(^jfüäfen Meppen TlBeR WINDUNG OTaq tu üdq er und Crfuf^et clqnunpcu aus c{eni kr/eqe DVA ÜBERWINDUNG TAGEBÜCHER UND AUFZEICHNUNGEN AUS DEM KRIEGE VON JOCHEN KLEPPER MCMLVIII DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT STUTTGART Das Nachwort, das die besondere Situation des Soldaten Jochen Klepper im Kriege und die Bedeutung seiner Kriegsaufzeichnungen im Rahmen seines Gesamt-Tagebuches verständlich machen soll, schrieb BENNO MÄSCHER © 1958 Deutsche Verlags-Anstalt GmbH., Stuttgart. Einband und Schutzumschlag: Peter Schneidler. Gesamtherstellung: Deutsche Verlags-Anstalt GmbH, Stuttgart. Papier von der Papierfabrik Salach in Salach/Württemberg Printed in Germany EIN UNSICHTBARES HEER IST MIT UNS AUSGEZOGEN UND BRINGT UNS AN DEN ORT, DEN GOTT BEREITET HAT, ES SEI IM HIMMEL ODER AUF ERDEN. Jocbcn Klepper TAGEBUCH DER SOLDATENZEIT i. 1.-8. io. 1941 FÜRCHTE DICH NICHT, GLAUBE NUR! i. Januar Hanni und Renerle zu Neujahr bei mir in Fürstenwalde. Im Dom. Im Gewölbe des Rathauskellers. 19. Januar Auf Sonntagsurlaub zu Hause. 26. Januar Auf Absdiieds-Sonntagsurlaub zu Hause. 28. Januar Ende der militärischen Ausbildungszeit in Fürstenwalde bei der 5. Schwadron/Fahr-Ersatz-Abtl. 3. Aufbruch zur Feldtruppe. Mit Wolgast und Foelsche zur ärztlichen Untersuchung. Man hat bei der Verteilung an die Fronttruppe die kameradschaftlichen Wünsche berücksichtigt. 29. Januar Nacht in Posen. Thorn. jo. Januar Thorn. Frontsammelstelle Deutsch-Eylau. Ankunft in Polen, in Ostrolcnka am Narcw. Beim IR 203, III. Bat., 9. Kompanie, als Fahrer vom Sattel. Ostrolcnka: zerschossener Markt, Bunker uiul Stacheldrahtverhau am Narew. Wir liegen außerhalb der Stadt in Woiejowiche in einer riesigen alten Russenkaserne. Stube 13. Nach uns treffen die Rüstungsurlaubcr, die späteren besten Kameraden ein. 2. Februar Psalm 34. 16. Februar Sonntagsspaziergang mit Foelsche, Wolgast, David Kowallik an der russischen Grenze. 1. März I Sonnabend Versetzung zum Divisionsnachschub in Muschaken/Moddelkau. Willenberg. Die „Insel“ und das Napoleonhaus. Im Pfarrhaus von Willenberg. Divisionspfarrer Plate. Nacht im Gemeindehaus in Muschaken. /. März / Sonnabend Willenberg Der Eindruck von Willenberg ist bestimmt durch das geschäftige Treiben der Landstadt und die unverkennbare, besondereLebendig-keit, wie sie um einen Stab herrscht. Das schafft eine gewisse Stimmung und Farbe, auch wenn das Auge an Sehenswertem kaum etwas findet. Aber wer sucht und fragt, soll nicht unbelohnt bleiben. Denn da ist noch „die Insel“, jener stille Winkel unter hohen Bäumen, an den das behäbige Haus grenzt, in dem Napoleon vor dem Feldzugsbeginn gegen Rußland lebte und in dem er, vor der großen Katastrophe fliehend, nach dem Brand von Moskau und dem Untergang seiner Armee wieder übernachtete. Was umschließt dieses Haus; welches Geschick ist abgelaufen in jener Spanne zwischen Napoleons Aufbruch und Rückkunft! Es ist eine jener Stätten - um derentwillen man oft weit reist -, an denen Geschichte sich zum Bilde verdichtet. Vor dem niedrigen, langgestreckten alten Hause unter den riesigen Kronen der noch kahlen Linden spürt man die Weite und Schicksalhaftigkeit des Ostens. 2. März / Sonntag Invocavit Küster in Neidenburg Spätnachmittag. Ankunft in Moddclkau im Auto des Divisionspfarrers. 9. März / Sonntag Rcminiscere „Konvent“ im Neidenburger Pfarrhaus. Die Neidenburger Theo-logensoldatcn und ich. 14. März t Freitag Vormarsch Aufbruch von Moddelkau-Muschaken. Der erste herrliche Märztag. Die Neidenburg am Feierabend in wunderbarer Sonne. 17. März / Sonnabend Herrlicher Sonnenaufgang über Warschau. Grauer Nachmittag: Tschenstochau, die Kirche! Schon vorher viele Klöster und Kirchen: Barock. Polnische Eigentümlichkeit: die vielen auf dem Bahndamm bettelnden Kinder. 16. März / Sonntag Oculi Nachts und früh Fahrt durchs Protektorat (Mährisch-Ostrau). Sonniger Sonntagmorgen: Österreich. Ebene; ungeheures Hochwasser; Barockkirchen und -klöster. Renaissanceschloß Angern. Weinberge. Warme Mittagssonne. Wien. Baden. Nachmittagsschatten. Spätnachmittagssonne: Ungarn. Am Ausgang Sopron. Die erstmalig erlebte Begeisterung der Dorfbevölkerung. In der Nacht der Lichterberg von Budapest. Große Sterne. Ungarisches Weizenbrot. 17. März / Montag Sonniger Morgen über der ungarischen Ebene. Frühjahrshochwasser. Erstes Sprossen aus der Erde. Grauer Mittag: Das Theißhochwasser. - Ungarn hält auf sich. - Die Veränderung der Tiere. Leiser Regen: die Pußta. Die ersten knospenden Sträucher; die ersten Pflüger. Weiden- und Haselnußkätzchen. Nachmittags Sturm. Selten nur noch Kirche oder Bethaus. Leichter Schncefall über der Pußta. Nachtwache an der rumänischen Grenze. Sturm. Kälte. Düsterer Mondaufgang. Hochwasser. Ländlicher Charakter auch größerer Städte Ungarns. i8. März / Dienstag Rumänien. Arad, die Stadt. Trachten. Nach Ebene nun liebliches Gebirge und Weinberge. Gepflegte, geordnete Dörfer und ländliche Städte. (Diese selten.) Das schöne Radna mit dem Fluß, Berg, Kloster. Sonne, Kühle, Klarheit. Wie in Polen und Ungarn so auch in Rumänien: bettelnde Kinder. Zigeuner, Schwarzwälder: Siebenbürgen! Flußtal, schöne Dörfer, Gebirgspanorama, blühende Forsythien, Schneeglöckchen, Lämmchen. Schneebedeckte Gipfel. Deva unter der Burg. Kalte Sternennacht. /*yff ■fi<*4Uyu. ct^JL tLu*ok^vc A jA '7^WW«/«1^,'^ ^l^vJ t fr* /fS'Lj c^ir rJk&e^i st*u+ "V / /^T ,**~~~ /<*w- -^5 'r*'v^r^7, +u(n**. r£yC*'yy£**f 0+1*!* y******.^{*■ " ni'&rCyf* yT*yrr.H/ *v^*nA, //%tyy\d*nv^* £~isCofi~r• <£ ^svi^yu, &4<*j yO-r*y*f -fif* « fifit it* - 't*~r&-tfr *fl<*^Siyrr^ y^YUr-rf 6cyAo*i*i*v\f- •^"7 )Ty‘/i)&ytf'r ff>f-'-cJfafrt\$ rn*,'f fr*, yffcy fffyxt fv hnr u-i*** * * ! ^TCl y**yJ A]l**tyty**f. tfg*.' flcjc+f 12. Juni / Donnerstag Schwerer Morgenregen. Den ganzen Tag über immer wieder „Balkanregen“. Schwere Wetterschäden werden gemeldet. Der Adjutant über „Eloquenz und Bescheidenheit meines Vortrags, über den jeder begeistert sein mußte“. Ich schreibe meine eigenen Vormarsch-Erlebnisse als Beitrag zu meiner dienstlichen Arbeit und für den „Edtart“. - Der morgige Aufbruch wird bekannt. Der rührende Abschiedsabend mit den alten Zorngiebels, die nach meinem Schnaps Landwein stiften. So viel Form und Noblesse in ihrer Einfachheit und Armut. Regen, Regen. /j. Juni / Freitag Pascani/Corni Nach Regennacht und Morgenkühle schöner Tag. Der ernste, schöne Abschied von den alten Zorngiebels - mit solchem Ernst „Mit Gott“. Der - für mich erstmalig - motorisierte Aufbruch des Stabes. Wir von Adjutantur und Kommandantur im großen Autobus. Wunderschöne Wald- und Vorgebirgslandschaft in Nachmittagssonne. Wieder eine weiße Kirche mit vier Türmen nebeneinander. Schäferhorn und Kuckucksruf; im Autobus Lachen und Singen, später leider auch bei einigen Betrunkenheit. Einmal bleiben wir im Wege stecken. Nach 4 Stunden Fahrt um 18 Uhr in Corni. Stilles, einfaches, weitverzweigtes Dorf in großen Linden. Adjutantur, Kommandantur, Kasino, Zahlmeisterei in einer sehr reizvollen, landhausähnlichen Schule untergebracht; Riesenräume mit je drei Rundbogenfenstern, die ich im Geiste einrichte. Das Ordnen und die Haushaltsführung unserer Adjutantur übernehme ich, damit wir uns in alle Dienste teilen. (Kasino: als Sitze umgekehrte Schulbänke, die lange Kerzenreihe; auch wir essen bei Kerzen.) Erich Franke, Heinz Hintze und ich hausen zusammen mit dem aus Pascani mitgebrachten kleinen Hund Bobby in unserer Schulklasse. 14. Juni / Sonnabend Corni Mit all dem Meinen, Sachen wie Geschäften, wieder eingerichtet. Schöner Sommertag. Die kleinen, wilden Bauerngärtchen, die Weingärten. Die Linden blühen zu den Rosen. - Das Mittagsbad in Ninas’ Quartiergärtlein. Der Leichenwagen mit den goldenen Holz- glöckchen und den verwelkten Lindenzweigen von Pfingsten her. -Nachmittagsschwüle, Gewölk, Regen. Zweitürmige Dorfkirche in siebenbürgischer Art. - Regen, Kühle, Dunkelheit, Sturm. - Ninas, Franke und ich sitzen bei Kerzen beim Likör und Keksen von Hilde. Endlich drei Briefe auf einmal von Hanni: nun weiß sie also von Reise und Rückkehr. Wir sollen jetzt mit jedem Tag mit dem Ernstfall des Einsatzes rechnen. Nach schwerer Regennacht alle Wege nach Corni unbefahrbar. Immer mehr, durch Truppen-ankunft und Einrichten eines Feldlazaretts, verdichtet sich militärisch, daß etwas Ernstes vorgeht. 15. Juni / Sonntag Neue Truppen, Feldtruppen sind hier im Anmarsch. Grauer, stiller Tag, an dem wir alle arbeiten. Das Propagandaministerium fordert auf dem Dienstweg über das OKW Stilproben zu meinem PK-Gesuch an (unter dem 24. Mai). Dorfkapelle; Männer und Kinder in Tracht ziehen mit ihr die Dorfstraße entlang. Die schönen, hinten hochgeschlagenen, schwarzen Hüte der Männer. Kirchgängerinnen in dem eleganten schwarzen Trachtenbarett blieben im Dorf über Mittag zu Gast; als ich zwei beim Mittagbrot antraf, war ich über die Grandezza ganz frappiert; so viel Charme. Auf der Adjutantur meinen sie, ich wäre nach Einreichung der Stilproben, die ja aber erst angefertigt werden müssen und möglichst militärischer Natur sein sollen, nur noch vier Wochen hier. Dorftanz bei den hohen Linden und dem primitiven Schaukelrad. Alle Mädchen haben Rosen oder Pfingstrosen. Manche junge Männer in schlechtem Konfektionshut und mit altmodischem Regenschirm beim Tanz. Kühler Tag mit regenschweren Wolken. Linden, Linden. Abends lange Schulbank mit Kerzen und Likörgläsern; viel Besuch; dann allein mit Heinz, Fritz Krüger, Erich Franke. Alle so zufrieden mit dem Sonntagabend nach fleißiger Arbeit. Hannis Brief vom „Gotteskind“. 16. Juni / Montag Kühl und grau. Die Akazien blühen noch so frisch. Auch aus einem Brief von Reni spricht nun die große Dankbarkeit, wie sie Hanni und mich erfüllt. Das schlechte „Menschenmaterial“ des Nachschubes: die sonst un- verwendbaren, jedoch kv. geschriebenen Soldaten belasten den Nachschub. Rußland dementiert die Gerüchte um einen Krieg mit Deutschland. Aber wir bereiten uns noch sehr ernsthaft vor. Neue Truppen; und ein Feldlazarett in der Schule, in der wir bisher lagen. Die Adju-tantur, Büro und Quartier, zieht in ein gegenüberliegendes Bauernhäuschen. Linden, Heckenrosen, rosa Papiergardinen, Heiligen-und Christusbilder, von diesem dasselbe zweimal. Rahmen aus Silberglas. Bunte Wandbehänge, Riesenlagerstätte, weißer Ofen mit bunten Kanten, lasierte Dachbalken; das ganze nach oben offen gebaut wie Theateratrappe. Winden wachsen auf dem Strohdach. Unser Hunderl schläft im neuen Quartier sogleich weiter. Jeden Abend Brief von Hanni. Unermeßlicher Regen. Petroleumlampe; Likör; Süßigkeitspäckchen von Hanni; behagliche Abendstunde mit Franke und Heinz. iy. Juni / Dienstag Der Adjutant meint, da die PK.-Bewerbung weiter bearbeitet worden sei, wäre die militärische Sondergenehmigung erteilt. Man möchte mich hierbehalten, sieht aber die PK. als die allerbeste Lösung für mich an. Anfrage von Divisionspfarrer Plate: Ich soll vor zwei Offizierskorps der Division Vortrag halten über „Der christliche Roman“. 8. Impfung: Cholera. Schwerer Morgenregen, danach bleibt der Tag weiter trübe. Abends Regen und Sturm. Feldwebel Ninas und Wagner bei uns zum warmen Abendbrot. Zwei Vasen, vier Kerzen, Papierservietten -große Begeisterung über mein „Kasino“. 18. Juni / Mittwoch Trübe und kühl. Nur ein wenig Sonne am Morgen. Regen, Regen, Regen. Kein Kino, kein Lokal, kein Geschäft - entfernt ein paar Landschenken. Die Soldaten haben nichts als den Schlaf. Bobby hilft uns über Regen und Einsamkeit hinweg. Und wir uns selbst durch unsere hübschen Abendbrote und Feierabende, die ich organisiere und arrangiere. Diesen Abend verbrachten wir mit Ninas, Wagner, Hptfw. Hübner von einer anderen Einheit. Regen, Regen, Sturm. Die Gerüchte über Krieg mit Rußland sind im Schwinden. Wagner schläft jetzt auch immer bei uns. Nach dem Regen kein Weg und Steg. Noch immer totale Urlaubssperre. In Deutschland stärkste Eisenbahnbeschränkungen. 19. Juni t Donnerstag Kühle, starker Wind, Regenschauer, aufleuchtende Sonne, Regenschauer. Das Begräbnis: Holzleuchter, Heiligenfahnen, weiße Flore, vier Kuchenkränze an den Säulen des Baldachins, zwölf blaue Stab-Holzlaternen. Langes, langes dünnes Glockenläuten. Tate, Mama (die mich immer strahlend am Arm schüttelt), Maria. Maria sorgt so fleißig für uns. Mama und Tate so schmutzig und rührend. Nach großem Regen wieder Abendrunde, zu der alle immer blitzsauber kommen. Als neuer Gast der neue Unteroffizier Lilienfein, Musiklehrer, Schüler von Mersmann. Abendgewitter. 20. Juni / Freitag Trübe, windig, kühl. Eine Werk-Kompanie ist eingetroffen, um uns die grundlosen Wege für den baldigen Aufbruch auszubessern. Wieder, nach kurzer Schwüle, großer Mittagregen. Nachmittagsregen. Pfingstvogel. Sturm. Über dem Spiel mit der Katze lernt Bobby bellen. Abschiedsfeier von Corni mit Bohnenkaffee, Kuchen. Lilienfein mit einem auswärtigen Spieß als Gäste. Sternennacht. 21. Juni / Sonnabend Stauceni Sturm in der Morgendämmerung, Gewölk, dann wunderbarer, mattgoldener Sonnenaufgang. 8 Uhr Aufbruch der Autos. Die Fahrt durch die hügeligen Wälder sehr schön. 12 Uhr Ankunft in Stauceni. ödes Dorf, aber an einem - wenn auch verschilften und sumpfigen - See und Graben, in denen man zur Not baden kann. Es wird ein schöner, schöner Tag. Sonne und Wind. Wir kampieren im Autobus. Zwei Briefe von Hanni. 22. Juni / Sonntag Gestern abend, in unserem verdunkelten Omnibusquartier, haben wir zum Teil sehr schöne und immer ernstere Lieder gesungen - doch sehr stark von dem Gefühl beherrscht, am Vorabend großer Ereignisse zu stehen. Nachts und in den frühen Morgenstunden hörte ich das unaufhörliche Summen großer Flugzeuge, und so war man nicht überrascht, als erst das Gerücht, dann mit Rundfunknachrichten die Bestätigung kam, die deutschen Truppen seien in den Krieg mit Rußland eingetreten. Der erste Gedanke ist bei allen die Dauer des Krieges, sodann aber die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit Rußland früher oder später. Großer Morgenappell in schöner Sonne, frischem Wind; Rede von Adjutant Leutnant Kulig, Verlesung des Führeraufrufes an die Ostarmee mit den so ernsten Eingangsworten. Wir gehören nun zur XI. Armee und stehen, auch als Nachschub, in höchster Alarmbereitschaft. Sofortige Überprüfung der Gasmasken und Waffen, Tarnen unseres Autoparks. An diesem besonderen Tage nehme ich auch an solchem Dienste teil, halte auch während der mittäglichen Offiziersbesprechungen Wache in einer Hinterstube des elenden „Kasinos“. Dort kann ich an Hanni und Ihlenfeld schreiben. Denn ich bekam von Hanni zwei Päckchen: in einem die drei ersten Exemplare der neuen Kyrie-Auflage (in Höhe von 5000); im anderen u. a. auch Spielzeug für Ghiorghi. Das berührte einen ganz seltsam. - Vom „Vater“ sind im 1. Quartal 1941 rund 7000 Stück verkauft. Der ernste Sonntag wird allmählich schwül und trübe. Wir hören, daß die Division schon zwei Tote hat, Unteroffiziere meiner 9. Kompanie des III. Bataillons vom I. R. 203. Oberleutnant von Rödern, mein alter Kompaniechef, schon wieder verwundet. Für uns kriegerische Stille. Trotzdem hat man natürlich, nun beim Stabe, über zehn statt in einer Kolonne, einen viel intensiveren und zentraleren Eindruck von diesem schweren Tage, als es bei der Fahrkolonne möglich gewesen wäre. Die Nachricht vom Kriegsausbruch und das Morgenglockenläuten der mit Soldaten belegten, halbfertigen Kirche, mit dem eigentümlichen, dünnen, harten Trommeln dieser Kirchgegend hier, trafen zusammen. Hauptmann Cartheuser bringt mir noch zwei weitere Briefe von Hanni mit. Und die Schillerschen Photos von Hanni und Reni. Das Dorf, die Landschaft so öde, so tot, so grau trotz grüner Feldstreifen und des verschilften Teiches. Friedlicher Abend mit einer Flasche Cognak und Trinkspruch-Dichten im Autobus. 23. Juni / Montag Die Nacht verlief in völliger Stille. Am Morgen hörte man Artillerie, da in 40 km Entfernung von uns gekämpft: wird. Die Russen haben ein Flugzeug mit deutschen Abzeichen verwendet. Audi Pferde sind schon tot. Es wird wieder sehr schwül und heiß, aber so sehr an aller Form festgehalten wird, gewährt man uns doch jede Erleichterung, zumal nun zwei Stunden täglich kriegsmäßige Übungen abgehalten werden müssen, was mir meiner Lücken wegen sehr wichtig ist. - Der Adjutant spricht mit mir über das „Kyrie“, voll der wärmsten Anerkennung, und sagt, daß er sich in allem, was in den Liedern ausgesagt sei, in völliger Übereinstimmung mit mir befinde. - Ist nicht dort, wo ich fromme Offiziere und Kameraden finde, zwei oder drei in „Seinem Namen“, schon der Ort, zu dem der Engel mich geleiten soll und der mir von Gott bereitet ist? Aber wird dieser Eindruck standhalten? Nachmittags umwölkt, aber keine Linderung der Schwüle. Später schwerer Regenguß. Im Sonnenuntergang, in fahlem Gold, mitten eine steile, graue Wolke. Friedliche kleine Trinkrunde in unserem Autobus. Neben unserer Division kämpfen zwei rumänische Divisionen, von denen die eine, nur 30 km von hier entfernt, den Russen nicht standgehalten hat. 24. Juni / Dienstag Stille Nacht und stiller glühender Morgen. Kampfübung im Gelände: Fliegerschutz, Fliegerabwehr, Fallschirmjägerabwehr und Sturmangriff auf gelandetes Fallschirmjäger-MG. Während der Übung plötzlich Flak. Die Dorfbevölkerung scheint vom Kriegsausbruch ganz unberührt. Einige unserer Munitionskolonnen fahren schon Munition zur kämpfenden Truppe. Lastautos mit rumänischen Verwundeten (überwiegend Kopfschüsse) kommen vorüber. Die Russen haben Spähtruppunternehmen aufgerieben, eine rumänische Brücke gesprengt. Eine rumänische Division, nahe von uns, hält nicht stand. Dafür Riga und Kowno eingenommen. Der Adjutant fährt alle unsere Kolonnen besichtigen und kommt bis auf zwölf Kilometer an die Front heran. Die Stimmung ist überall gut. Im Omnibus abends feiern wir, nachdem wir mittags baden waren, bei bescheidenem Trinken und alten Wandervogelliedern, das Autobusverdeck offen, unter dem Sternenhimmel Johannisnacht. Bis zum Dunkelwerden hatte ich trotz der Glut und Schwüle mit großer Freude geschrieben. Abends können wir im Autobus kein Licht brennen. Das Dorf bleibt so gesichtslos und öde, obwohl ein paar Hügel, Felder, der kleine See da sind. Auch zur Bevölkerung kommt diesmal überhaupt kein Verhältnis zustande. - In der halbfertigen Kirche liegen Soldaten. - Ein hübscher Anblick: die großartig ohne Sattel reitenden Dorfjungen; die abendliche Heimkehr der Schaf-und Kuhherden. Der gute Schlaf bleibt mir erhalten, als wäre die Versetzung zum Stabe wie eine Caesur gewesen. Zum ersten Male träume ich von Soldatsein und Krieg: von der Gefangenschaft (die mich am meisten beschäftigt). Sehr freute ich mich, als ich gestern hörte, Feldwebel Ninas habe zum Adjutanten gesagt, seit Klepper da sei, wären die Abende so hübsch, und es werde nicht mehr nur gesoffen und geschweinigelt. Auf meine Veranlassung hat man von Hauptmann Cartheusers heutigem Geburtstag bei der 5. Kolonne trotz des oft gespannten Verhältnisses in netter Weise, mit Blumen und Ständchen, Notiz genommen. 2j. Juni / Mittwoch Glut. Das kurze Mittagsbad und der Drillichanzug ohne Unterwäsche sind die einzige Wohltat. Gesundheitlicher Tribut an den Balkan: der Durchfall aller. Aber auch daran gewöhnt man sich. Wir konnten vormittags die Flakbeschießung eines russischen Flugzeuges, das entkam, beobachten. Die Russen locken durch weiße Fähnchen heran und schießen dann; ihre Flugzeuge haben zum Teil deutsche Abzeichen. Deutsche Truppen sollen schon 300 Kilometer tief in Rußland sein. Für unsere Stärkung und Erfrischung wird alles getan: Siphons, Brötchen, Sekt, Bier, Schokolade, Erdbeeren werden herbeigeschafft. Sonnenbrillen, Mückenschleier (die wir zum Glück noch nicht brauchen). Großer Mittagregen, dann heißer Sommernachmittag. Die im Hinblick auf den „Vater“ so schöne Kaffeestunde mit Divi- sionspfarrer Plate, dem jungen Theologen Christian Damme von der benachbarten Werkstattkompanie, Hauptmann Jordan (der des „Vaters“ wegen „den Hut abnahm“) und Hauptmann Arndt in dessen Zelt. Abendbesuch von und Abendspaziergang mit Vikar Lamme. 26. Juni / Donnerstag Am Morgen die drei russischen „Heckenspringer“. Glut. Meine Feuertaufe. Aus 30 Meter Entfernung um 11 Uhr vormittags von russischem Flugzeug mit Maschinengewehr beschossen. Um 18 Uhr Aufbruch nach Dangeni. Auf der Durchfahrt bietet Botosani, das ich nun zum dritten Male sehe, ein völlig verändertes Bild, es ist eine Stadt des konzentrierten Kampfaufmarsches geworden. Und ungeheuer auch die Verdichtung, als wir nun zum Abend nach dem kleinen Dorf mit seinen blühenden Sommergärten kommen: Artillerie, Infanterie, Autos, Autos, Offiziere über Offiziere. Unentwegt beraten die Offiziere, jagen die Melder; man hört Artillerie. Vor unserer Ankunft wurde nach vier Luftangriffen dieses Tages ein russischer Hauptmann abgeschossen. Material des Flugzeugs, Holz und Leinwand, sehr schlecht. - Ich muß wegen Leutemangels nach der Ankunft als Wache einspringen, nachts 12 Uhr 30 bis morgens 3 Uhr 30. Ungeheures militärisches Leben der beiden schlechten Dorfstraßen, an deren Schnitt-Eckpunkt wir liegen. Fahrkolonne, Melder, Flüchtlinge; und endlos schwerste rumänische Artillerie hinter klobigen Lkws. Gerade in dieser Nacht, vor und nach meiner Wache, nach meiner Feuertaufe zum erstenmal auf Stroh im Freien unter herrlichem Sternenhimmel geschlafen. Auf der heutigen Fahrt sah ich zum ersten Male in Rumänien Landhäuser mit wilden Parks, in denen, sehr malerisch, die Pferde unsrer Fahrkolonnen versteckt sind. 27. Juni / Freitag Dangeni Glut. Wir bauen eine Bohlenbrücke für den Omnibus, tarnen ihn hinter einem Bauernhäuschen. Dort arbeite ich dann im dichten, wilden Gärtlein auf dem Lehmsockel des mit wildem Wein bewachsenen Holzvorbaus; mein Schreibtisch ist der Feldpostbriefkasten, mein Sitz ein umgestülpter Eimer. Zwei Häuser entfernt im Rasen: David Kowallik von meinem alten Regiment. Bei ihm zu Besuch. Er sagt mir, daß er nach dem gefährlichen Stoßtruppunternehmen - in rumänischer Uniform über den Pruth - zur Kommunion gewesen sei. Später kam auch Buhl vom IR 203, III. Bat. 9. Kp. zu mir zu Besuch, abends noch Walter Dickow und noch einmal David. Wir sind also nahe bei der kämpfenden Truppe. Besuch von Hauptmann Cartheuser. Der Spätnachmittag endlich in Schatten und Wind. Ein großer deutscher Vorstoß scheint sich hier vorzubereiten. An diesem Abschnitt ist man noch nicht über der russischen Grenze. Die Grenze etwa 20 Kilometer entfernt. Die Division geht bereits nach der Grenzstadt Stefanesti voraus. Unsere Kolonnen fahren schon dauernd Munition in die Stellungen. Die grüngetarnten Wagen auf der Aufmarschstraße wirken so pfingstlich-festlich. Der Abendbesuch der IR-Kameraden war so herzlich. We tief doch auch diese Beziehung: „Wenn wir an Frau und Mutter schreiben, schreiben wir auch gleich an Dich.“ Abendrunde im Bauerngärtlein zu Kerkaus Sekt. Unter den vielen Offizieren war auch General de Angelis heute hier. 28. Juni / Sonnabend Die Bevölkerung auch hier sehr stur und ohne Begreifen für die Situation der deutschen Soldaten in Rumänien. Nur mit Mühe und Geschenken, Geld und Bitten und Vermittlung erreichen wir, daß eine Frau mit unserer Seife für uns wäscht. „Dominike“ - des morgigen Sonntags wegen wollen sie schon heute nicht für uns arbeiten. Aber unserer Wirtin mache ich klar, daß, wenn die Russen kämen, kein „Dominike“ mehr wäre. Da wäscht sie von jetzt ab für uns auf, wir können bei ihr Eier braten, sie nimmt nicht mehr bezahlt und schenkt uns sogar Eier. Weiter der Eindruck des letzten Aufmarsches auf der Landstraße. Der Stab der Division schon an der Grenze, in Mihalaseni. Wir müssen stündlich, täglich mit dem Aufbruch zur Front rechnen. Wir haben uns am Zaun hinter unsrem getarnten Autobus, in dem wir nun auch schlafen, aus jungen Akazien und Zeltbahnen ein schattiges Arbeitszeit gebaut, unsere Aktenkisten als Sitze und Tische. Briefbogen-Geschenk vom Kronprinzen von Sachsen; rührender Brief von ihm; Kondolenzdanksagung vom Kronprinzen. Vormittags Maschinengewehr-Feuerwechsel mit einem Flugzeug. In der Nähe abgeschossen. Es soll ein rumänisches sein. Ich schreibe ein drittes Probestück für das Propagandaministerium: „Die Wolke“. Mandi kleiner Weingarten in den Dörfern dieser Gegend. Panzergeschütze rollen durch das Dorf. Das fürsorgliche Erziehungswerk an H. FI. - eine neue Form der Kameradschaft zwischen dem 21- und dem 38jährigen. Und nicht die schlechteste. Aber all seiner Torheiten wegen sieht es nicht so aus, als könnte ich ihn hier halten, so viel ich auch eingerenkt habe. Wir arbeiteten, bis es dunkel wurde. Dann, als es nun auch regnete, saßen Martin Ninas, Erich Franke, Heinz und ich bei einer Flasche Cognak im Autobus. Nicht nur keine Post, sondern auch die heute von uns abgesandte Post kam abends zurück. Die Feldpostämter sind unterwegs. 2$. Juni I Sonntag Dangeni In der Nacht riß der Sturm unsere Tarnung um. Da gegen Morgen heftiges Schießen zu hören war, mußten wir sie wieder aufbauen. Der Sonntagmorgen dann so friedlich. Sommertag. Von der Kirche weit drunten im Grünen läuten mehrmals am Vormittag die Glok-ken. Seit 8 Uhr arbeiten wir wieder fleißig. Auch den Autobus habe ich, soweit möglich, wieder in Ordnung; unser kleiner Bushaushalt ist sehr kompliziert, und es muß einer mit fester und unermüdlicher Hand eingreifen. Zu den Proben für das Propagandaministerium hat der Adjutant mich beglückwünscht. Am Nachmittag mit Dr. Siefke, dem Veterinär, im bequemen Mercedes hinauf bis 12 Kilometer an die Grenze gefahren, zu Oberleutnant Kelz, 8/176, der mein Vorgänger im neuen Auftrag war. Er hat aber kein Material, und Vorarbeiten sind trotz der vielen Mahnungen nicht geleistet. Gestern hatte seine Kolonne Beschuß im Walde, zwei Verwundete, einige tote Pferde. In ihrem Waldlager war es wunderschön. Besonnter Laubwald voller Soldatenzelte und Pferde, die gerade zur Tränke geführt wurden. Überall im Walde Artillerie, Fahrkolonnen, Infanterie, auch einer anderen Division; auf einer Höhe Pioniere mit ihren Pontons. Wie schön zu dem durchsonnten Laubwald die jungen Weizenfelder. Wie sich der Sonntag doch immer noch abhebt. Das mutwillige öchslein in Garten, Hof und Haus (!) unseres Quartiers. Den Abend haben wir noch zu zwölfen hübsch an der Feldküdie und „Kantine“ beim abends eingetroffenen Bier verlebt. Auf der Straße noch immer Aufmarsch: schwere Panzerabwehrgeschütze. Und immer wieder auch noch einmal Kavallerie. In diesem neuen Kriege scheint nun das Pferd wider Erwarten und Tendenz doch noch einmal eine große Rolle zu spielen. Auch auf der nachmittäglichen Autofahrt begegnete uns immer wieder schwer bespannte Artillerie. jo. Juni / Montag Glut, Glut. Der Autobus gewährt als Arbeitsraum noch am meisten Schutz. Für die Feldzugsgeschichte ist neben viel Fehlanzeigen der Einheiten einiges gute Bildmaterial eingegangen, Textliches jedoch gar nicht, dies bleibt anscheinend ganz mir Vorbehalten. Fleißige, stille Arbeit. Auch heute schweigen die Russen. Mit allem wieder in geregelter Tageseinteilung, auf die man gerade bei unserem unsteten Leben nicht verzichten soll. Die morgendlichen Übungen fallen jetzt weg. i. Juli / Dienstag Nachts schwerer Regen, Gewitter, fernes Artilleriefeuer. Durchmarsch des IR. 230. In allen den Aufmarschtagen, bis auf diese Nacht, plötzlich das bei diesen schlechten Straßen so unbedingt notwendige trockene Wetter. Gegen das Klima sorgfältige prophylaktische medikamentöse Behandlung. Der Kommandeur, Major Eras, ist aus Berlin zurückgekehrt. Er kann meine Stilproben für das Ministerium noch sehen („Die Wolke“, „Die grüne Maske“, „Die beiden Fenster“) und den Antrag unterzeichnen, daß man mich beim Einsatz hier als PK-Mann arbeiten lassen soll. Die großen deutschen Anfangserfolge in Rußland. An unserem Frontabschnitt weiter Ruhe. Die Feldpostsperre soll wieder aufgehoben sein. Wir haben 720 Lei Frontzulage bekommen. Als Bestätigung schätzt man es sehr. Praktisch kann man hier nichts damit beginnen. Der Nachtregen wirkt sich schon aus. Auf dem Wege, z.B. zu unserer Achten Kolonne, bleiben Autos, Wagen, Krads stecken und müs- sen von Raupenschleppern herausgewunden werden. Man hofft, daß die Mittagshitze die Wege austrocknet. Ich arbeite jetzt nebeneinander an meinem Stabsauftrag und an der Feldzugsskizzenreihe für Ihlenfelds „Eckart“. Die Flakbeschießung russischer Flieger gesehen. Wir hören dann, drei seien abgeschossen. Noch immer der gewaltige Heerzug die öde Straße hinauf zu der Grenze: rumänische Infanterie, deutsche Kavallerie, deutsche Panzer und Panzerjäger, Artillerie mit sechs und acht Pferden bespannt. Man erwartet bald unseren Durchbruch und den Übergang über den Pruth. So braun und wohl wir aussehen, sind wir doch alle sehr matt von der Schwüle und vielleicht auch von den vielen Medikamenten. Ein wenig Regen am verhüllten Tage linderte nicht. Abends sitzen wir nach Dunkelwerden, doch ein wenig ratlos, was beginnen, auf der Lehm- und Holzbalustrade des Bauernhäuschens. Deutsche Soldaten singen, rumänische Soldaten singen. Aber kein Verhältnis zwischen den verbündeten Nationen. Den ganzen Abend, die ganze Nacht der Heereszug der beiden verbündeten Armeen, oft getarnte Wagen, zu der öden Höhe vor der Grenze hinauf. Nachts, über der 10-15 Kilometer entfernten Front, ein Fliegerabschuß. Das erste Päckchen von Hanni an die neue Feldpostnummer, Pfefferkuchen. Hier wird nun auch wieder zwischen allen geteilt. -Spricht aus Hannis heutigem Brief der Wunsch nach einem neuen, abgeschlosseneren Garten und einem Haus, das allein auf uns zugeschnitten ist? 2. Juli / Mittwoch Unsere Division diese Nadit fünf Kilometer über den Grenzfluß Pruth gegangen. Der frühe Tag ist trübe und kühl. Dann neue Glut und neuer Glanz. Erst heute Morgen hat der ungeheure Aufmarsch einigermaßen nachgelassen. Aber noch geht er fort. Des Leutemangels bei der jetzt sehr beschäftigten Stabskompanie wegen wieder als Wachtposten eingesprungen. Wache von2}Uhr40 bis 3 Uhr 20. Monduntergang, Sternenaufgang, Morgengrauen einer Sommernacht. Die Balkanabende sind übrigens auch um diese Jahreszeit auffallend früh dunkel - es sind doch die längsten Abende jetzt! Fahrkolonne, LKW-Kolonne, rumänische Kavallerie, fürs deutsche Militär gedingte Panjekolonne unter OA Fitzner, der mich mittags besuchte, ziehen nachts an mir vorüber. Die dörfliche Nacht hat kaum noch eine stille Stunde. Brigittes erster Brief aus ihrer vier-monatigen Ehe, über Amerika, in Hannis Abschrift. Brigitte ist getauft und kirdrlich getraut. j. Juli / Donnerstag Stanca 11 Uhr Aufbruch nach Stanca, ganz nahe hinter der Front. Elende Straßen. Stanca armselig, aber so sommerlich grün. Feuerlilien, Dahlien, Georginen. Üppige, wilde Bauerngärten mit sehr viel Akazien. Dorf fast völlig von Bewohnern verlassen. Die hungernden Hunde und Katzen. Wir richten uns, Kommandantur und Adjutantur, in einer leeren Schenke ein: in der Schankstube, der Küche mit dem Schlafofen, die noch mit verdorrten Akazienblüten geschmückt ist. Auf der Fahrt sahen wir bald hinter Dangeni das Grab des abgeschossenen russischen Fliegerhauptmanns. An der weißen, freundlichen Kirche von Stanca die ersten deutschen Gräber mit dem frischen Holzkreuz, Stahlhelm, Soldatenkränzen aus den verlassenen Bauerngärten. Ein Pionier wurde hier am Tage vor unserer Ankunft von Heckenschützen erschlagen, die über den Pruth gekommen sein müssen. Gleich nach der Ankunft bauten wir einen sehr schwierig durchzuführenden Knüppeldamm für den Bus. Dreimal in der Stunde der Ankunft im Vorgefundenen Laufgraben, uns vor dem heftigen Schießen auf und von russischen Fliegern zu schützen. Deutsche und rumänische Truppen in dem von seinen Einwohnern fast verlassenen Dorf. 4. Juli / Freitag Sapta Bani Nachts um 3 Uhr Aufbruch. Aber drei Stunden müssen wir warten, bis wir eine neue Knüppelbrücke für den Autobus gebaut haben; unsere gestrige ist gleich bei der Abfahrt eingebrochen, der Omnibus ist eingesunken. Fahrt inmitten des Aufmarschs auf gefährlichelenden Straßen. Um V28 Uhr früh in Stefanesti; schwere Bombenschäden, noch vom Brande qualmender Stadtteil, verlassene Stadt, die bald nach unserer Durchfahrt wieder von russischen Fliegern bombardiert wird. An Stelle der verbrannten Brüdte finden wir eine Pionier-Notbrücke, auf der wir den Pruth und damit die heutige russisch-rumänische Grenze überschreiten. Wir sind nun im ehemals rumänischen, jetzt russischen Gebiet. Hier überall noch rumänische Bevölkerung. Große Bombentrichter am Wege. Gleidr hinter Stefanesti acht frische deutsche Soldatengräber beieinander. Auch unsere vorausgefahrenen Autos waren der Straßenverstopfung wegen drei Stunden stecken geblieben. Den vorgesehenen heutigen Vormarsch haben wir auf halbem Wege hier abgebrochen. Armes Dorf in sehr reizvoller Hügellandschaft. Sofort nach Ankunft wieder Fliegerbeschießung. Das geheimnisvolle rumänische Flugzeug, aus dem nach dem Abschuß zwei Mann flohen. Sowjetflugblätter. Artillerie- und Fliegerbeschuß gegen Abend stärker. Junge, spätreifende Felder trotz des guten schweren Bodens. Schöne Mohn- und Weingärten. Kirschenessen im Bauerngarten, aber die vorangegangenen Truppen haben nicht viel übriggelassen. Akaziengetarnter Autobus unter dem wunderschönen riesigen Nußbaum. Dort unser Quartier im Bus. Hin und wieder Artillerieschießen. Nach kühlem Morgen war es ein windiger Hochsommertag. Die vielen Feldblumen im Roggen. In keinem Dorfe bis jetzt war so starke Sommerstimmung wie in diesem in seinem dichten Grün, mit seinen fast üppigen Schluchten und Hängen und Hügeln mit jungen Feldern, den gewundenen, steigenden Wegen. Ein wunderbarer Sonnenuntergang; der ganze Westhimmel rosa und zartgolden. Wachsende Artillerietätigkeit, während wir wieder die Stunde nützen und uns gründlich säubern. Gegen Abend kommt mit Kradfahrer sehr erregt ein Oberleutnant (von B.) nach dem Major, der unterwegs ist, und den stellvertretenden Offizieren fragen. Der Artillerie auf dem rechten Flügel unserer Division (die schon 60 Kilometer vorgedrungen sein soll und die Spitze hält), insbesondere dem IR 178 ist die Panzerabwehrmunition am Ausgehen, da die Russen in unserem Frontabschnitt auf 10-20 Kilometer Entfernung von uns einen Panzervorstoß unternommen haben. Die Situation scheint sehr ernst. Alle Kolonnen werden benachrichtigt und müssen schleunigst Munition (Panzergranaten) nach den Kampfstellungen fahren. Auch unsere Küche muß sogar mit und jeder verfügbare LKW. Es wird ein 5 9 wunderbarer Mondscbeinabend; obwohl noch zunehmender Mond ist, ist es eine zart-kühle Sommernacht von letzter Klarheit und Schönheit. Als alles unterwegs ist, die große Aufregung sich gelegt hat und man neue Meldungen und Befehle abwartet - immerzu sind Offiziere angejagt gekommen -, sitzen wir noch lange, so müde wir von dem langen Tage sind, auf Kisten unter unserem Nußbaum. Noch immer Rätselraten um das unbefriedigend avisierte rumänische Flugzeug. Erst später am Abend läßt das heftige Artillerieschießen, das wir manchmal auch sehen konnten, nach. Auch die Fliegertätigkeit hört erst am Abend auf. Man fühlt sich einem Panzerangriff gegenüber ziemlich wehrlos, aber die Nervosität ist für mein Empfinden größer, als sie sein dürfte. - Bei der Schreibstube Kommandantur gehen die ganze Nacht Meldungen ein. Nachdem schon alle Notwendigkeiten unseres etwaigen nächtlichen Rückzuges erwogen waren, wird dieser nicht nötig. Die nächtlichen Meldungen ergeben, daß der Panzerangriff zunächst abgeschlagen ist und unsere Division, einem neuen zuvorzukommen, am Morgen zum Angriff übergeht. Nachts um 3 wird Major Eras als Kommandeur für früh um 7 zum General in die Gefechtsstellung bestellt. - Die klare Mondnacht wird später kühl, verhüllt und windig. Diese Nacht hat wieder Wichtigkeit und Leistungsfähigkeit des Nachschubs erwiesen; und seine Zusammengehörigkeit mit der kämpfenden Truppe. Für die Verwundeten sind nicht genug Krankenautos da; Panjewagen müssen aushelfen; Verbände nur aufs notdürftigste angelegt. Nur wer Verwundete oder Munition fährt, hat diese Nacht noch Vorfahrtsrecht. 3. Juli / Sonnabend Am Morgen, bald nach sechs, Gewitter, Kühle und furchtbarer Regen. Das Auto des Majors bleibt schon bei der Abfahrt stecken; aber es ist an diesem Morgen drei Stunden lang nicht das einzige, das wir aus dem Schlamm heben und schieben müssen; wir behelfen uns zum Teil mit Dämmen aus Maisrohr. Tankwagen, Vcrpflegungswagen - alles bleibt stecken; Autos und Krads gleiten fürchterlich. Man kann nur hoffen, daß die Russen vor den gleichen Schwierigkeiten stehen. - Viel Flieger, darunter auch, beschießend und beschossen, russische. In der Nacht, stellt sich jetzt noch heraus, ist wieder Stefanesti, unter großen Bränden, von Fliegern bombardiert worden, nachdem wir gestern heil über die Notbrücke von Stefanesti kamen. - Zwei neue Divisionen scheinen nun ganz in unserer Nähe zu sein. In der Nacht, in der die Straßen zum Glüdc noch gut waren, sind noch unablässig Truppen und schwere Waffen durchgekommen; auch Rumänen. Übrigens führen die bespannten Rumänen gern die Fohlen ihrer Stuten mit. - Fitz-ner, OA, den ich immer wieder treffe, wie gestern auch Wolgast als Kradfahrer einer motorisierten Kolonne, hat in den letzten Tagen nur fünf Stunden geschlafen, so schwierig ist es mit den Panjekolonnen. - Die achte Kolonne (Oblt. Kelz, bei dem ich am Sonntag war) hat einen russischen Artillerie-Volltreffer bekommen: vier tote Pferde und zwei Verwundete. Heute morgen schwache Flieger- und Artillerietätigkeit. Die Wege ganz fürchterlich. Regen ist hier ein Unglück. Heinz ist als Melder seit vorgestern Abend ausgeblieben, soll aber mit kaputtem Krad bei der Werkstattkompanie liegen. - Mit dem Tankwagen taucht unser abgegebener kleiner Hund wieder auf, frierend und dankbar und zärtlich. Die Straßen verstopft, auch liegen Minen; die Verwundeten werden fast unverbunden fortgebracht. Gestern auf der Fahrt sahen wir die ersten Minensperren. Manchmal können wir die im Dorf ver- und festgefahrenen Autos nur mit vier Pferden herausbekommen. Die russischen Flieger benehmen sich sehr unbefangen, da zu wenig deutsche Flieger in der Nähe sind. Munition aller Art ist beim Nachschub reichlich vorhanden, doch scheint die Front nun hier auf einmal sehr viel sehr rasch zu verbrauchen. Am Vormittag sind wir noch ohne nähere Meldungen. Wachsende Artillerietätigkeit. Nach dem wegezerwühlenden Gewitterregen Sonne, starker Wind; und welche Sommerstimmung! Das Leben des Herzens und der Sinne geht unwandelbar weiter. Bessarabien scheint mir schön. Sonne, Wind, Wind. Im wogenden Wpfel eines Kirschbaums über dem lieblichen Tal. Frühnachmittagsstille. Kanonendonner. Viel Akazien. Manche Kolonnen können der Wege halber ihre Melder nur noch zu Pferde schicken. Raschke von meiner 5/176, der ein Pferd bringt, erzählt aus dem Einsatz meiner alten Kolonne: der Munitionsmangel unserer Artillerie an der „Stalin-Linie“ sei so groß, daß die neue Munition sofort geschossen würde. - Unsere Kolonnen holen Munition, Mu- nition. - Viele schwere Verwundungen bei der kämpfenden Truppe. Die rumänischen Verbündeten sollen durch ihre altmodischen, wenn auch tapferen Methoden ziemlich versagen; (tapferer, aber nicht mehr sinnvoller, primitiver Einzelkampf). Die Weltkriegsteilnehmer finden diesen neuen Rußlandkrieg schwerer. Abends saßen wir unter dem großen Nußbaum und sahen dem gigantischen Wetterleuchten und Gewittergewölk aus vier Himmelsrichtungen zu. 6. Juli / Sonntag Gleich früh ließ Major Eras mir sagen, daß er mich im Auto auf Dienstfahrt mitnehme, damit ich etwas mehr zu sehen bekäme. So fuhren wir um 8 Uhr im offenen Feldauto ab, mit Stahlhelm, Gasmaske und geladenem Gewehr. Nach Zaicani zum Divisionsstab und zum Stab des Kommandierenden Generals unseres Armeekorps. Die Straße ein Drama. Bombeneinschläge am Rande sind das wenigste. Wegkommando an Wegkommando - rumänische Dorfbevölkerung und unsere Soldaten - an der Arbeit, unablässig; vor und hinter jedem Wagen muß ausgebessert werden. Dabei der ununterbrochene Zug der Autos. Teilweise wegen des militärischen Verkehrs und der Gefährlichkeit der Straße wird man durchgeschleust; genaue Verkehrsregelung an besonders gefährlichen und unübersichtlichen Stellen. Der Divisionsstab - Offiziere über Offiziere - lebt nur noch in Zelten; General de Angelis - sich frisch gebend, aber offensichtlich sehr nervös - bei seinem puritanischen und primitiven Frühstück im Zelt inmitten all der Zelte im Bauerngarten. Zurück. Am Hauptverbandsplatz. In großen Zelten wird operiert. Ein junger Chirurg operierte 28 Stunden ununterbrochen; 36 Operationen, 12 Amputationen. Ich sah, wie Schwerverwundete in Sanitätsautos verladen wurden, auch russische Offiziere. An der Bahre eines verwundeten Oberarztes. Über die Sturzäcker werden die Verwundeten in Panjewagen gebracht. Um i Uhr nachts mit Munition in eine Stellung aufgebrochen, sehe ich einen Teil meiner alten 5. Kolonne zurückkehren, spreche manche, audt Unteroffizier D. Und sehe hier auch Fölsche wieder. Gegenüber vom Hauptverbandsplatz sind drei frische Gräber von diesem Vormittag, drei neue für ebenfalls im Lazarett Verstorbene werden gerade an demselben Feldrand angelegt. Alles mit so viel Liebe. Der Tischler fertigt ein Grabkreuz nach dem anderen an. Wir fahren zu mehreren unserer Kolonnen. Die ganzen Wälder auch hier voller Autos, Wagen, Pferde, Truppen, wie auch unser Munitionslager im Walde versteckt ist. Überall halbhohe Felder; Kornraden; mannshoch blühender Schierling. Riesige blühende Disteln. Sonne und Wind. Imbiß an einer Feldküche im Walde. Kaum noch Flieger- und Artilleriebeschuß. Die Russen im Weichen, aber unsere Division, an der Spitze eines „Hufeisens“, kann noch nicht weiter, da die Flanken und Verstärkungen noch nicht folgen. Die 22. Division soll 6o°/o Verluste haben. Die Truppen haben in schwerem Artilleriefeuer gelegen. Bei der Heimkehr, gerade zum Mittagbrot im Autobus, wurde ich so freundlich bedient, „da ich ja immer so für alle sorge“. Es war seltsam gewesen, im Auto des Kommandeurs an meiner alten Kolonne vorüberzufahren. Hochsommernachmittag. Abends wieder die Schönheit der dämmernden, tiefgrünen Bauerngärten, in dem unsrigen Feuerlilien. Wir saßen im Mondschein unter dem breiten, hohen Nußbaum. 7. Juli / Montag Bratusani Um 6 Uhr brechen wir auf. Es heißt, zunächst nach Zaicani, wo ich gestern mit Major Eras war. Dort erfahren wir, daß wir schon wieder ein ganzes Stück weiterrücken können, sobald die Straße frei wird. Denn noch immer - vom Gegenverkehr abgesehen -ziehen drei Reihen nebeneinander her: motorisierte und bespannte Kolonnen und Offiziersautos sowie Kradfahrer; Melder, Melder. Über dem Warten vergehen viele Stunden; es wird Nachmittag. Wir liegen an einem Roggenfeldrain; Kornraden, Feldblumen, Sonne, Wind, weiße Wolken, blauer Himmel. Ganz nahe neben uns liegt meine alte Kolonne nach einer Nacht schweren Einsatzes. Mein Besuch bei ihr, ein schönes Wiedersehen. Die ungeheuere Bewegung der grün getarnten Wagen hat etwas Festliches. Plötzlich erinnert mich der Krieg an Theater: man weiß von den Bunkerattrappen; ich sehe die Netze mit den aufgenähten grünen Stoffblättern über LKWs. Das Land wird weiter, öder, bleibt aber hügelig; die Straßen sind Wüsten. Es ist ein Wunder, wie sie befahren werden. Panzerjäger begegnen uns und kommen zurück. Ich glaube, alles sucht seine Be- stimmungsorte; denn die Karten versagen. Große, auseinandergezogene Dörfer, auch die Höfe weit; aber nur wenige Dörfer, und das weite Land nicht dicht besiedelt. Flüchtlingsfamilien auf ihren Wägelchen. Tote, gedunsene Pferde. Granaten. Ein Blindgänger explodiert hinter einem Gespann. Zerstörte Panzer. Erdtrichter von Bombeneinschlägen. In den jungen Feldern die Panzerspuren; der Nachschub fährt ja diesmal dicht hinter der Front; 20 Kilometer. Auf dem Kampfgelände der Vortage. Frische Gräber; und ich sehe die ersten Toten, einer liegt noch genau wie er sich in Deckung warf - andre sind mit der Gasplane zugedeckt. Sie werden von besonderen Kommandos identifiziert und beerdigt werden. Man hat alles vorher im Geiste so durchlebt, daß man nun fast keine Erschütterung mehr spürt. Zerrissene Autos. Und wo Wald war - Truppen, Truppen. Der Wald hörte schon vor den Kriegsbildern auf. Der Nachmittag umwölkte sich, der Himmel wurde sehr farbig. Hitze. Kornfelder. Abends um 9 Uhr in dem großen Dorfe Bra-tusani. Eier sind in all diesen Dörfern nicht mehr aufzutreiben, Kirschen und Erdbeeren auch nicht. Wir haben nun das neue Geld für Feindesland, die Reichskreditscheine. Aber wir haben keine Gelegenheit mehr, zu kaufen. Alles Zusätzliche hört auf. Auch die Kantine hat nichts mehr. Auch keine Zigaretten. Das erste am neuen Ort immer: Tarnen und Wasserholen. Wieder ein wunderbarer Mondscheinabend, so daß wir uns trotz der Müdigkeit noch lange nicht in unseren Omnibus zurückziehen. Jede Nacht, einen Monat schon, tiefer Schlaf. Es ist also erreicht. Von Feindeinwirkung nichts mehr zu merken. Unsere Truppen sollen den Dnjestr überschritten haben. Noch viele andere Truppen im Dorf. Quartier wird nur noch für die Offiziere gemacht. Das „Kasino“ in dem jeweils größten Bauernhause ist bei der Truppe sehr unpopulär. Mit all den Spannungen zwischen Kommandantur, Adjutantur, Stabskompanie habe ich zum Glück nicht das mindeste zu schaffen. Das Allzumenschliche geht also auch nahe der Front weiter. Aber mir begegnet nur Freundlichkeit. Die vierte Fahrkolonne meldet, daß ihre Pferde total erschöpft sind und gegenwärtig für den Einsatz kaum in Frage kommen. Die besonderen Freundschaftsbekundungen von Fritz Krüger. Auch er stark religiös. Der Major und ich sind als die ersten auf. Da er sehr zeitig weg muß und niemand da ist, kann ich ihm das Frühstück machen. Dabei sagt er mir, daß er mich zum Gefreiten machen möchte und es trotz der bestehenden Schwierigkeiten versuchen will. Ich nehme an, daß er dabei weniger an die Mischehe dachte, als an den audi mir bekannten Umstand, daß nach den neuen Verfügungen man erst nach bestimmter Zeit Obersoldat werden kann, es eine bestimmte Weile bleiben muß. Denn die Auszeichnung vor dem Feinde, die die Regel durchbrechen könnte, kommt ja für mich wohl nicht in Frage. Post. Zwei Briefe von Hanni nach der Pause. Darunter der besonders erwartete Brief vom Tage der russischen Kriegserklärung. Wir müssen den Omnibus, der die Wege trotz des virtuosen Fahrers kaum mehr bewältigen kann, am Rasttag für die Weiterfahrt von allem Ballast befreien. Dabei finde ich nun also auf dienstlichem Wege endlich einmal Helfer an meinem verzweifelten Ordnungswerk. Wir werfen Sachen weg und verbrennen sie. Nachmittags Gewitter, Sturm und Regen und Hagel - man bangt für die Wege. Ich nehme die Arbeit wieder auf. Selbst jetzt das unentwegte, große Interesse an dem, was ich schreibe, und die tägliche Frage nach der Möglichkeit, den „Vater“ doch noch aus Bukarest zu bekommen. Heute nahm sich der Stabsarzt die neuen Kriegsmanuskripte mit. Wir erfahren, daß bei dem Panzerangriff der Russen 300 Panzer beteiligt waren. Zum erstenmal ist unser Frontabschnitt an der bessarabischen Front im Heeresbericht genannt. Man empfindet es wie eine Befreiung aus einer Zwitterlage, nun dabei zu sein. Der Regen verweist uns auf die Arbeit im Omnibus. Wind. Wolkenbruch. Meines guten Aussehens wegen nennt man mich jetzt den „Kurgast“. Nirgends mehr ein Verhältnis zur Bevölkerung. Was soll ich mit dem Spielzeug für Ghiorghi?! Bobby, heimlich bald von diesem, bald von jenem Wagen, auch von einer anderen Division! mitgenommen, wieder in unserer Nähe. Der schöne Abendflug der Störche. Ein Land der Störche. In diesem Dorfe 40 Russen von Rumänen erschossen (40 Russen in Zivil). In Stefanesti soll in den bewegtesten Stunden ein Pogrom stattgefunden haben. Gestern abend große Gewitter, von Ausmaßen der Blitze, wie wir Deutsche sie einfach nicht kennen. Auch Blitze, die über den ganzen Himmel zu sprühen schienen. Die Blitze blenden. - Um auch dies kennen zu lernen, begleitete ich um 22 Uhr Heinz H. in Blitzen, Sturm und Regen auf seinem Meldegang zu drei Fahrkolonnen und der Nachschubkompanie, die zum Glück nicht gar zu weit voneinander und von uns entfernt lagen. Meist getarnt im Walde am Rande des grundlosen, zerwühlten Weges. Krad war in dieser Nacht für die Melder nicht zu benützen. Unheimlich in dieser Situation der zwei Meter große junge Wachtposten am Waldlager. Man watete im Wasser, glitt im Dreck. Die Wege keine Wege mehr. Zwei Schüsse; Franktireurs? Eine shakespearesche Nacht! Heute morgen und mittags erweist sich die Vergeblichkeit des nächtlichen Meldeganges. Sonne und Wind dieses heißen Tages genügen nicht, um die Wege auch nur einigermaßen fahrbar zu machen. Die Pferde- und KW-Kolonnen können nicht abrücken. Auch wir nicht, die wir um 10 Uhr früh aufbrechen sollten. Bloß, ehe bei der stechenden Hitze ein neues Unwetter kommt, heraus und ein Stück weiter sein! Denn wir sind von der stark vorgedrungenen Division ohne Nachricht. Wie können Völker mit solchen Straßen Kriege führen! Die Wege werden erkundet. Auch in diesem großen Dorf, das auch ein paar größere Häuser mit Holzfußboden und normalen Türen hat, manches Haus von Einwohnern, Hab und Gut, geräumt. Wohl sehr viele geflohen. Klima und auch Medikamente machen uns alle sehr schlapp, vor allem in den Mittagsstunden. Aufbruch von Bratusani Während die Mittagsglut steigt, werden die Wege erkundet, und sie scheinen befahrbar. Aber gleich im Anfang beginnen die großen Schwierigkeiten, man muß aussteigen, dörfliche Wegekommandos müssen aus dem Ort heraushelfen - und doch ist nach dem um 15 Uhr erfolgten Aufbruch nur eine ganz kurze Fahrt während des Nachmittags möglich, obwohl wir an diesem Tage bereits 40 Kilometer weiterfahren sollen, um die Division zu erreichen. Als der Spätnachmittag nun wieder das große Balkangewitter bringt und der Sturm fast das Wagendach vom Autobus reißt, ist alle Hoffnung auf Weiterfahrt vergeblich. Nicht einmal den nahen Ort kön- nen wir erreichen: ein großes, sauberes Dorf mit heller, größerer Kirche an einem See. Auf dem zerwühlten Landweg bleiben wir - in langen Reihen von allem, was fährt - über die Nacht liegen. Einige wagen den Vorstoß bis zum Dorf, einige kampieren trotz der Nässe im Getreide; wer nur kann, bleibt, halb liegend, halb hockend, oder auf dem Gepäck ausgestreckt, im Bus. Da die Feldküche kein Wasser im Kessel mitgenommen hat und kein Kaffee gekocht ist, zum erstenmal Durst. In der Dunkelheit, bis wir meinen, schlafen zu können, singen wir, und das Lied aus Ostrolenka, vom IR 203 „Wir lagen vor Madagaskar“ wird zum großen Erfolg des Bus-Singabends, auf dem wir die zweifelhaften Soldatenlieder durch die alten Volks- und Wandervogellieder nicht ohne positives Resultat zu verdrängen suchen. - Eine recht elende Nacht; vor und hinter uns Fahrzeuge in der gleichen Lage wie wir. 10. Juli / Donnerstag Auf der Landstraße Allmähliches Erwachen. Die Sonne scheint und ist über den jungen Feldern wundersam grünlich aufgegangen. Manche stehen erst spät auf. Denn was soll man beginnen? Jeder weiß - vor dem Mittag, einen heißen Tag vorausgesetzt, können die Wege unmöglich befahren werden. Und nun beginnt der große, wirklich sehr anstrengende Kampf um eine Tonne Wasser. Eine leere Tonne, ein Wagengestell, ein Pferd, ein junger Bauer müssen erst auf dem beschwerlichen Wege herangeholt werden. Dann geht es an das mühsame Wasserschöpfen; erst der dritte Brunnen hat Wasser. -Aber weldi ein Blühen auf den Hängen zwischen den Feldern, den Bohnenanlagen, den Sonnenblumenfeldern, die ebenfalls noch weit zurück sind. Die Feld- und Wiesenblumen in der heißen Morgensonne duften betäubend und doch so seltsam stärkend zugleich. Das Pferd kann es nicht schaffen - selbst sein Fohlchen wird mit in den Dreck gerissen; das Pferd bleibt stehen, die Tonne können wir kaum halten, die Deichsel bricht. Ich muß nun schnell die anderen Männer heranholen. Und in Schichten wechselnd, schaffen wir es dann, das Wasser so heranzubringen, daß wir um 12 Uhr Kaffee haben. Der entsetzliche Verwesungsgeruch toter Pferde. Aber sonst gestern und heute auf unserem kurzen Stück Weges nur sehr wenig Spuren des Krieges, von einigen zerschossenen Panzern abgesehen. - Der glühende Mittag kündet das neue Gewitter an. Und nachdem wir ein wenig gefahren sind, ist der neue Regen da - unheimlich blaugrauer Himmel über giftgrün wirkenden Feldern -, und wieder bleiben wir lange, lange in unabsehbaren Reihen liegen. Nur die Panjekolonnen der Rumänen mit ihren elenden Pferdchen kommen noch fort. Von unserer kurzen Fahrt über Mittag ist noch zu berichten, daß wir gleich im Anfang der großen Steigung wegen (wieder Soldaten und Bauern an der laufenden, unablässigen Wegearbeit) ausstiegen, der Autobus uns dann wegfuhr und Walter Greiner, ich und der neue Deutsch-Russe vom IR 203 nahlaufen und mit den verschiedensten Gefährten mitfahren mußten; wo eine Stockung war, liefen wir zu neuem Gefährt weiter und hörten dann, daß es vielen anderen auh so ergangen sei. So saßen wir bald auf einer Feldkühe, bald auf einem offenen Wagen der Panzerjäger, auf einem Personen-LKW der Nahshubkompanie und in einem Sanitätsauto, wo wir Rum und Zigaretten vorgesetzt bekamen, beides nun eine Rarität. Als shön hatte sih an diesem Tage abgehoben, wie wir zwishen Wasserholen und Abfahrt im wenn auh modrigen Teih am hügeligen Dorf nackt shwimmen konnten. Feld, Ähren, die den bloßen Körper seltsam wohltuend berühren. Duft der wilden Blumen. Sommerwolken. Mittagsglanz, herbe Kirshen am Wege. Nah dem Gewitterregen kühler, windiger, grau. Zu vierzehn spielen sie in zwei Gruppen Karten, shreiben auf den Knien, lesen vor Verzweiflung oder aus Neigung Schundromane. Und ih shrieb shnell für unser abendlihes Singen zur plötzlih so beliebt gewordenen Madagaskar-Melodie einen neuen aktuellen Text für unsere Rußlandfahrt. Wir sind noh im bessarabishen, den Rumänen weggenommenen, sehr fruhtbaren Gebiet. Hier sieht man auh einmal einen Pflug oder eine Egge. Um einhalb aht Uhr abends besteht nah dem endlosen Warten eine Hoffnung auf Weiterfahrt niht mehr. Vor uns, hinter uns der Zug der Autos, die niht weiter können. Die Straßen vorn sollen von Artillerie verstopft sein. Mittagbrot hatte es um einhalb fünf Uhr gegeben. Es ist viel, daß alles immer noh so klappt. Auh sind wir reihlih mit Verpflegung versehen, und das ist jetzt shon wihtig. Man beginnt shon zu rationieren, wenn es auh vorerst sehr gut langt, auh für die neu Mitgenommenen. Aber das Verpflegungsauto, das auh die Post mitbringen soll, ist ausgeblieben und mag irgendwo genauso feststecken wie wir hier. Ich muß, nun ich wieder auf großem historischem Boden bin, viel an Karl XII. bei Poltawa und in Bessarabien denken. Abends schlafen wir nun zu vierzehn im Bus. Manche schlafen im freien Felde. Auch nach dem großen Spätnachmittagsregen. Der rote Sonnenuntergang am grauen Himmel über Feldern in allen Tonungen von Grün verhieß nichts Gutes. Ich bewundere die Weisheit des Heeres, das - wie die beiden nun bei uns befindlichen Kameraden vom IR 203 - die Deutsch-Russen und Halbrussen herauszieht, sie an der Front nicht besonderer Gefährdung auszusetzen, wenn sie in die Hände der Russen fallen. Nach Möglichkeit verwenden wir sie als Dolmetscher. Von den Offizieren, die in den PKWs weiter vorangekommen sind, sind wir abgetrennt. Unser Verpflegungswagen ist 30 Kilometer hinter uns steckengeblieben. Raupenschlepper, die noch vorwärts kommen, sagen es uns. Immer wieder kämpfen sich auch noch Gespanne an uns vorüber in furchtbarer Mühsal der Menschen und Tiere. Nachts klopft ein Reiter an den Bus, der mit seinem Pferde nicht mehr weiter kann. Aber wir haben keinen Platz mehr. Hoffentlich kommt er in einem der anderen Fahrzeuge unter, denn auch diese sind ja jetzt schon voll belegt. Und die nächsten Dörfer sind so fern. 11. Juli / Freitag Ich schlafe zwar seit Pascani gut, aber zu kurz. Heute zum erstenmal, mit kurzem Nachschlaf, das Gefühl, ausgeschlafen zu sein. Man erwacht von dem Lärm rumänischer Pferdefahrzeuge, die sich noch immer vorwärts kämpfen. Und immer noch die Fohlen bei den Stuten. Zum erstenmal finden die rumänischen Bundesgenossen unsere Bewunderung. Und ihre elenden Pferde. Wie mühsam die Fohlen mitstapfen. Vier Pferde sind nebeneinander gespannt. Die Wagen haben Planen aus Weidengeflecht. Was wir als wilde Panjekolonnen ansahen, ist der geordnete rumänische Nachschub. In Deutschland hätte ich nie eine solche Möglichkeit gehabt, mir aus eigener Anschauung das Dorf und die Straßen des Mittelalters für „Das ewige Haus“ zu vergegenwärtigen. Hier kann ich es. Um sechs Uhr kommen auch die noch in den Bus, die auf dem Feld geschlafen hatten. Neuer Regen -! Wer erwacht, begreift, was es heißt, und schläft nach Möglichkeit in seiner elenden Stellung weiter. Waschen in ein wenig Regenwasser, das im Kochgeschirr aufgefangen ist. Rasieren fällt aus oder wird dann mit Kaffee nachgeholt. Aber das Geschirr von gestern wird abgewaschen. Mühevolles Ordnen im Bus, damit wir Platz gewinnen. Brote und Konservenwurst und -fleisch werden im Bus zentralisiert und eingeteilt. Drei machen für alle Brote zurecht, nach io Uhr, damit es länger vorhält. Auch, weil es nun Kaffee gibt vom Rest des gestern geholten Wassers. Jeder bekommt eineinhalb Schnitten, denn namentlich das Brot wird knapp. Auch Artillerie und Luftwaffe liegen neben uns. Vor uns, hinter uns die lange, stockende Wagenreihe, die, wenn sie anfährt, einen so großartigen Eindruck zu machen pflegt. Am späteren Vormittag kommen nur noch gelegentlich Raupenschlepper an uns vorüber. Keinerlei Bedrohung durch den Feind, was unsere schwierige Situation so erträglich macht. Auch durch Luftwaffe keine Bedrohung mehr. Sie wäre hier verhängnisvoll. Es scheint doch also auch in unserem Abschnitt radikal vor uns her gesiegt zu werden. Der Kommandeur der 22. Division, die bei unserem Armeekorps unglücklich kämpfte, soll sich das Leben genommen haben. Wir leben nur von Gerüchten. Und diese sind spärlich, widersprechend und ungewiß. Zu 18, mit allen Eimern und Kannen, holen wir durch grundlose, steigende Felder und den Landweg hinauf am nicht gar so fernen Brunnen, und doch so mühevoll, Wasser für die Feldküche. Aber das Wasser ist sehr schmutzig. Was hilft es. Es bedeutet Mittagbrot und Kaffee. Wir stampfen auf Kothurnen von Dreck, sobald wir den Wagen verlassen. Manche andere Gruppe an der Straße hat Hühner, Gänse, ja einen Hammel abgefangen und ist beim Schlachten. Dies ist eine problematische Sache. Denn wir sind zwar in Feindesland, aber in jenem Gebiet, das Rumänien zurückerhalten soll, und unter bei weitem überwiegend rumänischer Bevölkerung. Die Felder geben nichts her als halbreifes Getreide für die Pferde. Die vielen Bohnen blühen erst. Keine Bäume in der Nähe. Wie mögen sie hier nur alles bebauen! Denn bebaut ist alles, wenn auch nicht richtig ausgewertet. Leben sie in dieser Weite für ganze Arbeitswochen der Feldarbeit in ihren Wägelchen auf dem Felde? Die Wagen haben Eisenverzierungen, deren Sinn man begreift. Ohne sie würden hier die Wagen oft wohl auseinanderfallen. Die Eisenornamente haben die bunte Wagenbemalung abgelöst. -Der Morgen grau. Kein Regen mehr. Der Wind zu weich, um auszutrocknen. Mittags frischerer Wind, aber die hervorbrechende Sonne sticht schon wieder! Weiches, weißes Seidengewölk über dem blauen Himmel. Die wenigen Fahrzeuge, die man noch sieht, sind mit Tonnen, Kannen, Eimern auf der Fahrt nach Wasser. Ihre Räder sind wie Scheiben von Dreck. Drei Gruppen im Bus - zwei spielen Karten, die mittlere liest mit Eifer die Bücher und Treatments, die ich bisher vergeblich mitgeschleppt habe, da ich sie zum Unterricht nicht mehr brauche -. Nun ist alles Lesbare hochbegehrt. Ich schreibe meinen Bericht, was alle merkwürdigerweise immer sehr gern sehen. Um V22 Uhr haben wir gutes Mittagbrot, Dörrgemüse als Suppe. Brot und Kartoffeln dazu sind nicht möglich. Aber auch nicht nötig. Jeder erhält eine Tafel Schokolade. Bei ein paar Außenseitern, wie Hans H., Gereiztheit und Mißstimmung. Aber wir werden ihrer Herr. Die Löhnung wird ausgezahlt. Und wieder, zum zweitenmal, 100% Frontzulage. Der Mittag wird herrlich und heiß. In einem freien Stück Feldes, das wir uns in den Ähren freigeschnitten haben und in dem uns die Halme ganz verbergen, können wir uns nackt sonnen. Inzwischen trocknen die Wege nun doch so weit, daß einige Fahrzeuge die Abfahrt wagen, freilich sind darunter auch leere Wagen, die nicht weniger als vier Pferde haben. Auch die Autos fangen wieder an! Wir schälen die dicken Lehmschichten von den Autobusrädern und legen ihnen wie im Winter Schneeketten an! So wagen wir um vier Uhr nachmittags die Abfahrt. Aber da gleich eine Steigung kommt und ein noch sehr feuchter Waldboden, in dem wieder alles steckenzubleiben droht, laufen wir, wie einst im Paß zur Schonung der Pferde, und helfen die Autos schieben. Der kleine Eichenwald, in dem Rumänen liegen, wunderschön durchsonnt. Unser Busfahrer vollbringt wahre Wunder. Immer wieder kommen wir an rumänischer Infanterie vorbei. Spuren des Krieges sind hier sonst nicht zu sehen. Eine Senke droht noch einmal zur großen Klippe zu werden, und die ersten Autos, die sie im Caracho - zudem über einen elenden Brückensteg - geschafft haben, fahren nicht ab, bis alle nachgekom- men und die Männer wieder beisammen sind. Fünf Kilometer Fahrt in all dem klebrigen Lehm, auf dem die Wagen sich manchmal um sich selbst drehen, sind nun schon zur großen Tagesleistung geworden. Fahren wir, so wird gleich gesungen. Das neue Lied eingeübt. Wir gelangen zum Abend endlich, nachdem wir noch im Bus gesessen haben - denn man weiß ja nie, wie es kommt, und in der großen Enge muß man die Dunkelheit vermeiden -, in das Dorf Dondosani, das unser vorgestriges Ziel sein sollte und wo wir, neben Rumänen und unseren anderen Truppen, wieder auf unsere Offiziere und Melder stoßen. Vor dem Dorf muß noch einmal ein riesiges Dreckloch als Hindernis genommen werden; ein Auto liegt im Graben festgefahren. Es ist für diesen Tag geschafft. Brunnen sind im Dorf, das sich über schöne, grüne Höhen verteilt; sind auch die Höfe wild, die Wege verwahrlost, haben die Häuser - oft mit reizvollen Holzdächern - doch ein wenig mehr Behäbigkeit und Sauberkeit. Die Kirschen sind alle schon von den vorangegangenen Truppen abgeerntet. Die Offiziere haben unterdes, ohne Verpflegung, von Milch und Hühnern und Eiern gelebt. Aber unser Verpflegungsauto wird ja nun auch allmählidt nachkommen. Von unseren Resten geben wir immer noch ab, denn Melder und so weiter haben gar nichts mehr, die neu zu uns gestoßenen Kameraden haben schon seit fünf Tagen nichts. Ich glaube, daß in diesen besseren Dorfhäusern wohl inzwischen nun umgesiedelte Bessarabiendeutsche gelebt haben. Wir fahren auf einen Hof über eine Talsenke; dort ist auch eine Stube frei, wo Ninas, Wagner, ich, die beiden Deutsch-Russen (die ganz deutsch empfinden), Franke, Hirschberg, Greiner, Kerkau, schlafen können, wenn auch auf der Erde. Wunderbarer großer Mondaufgang - diesmal erinnert das Bild aber, namentlich durch die großen charaktervollen Bäume, an einen alten Niederländer. Wr werden nun trotz unserer Verzögerung doch etwas hier liegen bleiben, denn die Division hat den Dnjestr noch nicht überschritten. Sonst hören wir freilich gerüchtweise nur von ungeheuren Ziffern vernichteter russischer Panzer, Flugzeuge und von gewaltigen Gefangenenziffern. Auch sollen unsere Panzer schon in Moskau sein. Aber Konkretes wissen wir noch nicht. H. H., der von mir Beheim-Sdvwarzbachs „Paulus“ las, sagt mir, daß er auch Losung und Gesangbuch mithat. Freilich gehört gerade er zu den großen Egoisten und Außenseitern, die sich an der gemeinsamen Arbeit für uns alle in unserer schwierigen Situation überhaupt nicht beteiligen. Dieses Werk, das so notwendig ist, ein wenig Ordnung und Sauberkeit zu behaupten und mit all den äußeren Schwierigkeiten fertig zu werden, lastet überhaupt nur auf ganz wenigen, die nun natürlich in allem besonders gut Zusammenhalten. 12. Juli / Sonnabend Dondosani (Donduseni) Wir bleiben also an diesem gestern abend erreichten Ort. Hier liegt auch noch ein Teil der Abteilung I b der Division. Der Anschluß ist also erreicht. Ein Wagen bringt auch heute Post mit, aber für uns ist keine dabei. Wir tarnen unseren Bus wieder mit Akazien; wir können den Bus wieder einmal ausräumen, Wäsche wechseln, uns gründlich waschen, Stiefel putzen, im Gärt-lein nähen. Die Leute auf dem Hof, wo wir liegen, sind freundlich und fleißig. Die Frau wäscht für uns, die drei kleinen Mädchen waschen unseren mitgebrachten riesigen Berg gebrauchten Geschirrs ab. Und diese drei werden nun die sehr beglückten und begeisterten Besitzerinnen des für Ghiorghi bestimmten Spielzeugs. Es ist ein wunderbarer Hochsommertag. In einem dichten, grünen, schönen und wilden Gartenwinkel des Hofes richten wir uns wieder mit Schemeln, Tischen, Kisten unseren Arbeitsplatz der Adju-tantur ein, ganz im Grünen, in Sonne, weichem Wind. Die Hitze des Tages hat einem nur wenig an, da wir nur Turnhosen und Turnschuhe tragen. Das ist eine große Erleichterung und schafft ein wenig Ferienstimmung, obwohl wir gleich wieder an die Arbeit gehen. - Mit allem wieder auf dem laufenden. Der Stabsarzt sagt mir, daß ihm, Hauptmann Alpes und Hauptmann Dannenberg in schlafloser Nacht dieser Vormarschtage meine Manuskripte über Stunden hinweggeholfen haben. Die törichten Rumänen schießen immerzu. Bei ihnen ist alles kindlich und altmodisch. Die vielen Bienen in den großen, wilden Blumen. Eine alte kleine Holzkirche, die an Schlesien erinnert. Die Gedanken sind jetzt überhaupt viel auf Reisen. Wäre ich zu Hause, möchte ich aber auch in diesem Jahre nicht reisen, und es ist mir ein wenig fremd, daß die Geschwister und ihre Freunde in diesem schweren Sommer zu zwölfen verreist sind; fremd, obwohl man Verständnis hat und als Frontsoldat gegen die Heimat nicht ungerecht werden will. Unsere Zigaretten sind nun alle; mein kleiner Vorrat fiel der Allgemeinheit zum Opfer. Aber später gibt es je Mann zehn neue. In Gedanken mache ich mir doch viel Sorge, ob der neue Krieg etwa Hannis und Renis Situation verändert hat. Der Adjutant sagte mir, daß auch die Offiziere untereinander in diesen Tagen die Fühlung miteinander verloren hatten, daß man auch von den einzelnen Einheiten nicht wußte, wo sie wohl steckten. Der Adjutant gibt mir einen kleinen typischen Zettel von Hauptmann D.: „den io. 7. 1941 20 Uhr 30 An Herrn Hauptmann Alpes. Stab Div. Nsch. Fhr. kommt nicht nach Dondosani Gara, sondern nach Dondosani. Fahrzeuge mußten versuchen über Principele Mihai nach Dondosani zu kommen. Hat die kleine KW-Kolonne 1/176 den Wald inzwischen erreicht und abgeladen? Haben Sie etwas von der 7/176 gesehen? Nachsch.Kp. und 7/176 kommen nach Dondosani Gara. Anbei Befehle der Division und Wegekarten. Wir leben von den Früchten des Feldes und sonstigem Genießbaren. Es fehlt an Fett, Zucker, Kaffee oder Tee. Kam. Grüße gez. Dannenberg.“ Allgemein hat man wegen des Getränkemangels das verbotene Wasser trinken müssen, auch wir. Daß der Stab wieder zusammenfand, war überhaupt nur möglich dadurch, daß uns die uns begegnenden Rumänen alle verfügbaren Pferde zur Verfügung stellten, auch die Reitpferde für Melder. (Übrigens unterscheiden sich die Nationaleigentümlichkeiten beim Reiten sehr, man erkennt sofort, ob ein Deutscher oder ein Rumäne reitet.) Hilfe durch Panzerkolonnen. Die Artillerie fährt zum Teil zwölf-spännig. Das Pferd wieder hoch im Kurs. Auch stellten die Rumänen ein ganzes Infanterieregiment als Wegekommando zur Verfügung. Die Vormarschleistung des Weltkrieges ist nun schon überboten. Zur Front kann ich jetzt nicht mitfahren, da, bis der Dnjestr überschritten ist, die Kampfhandlungen stocken. Dann will mich der Kommandeur aber mit zur Front nehmen. Der Nachschub hat diesmal durchaus seine Opfer. So ist unsere 9. Kolonne mitten im Wolkenbruch von neun russischen Bombern angegriffen worden, hat zwei verwundete Männer und neun tote Pferde. - Auch meine 5. Kolonne war 1V2 Tage ohne Verpflegungs- ergänzung, und der Hauptmann mußte als „Beifahrer“ mitfahren, Reitpferd und Auto halfen nicht mehr. In stillen Stunden wie heute erholt man sich verhältnismäßig rasch. Es wurde viel von all dem unvorstellbar Schweren fotografiert; aber auch der Adjutant meint: die entscheidende Darstellung kann immer nur in der Aussage, im Wort liegen. Was ich als Augenzeuge in den Tagen der gegenseitigen Abgeschnittenheit nicht miterlebte, erzählt er mir sogleich, wie eben den Bombenangriff auf die 9. Kolonne. Dondosani zerfällt in Dondosani und Dondosani Gara - wir sind also zum erstenmal wieder, seit Pascani, an einer Eisenbahnstrecke. Wunderbar blauer Himmel, reines Grün der Blätter, nur am Himmelssaum weiße Wolken. Wundersam besonnter Abend, zarte Abendklarheit. In gelblich ver-glänzendem Himmel ein strahlend großer, so rein goldener Stern. Bis zum Dunkelwerden haben wir intensiv gearbeitet. Dann machten Ninas, Wagner und ich einen Abendspaziergang durchs Dorf. Eine Bodega fanden wir auch hier nicht. In einem russischen Magazin am Bahnhof haben die Landser wider Erwarten als erstes (minderwertige) Kosmetik entdeckt. Schon im Schlafe, tief in der Nacht, erfahren wir, daß Postsäcke angekommen sind. Seit dem Abend auch für uns Panjepferdchen mit ihren Fohlen auf unserem Hof. Ninas, Greiner und ich haben die leere Stube für uns. 13. Juli / Sonntag Nach bewölkter Kühle der ersten Morgenfrühe wieder ein Sonntag voller Glanz und Glut. Helles, glockenspielmäßiges Geläut der Holzkirche auf dem Hügel über dem Dorf. Nur wenig Kirchgänger. Aber danach vor der Kirche ein großer Feldgottesdienst der rumänischen Soldaten. Ein so treuer Brief beim Ausbruch des russischen Krieges von P. Lüge. Und zwei Briefe von Hanni, vom 30. 6. und 1. 7., so daß nur noch die Briefe aus dem Zeitraum vom 23. bis 29. 6. fehlen. Hannis Briefe immer tiefer und inniger, aber nun in der Bangigkeit nach Brigitte, der Sorge um mich und der Hoffnungslosigkeit gegenüber der Zukunft auch immer melancholischer und einsamer. Die furchtbare Nachricht von Martin Braschs Tode. Die neue „Kyrie“-Auflage soll schon fast vergriffen sein! Ihlenfeld hatte Papier für ioooo Exemplare beantragt, aber nur die Hälfte bewilligt bekommen. Nur Mittagsgewölk - sonst glanzvollster Julisonntag. Ich arbeite den ganzen Tag und bin nun in allem K jour. Ich zog midi dafür an den Tisch im leeren Omnibus zurück. Immer der Kampf um den Platz, mein Hauptproblem. Das Herz erfüllt vom Sonntag und Zuhause. Die Phantasie läßt einen alles besitzen. Nachmittags über meine alte Kolonne Brief von Margot. Jost im Jagdgeschwader Mölders auch als Flieger in Rußland. Nach so viel Jahren zum erstenmal wieder Zeilen und Photos von ihm. Ich lerne nun Russisch. Nach aller Arbeit in der Abendsonne auf der Gartenbank - hierzulande eine Seltenheit - gegessen und genäht, um nun aber auch wirklich alles in Ordnung zu haben. Ein liebebedürftiger Eisbär von Hund und ein Fohlen neben mir. Aber am Abend, in der Reaktion auf Klima und die eintönige schwere Konservenernährung, ging es mir wieder einmal sehr elend. Ich machte mir bis zur völligen Dunkelheit ein „Krankenlager“ auf dem Gartenhag über der grünen Senke, gegenüber dem auf der anderen Seite wieder ansteigenden Dorf. Über der Holzkirche eine fast vollendete größere Steinkirche, deren Bau wohl unter dem russischen Regime unterbrochen wurde. Erfolgsnachrichten von der Front. 14. Juli / Montag Noch matt, aber wiederhergestellt. Sehr heißer Tag. Diesmal finde ich meinen Arbeitsplatz auf Bank und Kiste in unserer erträglich kühlen, ausgeräumten Bauernstube. Am Morgen, als wir im Garten frühstücken, wie an einem Ferienmorgen Zeitungen und Briefe; zwei Briefe von Hanni, deren einer, 10 Tage wie jetzt meist zurückliegend, schließt: „Sei eingehüllt in meine ganze Liebe.“ Ja, eingehüllt in Hannis und in Gottes Liebe - das ist es, was mich in jeder Lage so froh und ruhig macht. Für Major Eras habe ich nun doch noch ein „In tormentis“ bekommen. Am Nachmittag ein dritter Brief von Hanni. Man kann gar nicht dankbar genug sein. Denn ich komme aus Tagen schwerster Sorge um meine beiden, namentlich um Renerle. In der Abendsonne mahlen draußen im Hof die gedingten Panjes Mais. Diese Kinder hier sind die ersten, bei denen ich auf dem Balkan ein wenig Spielzeug finde. Trotz der Glut ein Tag intensivster Arbeit. Abendzartheit, weicher Wind. Beim jähen Abendregen schlugen sie ihren Abendbrottisch bei meinem Arbeitsplatz auf. Auch gestern war es so behaglich gewesen, als sie, während ich mir mein „Krankenlager“ auf dem Fußboden bereitete, nebenan bis Mitternacht Skat spielten. Diese Nacht, wegen Leutemangels, wieder Wache, mit der man mich auch hier nach Möglichkeit verschont. Mit Hans H., von 2 bis 5 Uhr 30. Wunderbare, friedevolle Sommernacht im Glanz des klaren, abnehmenden Mondes, reine Sterne. Sehr frühe, mit Lichtstreif im Osten, Verblassen der Sterne, jedoch nicht des Mondes, und Hahnenruf, wurde es Tag. Der Hund, der Eisbär von unserem Hof, machte die ganze Wache wedelnd mit: gar kein scheuer, böser Balkanhund. Um 4 Uhr saßen die „Panjes“ schon wieder beim Maismahlen und die Frauen vor ihren Lehmöfen im Hof da und dort. Welches Wunder hat die Güte der Landser bei den Hunden bewirkt! iJuli / Dienstag Sehr schöner Sonnenaufgang. Die stillen Nächte, die friedlichen Morgen - doch noch einmal Stille vor dem Sturm? Könnte es denn schon der endgültige Sieg sein? Es ist gar nicht zu fassen, daß die rumänische Bevölkerung Bessara-biens nicht begeistert ist von der zum mindesten vorläufigen Rücheroberung durch uns. Doch ist sie etwas freundlicher und gefälliger als in den letzten Orten. Der Landser zahlt, gibt Seife, schenkt Brot, Konserven. Die Fenster haben hier nicht mehr den im übrigen Rumänien üblichen breit ummalten Rand, sondern zu den häufigen, reizvollen Holzschindeldächern Zierschnitzerei um die Fensterrahmen. Der kommunistische Bürgermeister des Ortes war übrigens vor den deutschen Truppen geflohen. Es wird wieder sehr heiß. Allmählich beginnen uns die Fliegen sehr zu quälen. Einer nach dem anderen verträgt die Ernährung so schwer. Aber heute wurden Hühner aufgekauft. Und in dem russischen Magazin fanden wir Eier über Eier. Große abendliche Soldatenkocherei und -braterei. Tag für Tag lebt man nur noch in der Badehose - eine große Erleichterung der Arbeit. Der Spätnachmittag umwölkt. Ich habe gearbeitet, daß ich die Tageszeit vergessen habe. Ein wunderbares Gefühl, als Soldat wieder einmal, auf eine nicht unangenehme Weise, geistig überarbeitet zu sein. 80 Stukas sollen zu neuem Vorstoß unserer Divisionen hier eingetroffen sein. Schon nach der gefährlichen Panzerschladit war das Eintreffen der Stukas, die wir über uns hinfliegen sahen, so beruhigend. Immer wieder die interessevollen, kurzen Besuche von Stabsarzt, Oberzahlmeister, Zahlmeister. Und immer wieder die freundliche Anteilnahme des Adjutanten. Abends feierten wir mit den vielen Eiern aus dem Vorgefundenen russischen Magazin - dergleichen ist für uns ja so selten - ein wahres Eierkuchen-Bacchanal, was übrigens ein sehr schönes Bild ergab. Denn die Sommer-Lehmöfen stehen hier im Freien, unserer unter einer riesigen Linde, die von den offenen Flammen so beleuchtet war, daß man es wirklich nur als phantastisch bezeichnen kann. Dazu die Akte der Soldaten in Badehosen, Heinz, die Eierkuchen mit der Pfanne hoch in die Luft werfend. Daß etwas so Prosaisches ein derart schönes Bild ergeben kann! H. kommt nun weg. All der kleinen Torheiten und Nachlässigkeiten wegen, war er trotz des schönen menschlichen und soldatischen Materials in ihm nicht mehr zu halten und kommt, ein so doller Auto- und Kradfahrer, zur 9. Pferdekolonne. Rührend sein Abschiedswunsch, gestern und heute noch einmal bei Martin Ninas und mir, die wir jetzt allein hausen, schlafen zu dürfen. Und wie der Hüne nachts die Hand nahm. Die Beziehung erinnert so an das Verhältnis zu Hannes. 16. Juli / Mittwoch Nachts sanfter, leichter Regen. Tiefer Schlaf nach der gestrigen völlig schlaflosen Nacht. Der heutige Tag ist umwölkter. Schwül. Nachmittags Regenschauer. Stechende Sonne. Nachdem alle Arbeit planmäßig im Zuge ist, haben nun die Tage der Rast hier auch dazu genügt, alles zu reinigen, zu waschen, zu nähen; eine große Wohltat. Die Rumänen schütteln den Kopf über das viele Waschen der deutschen Soldaten. Erstaunlich unser soldatischer Verbrauch an Hautcreme. In diesem Haus hier finden wir die erste Balalaika. Man staunt darüber, was ein Schriftsteller „ohne Mittagspause, ohne Vesper“ arbeitet. Was macht die Tierliebe der deutschen Soldaten aus den wilden Balkanhunden. Unser Eisbär hier. Nachts erzählt mir H. sein ganzes Leben. Ein Chaos, und ein Kind. Er weiß noch seinen Konfirmationsspruch: „So Euch der Herr frei macht, seid Ihr recht frei.“ Den soll ich ihm später erklären. Denn morgen früh kommt er nun bestimmt weg und wird mir sehr fehlen. Bei meiner Arbeit saß er immer, wenn er nicht auf seinen schweren Meldefahrten war, still bei mir und wußte auch, daß er mich beim Schreiben nicht anreden darf. Ich hatte ihn schon so schön wieder zusammenbekommen. Nachts kein Auge zugetan, da sehr heftiger Ischiasanfall. Nachmittags seit langem wieder einmal Flieger. Abwehr. Schießen. 17. Juli / Donnerstag Glühender Morgen. Um V2 8 fragte mich Major Eras, der sehr erfreut schien, daß ich nun doch noch ein Exemplar von „In tormen-tis“ für ihn auftreiben konnte, ob ich gleich mit ihm zur Front fahren wolle. Wir fuhren zunähst 18 Kilometer shlehtesten Weges an Hügelfeldern und Wäldern vorbei nah Mosana. Überall wieder bäuerliche Wegekommandos. Umfahrten übers Feld. Manchmal sprang der Wagen; manhmal lag er ganz shief. Mosana ist ein hübsheres Dorf mit höher gelegener heller Kirhe auf Kirhplatz und Dorfplatz, mit einem ummauerten Friedhof, der allein dort etwas Shatten gab. Dort das frishe Grab eines 28jährigen Gefreiten. Zehn frishe Russengräber an der Ecke auf dem anderen, noh ungleih shöneren Friedhof, Akazien am Rande, sonst verwitterte, einfahste Holzkreuze, Gras und zweieinhalb Meter hohe, wild wahsende, über und über blühende Malven. - Major Eras fuhr jetzt mit Major Breithaupt vom Generalstab in dessen Horh weiter, so daß ih den Kübelwagen für mih allein bekam. Wir fuhren 12 Kilometer zu einem Wäldhen, in dem der Hauptgefehtsstand des Generals war. Auf dem Wege trafen wir den Waffenoffizier Leutnant Brandt, der shon um zwei, als der neue Vorstoß unserer Division begann, zur Front fuhr, bei großem Artilleriefeuer und Bombeneinsatz, die idi nachts auch bis nach unserem Dondosani gehört hatte; aber des heftigen Maschinengewehrfeuers wegen konnte er nicht weiter. Wir sahen unterwegs das Munitionslager, den Hauptverbandplatz, die Tankstelle. Ich sah meine alte 5/176 beim Munitionladen. Und überall, bis zur Front, unsere Munition fahrenden Kolonnen. Alles, alles ist wieder eingesetzt, denn man erwartet für diese Nacht einen Gegenvorstoß der Russen. Eindruck machte auf midi in dem hochorganisierten Netz der Wegtafeln aller Art das erste gelbe Sdiild „Abmarschweg zur Front“. Nachdem wir in der letzten Zeit in Lehm und Dreck mit unseren Autos dahingekrochen waren, jagten wir nun mit den anderen Autos auf der Straße wieder in einer graubraunen Staubwolke dahin, die nun auch mich mit einer dunklen Maske bedeckte. Wir sahen Divisionspfarrer Plate bei der Bestattung zweier Pionieroffiziere und mehrerer Soldaten. Die Gräber waren auch mit dem vielen Mohn des Landes geschmückt. Auch trafen wir auf eine große Tanksperre der Russen - tiefer Schacht, aufgeworfene Wälle, Aufhaltsäulen im Schachte. An dieser Stelle kurz vorher Bombenabwürfe vier russischer Bomber. Dörfer und Straßen voller rumänischer Infanterie. Auch die rumänische Artillerie schießt heftig. Aber die Rumänen, trotz des nominellen Oberbefehls von General Antonescu über uns und sie, sind so eingesetzt, daß sie möglichst keinen Schaden anrichten können. Die Rumänen führen ihre Fahnen mit sich an die Front. Alles fanden wir tiefer im Walde und völliger getarnt, auch den Hauptgefechtsstand des Generals, über den wir leider der zu großen Beschußgefahr wegen nicht hinausdürfen, denn wir sind fünf Kilometer von der Front, dem entscheidenden Kampfabschnitt des Dnjestr-Uberganges. Er ist bis jetzt erfolgreich und verlustreich. Die Russen haben Steilufer mit zehn Kilometer langer, gewaltiger Befestigungslinie in Fortsetzung der Stalin-Linie. Wir haben durch Verluste schon Mangel an Schlauchbooten, der einzigen Übergangsmöglichkeit. Drei „Brückenköpfe“ sind schon von uns gebildet, aber noch fehlen die Querverbindungen in je fünf Kilometer Breite. Der Kommandeur erklärte mir sogleich alles, was er vom General und gestern vom Kommand. Generaloberst erfuhr. - Durch das Halten bei allen unseren Nachschub-„Stationen“ bekomme ich einen vollständigen Überblick über alle Funktionen des Nachschubs. Am umwölkten Mittag bei leichtem Regen und Abkühlung waren wir wieder zurück. H., der früh auffallend kurzen - vor Kummer -Abschied von mir genommen hatte, war inzwischen weg. Eine große Lücke für mich, der ich so gern für alle und insbesondere für einen Pflegling sorge, der mich braucht. Diese Lücke zeigt sich auch noch in einem anderen Zusammenhang. Von den Besten unter den Alten beklagt, zeigen sich auch im Kameradenkreis all die sonst im Stabe hervorgetretenen Spannungen und Unlusterscheinungen. Es hängt auch mit dem gesundheitlichen Zustand zusammen. Dem Widerwillen gegen die Ernährung habe ich in unserem engeren Kreise dadurch abgeholfen, daß wir abends die schweren Konserven gekocht und gebraten essen. Seit mehreren Tagen Zigarettenmangel. Der Tag blieb abgekühlt und verhüllt. Ich arbeitete bis V29. Die anderen wieder bei der behaglichen Kartenspielrunde. Im Gärtlein konnten wir heute nicht essen. -Drei Briefe von Hanni. 18. Juli / Freitag Dondosani/Mosana Auch heute trüber und abgekühlter. Seit 8 brechen schon unsere verschiedenen LKWs und PKWs vollbepackt nachMosana auf. Da auch unser Autobus zur Verpflegungsbeschaffung eingesetzt und der schlechten Wege halber noch nicht rechtzeitig zurückgekehrt ist, sind Ninas, Kerkau und ich mit unserem Gepäck noch zurückgeblieben und werden später nachgeholt. Da ich mein Arbeitsmaterial hier habe, ist die größere Ruhe nach manchmal drangvoll fürchterlicher Enge ganz angenehm. Um V4 2 Uhr werden Ninas und ich im offenen LKW mit all dem Adjutantengepäck nach Mosana nachgeholt, und ich mache die Fahrt von gestern noch einmal, unter aufziehendem, bewegtem Regengewölk. Die bessarabischen Dörfer wirken aus der Ferne immer sehr schön: in Hügelfeldern, weitgezogen, tiefgrün, charaktervolle Dächer, saubere Hausfronten, erhöhte Kirchen. Aber in der Nähe zerfallen sie allerbestenfalls in Einzelidylle. Adjutantur und Quartier haben wir wieder in einem, in einer sehr bunten Bauernstube: Myrtensträußchen zum Zusammenhalten der Gardinen, Papierblumenkante als Gardinenleiste, lange buntbehängte Wand- und Fensterbänke, eine „bessere“ Bank mit Armlehnen, und, was man häufiger in Bessarabien findet, einen richtigen Ausziehtisch, wie sie bei uns um 1900 waren. Riesiger, wilder Garten. Nußbäume und Mohnfelder, Feldsteinmauern sind charakteristisch für das Dorf Mosana, das ich gestern um seines Malvenfriedhofes willen lieben lernte. Viele Malven überall im Dorf. Neben unserem weißen Häuschen mit seinen blau bemalten Kanten ein riesiger, rote Früchte in Fülle tragender Birnbaum. Nur noch primitive Steinsockel für den „Sommer“-Ofen. Der Winterofen mit Schlafstatt, Röhre, Kochstelle ist reichbemalt, hat phantasievollste Formen, ist auch hier das Zentrum des Hauses, Ausdruck wirklicher Volkskunst. Auch die Scheune weiß-blau. Am Birnbaum Feldsteintrog zum Auffangen von Regenwasser: das bezaubernde Fußbad der drei winzigen Schwestern. In der Stube all die sakralen Bilder, auch mit goldenen Glasrahmen. Es sieht nicht aus, als wäre dies alles in der russischen Zeit entfernt worden. Hier stoßen wir nun auch auf allein russisch sprechende Bevölkerung. Außer den Heiligenbildern auch die auf dem Balkan so beliebten Druckbilderbogen, die das religiöse und ideale Leben des Volkes doch sehr stark ausdrücken. Episoden aus dem Leben Christi und etwas utopische Familienszenen. Flüchtiger Regen - zum Glück nicht so, wie das drohende Gewölk befürchten ließ. Es bleibt trübe, kühler, wird sehr windig. Russische Flieger. Kurze Besdtießung. Artillerie stark hörbar. Am neuen Ort nehme ich meine Arbeit gleich wieder auf. Der Adjutant akzeptiert mit voller Zustimmung meinen Plan für meine Nachschub-Schrift. Ich finde es ausgesprochen nobel bei dem starken Interesse, das an meiner schriftstellerischen Arbeit hier herrscht, daß man nie nach dem Stand meiner Auftragsarbeit fragt. Ich glaube nun den Nachschub begriffen zu haben. Ich erfuhr von den pogromähnlichen Abtransporten der Juden durch die Rumänen um Dondosani. Erschießungen. Dauernde Mißhandlungen. Auch keine Schonung der Frauen. Auch gegen das Tier ist ja der Rumäne grausam. Ich bin abends allein. Arbeite bis 10 Uhr. Sturm und Regen. Auch durch die Nacht. Im Bau eines weichen Lagers wird man immer erfinderischer. Die vielen Webereien helfen. Zu dreien wieder einmal eine Viertelliterflasche Likör! Zum erstenmal wieder Vollmilch. Wehrmachtsbericht: „Auf der gesamten Ostfront ist ein gewaltiges Ringen um die Entscheidung im Gange. Rund 9 Millionen Soldaten stehen sich in einem Kampf gegenüber, dessen Ausmaß alle ge- schichtlichen Vorstellungen übertrifft. Große Erfolge bahnen sich an.“ Abends Schießen am nahen Kornfeld. In unserem Frontabschnitt wird schwer gekämpft. Die Artillerie kommt zur Zeit nicht nach. Der Di-Na-Fü wünscht trotz des erneut so wichtig gewordenen Pferdeeinsatzes doch vor allem KW-Ko-lonnen. 79. Juli /Sonnabend Mosana Windig. Kühl. Der Regen hat zum Glück aufgehört. Die Kühle tut wohl. (Bus-) Verpflegungs- und Postauto sind wieder fürchterlich im neuen Dreck steckengeblieben; den Bus auf seiner Sonderfahrt mußten Pioniere abholen. Privat hat er uns Honig und Zitronen mitgebracht. - Sogleich wird wieder für uns gewaschen; freundliches, armes junges Ehepaar, schwerkranker Vater; süße drei kleine Mädchen; Säugling. Morgendliches Brotbacken. Ruhige und intensive Arbeit. Der Adjutant von meinem Entwurf für die Nachschub-Schrift begeistert. Zur Vesper, zu unserem 400 Kilometer hergebrachten Honig, Besuch von außerhalb, drei Mann aus einem Nachbardorf. Nach der Arbeit den Sonnabend in unserem kleinen Adjutantenhaushalt bereitet. Nach dem Abendbrot schreibend allein; aber Martin Ninas bringt Likör mit. Und heute gab es nach der großen Pause 100 Zigaretten. Artillerieschießen heute schwächer. Artillerie und Pioniere sollen es in unserem Abschnitt weiter sehr schwer haben. Es wird viel gemeckert, - nie, nie aber am Siege gezweifelt. Was die gefürchtete Dauer des Krieges betrifft - vielleicht ist, wo alles im Leben Halb und Halb ist, der Krieg, im Ganzen des Lebens und der Welt, die Hälfte unseres Lebens, was in die Tiefen der dialektischen Theologie reicht. Pfarrer Wenzels schicken mir ein reizendes Bild unseres Häusleins, von ihrem Balkon aus aufgenommen. Der Ofen unserer Wirtsleute hat ein reguläres Schlafhäuschen eingebaut. Wunderbar die wogenden, rauschenden Wipfel dieser majestätischen Baumkronen hier vor dem grauen Himmel im Wolkenzug. Auch der letzte fehlende Brief von Hanni nachgekommen. 20. Juli / Sonntag Mosana - Dnjestrübergang bei Mogilew Gut geschlafen, zufrieden und sonntäglich gestimmt; in der Bauernstube mit den bunten Papierblumen als Gardinenleiste Frühstück mit Honig aus Bacau, mit Ninas, Erich F., Fritz K. als Gast. Nachdem ich eine Stunde gearbeitet hatte - ich arbeite ja wieder so sehr gern, wie in der Zeit, bevor die große Lähmung eintrat -, kamen der Kommandeur (mit erneuter, hoher Anerkennung für „In tormentis“) und der Adjutant, ich solle mit dem Adjutanten, in einem Divisionsauftrag für diesen, zur Front vorausfahren, damit ich mehr sähe. Nach Morgenkühle ein sonniger Sonntagmorgen; und ein bequemer, guter, großer „Wanderer“. Straßen, von denen man sagt: „Es ist unmöglich!“ Aber das gibt es für die Deutschen ja nicht. Steil abfallende, enge Schluchten in Sand und Geröll. (Mir fällt noch ein, welch Abschiedsbild die rumänischen Bezirke Rußland-Bessa-rabiens boten: ein einfaches hohes Kreuz am Wegrand, daneben zum Kreuz zerbrochene Brunnen mit Hebelbaum.) Auto an Auto, Wagen an Wagen. Ich mache ja jede Fahrt doppelt: einmal in Wirklichkeit, sodann auf den Straßen des Mittelalter-Brunnen-Studiums. Wir fahren an meiner Kolonne 5/176 vorbei. Die erfreuten Zurufe und dies herzliche 'Winken sind wirklich eine große Freude für mich. Und gleich hinter meiner alten Kolonne: 4/176 mit Heinz F. An jener Kreuzung, an der wir uns begegnen, fahren wir gerade langsamer. Und nun, mittags 12 Uhr, kam der große Moment, in dem wir über den Dnjestr gingen, in die Ukraine, nun erst ins eigentliche Rußland, jedoch in einen Teil, der der Sowjetunion ferner stehen soll (eine seiner quasi oppositionellen Republiken?). Sofortiger Wandel des Menschentyps: Tolstoi-Bauern, namentlich die Alten. Immer wieder lagen wir wegen Verstopfungen fest. Im Auto vor uns saßen Pfarrer Plate und Oberstabsarzt Koschel. Ich machte Plate während der Stockung einen Besuch im Auto. Er stieg gerade aus, da setzte gewaltiges Flakschießen ein. Neun russische Bomber, niedrig und deutlich, die unsere 4-Tonnen-Holz-Pionier-brücke und wohl auch die ein Stück entfernt liegende 8-Tonnen-Brücke bombardieren wollen. Wir hatten gleich neben dem Wagen eine tiefe Grube hinter einer Feldsteinmauer, im Grünen (das ja aber bei Bombern keine Rolle spielt) also gute Deckung. Am meisten wirkt noch immer das eigene MG-Feuer auf einen. Die uns zugedachte Bombe fiel ziemlich weit rechts von uns auf eine kahle Höhe. Und nun sah ich zum erstenmal - in großartiger Leistung deutscher Jäger - den Abschuß, Sturz und mächtigen Brandqualm eines von drei herabgeholten Bombern. Hanni verschleiere und verschweige ich in meinen Briefen nichts, wie wir es gegenseitig vereinbart haben. Zugleich soll sie daraus schließen, daß wir keiner anderen Bedrohung ausgesetzt sind als auch sie und jetzt namentlich auch wieder die West- und Norddeutschen. Denn Berlin hat, Gott sei Dank, seit langem keine englischen Luftangriffe, nur ein paar Voralarme. Ein entferntes Auto getroffen, zersplittert, der Fahrer war Gott sei Dank nicht darin. Unmittelbar danach, Punkt 12 Uhr mittags, überschritten wir auf der 4-Tonnen-Brücke den Dnjestr bei Mogilew, in herrlicher „Rheinlandschaft", gegenüber dem starken Russenbunker, der jedoch in der dürren, steinigen Höhe kaum wahrzunehmen ist. Und das war nun seltsam, daß man gleich bei der Ankunft am anderen Ufer auf der Höhe mit einer Brauerei, wo I b, Major Breithaupt, seinen Stand hatte und wo unser Adjutant seine Informationen holte, wie am friedlichsten Tage sein warmes Mittagbrot bekam. Für den Abend hatten wir noch jeder ein kaltes Kotelett mit. Ich sah am anderen Ufer - eben noch I a, Hauptgefechtsstand gewesen - im Gedränge mehrerer Einheiten und Sanitätskompanie - gleich blutende, von Flaksplittern verwundete Pferde. Einem Mann war ein Splitter durch die vordere Spitze seines Käppis gegangen, hatte den Kopf nicht einmal gestreift. Ein Mann auf der Bahre: eben vom Pferd geschlagen. So viele Gräber, so viele Verwundete, so viel Unfälle, so viel wunderbare Behütungen. Tote, gedunsene Pferde, manchmal furchtbaren, bizarren Ausdrucks, manchmal still und edel. Oft Verwesungsgeruch in der reinen Sommerluft. Bisher hatte ich meinen Stahlhelm als etwas empfunden, was einem gar nicht zukommt. Aber nun habe ich ein ganz anderes Verhältnis zu ihm, dem treuen Begleiter in aller Gefahr. Wir mußten noch einmal, da die Kolonnen 4-6/176 umgeleitet werden sollten und andere Ziele bekamen, über den Dnjestr zurück. Und inzwischen war nun F.s Kolonne nachgekommen, und bei dem zweiten Flußübergang ging F. - wir fuhren auf der Pionierbrücke sehr langsam -, ein Pferd führend, hinter uns her. Wir konnten uns dabei kurz sprechen; auch er ist so erfreut über die Freund- Schaft zwischen unseren Frauen. Er hatte die gleichen Berichte von ihren Spaziergängen, den Einladungen Frau F.s bei uns, dem Her-bert Schulzeschen Orgelkonzert in der Eosander-Kapelle. - Und da F. mit Zigaretten sehr knapp war, konnte ich ihm noch schnell eine Schachtel zuwerfen. Ich hatte früh noch zwei weitere vom gestrigen Deputat eines Nichtraucher-Kameraden kaufen können. Auch er ist tiefbraungebrannt, aber so allein und fehlverwendet in seiner Kolonne. An Beschwerden klagt er nur noch über die Füße. Sonst nicht mehr. Die Fahrer müssen auf diesen „Straßen“ wieder viel laufen. Vorher, an einer Wegkreuzung bei mehreren Gräbern habe ich einem Hauptmann (Artillerie), sehr guter Gelehrtenkopf, und seinem Kradfahrer das Grab für seinen eben gefallenen Adjutanten-Leut-nant schaufeln helfen, der, in seine Zeltbahn gewickelt, auf einem Bauernwägelchen tot neben uns lag. Sehr schön der Ausdruck des Hauptmanns, als ich zu ihm kam, ihm beim Ausschachten des Grabes zu helfen. (Später erfuhr ich, daß der Hauptmann einer jener Offiziere sei, um derentwillen Plate wollte, daß ich auch bei der Division spräche: ein Freiherr R., sehr fromm, sehr kirchlich.) Auf dem anderen, kahlen, sehr hohen Ufer, auf Serpentinenstraßen mit den herrlichsten Ausblicken ins besonnte Flußtal, fuhren wir nun durch den grandiosen Vormarsch mehrerer Divisionen. Aber dann ging es einfach bei solcher Verstopfung nicht weiter. Wir mußten zurück zu der leeren Brauerei von I b, und Leutnant Kulig fuhr mit einem Kradfahrer weiter zur vordersten Linie. Doch hofft er, wenn die Straßenverstopfung sich gelockert hat, mich mit dem PKW auch noch hinfahren zu können. Und nun warte ich, schreibe an Hanni und fürs Tagebuch und meinen Bericht. Der Chauffeur, Schaukert, jener einstige „Empfangschef“ aus meiner Berliner Rundfunkabteilung, und ich sitzen auf dem Hochplateau über dem Strom an einem Weinberg. Ein Tisch und Stühle waren schon aufgetrieben -, genau über dem herrlichen Flußtal. Sonne, Wind, Wind, blauer Himmel, jagende, oft graue, schwere Wolken, wunderbar wechselnde Beleuchtung der Ufer. Um uns die vielen Autos und Reiter. Für Augenblicke konnte man meinen, man sei an einem Ausflugsort am Rhein. Aber zu viele der Autos sind Sanitätsautos. In Charakter, Breite, Länge, an Schönheit der Windungen und Ufer - wenn auch die weiße Kirche eine griechisch-orthodoxe ist -, und nun auch namentlich durch die Weinberge, ähnelt der Fluß dem Rhein ganz erstaunlich. In der Bucht einer Flußwindung, in Waldhöhen, Kirche und Kloster wie am Chiemsee. Aber in dem nahen Dorf sind viele Häuser zerschossen und halb niedergebrannt oder ausgebrannt, Gefangene werden hindurchgeführt; in den vorderen Gärtchen der anderen so viele frische Gräber - so viel zwanzigjährige Leutnants unter den Gefallenen der Deutschen. Ein Grab von einem Mann meines Alters sah ich noch nicht. Allenthalben kehren die Flüchtlinge heim. Drei sah ich vor den Trümmern ihres Hauses stehen, viele hockten mit Eimern voller Sachen, Bündeln, ihre Säuglinge im Arm, beieinander. Die Höhen und Weinberge des Steilhanges unter mir bergen die gewaltigsten Befestigungen, Bunker, gestaffelte, restlos in der Landschaft getarnte, der Stalinlinie. Der Feind hat alle Chancen gehabt. Und wir Deutschen haben dies uneinnehmbar scheinende Steilufer so rasch genommen. Der Adjutant und ich gehören zu den ersten der PKW-Gruppen, die den Eroberern folgen dürfen. Aber welchen Abstand bedeutet das. Auf der anderen Seite hier findet man nun schon das exakteste, umfassendste System an Orientierungstafeln der verschiedenen Divisionen zur Frontlinie vor. So haben nun P. Plate und ich eine sehr kritische Situation gemeinsam erlebt. Etwas sehr Bezeichnendes, wie der Krieg auf das Zeitgefühl wirkt: P. Plate erfuhr erst durch mich, daß Sonntag sei. Ich freilich weiß von keinem Sonntag, den Gott nicht hervorgehoben hätte. Welcher Sonntagsfriede - Glanz und reiches, sich wandelndes Licht über dem Strom und seinen Uferhöhen. Gewiß - drei russische Bomber; und einmal sehe ich ganz deutlich die nahen vier großen Einschläge, die wohl der 8-Tonnen-Brücke gelten sollten. Aber sofort ist alles wieder wie ausgelöscht von der feierlichen Schönheit dieses Tages und dieser Landschaft. Die Vorverlegung der Front geht so rasch vorwärts, daß auch hier, wo mittags noch ein Zentrum war, gegen den Abend Stille herrscht. Nur Offiziere, Offiziere; auch der Kommandeur, Hauptmann Zettritz, Oberstabsarzt erscheinen. Abendbrot in Abendsonne, nachdem ich also mehrmals, spätnachmittags mit Adjutant in Schuppen der Brauerei in Deckung war, auf der Rebenhöhe über dem Fluß. Leutnant Kulig, von der Front zurück, berichtet, daß nur mit dem Krad durchzukommen war. Leutnant Kulig sah gerade das Sammeln nach dem siegreichen Angriff: Sammeln der Gefangenen, Verwundeten, Hervorkommen unserer Infanteristen aus den Verschanzungen. Wir fahren noch zu dem so nahe, so heiß umkämpft gewesenen Dnjestr-Bunker, einem wahren Panzerwerk. Labyrinth von Laufgängen, Befehlsturm, Schlafkojen, elektrisches Kraftwerk, Waschraum, Telefonzentrale, Heizung. Aber dennoch das Grauen, die Beklemmung; Ruß und Feuditigkeit, kein freier Schritt, kühl und drückend in einem - ein „Germinal“ in höchster Steigerung. Welche Raserei des Todes hat hier stattgefunden - man tappt mit wenigen Taschenlampen in den nachtschwarzen Gängen; über Mäntel, verbrannte Leichen, Lederzeug, Waffen, Waffentrümmer, Bücher. Überall alles verzweifelt durcheinandergeworfen. Noch Eier, Zigaretten - auffallend viel Bücher, auch Lehrbücher. Schon der Eingang mit seinen zerrissenen Eisenkonstruktionen im Gestein, im Felsennest, mit seinen zerschossenen Waffen und seiner verschossenen Munition war grauenvoll. Und die zersplitterten Bäume, verbrannten grünen Zweige auf dem steilen Kalksteinhang zum Bunker. Aber nun erst jene Koje, in der der verbrannte Leichnam unter anderen liegenden verbrannten Leichen in der Ecke saß - das verbrannte Gesicht noch so völlig erhalten; hätte man es angerührt, wäre es in Ruß zerfallen. - Und als man nun aus dieser Stätte des Grauens kam, lag vor einem das überwältigend schöne Flußtal im herrlichsten Ausschnitt einer edlen, großen Windung vor unserem Bunkerhügel. Und neben der Silhouette des Bunkers nun über den Uferhöhen der Strom in seiner schönsten Windung im herrlichsten Sonnenuntergang. Hellrote und goldgeränderte Wolkenbrücke über Strom und Windung und Höhe, die sie abzuschließen scheint. Verklärte Abendlandschaft. In dem immer zarter werdenden Licht der Abendsonne im Erd- und Flußtal, nur vom Strome selbst durchschnitten, bei der 4-Tonnen-Brücke „Die Wolke“. Vor dem Bunker Massengrab der Russen; das flache Einzelgrab der Telefonistin mit den Frauenschuhen darauf. Oder Grab der Ärztin? Einer Schwester? Es sollen mehr Frauen im Bunker gewesen sein. Wir sind noch unterwegs bis zu der großen Sternennacht. Denn Befehle für unsere Kolonnen kommen an den Adjutanten, werden widerrufen, müssen durch neue ergänzt werden. Auch muß der Adjutant noch zum vorausgefahrenen Kommandeur, ins nahe Mohila - die Straße, durch die Pappeln, durch Mauern so italienisch, abendliche „Via“ unter Sternen. Ich warte an einem leeren Dominialhof auf LKW-Kolonnen. Und auch da „Vater“-Gespräch. Mit Hauptmann Thomas. Zur Nacht zurück auf unsere grüne Brauereihöhe. Unter dem mächtigsten Wipfel ein Tisch mit 2 Kerzenstümpfen, bei denen ein Offizier arbeitet, über Karten. Schlaf unter den Sternen - wie nach meiner Feuertaufe; bei den Rebenstöcken; in vier Wochen werden die Trauben reif sein. Wo werden wir da sein? Sterne, Sterne. Reine Nachtluft. Man entsinnt sich des Brand- und Verwesungsgeruches. Dunkle, klare Umrisse der Höhen. Sanfte, reine Kühle von dem Flußtal her. All der große Frieden hatte das Grauen besiegt. Es ist also so: es ist im Inneren alles vorher durchlebt gewesen. Neu eine nervöse Reaktion: alle Gesichter waren plötzlich dem verbrannten Russen ähnlich, Schatten des furchtbarsten toten Antlitzes über dem lebendigen Menschengesicht. Im abendlichen Mohila, den Major suchend, traf Adjutant in einem Hause auf eine von Granatsplittern getötete Frau und bei ihr auf ein junges Mädchen mit Unterleibsverletzung. Morgen wird sich unser Stabsarzt ihrer annehmen. 27. Juli / Montag Auf der ukrainischen Heerstraße Mogilew-S erby-T sebernewzy Der Adjutant hat weiter seinen Wegeerkundungsauftrag von der Division in Verbindung mit dem I b, Major Breithaupt, und muß die Verbindungen mit unserem Stabe und unseren Kolonnen auf-rediterhalten. So fahren wir den ganzen Tag hin und her, zumal auch die Abschleppung von Beuteautos angeordnet werden muß (auch dort auffallend die gefundenen Bücher und Sprachlehren), und kommen auch heute nicht zur Front. Bei dem raschen, siegreichen Vordringen wird sie immer weiter vorverlegt. Auch die Artillerie hört man nur noch selten. Bald rasen wir im 100 Kilometertempo die Straße des Vormarsches auf und ab. Bald sitzen wir im Gedränge des deutschen und rumänischen Aufmarsches fest. Welchen Überblick darf ich durch dieses viele Fahren gewinnen: ich sehe alle Truppengattungen, Sanitätsautos in rückwärtiger Fahrt unterwegs. Ich sehe das gestrige Kampfgebiet, das sich immer die Straße entlang zieht. Ich fahre auch, heute überwiegend mit dem Ajutanten ohne Chauffeur, mittags über die noch gestern heiß umkämpfte Höhe 243, an der nun heute schon eine unserer Fuhrko-lonnen liegt. Ein schöner Sommertag. Und die Felder der Ukrainer mit ihrem schweren Boden — doch auch hier auffallend niedrige Halme - in rötlich-gelbem Reifen. Wunderbar darüber der rosa Sonnenuntergang. Ich lebe nun wieder völlig in der Identität mit der Jahreszeit. Früh in Mogilew, der ersten russischen Stadt an unserem Wege. Groß (= Glogau?), viel Modernes, wohl Industrielles, am Fluß. Die Stadt auf den beiden bergigen Flußufern wirkt von den hohen Heerstraßenwindungen aus sehr schön; im Flußtal, zwischen den Stadtteilen hüben und drüben, wie ein müder Vogel mit gesenkten Schwingen, hängt die Stadt- oder Eisenbahnbrücke, zerschossen oder gesprengt, in den Fluß. Wir fuhren durch ältere Stadtteile zu unserem Kommandeur. Ältere Villen, nun schon vom fremden Tolstoikolorit, zum Teil Jahrhundertwende. Eine Art kleinen, verwilderten Stadtparks; Blumenkübel aus Stein auf den Mauern des „Parks“, ein umgestürztes, zerschlagenes Denkmal einer Sowjet-„größe“. An anderer Stelle vor einem größeren Gebäude ein anderes, ebenso bürgerliches, kitschiges, gipsernes Sowjetdenkmal ohne Kopf. Überall die Bevölkerung mit Säcken, Bündeln, Wannen unterwegs im Ort, das Gut ihrer geflohenen Mitbewohner plündernd, besonders an einem Beutehaufen privater Habseligkeiten. Soweit die rumänischen Truppen nicht in Eile schon alles geplündert haben -. Keines der primitiven Geschäfte und Lokale offen. Alle Fenster, wie auch dann auf den Dörfern, mit den Gitternetzen aus Papier gegen Gefahr des Zerspringens, ein eigentümlicher, ornamentaler Eindruck. Die Stadt hat wohl wenig Beschuß gehabt, obwohl Zivilverletzte. Hier verproviantiere ich uns an unserer ohne den Stab (außer PKW) nachgefolgten Feldküche. Dort bekommen wir ein spätes Mittagbrot. Zum erstenmal wäscht uns eine alte Russin, freundlich, die Kochgeschirre ab. Kasino in einem Kinderheim mit riesiger Gartenlaube in großem, verwildertem Garten - viel sehr bürgerliches Spielzeug, zum Beispiel Puppenklubsessel. An einem Laternenpfahl in der Villenstraße ein Schaukelpferd ohne Wiege - grausig neben dem Eindruck all der toten Pferde an der Heeresstraße. Schwerere Schäden als in der Stadt an den Fabriken unterwegs; und noch so viel qualmende Bauernhäuser und Brandruinen an der Straße nach Serbi. Steinrelief am Straßenrand: Lenin. Stalinmedaillons. Sowjetsterne, die auch die öffentlichen Bauten tragen. Granateinschläge, Bombeneinschläge - riesige Löcher dicht an der Straße. Zerschossene und verbrannte Wagen, Autos, Panzer; auch Kanone und Tank, diese verbrannt oder noch brennend, sperren einmal den Weg. Zerbrochene Telefonmaste, niedergerissene Drähte, tote Pferde, Leichengeruch verwester Pferde, ein toter Russe. Und noch einmal einer, dürftig mit Stroh bedeckt. In den Kornfeldern, die sich rings so weit, so weit breiten, mögen noch viele Tote sein. Notbrücken. Aber die Straße bleibt fest und recht gut; unser Auto, von überstandener Vormarschverdichtung zu neuer Vormarschverdichtung, kann oft rasen. Serby - noch vor dem Krieg von Russen zerstörte Kirche, während man sonst die Kirchen erhalten sieht, auch wenn sie anderen Zwek-ken, bis zum Lagerschuppen, zugeführt sind, öder, steiniger, zerfahrener Dorfplatz seitlich der Straße. Dort I b, wohl im Schulgebäude, wo wir viel warten und von unseren Fahrten aus zum Befehlsempfang immer wieder zurück müssen. Die Bevölkerung scheint großenteils wieder da zu sein. Auf den Straßen, an den Feldern kehrt sie allenthalben heim. Alles sieht, in Gruppen, den Deutschen zu. Ich sah unterwegs auch kurz unsere 5/176. Unsere Kolonnen und die Werkstattkompanie liegen für ihre kurze Rast jetzt meist in leeren Guts- und Fabrikhöfen. Bei dem Quartier von I b, im Flachs(?)-Feld 96 gefangene Russen, viel junge, wenig asiatische Typen. Stimmung recht gut. Wachtposten meditiert über die Humanität der deutschen Träumer. Bevölkerung bringt den Gefangenen Brote, Eier (wir Landser finden nichts mehr), Mehlspeisen, vor allem Wasser in Eimern. Das Wasser bekommen die Gefangenen sofort. Das andere wird zu gleichmäßiger Verteilung gesammelt: Humanität des großen Siegers. Dolmetscher - ein früherer deutscher Arbeiter? Freundschaftliche Begrüßung mit Pfarrer Plate. Wegen abzuschleppender Beute - LKWs - müssen wir gegen Abend weiter, über Tschernewzy hinaus. Nur einmal hat die kahle Straße zwischen den schönen Feldern hohe Akazien. Die Dörfer sind wider Erwarten auch in der Ukraine wild und wirr und arm. Wipfel, Wipfel; Holzwerk, Strohdächer, Feldsteinmauern, niedrig, umwuchert. Allenthalben Soldatenrast in den Gärten. Und dazwischen der Vormarsch, der Vormarsch! Unsere Truppen machen immer wieder so großen Eindruck auf mich. So ohne alles Theater. So gesammelt. Klarheit. Kraft. Ernst. Sauberkeit. Aber die Rumänen -nichts als ein Straßenhindernis. Die Deutschen entnehmen gegen Geld einen Ohsen, ein Shwein, einen Hammel. Aber die Ru- mänen plündern. Allgemeine deutsche Offiziers- und Soldatenantipathie gegen diese Bundesgenossen: ein Haufen, kein Heer; keine Ordnung; Gebrüll; das feminine Kreischen; Plündern; und ich weiß ja auch, daß Hans Hirschberg mit seiner Panjekolonne in pogromähnliche Austreibungen geraten ist; Zusammentreiben von Vieh; Vergewaltigungen von Frauen - alles, alles der krasseste Gegensatz zu uns. Und die langen Säbel an den Sätteln, ihre Fahnen (gelegentlich auch Hakenkreuzfahnen), bunter Papierfirlefanz an den mißhandelten Pferden, Trompeten -, Theater. Nur ein Eindruck war einmal schön: Spätnachmittagssonne. Ein Seitenweg neben der Straße her am Feld voll rumänischer Reiterzüge: das Flirren der blitzenden Hufe. Auf den Höhen, meist auf den Höhen, große, gute, klare landwirtschaftliche Kollektiv-Gutshofanlagen; gut, wie wohl auch die Fabriken. In jedem Dorf Gemeinschaftshaus. Große, ältere Kirche, doch nicht antik, voller Flüchtlinge, die gerade ihre Sachen herausbringen, neben fast vollendetem Gemeinschaftshaus: Tscher-newzy - im Tal vor einem liegend groß und sehr schön. Dann in der Nähe winklig, trübe, zerrissen - Lehm und Holz, lauter Holzpfostenvorbauten, die das dunkle, spitze Giebeldach tragen. Holzbalustraden um die Häuser, Außenstiegen voller ärmsten, gaffenden Volkes; arme Synagoge im Winkel. Von Läden und Schenken außer einer Caf£-Aufschrift nichts zu erkennen. Erinnert alles sehr, nur verfallener, an Schömberg bei Kloster Grüssau; und an die Weiß-gerberohle in Breslau. Abends zurück nach Serby. Übernachten mit Schaukat und einem Melder im Stroh in Holz-vorbau-Pfosten mit Dachüberstand - vor Lehmstall in grünem Hof; neben uns Kälbchen und Kuh. Warme Sternennacht über hügeligen Gärten. Adjutant schläft im Auto. Wr trinken Wein aus Feldflaschen, den wir in unserem Kasino abgezapft bekamen. Tiefer Schlaf, bis Kalb und Schaf mich frühe wecken, in der Nacht vom Montag zum Dienstag. 22. Juli / Dienstag Mogilew - Serby - T schernewzy - Borowka - Tomaschpol - Zapowka-Front Da ich weiter um 5 Uhr aufstehe, gehört mir auch unterwegs die Morgenfrühe. Vom Tage: Dasselbe wie gestern. Auch dieselben Eindrücke. Dieselben Aufgaben. Am Morgen zur Spitze unseres Stabes nach Mogilew zurück. Dort bekommen wir auch Frühstück. Und Post von Hanni. Und ich kann meinen Sonntagsbrief abgeben. Auch der Stab ist jetzt aber ohne Feldpostverbindung. In Serby, wo nun heute unser Stab hinkommt; und von Serby aus über Tschernewzy zu einem neuen, sehr zerrissenen Dorf mit Gut und Fabrik, Borowka, dem weitergerückten I b der Division nach, Major Breithaupt. Er hat seinen Sitz bei einer freiliegenden Schule über der Kreuzung zweier Vormarschstraßen der 76. und 11. Division. Bei Wind und grauem Himmel und Staub sitze ich dort im Freien auf einer Schulbank, wie so oft schon, und schreibe an meinen Aufzeichnungen. Denn der Adjutant ist noch einmal zurückgefahren. Und ich fahre möglichst immer nur voraus mit. Die Feldküche einer fremden Einheit hier gab mir Mittagbrot, wie mich früh die freundlichen russischen Hofbesitzer in Serby mit Waschwasser und Milch versorgten; mit welchem Zeitaufwand sie solche Milch am offenen Maisrohr- und Reisigfeuer im Garten kochen! Freundliches Grüßen beim Abschied; aber die Berührung mit der Bevölkerung ist ja nur noch sehr flüchtig. In ihrer Stube sah ich auch ihre nun wieder hervorgeholten Heiligenbilder. Oder sind sie nie verschwunden gewesen?! (Dem Ikon gibt man gern ein Gardinchen mit Schleier, volkstümlicher Anklang des alttestamentlichen Allerheiligsten). Flüchtig hatten wir heute auch bei meiner 5/176 zu tun. Ein Dorf, so im Grünen versteckt und so winklig, daß man nur Wipfel und alte, wirre, hohe Strohdächer sah. Großer Gutshof mit Landhaus von sehr reichem Kolorit, langgestreckt, weiß, braunes Dach, weißgekalkter dorischer Säulenvorbau mit Giebel - sehr einfach; und vielleicht doch noch aus dem Empire. In all seiner Primitivität ein doch etwas repräsentatives Tor am Hof. Statt Zäunen hier überall umwucherte, niedrige, sehr reizvolle Feldsteinmauern. Was für ein Leben von Offiziersautos am neuen Stand von I b in Borowka! Und welches Telefonieren am Vermittlungsstellen-LKW. Ein Tag ganz in grauem Dunst und Staub. Unterwegs ein wesentlicher Eindruck: wie schnell die reifenden Felder die Wunden schließen, die durch Mann, Pferd und Geschütz beim Beziehen der Stellungen ihnen zugefügt wurden. Noch kommen Flüchtlingsgruppen allenthalben - aber schon wird auch wieder gemäht. Oder sind dies Soldaten, die ihren Pferden Hafer schneiden? Und immer wieder Schäfer mit Herden. Oder zusammengetriebenes Vieh. Erschöpfte Pferde weiden einzeln. Die werden wohl dann zum Pferdesammelplatz gebracht. Aus dem Dreck, wenn auch nicht gerade diesen Tag, ziehen die Pferde als Helfer die steckengebliebenen Autos; die kranken Pferde werden im LKW gefahren; solche Aufnahmen machen wir für meine Schrift. An einem Dorf in hohen Bäumen reizende, arme klassizistische Kapelle mit brauner Kuppel und Säulenvorbau (Holz, weiß gestrichen?). Nachmittags fahren wir nun hinter Major B. (I b) her zur Front! Zunächst zum Quartier und Gefechtsstand des Generals in Tomaschpol. Hügeliges, sehr grünes Dorf. In Windungen steigende Straße: Infanterie in den Kampf ziehend, ihre Panzerwagen mit den jungen Soldaten in den Tarnblusen voran. Generalsstand in der großen alten (1880?) Villa, gelb mit Balkenwerk, eines ehemaligen Zuckerfabrikbesitzers; an der Zuckerfabrik (bei den Sowjets natürlich Kollektiv, staatlich) mit Park oder Friedhof zu hübscher Kapelle steigend, Parktor, Gärtnerei. Autoauffahrt der Offiziere, ihre Gruppe. Stimmung eines gästereichen Sommernachmittags auf einem Landsitz. Auf der Einfahrt nach Tomaschpol, das auch wieder an ein armes, armes Schömberg erinnert, schreitet Major Breithaupt gegen den ersten deutschen Plünderungsversuch ein, den ich sehe, in geschlossenem Laden, durchs Fenster unternommen. Ich glaube, auch Unteroffiziere waren beteiligt. Auf Rondell am großen Vorplatz der an Wolfelsgrunder Sanatoriumvillen erinnernden Villa auch gestürztes Denkmal einer „Sowjetgröße“; es wird gerade ein Bein davon weggetragen. General de A. fährt, begrüßend und begrüßt, die Infanterie entlang zur Front. Wir folgen bald. Das Kampfgelände des Vormittags bringt nur wenig neue Eindrücke. Einschlaglöcher dicht neben der Straße: aber nie ist die Straße getroffen. Doch sehr viel mehr Brandstätten. In den Dörfern viel dem Vormarsch zuschauendc Bevölkerung, namentlich erhöht an Straßenwindungen; Männergruppen, Frauengruppen. Dann hört es damit auf. In Nähe der Front auch mit den Rumänen. - Wir sehen das Kampfgebiet schon liegen: die weißen, recht ordentlich gebauten Kasernen von Zapowka, die eben von den Russen geräumt sind; den brennenden Bahnhof an der Stredce Odessa-Berlin, von den Russen in Brand gesiedetes großes Verpflegungslager mit sehr viel Getreide. Um all dies die wogenden, reifenden Felder. Auch über den Waldhöhen leuchten immer wieder Felder. Schwere Flak bei einer Kirche, die nun als Verwundetensammelstelle dient. Infanterie. Infanterie. Von der Front kommende Sankas mit Rotkreuzfahnen, die besagen, daß Verwundete in den Sankas sind. Endlich, auf freier Straße zwischen Feldern, jene Stelle, wo man die „Bühne“ der Front betritt. Hauptmann Jordan, mein Leser, hält jeden Wagen an, und wir weisen uns als Begleiter von Major Breithaupt aus. Jeder Wagen erhält die Auflage, zur Vermeidung von Staubentwicklung nicht über 30-Kilometer-Tempo im Frontbereich der 76.1.D. zu fahren. Gleich danach - gerade verteilen sich in der fächerförmigen Spitze dieser Vormarschgruppen um uns die Geschütze und sonstiges nach rechts und links - muß alles im Augenblick in den Feldern zur Deckung verschwinden; das gelingt auch sehr eindrucksvoll. Bomberangriff von neun bis zwölf Russen. Ich sehe nur einen nahen Einschlag. Bald kommt alles wieder hervor: Pferde, Kanonen,Männer - zieht dem Feind entgegen. Wir dürfen mit I b nicht mehr sehr viel weiter; nur bis zu der Stelle, wo an Feldern die Straße nach den Zapowka-Kasernen von unserer Landstraße abbiegt. Vor uns liegen die eben freigemachten Kasernen; ein Stück weiter der in Qualm stehende Bahnhof von Zapowka; im noch unmittelbarer vor uns liegenden Wäldchen wird noch gekämpft. Deshalb Halt. Auf der Rückfahrt in Kumar Brod, an sehr schönem, ummauerten Wäldchen, an einem Gut in soeben erbeutetem Brennstofflager der Russen. Auf der Rückfahrt dringt nun die Sonne durch, liegt in zartem Schein über den Feldern in Staub und kaum wahrnehmbarem Dunst und Nebel über ihnen. Wir haben Unteroffizier Kraaz, 4/176, der zu IR 178 kommt, mitgenommen. Abendkühle im ioo-Kilometer-Tempo. Zurück nach Serby, wo nun unser ganzer Stab liegt. Aber wir sprechen kaum noch jemand. Sternennacht. Und noch einmal das Lager, mit Unteroffizier Kraaz, in dem Stallanbau, freudig begrüßt vom Hofbesitzer. Als Schlummertrunk den Rest unseres Weines. 2j. Juli / Mittwoch Auf der Vormarschstraße: Serby -Tschernewzy - Borowka - Tomaschpol -Zapowka-Kasernen Hochsommertag. Doch tragen die weißen Wolken einen dunklen Fleck in sich; manchmal jähe Schatten über den in diesen Tagen so reich besonnten Feldern. Da wir schon um 5V4 aus Serby aufbrachen und meist 80 Kilometer fuhren, tat der warme Tag sogar einmal wohl; denn die rasche Fahrt in der Morgenfrühe war kühl. Jeden Tag haben wir noch die Gelegenheit, uns zu waschen und unser Geschirr zu waschen - sehr wichtig. Frühstück - alles ist überall des Wassers und des Brotes wegen knapp - an den Feldküchen zweier Einheiten in Borowka, wo wir zunächst beim I b waren. In Serby noch ein großer Eindruck. An der Straße ein zerschossener und verbrannter kleiner russischer Panzer. Zwei Verbrannte darin. Einer hängt, verkohlt bis zum Skelett, aus dem Wagen, streckt noch die Hand entgegen. Von Borowka nach unserem Munitionslager. Wache nun da, von der Nachschubkompanie. Mangel an Artilleriemunition (A 2). Es geht heute mit dem Vormarsch noch nicht weiter. Bei Zapowka wird noch gekämpft. Und die 22. Division soll es sehr schwer haben. Unsere Kolonnen - wir fahren zu den Kl.KW-Kolonnen 2 + 3, Hauptmann Benz und Thomas - haben es dringend nötig, daß diese, hoffentlich kleine, Pause entsteht. Die Wagen der 2. sind sehr mitgenommen, manche fallen jetzt aus. Und am Sonntag schon waren zwei Raupenschlepper kaputt. Bei dem gestrigen Vormarschtempo konnten die bespannten Fahrkolonnen im Einsatz schon nicht mehr mitkommen. Wir fahren wieder zur Front. Den Weg zu ihr bezeichnen auch die Stöße halb noch übriggebliebener, halb zerschossener Munition in den Feldern. V412 mittags beim Generalsquartier und Hauptgefechtsstand in sauberen, hellbraunen Blockhäusern an jenen weißen Kasernen, die wir gerade gestern erst als eben geräumt bezeidmet bekamen. Ein eigentümliches Gefühl. Heute noch hatten sie an dieser Stelle Artilleriebeschuß. Ich sehe die Mauer- und Fensterschäden. Nicht sehr schlimm. Aber ein Toter, ein Verletzter. Auch jetzt noch, doch ferner, Artillerie. Hinter dem gestern umkämpften Wäldchen mehr Brandrauch als gestern. Der Kampf dauert ganz in der Nähe immer noch an. Nun ist auch hier rumänische Kavallerie und Artillerie. Ich sah auch heute nun mehr deutsche Kavallerie. Mittagsonne. Berichtschreiben im Auto, während wir vor dem Generalstabsquartier auf den Adjutanten warten. Heute sind auch deutsche Jäger in diesem an LW armen Frontabschnitt eingesetzt. Nach Plate auch Capito, den ich in Wittenberg kennenlernte, getroffen. Unterwegs sahen wir Sammelplatz von russischen Gefangenen. Wie wenig asiatische Typen. Unter den Rumänen glaubt man die Volksdeutschen gleich mit Sympathie herauskennen zu können. Das helle Gekeif der Rumänen. Aber wir photographieren ihr malerisches mittägliches Lager im Kornfeld. Von den Dörfern ist noch zu sagen, daß sie alle merkwürdigerweise an alte Niederländer und an Dürers Dorf erinnern. Welche Studienobjekte für mich. Namentlich auch die Dorfbrunnen. Hier alles wieder Stangen- und Kettenbrunnen, nur manchmal mit Dächlein. Hebebaum-Brunnen nicht mehr. So manchesmal so hübsche Kirchen, mit asymmetrischen Rund- und Spitztürmen in großen Wipfeln und auf schönen Höhen. Die zweite Kirche von Tomaschpol aber zerschossen, nur Umrisse stehen. Es sind doch sehr viele Tur-und Fensterläden geschlossen, also noch viel Flüchtlinge unterwegs, die man ja unterwegs auch allenthalben trifft. Man erfährt: Diese Nacht haben der deutsche und der russische Divisionsstab auf einer Linie in Nachbarorten nebeneinander gelegen! Man fand früh einen erschossenen russischen Offizier, mit dem heutigen russischen Stabsbefehl in der Tasche. So wußte man rechtzeitig die heutigen russischen Operationen: hinhaltender Widerstand, geordneter Rückzug, Panzerangriff - alles militärisch planvoll. Doch sollen die einzelnen russischen Armeen ohne Zusammenhang miteinander kämpfen. Unsere Angriffsstockung ist wieder überwunden. Von den Zapowka-Kasernen aus fahren wir noch das kleine Stüde am Feld entlang zu dem von den Russen am Vortage in Brand gesteckten Getreidelager (2000 Zentner?) am zum Teil von ihnen umgestürzten Güterzug an der Strecke Odessa-Berlin. Die deutschen Soldaten unter Leutnant Weise retten, was sie nur retten können. Die ganze Nacht hindurch haben wenige Mann unablässig gearbeitet. Geruch von Brand und Brot. Nahe qualmt auch noch immer der Bahnhof. Rauchwolken, Staubwolke der Vormarschstraße, die weißen Wölken des heißen Mittaghimmels. An dem Getreidelager, am Feld, ein leichter, kurzer, aber gerade diesen Abschnitt abstreifender Beschuß durch russische Artillerie. Rechte Gefahr für uns, da man sich hier einschießen will. Noch hört man die Granaten über uns wegsausen. Aber der nächste Einschlag in dieser Richtung hätte uns treffen müssen. Wieder, wie beim Dnjestr-Übergang, war es genau mittags 12 Uhr. Gleich danach, an der Straße, erhielten wir an Feldküche fremder Einheit unser warmes Mittagbrot. Das berührt seltsam. Rumänische Kavalleriedivision rückt nun vorn in den Einsatz -aber dahinter liegen wir Deutschen. Gott sei Dank. Mittagsonne. Reife. Jetzt erst die vorhin erwähnte Aufnahme des rumänischen Mittagslagers im Feld. Zurück nach Borowka, wo nun in stiller Dorfseitenstraße unser ganzer Stab eingetroffen ist. So freundliche Begrüßung im Kreise meiner Adjutantur. Es wäre gar nicht mehr das Richtige gewesen ohne mich. Und der „Haushalt“ -. Man habe fest geglaubt, da ich nun einmal erst beim Divisionsstab war, hätten sie midt dort nicht mehr „hergegeben“. Und welche Freude bei den „Vater“-Bestellern des damaligen Kasinoabends, daß nun wirklich aus Bukarest neun „Vater“-Exemplare vom Tcchn. Inspektor Wünsche mitgebracht worden waren. Ich erhalte vor dem Bauernhäuschen, vor dem wir uns etabliert haben, artige Dankbesuche mit den Bitten um Widmung. Und die dauernden „Vater“-Bestellungen der Kameraden an die Adressen ihrer Frauen oder Familie. - Leutnant Kulig über das „Vater“-Geschenk ehrlich erfreut. Widmung: Zur Erinnerung an die Fahrten zur Front in diesen beiden Tagen. Adjutant erklärt mir unterwegs alles, damit ich eine recht weite Perspektive bekomme. Wie dankbar muß ich sein für die Art, in der ich den Krieg mitmachen darf - und nun doch den wirklichen Krieg. Vor allem habe ich durch den Adjutanten auch die richtigen Karten. Ein Brief von Renerle - sie hat es im Sommer durch die räumlichen Verhältnisse sehr schwer in ihrer Stellung; um so dankbarer ist sie für ihr Zuhause. Drei Briefe von Hanni - obwohl auch dies alles vorher durchlebt ist - bedrücken mich maßlos; neue Wohnungsmaßnahmen gegen Nichtarier, große Verängstigung; und zum erstenmal, vom Politischen Leiter M. Taktlosigkeiten gegen Hanni, besonders weil man wohl auf Fräulein Anni reflektiert. Und das übrige Berlin klagt und stöhnt wegen der sommerlichen eingeschränkten Ernährungsverhältnisse. War ich da, kam kein M.; Hanni wünscht nur, daß ich zu Hause sei. Und das sagt bei Hanni genug. Denn in unserem Falle hat das alles einen so anderen Akzent. Die mögliche Kriegsdauer bei all den Verschärfungen - wieso hat Reni einen Passierschein? - bedrückt Hanni so. - Die Briefe umschließen die ganze Last meines Lebens. Aber: „Trachtet am ersten Matth. 6. „Der in euch ist, ist größer, als der in der Welt ist.“ I. Joh. 4, 4. Und auch dies ist für mich ein besonderes Wort für diese Zeit geworden: „Wenn ihr stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein.“ Wann werde ich wieder neue Kirchenlieder schreiben? Ich sehe meine Last; und sehe Gottes Treue. Wir hören: in Aachen gibt es keine Straße mehr, in der nicht 6, 7 Häuser von englischen Fliegerbomben getroffen sind. Dr. Braun, Sanit.Uffz. Kurz werden weggeholt: an jener Stelle, an der wir gerade das Mittagslager der Rumänen aufgenommen haben, etwa 8 Kilometer von Borowka, trafen vier kleine Fliegerbomben 65-70 Rumänen aufs furchtbarste. Ein Bild des Grauens, berichten Arzt und Sanit.Uffz.; auf einem Haufen 30 Tote, einem andern 17, entsetzlich zugerichtet. So sanfter, besonnter, grüngoldener Dorf-Hochsommernachmit-tag. Wir wohnen im Bus, hausen aber im großen Garten eines kleinen Bauernhauses mit freundlichen Einwohnern. Im Hause liegt ein verwundeter Russe, der sich vertrauensvoll dem Stabsarzt melden läßt. Er liegt seit vier Tagen dort. Er läßt durch unseren Dolmetscher sagen, es seien noch mehr verwundete Russen im Dorf, die man suchen solle. Weinende Frauen des Dorfes suchen bei uns durch den Dolmetscher Schutz: gegen die Vergewaltigungen durch die Rumänen mit vorgehaltener Pistole. Ich bin sehr abgespannt - aber alles staunt über mein glänzendes, braungebranntes Aussehen. Und die von meiner 5/176 sagten bei einer Begegnung: „Und so heiter.“ Die Rast am Rest des Tages brauche ich außer zu kurzem Bericht an Hanni zum Verkleinern meines Gepäcks für die Autofahrt, die morgen weitergeht. Noch immer - in der Abendsonne - kommen Sankas von der Front. Unser Stabs-Rest, auch der Bus, hat 24 Stunden an der Pionierbrücke festgelegen. An den Zapowka-Kasernen habe ich Flugblätter der Russen für das Überlaufen zu ihnen gefunden. Auch ein Gedicht von Erich Weinert. Welches Verkennen der deutschen Mentalität. Dieses Dorf hat ebenfalls saubere Kollektivscheunen. Über unserem schönen, abfallenden Bauerngarten eine Brandruine. Kreisrund und sanft sinkt die Sonne. Uns gegenüber das ungemein reizvolle Bauernhaus - mit der sinnenden Asta-Nielsen-Bäuerin - des Kasinos hübscher Vorbau, wipfelumschlossen. Die einfache, lange Abendtafel, weiß gedeckt, der Offiziere. Während des Abendessens schickt auch Hauptmann Alpes herüber, ob es wohl noch einen „Vater“ gäbe. Ich hatte auch ein Exemplar mehr mitkommen lassen. Alpes bedauerte, damals meinem Vortrag nicht beigewohnt zu haben (z.b.V., viel unterwegs). Ninas und ich gehen auf der dunkelnden Dorfstraße unter den Wipfeln und Sternen auf und ab. Brandgeruch in der kühlen, reinen Abendluft. Schlaf im Bus, bei meiner „Familie“. Reife Maulbeeren. „Russisches Brot“ in flacher Babenform, wie ich es auch den Gefangenen bringen sah. 24. Juli / Donnerstag Borowka - Zapowka - Werboda - Krysbopolja Um 4 Uhr in der Morgenkühle aufgestanden. Morgendunst über dem kleinen Flüßchen, den Wäldern, den Feldern. Sonnenaufgang so klar, wie gestern abend der Sonnenuntergang war. Um 6 sind Adjutant und ich bei den Zapowka-Kasernen, heute schon nicht mehr der Hauptgefechtsstand des Generals, sondern Sitz von I b. Daneben im Wäldchen, in dem auch gestern noch Feindwiderstand war, heute schon unser Munitionslager. Das imponiert einem gewaltig. Frühstück an einer Feldküche des Divisionsstabes. Noch immer die Brandwolken an der Bahn. Es ist nur kurz nach 7 Uhr. Gerade hat der Vormarsch der Infanterie begonnen. Wir fahren - da neue Aufgaben für uns nicht da - zur Front. Zapowka ist an einzelnen Stellen, namentlich Fabrikbetrieben des dörflichen Ortes, sehr schwer getroffen, im ganzen aber doch recht verschont. Auch ist Bevölkerung da. Das Dorf Werboda, hinter dem Wäldchen, in dem vorgestern bei unserem ersten Frontbesuch noch gekämpft wurde, besonders hügelig, gewunden, hochsommerlich und schön - seltsam entsprechend meinen alten Puppentheater-Dorfkulissen. Bei diesem Dorf und dem nächsten, Kryshopolja, steigt die Straße zur heutigen Front. Wir können nicht weiter. Denn wir sind schon an der Stelle, an der General de Angelis gerade die eben begonnenen Operationen der Infanterie leitet, die uns die Straßensteigung verbirgt. Vorfühlende Artillerietätigkeit. Gleich hinter der Front halten wir eine Rast, da neue I b-Befehle in Sachen der Wegerkundung und unsere Kolonnen noch nicht zu erwarten sind. Friede des Hochsommermorgens, reifendes Getreide, Sonne, Wald, blühende Lupinenfelder über den anderen Feldern, reife Himbeeren in Fülle. Ist es jetzt nicht oft wie Reise? Bei I b. Kein neuer Befehl. Die Operationen, der Vormarsch entwickelt sich erst langsam. Wir fahren zur 5/176 in dem Wäldchen, hinter dem das eroberte Brennstofflager liegt. Beglänzter Mittagwald. Wiedersehen mit mehreren, sehr herzlich, von meiner gerade abrückenden Kolonne. Unterwegs sahen wir sieben tote Pferde an einem Fleck. Wir warten im Wagen von I b, ob Mittagbefehle (Major B. mit Leerlauf und Kompetenzstreitigkeiten sehr schwierig. Auch an der Front überall das Allzumenschliche). Adjutant und der Fahrer lesen, trotz der Mittagsglut; ich schreibe meinen laufenden Bericht. Hauptmann Cartheuser kommt - solche Freude, mich nun „in der einzig richtigen Verwendung, für die ich der prädestinierte Mann sei, zu finden“, mich gerade schreibend in dem großen „Wanderer“ anzutreffen. Und nach V2 Stunde fährt auch 5/176 wieder hier vorbei, im Wald Munition abzuladen. Auch bei der 5. wird nun mehrfach vierspännig gefahren. Oft sieht man jetzt auch dreispännige Bespannung. Die morgendliche Fahrt hatte eine sehr markante Situation. Jenes furchtbare Bombenunglück, das gestern die Rumänen traf - es war wirklich jene Stelle, die wir gestern um des romantischen Mittagslagers willen photographierten. Nun machen wir eine Aufnahme von dem Massengrab an dieser Stelle! In diesem Kriege, was eigentlich für den Nachschub nicht üblich ist, fahren unsere Kolonnen auch oft die Munition bis in die Stellungen. Kolonnen 8, 9, 10 sind ganz den Regimentern IR 178, 203 und 230 unterstellt. Der Adjutant und ich empfinden kein Nachschub-Odium mehr; die Verknüpfung mit der Kämpfenden Truppe ist doch zu eng, der Bedarf an den Lieferungen des Nachschubes zu groß, so unvergleichlich die Leistungen der Kämpfenden Truppe sind. Ich habe nun den totalen Überblick über den Nachschub. Die Rumänen lassen auch die verwundeten Pferde einfach zurück. Nur Müdigkeit und Migräne. Schlaf, Aussehen, Appetit glänzend. Die Mattigkeit fast allgemein. Und welches Urlaubsbedürfnis bei den meisten, die nun oft schon ein Jahr ohne Urlaub sind. Urlaub -denn an ein nahes Kriegsende glaubt ja keiner, auch wenn es mit Rußland rasch gehen sollte. Wie oft werden die Photos von daheim ausgetauscht. 15 Uhr. Wir warten noch immer bei I b. Schlafen, Lesen, Schreiben im Rasen eines Apfelgartens vor den Blockhäusern der Zapowka-Kasernen. Nachmittagsfriede! Angriff wird in 10 Kilometer Entfernung heute nur langsam vorgetragen. Bei den Zapowka-Kasernen und auch sonst an Ortschaften Schild gegen Plünderung und für Bezahlung jeglicher Entnahme. Welcher Gegensatz zu den Rumänen. Keine neuen Befehle. Unterwegs viele Gefangenengruppen. Fahrt zurück nach Kumar Brod, durch das wir auf den Fahrten von Tomaschpol zur Front schon einige Male gefahren waren. Sehr liebliches Dorf. Überall die reizvollen Vorbauten der Häuser. Hohe Strohdächer mit erhöhtem First und Holzdachreitern. Baden mit Karli, Ali, Erich, Oberschirrmeister in kleinem Weiher und Graben, in weiter, lieblichster Wesenlandschaft. Auf der Vormarschstraße nur noch Autos. In emsigster Leistung sind die Telefonleitungen wieder hergestellt. Abendbrot mit meiner „Familie“, die wirklich an mir hängt, im Freien. Schlafen im Bus. Abend recht dunkel. Bevölkerung freundlich. „Vater“-Bestellungen, „Vater“-Bestellungen! Die erste, reine Zwiebelturmkirche, in glücklichem Stil, dabei wohl sicher Jahrhundertwende, erhalten und wohl auch, wie die anderen, anderen Zwecken zugeführt. 2j. Juli / Freitag Schtscherbakowo Es hat geregnet. Durchblick durch dichten Malven-Bauerngarten auf Höhe, auf Kirche mit Tannen. Reise! Um 6 Uhr zum I b, Zapowka-Kasernen. Auch ein rumänischer Stab dort. Allgemeine Abneigung gegen die Verbündeten. Der Vormarsch geht wieder schnell weiter. Aber bis 9 Uhr kamen keine neuen Befehle für den Adjutanten. Und Major Breithaupt fährt uns noch nicht, wie angesetzt, zur Front voran. Neuer Regen. Dörfer Morast. Straßen halten stand. Zurück zur Kriegsferntrauung von Dr. Braun. Bauerngartensträuße zur Gratulation. Vormittags- und Mittagsstunden zum Schreiben, namentlich Beantwortung von Hannis letzten vier Briefen; in dieser Woche konnte ich nicht so regelmäßig täglich schreiben. Sonne kommt wieder hervor. Essen bei der „Familie“: Hühner aus dem Dorf. DAZ: Noch nie war Nachschub in solcher Breite und Hefe eingesetzt. Auch Nachschubbilder. Aber nicht bezeichnend. Meine Aufgabe lohnt. V23 Uhr nachmittags Fahrt zu Ib in Zapowka; und noch einmal zurück. Und da ist gerade Feldpost mit zwei Briefen von Hanni angekommen. Um 5 Uhr wieder bei I b, der uns nun zur Front voranfährt. Welch eine Strecke, 50 Kilometer und mehr, ist von einem Tage zum anderen erobert: von jener Stelle an, an der wir gestern nicht, am General vorüber, weiter durften! Und allenthalben sieht man doch, wie gekämpft worden ist und daß der Feind nicht etwa floh! Unsere Truppen haben es nicht leicht gehabt. Werboda - Kryshopolj - Krikliwzy - Schtscherbakowo -. Die einen Ortschaften sind erhalten, die anderen furchtbar zerstört. Erbeutetes Sägewerk und Brennstofflager. Ich sehe einen völlig niedergebrannten Ortsteil noch qualmen und brennen. Bombeneinschlag in Strecke Odessa-Kiew. Sonst nur in einer Schmalspurstrecke. Dann wieder Idylle: Wäscheklopfende Frauen an Weihern -, putzende, waschende, ruhende Soldaten in Bauerngärten. Die Zeichen der Kampfstraße die gleichen wie sonst, nur gesteigerter und zahlreicher. Und dann und wann auch vom Feinde zurückgelassene Feldküchen. Und die Felder dieses Hochsommernachmittags sind nun zerwühlter und durchfurchter. Und noch mehr Reihen frischer deutscher Gräber, möglichst bei Friedhöfen. Auf den Gräbern zum Teil durchlöcherte und zersplitterte Stahlhelme. Ein alter Friedhof am Waldrand in dichtem, altem Obstgarten, sechsflügelige Windmühlen in Dreiergruppen. An allen Tagen, schon seit der Grenze, die Holzwachttürme der Russen. In der verschlammten, steilen, breiten Senke von Krikliwzy bleibt erst der Wagen von Major B., dann unser Wagen stecken. Wegkommando genügt nicht. Raupenschlepper muß uns, LKW und I b, herausziehen. Aber es nützt nur für eine kurze Strecke. Das größte Hindernis kam noch. Vorher sehen wir unsere 4/176 mit Fölsche recht weit voran. Zum erstenmal sehe ich zwei bis drei Vormarschstraßen nebeneinander-und ineinanderlaufen. Drei Divisionen beieinander: 76., 22.; eine dritte - noch mehr: die mit dem gekrönten Adler und die mit dem springenden Pferd. Alle, alle Truppengattungen: Tank, Panzer, Fahrkolonnen, Kavallerie, Infanterie, Sankas, Vet.-Komp., Radler, Vorauskommandos. Aber nun biegt die Marschroute dieser Divisionen in elendesten Feldweg ein. Zum Teil muß neben einem Hohlweg her über ein steiles Feld gefahren werden; der Wagen von I b kam noch hinüber; wir schafften bereits den Anlauf nicht mehr. Die Schwierigkeiten dieses Vormarsches werden allmählich größer als in Bulgarien, in den Pässen dort. Die Nachmittagssonne hat auch den Matsch nur unzulänglich ausgetrocknet. Zudem Überschneidungen von Vormarschreihen aller Art gerade an dieser Stelle. Auf das steile Feld und den Hohlweg zu stockt alles; denn Wagen, LKW und PKW rollen rückwärts, ineinander, Pferde scheuen, Autos dampfen, als brennten sie -. LKWs, Schlepper, - einer hilft dem anderen, Auto dem Pferd. Aber mehrere haben nun schwierige Pannen. Infanterie hilft Gespanne schieben. Unserem Wagen versagt die Kuppelung; Differential gebrochen. Man sieht den „Wanderer“ traurig an, denn man hat ihn auf diesen Fahrten liebgewonnen, wie auch den immer mehr lädierten Bus. Bloß in dieser Wirrnis und Verstopfung keinen Luftangriff! Aber wir bleiben verschont. Nach dem schönen Sommernachmittag in lieblicher Feld- und Waldlandschaft - nur die Gerste steht elend - wird es nun Abend. Sanftes Waldtal gerade an dieser Stelle. Abendfriede. Über den Feldern noch der helle Schein aus ihrem reifenden Rötlich-Gelb und Braungold. Ein brennender Hügel, wie Kohlenhalde, daneben die gewaltige Silhouette des größten Tanks, den ich bisher sah, und seiner auf ihm stehenden Männer. Dies der Anfang unserer Schleppfahrt hinter Traktor, der uns noch an seinen LKW angehängt hat, - manchmal war’s schwer genug für ihn. Durch Abendfelder am Waldrand, unter tiefhängenden Laubbäumen. Endlose Wagenreihe. Reiter, die reitend ihr Abendbrot essen. Abendlicher Meldereiter kommt im Feld entgegen. Am Horizont Leuchtkugeln und Feuerschein der großen Geschütze. Die Front, in gewaltiger Steigerung der Vormarschverdichtung, jetzt längst angekündigt, ist nahe. Aber I b konnten wir nun nicht mehr zur Front nachfahren. Wir waren froh genug, noch den weiten Weg, auf den Trittbrettern stehend, bis nach dem nächsten Dorfe, Schtscherbakowo, unserem heutigen Hauptziel und gedachten Ausgangspunkt zur Front, abgeschleppt zu werden und in dem verwinkelten, weitverzweigten, hügeligen Dorf den freien Platz zu finden, über den alles zieht und wo andere Einheiten kampieren und wo wir uns neben einen LKW des 6. A.R. legen konnten, der auch für morgen aufs Abschleppen wartet. Sehr dunkel, sehr bewölkt. Lind. Spätes Abendbrot aus Büchse auf dem Kühler bei einer Kerze. Schlafen im Zelt bei Hecke. Geschützfeuer ringsum. Noch immer Kolonnen, rasten neben uns, ziehen an uns vorüber. Aber man schläft, ist diese Geräusche und Rufe schon gewohnt. In diesen Tagen hat mich mein Ischias ein wenig geplagt. I b war im Ort bei dieser Dunkelheit für den Adjutanten nicht mehr auffindbar gewesen. Schwierige Wasserverhältnisse. 26. Juli I Sonnabend Schtscberbakowo — Koslowska Diesmal stehe ich erst um 6 Uhr auf. Adjutant findet I b. Fährt auf Melder-Krad zu unserem Stab zurück. Schaukat und ich warten bei unserem kaputten „Wanderer“. Wasch- und Abwaschmöglichkeit auch hier, trotz entlegener, in Dorfschluchten verborgener Brunnen; und trotz ihrer (sehr dekorativen) Inanspruchnahme als Pferdetränke. Neu einige massive, saubere Häuser. Das Dorf ähnelt den rumänischen. Arm. Wirr. Bloße Lehmhäuser mit verwahrlosten Strohdächern. Alle Bevölkerung hier zu Lande sehr schlecht angezogen. Keine ausgesprochene Tracht. Viele Brücken und Dörfer haben über Straßen und Brücken einfache Holztore wie Ehrenpforten. Am Morgen die Artillerie schwach, auf den Mittag zu wird sie heftiger und näher. Am frühen Morgen viel feindliche Flieger über uns. Doch nur ein etwas entfernter Bombenabwurf. Auto haben wir mit Grün und Zeltbahn getarnt. Zeit zum Säubern, Zeit zum Schreiben. Tut wohl. Obwohl drei Feldküchen hier, hält es schwer, selbst gegen Zigaretten etwas elenden Tee zum Frühstück zu bekommen. Alle sind so knapp. Den Tee bekamen wir bei einer Einheit, die, wie Teile des 14. Regiments, vor dem Feind zurück mußte. Diese Einheit hier hatte viele Verluste, sieben tote Pferde; mußte Decken, Gepäck in eiligem Rückzug zurücklassen. Zum erstenmal beobachte ich auch bei deutschen Einheiten (Fahrkolonnen) Geschrei von Vorgesetzten. Meldereiter, Kradmelder von der Front her. Nach neuer Munition fahrende, leer zurückkommende Fahrkolonnen. Noch lange am Vormittag ist der Dorfplatz ein Zentrum der Bewegung von und zur Front. Mittagbrot - doch jeden Tag nur knapp und nur Erbsen oder weiße Bohnen - bei einer abrückenden Einheit. Der LKW des 6. A.R. ist abgeschleppt, für uns scheint es schwieriger. Es wird leer im Ort, und Sch. und mir ist nicht ganz behaglich. Doch liegt Feldpost uns gegenüber; ich kann einen Brief an Hanni mitgeben. Auch die deutschen Kolonnen haben jetzt oft Fohlen bei sich, wohl bei den Beutepferden. Ein süßes, totes Fohlen liegt hier auf dem Platz. Daneben zurückgebliebenes, schönes Pferd mit kaputter Hinterhand. Es kann nicht stehen, nicht liegen; Bauern führen es weg. Bevölkerung scheint zum Teil da. Alter Mann holt uns Wasser. Frau verkauft uns und brät uns zwei Hühner. Verständigung noch sehr schwer. Glut - ich saß schreibend in Badehosen im Schatten — und Schattenkühle wechselten. Vom frühen Nachmittag an sehr windig und bewölkt. Wir warten, warten. Doch mir wird ja nie die Zeit lang. Immer wieder vereinzelte Truppensucher. Artillerieschießen unaufhörlich. Nachmittags ein schönes, rundes, selbstgebackenes Brot von einer etwas höher liegenden Sanitätskompanie, die in einem sauberen Hause uns gegenüber ihren gut ausgestatteten Verbandsplatz hat. Leichtverwundete dort; aber nun kommen allmählich auch noch schwerer Verwundete. Von den Leichtverwundeten kommt gerade einer von der Front mit blutendem, verbundenem Gesicht und dem „Laufzettel“. Auch ein Pferdesammelplatz im Ort. Wir sind also nicht allein. Bevölkerung wirkte etwas unschlüssig. Hat außer den beiden Hühnern nichts für uns. Die Ortschaften sind jetzt in dieser Hinsicht alle recht erschöpft. Die Bevölkerung steht untätig in größeren Gruppen umher, sieht nach der Richtung des Artilleriefeuers, das nur hörbar ist. Die Hütten haben mit bunten Papierblumen geschmückte farbige Öfen und Papierblumen an den Stubendecken. Gestickte Blusen der Frauen — das einzige an Lebensfreude. Blonder, kräftiger Typ. Bei den Männern Russenbluse, Tolstoibauern, wie nun schon oft. Die Kirche hier ist ganz zerstört. Nur ein Bogen steht noch wie ein halbzertrümmertes Tor. Aber auch dies führt in den Himmel. Auch in diesem Land. Am Nachmittag werde ich von PKW abgeholt, wieder zu unserem Stabe, der jetzt io Kilometer weiter liegt. In Koslowska. Hübschgelegenes Dorf. Unser Parkplatz an armer, turmloser, stilloser Dorfkirche aus graugestrichenem Holz in deren großen Obst- und Rasengarten. Eine Kirche, wie nach dem Bildersturm: primitiver weiß-goldener Holzaltar in der Wüstnis steht noch. Ohne Bilder. Des Kommunisten Wachmann (?) Bild-er soll in diesem Orte gelebt haben, bis jetzt -, das am Altar aufgehängt war, wurde entfernt. Begrüßung und Liegen im Gras. Mein Lagebericht, auf den die Kameraden immer recht warten. Schwerer Abendregen: eine große Sorge. Unsere Division muß jetzt vielleicht für sich allein kämpfen. Im Norden abgeschnitten. Heftiger Widerstand der Russen; ihre Stellung glücklicher als die unsrer drei unglücklicher, gegeneinander stehenden IR 178, 230 und 203. Weiß das Herz noch den Sonnabend-Abend? Ja! Unermeßliche Gärten des armen, weiten Dorfes. Frühes Abendwerden. Schwerer Abendregen, der einem für die Straßen wieder sehr bange machen muß. So eng im Bus. Und doch ist er uns ein Stück Heimat. Und wie sein virtuoser Fahrer Willi Ott als einsamer Sonderling und Tyrann daran hängt. Ich sorge zum Abend schnell für meine Familie; den Abwasch besorgt, gegen Essen, freundliches altes Russenehepaar. Nach dem Abendbrot zu P. Plate, der mir sagen ließ, daß er im gleichen Ort einen halben Kilometer weit liege, hinter Höhe und Grund. Vorgebirgslandschaft in beginnender Ernte und Abendregen. Schon wieder grundlose Wege. Man kommt in Schweiß gebadet an. Zeltlager der zweiten Sanitätskompanie. Dort P. Plate mit seinem Küster, Studentenpfarrer Blankenburg, im Zelt: „Ek-kart“ mit der neuen „Kyrie“-Anzeige; Kerze, beide liegend, Tee, Schokoladentafel, Cognak aus der Feldflasche, Zuckerbeutelchen, wie sie hier die Bevölkerung den Soldaten schenkt. Und so viel Herzlichkeit; man lasse mich nicht weg von der Division. Durch die Kämpfe, Verwundungen, Tod neue Aufgeschlossenheit für den Glauben. E. wollte ursprünglich Theologe werden, erzählte er Plate. Und mir, daß er zu der Kriegsferntrauung von Dr. B. nur mein Hochzeitslied lesen wollte, sich dann aber der Einstellung des neu hergekommenen Partners nicht gewiß war. P. will mich, kehrt wieder Ruhe ein in der großen Bewegung, seinen alten Plan aufnehmend, allen Kommandeuren der Divisionen vorstellen. Beim Abschied rief P. zu einem anderen Zelt mit dem kartenspielenden Oberstabsarzt Koschel und drei Ärzten hinüber: „Jochen Klepper ist da.“ Und sofort auch da die freundliche, selbstverständliche, artige Begrüßung. Der „Vater“ aus Bukarest - es ist eine ganze Serie geworden! So schön alles, alles. Gott führt mich so wunderbar durch den Krieg. Gott ist kein Quäler; er prüft nur, seine Treue zu bewähren. Er wird mir im Hinblick auf die Meinen keine furchtbare Heimkehr bereiten. Dr. Koschel, den ich beim Dnjestr-Ubergang kennengelernt hatte: ein berüchtigter Kommunist sei ihm übergeben. Eras solle ihn übernehmen. Ich war noch bei Eras im „Kasino“, gegen das ich die Antipathien der anderen nicht teile, ist es doch ein Stüde Tabagie. Alles Nötige wird veranlaßt (mit dem Ergebnis, daß es sich wohl um dörfliche Denunziation handelte). Regennacht im Bus. 27. Juli / Sonntag Koslowska - Lugi Grauer und kühler. Um 5 aufgestanden, da meine und Leutnant Kuligs Weiterfahrt ungewiß. Und nun vor dem Bus, auf der Holztreppe der Kirche - soweit hat der Regen nachgelassen - Platz und Zeit für Toilette und Frühstück; dergleichen vermerkt man immer sehr dankbar. Viel Schießen. Artillerie oder Flak oder Einschläge. Sehr trübe; trübe auch das Bild der in der Kirche schlafenden Soldaten mit ihrem herumliegenden Kram. Morast der Wege; aber schon wagen es wieder viele Fahrzeuge. Nun tritt auch Adjutant mit mir die Fahrt an. Wir haben zum Ersatz für den „Wanderer“ nun den kleinen, auch schon lädierten, von Busas gefahrenen Opel vom Spieß und fahren hinter Eras zu Ib in das nur wenige Kilometer entfernte Lugi. Sehr arm. Sehr, sehr weitverzweigt, in Tälern und auf Flöhen verstreut. Steile, gewundene Wege, große Weiher. Schönstes Flügelland. Steigung auf dem Wege hieß: Morast und Stockung. Gleich im Anfang unserer Fahrt 17 festliegende PKW/LKW. Wieder 5/176 berührt. Zu mehreren unserer Kolonnen am Wege. Am Munitionslager. Aber an diesem Walde müssen Busas und ich mit dem Opel umkehren. Der Wagen schafft nicht die Fahrt hinter dem von M. Breithaupt her. Adjutant fährt mit Breithaupt. Außerdem müssen wir noch I b-Befehl zur 7. (Sprit-)LKW-Kolonne bringen durchs endlose Dorf Lugi, viel Suchen, Morast, Morast. Die LKW und PKW schlingern, tanzen, bleiben stecken. Bei 7/176 bekommen wir Mittagbrot, dann nach Rückkehr zu I b dort gegenüber bei Fliegereinheit - der ersten, der wir begegnen -noch einmal Gemüse, endlich einmal im Sommer frisches Gemüse, dem der Landser weit den Vorrang vor Fleisch gibt. Bei 7/176 in Regenpause - denn immer wieder begann es zu regnen - hübscher Platz am Brunnenhaus mit Tisch und Bank im Garten, was eine solche Seltenheit ist. Wieder wird uns abgewaschen. Wir warten in grünem, stillem Seitenwege der heute wieder recht belebten Vormarschstraße, gegenüber I b, der jetzt auch nur ein recht elendes Bauernhaus zur Verfügung hat. Zum erstenmal also liegen wir nun neben einer Flieger-Einheit. Denn nun endlich sollen hier Flieger größer eingesetzt werden können. Früh gab es schon wieder viel Schießerei auf russische Flieger. Unsere Flieger tragen die hübsche Tropenuniform. Sie machen den Eindruck einer - wohl mit Recht - verwöhnten jungen Truppe. Umwölkt, grau, leichter Wind, nicht schwül. Warten und Schreiben im Opel. Wir haben abzupassen, wann I b aufbricht, und uns dann gleich anzuschließen. Auch mit solchem Sonntag ist man ganz zufrieden. Die Russen scheinen sich nun in dieser Zone zur Schlacht zu stellen. Endlich scheinen wir mehr Flieger hier zu haben. Malvenzeit, Malvenland Sonnenblumen. Bauernblumen, die wie Heliotrop und Juchten duften. Getreidereife. Windmühlen. Storchennester. Die berühmte Vorausabteilung Lindemann unserer Division soll gefangen sein. Hübscher Ersatz eigentlicher Trachten: glattrote, glattblaue Röcke, glattgelbes Kopftuch. Unverkennbar ist in der Ukraine viel für Zahnpflege getan. Aber nur in Art unserer Krupp-Plomben. Furcht der Bevölkerung vor russischen Fliegern. Viele betonen, Ukrainer, nicht Russen zu sein. Aber dies geschieht wohl aus Sorge. Einfache Landfrau hier, die ich sehe, soll Sowjet-Offiziersfrau sein. Seit Kriegsbeginn keine Nachricht von Mann. Unser Stab soll noch heute nach hier kommen. Hier liegen mehrere Stäbe verschiedener Divisionszeichen. Immer wieder Abrückende, Eintreffende, Nachrückende. Unser Leutnant Ziegert hat ein interessantes Sonderkommando mit dem Halbrussen Marx (vom IR 203): vorbereitende Ansprachen an die Bevölkerung. Meist dauert es 1-2 Stunden, bis die doch recht Verschüchterten zusammengebracht sind. Ist Gelegenheit da, läßt man möglichst viele sich setzen. Dann: Wir seien ihre Schützer und Helfer. Das Land sei ihr Besitz. Sie sollten ja die Ernte ein-bringen. Die Bevölkerung an die Erntearbeit zu bringen: eine wichtige Aufgabe für uns. - Allmählich wird meist etwas Vertrauen gewonnen. Jeden Tag bekomme ich meine Anschlußkarten mit strategischer Erklärung gezeigt. Heute besteht nicht mehr die Gefahr, abgeschnitten zu werden. Aber 60 Kilometer lang haben wir Russen in der Flanke, da die Rumänen nicht standgehalten haben. So ist auch bei Krikliwzy, wo wir waren, ein Loch; und gerade zur Vormarschstraße. Wir erfahren nun erst, daß sie auf jener großen Vormarschstraße vorgestern hinter Kryshopolj noch einmal, gleich hinter unserer Durchfahrt im „Wanderer“, die Vormarschstraße beschossen haben, aus einem der Wäldchen hervorbrachen und ein Gemetzel unter einem Troß anrichteten (Zungen und Geschlechtsteile abgeschnitten, Schädel gespalten). Um 5 Uhr kommt unser Stab. Wir schließen uns an. Der Stab findet nach einigem Wechsel noch eine Dorfstraße für sich in den truppenüberfüllten Dorf. Von Hauptmann Z. erhalte ich den Auftrag, im Beiwagen eines Krad (zum erstenmal wieder seit meinen frühesten Kinderjahren bei Vater) durch die Schluchten, Täler, Höhen des riesigen Dorfes zu fahren und festzustellen, welche Einheiten hier liegen. Das ergab einen interessanten Querschnitt: Unser Stab, Divisionsstab 22.1.D., 18 Einheiten vieler Truppengattungen, von Armeekorps und mehreren Divisionen (76., 239., 22.). Darunter Infanterie, Artillerie, Pioniere, Heeres-Aufklärer (Flieger), Troß, Werkstatt, Feldlazarett, Feldschlächterei. Darum auch rege feindliche Fliegertätigkeit mit MG-Feuer hin und her. Kinder stecken mir Gurken aus ihren Gärten zu: von der Busfamilie, namentlich mit Zucker, sehr begehrt. Etwas sorgenvoller Abend. Die hinter uns liegende Vormarschstraße ist für die Russen sehr offen geworden. LKWs der 22.1.D. kommen geflüchtet. Auch einer unserer Kradmelder, der aus nahem Wäldchen beschossen wurde. Dörfer in der Nähe ganz ohne deutsche Truppen. Manche von uns machen schon laut Spießbefehl ihr Sturmgepäck fertig. Für einen Juliabend viel zu frühes Dunkeln. Rechte Aufregung im Ort. Schlafen im Bus. Sehr eng. Auch auf Tisch, Kiste, kleiner Halbbank muß geschlafen werden. Zwischen 4 und 5 Uhr heftiges, schweres Schießen. Leutnant Kulig kam erst spät von der Fahrt, mit I b zu I a, zurück. Geriet in Bombenangriff. Und Flieger-MG. Leuchtspur-Beschuß. Zerstörerangriff. Leutnant Kulig beteiligt sich an der Abwehr. Die bewunderungswürdige Ruhe des den Angriff beobachtenden Generals. Heut früh ein hübsches Sonntagmorgenbild: junge Russin in gestickter Bluse, in der Haustür kauernd, leise Balalaika spielend. Am Sonntag tragen noch mehr Männer Russenblusen. Alle Häuser haben Papierblumenschmuck. 28. Juli / Montag Lugi Sehr schöner Hochsommermorgen. Einmal bis 6 Uhr geschlafen. Dennoch gehört auch heute die Morgenfrühe mir. Nah dem gemeinsamen Frühstück in dem Bauerngarten, in dem unser Bus steht, bringe ih den inzwishen wieder (!) verwahrlosten Bushaushalt in Ordnung. Einen Arbeitsplatz finde ih mit kaputtem Tish, kaputter Bank im Garten und an einem blühenden Zinnienbeet, mit dessen Blumen ih im Geist die Vasen daheim fülle. Ruhiger Arbeitsvormittag. Später am Morgen arbeite ih am ungestörtesten am Fenstertish im Bus. Etwas Ruhe tut einmal wieder sehr wohl. Die Häuser, die armen hier, haben sehr schöne, geschnitzte Hausund Innentüren, wie wir sie an den neueren Villen feudaler Berliner Vororte als Haus- und Garagentüren haben. Unsere Feldpost ist seit zwei Tagen ausgeblieben. Wir wissen nicht, ob durch Feindbehinderung oder schlechte Wegeverhältnisse. Auch heute noch große Truppenbewegung im Ort. Die Front unserer Division 30 Kilometer entfernt, die anderer Divisionen jetzt näher. Ich bin nun mit meinem Material und allen Vorarbeiten für meine Nachschubschrift ab heute ä jour. Militärische Stille. So rücken wir nicht weiter. Man füllt wohl die Flanke, die so geschwächt ist; und das doch zur Vormarschstraße hinter uns. Heißer Tag, heißer Tag. Ordnen und Säubern und Schreiben. 15 Uhr 40 kommt Leutnant Brand nach neuen Karten. Immer neue Anschlußstücke werden gebraucht. Alle Verstärkungen sind da. Auch die Ungarn. Man versucht, vier russische Divisionen einzukesseln. Die Schlacht soll noch heute beginnen. Glühender Tag. Nur manchmal Schatten und Wind. 16 Uhr 15 bis 30. Im Bus unter dem großen Birnbaum diktiert mir Leutnant Kulig Notizen über den von ihm gestern miterlebten Bombenangriff für die über unsere Fahrten vom Kommandanten angeforderten „Beschußberichte“. Gerade als wir abschließen, müssen wir schleunigst aus dem Bus springen, in rascheste Deckung. Leutnant Kulig hinter und unter den Bus, ich ins Haus (Kommandantur, zu Ninas). Schwerer Bombenangriff auf Lugi, auf unseren Dorfabschnitt. Die Bomben fallen auf die parallele Dorfstraße im Grund. In dem Haus, in dem ich bin, fliegen die Fenster zum Teil mit den Rahmen heraus. Splitter, über Leutnant Kulig hinweg, durchs gewölbte Oberfenster des Bus, auf den Arbeitstisch! (Viele kamen es später besichtigen, auch Eras.) Wir sehen die Einschläge in der nahen Parallelstraße. Sofort schossen die Flammen aus zwei Bauernhäusern empor, die rasch niederbrannten. Die Bevölkerung löscht mit Eimern und Kannen und Krügen, unsere Soldaten eilen zu Hilfe. Leutnant Kulig alarmierte gleich die Sankas. Mit Adjutant, Stabsarzt, Leutnant Hagen, Hauptmann Alpes, Eckelmann (Verbandskasten) an den Unglücksstätten. An dem weiten Platz am Dorfteich: acht verstümmelte, blutige, tote Pferde anderer Einheit (weggerissene Füße, zerschnittene Hälse). Leicht- verwundete Männer anderer Einheiten, von unserem Stabsarzt verbunden, auf Bahren. Die laufen können, gehen gerade vom Verbinden weg. Die Schwerverletzten - einem ist der Bauch aufgeschlitzt - werden gerade weggebracht. Major Breithaupts Fahrer Steckschuß im Schenkel, leichte Kopfwunde. Der Wagen von Major B. hat auch Beschädigungen. Werkstattwagen anderer Einheit am Teich zu einem Drittel zerrissen, obwohl die Bombe ins Wasser ging. An den brennenden, fast niedergebrannten Lehmhäusern; wie die Frauen um sie klagen! Riesiger Bombentrichter, völlig zersplitterter mächtiger Baum. Die zerrissene junge Frau: aufs weggerissene Gesicht gelegt; die Füße ab und danebengelegt; der zerrissene, in den Hüften abgetrennt scheinende Leib mit Erde beschüttet. Die singende, wohl betende Klage der Mutter, die mit herabhängenden Armen in starrer Haltung auf die Tote zuschreitet. (Es waren dreimal drei Bomber, sehr niedrig.) Wir müssen an grünem Hang an dieser Stelle schon wieder in Dek-kung. Wieder ein russischer Bomber. Zudem Gefahr durch das erregende, eigene MG-Feuer. Ganz nahe am Bauernhäuschen ist jetzt Kalb von Splittern getroffen. Das große Pathos in der Klage der jungen, blonden Bäuerin, schön in Geste und Mimik. Die weinende, alte Bäuerin mit dem Kleinen auf dem Arm. - Zerstörte militärische Telefonleitungen werden sofort wieder repariert. An diesem Hochsommernachmittag Schweiß und Tränen in so vielen Gesichtern. Und danach der große Hochsommernachmittagsfriede. Das Tal, die Höhe in sanfter, sinkender Sonne. Wir tarnen den Bus von neuem. Wir prüfen Rübenmieten im Garten als Schutzkeller. Wir heben Laufgraben aus. Die Kriegstage brauchen mehr frisches Grün als ein Fest. Ach, der verbrannte Mensch erschüttert nicht so wie der in seinem Blute liegende, zerrissene Mensch. Die Flamme entrückt uns den Toten; aber das Blut ist so nahe. Unsere I. Kl. KW-Kolonne meldet zersplittertes Fenster eines Wagens und einen Verwundeten. Schaukat mit unserem zurückgebliebenen „Wanderer“ konnte nur ein Stück abgeschleppt werden. Es muß ein Spezialwagen hinfahren. Für Hochsommerabend zu frühe Dunkelheit. Nach dem Abendbrot beim großen Birnbaum noch Ausheben des Grabens. Zu dunkel, um mit dem Abend noch etwas beginnen zu können. Nachts schnell improvisierte Bus-Wache, da sich, genau wie am vor- angegangenen Abend, ein auffälliger Mann im Tal unterm Garten an den Bus heranpirschte. Große, große Sterncnnacht. Aber die Sterne stehen wohl anders am Himmel als daheim. 29. Juli / Dienstag Lugi - Oljgopolj Flakschießen, kurz und ferne. Strahlender, glühender Morgen. Der Spieß, wie ich ein Frühaufsteher, teilt mir mit, daß ich zum Obersoldaten ernannt bin, mit Wirkung ab 1. Juli. Vorstellung als solcher bei Adjutant, Hauptmann Z., Kommandeur. Dieser sagt mir, daß leider nur der Obersoldat möglich war. Denn dieser ist eine Ernennung. Beförderungen aber sind für Soldaten in Mischehen nun ausgeschlossen. Ich bin in alledem schon lange ohne Bitterkeit. Es kommt ja bei mir doch alles zu dem Ziel, das Gott haben will. Morgenarbeit im Bus. Für 12 Uhr ist die Weiterfahrt angesetzt. Vorher noch Brief von Hanni: Auch bei der Brandenburgisch-Pom-merschen Gesangbuchkommission habe ich, wie in Badens „Gesangbuchanhang-Plänen“, bei weitem das Übergewicht. Mittagfahrt in Glut und Müdigkeit. An einer Stelle viele tote, zum Teil geplatzte Pferde. Sehr zerstörte Fabriken. Wir sollen mit II b ins übernächste Dorf weiterrücken. Aber noch unterwegs erhalten wir Nachricht, daß gleich noch ein Ort weitergefahren werden soll. Nach Oljgopolj. Großer Ort. Ländliche Kleinstadt. Auch Läden. Aber leer und geschlossen. Verwildeter Stadtpark. Lächerlich bürgerliche, nun lädierte Sowjetdenkmäler. Unter spitztürmiger, mehrtürmiger Kirche auf Waldhöhe dreiflügeliges, neueres, einfaches Schloß - oder doch so nobler Parteibau? Wir zertrümmern Zaun der Schule, um unter große Bäume fahren zu können, schlagen Akazien zur Tarnung. Aber da kommen wieder 10 Bomber, heftiger Beschuß; nun endlich haben wir große Flak. Sofort in Deckung an Disteln und Graben. Man kann es nicht wagen, an der Hauptvormarschstraße zu bleiben. Im Ort ziehen wir weiter, in abgelegene, stille, grüne Dorfstraße. Wieder an papierblumengeschmücktem Bauernhaus. Wieder unter großem, schönem Birnbaum. Und einmal reife Kirschen. Die vielen Birnen sind noch nicht reif. Die Knaben haben hier im Dorf zum Teil rote Kittel. Im Ort überall die papiernen Zeugen lauter, dünner Sowjetpropaganda. So törichte deutschsprachige Flugblätter. In einer halbzerstörten Fabrik. Wieder von vielen russischen Fliegern überflogen. Auf der Vormarschstraße gerade endlose Autokolonnen einer anderen Division. Die einen von uns tarnen. Die anderen pflücken Birnen zum Landserkompott. Franke und ich fahren mit LKW, im obern, „städtischen“ Ort Betten und Stühle für Kasino und Offiziersquartier zu requirieren, obwohl es heißt, daß wir vielleicht diesen Abend noch weiterrücken. Die requirierten Sachen bleiben den jeweiligen Quartiergebern: rührende Freude. Erneut auch ein sehr sauberes Haus, bei jungem Ehepaar: Leutnant Kuligs Quartier. - Welche Hochsommervorgärten: alles, was blüht! Die militärischen Fortschritte sollen jetzt wieder sehr groß sein. Raschester Vormarsch; auch schon Soldaten unserer Division haben den Berg überschritten. Im Dorf Epileptiker. Kretins. Tb. Einige nette Bevölkerung, besonders Kinder. Hübsches Bild: In der Nähe der Feldküche und des Kasinogärtleins ums Abendwerden: Hauptmann Zettritz hält die Bevölkerung streng zur Aufbringung aller Pferde und zur morgigen Aufnahme der Erntearbeiten an. Es wird verständig aufgenommen, namentlich von den Frauen (Dolmetscher Marx). Anläßlich des „Obersoldaten“ wird ein großes Abendessen bereitet. Dorfjungen bringen uns Reisig. Gurken in Zucker. Kirschen, Milch, Birnenkompott, Bratkartoffeln. Aus einer Eisernen, nun fast erschöpften Reserve bewilligt uns der Spieß heute eine Flasche Kirschschnaps. Aber wir kommen gar nicht zum Feiern, wie die Kameraden es sich wünschen. Denn zum erstenmal müssen Fünfer-Patrouillen ausgeschickt werden; im nahen Wäldchen sind noch Russen. Die Bevölkerung immer in Gruppen. Gefällig. Kinder bald zutraulich. Endlich nach dem wirren, lauten, heißen Tag Sterne, Abendkühle, Abendfrieden. Ich sitze mit Franz Michler, Glaser aus Nauen, noch auf zwei Zigarettenlängen vor dem Gehöft und lasse ihn von sich erzählen. Das tue ich bei den Kameraden sehr gern, habe aber leider selten Zeit dazu. Nur am späteren Abend, an dem man wegen Lampen- und Kerzenausfalls nicht mehr arbeiten kann. Das Kinderelend in Rumänien scheint mir größer als hier. jo. Juli / Mittwoch Oljgopolj Der Morgen gehört mir und meinen freiwillig übernommenen Pflichten, durch die ich auszugleichen suche, daß ich nicht mal Wache zu stehen brauche. Und die relative Sauberkeit im Bushaushalt behaupte. Das wird mir dadurch erleichtert, daß unser Frontleben eigentlich immer erst nach acht in Gang kommt. In den dichten Gärten nun auch noch die in Seidenfahnen blühenden Maisfelder. Trübe. Schwül. Melder suchten vergeblich die Kolonnen 4-6. Die Pferde der Ortschaft werden zusammengebracht, scheu und wild; auch von Frauen und Kindern. Nach neun (Uhr) Angriff sehr vieler Bomber. Keine Opfer. Großes Flakschießen. Von unseren Fliegern scheinen noch immer nicht genügend da zu sein. Schreiben im Bauerngärtchen. So ist mir am wohlsten. Bobby spielt bei mir mit einer Birne. Die Sorge, die aus Hannis Briefen spricht, macht mir viel Kummer. Etwa nach einer Stunde explodiert noch ein Blindgänger. Immer wieder einmal muß ich von meinem Arbeitsplatz im Garten vor leichtem Regen flüchten. Aber im ganzen ist es doch wieder einmal ein ruhiger Arbeitstag. Mittags überflogen uns wieder, beschossen, Bomber. Deckung nur kurz im Hause. Nachmittags überfliegen sie uns mehr, als daß sie uns angreifen, obwohl Beschuß mit Einschlag. Als „häuslichen“ Helfer habe ich hier den kleinen Sohn des Geschäftes, einen reizenden Bauernjungen, der sich aber, mit großer Schiebermütze, wie ein kleiner Großstadtproletarier anzieht. Mit Abwaschen, gegen Reste von Mittagbrot und Kaffee wie überall, ist man sehr gefällig. Auch sauberer als andernorts. - Ruine eines kranken Alten, mit Fingern vom Teller im Bett essend. Die junge Mutter im Hause, das winzige Kind und das winzige Kätzchen im Arm. Schreien, Lachen, Weinen sind gleich in allen Ländern -. In diesen letztdurchfahrenen Dörfern haben nun Bankdecken, Wandbehänge, Webearbeiten aufgehört. Der Ofen mit der offenen Feuerstelle unterm Rauchfang und der bunte Papierschmuck zu allem Dreck und aller Armut dominieren. An den Mauern der Häuser, seitlich und der immer fensterlosen hinten, sind die quadratischen getrockneten Kuhfladen für die Winterheizung aufgestapelt. Elend hier auch die Streichhölzer. Und auch die kaum aufzutreiben. Wohl nur noch Restbestände aus den Häusern. In der Abenddunkelheit auf unserm immer mitgeschleppten Sche-melchen und Klappstuhl vor dem Bus; mit Jupp Winkelhüsener, dem Burschen des Kommandeurs, der auch von der 5/176 abkommandiert ist. Solche Einzelgespräche mit Kameraden am Abend schätze ich sehr. So lernt man sie am besten kennen. Negative Eindrücke selten. Und noch seltener die Fälle von Abgründigkeit, die ja aber natürlich allüberall in der Welt sind. Das Gegenüber der Akazien und des Maisfeldes. Mit Ninas noch ein kurzer Besuch über die Dorfstraße, bei dem von einer Laterne innenbeleuchteten Verpflegungswagen bei dem Schlesier Feldwebel Toni Werner (mit den Feldwebeln stehe ich mich ganz besonders gut) und seinen „wilden“ Männern. Dort wieder einmal eine deutsche Zigarette. Regennacht. 31. Juli / Donnerstag Der Regen hat aufgehört. Ich habe, dem Platzmangel, Kommen und Gehen im Bus zu entrinnen, einen besonders hübschen Winkel zwischen zwei Zäunen am Gehöft ausfindig gemacht, ganz überwölbt von Ebereschen- und Akazienwipfeln. Und sehe doch unsere Stabs-Dorfstraße. Die leichte Abkühlung tut mir sehr wohl. Und meine beiden ganz stillen, frühen Morgenstunden, die stiller sind denn je. Denn im Front- und Vormarschleben wird es mit dem Aufstehen nicht so genau genommen, im allgemeinen an den einzelnen Stellen auch die Arbeit je nach Anfall erledigt; also doch ein wenig Reise; schwer hat es nur die Kommandantur. Heute habe ich Hanni einige noch realisierbar erscheinende Reisevorschläge gemacht: das Katholische Schwesternheim in Oberschreiberhau, mit Empfehlung von Pater Georg; Sdimid-Noerr in Percha. Renerle, da sie in ihrer neuen Dienstverpflichtung ja noch nicht mit Urlaub rechnen kann, bekommt 100.- Mark für ein Reitabonnement. Wir warten noch hier. Unsere 76. Division soll aus dem gegenwärtigen Kampfabschnitt zurückgezogen und zur Verstärkung der 239.Division verwendet werden? Im Zusammenhang mit demPan-zerdurchbruch der Russen an unserer Front? Dann und wann flüchte ich mit meinem Schreibkram vor neuem, leichtem Regen in die Geschäftsstube der Kommandantur neben unserem Bus zu Max Raeck und Fritz Krüger. Großer Papierblumenschmuck und schöne, goldene, sakrale Bilder. Schrankregal mit bunten Schüsseln und Tellern. Gegen Mittag kommen von der 5/176 Hauptwachtmeister Bohl, Novozyn und Frieling, die von uns aus via Bukarest nach Spandau weitergeleitet werden zur Fliegerausbildung. Denn es sind freiwillige Flieger angefordert worden. Den Fliegermangel trotz unserer riesigen Luftwaffe haben wir ja an unserem Frontabschnitt am besten gespürt. Die Freude der Freiwilligen auf Deutschland. Und immer wieder: weg von den „Zossen“. 5/176 gilt beim Stab als die militärisch beste unserer Kolonnen. Unsere Pak hat heute nacht bei einem Panzerdurchbruch der Russen schwere Verluste gehabt, ist überrannt worden. Aber das IR 178 unserer Division soll nun über den Bug sein. In all den Bauernhäusern ist es so dumpfig und schwül, so wüst. Nur des Adjutanten Quartier sauber und ordentlich; gesundes, jüngeres Ehepaar. Fliegenplage. Aber unsere Mückenschleier und Moskitonetze brauchen wir zum Glück nicht. Auch ein wenig rumänisches Militär im Ort. Auch heute keine Fahrt zur Front: allgemeiner Stillstand in unserem Abschnitt. Zum schönen Gemüsemittagbrot unter dem großen Birnbaum die „Flieger“ von 5/176 und deren Sanitätsunteroffizier Lindemann als Gäste; große Munterkeit. Es war wieder warm und sonnig geworden. Immerzu Besuch an meinem Gartenzaunwinkel: Hauptmann Thomas, Stabsarzt, der Schlesier Verpflegungsfeldwebel Toni Werner -viele Kameraden. Sie wollen lesen, was ich schreibe. Ich entdecke die Reife unseres zweiten jungen Schusters: Vater von fünf Kindern. Schreiben an meinem Gartenplatz, Laubschatten und Sonnenflecken spielen auf dem Papier. Wahrhaft ein letzter Julinachmittag, Höhe des Sommers (in dem ich die Malve entdeckte). Auch Hauptmann Cartheuser kam. Jedesmal, wenn er vorüberfährt, hält er an. Heute besuchte er mich länger, wollte von meiner Schrift wissen. Und welche Nachrichten ich von Hanni hätte, die er grüßen ließ. In Sachen meiner Beförderung will er doch noch weiter sein Möglichstes versuchen. Denn auch er ist ja wohl ein Kohlhaas wie Hanni. Er fragte eingehend nach meinen Beiden, weil auch er von den Belastungen hörte, die Hannis Briefe andeuten. Er meint, uns Frontsoldaten gegenüber müsse der Staat nach dem Kriege einen Strich unter diese Fakten ziehen. Ich kann nur nach Gottes Wegen fragen. Den ganzen Nachmittag kam noch Besuch von meiner lieben fünften, da auch Pferdeholer und Schreibstube hier waren: Stockfisch, Schönfeld, Heines, Schnelle. An meinem grünen Schreibplatz lesen Bohl, Frieling, Nowozyn, Jupp mit Feuereifer meine Manuskripte vom gemeinsamen Vormarsch, auf der Bank, übereinander gebeugt, ein hübsches Bild. Das rührende: „Das ist in Ordnung.“ „Daß wir wenigstens einen solchen Mann bei uns haben konnten, der das von uns schreiben kann.“ Nachmittagsumwölkung. Am Abend die Sterne und der zarte, erste Schein der neuen Mondsichel. Ich saß mit Franz Frieling (Lok.-Heizer) und Erich Nowozyn (Bäcker) auf der Bank vor dem Hof und ließ mir von den beiden 22jährigen aus ihrem Leben erzählen. Immer wieder fällt mir in den Erzählungen des einfachen Volkes auf, daß jeder Sinn für Wesentliches und Unwesentliches fehlt, dafür ist sehr stark ausgeprägt das Gedächtnis für die kleinsten Einzelheiten. In der schönen, stillen Sommernacht ziemlich starkes, jedoch nicht uns geltendes Schießen, wohl Artillerie, vielleicht auch Flak. „Vater“-Bestellungen der Kameraden und Vorgesetzten. Dann und wann weinende Frauen. Wegen Vieh? /. August / Freitag Über unserem Bus, unserem Eßplatz, Sitzplatz, Waschplatz reift der große Birnbaum. Einmal, irgendwo und irgendwann werden wir ja auch Ernte halten dürfen. Goldener Glanz, leuchtendes Grün, Bienensummen des ersten Augustmorgens. Licht- und Schattenspiel auf meinem Schreibblock. Von früh an die „auswärtigen Gäste“ um meinen Schreibplatz im grünen, stillen Winkel; aber sie wissen, daß ich mich nur bei den Mahlzeiten und nach dem Dunkelwerden unterhalten kann. Täglich durchsuchen die Landser die Gärten nach Gurken; Gurken mit dem schon so raren Zucker sind ihr höchster Genuß. In ihren Freuden so bescheiden. Hühner und Eier gibt es nicht mehr. Aber Gemüse. Und ein wenig reinen Bienenhonig. Dieses Dorf hat auffallend wenige Hunde. Ich bin so gesund und sehe so wohl aus; aber so müde, immer. Daher rauche ich bei der Arbeit auch viel mehr, als ich möchte. In der Küche dieses Häuschens neben dem blauen Ofen hängt von der Decke die Korbwiege des Babys. „Leserbesuche“ an meinem Gartenzaunwinkel. - Immer wieder. Ich schreibe ein Lied über Jesaja 30, 15 „Wenn ihr stille bliebet“ -. So recht eigentlich für Hanni, Renerle und mich. Es sagt genug, daß mein erstes Kirchenlied als Soldat die häusliche Situation so viel mehr meint als die soldatische. TRCJSTLIED AM MORGEN „Wenn ihr stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein Jesaja 30,15 Wenn ihr stille bliebet, wo dem Herzen graut; wo euch Angst betrübet, daß kein Heil ihr schaut: so wäret ihr in Sorgen, wie sie keiner sah, stark und fest geborgen und der Hilfe nah. Wenn ihr stille würdet, nun ihr nicht ertragt, was euch aufgebürdet, ohne Maß euch plagt: so würdet ihr errettet -sei kein Weg, kein Licht, -dem im Schoß gebettet, dem das Herze bricht. Seid ihr hoffend stille, strömt die Kraft euch zu. Stets bleibt Gottes Wille, daß er Wunder tu. Durch Stillesein und Hoffen werdet stark und fest, seht den Himmel offen, der euch nicht verläßt. Major Eras und Hauptmann Zettritz fahren nach Bukarest. Unsere Versorgungszentren beliefern uns nicht mehr genügend: Mangel an Munition undBenzinfürdie Division, obwohl bei uns alles klappt. Sommertag - Bienensummen. Doch überall hier wenig Vogelzwitschern. Hier schlafen die Hühner wieder auf den Bäumen. Manchmal wahres Urgebrüll einer Kuh. Zentren des Soldatenlebens: am Bus; an der Küche. Plaudernde Gruppen am Zaun. Skatspielende Gruppen, auch schon am sonnigen Nachmittag. Nachmittags so netter, interessanter Besuch von dem guten Hauptmann Arndt-Werkstattkompanie. Und schon wieder ist ein Bote zur Libraria Buchholz wegen des „Vater“ unterwegs. Drei rührende Briefe von Heinz Hinze, dem „Sohndel“, nun bei der 9. Fahrkolonne. Er stellt sich sehr verständig ein. Sehr wenig Post. Lokaler Gewitter wegen wieder die Wegeschwierigkeiten für den Postdienst. Besuch. Besuch. Aber sie sitzen zum Glück, meist meine Manuskripte lesend, nun still bei mir. Werner Hoepfner schließt sich recht an mich an; mir kam er nahe durch seine Trauer um seinen siebenjährigen Bruder. Heute nur deutsche Flieger. Nach schwerem Glanz und schwerer Glut feierabendliche Sonnensanftmut über der Dorfstraße, ihren breiten Wipfeln. Und abends der zarteste Mondschein, der jeden Winkel mit Bäumen, Wiesen, Gärten, Hütten zum wunderbaren Abendbilde machte. Die Illusion von Deutschland - abgesehen von den Gruppen der Frauen und Mädchen in hellen Kopftüchern - war vollkommen. An der Feldküche ein kleines Feuer, Harmonikaspieler, plaudernde Soldaten; spielende Kinder, Bevölkerungsgruppen an den Gartenzäunen; promenierende Soldaten auf der Dorfstraße; die Abendrunde mit den glimmenden Zigaretten im Kasinogärtlein unter großen Bäumen. Ich zog mit Martin Ninas und Jupp Winkelhüsener spazieren. Diese abendlichen Gespräche zu wenigen, wenn keine Arbeit mehr möglich ist, liebe ich sehr, so gesprächsfeindlich ich sonst bin. Ohne Moralist zu sein, hat man die Gesprächsführung nun allmählich doch recht fest in der Hand. Es ist erstaunlich, was aus den einzelnen - namentlich an Gemüt - herauskommt, und die Deutschen sind doch ein herrliches Volk. In der Nacht immer wieder russische Flieger über uns. Oljgopolj - Pestschana 2. August / Sonnabend Umwölkter, sdvwüler Augustmorgen. Aufbruchsstimmung, Aufbruchsvorbereitungen, obwohl noch nichts Definitives feststeht. Es war ja jetzt ein eigentümlicher militärischer Stillstand. Wir wissen wenig. Nur von Benzinmangel. Wohl hat Rumänien genug für uns, aber die Zufahrt klappt jetzt gar nicht. Vormittagsregen. Gerade heute vor dem nun gleich nach Mittag angesetzten Aufbruch nach Pestschana, wo nun I b liegt. Wir sind jetzt immer zusammen. Arbeit im Bus; im Garten ist’s nun nichts. Noch Mittagessen in Oljgopolj: dann geht es, nadi großem Mittagregen, weiter. Freilich bei den geringen militärischen Fortschritten dieser Woche nur 12 Kilometer, nach Pestschana, in 10 Kilometer Frontnähe. Keinerlei kriegerische Eindrücke unterwegs. Uns scheint das Erscheinen deutscher Flieger an unserer Front auszureichen, um uns vor den russischen Fliegern Ruhe zu verschaffen. Der Landschaftscharakter ändert sich. Weiher, Wasserläufe, Ebene, Pappeln, Weiden, kleine Brücken, sehr öde Dörfer. Wieder Hochsommernachmittagsstimmung. Pestschana ist groß und arm - ange-strichene braune Lehmhäuser mit verwahrlosten und verwilderten Strohdächern. Durch diesen Ort zieht nun wieder in großer Dichte der deutsche Vormarsch und auch rumänische Kavallerie und rumänische Fahrkolonnen mit entsetzlich zerschundenen Pferden. Unser Bus wird in einem riesigen alten Obstgarten, ganz voller Rasen, aufgestellt, wieder unter einem mächtigen Birnbaum. Dorthin holen wir uns auch einen großen Tisch als schönen Arbeitsund Eßplatz. Die Brunnenerkundigung ist immer das erste. Ich gehe mit dem Adjutanten schwimmen. Endlich ein reiner, kleiner See mit Rasen zum Liegen, festem Ufer zum Hineingehen. We erinnert die Landschaft in der Spätnachmittagssonne an den Beu-thener „Lantsch“; und das war ja eben schon eine sehr östliche Landschaft. Lehmhütten drüben überm Teich: die vom Felde kamen, vor allem Frauen, gehen mit allem Gerät durch die Furt hinüber zu dem ärmsten Häuflein der dörflichen Häuser. Zum Sonnabend-Abend hing unsere Wäsche an den Birn- und Äpfelbäumen, die uns ganz gegen das übrige Dorf abschließen. Ums nahe Adjutantenquartier, dessen ich mich wie unseres Busses gründlich annehme, geschnittener blühender Kleehoch geschichtet. Wie so oft hier, hochschwangere Bäuerin. Ewige Lampe brennt. Schönes, primitives, breites, auf Holz gemaltes altes Heiligenbild und hohe Truhe. - Artillerieschießen, io Kilometer Frontnähe. Abendessen unterm Birnbaum. Mit Martin Ninas verstehe ich mich so gut in seiner Bescheidenheit und Genügsamkeit: ein großer Baum, ein Brunnen, gar etwas Honig: und schon wollen wir Hütten bauen und bleiben, obwohl wir ja wissen, daß es nur das Weiter! Weiter! geben darf. Aber dieser riesige, wilde, dichte Garten, mit den hohen, hellen Königskerzen zu den Schattenbäumen ist auch wirklich gar zu schön. Höhen, die wie eine natürliche, grüne Festung wirken, aber auch an den Nenkersdorfer Berg in der Oderniederung erinnern. - In dieser Landschaft mehr Wiesen als Felder. Abendspaziergang mit Martin Ninas - alle einfachen Menschen sind so erinnerungsselig und leben das Gegenwärtige auch weithin für die Erinnerung (das viele Photographieren!) - zum See, durchs Dorf. Zart und seltsam jäh beginnt der zunehmende Mond zu scheinen. Herrlich die abendlichen Wipfel; der Lichtschein unserer fleißigen Kommandantur aus einem Bauernhause. Noch immer kommen Truppen durchs Dorf. Eine rumänische Fahrkolonne rückt in unseren Garten ein, hier getarnt unter den Obstbäumen zu übernachten. Sehr schön ihre Lagerfeuer, davor die Silhouette der Pferde, unter den tiefhängenden Zweigen, an denen man das Obst reifen weiß, vornehmlich Birnen und Maulbeeren, die ich so gern mag. Am Gästehaus der Küche, wo Paul Röker Harmonika spielt. Zwischendurch ein wenig abseits mit Jupp Winkelhüsener gesessen, der uns von den Seinen erzählt. Unter den Bildern in seiner Brieftasche eins mit Joseph vor dem Jesuskinde kniend mit einem von Jupps Mutter auf die Rückseite geschriebenen Abendgebet. Im Mondschein leuchten die Königskerzen. Ins Dormitorium des Busses. Regennacht. 3. August / Sonntag Pestschana Nach dem Morgenregen Sonne, Wind, Gewölk. Es macht einen großen Eindruck auf mich, daß über diesem weiten Lande, über das die Störche gleiten, die Vögel so wenig singen. Das Gedenken an Haus und Gemeinde, mit denen ich sonntags um 11 Uhr, zur Zeit des Kirchengebetes, immer bete, ihnen in ihrem Gottesdienst verbunden zu sein. Honigfrühstück mit Martin Ninas, Erich, Ali, Walter Greiner unterm Birnbaum. Ringsum nur Rasen, Bäume, Königskerzen - so dicht, so schön und weit. Auf den Mittag zu wird der Tag immer besonnter. Blauer Himmel, weiße Wolken, Wind, weiche, graue, flüchtige Schatten. Ich arbeite mit dem Adjutanten am großen Tisch, er in der Sonne, ich im Schatten, wie jeder es liebt. Welch ein schönes Quartier ist ein Garten - zumal am Sonntag. Bald schlägt der Adjutant wieder den „Vater“ auf. Ich denke viel an die Gegenüberstellung der beiden ausgesprochensten Formen männlichen Lebens: Kloster und Heer. Die Rumänen treiben das Vieh haufenweise sogar nach Bessarabien. Die rumänische Fahrkolonne ist abgerückt und stört unseren Sonntagsfrieden nicht. Am bewölkten Nachmittag ein stilleres Rumänenlager im Garten, grasende Pferde. Ich bin allein. Die anderen sind schwimmen, ich bewache den Bus, arbeite in Frieden an meinem großen Tisch am Birnbaum. Solch bequemer Arbeitsplatz ist eine solche Wohltat, wie sie nur der recht rühmen kann, der als Soldat umhergezogen ist. Zwei bunte Blumensträuße von Mädchen des Dorfes. Bewölkt und windig. Flüchtiger Regen, grau, jäh, der dem Garten plötzlich etwas Spätsommerliches gab - zum erstenmal in diesem Jahr. Wenig Männer. Auch die kräftigen Frauen frühe verbraucht, 25 = 40! Viel blonde Kinder. Bald rücken die Rumänen wieder ab. Stille im Garten. Brief von Hanni, der 1 r Tage ging. Zum Glück haben Hanni und Reni doch immer wieder einmal Gäste. Aber außer bei Schillers gar keine Einladungen. Bei der Gastlichkeit unseres Hauses macht das auch mich bitter. Meine Beiden. Nachdem wir die Briefe unserer Frauen gelesen hatten, haben wir uns einen hübschen Kaffeetisch mit Blumensträußen gedeckt, zu unserem guten Honig; dann saßen wir nähend oder Zeitung lesend am Gartentisch; und was der Runde ihr Kolorit gab, war, daß wir unsere Stahlhelme neben uns liegen hatten, weil ein feindlicher Bomber unser Dorf umflog. Es geschah aber nichts. Acht Monate Soldat. Acht Wochen beim Stab: genau so lange wieder schon wie bei meiner 5/176. Abendsonne. Besuche und Bewirtungen zwischen den Gästen hin und her. „Beförderungsschnaps“ — sonst gibt’s ja keinen mehr - und Birnenkompott. Auch Durchgängergäste, die sich ja immer so wohl bei uns fühlen. Denn auch im Hausväterlichen und bezüglich der „Schütte“ begegnen Martin Ninas und ich uns ja sehr stark. Schwere rumänische Artillerie fährt durchs abendliche Dorf. Abendliches Singen unterm Birnbaum im Mondschein; der weite Garten ganz in Mondlicht eingesponnen. Gewiß, es werden alle Landserlieder, auch die Schlager, gesungen. Aber den Schluß bildet regelmäßig „Guten Abend, gute Nacht“. Jupp Winkelhüsener, Westfale, mit seinen 22 Jahren auch ein wenig vereinsamt, schließt sich jetzt ähnlich anhänglich an mich an wie vorher Heinz Hinze. Der Kreis der freundlichen Beziehungen wird auch sonst immer weiter. Bobby bleibt aller Freude und des Stabsarzts Schützling. 4. August / Montag Pestschana - Korytna Um 4V2 aufgestanden, da die Möglichkeit bestand, daß Leutnant Kulig und ich wieder zur Front fahren könnten. Um 6 bei I b in dem nächsten Dorfe, in das wir heute rücken sollten, 7V2 Kilometer entfernt. Großer, klarer Sonnenaufgang. Die Felder der beginnenden Ernte leuchten rötlich. Wieder schöne Hügel. Weniger Wälder. Aber Gründe mit hohen Pappeln; und ein Sonnenblumenfeld bis zum Horizont, mit einem Feldweg ganz durch Sonnenblumen. Wir werden von I b nicht zu I a und zur Front weitergeschickt. Denn heute setzt der letzte Vormarsch zu neuem Angriff ein. Diesmal sind wir mit unserer Division ganz an der Spitze. Da wir damit rechnen, morgen schon ein ganzes Stück weiterrücken zu können, verlegen wir nun den Stab gar nicht in das heutige Dorf von Ib. Mit sofortigem Aufbruchsauftrag bei 4, 5, 6/176. In den Gesichtern einiger grüßender Kameraden der Fünften ist etwas, was mich allmählich ergreift. Diesmal kamen wir gerade in den Vormarsch der Panzerjäger der 22. Division. Zum Frühstück wieder zurück; Frühstück und dann ruhige Arbeit unter dem Birnbaum. Der Mittag wurde windig und grau. An das Arbeiten im Winde habe ich mich nun auch gewöhnt. Manchmal leuchtet die Sonne wieder auf. Unter den russischen Gefangenen, die wir am vorigen Ort hatten, waren auch wirkliche Knaben; und Frauen-Soldaten. Es heißt, daß letztere gleich erschossen würden. Unterwegs heute keine Spuren des Kampfes; nur ein zerwühltes Feld; und ein riesiges MG des Feindes mit 3 oder 4 Läufen. Erst jetzt, nach 8 Tagen, ist endlich Schaukat hergebracht und der „Wanderer“ zur Werkstatt-Kompanie abgeschleppt. Während der Tage von Schaukats Abwesenheit habe ich Leutnant Kulig mit allem versorgt. Jeden Morgen fand ich den „Vater“ neben seinem Bett. Mittags großes Landser-Puddingsfest im Schatten des Birnbaumes. Dann Abfahrt. Die Division ist nun doch schon wieder erheblich vorgerückt. Auch am Bestimmungsort werden wir gleich wieder weitergeschickt, bis zum gestern noch umkämpften Korytna. Zum Teil war es dieselbe Fahrt wie am Vormittag, zum Teil dann kahle Höhen, sehr steile Wege, doch Felder in Ernte. Korytna wieder ein großes, elendes, verzweigtes Dorf in kahlen Höhen, doch auch in Gründen. Sehr viel zerschossene Häuser. Anfangs waren die Felder viel zerwühlter als sonst, auch mehr Schanzgräben. Und an einer Dorfecke nun frische Gräber und da und dort Einzelgräber. Sonst keine Spuren des Kampfes. Von der Front kamen wieder viele Sankas. Große Glut. Die Wolke. Der nicht geflohene Bevölkerungsteil hier - die Männer sind wohl in großer Zahl eingezogen - wirkt noch recht verängstigt und aufgescheucht durch die Kämpfe. Weinende, klagende Frauen vor den Trümmern; weinende Frauen, die mit Kind und Bündel Obdach suchen. Es ist traurig, daß man, wenn sie zu einem kommen, gar nichts tun kann, als freundlich sein. Die jungen Mädchen - hier sind sie einmal hübscher - sind natürlich mit den Landsern bald wieder vergnügt. In der Bevölkerung sind Verwundete, auch ein Kind mit Granatsplitter. Man faßt rasches Zutrauen zu den deutschen Militärärzten. Hier statt Scheunen manchmal nur ein gelbes, strohgedecktes Lehmgewölbe wie ein Bienenkorb. Und zum Füttern für Kühe, Pferde, große geflochtene Schwingen in Brusthöhe der Tiere. Lehmöfchen im gegenüberliegenden Gehöft mit freundlichen Frauen und Mädchen. Dort habe ich meinem Bus abends zwei von mir gestiftete Hühner backen lassen: Abendbrot im Mondschein unter Akazien, unserem Quartier. Noch kommen Truppen die Straße entlang, die stille, abendliche Dorfstraße. Eine riesenhaft als rotgoldene Scheibe sinkende Sonne und der wahrhaft silbern aufgehende junge Mond waren sich begegnet. Artillerieschießen dann und wann, in etwa 20 Kilometer Ferne. Wir haben unsere Baumgruppe, Brunnen, öfchen - sind zufrieden. Auch finden wir schon einen fertigen Laufgraben vor. 5. August / Dienstag Korytna - Pereljötj Blauer Himmel. Weiße Wolken. Sommerwind. Nun schon blütenloser, reifender Mohn. Heute nur in Shorts. Augustglut, Rußland, Dorfeinsamkeit. Der Adjutant ist heute nur bei unseren Kolonnen unterwegs, da arbeite ich, um fünf beim großen, klaren Sonnenaufgang aufgestanden, „daheim“ - auf Stühlchen und flachem Tisch, die ich mir zu unserer Akaziengruppe am geflochtenen Gartenzaun zwischen Dorfstraße und großem fallenden Garten aufstellen konnte. Blühendes Lupinenfeld auf dem Hügel über dem Garten. Tante Mieze schreibt so treu. Auch sie von Fürbitte. Wie hat dies unsere Zeit wieder gelernt. Morgendliches Artillerieschießen. Die Rückkehr des Kommandeurs aus Bukarest bringt unverständlicherweise wieder den ganzen Stab durcheinander. Ich habe meinen Arbeitsfrieden. Jeden Tag kurze nette Unterhaltung mit unserem neuen Dr. Braun, den ich sehr gern mag. Kurzer Besuch von Hauptmann Thomas, Hauptmann Arndt. Die Allüren des Offizier-Korps bei der Truppe immer verhaßter; sehr, sehr schade, da so viel Werte hier wie dort. Nichts von Frontkameradschaft zwischen Offizier und Mann. Mein Fall ist ja etwas ganz anderes. Leider. 11 Uhr naher Bombeneinschlag. Brief von Hanni. Im Dorf eine schmale, höhere, grüne Straße, an der wir liegen; eine tiefer, breiter, offener, auf der im Staub der Vormarsch hinzieht. Nach dem Mittagessen brechen auch wir wieder auf. Ich habe eine Sympathie für dies vorbereitende Anlaufen und Fauchen der Autos, das Abrücken eines PKW und LKW nach dem anderen. Das Stabs-„Symbol“ ist immer der Bus. Bei allen Stäben. Nur die Sonnenblumenfelder bis an den Horizont mit heißem Sommergewölk - sonst war es eine öde, glühende Fahrt durch kahler werdendes Land mit elenden Wegen unter der ganzen Last des großen Vormarsches; gleich im Anfang blieben wir liegen, eine Stunde; dann Umleitung. Am Wege neue deutsche Gräber. Alles verhüllt durch die riesige braune Staubwolke. Das Dorf Pereljötj ohne alle Reize, Brunnen mit umgebrochenem Hebebaum, keine Kette; nur unsere Eimer am Strick; so trübes Wasser. Für den Bus nur von uns gefällte Akazien als Tarnung; dazu der Bus als Büro benötigt für Adjutanten. Wir sind etwas heimatlos, doch der Mondscheinabend macht alles wieder schön. Nachdem wir am Lehmöfchen im Hof uns wieder warmes Abendbrot gemacht haben, sitzen wir zwischen Bus und Feldküche, die diesmal beieinander liegen, auf Schemeln und Kisten, promenieren auch noch auf der Dorfstraße. 4/5/6/176 sind hier zusammengezogen, aber die 5. für uns nicht zu sichten. Viel zerstörte, niedergebrannte Bauernhäuser heute. 6. August t Mittwoch Pereljötj Glanz und Glut. Aber an dem Haus, vor dem wir liegen, doch wieder ein großer, fremder Baum mit lanzettförmigen Blättern. Darunter ein bequemer Gartentisch für mich zur Arbeit (auch sehr an meinen Schreibtisch erinnernd). Hier zarte Luft und Schatten und grüngoldenes Lichterspiel. Der zu mir so höfliche Spieß sitzt bei uns und liest. Bobby spielt. Ausnahmsweise Antreten der Stabskompanie zur Bekanntgabe der neuen Ernennungen und Beförderungen. Schwer für die Landser, daß es nun nichts mehr zum Feiern gibt. Morgens bringt uns die 6/176 einen zu ihr übergelaufenen russischen Gefangenen, der intelligent aussieht. Er hilft beim Kartoffelschälen und Wagenwäschen, auch Frauen aus dem Dorf helfen beim Schälen und Gemüseputzen. Aber noch nirgends deutete etwas auf die uns angekündigte Deutschfreundlichkeit der Ukrainer. Durch Hanni bekam ich über die Telschow nun endlich, endlich eine kleine Geschichte Rußlands, wie sie in Berlin jetzt allenthalben vergriffen war. Wie wenig Gefangene sieht man; und nur dann und wann ein paar Beute-LKW und Beutefahrzeuge. Viele Brandruinen im Dorf. Um viele erhaltene Lehmhäuser sind an die Wände an allen Seiten die ersten Garben der neuen Ernte gelehnt. Im heutigen Brief an Hanni und Reni hätte ich mich beinahe verschrieben: „Herzenswunden“ statt „Herzenswonnen“. Das sagt genug. Vormittags bringt Leutnant Kulig von seiner Divisionsfahrt zweimal ausgerissenen deutschen Soldaten mit. In dem etwas massiveren Bauernhaus, an dem wir hier liegen, sogar einmal Christbaumkugeln als Decken- und Wandschmuck. Weiter wird alles getan, um Feldpost mitzunehmen und herzubringen: wer nur fährt, versucht’s, jeder PKW und LKW, der in die Nähe der jeweiligen Feldpoststation kommt. Nur ganz wenige Soldaten sind zu der etwas verstockten Bevölkerung schroff. Von der uns angekündigten Deutschfreundlichkeit gar keine Rede. Verweigern unter Vorwänden Milch, Holz und so weiter. Ausnahmen gibt es natürlich. Ein zweiter russischer Gefangener wird zur Weiterleitung an die Sammelstelle zu uns gebracht. Auch andere Einheiten im Ort. Immer wieder neue Vormarschwellen. Unsere 4. und 6. schicken her, daß sie nicht an ihre Bestimmungsorte können, da dort noch zu heftig gekämpft wird. Briefe von Hanni und Margot. Nachtrag: Beliebtes Thema der bunten Wanddrucke: die Skala der Lebensalter. (Sonst alle Wunschträume des Luxus und der „Bacchanale“, Sakrales; Monarchistisches, letzteres in Rumänien.) Sonnenstille. Zum Schreiben im Garten am Barocktisch. Auch an diesem Ort findet man es schon wieder „schön“. In Gedanken schreibe ich in Nikolassee oder in Beuthen. Auf den Abend umwölkt sich der Tag. Abendsonne. Immer wieder nun deutsche Flieger. Eine ganze gefangene russische Kompanie kommt von der zerschossenen Stadt Balta her. Durch Sondermeldung erfahren wir von der ungeheuren Materialbeute und Materialzerstörung, die an den anderen Frontabschnitten den Russen zugefügt wurden. Besonders artiger und höflicher Besuch des für mich hier neu aufgetauchten Leutnant Siegert, eines älteren Offiziers. Seit zwei Jahren kennt er den „Vater“ und fand nun, zu seiner wirklichen, spürbaren Freude, mich hier vor. Er schrieb es auch gleich seiner Frau. Entenabendbrot. Beförderungs-Kameradenfeier mit zwei letzten Flaschen Schnaps. Tabagie mit viel Gesang im Mondschein. Taghelle Mondnacht. 7. August / Donnerstag Angenehme Kühle, gut zur Arbeit an meinem stillen Gartenplatz. Um dies Haus hier viele Erdlöcher, in denen wohl unsere Sturmschützen mit ihren MGs sich eingebaut hatten. Immer mehr graue Wolken. Großer Regen. Mittag. Ich werde, da niemand zur Verfügung zur Aufnahme von Telefonaten von der Division, ganz plötzlich mit Krad, unter mittäglichen Hagelschauern, zum eben verlassenen Stand von I b in der weitentlegenen Schule von Pereljötj gebracht und warte dort die Befehle vom neuen Stand von Ib ab, die um 17 Uhr, durch ihre Aktualität sehr interessant, zahlreich eingehen. Rascher neuer Vormarsch. Der Führer an unserem Frontabschnitt. Regen. Regen. Wegesorgen der gelegentlich anwesenden Offiziere. Die Melder kommen an bestimmte Orte schon wieder nicht mehr durch. Man muß Reiter einsetzen. Auch unser Aufbruch scheint sich sehr zu verzögern. Wege-Erkundungskommando im Schlamm stek-ken geblieben. Manche Befehle der Wege halber nicht mehr ausführbar. Meine Wartezeit fülle ich mit der ungewohnten Lektüre eines Vorgefundenen Novellenbändchens und mit dem „Dichten“ eines Nachschubliedes „Rußlandfahrt! Rußlandfahrt!“ und eines Divisionsliedes „Der Helm ist unser Zeichen“ aus. Gegen Abend hört, bei frühem Dunkelwerden, der Regen auf. Ich warte weiter. Mittagbrot hat man mir durch Kradfahrer geschickt; bei den Preußen wird immer für einen gesorgt. „Der Vater“ wirkt bis heute in seinem Heer. Auch Abendbrot, heißer Kaffee kommen durch Kradfahrer: Lohn meiner Busfamilie, die ich sonst versorge. Hier in der großen Schule liegt eine andere Einheit, Bäckereikompanie unserer Division, mit der man sich auch gleich anfreundet. Und immer einzelne auf der Suche nach der Truppe. Auch spradi ich Leutnant Hahn (einst Pastor, dann Kirchenministerium), den ich in Botosani kennen lernte: man hat sich beim Divisionsstab sehr über die Anforderung von Stilproben in meiner PK-Angelegenheit gewundert. In dem Ausbleiben der Entscheidung sieht man nichts Ungewöhnliches, ein anderer - „normaler“ - Fall wartet seit Januar, ich seit März. Die grundsätzlidie militärische Sondergenehmigung hält man mit der Anfrage nach Stilproben für erteilt. Die Berichtentgegennahme, Übertragung und Weitergabe an meinen Melder zur Vermittlung zwischen den Stäben nimmt jedesmal eine Stunde, auch zwei, in Anspruch. Da ich dazwischen gleich wieder für mich weiterschreibe, erlebe ich wieder jene rührende Bewunderung der einfachen, während meiner Telefonate sich totenstill verhaltenden Männer. Als ich nach dem großen Abendfernspruch den Hörer anhängte, konnte einer - Mel- der meines IR 203, das es so sehr schwer hat - nicht mehr an sich halten: „Das ist der intelligenteste Mensch, den ich je gesehen habe!“ Inzwischen hatten mir die fremden Kameraden, ohne daß ich es bemerkte, wo jeder doch nur ein so hartes Lager auf der Erde hat, mit zwei Säcken und einer sicher sehr entbehrten Decke im freien Fensterwinkel ein Lager bereitet. Das teilte ich nun mit dem Melder Kurt Adler, der auch keine Schlafstätte hatte. Im Gespräch vor dem Schlafengehen lernte ich ihn als einen sehr sensiblen, warmherzigen, gescheiten Menschen kennen, liebevollen jungen Gatten und Vater - mit starkem Trauma von Leben und Krieg und von fanatischem Bildungsbedürfnis bei zu depressiver Bescheidenheit (Lokomotivheizer). Sehr musikalisch. Immer wieder die schönen menschlichen Begegnungen auf der „Pilgerfahrt des Herzens“. Immer wieder freudiges Sichkennenler-nen, schmerzlich rasches Sichtrennenmüssen. Dem Soldaten gehört nichts. Die Kriegsnächte, die ich mit Kameraden auf einem Lager verbrachte, werde ich nicht vergessen. Alles atmet auf: viel deutsche Flieger in diesen Tagen über uns, Beherrschung des Luftraumes. Nachts drang dann der klare Mond durchs Regengewölk. Die Feldbäckerei in Riesenzelten und mit Backofenwagen am nächtlichen Werk. Angeblich backen wir auch für die 22. Division mit, die ihre Feldbäckerei verloren haben soll. Daher die große Brotknappheit. 8. August / Freitag Pereljötj-Schule und Ananjeff Sonne und Sturm - das beste für die Wege. Spätsommerliche Morgenstimmung. Vormittagsbewölkung. Nur noch kurze Fernsprüche mit der Division. Es scheint ein größeres Stück weiterzugehen, in die Stadt Ananjeff. Aber ich warte nun schon wieder viel länger, als heute früh mit Hauptmann Dannenberg verabredet. Während ich früh diese Dinge erledige, haben mir die fremden Kameraden ein großes Frühstück bereitet: Kaffee, zwei Eier, Käse, Schmalz, eine der raren deutschen Zigaretten. Und schon schickt mir wieder meine Adjutantur heißen Kaffee, Brot, Tomaten, Schmalz. Da ich nun wirklich keinen Schreib- und Lesestoff mehr habe, Fortsetzung der Gespräche mit Kurt Adler, der nicht von meiner Seite geht. Er hat den Krieg von Anfang an mitgemacht und ihn schon sehr viel grausiger gesehen als ich. SA-Mann (wie auch Ninas und Franke, die guten Kameraden). Auch das gehört zu den großen Eindrücken des Krieges: daß deutsche Männer sich noch einmal abseits des ganzen Parteikomplexes begegnen. Mittags, gleich danach, wurde ich im PKW abgeholt, um zum Aufbruch des Stabes zurückzusein. V4 1-V4 3 Uhr öde, heiße, müde, schlechte Fahrt nach Ananjeff. Heimkehrender großer Flüchtlingszug, fast nur Frauen mit Gespannen, begegnet uns. Ananjeff, an klarem Sommernachmittag, in viel Grün und in kahleren Hügeln ist eine nur noch wenig ländliche, trotz der vielen Bäume doch öde Provinzstadt. Läden leer und geschlossen. Schenken nicht zu sehen. Männer wenig. Gefangene. Einige ganz zerstörte, niedergebrannte Häuser. Eine „Hauptstraße“ wie in Pas-cani, doch etwas „reicher“ mit öden, flachen, grauen und roten Ziegelbauten, mit echt russischem Turmchenzierat, das Ganze doch nicht ohne Stimmung. Man denkt doch an die Provinzstädte russischer Romane mit einem Arzt, Advokaten, Richter, Kommandanten, Bürgermeister. Jugendliche in Russenkitteln, hübsche Mädchen mit Blumen. Wir finden ein sehr unordentliches Bürohaus mit zerschlagenen Sowjetbildern und -büsten, - aber als wir Reinemachefrauen eingesetzt haben, ist’s auf einmal ein deutsches, komplettes Bürohäuschen. Jede Abteilung hat einen Raum, jeder Schreib-, Büro- oder Schreibmaschinentisch, Sdireibmaterial, und die manchmal bei den anderen jetzt redit gesunkene Stimmung hebt sich allein dadurch schon sehr. Platz zum Arbeiten! Gleich konnte ich an meinen Bürotisch gehen. Die russischen Putzfrauen und -mädchen sind mit unseren Landsern gleich sehr vergnügt. Die freien Männer in Gärten und Höfen unterwegs, um fürs Abendbrot gute Dinge zu beschaffen. Unsere offizielle Verpflegung aus dem Lande ist jetzt aber auch sehr gut. Ach, nur Soldat sein dürfen, wie die anderen. Diese Wunde, nicht mehr beklagt, ist eben doch sehr tief und zehrt. Welches „Trauma“ für mich sind meine Soldatenlieder. -Abends sieht man mehr Männer. Lautsprecherwagen der Wehrmacht fahren umher mit Aufruf in russischer Sprache und mit manchmal recht mitreißender Musik. Abendsonne. Hier wirkt die Bevölkerung gar nicht verängstigt. Ein „gleichgeschalteter“ Ortsältester wird gewählt und von uns eingesetzt. Lange gearbeitet, spätes, wieder warmes Abendbrot am Tisch im Freien. Ein Faß Wein. Auch solche Gelegenheit zeigt wieder, wieviel Freunde ich hier habe; wer da alles ein Glas mit mir trinken will: Spieß, Zahlmeister, Oberschirrmeister. - Und immer wieder die rührenden „Vater“-Bestellungen der einfachsten Kameraden; meine Hauptpropagandisten scheinen die Offiziersburschen zu sein, die in den Exemplaren ihrer Chefs lesen. 9. August t Sonnabend Ananjeff - Nikojalewka - Okssar Tiefer Schlaf. Und ohne Schlafkumpan wieder einmal auch im Bus meinen Platz ganz für mich allein. Reine, klare Morgenkühle, danach starke Sonne. Im „Büro“ kann ich, wenigstens am Spätnachmittag, ganz allein arbeiten. Aber es soll schon sehr bald wieder weitergehen. Manche der kleinen, roten, graubedachten Ziegelhäuser hier haben doch einen stark holländischen Anklang, gerade die neueren. Zwei große, schloßähnliche Villen der Jahrhundertwende, große Fabriken. Vormittags habe ich mir noch mein schönes, kühles Büro an dem heißen Tage für die Arbeit wahrgenommen. Mittags ging es schon wieder weiter. Heiße Fahrt durch ödes Land, - viel Vormarsch und doch Erntearbeit -, in ein abscheuliches, endloses Straßendorf. Die Wege zeigen Spuren unfaßlicher Fahrleistung vom letzten Regentag. Hier konnten wir nun aber wenigstens gleich unsere Wäsche für die neue Woche waschen lassen, uns von Kopf bis Fuß waschen. Und gerade wollten wir Enten zum Abendbrot kaufen, da kam schon wieder der neue Abmarschbefehl. So stark sind schon wieder die Fortschritte der Front: 60 Kilometer. Der Führer war in unserem Frontabschnitt, wir haben ihn aber nicht gesehen. Zusammentreffen mit Fölsche. Am Rasenrand des langen, kahlen Dorfplatzes konnte ich ihm wenigstens beim Mittagbrot Gesellschaft leisten. Später, die Abfahrt bedrohend, starker Wind und graues, schweres, gelbliches Gewölk. Zum erstenmal ein voller, reifer Aprikosenbaum. Öde, öde Fahrt am späteren Nachmittag, unter Auftauchen und Flakbeschuß russischer Bomber, in großem deutsch-rumänischem Vormarsch, der sich in dem elenden Dorfe Okssar auf den Abend gewaltig verdichtet. Als schon alles überfüllt war, trafen noch 200 Mann Artillerie ein, und den ganzen Abend Fahrkolonnen, so daß auch in den großen Kürbis-, Obst- und Maisgärten die Pferde sich drängten. Umwölkter Vollmondabend. In den Kirschbäumen noch letzte Kirschen, erstes gelbes Laub. Der Bus wird nun auch noch für Hauptmann Dannenberg Ib Di-Na-Fü als Arbeitsraum benötigt; wir suchen uns einen kleinen Schuppen mit Maiskolben, dort machen Martin Ninas und ich und Erich, Walter und Ali uns ein recht gutes Lager zurecht. Und einen Arbeitsplatz aus einer ausgehängten Tür, über Kisten gelegt. Abendbrot im Dunkeln unter Akazien im Hof, der zum Glück einen Brunnen hat, mit nettem Wiener jungen Stabswachtmeister eines Artillerieregimentes der 22. Division, das jetzt unserer Division zugeteilt ist. Überall die Unzufriedenheit mit den Ansprüchen der Offiziere. Unsere Soldaten treiben herrenloses Vieh auf die Höfe der armen Leute. Die Rumänen schleppen mit, was sie niemals aufschlachten können. Dann und wann jetzt aber flüchtige, etwas freundlichere Berührung mit den Verbündeten. Die Bevölkerung verstockt und ungefällig. Wie falsch hat man uns die Menschen der Ukraine geschildert. Zum mindesten: welche Uneinheitlichkeit der Bevölkerung! Die Offiziere überbewerten hier unsere gar zu getreu registrierte „Feindberührung“. Unser Beute-LKW-Erfassungskommando unter Leutnant Siegert konnte 31 Gefangene machen. Man sieht Schein von Artilleriebeschüssen, die Front muß aber schon wieder erheblich weitergerückt sein. 10. August / Sonntag Okssar Noch begegnen sich der verbleichende Mond und die groß und klar aufsteigende Morgensonne. Auf den Hängen der kahlen Höhen lag Nebel. Dann wurde alles Glanz und starker, herber Blumenduft; Bienensummen um die vielen Imkerkästen - Augustsonntag in Sonne und Wind, bis der Nachmittag sich umwölkte, und der Staub des Vormarsches, von früh an aufgewühlt, durch das Dorf zog. 04 Ich hängte unsere Soldatenwäsche im Garten auf; wir frühstückten vor unserem Schuppen, in dem wir gut geschlafen hatten; wir arbeiteten in unserem Schuppen, hielten ein großes Entenmittagbrot, bekamen auch eine Tafel Schokolade, (3/s unseres Vorrates sind auf dem Vormarsch verschimmelt), arbeiteten wieder. Während der Mahlzeit kam Post; langer Brief von Hanni, Päckchen mit Zigarren und Zigaretten, Zigaretten auch von Lüge: und gerade jetzt sind sie hier und an der vordersten Front so knapp; Briefe von Wolf Heinze, der nun - ganz wie ich es mir für ihn gewünscht hatte - Offizier wird und Feldwebel ist; von Madame H. aus Sofia. Aber seltsamerweise macht mich Postempfang neuerdings traurig. Ach, daß diese Briefe immer so weit zurückliegen - toTage, 2 Wochen -. Dieser Ort ist so arm und häßlich, daß viele Häuser hier nur ein Dach von, wohl auf Brettern aufgeschüttetem, Sand, in dem das Unkraut wuchert, haben. In unserem Hofe hier starb ein einjähriges Kind, der Anblick seltsamerweise ergreifender als all die entstellten Toten, die man in Rußland schon sah. Großer Jammer der Frauen und Mädchen, daß alle Räume als Quartier belegt sind und sie den kleinen Leichnam nur auf einem Kissen, mit einem Handtuch zugedeckt, auf dem Küchentisch aufbahren konnten, ein Kreuz aus Brotteig auf der Stirn, ein kleines Wachslicht in den Händen; auch buken sie heute Brot in der Küche. Bezeichnend für die deutschen Soldaten, daß zwei sogleich im Garten Blumen holten und einen Strauß rechts und links neben den Kopf des toten Kindes legten. Auch treiben unsere Soldaten den armen Bauern herrenloses Vieh auf ihre Höfe. Die glückliche junge Mutter mit dem Kleinen vor der Tür zur Sterbeküche scherzend. Da ich bei unseren gegenwärtig noch so kurzen Aufenthalten doch recht viel schreiben möchte, entlasten mich Walter Greiner, der skurrile, gefällige, anhängliche kleine Frisör, und Ali Kerkau, -Ali, die Biene, weil er uns immer Honig beschafft, im „Haushalt“. Das Herz begeht den Sonntag in Nikolassee und Beuthen -. Wir haben heut Karten für Poltawa bekommen: Karl XII., Peter der Große. Sehr viele von uns haben Fieber und Durchfall, und fast alle sind wir sehr matt. Hanni schreibt: Kurt Mcschke war in Berlin. Und überblickt unsere Situation in keiner Weise mehr. Als er auf der deutschen Buchaus- Stellung in Stockholm den „Vater“ vermißte, wurde ihm dort gleich erklärt: „Wegen der Frau.“ Hanni schmerzt und bedrückt das alles viel zu sehr; für mich ist das, seit ich den mir zugedachten Staatspreis 1937 nicht erhalten konnte, alles abgetan. Ich arbeite mit Martin Ninas allein im Ställchen. Die beiden älteren Brüder haben dem toten Kind ein derbes, rohes Kreuz gezimmert, und die beiden Kleinsten tragen es vergnügt im Hof umher. Die Mutter nimmt es ihnen weg und bindet ein weißes Tuchlern daran und lehnt es neben die Tür der Sterbeküche. Und nun kommen die Nachbarn, die jüngeren Frauen mit weißen Kopftüchern und in bunten Sommerkleidern, die jüngeren Männer mit Blumensträußchen im Knopfloch. Die älteren Brüder tragen Sargdeckel und offenes Särglein hinauf zu dem kahlen Hügel über Garten und Hof, auf dem ein paar elende Kreuze ragen: so armselig war noch kein Friedhof in all diesen östlichen Ländern. Heimgekehrt, saß das kleine Trauergeleit an einem in den Hof geholten Tisch, zunächst nur die Frauen, und brachen das in der Totenküche gebackene Brot. Erst als die Männer hinzukamen, wurde auch Schafskäse und Honig aufgetragen. Für die Blumengabe an das tote Kind brachte die Bäuerin nun auch uns zu unserem Abendbrot unter den Akazien Käse, Honig und einen sehr schönen Brotkuchenkranz. Keinen Volksbrauch hat man auf dem Balkan und in Rußland so häufig beobachten können wie die Beerdigung. Der Abend umwölkte sich sehr. Um acht war es ganz dunkel. In unserem Ställchen saßen Erich, Ali, Walter mit Zahlmeister und Oberzahlmeister bei einer Kerze und Pfefferminztee beim Skat. Martin Ninas und ich gingen auf der Dorfstraße spazieren, deren Häßlichkeit - auch hier ein großes, doch armseliges Kollektivdomi-nium - auch die Dunkelheit nicht mildern konnte. Vor dem Kasino und der Feldküche, wo ich von meinen guten Freunden dort bewirtet wurde, saß ich bei Jupp, ließ mir die Nöte des Offiziersburschen klagen und las einen rührend fromm-katholischen Brief seiner Braut. Es gibt auch heute noch gesunde Jugend, die vor der Ehe nicht zusammenlebt. Nachts kam der klare Mond hervor. Trotz des unruhigen Lebens und des Kampfes um ein Stückchen Arbeitsplatz bin ich mit Arbeit, Korrespondenz, Nähen, Körperpflege, kurz mit allem au fait. Vom Nachmittag an hatte der Vormarsch auf der Landstraße nachgelassen. Nur noch rumänische Fahrkolonnen. Mehr junge Truppen als bisher. Die Rumänen kommen so oft allein: einzelne Reiter; zwei, drei Mann. Mit der Fliegerdeckung sind sie jetzt sehr ängstlich. Bei uns so viel Fieber, Durchfall, große Mattigkeit - trotzdem sanguinische Eßfreude. Fürs Tarnen, Küchenhilfe usw. haben wir jetzt fast immer, bis zu ihrer Weiterleitung an die Sammelstelle, russische Gefangene zur Verfügung, die bei uns einen ganz zufriedenen Eindruck machen. Arme Kerle; wenig asiatische Typen darunter. Jung oder in den besten Jahren. Armselig equipiert. n. August / Montag Sucharja Werba Verzettelter, morgendlicher Aufbruch. 40 Kilometer nach Sucharja Werba. Den neuen Orten gegenüber empfindet man schon gar keine Spannung mehr. Einer ist immer elender als der andere. Bei dem raschen Vormarsch durch immer öder werdende Steppenlandschaft scheint nicht so heftig gekämpft worden zu sein; nur wenig Spuren: ein paar verlassene russische Feldküchen und Geschütze; und in Brand gesteckte, verkohlte Garben und Feldstreifen. Die Wege fürchterlich - an Erdrissen entlang, durch tiefe Gruben, übers Feld. Immer wieder an den Rumänen vorbei, die alles so erschweren. Mittags in Sucharja Werba. Das ärmste aller armen Dörfer. Nur noch Lehmhütten, mit jenen Gras- und Sanddächern. Die Brunnen wasserarm. Mit ihren Schwengelbäumen wie Galgen in der Einöde. (In der Pußta gaben sie in ihrer Menge der leeren Landschaft einen skandierenden Rhythmus wie Noten.) Zum erstenmal haben wir auf der Fahrt gefröstelt; dann wurde der Tag wärmer, regnerisch; Abendsonne. Hier sind deutsche Bauern seit 170 Jahren angesiedelt. Denen hat der Sowjetstaat fast alles genommen; von dem Kollektivbesitz haben sie nur Last und Mühe und keinerlei Nutzen gehabt. Nahe Gebiete lagen mittags noch unter Artilleriebeschuß. 3 Kilometer von uns soll ein Wolkenbruch gewesen sein; der Divisionsstab soll stecken geblieben sein. Zweimal von russischen Fliegern überflogen. Schwacher, flüchtiger Abwehrbeschuß. Deutsche Jäger. Da das Zusammenarbeiten von Kommandantur und Adjutantur - alle so nervös - im Bus räumlich einfach nicht möglich ist, haben wir uns eine der kleinen, leeren Lehmhütten eingerichtet: Schlaf- Stätte, Küche, Arbeitsstube, mit Schulbank. Ali, „die Biene“, kocht schon wieder vom letzten Zucker Pudding für die an jedem Ort in alter Weise aus- und eingehenden Gäste. Heute ist der zweite Teil der Ferntrauung von Dr. Braun, die Trauung der Braut. Man schlachtet fürs „Kasino“, schmückt mit Weinranken und Feldblumen, einer Fülle von Sonnenblumen, auf einer Truhe in Krügen, an den Türpfosten der Bauernstuben gebunden. Einfache Männer schmücken so naiv, reflektionslos — so schön. Das Getreide steht hier elend. Fast nur Weideland für Kühe. Sehr, sehr stark Steppencharakter. Auch die Offiziere müssen sich nun mit den mit sehr viel Geschick der Burschen hergerichteten Lagern in Zelt und Scheune begnügen; auf manchem Bett sah ich den „Vater“ bereitgelegt. Besonders interessevoll, weil bei meinem Vortrag nicht dabei, unterhielt sich heute wieder der netteste aller Offiziere, Philologe, Hauptmann Alpes, z.b.V. und Stellvertretender Kommandeur, mit mir, wie ich ja überhaupt in all die zum Teil berechtigten Klagen über den Snobismus der Offiziere für meine Person nicht einstimmen kann. Unsere Männer schicken viel Geld heim, weil sie nichts mehr mit Wehrsold und Frontzulage beginnen können. Abendliche Skatrunde in dem „Büro“; in der Schlafstube fremder Unteroffizier, weither gekommen, ohne alles, als Schlafgast; in der „Küche“ bei mir Werner Ewert, Harry und Jupp zu Besuch. Wie es fast allabendlich notwendig ist, auch heute Mahlzeit und Lager für Durchgänger, Versprengte, Melder bereitzuhalten, macht mir als ein wichtiges Stück Fürsorge im Kriege viel Freude. Freilich auch da Blick in Abgründe, selbst wenn ein Mensch, nach und vor langer Steppenwanderung, für Nachtstunden auftaucht. 12. August / Dienstag Sucbarja Werba - Licbtenfeld Tn die erste Morgenfrühe schien der Mond. Der Morgen: Spätsommer, zarte kühle Sonne, Wind. Beim Frühstück im Hof entbehrten wir zum ersten Male nicht den sonst so geliebten Schatten eines großen Baumes. Hier sind keine Bäume. Hier ist eine Steppenöde. Und doch etwas von Dünenstimmung. Ein gefangener Russe hilft uns heute mit Abwasch und dem Wasserholen - das Wasser ist schmutzig, der Brunnen erschöpft - in unserem Adjutantenhäuschen. Immer wieder machen wir es uns heimisch und sauber, mit Energie und Geduld. Erst nachdem ich alle die internen Spannungen beim Stabe, Mannschaften wie Offizieren, überblicke und mich zwischen ihnen unangefochten hindurchfinde, bin ich wohl ganz zugehörig. In unserer engsten, aus dem Bus vertriebenen Adjutanturfamilie mit ihren Schützlingen Walter Greiner, Ali Kerkau und Sanitätsunteroffizier Werner Kurz herrscht aber tiefster Friede. Das liegt weithin daran, daß Martin Ninas als der Dienststellenleiter dieselbe Einstellung zur „Schütte“ hat wie ich. - Täglich werden uns (200) Gefangene gebracht; sie werden bis zur Weiterleitung bei uns freundlich und fürsorglich behandelt und zeigen sich nach dem ersten Augenschein gefällig und dankbar. Unser Divisionsstab soll doch schon 20 Kilometer weiter sein, sonst aber werden nahe von uns endlose Wegverstopfungen gemeldet, und wir haben vorerst noch keinen Befehl zum Weitermarsch. Ich habe nun zwangsläufig schon 160.- M gespart, da es nichts, nichts zu kaufen gibt; nirgends. Nur den Honig und das Geflügel bei den Bauern (manche unserer Soldaten requirieren es leider doch). Auch der Spritmangel soll ein Grund sein, daß wir noch nicht weiterkönnen. Doch fuhren wir nachmittags 5 Kilometer weiter - es war sehr schön und sonnig geworden - nach dem großen, klar angelegten, wenn auch wenig schönen Dorfe Lichtenfeld, das noch von deutschen Siedlern bewohnt ist, die seit Generationen hier ansässig sind. Jedoch nichts Altertümliches. Bevölkerung mit süddeutschem Idiom; arm. 24 Männer von den Russen verschleppt. Die Lehrerin hat seit vier Jahren nichts von Mann und Kind gehört. -Große, saubere Dorfschule mit zum Teil deutschsprachiger kommunistischer Bibliothek; z. B. „Soldat Schweijk“. II a, wir von der Adjutantur haben die mittelgroße Physikklasse für uns als Büro und Schlafraum zur Verfügung - und den Brunnen vor der Tiir, den Schulhof, verwildert, für die Mahlzeiten; mehr wollen wir nicht. Im Gegensatz zum vorigen Ort hier wieder viel und sauberes Wasser. Bis auf eine Obstplantage vor dem Dorfausgang eigentümlich baumlos. Umwölkter, sehr windiger Mittag und Nachmittag; heißer Spätnachmittag; klare Abendsonne in unserem nach Westen liegenden Physikzimmer. Päckchen von Hanni, die immer noch das Unmögliche möglich zu machen wußte, zeigen, daß es in Berlin gar nichts mehr gibt: Lichterreste, altes Polohemd, Rasierlappen. Major Eras hocherfreut über die neuen Lieder; das Nachschublied ihm gewidmet,das Lied vom Helm dem Adjutanten. Längere Unterhaltung mit Eras, der die Lieder morgen dem General mitnimmt. Elektrische Lichtanlage, auch auf der Dorfstraße; funktioniert aber nicht. Bevölkerung hilft einrichten; liest sich, recht schwerfällig, deutsche Zeitungen vor. Die deutsche Leistung trotz der Kollektivierung nicht zu verkennen. Sehr eigentümlich, mit der Bevölkerung deutsch sprechen zu können; natürlich durften sie es nur in der Familie. Männer kommen uns im Büro mit Handschlag begrüßen, bringen uns Strohsäcke für die Nacht. Wir finden hier die deutschen Übersetzungen der bisher aufgestöberten russischen Parteigeschichten. Zerschlagenes Lenindenkmal. Immer Gips. Kinder singen abends für sich deutsche Lieder, die wir jedoch nicht kennen. Großer, roter, herrlicher Sonnenuntergang. Wir finden Gutscheine als Arbeitslohn, die nie eingelöst wurden. Mit uns liegt Kasino und Zahlmeisterei in der Schule. Für das Kollektiv Zwangsabgaben an Produkten in solcher Höhe, daß man seine letzte Habe verkaufen mußte, um die fehlenden Mengen zu beschaffen. Was einem gemäß der Rationierung zu-stand, wurde einem nicht verkauft und ging in den Schleichhandel, der ganz in den Händen harter Juden war wie der Handel überhaupt. In der Stadt Anstehen zu Tausenden um ein paar Meter Stoff; bei den Schlägereien darum kam es oft zu Todesfällen. Kein Haß der Volksdeutschen gegen die russische Bevölkerung - nur gegen Regierung, Partei und Juden furchtbare Verbitterung (nur alte Kleider zu Wucherpreisen). Wir hören von der großen Not des feindlichen Heeres, das hier durchkam: Hunger und planloses Rückgehen. Man weiß nichts mehr von den anderen. Aber die immer wiederkehrende, wichtigste Klage, den Menschen noch viel wichtiger als das Materielle: „Wir haben Gott verleugnen müssen „Nie mehr Kirche!“ „Wir durften kein Gesangbuchlied singen.“ - „Wb sind unsere Geistlichen hingekommen -?!“ Den ganzen Abend über Volksdeutsche bei uns, die uns erzählen. Noch etwas ungläubig, ob es ihnen nun besser gehen wird. Schöne Frauenköpfe, aber so verhärmt; arme, ordentliche Kleidung. Viel Lebensart. Auch Intelligenz. 14c Sehr seltsam, als zu diesen Gesprächen die Kerzenreste von Advent und Geburtstag brannten, die Hanni mir bei dem Lichtermangel sandte. Hier wird nun von den Dörflern Tee getrunken. Aber nur von dem, was in ihren Gärten wächst. Kurzer Abendspaziergang mit Ninas und Greiner durchs dunkle Dorf unter den Sternen. Überall Landser und Bevölkerung in der Unterhaltung. Die Landser hatten vom Bauernelend keine Vorstellung gehabt, unsereins ja. Tiefer Schlaf. ij. August / Mittwoch Rastatt Um io Uhr früh wieder weitergezogen. Früh halfen uns die junge Lehrersfrau und eine Bäuerin beim - wieder einmal blitzsauberen -Abwasch; hoffend, noch ein wenig ungläubig nahm man unsere Kreditkassenscheine hier als Präsent, dort als Bezahlung entgegen: für Honig, Eier, Milch, Tomaten, mit denen wir, samt einer köstlichen süßen Suppe, Frühstück hielten im Schulhof. Der früheste Morgen war von zarter Kühle und klarem Leuchten gewesen, dann wurde die Sonne immer stärker; glühender Steppenaugust. In diesem Dorf waren wir abseits der Vormarschstraße gewesen, in die wir nun wieder einbogen. Die saubere und arm gekleidete Bevölkerung winkte uns freundlich zum Abschied. Heiße, öde Fahrt. Durch Zelte in kahler Schlucht sehr starke Erinnerung an Expeditionsstraßen etwa in Tibet. Nur einmal ein Schloß aus der Jahrhundertwende und ein Park. Spuren des Kampfes: kaputte, umgestürzte LKWs; einige tote Pferde; wenige Ruinen, von denen man nicht einmal weiß, ob der Krieg in diesen Tagen sie schuf; LKW mit halbverbranntem Russen davor; niedergebrannte Feldstreifen. Mit anderen Einheiten und anderem Stab liegen wir nun in Rastatt (wie München, Leipzig usw. Dorf). Ärmer und kleiner als das gestrige. Die Leute haben von allem nur ein Stück. Beschaffung der Tische, Stühle, Betten für die Offiziere macht viel Mühe. Überhaupt das tägliche Padcen, Räumen. Frauen aus dem Dorf säubern uns das „Kontor“ der Partei. Nun ist’s ein ziemlich sauberes, geeignetes Bürogebäude für unser Ib und II a, Kommandantur und Adjutantur geworden, mit Schlafraum für die Melder und einsamen Schützlinge und Wirtschaffsraum. Männer bringen uns Stroh, Frauen Milch und wunderbares Brot, wie hohe Napfkuchen, und Eier. Bevölkerung ist erst von der Flucht zurückgekehrt. Kein noch so minimaler russischer Sprachanklang. Aber Herkunft der Vorfahren müssen wir aus Dialekt und Namen der Orte schließen: die Heutigen wissen es nicht mehr. Ein Mann erzählt mir, daß ihm zwei kleine Kinder verhungert sind. - Vor vier Tagen waren noch die Russen hier. Zur Arbeit kamen wir erst vom Nachmittag an. Es heißt, daß wir hier ein paar Tage bleiben sollen. Beim Vorbeifahren bei einer Panjekolonne Heinz Hinze gesehen, der wohl und munter aussah; es mag ihm aber doch schmerzlich gewesen sein. Torsen von dachlosen Lehmrundmühlen in holländischer Art und kleinen quadratischen Fensterlöchern. Seltsamerweise verstärken sie den Eindruck: Tibet. Wie einsame Wachtürme. Die Brunnen wie Galgen. Heißes Nachmittagsgewölk. Staub. Kein großes Vormarschtreiben. Kruzifixe von der Bevölkerung wieder hervorgeholt, oder nie verschwunden? Zum Mittagbrot in dieser Woche Kalbsbraten, Schmorbraten, Schweinebraten - alles das beste, zarteste Fleisch. Aber wir sind wie versessen auf Gemüse. Was bedeutet uns das kostbare Brot! Und Milch, wie man sie nicht einmal mehr in Erinnerung hatte. Wie einem das vorkommt: daß uns wieder mit heißem Wasser und sauberem Handtuch abgewaschen und Wäsche sogar gebügelt wird. Und da wir nun so viel Wäscherinnen und etwas, wenn auch schlechte, Beuteseife haben, können wir uns auch mitten in der Woche noch einen zweiten 'Wäschewechsel gestatten. Es ist eben sofort wie eine Berührung mit Deutschland. Noch sechs Stunden Autofahrt, und wir wären am Schwarzen Meer. Doch werden wir es sehen? Oder parallel daran vorbeifahren, nach dem alten Landsermotto, daß es „Brei regnet, und wir keinen Löffel da haben“? - Landung eines Flugzeuges auf der Dorfstraße. Um 17 Uhr wurde ich zum Referat über meine Schrift zu Major Eras bestellt; bei höchster Anerkennung bedingungslose Annahme dieses Planes. Wie er extra betonte, sprach er mir „dienstlich seine Bewunderung aus, daß er mich bei dem ständigen Aus- und Einpacken, bei Fliegerangriffen und Bombenabwürfen immer aufs konzentrierteste - bald auf einer Futterkiste, bald auf einem Munitionskasten - arbeiten sähe“. Und endlich, wie gelegen ihm bei der ganzen Problematik des Nachschubes meine Thesen gegenüber dem General kämen, da ich in das Wesen und die Aufgaben des Nachschubes so restlos eingedrungen wäre und so viel dazu zu sagen hätte. Und weil mein Auftrag ja nun von vornherein keine Mannschaftsaufgabe gewesen wäre, hätte er die Absicht gehabt, mich in rascher Folge zum Gefreiten, Obergefreiten, Unteroffizier-Offiziersanwärter zu machen. Und nun sind wir beim Obersoldaten stecken geblieben, was ihn sehr berührt, zumal ich ein so guter Kamerad sei, daß ich jene soziale Schulung des Mannschaftslebens nicht brauchte. Im Gegenteil entschuldigt er sich zweimal ausführlich, daß er midi immer wieder um Verständnis dafür bitte, daß ich mit Rücksicht auf die Mannschaften nicht stärker in das Leben der Offiziere einbezogen werden könne. Aber bei ruhigerer Kriegslage hoffe er immer wieder einmal auf ein, zwei Stunden privater Unterhaltung. Allein die Tatsache, auch wenn sie nun nicht Wirklichkeit wird, daß ich Offiziersanwärter werden sollte, freut midi sehr, sehr, zumal die Beförderungen auch noch mit einer Auszeichnung - es mag sich wohl um das Kriegsverdienstkreuz handeln - verbunden sein sollten. An der Front hätte ich nun doch nach acht Monaten Unteroffizier werden können. Dies alles ist für mich abgetan. Hauptsache, daß ich weiß, ich war zum O. A. vorgesehen. In einem für midi hilfreichen Sinn heißt es nun: „. .. Soldat, als wäre man es nicht.“ Nun verhält es sich aber inzwischen endgültig so, daß ich, den Mischlingen gleichgestellt, entlassen sein müßte; dazu Eras: „Da es sich aber um Jochen Klepper handelt, der unter den besten Namen in die Literaturgeschichte eingegangen ist, möchte ich von allen Vollmachten eines Kommandeurs Gebrauch machen, damit Sie Feldsoldat bleiben.“ Und dafür bietet eine vom OKW/Prop.-Ministerium vor einigen Tagen bei Eras eingegangene erste Antwort eine Möglichkeit; die Antwort ist ebenso ungewiß wie vieldeutig wie nichtssagend. Der Antrag des Kommandeurs, midi als Kriegsberichter während dieses Einsatzes in seiner Abteilung zu belassen, ist abgelehnt. Von meinem Antrag kein Wort. Von meinen Personalien auch nicht. Es soll noch ein Passus dabeistehen, daß die P.K.-Berichterstattung nach einheitlichen Richtlinien erfolgen müsse. Eras’ Auslegung ist: ich darf nur nicht als P. K.-Kriegsberichter bei seinem Stabe tätig sein. Meine Arbeit hier ist aber keine aktuelle Presse-Kriegsberichterstattung, sondern etwas ganz Spezielles, den Prop.-Ministerium-Gesichtspunkten nicht Einzuordnendes. Die Entscheidung, ich dürfe hier nicht Kriegsberichter sein, besagt nicht, ich dürfe nicht Soldat sein. Also schickt er mich nicht weg. Ich aber will so lange wie möglich Soldat zu bleiben suchen, zumal bei einem Chef, der mir dreierlei so hoch anrechnet: „. .. den ,Vater*, die Festigkeit in den Dingen des Christentums und die Treue in der Ehe, ,bis daß der Tod euch scheide*.“ Seine Worte. Diese Worte der Kirche hätten, wären wir nicht kirchlich nachgetraut worden, über unserem Leben nicht gestanden. Und nun soll Hanni sich in alledem mit mir über alles, was an diesem zweistündigen Gespräch erfreulich war, freuen. Und das andere müssen wir zu der einen großen Last unseres Lebens fügen, von der Paul Gerhardt sagt: „Er wird dein Herze lösen von der so schweren Last, die du zu keinem Bösen bisher getragen hast.“ Aber es ist, nun schon acht Jahre hindurch, eine Last und eine Kette, an der man sich wohl wundtragen kann. Große Abendrunde und Gesang. Auch Keller, von der 5/176, die einen halben Kilometer vor uns liegt, zu Gast. Dunkler Abend; nur die Lichtfunken der Sterne und der vielen Sternschnuppen (warum gibt es dafür kein poetischeres Wort? -) und die Lichtpünktchen der Zigaretten. Tiefer Schlaf im „Büro“, auf der Strohschütte mit Martin Ninas und Erich Franke. 14. August / Donnerstag Auch der heutige Losungsspruch paßt recht für uns: „Sei ein Fremdling in diesem Lande: und ich will mit dir sein und dich segnen.“ i.Mose 26, 3. Gott weiß ja, wie schwer es ist, Fremdling in einem so geliebten Vaterlande sein zu müssen. Und der zweite Spruch, immer wieder eine Hilfe und Bestätigung, ist heute ja gerade wieder der vom Ewigen Haus: „Wir wissen, wenn unser irdisch Haus dieser Hütte zerbrochen wird, daß wir einen Bau haben, von Gott erbaut, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist, im Himmel.“ Es ist sehr seltsam, daß man im Grunde um seiner Liebe und um des „Vater“ willen Offiziersanwärter werden sollte; denn an meine soldatischen Fähigkeiten als eigentliche Begründung glaube ich nicht so recht. Aber was hätte wohl mein König gesagt, wenn ich überhaupt nicht zum Offizier geeignet gewesen wäre! Es wäre doch sehr schwer gewesen, die lange Wartezeit bei der alten Kolonne absolvieren zu müssen. Diese Strapazen dort. Und mein Unterricht wäre doch während des ganzen Vormarsches und Einsatzes weggefallen, und ich hätte natürlich bei diesen Mühen der Kameraden mit Hand angelegt. Unsere Kolonnen haben natürlich auch Verwundete. Und manchen Verunglückten. Schon vor einigen Tagen hat eine unserer Einheiten einen Flieger mit MG abgeschossen. Früh hatte ich wieder meine Morgenstille. Zum Frühstück im Hof, bei schöner Sonne, für meine Familie Honig, Eier, Sahne, gekochten Schinken. Immer denken wir an die knappe Ernährung daheim. - Der Arbeitsraum sauber, ordentlich, kühl. Heute kein Aufbruch zu erwarten: Benzinmangel, io Gramm Zucker je Mann für alle Kocherei. Für meine Arbeit bekomme ich auch Geheimmaterial in die Hand. Die heutige Verleihung von Kriegsauszeichnungen i. A. des Königs von Rumänien führt zu Mißstimmung, da die Burschen und Fahrer der Offiziere bevorzugt waren. Nur der Munitionsverwaltung gönnt man es. Glut, Staub, Umwölkung um Mittag, am Nachmittag wieder heiße Sonne und weißes Hochsommergewölk über dem öden Lande. Dann Schatten von der weißen Wolke her. Mein Kummer begleitet mich stündlich, mehr noch als Hannis Kummer denn als meiner; sein Schicksal, seine Schuld, sein Leid muß man ganz begreifen und ungeteilt ergreifen: das ist der Wille Gottes zu unserer Errettung. Aber es ist zum Aufschreien schwer. Immer ist in solchem Schmerz ein der Welt Offenbares, das uns selbst noch viel erträglicher ist, als es ihr ertragbar zu sein scheint; immer ist darin aber auch ein der Welt Verborgenes, nur Gott und einem selbst Offenbares; das grenzt an die Unerträglichkeit. „Des Satans Engel“ bei Paulus; was Reinhold Schneider im io HS „Katarakt“ über Lenau schreibt; mein Leben hat ein solches Dunkel, in das keiner dringt. Reinhold Schneider: „Ein jedes Leid kann geheiligt werden, indem es angenommen wird vor dem Kreuz, und insofern hat jedes Leid seine Stelle in der Glaubenswelt. . . Daß wir uns des Leides und des Kreuzes rühmen dürfen, darf auch für ein Leiden dieser Art in Anspruch genommen werden ... Es ist eine Last, die dem Menschen auferlegt ist auf Lebenszeit-, er kann sie nicht abwerfen; aber er kann sich bewähren, indem er sie trägt, und er würde seiner Aufgabe gewiß nicht gerecht werden, wenn er sein Leid verfälschen und mit täuschender Siegesgewißheit oder erkünsteltem, erzwungenem Frieden die Nacht erhellen wollte, die nur von oben erhellt werden kann, oder aber erst mit dem Dasein endet. Der Schmerz, (den wir als solchen nicht gewollt haben), der uns (vielmehr) überlassen worden ist als unser Anteil an Schuld und Not, an der Verlorenheit der Dinge und ihrem Angewiesensein auf die Gnade, will angenommen und ausgetragen werden; er soll als solcher weder bejaht noch gepriesen werden: aber er ist da; und wenn er bestimmt ist, auf eine uns vielleicht verborgene Weise mitzuhelfen an der Ausbreitung des Lichts und der Überwindung der Mächte, die ihm entgegenstehen, so kann es wohl nur dadurch geschehen, daß wir diesen Schmerz erkennen und ergreifen in seiner ganzen Unbarmherzigkeit.“ Vor ihr bleibt nur der barmherzige Gott. - In einem leeren Raum des kahlen Quartiers von Major Eras die einzigen sanitären Einrichtungen des großen Dorfes: eine Badewanne und ein gynäkologisches Bett. Kinder durften in dem harten Sowjetstaate nicht geschlagen werden und konnten ihre Eltern denunzieren. Schon empfindet man alles hier als Vergangenheit. Feldpost nicht nachgekommen. Und kein Benzin, entgegenzufahren. Achtspännig bespannte Artillerie zieht durch die Nachmittagsglut. - Flügelrauschen der Gänse. Auch der Armeegeneral soll im Dorf sein. Die seltsam theaterhaften Züge des Krieges verstärkt auch dies, daß jeder etwas anderes darstellt, als er in Wirklichkeit ist. Bis 7 Uhr intensiv gearbeitet; dann rüsteten wir unser Mahl; der Lehmofen im Freien spie Feuer aus dem Rauchfang, in die erste, sanfte Dunkelheit. - Da Ali krank auf seiner Streu lag, saß ich, bei der Kerze nähend, eine Stunde bei ihm und ging dann mit Martin Ninas zur Feldküche hinüber, wo Jupp und Unteroffizier Werner Eben (junger Maurer, Vater von fünf Kindern, mein besonderer Freund) in vergnügter Singerunde saßen. Denn es war ein Faß Rotwein eingetroffen. Über der Steppe und ihrem Dorf fuhr am tiefsten Himmelssaum „Der Große Wagen“. i f. August / Freitag Tiefer Schlaf. Heißer Morgen. Stille der Frühe, dann Frühstücksrunde der Adjutantur mit ihren drei Treuesten: Werner Kurz, Ali Kerkau, Walter Greiner. Doch noch ein Tisch; ein Ereignis und große Hilfe für die Arbeit! Seit Tagen gehen die Gerückte um, daß unsere 76. und die 22. Division hier herausgezogen werden sollen. Meines Königs Geburtstag. Die Frauen undMädchen tragen heuteBlumen: Mariä Himmelfahrt. Jeder solche Namen eines Tages nimmt mein Herz sogleich gefangen. Glut und Glanz des Himmels, Häßlichkeit der Erde. Ein Brief von Hanni vom 7. August, also verhältnismäßig rasch. Drei Briefe fehlen. Renerle will, bis sie einmal nach Amerika kann, nach Schweden. Aber wie soll Kurt das - auch für Brigittes Schwiegereltern will er alles tun - bewerkstelligen? Der Kronprinz von Sachsen schreibt mir: I. M. K. Hermine dankte mir jetzt: „Dir und Klepper . .. Wir sind also schon ein Paar - ein Freundespaar - in Christus!“ Und wenn ich ihm schreibe, sei es ein Festtag. Briefe von Heinz, „Eckart“ (Bericht über seine Autoren im Felde), Dr. Moras/Europäische Revue. Endlich rührt sich also einmal die DVA mit einer Frage nach Kriegsskizzen von mir. Wohl ein Annäherungsversuch von P., auf den Moras sich beruft; ich lasse ihn durch Moras grüßen; auch ich will ja die Annäherung. Intensivste Arbeit trotz der Glut, die auch ins kühle Zimmer dringt. Seit heute habe ich einen sehr bequemen Arbeitstisch, weil entfernte Sachen ins alte Parteibüro zurückgebracht werden mußten. Nachmittagsregen. Danach weiße, heiße Sonne. Grauer Himmel. Steter Wechsel. Aber immer lastende Schwüle. Wir erfahren aus der Presse, daß wir hier einer großen Übermacht gegenüberstanden. Leutnant Hagen hat sich verfahren und ein Feld voller total zerrissener Russen gesehen (durch Artillerie). Sanfter, klarer, roter Sonnenuntergang über „Tibet“; die graugelbe, öde Ebene lila gefärbt. Abendliche Ordensverleihung, gerechter als die erste! Ich bekam heute das P. K.-Schreiben des OKW vom 24. Juli vorgelegt. Es ist also nur die Ablehnung, auf den Antrag des Kommandeurs, hier ohne die gleichmäßige Ausrichtung und Ausbildung der P.K.-Kriegsberichter als solcher beimDi-Na-Fü tätig zu sein. Nichts von meinen Personalien. Und nichts von dem grundsätzlichen P.K.-Antrag. In meiner schwierigen Lage möchte ich, so verhaßt Hanni und mir Unklarheiten sind, eine Hilfe, ja einen Fingerzeig in diesen Unklarheiten sehen, gerade jetzt an die Dinge nicht zu rühren; Hauptsache, ich bin im Einsatz, Soldat. Immer häufiger erreichen uns jetzt hier Berliner Nachrichten von der Dienstverpflichtung von Frauen Einberufener. Eras’ Wunsch, daß ich Erlebnisberichte, die in meine Schrift sollen, nicht vorher in „Eckart“ und „Europäischer Revue“ veröffentliche. Tut mir leid für Ihlenfeld. Ganz stiller Abend. Aber es sah nur so aus, als würde es ein stiller Abend. Und dann waren wir achtzehn! Denn ein Panzerwagen der berühmten Vorausabteilung Lindemann unserer Division, der sein Ziel vor der Nacht nicht mehr erreichte, 7 Mann, 1 Unteroffizier, 1 Feldwebel, trafen noch bei uns ein; der Panzerwagen, immer wieder ein großer Eindruck für mich, fuhr neben unserm Bus auf. Die Obdachlosen noch schnell zu versorgen, Nachtquartier zu beschaffen, - was ja häufiger vorkommt - macht dem guten Feldwebel Ninas und mir die meiste Freude von allem hier draußen. Und nun gab es auch gerade noch einmal Wein. Und Platz auf unserem Boden. 16. August / Sonnabend Heißer Spätsommertag. Gratulation beim Adjutanten zum 37. Geburtstag; mein „goldener Triangel“ war ein sehr passendes Geschenk; Ninas und Franke mit schönen Bauernblumensträußen; ich mit Kerze und Sonnenblume. Schaukat hat sogar einen Geburtstagskuchen für die Adjutanten gebacken. Ich bekam heute auch die Geheimverfügung von 8. April 1941 über die Soldaten in Mischehe gezeigt. Es ist erstaunlich, wie auch der Adjutant-Feldwebel, der gute Ninas, durch dessen Hand die geheimen Personalsachen gehen, als SA-Mann sich verhält. - Militärisch sind Männer meiner Situation also den Mischlingen gleich- gesetzt, hinter den 25 °/oigen benachteiligt. Die militärische Sondergenehmigung ist dabei grundsätzlich in Erwägung gezogen. Aber auch auf diese Eingabe wird wohl nun keine Antwort mehr erfolgen, und wir müssen es wahrscheinlich bei jenem unklaren Bescheide vom 24. Juli bewenden lassen, aus dem zum mindesten hervorgeht, daß ich nicht entlassen werden muß. Beförderungen und Auszeichnungen in ganz besonderen Fällen über Führer-OKW möglich (Auszeichnung vor dem Feinde). Ein Freiwasser-Verbot und so weiter, von dem Hanni mir schreibt, nimmt Reni wohl den Wannsee. Ein Mischling aus unserer Nachschubkompanie mußte schon vor Wochen entlassen werden. Panzer und so weiter kommen, in immer größerer Zahl von der Front zurück, als wäre ihr Einsatz an unserer Front nicht mehr nötig. Alles träumt von Ablösung. Ich noch nicht. Im Kasino Besprechung des Generals mit allen Kommandeuren unserer Division. Generalstab des Armeekorps auch noch im Dorf. Glut und Staub. Uber die Dorfstraße, die wie Mehl ist, geht eine Windhose hin, sehr unheimlich wie etwas Lebendiges. Der wunderbare Rhythmus einer Kuhherde auf den öden Hängen von „Tibet“ am glühenden Mittag. Blaugraues Gewölk und Schwüle, weißer Staub. Das Herz ist mir so schwer wie in den härtesten Tagen meines Lebens. Und immer ist’s ganz das gleiche Gefühl, wenn dieser Komplex Mischehe auftaucht. Leutnant Kulig meint, der grundsätzliche P.K.-Antrag könne nicht einfach ad acta gelegt, sondern müsse bearbeitet werden. Es ist wirklich hier eine merkwürdige Änderung der Stimmung, als wäre nicht nur der Benzinmangel der Grund, daß wir hier so still liegen. Die Männer von der Vorausabteilung Lindemann - wann kamen wir je sonst mit diesem Gegenpol des Nachschubes in Berührung? - sagten uns, ihre Aufgabe in diesem Frontabschnitt sei erfüllt. - Gegen 7 Uhr wunderbar zerlöster, zerbrechender Sonnenuntergang, rosa und golden am grauen Himmel. Nach SW geballte, steile Wolken wie Schneegipfel. Dann, wo die Sonne sank, die Wolken wie ein lilagrauer, dunkler Grabhügel. Darüber ein weiches, wehendes, sanftrosa Wolkenzelt. Sonnabend. Feierabend. Nach intensivster Arbeit. Dunkelheit, südöstliche Finsternis; große, herrliche Sterne; die Milchstraße! Diesmal wirklich ein Abend in kleinem Kreise: zu Rotwein Besuch von Oberschirrmeister Roscher und Unteroffizier von Grumbkow bei mir und Martin Ninas; die anderen spielten Skat, nachdem eine Propaganda-Kompanie, die hier Tonfilmvorführungen für die Armeekorpseinheiten gab, vor der heutigen Vorstellung schon weitergerückt war. Diese Tage hier sollen schon die für die XI. Armee angekündigte Ruhe sein. Bei dem großen Menschen- und Materialverbrauch wäre das sehr wenig. - Sehr stimmungsvoll der Kasinoraum: große Bauernblumensträuße, Holzkreuze mit je vier Kerzen auf dem Tisch, Fenster und offene Tiir mit den großen weißen Moskitoschleiern verhängt. - Nachts wunderbare Klarheit der Mondsichel und der Sterne im Osten. 77. August / Sonntag Wahrhaft östlicher Sonnenaufgang. Aus der Kühle und dem zarten Nebel der Frühe vor dem glühenden Tag steigt die Sonne in ungeheurer Stärke, Kraft und Klarheit auf. Wieder gehört die Stille des Sonntagmorgens mir. Kurzer Besuch von Wolgast, der trotz all seiner vielseitigen Tüchtigkeit bei seiner neuen KW-Kolonne ausgerechnet bei der Kühe gelandet ist. Erhards 35. Geburtstag. Ich habe Hanni gebeten, ihm das neue „Kyrie“ zu schicken. Mag Erhard sein, wie er will - fromm ist er ja doch. Der Krieg in Rußland scheint für uns hier noch bis Oktober „kalkuliert“ zu werden. Um Odessa ist in unserem Frontabschnitt ein Ring gebildet, Kiew wird von den Russen noch zäh verteidigt. Zum Teil verhindern die Sümpfe größere Operationen. Nein, nein, man darf sich durch Stimmungen und Kalkulationen der Truppe nicht verleiten lassen, da alle nur Einzelausschnitte sehen. Drei Tage ist die Feldpost vom Abholen nicht zurück. - Der Ort heute voller neuer Einheiten. - An den Abenden der Besuche und des Gesanges finden sich immer die volksdeutsdien Nahbarn ein und bitten: „Singen!“ Beinahe unerträglihe Glut. - Unser Nahbar, dessen Frau uns abwäsht, Milh koht und auf deren Lehmöfen im Garten wir kohen, sagte uns heute, er hätte erfahren, nahe am Dorf seien noh bewaffnete Kommunisten aus dem Ort, die erklärten, „bevor sie selbst ershossen würden, nodi möglihst viel von uns ershießen zu wollen“. Glut, Glut - aber Arbeit, wie in meinen besten Zeiten. Am Nachmittag einer der fehlenden Briefe von Hanni. Berlin hatte nun doch wieder einen englischen Luftangriff mit 25 Toten. Mehrere Photos: im Gärtlein, das so wunderbar sommerlich ist; im Boot auf dem Wannsee; Renerle im Reitdreß. Da sieht ihr Gesichtei so elend aus, im Boot so vergnügt; Hanni mit 26 Jahren so ähnlich. Nun muß für das Kind auch der Wannsee aufhören. Ein Bild von Hanni, so weich und jugendlich wie das Brautbild; eins, im Garten, so herb und bedeutend, wohl Hannis echtestes Bild. Die Freude und der Drude im Herzen beim Anblick der Bilder halten sich die Waage - es bleibt schon bei meinem verschriebenen Wort - „Herzenswunden“ statt „Herzenswonnen“. Das viele Zusammensein mit Frau F. ist mir eine große Beruhigung für beide Frauen. Ihlenfeld schreibt nach einem Besuch zum Vorlegen meiner Kriegsskizzen bei der Zensurstelle für Mil. im Propagandaministerium: „... ich erkenne in jedem Ms., wie entschlossen Du den Schritt in die neue Wirklichkeit getan hast: die Fülle des Geschauten und Erfahrenen ist wunderbar gefaßt von .. . dem Glück einer unendlichen Gewißheit, der das biblische Wort das einzig Gemäße ist... Du wirst dankbare Leser finden. Selbst der Zensor, den ich heute im Prop.-Min. aufsuchte, um einige Streichungen rückgängig zu mähen, sagte, als er das Blatt gelesen: ,1h glaube gerne, daß es vielen etwas geben wird' - und nahm den Radiergummi und tilgte die Blaustiftstrihe seines Kollegen wieder aus. Es war ein vertrauenswürdiger Mann mit vielen Orden aus dem Weltkrieg, der auh shliht zugab: im Kriege draußen haben wir doh alle wieder beten gelernt. Ih hatte mein Exemplar vom ,Vater“ mit, und er bat sih’s für einige Wohen aus. We gerne ließ ih’s ihm da - ih bin noh niemals so bewegt von einer solhen Unterredung davongegangen ... In den folgenden Heften je ein Kapitel, so viel Du mir weiterhin anvertrauen willst. - Mir geht es eigentümlih beim Lesen Deiner Berihte: ih merke, daß eine große Kluft gespannt ist zwishen Euh und uns, dort und hier. Und ih werde darüber niht eher wegkommen, als bis ih auh Dein Kamerad geworden bin.“ Es prüfen also die Militärzensur und die Pressestelle der Reihsregierung; und die hiesige Dienststelle muß einen Freigabevermerk geben, den ich für die „Wolke“ niht erhalte, da sie für meine Schrift reserviert bleiben soll. Zur Nahmittagsarbeit allein im Büro. Alles sonnt sih. Als ih an Ihlenfeld shrieb, daß ih nun über das Brot shreiben möhte, das ich nun in so vielen Ländern gegessen habe, wurde mir erst ganz bewußt, wie seltsam es ist, hier vom Brot des Lebens zu schreiben - in Steppe und Glut, im Sowjet-Dorfbürohaus, im Arbeitszimmer eines kommunistischen Kommissars. Brief und Bilder von Hanni, Ihlenfelds Brief haben den Sonntag doch recht hervorgehoben. Jetzt, die Abendsonne beginnt wohlzutun. Und nun soll auch bald für mich Feierabend sein. Auf unseren Abendbrottisch fiel ein noch glühendes Stück Sternschnuppen-Lava. Abendspaziergang mit Jupp, der trotz der 22 Jahre des Soldatenlebens überdrüssig ist und fürchtet, zu alt heimzukommen. Auch ein so junger, einfacher Mensch spricht vom „innern sich zu Tode siegen“, woran ich gar nicht einmal glaube. Auch ihm, der so leichtsinnig lacht und singt, fehlt die Kirche so. Eine Nachrichtenabteilung spielte hinter der kleinen Brücke dem Dorfe zum Tanz auf; auch an der Küche, wo es noch einmal Rotwein gab, tanzten sie zur Harmonika; andere, fremde Soldatengruppen sangen sehr schön. Jupp und ich saßen mit einem Glase Rotwein auf einer Gartenmauer und konnten uns nicht sattsehen an dem Glanz der Milchstraße, des ganzen Himmels; und suchten am Himmel, wie die Häuser daheim zum Himmel stünden. Das tut auch Ninas immer. - In der hiesigen Kirche, die unter den Sowjets als Tanzsaal diente - doch gingen die Erwachsenen nie hin -, wurden heute 6 und 12 Jahre alte Kinder, die im Sowjetstaat nicht getauft werden durften, vom Divisionspfarrer und rumänischen griechisch-orthodoxen Popen getauft. 18. August / Montag Glut, Glut, Glut. Astern- und Petuniensträuße und Geburtstagslicht schmücken unseren Eßtisch im Hof und unser Büro, weil Erich Franke seinen 29. Geburtstag hat. Die Bücher, die ich mir aus Berlin und Bukarest kommen ließ, sind nun, wo alles fehlt, willkommene Geburtstagsgeschenke. Soldatengeburtstag wird sehr ernst genommen. In diesem Dorfe gibt es auffallend wenig Blumen. Hier fehlt alles Schöne. Morgen soll es nun ein großes Stück weitergehen; aber leider nicht aufs Schwarze Meer zu. Den heutigen Arbeitstag habe ich noch recht ausgenützt. Nachmittagsgewölk. Dann wieder starke, lastende Sonne. Staub und Dunst über den kahlen Dorfhöhen. Ein neuer Kampfabschnitt kündet sich mit dem morgigen Aufbruch an. Die Infanterie seufzt über die 14 Tage Marsch, die vor ihr liegen sollen. Der Menschenschlag hier, die Volksdeutschen, waren doch recht unzuverlässig, was versprochene kleine Dienste und Erledigungen betraf. Und hielten wohl sorgenvoll das Ihre sehr zurück. Hier hängen sie die Wäsche zum Trocknen über die Maiskolben und die großen Dillstauden. Als die Glut gegen V* 7 erträglich war, Feldflaschengeburtstagskaffee mit dem Kuchenrest vom Adjutantengeburtstag. - Geburtstagsabendbrot. Wetterleuchten. Und - da die Fahrer vor der großen Fahrt ausruhen müssen und bei der kleinen Stabskompanie zuviel Vor- und Sonderkommandos unterwegs sind - mit Erich Franke Wache. Sternenpracht. Zarter Schein der spät aufgehenden, östlichen, abnehmenden Mondsichel. Tiefe dörfliche und kriegerische Stille. Kühle vor dem Tagwerden, die einen nach Glut und Schwüle frösteln läßt. /