Bekennende Evangelisch-Reformierte Gemeinde in Gießen (BERG) Wortverkündiger: Dr. Jürgen-Burkhard Klautke (26.07.2020) Wortverkündigung: 1.Korinther 11,20–22 Thema: Das Heilige Abendmahl – Missbrauch oder würdiger Gebrauch Psalmen/Lieder: Psalm 144a,1–5; 127,1–5; 93,1–4; Psalm 119,25–28 Gesetzeslesung: Psalm 15 Erste Schriftlesung: 1.Korinther 10,1–22 Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus! Das Wort Gottes bringe ich Ihnen aus 1.Korinther 11,20–22. Ich lese ab Vers 17 und dann bis zum Ende des Kapitels, damit wir den Zusammenhang vor Augen haben. Gemeinde unseres Herrn Jesus Christus! Wir wollen an diesem Sonntag fortfahren in der vor längerer Zeit begonnenen Predigtserie über das Heilige Abendmahl. Ich musste selbst nachschauen, wann die erste Predigt dieser Serie war. Sie war im Februar. Sie liegt also bereits über ein halbes Jahr zurück. Ich werde deswegen das ein oder andere noch einmal aufgreifen, was bereits seinerzeit gesagt worden war. Über das Heilige Abendmahl lesen wir in drei der vier Evangelien. Wir finden die Einsetzung des Abendmahls durch unseren Herrn und Heiland Jesus Christus bei Matthäus in 26,20–30, bei Markus in 14,12–16 und bei Lukas in 22,14–23. In diesen Abschnitten erfahren wir, dass der Herr Jesus unmittelbar vor seiner Gefangennahme das Abendmahl einsetzte, und zwar in Gegenwart seiner Jünger. In diesem Zusammenhang erklärt der Herr Jesus Christus, worum es beim Abendmahl im Kern geht: Der Sohn Gottes verkündete am Ende des Passahmals, dass er durch und in den Elementen von Brot und Wein den Neuen Bund stiftet. Es geht also beim Heiligen Abendmahl um den Neuen Bund. Der Prophet Jeremia hatte davon gesprochen, und zwar in der dunkelsten Stunde Israels, wenige Tage bevor der Tempel in Jerusalem in Flammen aufging. Der Alte Bund, der Bund am Sinai war mit der Zerstörung des Tempels und der Wegführung des Volkes Gottes in die Babylonische Gefangenschaft faktisch untergegangen. Seitdem war Gott dabei, einen Neuen Bund zu verheißen und Schritt für Schritt den Rahmen dafür aufzurichten. Zu diesem Zweck hatte er einen kleinen Teil des jüdischen Volkes wieder in das Land zurückgebracht. Wie gesagt: Es war ein sehr geringer Teil derjenigen, die nach Babylon verschleppt worden waren. Die Rückkehrer hatten dann zwar noch einmal mit dem Tempeldienst angefangen. Das war auch im Sinn Gottes. Aber bereits die Propheten Haggai und Sacharja verkündeten das Vorläufige dieses Tempeldienstes. Dann, nach Jahrhunderten kam der Messias. Christus wurde in Bethlehem geboren und zwar mit der Absicht, um für uns das Sühnopfer darzubringen und damit in seinem gebrochenen Leib und in seinem vergossenen Blut den Neuen Bund aufzurichten. Dieser herrliche Neue Bund wird uns im Sakrament des Heiligen Abendmahls bezeugt und besiegelt. Hier in der Gemeinde wird öfters über das Heilige Abendmahl gesprochen. Dieses Thema kommt regelmäßig im Rahmen der Besprechung des Heidelberger Katechismus an die Reihe. Beim Heidelberger Katechismus fällt auf, wie ausführlich unsere Bekenntnisschrift über das Abendmahl spricht: Von den 52 Sonntagen, in die der Heidelberger Katechismus eingeteilt ist, sind drei Sonntage, und zwar die Sonntage 28, 29 und 30 dem Thema des Heiligen Abendmahls in engerem Sinn gewidmet. Und zuvor wird uns bereits generell erläutert, was ein Sakrament ist. Der Katechismus geht in diesen drei Sonntagen ausführlich auf die Frage ein, die im 16. Jahrhundert, also in der Zeit der Reformation, sehr kontrovers diskutiert wurde. Es ging um die Frage, ob sich beim Abendmahl bzw. in der Messe Brot und Wein substantiell verwandeln. Seit dem Mittelalter hatte die römisch-katholische Kirche dies vertreten, und sie vertritt diese Auffassung bis zum heutigen Tag. Man nennt ihre Lehre Transsubstantiationslehre. Man meint damit, dass der Priester in der Messe die Elemente von Brot und Wein substantiell in den Leib und in das Blut Christi verwandelt. Ich betone: Nach Auffassung des römischen Katholizismus erfolgt die Verwandlung in der Substanz. Gleichzeitig sagt Rom nämlich, dass man diese Verwandlung nicht schmecken kann. Es liegt also nicht ein Kannibalismus vor (wie ich es einmal hörte). Die Verwandlung von Brot und Wein durch den Priester in den Leib und in das Blut Christi erfolgt, so der römische Katholizismus, ohne dass man dies mit seinen Sinnen wahrnehmen oder schmecken kann. Deswegen wird betont: Die Verwandlung erfolgt in der Substanz, während das, was sinnlich wahrnehmbar ist, die sogenannten Akzidentien, also zum Beispiel der Geschmack sich nicht verändert. Mit dieser Ansicht konfrontiert sich der Heidelberger Katechismus ausführlich. Er lehnt diese Lehre in aller Entschiedenheit ab. Er erklärt deutlich: Die Elemente ändern sich beim Abendmahl substantiell nicht. Mehr noch: Der Heidelberger Katechismus gibt eine unmissverständliche Bewertung im Blick auf die römisch-katholische Auffassung ab. Diese Beurteilung lesen wir in Frage/Antwort 80. Dort heißt es: Die römisch-katholische Messe, also die Transsubstantiationslehre ist eine „verfluchte Abgötterei“. Das ist zweifellos hart formuliert. Manche würden sagen: Es ist eine Provokation. Aber der Katechismus weist damit auf die Konsequenz der römisch-katholischen Auffassung hin: Wenn sich nämlich die Elemente tatsächlich in den Leib und in das Blut Christi verwandeln würden, dann müsste man diese Elemente verehren oder gar anbeten. Genau das geschieht ja auch in römisch-katholischen Kirchen. Wenn ein römischer Katholik ein Kirchgebäude betritt, dann bekreuzigt er sich in der Regel in Richtung auf den Altar, oder er verbeugt sich, oder er macht einen Knicks. Warum? Weil dort die Überreste der Messe und damit nach römischem Verständnis die Überreste des Leibes und des Blutes Christi aufbewahrt sind. Genau dies kommentiert der Heidelberger Katechismus mit den Worten: „verfluchte Abgötterei“. Heute Morgen wollen wir nicht auf das einst so sehr umstrittene Thema der Verwandlung eingehen. Stattdessen wollen wir hören, was der Paulus den Korinthern zum Thema Abendmahl schreibt. Dabei hat der Apostel eine ganz bestimmte Blickrichtung. Paulus setzt das als bekannt voraus, was Jesus zum Abendmahl gesagt hatte. Er wiederholt das nicht direkt, sondern er nimmt es als Grundlage, um Missstände, die in der Gemeinde von Korinth im Blick auf das Heilige Abendmahl eingebrochen waren, aufzudecken und zu korrigieren. Paulus spricht also sozusagen indirekt über das Heilige Abendmahl. Indirekt sind seine Ausführungen insofern, als er in Konfrontation mit den korinthischen Fehlentwicklungen beim Heiligen Abendmahl der Gemeinde erläutert, was das Abendmahl ist und wie wir es in der rechten Weise empfangen, also was ein angemessener, ein würdiger Gebrauch des Heiligen Abendmahls ist. Ich verkündige Ihnen das Wort Gottes aus 1.Korinther 11,20–22 unter dem Thema: Das Heilige Abendmahl – Missbrauch oder würdiger Gebrauch Wie achten auf drei Punkte: 1. Das Heilige Abendmahl – geringgeschätzt und verachtet 2. Das Heilige Abendmahl – das Mahl des Herrn (Herrenmahl) 3. Das Heilige Abendmahl – ein gewaltiges Vorrecht, es als Herrenmahl zu genießen 1. Das Heilige Abendmahl – geringgeschätzt und verachtet Egal wie viel oder wie wenig wir uns in der Vergangenheit mit dem Abendmahl schon beschäftigt haben, eines ist uns vermutlich allen bekannt: Das Abendmahl ist das Mahl des Neuen Bundes. Dabei ist es nicht unwichtig zu verstehen, dass der Neue Bund nicht ein völlig anderer Bund als der Alte Bund ist, sondern richtiger als ein erneuerter Bund aufzufassen ist. Aber auf die Beziehung zwischen Altem und Neuem Bund wollen wir heute nicht eingehen. Wichtig ist in unserem Zusammenhang: Der Neue Bund wurde im Sühnopfer Christi am Kreuz aufgerichtet. Und das Essen und das Trinken am Abendmahlstisch bringt uns in die Gemeinschaft mit Christus und auch in die Gemeinschaft untereinander. Tatsächlich geht es beim Heiligen Abendmahl im Kern um diese zwei Aspekte: um den vertikalen Aspekt, um die Gemeinschaft mit Christus, und um den horizontalen Aspekt, um die Gemeinschaft mit- und untereinander. Auf beide Aspekte geht der Apostel Paulus in 1.Korinther 11 ein. Er muss deswegen auf beide Aspekte eingehen, weil in beiderlei Richtungen furchtbare Fehlentwicklungen zu konstatieren waren. Beide Aspekte, der vertikale und der horizontale hatten in der Gemeinde von Korinth zu schwerwiegenden Missbräuchen geführt, und diese hatten einschneidende Folgen. Hier in 1.Korinther 11, ab Vers 20 geht es zunächst um den Missbrauch des Heiligen Abendmahls im Blick auf die Gemeinschaft untereinander. Es geht also um den horizontalen Aspekt. Paulus legt seinen Finger auf den Aspekt des Heiligen Abendmahls, der es mit unserem Bruder und mit unserer Schwester zu tun hat. Der weitere Aspekt, also die Verbindung mit Christus durch das Heilige Abendmahl kommt dann gleich im Anschluss daran zur Sprache. Paulus weist im Blick auf den vertikalen Aspekt darauf hin, dass in dieser Hinsicht ein unwürdiges Nehmen von Brot und Wein in das Gericht Gottes führt, weil man den Leib Christi nicht unterscheidet. Die Konsequenzen reichen hinein bis ins Physische, bis hinein in unsere Gesundheit, ja zum Teil bis zum Tod. Das schockiert. Aber hat es uns eigentlich nicht bereits bei den bisher gehörten Aussagen erschreckt, dass der Apostel auf das Abendmahl zu sprechen kommt, indem er diese Thematik mit der Bemerkung einführt: Denn es müssen ja auch Parteiungen unter euch sein (1Kor. 11,19)? Parteiungen! Beunruhigt uns das nicht? Derselbe Apostel, und zwar in demselben Brief, in dem er sehr eindringlich zur Einheit in der Gemeinde aufruft, derselbe Apostel, der darauf hinweist, dass in der Gemeinde Spaltungen, Fraktionen nichts anderes als fleischlich sind, sodass er einmal die rhetorische Frage stellt, ob denn der Christus zerteilt sei (1Kor. 1,13), derselbe Apostel schreibt: Es müssen Parteiungen unter euch sein. Wir sind auf diese Aussage bereits eingegangen. Ich erinnere noch einmal kurz daran, was das heißt: Paulus ruft hier nicht zu Spaltungen auf, sondern er beschreibt dieses Vorkommen als etwas, das uns zur Beschämung veranlassen soll und dann auch zur Bewährung führt. (Wer sich nicht mehr daran erinnern kann, was wir dazu sagten, kann sich die Predigt noch einmal im Internet anhören oder auch nachlesen. Auch das Predigtmanuskript ist im Internet zu finden.) Gleich im Anschluss daran legt der Apostel seinen Finger auf einen gravierenden Irrweg im Zusammenhang mit dem Heiligen Abendmahl. In diesem Missstand kommt zum Ausdruck, wie das Heilige Abendmahl von den Korinthern geringgeschätzt wurde. Wie haben wir uns die Situation vorzustellen? In Korinth kamen Christen zusammen, und indem sie sich trafen, gaben sie den anderen zu verstehen: Ich bin mehr wert als du; ich bin wichtiger als mein Bruder, als meine Schwester. Diese Botschaft transportierten sie an die anderen nonverbal: Es war ihr Auftreten, durch das sie rüberbrachten: Ich bin etwas Wertvolleres. Das taten sie konkret dadurch, dass sie in den Gemeinderäumen ihre eigenen mitgebrachten Speisen verzehrten. Also salopp formuliert: Sie brachten ihr Butterbrot mit oder andere leckere Sachen, sie packten sie aus und aßen sie genüsslich, und zwar während dem Bruder neben ihnen der Magen knurrte. Bekanntlich gehörten zu den ersten Gemeinden vielfach Sklaven und auch Menschen der sozial-ökonomischen Unterschicht. Da war es nicht selten, dass diese Leute hungrig vom Feld kamen oder von ihren Hafenarbeiten; nach Beendigung ihrer Arbeit hetzten sie in die Gemeinde, ohne dass sie an diesem Tag schon etwas Richtiges gegessen hatten; dann betraten sie die Gemeinderäume; und sie mussten mitansehen, wie vor ihnen andere genüsslich köstliche, mitgebrachte Speisen verzehrten. Sie selbst hatten nichts. Dabei ist gar nicht klar, ob diese Leute dies mit der Absicht taten, ihre Geschwister zu beschämen. Vielleicht war dies ihre Motivation. Aber sicher ist das nicht. Vielleicht war es auch lediglich Unachtsamkeit, die sie zu diesem Verhalten brachte. Aber aus welchem Grund auch immer sie ihr Essen in den Gemeinderäumen verzehrten, faktisch stellten sie ihre hungernden Geschwister damit bloß. Sie erniedrigten sie und würdigten sie auf diese Weise herab. Damit nicht genug: Diese ihre Esserei erklärten sie sogar als Abendmahlsfeier. In der Frühen Kirche wurde ja an jedem „Tag des Herrn“, das heißt an jedem Sonntag das Abendmahl gefeiert. Und die Korinther veranstalteten das offenkundig nach der Devise: Es kann jeder dazu das mitbringen, was ihm gefällt, und so kann jeder das Heilige Abendmahl mit den Möglichkeiten feiern, die ihm geeignet erscheinen. Paulus schreibt dazu sehr deutlich: Das ist nichts anderes als eine Entehrung des Heiligen Abendmahls. Nun, wenn ich recht sehe, ist heute niemand in diesen Gemeinderaum mit seinem Butterbrot hereinspaziert. Falls das doch einmal der Fall ist, dann wird man daraus sicher nicht folgern dürfen, dass er den anderen mit dieser Aktion beschämen will. Eher liegt es wohl dann wohl daran, dass er am Sonntagmorgen zu spät aus dem Bett aufgestanden ist, dann schnell ins Auto oder zum Bus hasten musste, sodass er keine Zeit zum Frühstücken hatte. Und so mag es sein, dass er dann meint, sein Essen hier in diesen Räumen nachholen zu müssen. Sich so zu verhalten, kann mit Fragezeichen versehen werden. Aber es hat nichts damit zu tun, dass man den anderen beschämt oder beschämen will. Denn zu essen haben wir alle reichlich. Heißt das nun, dass wir diese apostolische Aussage zur Seite legen können? Gibt uns die Auffassung, dass wir heutzutage ja niemanden durch mitgebrachtes Essen beschämen das Recht zu sagen: „Das, was der Apostel hier schreibt, betrifft uns nicht. Es mag vielleicht als historische Information über die Gemeinde in Korinth aufschlussreich sein. Aber heute haben diese Verse uns nichts mehr zu sagen.“? Verhält sich das so? Ich denke nicht. Ich meine sogar, dass das Gegenteil der Fall ist. Mit diesen Versen stellt uns der Heilige Geist heute Morgen vor die gleiche Frage, wie damals die Korinther. Die Frage lautet: Wie bist du vorhin durch diese Tür hier hereingekommen? Bist du hier hereingekommen in der Haltung, wohlgemerkt nonverbal: Ich bin ein vortrefflicher Mensch, jedenfalls bin ich wichtiger als die anderen. Ich bin reicher als der andere. Vielleicht nicht unbedingt in materieller Hinsicht. Aber aufgrund der Position, die ich in der Gesellschaft einnehme. Oder du hast heute Morgen den Gottesdienstraum betreten mit der Einstellung: Ich habe diesem Bruder oder jener Schwester allerhand voraus, und wenn schon nicht allerhand, dann doch wenigstens in diesem oder jenem einen Punkt. Wie gesagt: Das müssen heutzutage keineswegs materielle Dinge sein: ein schönes Haus, ein großes Auto, ein gutes Gehalt. Das können sogar, und vielleicht gerade heutzutage eher immaterielle Dinge sein, durch die man meint, seine Identität zu finden, zumal ja in materieller Hinsicht wir alle keine wirkliche Not zu leiden brauchen. Vielleicht ist es so, dass der eine seinen Reichtum darin erblickt, dass er beliebter ist, dass er besser bei anderen ankommt. Vielleicht ist er kontaktfähiger. Es gelingt ihm besser, auf andere zuzugehen. Oder aber er erntet auf seiner Facebook-Seite mehr Likes als andere. Vielleicht kommt er sich auch reicher als der andere vor, weil es ihm leichter fällt geistige Zusammenhänge zu erfassen, sie schneller zu durchschauen und dann eben die Einstellung zum Ausdruck bringt: Der andere, der blickt ja sowieso nicht durch… Wenn du so in den Gottesdienst gekommen bist oder so sogar zum Abendmahl kommst – wie gesagt, das war in der Frühen Kirche dasselbe, weil man jeden Sonntag das Heilige Abendmahl feierte – wenn du also hier mit der Einstellung hereingekommen bist, dass du deinen Bruder – mit welcher Einstellung auch immer – links liegen lässt, dann ist das eine Entwürdigung des Gottesdienstes im Allgemeinen und im Besonderen des Heiligen Abendmahls. Paulus schreibt: Wenn ihr so am selben Ort zusammenkommt – übrigens nebenbei bemerkt – natürlich geht der Apostel Paulus davon aus, dass die Christen als Gemeinde lokal, an einem Ort, zusammenkommen. Sie treten nicht irgendwie geistig oder virtuell zusammen. Aber diesen Aspekt lasse ich jetzt einmal liegen, obwohl er gerade in der Gegenwart nicht unwichtig ist. Paulus schreibt hier: Wenn ihr an einem Ort zusammenkommt, dann geht es nicht an, den Bruder zu beschämen. Wenn es in der Gemeinde vorkommt, dass der eine hungrig ist, während der andere geradezu betrunken ist, dann stellt der Apostel dazu die rhetorische Frage: Habt ihr denn keine Häuser, wo ihr essen und trinken könnt? Verachtet ihr die Gemeinde Gottes und beschämt die, die nichts haben? (1Kor. 11,21.22). In Korinth war dieses Beschämen durch Essen veranlasst. Aber wie gesagt: Den anderen beschämen können wir auch durch immaterielle Dinge. Man kann es durch all das, wodurch man sich einbildet, seine eigene Identität zu finden auf Kosten des anderen. Aber dann, so Paulus, hast du keine Ahnung, warum du überhaupt hier bist. Du hast keine Ahnung, woher in Wahrheit deine Identität rührt. Denn gerade das, worin deine sogenannte Identität besteht, gerade das wird dir im Heiligen Abendmahl vor Augen geführt. Wir kommen darauf im dritten Punkt der Predigt zurück. Halten wir hier zunächst einmal fest: Es ist alles andere als unwichtig, wie du in die Gemeinde kommst. Denn mit der Art und Weise, in der du im Gottesdienst und beim Heiligen Abendmahl auftrittst, bringst du zum Ausdruck, was du von dir selbst hältst und was du von dem andern denkst, mit dem du eigentlich das Abendmahl feiern solltest. Es geht nun einmal im Gottesdienst und im Abendmahl nicht um ein Zur-Schau-Stellen der eigenen Würdigkeit. Es geht nicht um unsere Bedeutsamkeit. Im Gottesdienst haben alle die Dinge, auf die man möglicherweise meint, stolz sein zu können, keinen Platz. Alle die Dinge, durch die wir meinen, unsere Identität finden zu können, hier am Tisch des Herrn sind sie fehl am Platz. 2. Das Heilige Abendmahl – das Mahl des Herrn (Herrenmahl) Diesem Missbrauch in der Gemeinde von Korinth begegnet der Apostel mit einem einzigen Wort. Paulus stellt klar, dass das Abendmahl nicht euer bzw. unser Mahl ist, sondern es ist das Mahl des Herrn, Herrenmahl. Wie lesen: Wenn ihr nun am selben Ort zusammenkommt, so geschieht das nicht, um das Mahl des Herrn zu essen (1Kor. 11,20). Wie gesagt: Paulus spricht hier Missstände in der Gemeinde von Korinth an. Deswegen schreibt er: Wenn ihr an einem Ort zusammenkommt, dann hat das nicht unbedingt schon etwas mit Gottesdienst oder mit dem Feiern des Heiligen Abendmahl zu tun. Es hat solange nichts mit Gottesdienst zu tun, solange ihr euch selbst in den Mittelpunkt zu stellen sucht. Denn im Gottesdienst geht es um Jesus Christus, den Herrn. Und deswegen ist das Heilige Abendmahl ein Mahl des Herrn. Es ist Herrenmahl. Was heißt das eigentlich: Mahl des Herrn? Ich erinnere dazu an das, was der Apostel Paulus in 1.Korinther 10 schreibt. Ich lese noch einmal Vers 16: Der Kelch des Segens, den wir segnen [also: der Segnung] ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Was heißt das? Es heißt nicht weniger, als dass wir im Heiligen Abendmahl, im Brot und im Wein Gemeinschaft mit Christus, mit seinem Leib und mit seinem Blut haben dürfen. Noch einmal: Brot und Wein verwandeln sich nicht substantiell in Leib und Blut Christi. Aber im Heiligen Abendmahl haben wir Gemeinschaft mit Christus, und zwar reale Gemeinschaft mit Christus. Es ist eine reale, durch den Geist Gottes gewirkte Gemeinschaft mit Christus und mit seinem Heilswerk. Im 2.Korintherbrief schreibt Paulus: Der Herr ist der Geist (2Kor. 3,17). Leiblich ist Christus jetzt im Himmel. Wir erwarten ihn von dort, wenn er wiederkommen wird, also wenn er in seiner Herrlichkeit leiblich in die sichtbare Welt treten wird, sodass jedes Auge ihn dann erblicken wird. Aber dass Christus jetzt leiblich im Himmel ist, heißt eben nicht, dass er uns hier auf Erden als Waisen zurückgelassen hat. Vielmehr ist Christus jetzt durch und in seinem Heiligen Geist unter uns gegenwärtig. Dieser Heilige Geist hat seit Pfingsten eine Aufgabe: Er bringt uns mit Christus und mit seinem Heilswerk in engste Verbindung. Das tut er zum einen dadurch, dass er uns in der Wortverkündigung das Evangelium mit seinen herrlichen Verheißungen aufschließt, und das tut er zum anderen durch die Sakramente, also auch durch das Heilige Abendmahl. Das griechische Wort, das in 1.Korinther 10,16 für „Gemeinschaft“ steht (Gemeinschaft mit dem Leib und Blut Christi), meint Anteilhaben an Christus, an seinem Leib und an seinem Blut. Noch einmal: Es ist nicht ein substantielles Anteilhaben, wohl aber ein geistliches Anteilhaben. Geistliches Anteilhaben meint nicht – so wird es leider häufig verstanden – ein Anteilhaben irgendwie durch unsere Phantasie oder durch unser Bewusstsein, oder virtuell oder symbolisch, sondern es ist ein reales Anteilhaben, und zwar ein reales geistliches Anteilhaben: Im Heiligen Abendmahl haben wir durch die Elemente von Brot und Wein real – geistlich real – Anteil am gebrochenen Leib und Blut Christi. Dies wirkt der Christus, der der Geist ist. Paulus schreibt: Diesen Heiland, den du im Abendmahl geistlich real empfängst, den empfängst du niemals, wenn du ihn nicht auch als Herrn, als Gebieter empfängst. Deswegen ist das Abendmahl Mahl des Herrn. Es ist Herrenmahl. In seiner Eigenschaft als Mahl des Herrn lenkt uns das Heilige Abendmahl weg von den Elementen von Brot und Wein hin zu Christus. Es lenkt uns hin zu Christi wunderbarem Heilswerk am Kreuz auf Golgatha und dann eben auch dahin, dass Jesus Christus der Herr ist, der Kyrios. Übrigens: Die Botschaft, dass Christus der Kyrios ist, war damals alles andere als unpolitisch. Denn der Kaiser in Rom nannte sich ebenfalls Kyrios, also Herr. Und damals feierten im Gottesdienst feierten nun einige einen anderen als ihren Herrn, als ihren Kyrios. Das war für die römischen Behörden ein großes Ärgernis. Wir haben eine Fülle von Zeugnissen aus dem zweiten Jahrhundert, aus denen hervorgeht, dass für die staatlichen Behörden die Feier des Heiligen Abendmahl eine unerhörte Provokation darstellte und zu einer Vielzahl von Verdächtigungen veranlasste. Dass das Abendmahl ein Herrenmahl ist, hat mehrere Facetten. Ich zähle einmal einige auf. Das Herrenmahl ist ein Glaubensmahl, und zwar deswegen, weil es unseren Blick weg von den Zeichen von Brot und Wein hin zu Jesus Christus lenkt, der im Himmel sitzt. Das Abendmahl ist gerade deswegen so überaus reich, weil es unseren Blick weglenkt von den Elementen von Brot und Wein. Brot und Wein sind uns im Abendmahl ja nicht gegeben, damit wir uns an diesen Mitteln an sich ergötzen oder sogar daran sattessen oder satttrinken, sondern sie sind uns gegeben, damit unser Vertrauen, unser Glaube gestärkt wird, sodass wir uns von Herzen zu dem hinwenden, der am Kreuz seinen Leib für uns hat brechen lassen und sein Blut für uns vergossen hat. Ich erinnere an die wunderschöne, sehr trostreiche Formulierung des Heidelberger Katechismus, die wir auch in unserer Abendmahlsliturgie haben: „So gewiss ich Brot und Wein empfange, so gewiss darf ich glauben, dass Jesus Christus für mich gestorben ist,“ das heißt für mich gesühnt hat (Heidelberger Katechismus, Sonntag 28, Frage 75). Das Herrenmahl ist uns zur Stärkung unseres Glaubens gegeben, und zwar nicht zuletzt für denjenigen, der in manchen angstvollen Stunden um die Gewissheit seiner Sündenvergebung und seines Heils bangt. Das Herrenmahl ist ferner ein Hoffnungsmahl. Wir verkündigen dabei den Tod Christi bis Christus kommt (1Kor. 11,26). Diese auf die Wiederkunft Christi gerichtete Perspektive bringt der Sohn Gottes zum Ausdruck, als er mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl feierte und ihnen verkündigte: Mit Sehnsucht habe ich mich gesehnt, dieses Passah mit euch zu essen, ehe ich leide. Denn ich sage euch, dass ich hinfort nicht mehr davon essen werde, bis es erfüllt sein wird im Reich Gottes. Im Blick auf den Kelch sagt der Herr: Ich sage euch, dass ich nicht von dem Gewächs des Weinstockes trinken werde, bis das Reich Gottes kommt (Luk. 22,15–18). Oder an andere Stelle: Bis an jenem Tag werde ich nicht von dem Wein trinken, bis dass ich ihn trinken werde im Reich meines Vaters (Mt. 26,29). Mit anderen Worten: Beim Herrenmahl richten wir unseren Blick empor, von woher wie unseren wiederkommenden Herrn und Heiland erwarten. Das Herrenmahl ist nicht nur ein Glaubens- und ein Hoffnungsmahl, es ist auch ein Liebesmahl. Ich verweise hier auf den Judasbrief. Dort wird uns geschildert, dass es Menschen gab, die Schandflecken bei euren Liebesmahlen sind, indem sie ohne Furcht Festessen mit euch halten und sich selbst weiden Jud 12). Eigentlich steht im Grundtext nicht Schandflecken, sondern Klippen. Was ist eine Klippe? Eine Klippe befindet sich manchmal über dem Meeresspiegel, dann kann ein Steuermann sie von ferne erkennen und sie umschiffen. Meistens aber befindet sie sich unter dem Meeresspiegel. Dann sieht ein Steuermann sie nicht. Er erkennt nicht, was da unterschwellig seinem Schiff droht. Er erkennt nicht, was abgeht. Aber es kann sehr verhängnisvoll für das Schiff enden. Damit komme ich zum dritten Punkt: 3. Das Heilige Abendmahl – ein gewaltiges Vorrecht, es als Herrenmahl zu genießen Es ist deutlich: In dem Abschnitt 1Korinther 11,20–22 steht der Aspekt des Abendmahls im Vordergrund, in dem es um das Abendmahl als Liebesmahl geht, als Gemeinschaftsmahl, und zwar als Gemeinschaft, die wir miteinander haben. Der Apostel Paulus stellt einmal die Frage: Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn ein Brot, ein Leib, sind wir, die vielen, denn wir alle nehmen teil an dem einen Brot (1Kor. 10,16b). Das Brot, das wir brechen und dann essen bezeugt und besiegelt nicht nur die Verbundenheit mit Christus, sondern es konstituiert auch Gemeindesein. Die Einheit in der Gemeinde wird nicht durch eine Satzung geschaffen. Es sind auch nicht unsere gegenseitigen Sympathien, die die Einheit der Gemeinde bewirken. Vielmehr ist es das Abendmahl, das die Gemeinschaft miteinander verursacht. Darum treten diejenigen, die ihre Würdigkeit, ihren Wert und ihre eigene Identität in etwas anderem suchen als in dem Heilswerk unseres Heilandes und Herrn Jesus Christus die Gemeinde des Herrn förmlich in die Tonne. Denn angesichts des Heilswerkes unseres Heilands und unseres Herrn verdampfen im Gottesdienst und namentlich im Herrenmahl alle menschlichen und alle sozialen Unterschiede. Am Tisch des Herrn herrscht Gleichheit, und zwar Gleichheit in zweierlei Hinsicht. Erstens herrscht Gleichheit darin, dass zum Tisch des Herrn ausschließlich Menschen Zugang haben, die in sich selbst unwürdig sind und die ihre Unwürdigkeit erkennen. Am Tisch des Herrn haben nur Menschen Platz, die ihr Vertrauen, die ihre Identität nicht in irgendetwas in sich selbst suchen, sondern allein in Christus. Kurzum: Zum Abendmahl haben nur Sünder Zugang. Wenige Verse später schreibt der Apostel: So oft ihr dieses Brot esst und diesen Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn (1Kor. 11,26). Es ist aufschlussreich, worauf der Apostel hier seinen Finger legt. Offenkundig verkündigen wir also beim Abendmahl nicht so sehr die Auferstehung unseres Herrn, auch nicht seine Himmelfahrt oder seine Wiederkunft. Das ist selbstverständlich alles auch in diesem Sakrament enthalten. Aber der Apostel betont ausdrücklich: Wir verkündigen den Tod des Herrn. Mit anderen Worten: Wenn du das gebrochene Brot empfängst und aus dem Kelch trinkst, dann bezeugst du damit deinem Bruder und deiner Schwester, die mit dir zusammen vor dem Abendmahlstisch stehen: Was ich in mir selbst an Würdigkeit vorweisen kann, das kannst du sehen, wenn du nach Golgatha blickst. Dort im gekreuzigten Sohn Gottes ist offenbar, was ich an Würdigkeit vorzubringen habe, nämlich den Tod. Denn in Wahrheit hätte ich dort am Fluchholz hängen müssen. Der Kreuzestod Christi zeigt, was ich wert bin. Zweitens herrscht am Abendmahlstisch Gleichheit darin, dass wir mit dem Essen und Trinken bezeugen: Jeder von uns ist einer, den die Gnade gefunden hat. Wenn du das nächste Mal das Brot empfängst und den Wein trinkst, verkündigst du damit deinem Bruder neben dir und uns allen, dass deine Würde allein darin besteht, dass Christus seinen Leib für dich gebrochen hat und dass er sein Blut für dich vergossen hat, dass er dein Heiland ist. Wenn du das Brot und den Wein empfängst, dann bezeugst du damit: Ich habe nur ein Recht zu leben, weil Christus seinen Leib für mich gebrochen hat und sein Blut für mich vergossen hat. Das und das allein ist die Quelle, der Anker, die Wurzel meiner und deiner Identität. Darum hat am Tisch des Herrn kein menschliches Sich-Produzieren Platz. Zum Herrenmahl haben weder Reiche noch Arme Zugang, weder Angesehene noch Verachtete, sondern allein Sünder, und zwar Sünder, die bekennen dürfen: Ich bin einer, den die Gnade gefunden hat. Ich bin einer, der im Gnadenbund meines Heilands und Herrn stehen darf. Indem Paulus diesen Missbrauch korrigiert, ignoriert er nicht die sozialen Unterschiede. Der Apostel ruft nicht dazu auf, die gesellschaftlichen Unterschiede einzuebnen. Keineswegs verlangt er Egalität im Sinn der Französischen Revolution oder des Sozialismus. Er fordert auch nicht zur Emanzipation auf. Unmittelbar vorher, in der ersten Hälfte des Kapitels 11 hatte Paulus bezeichnenderweise betont, dass die Unterschiede zwischen Mann und Frau keineswegs beseitigt sind. Auch die sozial-ökonomischen Strukturen zwischen Herren und Sklaven werden von Paulus nirgendwo in sozialistischem Sinn aufgehoben oder gar revolutionär aufgebrochen. Denken wir an den Philemonbrief. Paulus fordert den entlaufenen Sklaven Onesimus auf, zu seinem Herrn zurückzukehren. Aber dann wendet er sich an Philemon, und er schreibt an ihn: Nimm den Onesimus, also den entlaufenen Sklaven auf als deinen geliebten Bruder (Phlm. 16). Die sozial-ökonomischen Unterschiede werden in der Gemeinde nicht nivelliert, jedoch werden sie durch die Liebe unterwandert. Was das heißt, das wird beim Mahl des Herrn offenkundig. Darum schreibt Paulus auch hier in 1Korinther 11 nicht: Die Armen müssen genauso so viel haben wie die Reichen. Vielmehr gibt er die Anweisung: „Esst zu Hause“! In der Welt, das heißt bis zum Anbruch eines Neuen Himmels und einer neuen Erde gibt es soziale Unterschiede, und die müssen von uns ausgehalten werden. Aber am Tisch des Herrn sind alle diese Unterschiede aufgehoben. Hier gilt nur eines: Einer ist euer Meister, ihr alle seid Brüder (Mt. 23,8). Amen. 8 7