Grundfragen des öffentlichen Verständnisses
von Evolution und Schöpfung

 

John C. Lennox MA PhD DSc

Green College, University of Oxford

and the Whitefield Institute

 

Einleitung

 

Sowohl in der Vergangenheit als auch heute haben führende Wissenschaftler für das Publikum geschrieben. Darwin und Huxley haben das getan, auch Dob­zhansky, Lorenz und Simpson – und heute tun es Richard Dawkins, Stephen Jay Gould und viele andere wieder. Der Eindruck, den die Öffentlichkeit dabei von Wissenschaft bekommt, dürfte für uns alle von Bedeutung sein. Und, wie es C.S. Lewis einmal ausdrückte: Wenn der Laie nicht zufrieden ist mit dem, was er bekommt, darf er blöken! Ich möchte daher in diesem Artikel einmal teilweise die Rolle der Öffentlichkeit übernehmen und einige meiner Bedenken äußern über die Ableitung des Atheismus aus dem Neo-Darwinismus, wie sie bei einigen namhaften Wissenschaftlern vorkommt.

 

1. Einige Beispiele der Ableitung von Atheismus aus Neo-Darwinismus

 

In seinem Buch "Das egoistische Gen" schrieb Richard Dawkins (1976): "Wir brauchen den Aberglauben nicht mehr, wenn wir Antworten auf folgende tiefe Fragen haben wollen: Hat das Leben einen Sinn? Wozu sind wir hier? Was ist der Mensch? – Wenn man aufgefordert wird, an die vordarwinistischen Antworten auf diese Fragen zu denken – kann man dann tatsächlich überhaupt an einige Antworten denken, die heute nicht wertlos sind, abgesehen von dem Wert, den sie für das geschichtliche Interesse haben? Es gibt etwas, das man als „einfach unrecht haben“ bezeichnen kann, und das ist genau der Fall gewesen in Bezug auf alle Antworten vor 1859".

 

Beachten wir die Betonung auf "allen Antworten". Mit Darwin, so Dawkins, erreichen wir eine Wasserscheide nicht nur in der Geschichte der Wissen­schaft, sondern auch in der Geschichte der Philosophie und der Religion. Vor Darwin glaubten fast alle prominenten Wissenschaftler an Gott. Keith Ward aus Oxford ("God, Chance and Necessity – Gott, Zufall und Notwendigkeit" [1996]): "Es schien der Mehrzahl derer, die tief über die Herkunft und das Wesen des Universums nachgedacht und darüber geschrieben haben, so zu sein, daß das Universum über seine eigenen Grenzen hinweg auf einen nicht-physikalischen Ursprung großer Intelligenz und Kraft hinweise. Fast alle großen klassischen Philosophen – darunter Platon, Aristoteles, Descartes, Leibniz, Spinoza, Kant, Hegel, Locke, Berkeley – meinten, der Ursprung des Alls liege in einer transzendenten Wirklichkeit. Zwar hatten sie unterschiedliche Meinungen über diese Wirklichkeit... aber es war für sie offensichtlich, daß das Universum sich selbst nicht erklärt und daher eine Erklärung von jenseits seiner selbst benötigt."

 

Aber nach Darwin, so meint Dawkins, ist der Glaube an einen Schöpfer wertlos und verdiene nur, auf den Schrotthaufen der Geschichte geworfen zu werden. In seinem späteren und sehr erfolgreichen Buch "Der blinde Uhrmacher" bekräftigt er diese Konvergenz zwischen Darwinismus und Atheismus (1986, S.19): "Auch wenn der Atheismus schon vor Darwin logisch haltbar war, so ermöglichte es doch erst Darwin dem Atheisten, intellektuell zufrieden zu sein". Für Dawkins ist Darwinismus das intellektuelle Fundament, auf dem Atheismus solide aufgebaut werden kann.

 

Hier steht Dawkins in der Tradition von Sir Julian Huxley, der in einer Festrede anläßlich der Jahrhundertfeier von Darwins "Origin of Species" im Jahre 1959 sagte: „Im evolutionären Denken gibt es für das Übernatürliche kein Bedürfnis und keinen Platz mehr. Die Erde wurde nicht geschaffen, sie hat sich durch Evolution entwickelt... So sind auch alle Pflanzen und Tiere auf der Erde Produkte der Evolution – auch wir, Geist , Vernunft und Seele, Gehirn und Leib. Auch die Religion ist evolutionär entstanden... Der evolutionäre Mensch kann keine Zuflucht mehr in den Armen einer von ihm selbst erfundenen, vergötterten Vaterfigur finden".

 

Für Huxley ist Gott nicht nur überflüssig (und sollte daher Occams „Ra­siermesserprinzip“ geopfert werden), sondern müßte als ausschließlich fiktive, Freudsche Vorstellungsfigur effektiv aus dem Bereich intellektueller Glaubwürdigkeit getilgt werden. Schöpfung und Evolution sind für Huxley ebenso wie für Dawkins als Erklärungsmodelle prinzipielle Gegensätze.

 

Ähnlich schreibt Jacques Monod in "Zufall und Notwendigkeit": "Reiner Zufall, absolut frei, aber blind, liegt an der Wurzel des erstaunlichen Evolu­tionsgebäudes, so daß der Mensch letztlich weiß: er ist in der gefühllosen Unermeßlichkeit des Alls alleine.... Weder sein Schicksal noch seine Pflicht sind irgendwo niedergeschrieben worden" (1972, S.110,167).

 

Monod benutzt seine wissenschaftliche Autorität, um hier der Öffentlichkeit klar zu machen, daß wir nicht bloß von dem Glauben, sondern sogar von dem Wissen ausgehen können, völlig alleine zu sein. Will Provine (Cornell, Biologie und Geschichte der Wissenschaft), benutzt zwar das Wort "Wissen" nicht, doch sind seine Schlußfolgerungen genauso stark formuliert. In einem Aufsatz über Evolution und die Grundlagen der Ethik ("Evolution and the foundation of ethics – MBL Science 1988) bekräftigt er: "Die moderne Wissenschaft impliziert unmittelbar, daß die Welt strikt nach mechanistischen Prinzipien organisiert ist. Es gibt überhaupt keine zielgerichteten Prinzipien in der Natur. Es gibt keine Götter und keine rationell feststellbaren, entwerfenden oder planenden Kräfte".

 

Man bekommt bei diesen Autoren nicht nur die Schlußfolgerungen für die Theologie, sondern auch für das menschliche Verständnis von Ethik zu spüren. Bei Monod gibt es "keine niedergeschriebene Pflicht". Für Provine (op.cit.) ist es genauso: "Die moderne Wissenschaft impliziert unmittelbar, daß keine inhärenten moralischen oder ethischen Gesetze existieren, keine absoluten Führungsprinzipien für die menschliche Gesellschaft."

 

Ein sehr gutes Beispiel der populären Übertragung solcher Meinungen findet sich in einer Ausgabe des britischen Sunday Telegraph von 1997. Dort schreibt der wissenschaftliche Korrespondent Alasdair Palmer: "Die beste Darstellung der Herkunft unserer Spezies besagt, daß unser einziges unsterbliches Teil das DNS-Molekül ist. Es ist aber nicht nur die religiöse Erklärung der Welt, der durch die wissenschaftlichen Erklärungen unserer Herkunft widersprochen wird. Auch fast alle unsere ethischen Werte werden dadurch in Frage gestellt, da die meisten von ihnen durch unser religiöses Erbgut geformt wurden. Eine wissenschaftliche Beschreibung der Menschheit hat genausowenig Platz für den freien Willen oder das gleiche Vermögen jedes Einzelnen, gut zu sein oder gerecht zu handeln, wie für die Existenz einer Seele."

 

Man sollte nebenbei noch einmal betonen, daß diese Art Ableitung des Atheismus aus dem Darwinismus eben nicht nur in populären Schriften, sondern auch in der Fachliteratur erscheint. Zum Beispiel steht im Einleitungskapitel des Standardwerkes über Biologie von Douglas Futuyma (1979, Universität New York): "Indem er ziel- und zwecklose Variation mit dem blinden, erbarmungslosen Prozeß der Natürlichen Zuchtwahl gekoppelt hat, hat Darwin theologische oder übernatürliche Erklärungen der Lebensvorgänge überflüssig gemacht. Zusammen mit der marxistischen Theorie von Gesellschaft und Geschichte sowie mit der Freudschen Theorie, daß das menschliche Verhalten auf Einflüsse zurückzuführen ist, über die wir wenig Macht besitzen, war die Theorie Darwins das Kernstück von Mechanismus und Materialismus, das heißt von Wissenschaft und westlichem Denken."

 

Futuymas Grundansatz ist also, daß Darwins Theorie die wissenschaftliche Grundlage des Materialismus bildet. Darum fangen die Studenten in der Universität mit dem festen Eindruck an, der Materialismus sei auf dem soliden Felsen wissenschaflicher Forschung aufgebaut; ja mehr noch, daß Wissenschaft mit Materialismus und Mechanismus gleichzusetzen sei – eine Formulierung, die für uns später noch wichtig sein wird.

 

Ein weiteres Beispiel bietet Monroe Strickberger vom „Museum of Vertebrate Zoology“ (Museum für Wirbeltier-Zoologie), Berkeley, Kalifornien, in seinem bekannten Fachtext "Evolution" (1996): "Die Furcht, der Darwinismus sei ein Versuch, Gott im Bereich der Schöpfung zu ersetzen, war gerechtfertigt. Auf die Frage: 'Hat die Erschaffung der Menschen ein Ziel?' antwortet die Evolution: 'Nein'... Die Evolution lehrt, daß die Anpassungen (Adaptionen) der Spezies und der Menschen durch die Natürliche Zuchtwahl entstanden sind und nicht durch Planung." Hier beleuchtet Strickberger das Thema aus einem anderen Blickwinkel, indem er nicht nur Natürliche Zuchtwahl und Planung als Gegensätze darstellt, sondern auf einen weltanschaulichen Faktor hinweist, auf eine atheistische Vorentscheidung, die hinter der Wissenschaft steht. Auf diesen wesentlichen metaphysischen Faktor müssen wir später zurückkommen.

 

Um diese Einleitung abzurunden, möchte ich jetzt noch drei zusammenfassende Zitate aus demselben Jahr (1986) anführen, und zwar von einem Philosophen, einem Genetiker und einem Theologen, die uns die allgemeine Reichweite des Evolutionsparadigmas klarmachen.

 

Erstens, Reinhard Löw (Zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Ethik, Scheidewege 16, 1986, S.32): "Wenn hier von Evolutionsbiologie die Rede ist, so ist damit eigentlich mehr gemeint, nämlich jenes umfassende Paradigma der Interpretation unserer Gesamtwirklichkeit, dessen Grundpfeiler die natürliche, kausale Erklärbarkeit aller Phänomene dieser Wirklichkeit ist. Die genauere Spezifizierung in 'Materie und Spielregeln' (bzw. Naturgeset­ze)...., Prinzipien wie die von Selektion und Anpassung – diese genaue Spe­zifizierung ist hier nicht von Belang. Für die Annahme des Evolutionsparadigmas ist sie gar nicht erforderlich. Die Evolutionstheorie ein Paradigma oder ein Hypothese zu nennen, ist im übrigen angesichts ihrer Integrationskraft und allgemeinen Verbreitung fast schon anachronistisch, ja kokett. Das Evolutionsparadigma wird in der Schule und an den Universitäten gelehrt, es tritt uns in allen Medien als selbstverständlich richtig entgegen, und wenn man etwa die Augenzeugenberichte von Hoimar von Ditfurth oder Carsten Bresch über den Urknall, die Bildung der Erde, die Entstehung des Lebens auf ihr mit seiner Weiterentwicklung über die diversen Stufen bis heute liest oder im Fernsehen betrachtet, dann ist der hypothetische Charakter des 'Rückerschließens' dieser Anfänge und Übergänge völlig verdeckt: es sieht vielmehr so aus, als würde die jetzige Wirklichkeit aus den Anfängen erschlossen. Der Haupt- und Grundsatz des Paradigmas lautet: 'Alles was ist, hat sich auf eine natürlich erklärbare Weise entwickelt'. Das gilt auch für Sozialverhalten....und Ethik".

 

Zweitens, Michael Denton (Genetiker, Evolution, a theory in crisis? 1986, S. 357) beschreibt die allgemeine Situation so: "Das ganze Ethos und die gesamte Philosophie des modernen westlichen Menschen sind weitgehend auf die Kernbehauptung der darwinistischen Theorie aufgebaut, daß der Ur­sprung der Menschheit nicht auf den schöpferischen Willen eines Gottes zurückzuführen ist, sondern auf eine total sinnlose Selektion zufälliger, molekularer Muster. Die kulturelle Bedeutung der Evolutionstheorie ist daher unermeßlich, weil sie das Kernstück, die krönende Leistung der naturalistischen Weltanschauung und den letzten Sieg des Säkularismus darstellt."

 

Drittens, Joseph Kardinal Ratzinger, im Vorwort zu dem Buch (Spaemann und andere) "Evolutionismus und Christentum", 1986, schreibt: "Heute ist insofern ein neues Stadium der Debatte erreicht, als 'Evolution' über ihren na­turwissenschaftlichen Gehalt hinaus zu einem Denkmodell erhoben worden ist, das mit dem Anspruch auf Erklärung des Ganzen der Wirklichkeit auf­tritt und so zu einer Art von 'erster Philosophie' geworden ist. Wenn das Mittelalter eine 'Rückführung aller Wissenschaft auf die Theologie' (Bo­naventura) versucht hatte, so kann man hier von einer Rückführung aller Realität auf 'Evolution' sprechen, die auch Erkenntnis, Ethos, Religion aus dem Generalschema Evolution glaubt ableiten zu können. Daß diese Philosophie sich als scheinbar reine Auslegung naturwissenschaftlicher Er­kenntnis darbietet, sich mit ihr geradezu identifiziert, gibt ihr eine fast unwidersprechliche Plausibilität, die inmitten der allgemeinen Krise philosophischen Denkens nur um so wirksamer ist."

 

Hier geht es offensichtlich um keine Kleinigkeit wissenschaftlicher Fachdiskussion, über die sich Experten streiten können. Vielmehr geht es um eine neue Welle materialistischer Philosophie, die mit der immensen Autorität der Wissenschaft propagiert wird. Die obengenannten Naturwissenschaftler sind sehr bekannt. Richard Dawkins zum Beispiel hat viele Auszeichnungen für seine genialen öffentlichen Darstellungen des Darwinismus erhalten, darunter 1990 die Auszeichnung der Michael Faraday Royal Society als "der Wissenschaftler, der am meisten geleistet hat, um das öffentliche Verständnis der Wissenschaft zu fördern". Er ist tatsächlich Professor für das „Öffentliche Verständnis von Wissenschaft“ in Oxford und gilt daher per definitionem beim allgemeinen Publikum als die Stimme der Wissenschaft schlechthin. Mit dieser Autorität wird dem Publikum der Eindruck vermittelt, daß man entweder diese Philosophie zu akzeptieren hat oder als wissenschaftlicher Analphabet in die Ecke gestellt wird.

 

2. Die Logik des Arguments

 

Wir wollen jetzt die Logik des Arguments in den oben angeführten Zitaten analysieren. Die Behauptung lautet also:

 

Neo-Darwinismus