleibt bis zum Schlusse der Einweihungsfeier Freude
und Anbetung, weil das Tun Gottes so gewaltig zu ihr gesprochen hatte und
weiter zu ihr Spricht.
Anmerkungen
') Nach Ehrlich müßte
anstatt „meine Macht" oder „meine Stärkung" eigentlich „mein
Obsiegen" gelesen werden.
1.Aus Tiefen ruf ich, HErr, zu dir,
2. Ach, HErr, höre meine Stimme.
Deine Ohren laß merken auf die Stimme meines
3. So du, HErr, willst Sünde zurechnen,
o HErr, wer könnte dann bestehen?
4. Doch bei dir ist viel Vergebung,
damit man in Furcht [dir diene],
5. Ich harre des HErrn, es hart meine Seele
ich hoffe auf sein Wort.
6. Meine Seele harrt des HErrn
mehr als die Wächter auf den morgen.
7. Mehr als Wächter auf den Morgen
harre Israel des HErrn, denn beim HErrn ist die Gnade, bei ihm ist Erlösung in Sülle.
8. Ja, Er wird Israel erlösen von allen seinen Sünden.
Der Psalm führt uns in
die babylonische Gefangenschaft. Dort lagen überall an den Kanälen, die
die große Talebene zwischen dem Euphrat und Tigris durchzogen, die größeren und
kleineren Kolonien der jüdischen Gemeinden in der Verbannung. Sie hungerten
nicht, denn die Erträge ihrer Gärten und Felder boten mehr als Nahrung und
Kleidung. Auch litten sie nicht, denn
Nebukadnezar bemühte sich, den Weggeführten in seinem Lande die Heimat zu
ersetzen. Sie sahen sich auch nicht beschränkt in ihrem Familienleben, sie konnten heiraten und Kinder erzeugen,
Häuser bauen und Kolonien schaffen. Die
unter Esra und Nehemia heim -kehrende Gemeinde war daher viel größer
und gesünder als jene, die einst in die Gefangenschaft geschleppt worden war.
Nur die Altäre
des Heiligtums
fehlten an den Wasserbächen Babels. Auch die Lobgesänge Zions schwiegen. Die
Harfen hingen an den Weiden, denn es gab keine Festgemeinde, die jubelnd und
spielend hinauf ziehen konnte zu den
heiligen Altären auf dem Tempelberge. Die
babylonische Gefangenschaft bot alles, nur
nicht das, was die Seele sättigte.
Zu reich war die Vergangenheit an Gottes Wort, an Lobgesängen, an Jubelfesten,
an Opferdarbringungen gewesen, als daß die
Gemeinde deren Sinn und deren Segnungen hätte vergessen können. Die Fremde bot
ihr alles, nur die Gemeinschaft nicht, die ihr einst durch das Lesen des Gesetzes, durch den Besuch des
Tempels, durch den Dienst der Priester Sabbat für Sabbat werden konnte. Ein Israel der Offenbarung mußte in
der Gefangenschaft der Heiden verschmachten vor Sehnsucht und Heimweh. Es kannte
eine zu reiche Vergangenheit und
Geschichte, als daß es in der Fremde hätte Ersatz für die Heimat finden können.
Hier
ist unser kleiner Wallfahrtspsalm entstanden. Es sang ihn zunächst einer, aber aus der Gesamtstimmung der
Exilgemeinde heraus. Obwohl in der
Ichform gedichtet — im Ich des Sängers verkörperte sich die ganze
Gemeinde im fremden Lande. „Aus der Seele der Edlen des Volkes in Babel",
so überschrieb man ihn in den ältesten Zeiten2). Die Kirche erhob ihn zu ihrem sechsten Bußpsalm. Auch
ihr wurde er immer wieder zum Notschrei der Seele, wenn ihre babylonische
Gefangenschaft besonders schwer und drückend war. In Katakomben und Gefängnissen klingt der
Psalm anders als in modernen
Kathedralen und amerikanischen
Tempelriesen. Dort singt das Weh, dort betet die Träne, nicht die Kunst und
nicht die Feier. Mit welchen Tiefen muß auch Luther
gerungen haben, daß er auf Grund des Psalms
den Reformationsgemeinden das Lied schenken konnte: „Aus tiefer Not Schrei ich zu dir..."
Aus Tiefen ruf ich, HErr, zu dir,
2. Ach, HErr, höre meine Stimme. Deine Ohren laß merken auf die Stimme
meines Flehens.
Die Not wurde zum Gebet. Über den
Weg nach Babel fand Israel
wieder nach Zion zurück. Siebzig Jahre Gefangenschaft ließen eine neue
Gemeinde erwachen, die zurückkehrte zu ihrem HErrn. Das war die Gnade im
Gericht. Auch darin erweist sich Gott wirklich als Gott, daß er Gericht in
Segen verwandelt, sobald er durch Gericht erreichte,
was er durch Gnade nicht mehr erreichen konnte.
Das Rufen aus der Tiefe
und das Antworten aus der Höhe leiteten in der Geschichte noch immer ein Neues
ein, ganz gleich, ob bei Israel oder bei Luther in der Klosterzelle. Hat Gott erst Rufende,
denen er antworten kann, dann beginnen
Gerichtszeiten neue Segenszeiten vorzubereiten.
Spricht hier der Text von „Tiefen", so redet das hebräische Wort
eigentlich nur von Wassertiefen. Die Sprache des Glaubens hat dem Ausdruck
jedoch einen neuen, tieferen Inhalt gegeben. Luthers Lied zeigt uns, was der
Glaube unter „Tiefen" versteht. Es sind
ihm schwerste Seelennöte oder äußerliche Kämpfe und Bedrängnisse. Auch
die babylonische Exilgemeinde litt zu
ihrer Zeit weit mehr innerlich als
äußerlich. Was das tiefste Wesen ihrer Gefangenschaft ausmachte, war
weniger eine äußerliche Bedrückung als das
Fernsein von ihrem göttlichen Bestimmungsort, als das Verworfensein aus ihrer göttlichen Berufung.
In welche innere Glaubensnöte und Zweifel mußten in der Gefangenschaft alle
kommen, denen die großen Verheißungen von des Volkes Berufung und Sendung, des Volkes Segen und Zukunft gegenwärtig und
lebendig geblieben waren. Jene Verheißungen, die Gott einst dem Abraham
gegeben, die er durch Mose ausgesprochen,
durch die Propheten verkündigt hatte.
Aus welchen Tiefen in
jenen Zeiten manche gläubige Seele rang, sagt uns vielleicht das B u ß g e b e
t Daniels (Kap. 9). In demselben
heißt es am Schluß: „Ach, HErr, um aller
deiner Gerechtigkeit willen wende ab deinen Zorn und Grimm von deiner
Stadt Jerusalem und deinem heiligen Berge. Denn um unserer Sünden willen trägt
Jerusalem und dein Volk Schmach bei allen, die um uns her sind... Neige dein Ohr, mein Gott, und höre,
denn wir liegen vor dir mit unserem Gebet, nicht auf unsere Gerechtigkeit,
sondern auf deine große Barmherzigkeit." Nicht weniger ergreifend hören
wir später den Statthalter Nehemia
beten, und zwar zur Zeit, wo er noch auf dem Schlosse Susan beim Könige
Arthahsastha war: „Wir haben an dir mißhandelt, daß wir nicht gehalten haben
die Gebote, Befehle und Rechte, die du geboten hast deinem Knecht Mose, Gedenke
aber des Wortes, das du deinem Knecht Mose gebotest und sprachst: Wenn ihr euch
versündigt, so will ich euch unter die Völker streuen. Wo ihr euch aber
bekehret zu mir und haltet meine Gebote und tut sie, und ob ihr verstoßen wäret
bis an der Himmel Ende, so will ich euch doch von da sammeln und will euch
bringen an den Ort, den ich erwählt habe,
daß mein Name daselbst wohne'" (Neh. l,7—9). Welch ein Ringen des
Glaubens spricht aus solchen Gebeten aus der Tiefe.
Solch ein Rufen
aus der
Tiefe kennt auch die Kirche
Jesu Christi So oft auch sie um ihrer
Sünde oder um ihres Abfalls willen eine
babylonische Gefangenschaft erlebte, oder so oft auch ihr wie ihrem
Haupte Christus ein neues Golgatha
bereitet wurde, vernahm man ihr Rufen: „Ach, HErr, erhöre meine Stimme, deine
Ohren laß merken
auf
die Stimme meines Flehens!" (2). Wie oft fragte in dem letzten Jahr-zehnt aus ihrer Drangsal und aus ihrem Sterben
heraus die russische Christenheit: „Hüter,
ist die Nacht bald hin? Hüter,
ist die Nacht bald hin?"
Und was ein ganzes Volk,
oder auch eine ganze Kirche an Tiefen erleben
kann, das kann auch der Einzelne persönlich erleben. Was aber die
Glaubenden aller Zeitalter in ihren äußeren Nöten oder in ihren körperlichen Leiden oder in ihren inneren
Spannungen nicht zerbrechen ließ, war
ihre Zuflucht zu Gott. Der Psalmist rang nicht als ein Verzweifelnder. Er rang als einer, der um das
göttliche Ohr wußte, das auf die Stimme eines Flehenden achtet. Das Wissen um einen Gott, der
Gebete erhört, hatte er mit in seine persönliche Not oder mit in seines
Volkes Gefangenschaft genommen. Es liegt
ein unnennbarer Segen in einer
begnadeten Vergangenheit, in der man
vertraut wurde mit Gott. Hätte der Psalmist nichts gewußt von einem Gott, der Gebete erhört,
er wäre an den Tiefen zerbrochen, aus denen heraus seine Seele rang.
Sein Wissen um Gott gab seinem innerlichen
Ringen nun die Richtung, wo er seine Hilfe finden konnte. Aus Tiefen stieg das Flehen eines Menschen
empor, das aus der Höhe von Gott
beantwortet wurde.
Menschen des Gebets
wissen um die Sünde. Im Lichte
Gottes lernen sie auch sich selbst
verstehen. Was wirklich Sünde ist, erschließt sich ihnen erst in ihrer lebendigen Beziehung zu Gott. Auch unser
Sänger bekennt:
3. So du, HErr, willst Sünde zurechnen, o HErr, wer könnte dann
bestehen?
Wer das Wissen um
persönliche Schuld und Sünde nicht kennt, bleibt am Schicksal hängen. Mit dem
Schicksal hofft er aber selbst fertig zu werden. Er verliert sich in Haß und Bitterkeit
gegen alles und gegen alle, die ihm zum Schicksal wurden. Ihnen galt hinfort
sein Kampf. Anstatt bis zur Quelle all seines Unheils, bis zur Sünde des
eigenen Lebens, vorzustoßen, begann hinfort
mit andern sein Ringen.
Das Wissen um die Sünde erniedrigt nicht. Wie oft gewannen Menschen
erst von jener Zeit an einen wirklich bleibenden Inhalt für ihr Leben, als sie
begannen, um den ganzen Ernst und die furchtbare Macht der Sünde zu wissen. Die größten Männer der Bibel, die nicht nur ihrem Volke, die Völkern und
Jahrtausenden unvergängliche Lebenswerte
gegeben haben besaßen besonders klare
Erkenntnis der Sünde. Welch ein reiches Kapitel war in den Zeugnisse
unserer Reformatoren gerade das
Kapitel über die Sünde. Sie schämten
sich ihres Wissens um die Sünde
nicht. Sandte Gott in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten seiner Kirche
Bußprediger, Evangelisten, Seelsorger mit besonderer Vollmacht und mit
besonderem Auftrag, so waren es Persönlichkeiten, die um die Macht der Sünde
wußten. Von diesem Wissen aus erschloßt sich ihnen oft ein Dienst der Liebe am Nächsten, der weit über den eines Predigers auf
der Kanzel hinausging. Ihr Zeugnis
von Christo wurde unendlich vielen der Weg zur Vergebung und damit zu
einem Neuwerdung ihres zerbrochenen Lebens.
Dies Wissen um die Sünde
hatte der Psalmist. Je nachdem man den Inhalt des ganzen Psalms deutet, kann
man auch seinem Wissen eine Deutung geben. Es gibt manche Ausleger, die nehmen
an, daß der Sänger allein von
seiner persönlichen Sünde und
Schuld sprach. Dieses Wissen wurde ihm, wie einem David nach seinem tiefen Fall (Ps. 51, 3 ff.) oder einem
Hiskia während seiner schweren Krankheit (Jes. 38, 17) zu einer
innerlichen Last, mit der er selbst nicht
fertig werden konnte. Andere hören in des Psalmisten Worten ein Bekenntnis
der Gemeinde. In den Jahren der babylonischen Gefangenschaft wären die Weggeführten erst zu einer lebendigen
Erkenntnis ihrer persönlichen Schuld und der ihrer Väter durchgedrungen. Ob
nun der Sänger von seiner rein persönlichen oder ob die Gemeinde von ihrer gemeinsamen Volksschuld spricht, das Entscheidende
bleibt, daß es für
beide ein Wissen um die Sünde
gab.
Dem schließt sich enge an das Wissen
um die Ohnmacht. Es gehört zum Wesen des Menschen, daß er zunächst
seine Schuld zu verbergen und mit Feigenblättern aller Art
zuzudecken sucht. Das taten bereits die ersten Menschen, als sie erkannten, daß
sie nackt waren. Versagen die Feigenblätter
und die Schuld bricht in ihrer Häßlichkeit und Anklage dennoch durch, dann rechtfertigt
sich der Mensch und antwortet: „Das
Weib, das du mir gabst, das gab mir von der Frucht, und ich aß." Gelingt
dieser Versuch nicht, dann ermannt er sich, sich seiner Verantwortung vor Gott
und Menschen zu entziehen. „Soll ich meines Bruders Hüter
sein?" fragte Kain, der erste Brudermörder. Das Wissen um die Sünde war
noch immer mit der tiefsten Erkenntnis
persönlicher Ohnmacht aller erwachten Schuld gegenüber verbunden. Wem
diese Erkenntnis fehlte, der griff noch immer zur Selbsterlösung. Wer sich aber
auf den Weg der Selbsterlösung aus Schuld
und Gericht begab, schuf sich nicht selten ein um so schwereres Gericht. Jeder Versuch ist jedoch mit der
erschütternden Entdeckung verbunden,
daß die Sündenfrage nie vom Menschen aus zu lösen ist.
Dieses Wissen um die
Ohnmacht hat schon Ungezählte bis an den Rand der Verzweiflung gebracht. Entweder überließen sie sich der Macht der
Sünde, oder sie warfen ihr Leben von sich. Es muß daher noch ein drittes Wissen
hinzukommen: das Wissen um die
Vergebung.
4. Doch bei dir ist
viel Vergebung, damit man in Furcht[dir diene].
Ob es nun der Sänger war
oder ob die Exilgemeinde, die unter dem Druck
vergangener und gegenwärtiger Volksschuld stand, — es gab nur eine
Lösung: „Bei dir ist viel Vergebung!" (4). Gott ist größer als jede
Schuld, seine Gnade mächtiger als jede Sünde. Hat auch Israel jedes Recht Gott
gegenüber verloren, von ihm wieder in ein ursprüngliches Bundesverhältnis aufgenommen zu werden, Gott geht
über das Recht hinweg. Er
stellt eine betende Exilgemeinde auf den Boden seiner Vergebung und führt sie
als „Begnadete" wieder in die Heimat zurück. Er greift mit seiner
Vergebung in das lasterhafte Leben eines Augustin ein und begnadet ihn zu einem
der gesegnetsten Zeugen der vorreformatorischen
Kirche. Nie hätten Luthers Reden innerhalb des deutschen Volkes je so
gezündet, wenn ihr Inhalt nicht immer wieder bestimmt
worden wäre von dem Wissen
um die Vergebung.
Und
all diese Zeugen wußten um die Vergebung, weil sie um Gott wußten
und um seine Offenbarung in der Person Jesu Christi. In Jesu Dienst und Leiden,
in ihm als Propheten und Opferlamm
erschloß sich den neutestamentlichen Zeugen bis heute immer neu, was Vergebung ist. Sie bejahten diese Vergebung
der Barmherzigkeit Gottes, die im
Sohne zu ihnen kam. Und so viele es wagten, mit ihnen im Glauben
dasselbe zu tun, die wußten hinfort von einer Gewißheit der Vergebung ihrer
Sünden. Mit Paulus sind sie hinfort Zeugen jener frohen Botschaft: „In seiner
Liebe hat er uns durch Jesus Christus vor-herbestimmt
zur Sohnschaft, und zwar entsprechend seinem freien Willens-entschluß,
zum Preis der Herrlichkeit seiner Gnade, mit der er uns in seinem Geliebten
(=Sohn) begnadet hat. In ihm besitzen wir nun die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden entsprechend seiner überreichten
Gnade" (Eph-1,5-8).
Aus der Vergebung, wird
die Erwartung geboren. Diese Erwartung ist auf eine Gabe, ein Handeln oder eine Erlösung gerichtet, die nur
von Gott
her kommen kann. Dem
gibt der Sänger einen glaubensvollen Ausdruck, wenn er sagt:
5. Ich harre des HErrn, es harrt meine Seele, ich hoffe auf sein Wort.
6. Meine Seele harrt des HErrn
mehr als die Wächter auf den Morgen.
Worauf
der Sänger persönlich wartete und um welcher Dinge willen er des HErrn harrte, mehr als die Wächter auf den
Morgen, hat er uns nicht verraten. Dem
Glauben jedes Beters bleibt es frei, von seinen Tiefen
aus diesem
Harren den persönlichen Inhalt zu geben.
Bekannter
ist uns das Harren der in der Gefangenschaft. Wie wartete man an Babels Wasserbächen auf die große Stunde im
Völkerleben, die dem Volke Erlösung und Heimkehr bringen würde. Wie viele waren in ihrem Harren müde geworden und
sprachen in ihrem Zagen: „Mein Weg ist dem HErrn verborgen und mein Recht geht
an meinem Gott vorüber" (Jes. 40,27). Aus welchen Tiefen hatte die Gemeinde, als
sie erst wieder im Heimatlande war, zu
rufen.
Auch
die heimgekehrte Gemeinde kam nicht aus ihrem Harren und Warten heraus. Sie blieb
zunächst eine Gemeinde, die ungeheuer viel Widerstände zu überwinden und ein
völlig Neues auf den Trümmern vergangener Gerichte aufzubauen hatte. Wie hatte sie beim
Wiederaufbau der
Mauern Jerusalems mit dem schwersten Spott und Widerstand der Feinde zu ringen. Die Heilige Schrift
überliefert aus jenen Tagen; „Da aber Saneballat und Tobia und Araber und
Ammoniter und Asdoditer hörten, daß die
Mauern zu Jerusalem zugemacht wurden und daß sie die Lücken angefangen hatten zu Schließen, wurden sie sehr Zornig und machten allesamt einen Bund zuhaufen,
daß sie kämen und stritten wider Jerusalem und richteten darin Verwirrungen an.
Wir aber beteten zum HErrn, unserm
Gott" (Neh.4, l—3). Denn die Gemeinde wußte sich an einem heiligen Werke
für heilige
Ziele. Sie ließ sich daher in ihrem Hoffen und Warten nicht entmutigen. Und wollte sie im Aufbau ihrer Heimat und des
Heiligtums müde und Schwach werden,
dann mußte der Prophet Haggai ihr in der Vollmacht seines Herrn zurufen; „Und nun, Serubabel, sei getrost,
spricht der HErr; sei getrost, Josua, du Sohn Jozadaks, du Hohepriester!
Sei getrost alles Volk im Lande! spricht
der HErr der Heerscharen. Nach dem Wort, da ich mit euch einen Bund machte, da ihr aus Ägypten zoget, soll mein Geist unter euch bleiben. Fürchtet euch
nicht!" (Hag. 2,4f.).
Solch
ein Harren und Warten ergibt sich für den Glauben mithin von Fall zu Fall aus
Gottes jeweiligem Verhalten zur augenblicklichen Lage der Betenden. Ist für Gott die Stunde seiner Hilfe
noch nicht gekommen, um die erbetene Verheißung zu erfüllen, Gram und Not zu
lindern, die Drohungen der Feinde zum Schweigen zu bringen, dann weiß sich der
Glaube in die Stellung des Wartens versetzt. Das
Recht zu seinem Warten gibt
ihm das Wort. Der HErr
steht zu seinem Wort und der im Wort gegebenen Verheißung: „Nach dem Wort, da
ich mit euch einen Bund machte, da ihr aus Ägypten zoget, soll mein
Geist unter euch bleiben", sprach einst der HErr durch seinen Propheten.
So sehen sich die Harrenden während der Zeit ihres Wartens begnadet, „zu laufen
und nicht matt zu werden, zu wandeln und nicht müde zu werden" (vgl. Jes.
40,31). Ein Geheimnis, das erlebt, nicht aber in den einzelnen Formen seines Wirkens beschrieben werden kann.
Zu welcher Höhe und
Spannung das Harren sich in den Glaubenden steigern kann, deutet der Sänger mit
den Worten an: „Mehr als die Wächter auf den Morgen" (6). Der Wächter hat
auf der Mauer der Stadt gewacht, seine Kraft ist fast erschöpft, müde schaut er
nach dem ersten Morgengrauen von seinem Wachtposten aus. Auch Israel nahm als
Gemeinde in seinem schweren Ringen, in seinen großen Aufgaben solch ein Warten
ein. Es wartete sehnsüchtig in seinen geschichtlichen Nächten auf den Anbruch
des Morgens, auf das Licht eines neuen Tages.
7. Mehr als Wächter auf den Morgen harre Israel des HErrn, denn beim HErrn ist die Gnade, bei ihm ist
Erlösung in Fülle.
Diese Glaubensgewißheit
verdankte die Gemeinde der Geschichte ihrer Väter. Deren
Leben hatte Zeugnis davon abgelegt, welch eine Fülle von Gnade und Erlösung bei
dem HErrn ist, der einst beim Bundesschluß am Sinai durch Mose versprochen
hatte: „Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern getan habe, und wie ich euch
getragen habe auf Adlerflügeln, und habe euch bis zu mir gebracht. Werdet ihr
nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum
sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein" (2.Mos. 19, 4 f.).
Wie war die große Vergangenheit des Volkes von Mose bis Josua von Samuel
bis David, von Salomo bis Josia dem letzten königlichen Reformator, eine
Geschichte der Gnade und eine Fülle von Erlösung gewesen! Sie redete jetzt in
den Tagen schwersten Ringens um ein Neues, beim Aufbau einer neuen Zukunft
besonders stark und glauben-stärkend zur
Gemeinde.
Seitdem es nun in der Geschichte eine Kirche Christi gibt,
die Golgatha und die Auferstehung,
eine Gottesoffenbarung im Gekreuzigten und Auferstandenen kennt, hat das Wort:
„Denn es ist beim HErrn die Gnade, in Fülle ist bei ihm Erlösung" einen
noch viel tieferen, einen weltumspannenden,
Völker erlösenden Inhalt erhalten. Mit Paulus bezeugt sie vor aller
Welt: „Denn es gefiel Gott, daß die ganze Fülle in ihm (Christus) wohne, und
daß er durch ihn alles mit sich versöhne, alles auf Erden und alles im Himmel,
indem er durch sein Blut am Kreuze Frieden stiftete" (Kol. l, 19 f.).Diese
Gottesfülle in Christo war der Kirche
gegenwärtig in ihrer reichen, bewegten Geschichte. In ihr lagen die
Quellen ihrer Kraft. Aus ihr schöpften ihre unzähligen Glieder entsprechend
ihren Bedürfnissen Gnade um Gnade. In dieser Gottesfülle ist ihr auch trotz
ihrer Armut und Schwachheit, trotz aller Feindschaft und Gefahren die verheißene, zukünftige Vollendung
verbürgt.
8. Ja, Er wird Israel erlösen von
allen seinen Sünden.
Mit dieser
Glaubensgewißheit schließt der Sänger sein Lied von Gott, auf den er das Harren
seiner Seele eingestellt hatte. Sein Zustand des Wartens war bisher in der Reichsgottesgeschichte ein lebendiges Zeugnis
von der inneren Stärke aller, deren Glaube in
Gott zur Ruhe gekommen ist. Gott enttäuscht
nicht. Menschen, die Gottes Können und Handeln, Gottes Gnade und Ziele
zum Inhalt und zur Grundlage ihres Vertrauens machen, werden nicht enttäuscht.
Läßt Gott sie auch warten wie eine Maria und Martha, weil seine Stunde noch
nicht gekommen, hernach offenbart er ihnen
seine Herrlichkeit um so stärker, je hoffnungsloser und dunkler ihr Weg
oder ihre Lage wurde. Daher wissen Menschen des Glaubens von einer Erhörung,
die weit über alles Begreifen und Verstehen
geht.
Anmerkungen zu Psalm 130
1) Zu der Überschrift
„Walfahrtlied" vergleiche die ausführliche Anmerkung zu Psalm 121 in der
ersten Sammlung ,,Ausgewählte Psalmen".
') Das Wort wird immer
nur von Wassertiefen gebraucht, die hier wie Psalm 69,3.15 ein Bild für die
höchste innere und äußere Not sind. Nach
Fr. Baethgen, Die Psalmen.
Seite 127
Überschrift: Von David
1.Dich
will ich preisen von ganzem Herzen, vor den Göttern will ich dir lobsingen,
2.
[gewendet] zum heiligen Tempel, will ich dich anbeten, deinen Namen preisen ob
deiner Huld und Treue. Denn groß hast gemacht du dein Verheißungswort über all
deinen Namen hinaus.
3.
Am selben Tage, da ich rief, hast du mich erhört und neue Kraft meiner
Seele gegeben.
4.
Es sollen dich preisen, HErr, die Könige der Erde, wenn sie die Worte deines
Mundes gehört haben.
5.
Singen sollen sie von den Wegen des HErrn,
denn
überaus groß ist die Herrlichkeit des HErrn.
6.
Ja, erhaben ist der HErr; dennoch sieht er den Niedrigen an, und den Hohen [ =
Stolzen] erkennt er von ferne.
7.
Wenn ich auch wandle mitten in Drangsal,
du
[HErr] wirst mich dennoch erhalten,
du
reckest deine Hand aus wider den Zorn meiner Feinde, du hilfst mir durch deine
[starke] Rechte.
8.
Der HErr, Er wird's für mich vollenden,
denn
ewiglich währet, o HErr, deine Gnade;
gib
nicht auf das Wert deiner Hände!
Solche
Huldigungspsalmen sind Schöpfungen einer Seele, die Gott gesehen. Sie hat ihn gesehen in seinem
großen Walten, ihn erlebt in seiner vergebenden Gnade, seine Hilfe erfahren in Drangsal
und Ängsten, seinen Sieg bewundert über Feinde und Widersacher. In Gottes
Walten sah sie Gottes unfaßbare Majestät, in Gottes Vergebung sein ewiges
Erbarmen, in Gottes Taten bewunderte sie Gottes Herrlichkeit. Dieses Erleben
schuf in ihr ein Lied von
Gott. Ein solches singt auch der
Glaube unseres Sängers. Denn nur auf der Grundlage des Glaubens konnte sich ihm
solch eine Erkenntnis Gottes und solch eine Zuversicht des Herzens erschließen.
Wahrscheinlich
spricht durch diesen Psalm aber nicht nur das einzelne Glied, sondern der Glaube der ganzen
heimgekehrten Exil-gemeinde.
Von David, wie die Überschrift sagt1),
kann er nicht ge-sungen sein, aber „vielleicht darf man sagen, daß der
Psalm aus der Seele Davids gedichtet
ist". Der Tempel, von dem der Psalm spricht, entstand erst unter seinem Sohne Salomo. Es wird
daher angenommen, daß es sich um den
zweiten Tempel in der Zeit des Statthalters Nehemia handle. Die griechische Übersetzung hat ihn dem
Propheten Haggai oder Sacharja1)
zugeschrieben. Inhaltlich decken sich des Sängers Glaubens-erwartungen im Blick auf die Könige der Nationen
besonders stark mit der messianischen
Schau des jüngeren Jesaja. Schon von den alten Kirchen-vätern wurde der Psalm als ein Lobgesang
auf Gottes Siegesmacht gedeutet. Vor dieser mußten einst alle
Feinde weichen, die das Werk der
heimgekehrten Gemeinde in Jerusalem hemmen und verhindern wollten. Vom Standpunkt des Glaubens und der
messianischen Erwartung aus hat er auch
der Kirche Großes und Unvergängliches zu sagen.
Wir
wären dankbar, wenn
wir wüßten, welche Taten Gottes es waren, von denen der Psalmist so tief ergriffen worden war, daß er zum Singen
dieses Anbetungspsalms begnadet wurde. Wir
müssen uns jedoch auf die allgemeine Vermutung beschränken, daß vor seiner
Seele offenbar jene großen
Geschichtsereignisse standen, die zur Heimkehr
aus der babylonischen Gefangenschaft geführt hatten. Daß hinter
allem politischen Geschehen, die solch eine Wendung herbeiführen konnte, Gott in seinem heiligen und gerechten
Walten stehen müsse, stand ihm und
allen Gläubigen innerhalb der heimgekehrten Gemeinde fest. Das ist das Große an Menschen des Glaubens, daß sie
Augen gewinnen, die Gott hinter
allem zeitlichen und politischen Geschehen sehen lernen.
Ihnen hört auf, die Geschichte eine planlose
Kette von Zufälligkeiten zu sein. Zu
ihm, dem Herrn, der so stark in den Gang der Geschichte eingegriffen hatte, daß
der Weg zur Heimkehr seines Volkes frei
werden mußte, erhebt nun der Sänger anbetend seine Seele.
1.
Dich will ich preisen von ganzem Herzen,
vor
den Göttern will ich dir lobsingen,
2.
[gewendet] zum heiligen Tempel, will ich dich anbeten, deinen Namen preisen ob
deiner Huld und Treue.
Es fehlt in dieser
Erhebung zunächst die Anrede an den Namen „HErr", vor dem sich der
Psalmist im heiligen Tempel huldigend niederwirft. Es gibt daher Forscher, die
in dem Worte Götter nicht die verschiedenen Nationalgötter der anderen
heidnischen Völker sehen, sondern Gott selbst in seinem Tempel. Sie übersetzen
daher;
„ Ich preise dich vom ganzem Herzen, im Hause
Gottes lobsinge ich dir."
Sie
sehen sich aber genötigt, das hier gebrauchte hebräische Wort für „Gott" (=Elohim) mit dem unpersönlichen
Begriff „Haus Gottes" wiederzugeben.
Der Zusammenhang und der Inhalt des Psalms läßt aber erkennen, daß es
dem Sänger darum zu tun war, vor den angeblichen Göttern der anderen Völker des
HErrn Namen zu preisen und groß zu machen.
Hatte es doch während des Zusammenbruchs Nord=Israels im Jahre 721 und
Judas Untergang im Jahre 587 den Eindruck erwecken müssen, als ob die
Gottheit Assyriens und die Gottheit
Babels weit größer und mächtiger
gewesen wären als
der lebendige Gott
Israels. Assur hatte über Samaria und Nordisrael, Babel über Jerusalem
und Juda triumphiert. Jetzt hat sich aber der alleinige und lebendige Gott
wieder in seiner Souveränen Macht und Majestät offenbart und seinem Volke vor
den Augen der ganzen Welt geholfen und ihm
den Weg in die Heimat gebahnt.
Bei
dem Weltbild, das man in jenen Zeiten auch bis in die frömmsten Kreise hinein in Israel=Juda
hatte war es psychologisch verständlich, wie unnennbar man innerlich beim Zusammenbruch der
großen und glanzvollen Geschichte und Vergangenheit seines Volkes gelitten hatte. Weit mehr noch als daß die Heimat an
Feindesmächte ausgeliefert worden war und von denselben zertreten wurde, war das
Unverständliche und Furchtbare, daß auch der Tempel
als Wohnstätte des lebendigen
Gottes und die heiligen Tempelgeräte
von Frevlerhänden Zerstört und entweiht
werden konnten. Hatte doch Nebukadnezar bei der Eroberung Jerusalems es sogar
gewagt, die heiligen Geräte nach Babel zu schleppen und sie daselbst in
Sinear in den Tempel der höchsten Gottheit
der Babylonier zu stellen. Nun schien die Furcht und Ehrfurcht vor dem Namen
Gottes unter den Völkern für immer verloren zu sein. Seit dem Auszuge
aus Ägypten, seit der Glanzzeit der großen Könige
Israels, seit der wunderbaren Errettung Jerusalems von den Besatzungstruppen Sanheribs im Jahre 701 hatten die
Nationen immer noch eine geheime Scheu und Furcht vor der gewaltigen
Macht des Gottes Israels gehabt. Mit dem
Siege Nebukadnezars über Juda, Jerusalem und Tempel war aber vor aller Welt
offenbar geworden, Israels Gott ist doch
nicht der mächtigste und größte innerhalb der
Götterwelt der anderen Völker. Angesichts
dieser großen Ereignisse stand Israels
Glaube an den alleinigen Gott, an das Wort seiner Verheißung in Gefahr 'zu zerbrechen. Der lebendige Gott schien
mit dem Anbruch der großen Gerichte
über Heiligtum, Königsstadt und Heimat untergegangen zu sein. Wie hatte eine nationale und fromme
Gruppe in der Gefangenschaft von Jahr zu Jahr gewartet, daß Israels Gott
sich an der Großmacht Babel rächen und
seinen Gesalbten, den gefangenen König Jojachin,
und die heiligen Tempelgeräte im Triumph wieder zurück nach Jerusalem führen werde.
Diese
seelischen Vorgänge und Kämpfe muß man sich vergegenwärtigen, um die
Freude zu verstehen, die man
unter den Gefangenen empfand, als
Gott zu seiner Stunde wieder
eingriff
in die
große Weltgeschichte. Babel wurde unsicher, sah sich in Auseinandersetzungen mit anderen Weltvölkern
verwickelt, seine Macht Zerbrach und
Medo=Persien trat in Sicht. Diese Geschichtsereignisse brachten für die
israelitisch=jüdischen Gemeinden im Exil eine völlig neue Wendung. Nicht nur brach für sie die Heimkehr an,
nein, ihr Glaube sah,
wie Gott
in seiner Wirklichkeit und Souveränität
durch das gewaltige Geschehen innerhalb der
Geschichte gerechtfertigt wurde.
Diese
großen Geschichtsereignisse gehörten der jüngsten Vergangenheit an. Die Mauern Jerusalems waren bereits entstanden,
der Tempel war wieder erbaut worden. Sabbat
für Sabbat und an den großen Festtagen sah der Psalmist wieder eine anbetende Gemeinde durch die Tore zum Tempelplatz ziehen. Ob es nun der einzelne Sänger
oder ob es die ganze Gemeinde war, die
Freude über solches Tun Gottes
wurde zur Kraft der Anbetung:
2b. Denn groß hast gemacht
du dein Verheißungswort über all deinen Namen hinaus.
Nun wußte man wieder: unser Gott
ist ein Gott, der Gebete erhört.
Sein Arm ist stärker als die Not der einzelnen, er ist stärker als der Arm der
Feinde. Er legt Weltmächte in den Staub und führt Entrechtete und Gefangene in
ihr Erbteil zurück. Er neigt sein Ohr zum Flehen der Müdegewordenen und
der Entmutigten:
3.
Am selben Tage, da ich rief, hast du mich erhört und neue Kraft meiner Seele
gegeben.
Wie wenig aber ein von
Gott gewirkter Glaube solch eine Rechtfertigung Gottes durch die
Geschichtsereignisse und solch eine Rettung des Volkes aus siebzigjähriger
Schmach und Gefangenschaft völkisch oder national
ausbeutete, das bezeugt der weitere Inhalt des Psalms, der nun von
Die Sprache des
Glaubens ist kühn, aber nie übermütig.
Sie verrät innere Vollmacht, aber nicht etwa vom völkischen Selbstbewußtsein,
sondern allein von der Erkenntnis her: Gott ist der Schöpfer Himmels und der
Erde und der Souveräne Herr innerhalb der Völkerwelt
4.
Es sollen dich preisen, HErr, die Könige der Erde, wenn sie die Worte deines
Mundes gehört haben.
5.
Singen sollen sie von den Wegen des HErrn, denn überaus groß ist die
Herrlichkeit des HErrn.
Von Gott her gewinnt
der Mensch innere Haltung auch Königen und
Autoritäten gegenüber. Das war im Morgenlande
in jener Zeit nicht etwas Selbstverständliches. Da verlor man sich in Verbeugungen und Schmeicheleien den Stärkeren und
Herrschenden gegenüber. Zwar macht der Glaube, der in Gottes
Souveränität und Walten zur Ruhe gekommen,
Menschen nicht unehrerbietig oder rücksichtslos Vorgesetzten gegenüber. Seine Botschaft fordert aber auch die
Autoritäten der Völker in die göttlichen Schranken. Nein, seine
prophetische Erwartung geht weit darüber hinaus; Könige sollen in ihren Psalmen
dem HErrn
Singen! Sie haben in dem Gang der Geschichte, im Aufblühen und Zusammenbrechen
der Weltvölker, im Gericht über Israel und in der Wiederbegnadigung der Gefangenen Zions die Worte
seines Mundes vernommen, „Der HErr
ist in seinem heiligen Tempel, es schweige vor ihm die ganze Welt!" ruft
der Prophet Habakuk den Völkern und ihren Autoritäten zu (Hab. 2, 20).
In solch einer Hingabe an
den König der Könige und Herrn der Erde
wird Heil für alle
Fürsten, Könige und ihre Völker liegen. Wie stark der
Glaube auf solch eine
Haltung und Erwartung eingestellt ist, zeigt jede
prophetische
Heilsschau innerhalb der Heiligen Schrift. Jesu
Zentralbotschaft
war die Ankündigung der angebrochenen Königsherrschaft Gottes. Von ihr aus ergibt sich jedes weitere Heil für
einzelne und Völker. Das letzte Buch unserer Bibel erwartet sogar, daß
noch einmal eine Zukunft kommen wird, wo die Nationen im Lichte Gottes wandeln
und wo deren Könige ihre Herrlichkeit in die
Stadt Gottes bringen werden (Off. 21, ff.).
Schon
unser Sänger fordert die Könige seiner Tage auf, daß sie singen
und auf des HErrn Wegen
wandeln sollen. Auch ihr Herrschen und
Dienen soll
sich eingliedern in das Walten
Gottes: Gottes Wege sollen
ihre Wege, Gottes Ziele ihre
Ziele werden. Und der Psalmist
begründet seine Aufforderung damit, daß überaus groß die Herrlichkeit und Ehre
des HErrn sei. Ein Eingehen auf sie wird Leben und Heil auch den Völkern
bringen. Eine Auflehnung gegen sie jedoch muß zum Zusammenbruch auch der
größten Herrlichkeiten der Erde führen. Ohne vielleicht es persönlich zu ahnen,
hat damit der Psalmist ein prophetisches
Wort ausgesprochen, das von völker= und weltumspannender Bedeutung ist. Wie haben die großen
Geschichtsereignisse solch ein schlichtes Psalm= und Prophetenwort von
Jahrhundert zu Jahrhundert, von Jahrtaufend zu Jahrtausend gerechtfertigt.
6.
Ja, erhaben ist der HErr;
dennoch
sieht er den niedrigen an,
und
den Hohen [= Stolzen] erkennt er von ferne.
In dem Wort „erhaben"
drückt sich die ganze Majestät Gottes aus. Weder
im Weltgeschehen noch im Völkerleben gibt es etwas Erhabeneres, dem Gott
in seinem
Königs= und Herrsein machtlos gegenüberstünde.
In dieser seiner Machtstellung vergißt er aber nicht die Niedrigen. Er wohnt bei den Gebeugten. Er
zerbricht nicht das geknickte Rohr. Er gibt den Müden neue Kraft. Er
antwortet denen, die aus ihren Tiefen rufen,
aus ihren Nöten zu ihm ihre Zuflucht nehmen.
Die Stolzen kennt er in
ihrem Reden und Tun bereits von ferne. „Wer stolz einhergeht, den kann er
demütigen", bekennt Nebukadnezar nach
seiner Genesung aus seelischer Umnachtung (Dan. 4, 34). Er kennt die Hohen und Frevelnden von ferne und schreibt
in Flammenzeichen über deren Leben: „Mene,
mene, tekel=upharsin", d. h. gewogen, gewogen, gezählt und zerteilt (Dan.5, 25ff.). Es war in der
Geschichte noch immer etwas Erschütterndes,
wenn Belsazarnaturen bewußt gegen
die Erhabenheit und
Majestät Gottes zu freveln
begannen (Dan.5, 2ff.). Dann redeten
alsbald die Gerichte, da die Gnade vergeblich geredet hatte. So groß Gottes
Barmherzigkeit und Langmut auch gegen alle
Irrenden und Schwachen sind, unerbittlich wird Gottes Gerechtigkeit gegen alle Frevelnden. Auch darin erweist
sich Gott wirklich als Gott, daß er Bestehendes, das zur vollendeten
Bosheit ausreifte, rettungslos untergehen
läßt, um mit der Zukunft ein Neues beginnen
zu können. Er hat nie um einer untergehenden Gegenwart willen auch die Zukunft untergehen lassen.
Verständlich, daß der Sänger von solch einer weltweiten Schau aus nun im
Blick auf sich persönlich und seinen
Lebensweg zu der Gewißheit kommt:
7.
Wenn ich auch wandle mitten in Drangsal, du [HErr] wirst mich dennoch erhalten,
du reckest deine Hand aus wider den Zorn meiner Feinde, du hilfst mir durch
deine [starke] Rechte.
Wird
Gott mit der Weltgeschichte und den Völkern fertig, läßt er sich von keinen Autoritäten
hineinpfuschen in seine Weltregierung, nicht ver-rücken seine heiligen Pläne
und Ziele, wie sollte er nicht mit dem kleinen Leben und den Fragen eines Glaubenden fertig werden, der sich ihm
unterstellt hat, ihm vertraut. Der Psalmist weiß, daß zwar auch sein Weg durch Nöte und Drangsale führen
kann. Wie oft ergab sich für Glaubende
gerade auf Grund ihrer Ehrfurcht vor Gott und ihres Zeug-nisses von Gott ein
Weg mit vielen Spannungen und Leiden. Steht aber ihr Weg in Gottes Hand, erfüllen sie eine Aufgabe von Gott her, dann wacht
Gott über ihnen. An Gott muß alles vorbei, bevor es an seine Kinder kommt. Kein Feind vermag sie zu einem
Spielball seines Zorns zu machen. Erfolgt die
Hilfe durch Gottes starke Rechte -Rechte = rechter Arm ist im alttestamentlichen
Sprachgebrauch das Sinnbild der Stärke — nicht immer äußerlich, dann
aber innerlich. Welch eine göttliche Durchkreuzung
aller Anschläge des Feindes,
wenn unter Gottes segnender Hand
ein Weg der Drangsale
weit mehr Gewinn enthält als
Verlust.
Auch
die Kirche Christi hat nie verloren, wenn sie wegen ihrer Glaubenshaltung Gott gegenüber zu leiden
hatte. Eine leidende
Kirche war in jedem Zeitalter
weit mehr eine Siegende als
untergehende Kirche. Das Geheimnis lag
nicht etwa in ihr. Es lag in dem Unsichtbaren,
der mit hinabstieg in ihren Feuerofen, den Feindeshand ihr bereitete. Wo immer Feindschaft gegen Gott in die
Rechte Gottes griff, da erlebte sie, daß sie von einer Macht gepackt wurde, mit
der sie nicht mehr fertig werden
konnte. Wer je frevelnd
nach der Hand Gottes griff,
der holte sich blutende Finger.
Denn der HErr steht zu den Heiligen, die trotz ihrer Ohnmacht dennoch
stark sind in ihrem Vertrauen zu
ihm.
Denn
welch eine Glaubensgewißheit spricht der Sänger aus, wenn er seinen Psalm mit der Erwartung
Schließt:
8.
Der HErr, Er wird's für mich wollenden, denn ewiglich währet, o HErr, deine
Gnade; gib nicht auf das Werk deiner Händel
Es ist, als ob wir aus den
Worten bereits die Glaubenssprache eines Apostels Paulus am Schluß von Römer 8 heraushören
könnten: „Ist
Gott für uns, wer mag
wider uns sein? Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschont, sondern
hat ihn für uns alle dahingegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht alles
Schenken?"
Wie verwandt
kann doch zu allen Zeiten jene Glaubensgewißheit
sein, die in Gottes Huld und
Wort fundiert ist, mögen
auch Jahrhunderte oder Jahrtausende
zwischen ihren Trägern liegen.
Ein unbekannter Sänger aus der Zeit nach der
babylonischen Gefangenschaft, ein Paulus als Völkerapostel nach der
Auferstehung Jesu, Luther als Reformator einer deutschen Nation — ihre Glaubenshaltung und Glaubensgewißheit
fließen aus ein und derselben Quelle, haben ein und denselben Inhalt,
sind von ein und derselben Stärke. Es ist
nicht frommes Selbstvertrauen, das so sprechen läßt, das Vertrauen gilt
der Autorität eines andern: „Der HErr, Er wird's für mich vollenden!" Es
sind auch nicht zeitliche, fragliche
Stützen, auf die man baut: „Ewiglich, HErr, währt deine Huld!" Noch
weniger weiß man sich in der Hand
schwankender Menschen. Gottes Offenbarungswerk und Offenbarungstaten
sind nicht abhängig von menschlicher Stimmung und vorübergehender Begeisterung:
„Du gibst nicht auf das Werk deiner Hände!"
Ob nun der Glaube solch eine Gewißheit im Blick auf den einzelnen oder im Blick auf das gesamte Gotteswerk in
der Völkerwelt bezeugt, seine Kraft ruht in Gott und in dessen Wirken
und Walten. Von Gott aus gesehen gewinnt er
eine Zukunft, die einmal Gottes und seines Sohnes Jesu Christi werden muß.
Anmerkungen zu Psalm 138
1)In der LXX, der griechischen Übersetzung des
hebräischen Textes, wir der Psalm nicht nur David, sondern auch den Propheten
Haggai und Sacharja zugeschrieben. Ludwig Albrecht, Die Psalmen S. 242
Überschrift: Dem
Musikmeister, von David ein Psalm
1.HErr,
du erforschest und erkennest mich,
2.du
weißt um mein Sitzen und Stehen, was ich
denke, verstehst du von ferne.
3. Mein Wandern
und mein Ruhen ermissest du, vertraut bist du mit all meinen Wegen.
4. Bevor noch ein Wort
meine Zunge spricht,
sieh',
HErr, du kennst es im voraus genau.
5. Von rückwärts und von vorwärts
umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.
6.
Zu wunderbar ist mir solches Wissen, zu hoch, als daß ich es könnte begreifen.
7.
Wohin könnt' ich entweichen vor deinem Geist, wohin fliehen vor deinem
Angesicht?
8.
Stieg` hinauf ich zum Himmel: du wärest daselbst, und bettete ich
mich in der Tortenwelt: auch da wärest du!
9.
Nähme ich Flügel der Morgenröte
und
ließe ich mich nieder am Ende des Meeres,
10.
auch dort würde deine Hand mich führen,
deine Rechte [auch dort] mich fassen.
11. Wenn ich auch
spräch': „Nur Finsternis soll mich bedecken und Nacht sei das Licht um mich her
— "
12.
so wäre auch die Finsternis nicht finster für dich, die Nacht würde leuchten so
wie der Tag, für dich wäre Finsternis ganz wie das Licht.
l3.
Denn du bist's, der mein Innerstes gebildet, mich gewoben hat im Schoße meiner
Mutter.
14.
Ich danke dir, daß ich wunderbar erschaffen bin, wunderbar sind alle deine
Werke. Das erkennet meine Seele gar wohl.
15. Dir war mein Gebein nicht verborgen,
als
ich im Dunkeln bereitet wurde,
geheimnisvoll
gebildet in den Tiefen der Erde.
16.
Den Anfang meiner Tage sahen deine Augen,
und
in dein Buch wurden alle geschrieben,
bevor
auch nur einer von ihnen da war.
17.
Doch mir, wie schwer sind mir deine Gedanken, o Gott, wie ist ihrer eine so
große Zahl! "
18.
Wollte ich sie zählen: es wären ihrer mehr als der Sand. Erwache ich, so ist
mein Sinn noch bei dir.
19.
Ach, möchtest du, Gott, die Frevler doch töten die Blutmenschen von mir weichen
lassen.
20. Sie, die so heuchlerisch von dir reden,
in Falschheit sich wider dich erheben!
21. Sollt' ich
nicht hassen, o HErr, die dich hassen? Nicht verabscheuen, die deine
Widersacher sind?
22. Ich hasse sie mit gar tödlichem Haß,
als [eigene] Feinde, HErr, gelten sie mir.
25.
Erforsche mich, Gott, und erkenne
mein Herz, prüfe mich und
erkenne meine Gedanken,
24.
und sieh', ob ich wandle auf trugvollem Pfad, und leite mich auf ewigem Wege.
Der Psalm ist von seltener
Stärke und innerer Wucht. Er gehört zu den in jeder Hinficht originellen und
einzigartigen Liedern des Psalters. Auf Grund allmählich gewonnener Gottesschau
erfolgt ein Bekenntnis, das seitdem zu
einem der schönsten Glaubenszeugnisse von der Allgegenwart,
Allwissenheit und Schöpferherrlichkeit Gottes geworden ist. Nicht spekulatives Denken über Gott, nein,
ehrfurchtsvolles sich versenken in Gott hatten den Sänger
von Tiefe zu Tiefe und von
Klarheit zu Klarheft geführt. Je
mehr seine Kenntnis aber auch Fortschritt, um so größer und unbegreiflicher
wurde ihm Gott. Überwältigt von der Größe des einen weltumfassenden und alles
durchdringenden Gottes erhebt er sich zu tiefster Ehrfurcht und zu einer Anbetung im Geist und in der Wahrheit.
Durch
die Überschrift wird auch dieser Psalm wieder dem Könige David zugeschrieben.
Dem Inhalt nach gehört er aber einer viel Späteren Zeit an. Seine geistliche Höhenlage setzt eine Erkenntnis
Gottes voraus, wie sie dem Volke erst durch
die großen Propheten gegeben werden konnte. Kaum in einem anderen Wort
des Alten Testaments wird in dieser Klarheit, so tief und umfassend von dem Wissen und Allgegenwärtigsein sowie von dem Können
Gottes gesprochen wie in diesem Psalm. Inhaltlich steht er daher dem Gebet der Apostel in Jerusalem ganz nahe, die
sich versammelt hatten, um anstelle des Judas Jschariot einen neuen
Apostel zu wählen. Sie baten: „Du, HErr, der du der Kenner aller Herzen bist,
zeige uns den einen an, den du dir von diesen beiden erwählt hast"
(Apgsch. 1,24). Wie dankbar wären wir, wenn wir nun genauer wüßten, welche
Erlebnisse und Verhältnisse Gott im Leben
des Psalmisten benutzte, um ihn zu solch einer Tiefe und Klarheit der
Erkenntnis zu führen.
Denn nicht errungen,
auch nicht ersonnen hatte er sich diese Gottesschau. Auch der
innerlichste Mensch vermag Gott nur insoweit zu erkennen, als Gott in seiner Gnade sich zuvor
offenbaren konnte.
Es sind eigentlich vier
große Wesenszüge im Bilde Gottes, die den Verfasser so tief ergriffen haben: Gottes Allwissenheit,
All-gegenwart,
Allmacht und Allweisheit. Was er über sie in tiefster Ehrfurcht zu sagen hat,
ist auch im Erkenntnisleben der Kirche
Jesu Christi noch nicht veraltet. Sie hat
nur durch Jesus Christi noch ein tieferes
Verständnis für das Zeugnis des Psalmisten aus den vergangenen Jahrtausenden
gewonnen.
Gott ist dem Verfasser
nicht etwa nur Gegenstand oder Person einer objektiven Betrachtung. Er steht nicht etwa sinnend und forschend vor Gott wie
angenommen ein Deutscher vor der Größe eines Cäsar oder eines Napoleon stehen
kann, Gott steht zu ihm in einem
ganz persönlichen Verhältnis.
Was ihm an Erkenntnis Gottes aufgegangen,
ist ihm nicht etwa nur ein objektiver Erkenntnisbesitz. Die Erkenntnis
bestimmt sein Leben, gibt demselben einen
entsprechenden Inhalt und eine in Gott fundierte Glaubenshaltung.
1.
HErr, du erforschest und erkennest mich,
2.
du weißt um mein Sitzen und Stehen, was ich denke, verstehst du von ferne.
So
ist Gott dem Psalmisten zum Herzenskündiger geworden. Er lebt nicht in dem Wahn, als ob man sich
mit seinem Denken, Reden und Handeln Gott entziehen könnte. Liegt es doch im Charakter jeder Sünde
und Schuld, daß sie
den Menschen glauben machen möchte, als
ob er sich den alles erforschenden Blicken Gottes ent-ziehen könne. Die ersten Eltern im
Paradiese flohen und versteckten sich, als sie das Gebot ihres Schöpfers
übertreten hatten. Indem sie sich der
Gegenwart Gottes zu entziehen suchten, glaubten sie, daß ihre Übertretung vor
Gott verborgen bleiben könne. Gott
aber steht jenseits von Raum und Zeit. Ihn binden weder Zeitalter noch Entfernungen. Diese tiefe Erkenntnis war dem Sänger
aufgegangen. Er lebte nicht mehr in
der Täuschung, als ob ihn niemand in seiner Gedankenwelt kontrollieren könnte. Er wußte, Gott ergründet mich auch in
den verborgensten Regungen meines
Herzens.
Es
ist aber ungeahnte Gnade, daß Gott den Menschen bis in die geheimsten Falten seines Herzens kennt. Gott in seiner Barmherzigkeit zieht
ans Licht, was der Mensch zu seinem dauernden Unheil verborgen halten würde.
Er will ihn nach Leib,
Seele und Geist heiligen. Selbst des Menschen Gedankenwelt will Gott in die
Zucht seines Geistes stellen. Denn eine befleckte
Gedankenwelt befleckt sehr bald auch die
Gesinnung und das
Handeln des Menschen. Sie soll jedoch durch Gnade ein Heiligtum werden,
in dem der HErr mit seinem Worte Zelten
will.
3. Mein Wandern und mein Ruhen ermissest du, vertraut bist du mit all meinen Wegen.
4. Bevor noch ein Wort meine Zunge spricht, sieh', HErr, du kennst es im
voraus genau.
Aus dem menschlichen
Sinnen und Denken fließt ein entsprechendes Reden und Handeln. Kann nun der
Mensch sich in seiner Gedankenwelt nicht vor Gott verbergen, wieviel weniger
kann er es mit dem eigentlichen Inhalt seines Lebens. Der Psalmist faßt sein
gesamtes Leben sehr anschaulich in drei Begriffe: es ist ein Wandern, Ruhen und
Reden. Im Wandern drückt er die
ganze Tätigkeit des Menschen aus. Ob der König regiert oder der Straßenfeger
die Straße kehrt, ob der Professor doziert oder der Landmann seinen Acker
pflügt, ob die Tänzerin auf der Bühne steht oder die Mutter ihr Kindlein wiegt,
es sind Tätigkeiten, die des Menschen Zeit und Leben ausfüllen.
Dem Wandern entspricht das Ruhen.
Es kann ganz verschieden und mannigfaltig fein: es schließt sowohl das
körperliche Ausruhen als auch alles Suchen nach seelischer Entspannung in sich.
Worin aber auch der Mensch sein Ruhen finden mag, Gott sichtet sein Wandern und
sein Ruhen. Er stellt fest,
wie weit der Mensch von dem Heil abweicht, zu dem Gott ihn berufen hat. Durch
sein Wort und seinen Geist beunruhigt er das Innerste des Menschen, sobald
derselbe den Weg des Todes anstatt den des Lebens geht. So wird Gottes
Wissen Gnade.
Dasselbe gilt auch von dem Reden.
Ob der Mund flucht oder Segnet, lügt oder die Wahrheit spricht, verführt oder
die Gnade preist — Gott weiß alles, bevor es die Lippen aussprechen. Fragten in
jenen alten Zeiten auch Spötter und Ungläubige: Wie kann Gott wissen...? (Hiob
22,13). — Der Dichter gibt sich bewußt Rechenschaft darüber, daß auch alle
seine Worte Gott bewußt sind und unter dessen Gericht oder Segen stehen. Welch eine gewissenschärfende
Erkenntnis!
5.
Von rückwärts und von vorwärts umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.
6.
Zu wunderbar ist mir solches Wissen,
zu
hoch, als daß ich es könnte begreifen.
Mit
diesen Worten schließt der Sänger seine Erkenntnis über das Wissen Gottes. Zwar ist der Mensch frei. Er mag sich
entscheiden, wozu er will. Nur vermag er sich Gott nicht zu entziehen. Auch vermag er nicht über eine bestimmte Grenze
seines Handelns hinauszugehen. Dann zerbricht
er an der Hand, die sich auf ihn gelegt
hat. Der Autorität und Herrschaft Gottes
vermag sich niemand zu entwinden. Auch in seiner Freiheit bleibt der
Mensch begrenzt durch die Souveränität seines Schöpfers. Zwar vermag er sich
wider Gott zu erheben, er kann sich aber in seiner Erhebung nicht Gott
entziehen. Ihm muß seine Freiheit zum
Gericht werden, wenn er in ihr Gottes Souveränität durchbrechen will.
Mag
der Psalmist aber auch noch so tief in das Geheimnis vom Wissen Gottes
eindringen, er fühlt die Grenze zwischen
sich als dem Geschöpf und Gott als dem
Schöpfer. Gottes Wissen ist ihm zu wunderbar,
zu hoch, um es begreifen zu können. Dieser menschlichen Grenze bleibt sich auch der neutestamentliche
Jünger bewußt. Zwar kennt er jene
Begnadigung, von der Paulus Schreibt: „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in kein Menschenherz gedrungen ist, das
hat Gott denen bereitet, die ihn lieben. Denn uns hat es Gott durch
seinen Geist geoffenbart; denn der Geist
ergründet alles, auch die Tiefen der
Gottheit" (1.Kor.2, 9f.).
Je mehr er jedoch im Antlitze Jesu Christi die
Herrlichkeit Gottes in ihren Tiefen schaut, desto mehr erkennt er sein eigenes Nichtwissen. Anbetend beugt er sich vor
Gott als dem Vater der Barmherzigkeit,
den er in seinen Tiefen nie ganz zu erkennen vermag.
Es
ist verständlich, welch eine Verantwortung sich dem Menschen auf die Seele legt, sobald er in
solch einer klaren Gotteserkenntnis lebt. Er fühlt, so bewußt er sich auch über
so vieles in seinem Leben hinweg zu setzen sucht, es kommt doch einmal die Stunde, wo er sein
Denken und Handeln zu verantworten hat. Denn wie wenig er sich letzthin Gott zu entziehen vermag, schildert der
Psalmist nun im nächsten Geheimnis. Es ist:
Die stärksten Vergleiche und die größten Gegensätze
benutzt der Dichter, um seiner
Erkenntnis von der Allgegenwart Gottes einen Ausdruck zu geben.
8.
Stieg' hinauf ich zum Himmel: du wärest daselbst, und bettete ich mich in der
Totenwelt: auch da wärest du!
9.
Nähme ich Flügel der Morgenröte
und
ließe ich mich nieder am Ende des Meeres, 10, auch dort würde deine Hand mich
führen, deine Rechte [auch dort] mich fassen.
Ein ungemein anschauliches
Bild! Wer den Aufstieg der Morgenröte vor dem Aufgang der Sonne in den Ländern
des Ostens gesehen hat, versteht die schöne Sprache des Bildes. Die Sonne
sendet ihre rötlichen Strahlen voraus. Sie erhellen wie von Flügeln getragen
bis zum äußersten Westen das ganze Himmelsgewölbe. So wie die Nacht
vergeblich dem aufbrechenden Licht zu
entfliehen vermag, ebenso vergeblich kann sich der Mensch durch Flucht —
und sei es am dunkelsten, entferntesten Ort — vor
Gott und seiner alles durchleuchtenden Gegenwart retten.
Im Raum der Welt ist der
Himmel nach menschlicher Vorstellung die höchste Höhe, das Totenreich die
tiefste Tiefe. Gott ist aber der Herr der Welt und der Schöpfer ihrer Höhen und
ihrer Tiefen. Als Schöpfer durchdringt er mit seinem Geist die gesamte
Schöpfung, ohne in ihr aufzugehen
oder mit ihr eins zu sein.
Er bleibt ihr Meister, sie ist sein Werk. In seinem Werke gibt es aber keinen
Raum, in dem er nicht gegenwärtig wäre. Nur der Mensch konnte in seinem Raum=
und Zeitgebundensein auf den Wahn kommen, einen Ort zu finden, wo er sich der
Gegenwart Gottes entziehen könnte.
11.
Wenn ich auch spräch': „Nur Finsternis soll mich bedecken und Nacht sei das
Licht um mich her —"
12.
so wäre auch die Finsternis nicht finster für dich, die Nacht würde leuchten so
wie der Tag, für dich wäre Finsternis ganz wie das Licht.
Wie Gott jenseits von Raum
und Zeit steht, so steht er auch jenseits von Licht und Finsternis. Ihm ist
Finsternis nicht Finsternis. Die Nacht ist ihm wie das Licht des Tages. Beide
stehen ihm zu Dienst, und zwar zum Segen
seiner Schöpfung. Licht und Finsternis sind hier zunächst im eigentlichen Sinne zu verstehen. Es liegt aber nahe, sie auch im übertragenen Sinne zu nehmen. Der Prophet Jesaja spricht von einem Volk, das
in Finsternis wandelt, und doch ein großes Licht erblickt, und in einem
umnachteten Lande erglänzt ein Licht (Kap. 9, l f.). Sowohl im Leben der einzelnen als letzthin auch in dem der Völker gibt
es keine Finsternismächte und
Leidensnächte, die Gott nicht brechen könnte. Auch sein Herrsein
über Licht und Finsternis steht im
Dienste seiner Barmherzigkeit und Erlösung.
Gottes
Allgegenwart! Eine ungemein niederschmetternde Erkenntnis für jeden, der mit seiner
Schuld vor Gott fliehen möchte. Ein unbeschreib-licher Trost jedoch für alle, die durch Leiden und
Kerker, durch Dunkel-heiten und Fährnisse zu gehen haben. Sehen sie sich wie einst Joseph ins Gefängnis geworfen: „Gott aber war mit ihm"(l.
Mos. 39,23). Wirft man sie wie Daniels
Freunde gebunden in einen Feuerofen, „ein vierter gleich einem Sohne der Götter wandelt mit ihnen
im Feuer" (Dan. 3,25). Der Prophet Jesaja darf der babylonischen
Gemeinde zurufen: „Wenn du durchs Wasser
gehst, ich bin bei dir! und durch Ströme, sie sollen dich nicht überfluten. Wenn du durchs Feuer gehst, du
sollst nicht versengt werden, und die Flamme soll dir nichts
antun. Denn ich, der HErr, bin dein Gott,
ich, der Heilige Israels, dein Retter!" (Jes. 43, 2 f.)
Der Dichter versucht immer
tiefer in die großen Geheimnisse Gottes einzudringen.
Sie haben ihn gefangen genommen. Stets neue Bewunderung und Anbetung
lösen sie in seiner Seele aus. Daß der Mensch bis in die geheimsten Falten seines Wesens und überall in der Schöpfung vor
Gott offenbar ist, erklärt sich ihm auch aus der
Schöpferherrlichkeit Gottes. Sie
enthüllt sich ihm in ihrer unergründlichen
Tiefe und Weisheit in seinem eigenen Dasein.
13. Denn du bist's, der mein Innerstes gebildet, mich
gewoben hat im Schoße meiner Mutter.
Die Entwicklung des Kindes
im Mutterleibe hält die israelitische Chokma (Weisheit) als eins der größten
Geheimnisse. Auch der Dichter schildert
ungemein anschaulich das erste Werden des Menschen. In demselben wirkt
sich für ihn aber bereits das Wissen und Vorherwissen Gottes aus. Gott war es,
der sein Innerstes, wörtlich: seine „Nieren", bildete. Innerhalb der
anderen zarten Teile im inneren Körperbau des Menschen galten dem Altertum die
Nieren als Sitz der geheimsten Gefühlsregungen.
Aber auch sie sind Gottes Schöpfung, das Werk seiner Weisheit und seiner
Hände. Daher vermag er auch Herzen und Nieren zu prüfen. Er weiß, was sie aufzunehmen und in ihren geheimen
Kammern zu bergen vermögen.
Entsprechend
wunderbar und geheimnisvoll ist aber der ganze Körperbau. Schon die alten Zeiten standen immer wieder
staunend vor dem rätselhaften ersten
Werden des Menschen, über welches Gott
einen geheimnisvollen Schleier geworfen hat. Gewoben im Mutterschoß, und
zwar von göttlicher Meisterhand — jeder Mensch ein neues Gottesgebilde, wie der
erste Mensch in der Urschöpfung. Diese Schau erfüllte
den Dichter.
14.
Ich danke dir, daß ich wunderbar erschaffen bin, wunderbar sind alle deine
Werte.
Das
erkennet meine Seele gar wohl.
15.
Dir war mein Gebein nicht verborgen,
als
ich im Dunkeln bereitet wurde, .
geheimnisvoll gebildet in den Tiefen der Erde.
Die Bewunderung
des Werkes
wird zur Anbetung des Meisters, dem der Dichter das
Geheimnis seines Lebens verdankt. Er bezeichnet den Mutterschoß nicht nur als
die Bildungsstätte, wo das erste Werden des Menschen begonnen hat Derselbe ist
ihm zugleich das Erdinnerste, die Werkstätte, wo alles irdische Leben seinen
Ursprung hat. Wahrscheinlich greift er mit
seinen Gedanken zurück auf die Urschöpfung. Sie bezeugt ja, daß auch der
Mensch seinem Leibe nach aus Staub von der Erde geformt worden ist. „Denn Staub
bist du und du sollst wieder zum Staube werden", sprach der HErr zum
ersten Menschen nach seinem Ungehorsam. Hiob bekennt nach allem Unheil, das
über ihn gekommen: „Nackt bin ich aus meiner Mutter Schoß gekommen, und nackt
werde ich dorthin zurückkehren" (Kap. l, 21).
16.
Den Anfang meiner Tage sahen deine Augen, und in dein Buch wurden alle
geschrieben, bevor auch nur einer von ihnen da war.
Es
ist wieder ein ganz großer Gedanke, der den Psalmisten bewegt. Er weiß, daß
er bereits vor seinem Eintritt ins
Leben präexistierte in den Gedanken
des Schöpfers,
d.h. im Vorherwissen Gottes da war. Er kann mit seinen Tagen und ihrem
Inhalt Gott nicht überraschen. Nichts vermag er zu tun, von dem Gott nicht wüßte. Mag auch das Auge des Ehebrechers auf
die Dämmerung lauern, indem er denkt:
Kein Auge soll mich sehen, und legt' er sich auch eine Maske vors Gesicht (Hiob 24,15), Gott weiß
auch um dessen Tun.
Der Dichter Schließt sich
hier offenbar einer in der Alten Welt weit verbreiteten
Anschauung an. Man glaubte nämlich, daß
jeder Mensch noch vor seiner
Geburt in ein Lebensbuch eingetragen worden sei. Bereits
Mose betete, nachdem das Volk sich so schwer mit seinem Tanz ums goldene Kalb versündigt hatte; „Und nun vergib doch ihre Sünde! Wo nicht, so tilge auch mich aus
dem Buche, daß du geschrieben hast" (2. Mos. 32,32). Auch Paulus schreibt
im Philipperbrief von seinen
Mitarbeitern, die mit ihm für die Heilsbotschaft gekämpft haben, daß deren Namen im Buch des Lebens
aufgezeichnet stehen (Phil. 4,3). Besonders auch der Prophet Daniel
(Dan. 7,10) und die Offenbarung Johannes (Off. 20,12) reden von Büchern, die am
Tage des Endgerichts werden aufgetan werden,
dann werden die Toten gerichtet nach
dem, was in den Büchern nach ihren Taten eingetragen worden ist. Zum ewigen Leben wird nur eingehen, wer im Buch
des Lebens geschrieben steht.
Es ist verständlich, daß
diese Sprache vom Buch des Lebens vom Eintragen aller Werke der Menschen in ein
Buch nichts mit den heidnischen Vorstellungen vom
Schicksal zu tun hat, das die Götter im Voraus über den Menschen
verhängt haben. In der alt= und
neu= testamentlichen Offenbarung ist das Buch nur eine bildliche
Verständlichmachung, daß der Mensch bereits vor seinem Dasein
und während
seines Lebens und zuletzt bis zum Tage des
Endgerichts vor dem Wissen
Gottes offenbar ist.
In Wirklichkeit braucht Gott kein Buch, in dem er nachsehen müßte, was jeder durch sein Leben und
Denken in die Ewigkeit hineingeschrieben
hat. Wie keine neue Welle im Weltmeer, kein neuer Ton im Äther
verlorengeht, so geht auch nichts vom Reden und Tun des Menschen in der Ewigkeit verloren. Entweder wird das Leben unter der Vergebung stehen oder aber anklagend sich wider
ihn in der Ewigkeit erheben.
Jedoch
nicht diesen Gedanken verband wohl der Psalmist mit seiner Vorstellung vom Buch. Er
wollte nur der großen Erkenntnis einen Aus-druck geben, daß bereits
die Tage
vor seiner Geburt zum Wissen Gottes gehörten.
Das überwältigte ihn.
17.
Doch mir, wie schwer sind mir deine Gedanken, o Gott, wie ist ihrer eine so
große Zahl!
18.Wollte
ich sie zählen: es wären ihrer mehr als der Sand. Erwache ich, so ist mein Sinn
noch bei dir.
Zu
Schwer wird es ihm, Gottes Gedanken zu denken. Ihre Zahl übersteigt jede menschliche Kunst des Zählens. So wenig der Sand am
Meeresstrande zu zählen ist, so wenig
vermag der Mensch Gott in der Fülle
seiner Gedanken zu fassen. So stark und tief er auch über Gottes Allwissenheit
und Schöpferherrlichkeit nach zudenken
versucht, er vermag nur insoweit Gott zu begreifen, als Gott
es ihm zu erkennen gibt. Zwar ist
Gott dem Psalmisten so groß, daß er Tag und Nacht über ihn nachdenken muß.
Schläft er beim Sinnen über Gott auch ein, am nächsten Morgen steht das Bild Gottes in seiner unerforschlichen
Majestät und mit allen seinen Geheimnissen
wieder vor ihm. Unter verwandten Eindrücken stehend, ruft in den späteren Jahrhunderten der Apostel Paulus
anbetend aus: „Oh, welch eine Tiefe des Reichtums der Weisheit
als 'auch der Erkenntnis Gottes, wie
unausforschlich sind seine Ratschlüsse, wie unergründlich seine Wege!" (Röm. 11,33.) Später hat
die Kirche Christi ihrer Ehrfurcht vor
Gott und vor den Wundern seiner Offenbarung in dem schönen
Weihnachtsliede einen Ausdruck zu geben gesucht: „Wenn ich dies Wunder fassen
will, So steht mein Geist vor Ehrfurcht still."
Von dieser tiefen
Erkenntnis Gottes aus wird nun verständlich des Dichters Haß gegen die
Gottlosen.
19.
Ach, möchtest du, Gott, die Frevler doch töten, die Blutmenschen von mir
weichen lassen. 20. Sie, die so heuchlerisch von dir reden,
in
Falschheit sich wider dich erheben!
Es
ist ihm ein Geheimnis, daß Menschen Gottes Feinde sein können. Er haßt sie, weil sie
Hasser Gottes sind. Ihm ist es sittliche, religiöse Pflicht, deren Untergang
herbeizuflehen. Vom Standpunkte des Alten
Testaments aus ganz verständlich. Dem verwandt ist bis heute der Glaube
der mohammedanischen Welt. Man konnte sich die Aufhebung der bestehenden und sich auflehnenden Feindschaft
gegen Gott gar nicht anders denken als durch die Anwendung von Machtmitteln und Gewalt. Daß Gottes
Weg, die Welt in ihrem Haß und Widerspruch
zu überwinden, der ist, den Jesus mit den Worten bezeichnet: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen
Seelen zu verderben, sondern zu erretten" (Luk.9,56), hatte man in
jener Zeit noch nicht erkannt. Da der Dichter die Ehre und Sache Gottes durch
das Verhalten der Gottlosen in Gefahr sah, so haßte er sie, weil sie Hasser
Gottes waren.
21.
Sollt' ich nicht hassen, o HErr, die dich hassen? Nicht verabscheuen, die deine Widersacher sind?
22.
Ich hasse sie mit gar tödlichem Haß, als [eigene] Feinde, HErr, gelten sie mir.
„Wo sein Gott und die
Religion in Frage kommen, da kennt Israel keine Schonung. Der Gedanke
religiöser Duldung ist seiner Betrachtungsweise ein Unding. Das ist seine
Schranke, aber auch seine Stärke," „Die Religion, die die
Alleinwirksamkeit Gottes aufs höchste steigert, faßt Gottes Herrschaft nicht
als Sache der ethischen Erziehung, sondern als Machtfrage auf; Unglaube ist
Empörung." „Der letzte Grund ist wohl der, daß man nicht verstehen kann,
wie ein Mensch einem solchen Gotte überhaupt widerstreben mag — es muß böser
Wille sein. Auch hier ist es nicht rohe Lust, sondern die Trauer um das
Vorhandensein der Gott-losigkeit, was den Dichter leitet."
Von dieser Warte aus
empfing des Sängers Gebet seinen Inhalt. Er war ein Kind seiner Zeit, und er
fand daher zunächst keine höhere, göttlichere
Lösung, wie des Menschen Feindschaft gegen Gott gebrochen werden könne.
Er ahnte noch nicht, daß einmal jener Neue Bund anbrechen werde, wo Paulus als
Apostel der Gemeinde würde schreiben können: „Denn so wir Gott versöhnt
sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, wieviel mehr
werden wir selig werden durch sein Leben, so wir nun versöhnt sind"
(Röm. 5,10). In dieser Schau lebt die Neutestamentliche Gemeinde und wird daher
begnadet, nicht nur jeden Haß zu überwinden, sie lernt im Geiste ihres Herrn
und Hauptes selbst für die Feinde zu beten.
Wunderschön
schließt mit einem Flehen der Psalm
ab. Der Inhalt des Gebets entspricht so ganz der inneren ehrfurchtsvollen und
demütigen Glaubenshaltung des Dichters. Die Tiefe seiner Erkenntnis hat ihn
nicht selbstbewußt gemacht. Sie beugt ihn und läßt ihn flehen:
23.
Erforsche mich, Gott, und
erkenne mein Herz, prüfe mich
und erkenne meine Gedanken,
24. und sieh' ob ich wandle auf trugvollem Pfad, und leite mich auf ewigem
Wege.
Je mehr ein Mensch in Gott eindringt,
um so mehr erkennt er sich selbst. Ihm genügt hinfort nicht, wie er sich
selbst beurteilt. Auch kommt er nicht in dem zur Ruhe, wie Menschen ihn
beurteilen. Entscheidend ist ihm allein das Urteil Gottes. Was ihn in seinen Gedanken und in seinen Wegen rechtfertigen kann,
ist ein Wandel auf den Pfaden der Wahrheit und Gerechtigkeit. Ob er auf
denselben wandelt, das kann letzthin nur
Gott entscheiden.
Er
fleht daher, daß Gott selbst ihn auf den Weg des Lebens, wörtlich: auf den ewigen Weg leiten möge. Das ist eine
Glaubenshaltung, auf die Gott
zu allen Zeiten mit seiner Leitung antwortete.
So oft einzelne oder Gemeinden mit Mose Sprachen: „Wenn du nicht selbst
mit uns ziehst, so führe uns überhaupt nicht von dannen" (2.Mos. 33,15),
erlebten sie Gottes Führung. Der HErr ging täglich neu so erkennbar an ihnen
vorüber, daß sie seine Fußstapfen Sehen und
ihre Tritte in dieselben setzen konnten.
Überschrift:
Ein Loblied von David.
1.
Dich will ich erheben, du mein Gott und König,
deinen
Namen rühmen für und für.
2.
Ja, täglich will ich [HErr] dich preisen,
will
rühmen deinen Namen immer und ewig.
3.
Groß ist der HErr und hoch zu preisen,
und
unerforschlichen bleibet seine Größe.
4.
Geschlecht rühmt dem Geschlechte deine Werke und kündet deine mächtigen Taten.
5.
Reden sollen sie vom hehren Glanze deiner Hoheit, deine Wunder will ich
besingen.
6.
Von der Wucht deiner furchtbaren Taten sollen sie sagen, von deinen Großtaten
will ich erzählen.
7.
Das Gedächtnis deiner Güte sollen sie künden und jubeln ob deiner Gerechtigkeit.
8.
Gnädig und barmherzig ist der HErr, langmütig und von großer
Güte, 9. Huldvoll ist der HErr gegen alle,
sein Erbarmen waltet über all' seinen Werken.
10.Alle deine Werke rühmen dich, HErr,
es sollen dich preisen deine Heiligen.
11. Die Herrlichkeit deines Königtums sollen sie erzählen, und sollen reden von deiner Macht,
12. um Menschenkindern wissen zu lassen deine Machttaten, den Glanz und die
Herrlichkeit deines Reiches,
13. Dein Königtum
ist ein Königtum für ewig,
es währt deine Herrschaft von Geschlecht zu Geschlecht.
14.
Der HErr stützt alle, die da fallen,
alle Gebeugten richtet er auf.
[Treu ist der HErr in all' seinen Reden,
barmherzig und gnädig in all' seinem Tun1).]
15. Aller Augen [HErr] warten auf
dich, du gibst ihnen Speise zu seiner Zeit.
16.
Du tust auf deine [milde] Hand
und sättigst alles, was lebt, nach deinem Wohlgefallen.
17.
Gerecht ist der HErr in all' seinen
Wegen [huldreich] und gnädig in all' seinem Tun.
18.
nahe ist der HErr allen, die ihn anrufen,
ja
allen, die ihn in Wahrheit anrufen.
19.
Er stillet das Verlangen der Gottesfürch-tigen, er hört ihr Schreien und rettet
sie.
20.
Der HErr behütet alle, die
ihn lieben, alle Gottlosen aber, wird er vertilgen.
21.
Mein Mund soll des HErrn Lob verkünden,
ja, alles Fleisch lobe seinen heiligen Namen! — Immer und ewiglich. —
In diesem Psalm schweigt
der Mensch, denn der Glaube des Sängers redet nur noch von Gott, seine Schau
ist ausgefüllt allein von dem, wer Gott ist. Gott in seiner Erhabenheit, in
seinem Königtum und in seinem Walten ist der alleinige Inhalt, von dem seine
einzelnen Aussagen und Schilderungen bestimmt werden. Die alte Kirche hat den
Psalm stets als Kommunionlied während der Feier des heiligen Abendmahles
gesungen. Sie sah sich dazu veranlaßt, weil sie unter dem Eindruck stand, daß der Inhalt des Psalms besonders
stark die Beziehung Gottes
zum Menschen und zu seiner Schöpfung
zum Ausdruck bringt. Auch pflegten die Gemeinden ihn täglich zu beten vor dem
Beginn der Mittagmahlzeiten. Die spätere Zeit, die den einzelnen Psalmen
nachträglich noch eine ihrem Inhalt entsprechende Überschrift zu geben suchte,
überschrieb unseren Psalm einfach „Loblied". Es war jener Titel, mit dem ursprünglich eigentlich nur das ganze
Psalmbuch benannt wurde.
Tatsächlich wird in ihm
auch ein Loblied auf Gott gesungen, das mit zum Inhaltvollsten und Schönsten
der Zeugnisse gehört, die im Alten Testament vom Glauben eines Menschen
abgelegt worden sind. Der Talmud schreibt
den Lobgesang dem Könige David zu. Zugleich verbindet er damit die
Überzeugung: „Wer dreimal täglich das
Loblied Davids betet, daß solch ein Beter ,ein Kind der zukünftigen
Welt'sei2)." Und wir fühlen es der Sprache des Glaubens ab, so
von Gott zu reden, so dessen Erhabenheit zu schauen, so von dessen Güte zum
Menschen und zur Schöpfung zu zeugen, vermag nur ein Glaube, der eine
besonders begnadete Schau von Gott empfangen
hat. Hier träumt nicht irgendein Mensch
über irgendeine unbekannte Gottheit. Hier verliert sich nicht irgend jemand phantasiereich und dichterisch
an eine erhabene Gottesidee. Hier redet ein Mensch aus der Wirklichkeit
des Lebens, der Geschichte und des Weltgeschehens über Gottes Wirklichkeit und
Majestät, Güte und Wirksamkeit. Wie oft haben seitdem auch Glieder der Kirche
Christi,
wenn sie in Ehrfurcht vor
Gott standen und vergeblich nach Worten der Anbetung rangen, das im Psalm
gefunden, was auch ihre Seele bewegte und erfüllte.
Mit dem menschlichen Versuch,
die nie zu erfassende Größe, Majestät und Er-habenheit Gottes zu schildern,
beginnt der Sänger seinen Lobgesang:
1.
Dich will ich erheben, du mein Gott und König, deinen Namen rühmen für und für.
Der Psalmist verrät gleich
mit seinen ersten Sätzen, daß er zu dem Gott, dem sein Loblied gilt, vor den er
in Demut tritt und den er in Ehrfurcht anredet, in lebendiger Beziehung
steht. Sein Glaube kniet nicht vor einem Etwas, er spricht zu Gott als zu einer
weit über ihm stehenden Person. Leben spricht zu Leben, das menschliche Ich
steht vor dem göttlichen Du. Daher eine
lebendige Glaubensbeziehung zwischen Gott, dem die Huldigung gilt, und
dem Anbetenden, der seiner Hingebe und Ehrfurcht vor Gott einen Ausdruck
zugeben sucht. Weder steht Gott ihm,
noch steht er Gott beziehungslos gegenüber. In Gott hat er seinen König und Herrscher erkannt. Er
wußte von Gott nicht nur als einem allerhöchsten Wesen. Er sah, wie Gott in
seiner Person und Wirklichkeit innerhalb der
Welt und der Geschichte der König jedes
einzelnen Menschenkindes, der Völker und der ganzen Schöpfung ist.
Rühmen Völker den Namen
ihres Königs, so ist solch ein Volksruhm oft nur von kurzer Spanne. Die
Volksgunst wechselt, Umwälzungen lassen
andere Herrschergestalten auftreten, neue Günstlinge regieren, alte Namen
tauchen unter und verlieren sich in der Geschichte. Im Blick auf Gott kennt
der Glaube solch einen
Wechsel nicht. Er braucht seine Huldigungspsalmen, den Inhalt seiner Anbetung,
die Sprache seiner Ehrfurcht und Liebe nicht dauernd zu wechseln und zu
erneuern. Name ist ihm nicht nur Name, „Schall und Rauch", er ist ihm der
sprachliche Ausdruck für Gott selbst, Ihn selbst in seiner Wirklichkeit,
Erhabenheit und Ewigkeit will er, wenn er Gottes Namen nennt und anruft, rühmen
für und für.
2. Ja, täglich will ich [HErr] dich preisen, will rühmen deinen Namen immer
und ewig.
Wenn in der Heiligen
Schrift die Namen Gottes auch oft
wechseln, so wird durch alle immer nur die eine Souveräne
Herrscherpersönlichkeit bezeichnet, die wir ,Gott'
nennen. Die Entstehung der verschiedenen Namen hat ihre Ursache einerseits in Gottes
fortschreitender Selbstoffenbarung, andrerseits in der entsprechend
fortschreitenden Glaubenserkenntnis der Menschen. Die Gottesnamen der Schrift
sind Gott nicht etwa von Menschen angedichtet worden. Der lebendige Glaube
nannte Gott immer nur insoweit mit Namen, als er Gott in seiner Offenbarung und
in seinem Handeln erkannte.
Menschen, die nun Gott
täglich in seiner Königsherrschaft erleben, geht der Inhalt Ihres Königpsalms
nimmer aus. Nicht eine Redensart ist es auf ihren Lippen, wenn sie sprechen
„immer und ewiglich". Gott herrscht,
entsprechend herrscht in ihnen
Gottes Lobgesang. Denn Gott
ist König nicht etwa allein während festlicher Gelegenheiten, nicht etwa nur in den großen Augenblicken der
Geschichte. Er ist König bis in die
gewöhnlichste Alltäglichkeit hinein. Menschen, die das erkennen, gewinnen
mithin auch täglich neu einen Lobgesang Gottes. Sie erleben es, wie Gott sich täglich zu ihrem Ringen und Wirken, zu ihrem
Hoffen und Warten, zu ihren Nöten und Ängsten bekennt. Er steht als König
und Herrscher ihnen nicht außerhalb
von Raum und Zeit. Er
ist ihnen gegenwärtig mit seiner Hilfe, spricht zu ihnen durch sein
Wort, tröstet sie in ihren Leiden und Ängsten. So sehen sie sich von Fall zu Fall
neu begnadet zu einer Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit.
3.
Groß ist der HErr und hoch zu preisen, und unerforschlich bleibet seine Größe.
Aber
gerade Menschen, die nicht beziehungslos Gott gegenüberstehen, die ihn im Glauben täglich in seiner Herrschaft
erleben, gelangen mehr und mehr zu der Erkenntnis, welch ein Abstand zwischen dem Menschen und Gott besteht. So
tief Gott Menschen auch hineinschauen läßt in seine Person und in sein Wirken,
seine Größe bleibt unerforschlich, selbst
den Stärksten im Glauben. Gott kann zwar Menschen wie einen Abraham und
einen Mose so in seine Gemeinschaft und in sein Vertrauen hineinziehen, daß er
zu ihnen als Freund zum Freunde, von Angesicht zu Angesicht zu reden vermag
(vgl. l.Mos.18,17; 2.Mos. 33,12; 4. Mos. 12,8). Als aber derselbe Mose den
HErrn bat: „So laß mich deine Herrlichkeit sehen", da wurde ihm die
göttliche Antwort: „Mein Angesicht kannst
du nicht sehen, denn kein Mensch wird leben, der mich siehet"
(2.Mos.33,18ff.). Der Mensch wäre Gott,
könnte er Gott in seiner
unfaßbaren Größe, Majestät und Herrlichkeit
schauen. Er kann zwar auf Grund göttlicher Offenbarung und Erleuchtung
bezeugen; „Gott ist groß und erhaben." Wie groß und gewaltig aber Gott
ist, vermag keines Menschen Herz zu erkennen,
keines Menschen Glaube auszusprechen. In diesem Unvermögen lebt nicht
etwa nur der Mensch von heute. In demselben stand auch der Mensch des Glaubens
in den Zeitaltern der alttestamentlichen Offenbarung.
4.
Geschlecht rühmt dem Geschlechte deine Werke und kündet deine mächtigen Taten.
Gerade
Menschen des Glaubens haben eine einzigartige, uralte Tradi-tion, eine lebendige
Überlieferung. Geschlecht rühmte dem Geschlecht die erkannten und geschauten Werke
Gottes, kündete die mächtigen Taten Gottes. Während die Menschheit die Geschichte mit
gehaltenen Augen erlebte: Rettungen
und Katastrophen sah, an Volkserhebungen und Volkswehen
teilnahm, Weltreiche vor ihren Augen aufstiegen und wiederum zusammenbrachen — da gab es immer wieder
Geschlechter, denen hinter allem
Weltgeschehen das verborgene Tun und souveräne Walten Gottes
stand. Ob Gott im Gericht oder in der Gnade
ihnen seine mächtigen Taten offenbarte, in allem erkannten sie, daß er König der Geschichte ist.
5.
Reden sollen sie vom hehren Glanze deiner Hoheit, deine Wunder will ich
besingen.
fährt der Psalmist fort.
Geschlechter, die sehend durch die Geschichte geführt werden konnten, deren
Glauben Gottes Herrschen und Walten im Weltgeschehen gefunden, sie sollen
Zeugen bleiben von Gottes hehrem Glanz und unfaßbarer Hobelt.
Daß Geschlechter der alten
Vergangenheit zur Pflege solch einer heiligen Tradition und Mission bereit
waren, dem verdanken wir das Entstehen der Heiligen Schrift. Ihre Zeugnisse
wurden nach und nach gesammelt, damit sie zu den kommenden Geschlechtern weiter
reden und Gott in seiner Majestät und Königsherrschaft verkünden sollten. Der
Psalmist will aber auch persönlichen Anteil an diesem gewaltigen Zeugnis der
Geschlechter nehmen. Er will die Wunder Gottes besingen. Welch ein bleibender
Beitrag für spätere Jahrtausende auch sein Singen geworden ist, ergibt sich
daraus, daß die Glieder der Kirche sich nicht schämen, seinen Lobgesang immer
neu auch zu einem Psalm ihres Herzens und ihrer Anbetung zu machen.
6. Von der Wucht deiner furchtbaren Taten sollen sie sagen,
von deinen
Großtaten will ich erzählen.
Irgendwie erlebt alle Welt
Gottes Tun. Wie unendlich viel würde sich im großen Völkerleben erklären,
wenn man sowohl in den
erschütternden
Gerichtszeiten als auch in den Zeiten des Aufstiegs Gott in seinem verborgenen Handeln sehen würde. Wie furchtbar
kann Gottes Tun
sein, wenn er ein assyrisches Weltreich nach zwei Jahrhunderten glanzvollen Bestehens
rettungslos zusammenbrechen läßt! Wie erschütternd bleibt sein geheimnisvolles Walten, wenn ich
Rußland heute mit seinen hundertsiebzig Millionen Menschen dem modernen Kulturbolschewismus ausgeliefert sieht! Die
Bibel schweigt daher in ihren Zeugnissen nicht von den furchtbaren Taten Gottes, die Völker
und Zeitalter als ihr Gericht erlebt haben. Die Zeugnisse der Bibel dichten nicht, sie sprechen letzte Wirklichkeiten der Geschichte aus.
7.
Das Gedächtnis deiner Güte sollen sie künden und jubeln ob deiner
Gerechtigkeit.
Ob es Gottes Güte war, die
sich als Gnade auswirkte, oder Gottes Gerechtigkeit, die Menschen und Völkern
zum Gericht werden mußte, sie sollen weiter bezeugt werden. Das Gedächtnis der
Güte soll Hingabe an Gottes Gnade wecken. Der Jubel ob der Gerechtigkeit soll
die Entrechteten, Leidenden ermutigen; er soll in ihnen die Gewißheit wecken: Gottes Walten
in der Geschichte ist eingerechtes Walten. Zu
seiner Stunde zerbricht Gott den Arm des Starken und rechtfertigt den Gebeugten. Seiner Autorität und Gerechtigkeit
entzieht sich auf die Dauer kein Frevler mit seinem Frevel. Gott schrieb
zu allen Zeiten das Pauluswort in die
Geschichte hinein: „Irret euch nicht, Gott läßt sich nicht Spotten. Was
der Mensch säet, das wird er erntet" (Gal. 6,7). Ob Güte zum Leben, ob Gerechtigkeit zum Gericht, sie
bleiben Inhalt des Zeugnisse der
Bibel und auch der glaubenden Gemeinde.
Nicht das Königtum
ist Gott,
aber Gott hat sein Königtum.
Nicht das Herrschaftsgebiet ist der
Herrscher, das Herrschaftsgebiet ist aber der geschichtliche Raum für die Tätigkeit
seiner Herrscherautorität. Nicht geht etwa Gott auf in der Welt, er macht aber
die Well zu dem für uns erkennbaren Raum, in dem er sein Königtum
offenbart. Solange nun Gott die Welt zum Schauplatz seines Königtums macht,
geht die Welt nicht unter. Denn
er hat ein unvergängliches Königreich. Die letzte Schau aller großen Gottespropheten war daher auch nicht Weltuntergang, sondern Welterlösung. Der einsame Prophet auf der Insel Patmos konnte auf Grund seiner Fernschau schreiben:
„Halleluja! Denn Gott, der Allmächtige,
hat das Reich eingenommen. Lasset uns freuen und fröhlich sein und ihm
die Ehre geben!" (Off.19, 6 f.) So
endet Gottes Königtum. Es endet nicht im
Untergang. Es bricht durch bis zur vollendeten Gottesherrschaft.
Wie erleben aber der Mensch,
das Volk, die Kreatur Gottes Königreich bis zu dieser Vollendung hin? Ob dem
Psalmisten selbst bewußt oder unbewußt, er aber antwortet darauf:
8. Gnädig und barmherzig ist der HErr, langmütig und von großer Güte.
Mit
dieser Feststellung beginnt er seine Schilderungen, wie sich Gott als
König innerhalb seines Königreiches
kundgibt. sein königliches Handeln
wird bestimmt durch Gnade. Seine Macht steht im Dienst der Liebe. Sein
Königsein ringt um das Heil der einzelnen und um den Frieden der Völker. Sein
Herrschen will nicht knechten, sondern in die Freiheit führen. Sklaven unter
dem Banne der Sünde und des Todes sollen zur herrlichen Freiheit der Kinder
Gottes erlöst werden. Durch niemanden hat nun Gott seine Gnade und
Barmherzigkeit der Menschheit so dolmetschen können wie durch sein geliebtes
Kind Jesus, unsern Herrn und Heiland. So Großes und Tiefes auch die Propheten
von Gottes Erbarmen zu sagen wußten, Größeres und Tieferes ist uns durch Jesus
gesagt worden. In Jesu Person sprach alles: sein Reden und Dienen,
sein Ringen und Leiden, sein Sterben und Auferstehen nur von der
Liebe Gottes, die nicht den Tod des Sünders will, sondern daß er lebe und gerettet werde.
9. Huldvoll ist der HErr gegen alle,
sein
Erbarmen waltet über all' seinen Werken.
Gott bekennt
sich zu allen, die seines Ebenbildes sind. Er schämt sich des Menschen nicht, den er nach
seinem Bilde schuf. Und weil er sich
seiner nicht schämt, so wird seine Beziehung zum Menschen bestimmt durch
seine Huld. Auch dem Irrenden und Verlorenen gegenüber verleugnet er sein
Schöpfer= und Vatersein nicht. Er stellt ihn unter seine Langmut und Geduld und
wartet, bis er den Verlorenen wieder heimführen kann ins Vaterhaus. Auch in seinem gefallenen
Zustand verneint Gott den
Menschen als sein Geschöpf und Ebenbild
nicht, er verneint nur dessen
Knechtschaft und Verlorensein. Und wie kommt er in Huld und Liebe denen entgegen, die ihn zu fürchten beginnen. Spricht die Schrift von
Furcht, dann bezeichnet sie mit dem
Begriff mehr Ehrfurcht als knechtische Furcht. Der heimkehrende Sohn in den Armen des Vaters fand dessen
Herz unendlich viel huldvoller als
er es in der Fremde am Trebertrog der Säue hatte ahnen können.
Aber
nicht nur der Mensch, alle Werke der Schöpfung stehen dem Psal-
misten unter
dem Erbarmen des Schöpfers. Gott verleugnet auch sein Schöpfungswerk mit
der Fülle seiner Energien und der
Mannigfaltigkeit seiner Schönheit nicht. Er bejaht die Schöpfung, indem er sie erhält. Er liebt sie,
indem er sie mit hineinzieht in die
Erlösung, für die Paulus im Römerbrief die große Erwartung ausspricht, daß einmal auch die Schöpfung in ihrem
Sehnen frei werden soll vom Druck der Vergänglichkeit, und zwar durch das
Offenbarwerden der Söhne Gottes in ihrer Herrlichkeit (vgl. Röm.8,19 —20). Erlöste
werden einmal eine der
Vergänglichkeit unterworfene Schöpfung aus ihrem
Fall zurückerlösen. Gott als dem König gegenüber kann es mithin nur eine Haltung geben:
10. Alle deine Werke rühmen dich, HErr, es sollen dich
preisen deine Heiligen.
Redet die
Schrift wie auch hier der Psalmist von Heiligen, so versteht sie darunter nicht sittlich vollkommene, oder sogar
sündlose Menschen. Heilige sind ihr
Menschen, die sich trotz ihrer
Schwachheiten und Unvollkommenheiten
dennoch Gott verhaftet wissen. Die Geräte des Heiligtums zu
Jerusalem wurden deshalb für heilig gehalten, weil sie von Gott in seinen
Dienst genommen waren. Solche in der Hingabe an Gott stehende Heiligen erleben
Gott in seinen Aufträgen, in seiner Führung, in seinen Segnungen. Jede neue
Schau von Gott wird ihnen zum Inhalt eines
neuen Lobgesanges.
11. Die Herrlichkeit deines Königtums sollen sie erzählen,
und sollen reden von deiner Macht,
12. um Menschenkindern wissen zu lassen deine Machttaten,
den Glanz und die Herrlichkeit deines Reiches.
Der Prophet
Amos sah sich innerlich so unter die Gerechtigkeit und unter das Reden seines
Gottes gestellt, daß er ausrief: „Der HErr, HErr, redet, und wer sollte nicht
Prophet sein?" (Kap. 3, 8). Menschen, denen Gott den Blick weitet für die
Herrlichkeit seines Reiches, die er vertraut machen kann mit seiner königlichen
Macht, die haben eine Mission an die Menschenkinder aller Völker. Die Nationen
in ihrem Sklavendienst sollen wissen von der Macht, die befreit, von dem Reich,
das erlöst, von dem König, der in Güte und Barmherzigkeit regiert. Dieses Wissen
um das Reich soll ihnen zur
Erlösung werden. Denn dem Königtum Gottes gehört die Zukunft:
13. Dein Königtum ist ein Königtum
für ewig,
es währt deine
Herrfchaft von Geschlecht zu Geschlecht.
In
solch einem Königtum können die Völker von ihren ewigen Fehden zur Ruhe kommen. In ihm
werden sie zu Bürgern, die nie mehr ihre Heimat verlieren. Hier stehen sie unter einer
Herrschaft, die durch keine Ge-walten und Feindesmächte erschüttert werden kann. Wie
stark dieses Zeug-nis von dem ewigen
Königtum Gottes auch in allen Gliedern der Ge-meinde Christi fortlebt, beweist
das Gebet, das ihnen anvertraut worden ist.
Wenn sie im Kämmerlein oder in den Gottesdiensten mit dem Gebete ihres Herrn ihrer Gemeinschaft mit Gott noch einen
letzten Ausdruck geben wollen, dann schließen sie es mit dem Bekenntnis:
„Dein ist das Reich, dein ist die Macht,
dein ist die Herrlichkeit!"
Gott regiert nicht in einen leeren Raum
hinein. Durch sein königliches Walten
tritt er in Beziehung zu den einzelnen Menschen, zu den Völkern, zu seiner
ganzen Schöpfung. Sein Regieren erfaßt das Ganze und ist doch wiederum so persönlich, daß der Einzelne das Heil das sein Königsein offenbart, in vollem Umfange miterleben
kann. Redet der HErr
als König,
so spricht er stets zu einer
augenblicklichen Lage: zur
Not der Zeit, zu Personen, die ihn
anrufen oder zu Menschen, die gegen
ihn freveln. Das sucht der Psalmist durch den letzten Teil seines Lobliedes zu bezeugen. Nun ist aber
Gottes königliches Walten so reich,
wie Gott selbst reich ist. Es ist so mannigfaltig und vielseitig, wie das Leben der Schöpfung mannigfaltig und
vielseitig sein kann.
14.
Der HErr stützt alle, die da fallen, alle Gebeugten richtet er auf.
Gott behandelt
die Menschen nicht als Halbgötter.
Er sucht in ihnen weder Helden noch
Übermenschen. Er weiß, welch ein Gemächte
wir sind und daß unser Wollen weit stärker ist als die Kraft zum Vollbringen. Ihn überrascht das menschliche
Fallen nicht. Daher sucht er durch Gnade den zu stützen, der da fällt.
Dem Menschen soll sein Fall nicht zum
Zustand werden, nicht zum Verderben gereichen. Gott zerbricht nicht das geknickte Rohr und löscht nicht aus den
glimmenden Docht. Und sieht sich der
Mensch durch Schuld oder Leid, durch Not und Verhältnisse gebeugt — Er weilt bei denen, die zerschlagenen
Herzens und gedemütigten Geistes
sind, um ihnen zu helfen. Denn, so fährt der Sänger fort:
14b. [Treu ist der HErr in all' seinen Reden,
barmherzig und gnädig in all' seinem Tun.]
Dieser Vers fehlt im
hebräischen Text; er steht aber in der griechischen Übersetzung. Aus welchem
Grunde er bei der Zusammenstellung der Psalmen
weggefallen
ist, kann nicht mehr gesagt werden. Er drückt aber schön und treffend den inneren Charakter von dem Reden
und Tun Gottes aus. Wenn Gott als König
spricht kommt in seinem Wort
die ganze Treue seiner königlichen
Person zum Ausdruck. Petrus
bezeugt die Treue Gottes in seinem Reden mit dem Worte: „Denn wir haben desto
fester das prophetische Wort, und ihr tut wohl, daß ihr darauf achtet als auf
ein Licht, das da scheint in einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der
Morgenstern aufgehe in euren Herzen" (2. Petr. l, 19). Wie der HErr treu
ist in seinem Reden, entsprechend gnädig ist
er auch in seinem Tun. Erst die Ewigkeit wird enthüllen können, wie für
den Menschen auch in Gottes Gerichten oft weit mehr Gnade lag als wirkliches Gericht. Auf den
Umwegen seiner Gerichte führte Gott
zu den Zielen seiner Gnade.
15.
Aller Augen [HErr] warten auf dich,
du
gibst ihnen Speise zu seiner Zeit.
16.
Du tust auf deine [milde] Hand
und sättigst alles, was lebt, nach deinem Wohlgefallen.
So wirkt sich Gottes Beziehung in seiner Schöpfung
auch zu allem rein kreatürlichen Leben aus.
Den Instinkt der Abhängigkeit hat er in jedes Leben gesenkt. Wie beugt sich die Kreatur unter die Naturgesetze,
die Gott in die Schöpfung für ihren
Fortbestand hineingelegt hat. Mit welcher
Regelmäßigkeit kommen z. B. in jedem Frühling die Zugvögel aus dem Süden, um sich mit derselben Regelmäßigkeit
im Herbst wieder dem nahenden Winter
zu entziehen. Gott ist alles Leben, nicht nur das der Menschen,
wertvoll. Jede Blüte ein fleischgewordener Gedanke Gottes, jeder Vogel
ein Wunder
seines Schöpferischen Wortes. Allen Sorgenden konnte Jesus in der
Autorität seines Vaters zurufen: „Betrachtet die Vögel des Himmels! sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die
Scheunen; euer himmlischer Vater
ernährt sie... Betrachtet die Lilien des Feldes! Wie sie wachsen! Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht,
und doch sage ich euch: selbst
Salomo in all seiner Pracht war nicht so gekleidet wie eine von ihnen"
(Matth.6, 26ff.). Gott ist nicht nur groß
in seinem königlichen Walten innerhalb des gesamten Weltgeschehens, er ist nicht weniger groß
auch in seiner liebevollen
Fürsorge für alles Leben, das
seinem Schöpferwillen das
Entstehen und Bestehen verdankt.
Wer
nun will, der möge mit Gott rechten. So dunkel manches auch im Leben und in der
Geschichte erschien:
17.
Gerecht ist der HErr in all' seinen Wegen, [huldreich] und gnädig in all seinem
Tun.
Wird einmal im Lichte der
Ewigkeit alles Geschehen in seinen engsten Zusammenhängen offenbar werden, wird
Gott erst enthüllen können, welche Ziele des Heils ihn in all seinen Handlungen
bestimmten, dann werden auch seine Feinde ihn rechtfertigen und sagen: „Gott,
dein Weg ist heilig!"
Verständlich, wenn der
Psalmist auf Grund der Gesamthaltung Gottes zu
allem Leben innerhalb
seines Königsreichs nun fortfahren und sagen kann:
18. Nahe ist der HErr allen, die ihn anrufen, ja allen,
die ihn in Wahrheit anrufen.
19. Er stillet das Verlangen der Gottes-fürchtigen, er hört ihr Schreien und
rettet sie.
In den Zeiten des Sängers
war das Bild despotischer Fürsten und Machthaber nichts seltenes. Wie
entrechtet und ohne Hilfe blieben unter ihrer Herrschaft die Armen, Schwachen
und Kleinen. Ihr Flehen drang selten durch bis zum Könige, ihr Recht
fand selten Gehör bei ihren Fürsten. An den
König aller Könige, an den Vater
der Barmherzigkeit wendet
sich niemand vergeblich! Unzählbar sind die Millionen, die seither durch dieses
Psalmwort in ihren dunkelsten Nächten neue Zuversicht zum HErrn
gewannen. Sie wurden durch das Wort stark in ihrer Schwachheit. Sie gewannen in
ihrem Zagen wiederum neues Vertrauen zu Gott, bis ihr Glaube der Sieg wurde,
der die Welt überwand. Kam die Erhörung der Gottesfürchtigen oft auch später,
als sie erwartet wurde, oder anders, als sie gedacht worden war, sie kam
aber nie zu spät und immer
als Rettung.
Nachher erkannte der Glaube, daß in
Gottes Warten Eile lag, daß Gottes Nein nur das richtige Ja vorbereitete. „Als
die Stunden sich gefunden, brach die Hilf mit
Macht herein!"
20. Der HErr behütet alle, die ihn lieben, alle Gottlosen aber wird er
vertilgen.
Der Gottlose wird sich
vertilgt sehen, weil er sich durch seinen Kampf
selbst vertilgt. Gott in seiner
königlichen Macht behauptet sich den Gottlosen gegenüber. Greifen sie in sein
Schwert, ist es ein Zweischneidiges, das
immer verwundet. Wer da wagt, den Kampf mit ihm und gegen sein in die
Geschichte hereingebrochenes Königtum aufzunehmen, mag es mit dem Verlust
seines Lebens und seiner Seele tun. Kampf gegen Gott war innerhalb der
Geschichte zu jeder Zeit Selbst mord. Der Mensch zerbrach an seinem eigenen
Kampf. Wer jedoch den HErrn liebt und wessen Liebe Hingabe an ihn als König und
an sein Königtum als an das Königreich der Himmel ist, der sieht sich behütet.
„Euch", tröstet Petrus die Fremdlinge hin und her, ,,die ihr aus Gottes Macht bewahret werdet zur Seligkeit, welche
bereitet ist, daß sie offenbar werde zu der letzten Zeit",
(l.Petr.1, 5). Im Begriff „behüten" liegt jenes Große, das Paulus mit den
Worten ausdrückt, „daß denen, die Gott liebhaben,
alle Dinge zum Guten mitwirken".
Eine gewaltige
Schau, die Glaubensschau des alttestamentlichen Sängers vom Königtum
Gottes! Jahrtausende mit ihren
Stürmen, Katastrophen, Umwälzungen, Empörungen haben nicht das
Glaubenszeugnis eines unbekannten Menschen, der ein Lied von Gottes unfaßbarer
Erhabenheit, Gottes ewigem Königtum, Gottes gnädigem Walten sang, zum Schweigen
gebracht. Und alle, die seinem Geiste verwandt sind, ruft er zu, mit ihm zu
Sprechen:
21.
Mein Mund soll des HErrn Lob verkünden, ja, alles Fleisch lobe seinen heiligen
Namen!
— Immer und ewiglich. —
Anmerkungen
zu Psalm 45
1) Der Psalm gehört zu den neuen alphabetischen
Psalmen: 9.10. 25. 34. 37. 111. 112.119.145. Inhaltlich ist er ganz
verwandt den beiden Psalmen 111 und 112, deren Strophen ebenfalls alphabetisch geordnet sind. Im 145. ist
jedoch aus unbekannten Gründen die Nun= Strophe ausgefallen, die Septuaginta
hat sie entsprechend unserer Übersetzung ergänzt.
2) 2) Nach E. Kalt, Die Psalmen S.. 509.
Der Verfasser dieser Psalmenauslegung hat
in den Anmerkungen wiederholt auf die Bände der von ihm verfaßten
Alttestamentlichen Auslegungsreihe: Das lebendige Wort, hingewiesen; in diesem Werke werden
manche Gedanken weitergeführt, die in der Psalmenauslegung nur angedeutet werden
konnten.
Das lebendige Wort
Beiträge zur Einführung in die göttlichen
Gedankengänge
und Lebensprinzipien des Alten Testaments
Bisher erschienen die
nachstehenden Bände Jeder Band ist in
sich abgeschlossen und einzeln
erhältlich.
I.
Band: Die
erste Schöpfung, ihr Fall und ihre Wiederherstellung
354 Seiten. 2. Aufl. In Lein. geb. 6RM
II.
Band: Noah und das damalige Weltgericht.
341 Seiten. 2. Aufl. In Leinen gebunden 6 RM
III. Band: Die Patriarchen oder Prinzipien des Glaubens
333 Seite.
Erscheint i. 2.Aufl. In Lein.
geb. 6RM
IV. Band: Israel- ein Wunder der Geschichte
366
Seiten. In Leinen gebunden 6RM
v.
Band: Das
Königtum und die Theokratie in Israel 380 Seiten.
In Leinen gebunden 6 RM
VI. Band: Die Propheten: Amos und Hosea
(Die
vorexilischen Propheten) 380 Seiten.
In Leinen gebunden 6 RM
VII. Die Propheten: Jesaja der Ältere(Die
vorexilischen
Propheten) 415 Seiten. In
Leinen gebunden 6 RM
VIII.
Band: Propheten: Jeremia usw. (Jeremia, der Prophet
tiefster Innerlichkeit und schwerster Seelenkonflikte) 408 Seiten. In Leinen gebunden 6 RM
XI.
Band: Die
Propheten: Daniel usw.
(Die währendeexilischen Propheten, Daniel als Staatsmann
und Prophet) 424 Seiten. In Leinen gebunden
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Brunnen=Verlag: Gießen
Bibelhilfe für die Gemeinde
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Bisher erschienen::
Neutestamentliche Reihe
Band 2: Das
Markus=Evangelium
Übersetzt und ausgelegt
von Lic. Dr. Wilhelm Herbst, Direktor des Evang. Predigerseminars, Frankfurt
(0.). 17l Seiten 8°. Karton. M.. 2.90. Ganzl. geb. M. 3.80
Band 4: Das
Johannes=Evangelium
Übersetzt und ausgelegt
von Oberkons.=Rat Dr.theol.Wilhelm Schütz, 4. u. 5.
Tsd. Berlin. 159 Seiten 8°. Kart. M. 260. Ganzl. geb.M.3.40
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von D. Erich Stange. 4. u. 5.Tsd. 108 Seiten 8°. Karton. M. 1.80. Ganzl. geb.
M. 2.60
Band 9: Der Galaterbrief
Übersetzt und ausgelegt
von P. Paul
Burkhardt. 120 Seiten 8°. Karton. M. 2.40. Ganzl. geb. M. 3.20
Band 10: Die Briefe an die
Epheser, Kolosser und an Philemon
Übersetzt und ausgelegt
von D. Paul Le Seur. 137 Seiten. Karton. M.
2.60. Ganzl. geb. M. 3.40
Band 11: Der
Philipperbrief
Übersetzt und ausgelegt
von D. Dr. Paul
Kalweit,Generalsuperint. i. R.
Danzig.
Karton. M. 1.40. Ganzl. geb. M. . 2.20
Band
13: Die Briefe an Timotheus und Titus
Übersetzt und ausgelegt
von P. Dr. Wilh.. Knappe. 144 Seiten
8°. Karton. M. 2.70. Ganzl. geb. M. 3.60
Alttestamentliche Reihe
Der Erste Jesaja
Übersetzt und ausgelegt
von Prof. D. Hans Wilhelm Herzberg,
Direktor des Evangel.. Predigerseminars, Hofgeismar.
139 Seiten 8°. Karton. M. 2.90. Ganzl. geb. M. 3.80
Ausgewählte Psalmen Erste (4. u. 5. Tsd.) und zweite Auswahl (neu)
Übersetzt und ausgelegt
von Jakob Kroeker,
Missionsdirektor im
Missionsbund „Licht im Osten",
Werningerode.
166
bzw. 160 S. 8°. Karton je M. 2.80.
Ganzl. geb. je M. 3.70
Ausführlicher Prospeckt
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Bei
Subskription 10 0/0 Nachlaß Gustav Schloßmanns
Verlagsbuchhandlung (Gustav Fick), Leipzig
Druck der Spamer A.G. in
Leipzig1937