18. Juni 1987
31. Ludwig-Hofacker-Konferenz
Gott ist Leben
Im biblischen Wort und in
der Person Jesu erkennen wir die Wirklichkeit Gottes und seinen Plan mit uns;
erkennen wir das Geheimnis des Lebens und den Weg zu einem sinnvollen und
erfüllten Leben.
Die Bibel sagt: Leben ist
nicht irgendeine Sache. Sondern Leben ist das Wesen Gottes. Er ist das Leben.
Das Geheimnis des Lebens liegt in ihm. Und alles, was mit Leben zu tun hat und
das Leben schafft, kommt von ihm her. „Er ist die Quelle des Lebens“ (Psalm
36).
Deshalb haben wir das
Leben nie als Besitz und als Eigentum, über das wir verfügen können. Sondern
alles, was Leben schafft und erhält, ist Gabe und Geschenk Gottes.
Nur das, was von Gott her
kommt und durch ihn geprägt ist und auf ihn hin ausgerichtet, verdient den
Namen „Leben“.
Das, was wir „unser Leben“
nennen, ist noch nicht das Leben im Vollsinn. Denn unser Leben ist wie ein
Brunnen: Entscheidend für einen Brunnen ist nicht, ob er schlicht oder
kunstvoll gestaltet ist. Entscheidend ist nicht, ob er in einem Winkel oder auf
dem Marktplatz steht. Sondern entscheidend ist, ob er Wasser hat; ob er an die
Quelle angeschlossen ist. Ob von dorther das Wasser in ihn strömt und ihn
erfüllt und von ihm weiterströmt zu den vielen Durstigen in seiner Umgebung.
Daran entscheidet sich der Sinn oder der Unsinn eines Brunnens.
Wir sind dazu geschaffen,
Gefäße der Gaben Gottes zu sein. Das gibt unserem Leben Inhalt, Wert und Sinn.
Die Gaben Gottes
Da sind zunächst die
Schöpfungsgaben Gottes. Die entscheidenden Grundlagen unseres Lebens können wir
nicht machen und produzieren und erzwingen.
Sondern die entscheidenden
Grundlagen unseres Lebens sind Gaben Gottes, die er uns schenkt und die uns
unverdient zufallen: – die Welt, in der wir leben; – das Licht der Sonne; – das
Geheimnis von Saat und Ernte; – das Leben, das uns geschenkt und anvertraut
ist; – alle die Gaben des Leibes, des Geistes und der Seele; – die Menschen,
die zu unserem Lebenskreis gehören.
An allen Schöpfungsgaben
Gottes wird deutlich: Leben können wir nicht machen. Leben ist Wesen und Gabe
Gottes.
Es ist eine große Aufgabe
für uns Christen, immer besser zu erkennen und zu lernen, die Gaben Gottes
nicht für uns zu behalten und zu verbrauchen, sondern sie weiterzugeben an
viele Menschen.
Gerade weil für uns
Christen das tägliche Brot nicht in erster Linie Verdienst unserer Leistung
ist, sondern anvertraute Gabe Gottes, deshalb darf es uns keine Ruhe lassen,
wenn andern Menschen fehlt, was sie zum Leben brauchen und was wir mit ihnen
teilen können.
In den Schöpfungsgaben, im
täglichen Brot mit allem, was dazugehört, hat uns Gott die Grundlagen des
Lebens geschenkt. Und wir sollten das tägliche Brot als Gabe Gottes nicht
gering achten. Das Manna in der Wüste war für Israel genauso Zeichen der Güte
Gottes wie die Nähe Gottes in der Stiftshütte. Und die Bitte um das tägliche
Brot hat Jesus im Vaterunser neben die Bitte um Vergebung gestellt. Auch in
unserem Bibelwort (Matthäus 4, 4) sagt
Jesus im ersten Teil seines Wortes, dass wir vom täglichen Brot als Gabe Gottes
leben.
Brot allein reicht nicht
Aber das tägliche Brot,
die Schöpfungsgaben Gottes, sind nur die eine Hälfte der Lebensgaben Gottes: „Der
Mensch lebt nicht vom Brot allein!“
Auch wenn wir gegessen und
getrunken haben, auch wenn wir Wohnung und Kleidung haben, auch wenn wir Arbeit
und Auskommen haben, bleibt eine andere Bedürftigkeit: die Bedürftigkeit nach
Zuwendung, nach Liebe und Geborgenheit; es bleibt unsere Bedürftigkeit nach
Beziehungen, die unser Leben tragen und erfüllen.
Einer der berühmtesten
Psychiater der Schweiz, Prof. Ciompi in Bern, weist
seit Jahren darauf hin, dass für die Gesundheit eines Menschen in gleicher
Weise das Funktionieren der körperlichen Organe und tragfähige Beziehungen zur
Umwelt entscheidend sind. Beides gehört unentbehrlich zum Leben: das tägliche
Brot und das Wort der Liebe.
Und unsere
Schwangerschaftskonfliktberaterinnen weisen immer wieder darauf hin, dass
Menschen meist nicht in erster Linie wegen materieller Nöte keinen anderen
Ausweg sehen als einen Schwangerschaftsabbruch. Sondern sie kommen in diese
notvolle Situation, wenn sie von den Menschen in ihrer Umgebung alleingelassen
werden.
Und jeder von uns weiß, dass
Kinder bei bester materieller Versorgung verkümmern können, wenn ihnen
Zuwendung, Liebe und Geborgenheit fehlen.
Zum Leben gehören das
tägliche Brot und die Zuwendung im Wort der Liebe.
Diese Dimension unseres
Lebens wird schon auf der ersten Seite der Bibel im Schöpfungsbericht deutlich.
Dort wird uns gezeigt, dass das Wesen des Menschen, das Besondere, das ihn von
der übrigen Schöpfung unterscheidet, in seiner Beziehung zu Gott liegt.
Wir Menschen sind nach dem
Bild Gottes geschaffen. Das heißt: Wesentlich für unser Leben ist unsere
Beziehung zu Gott. Das Herzstück und der Nerv unseres Lebens ist die
unsichtbare lebendige Verbundenheit zwischen Gott und Mensch.
Und diese Beziehung lebt –
wie alle Beziehungen zwischen Menschen –vom Wort. Die besondere Beziehung
Gottes zu uns besteht darin, dass er uns in seinem Wort anredet.
Und unsere Beziehung zu
ihm lebt davon, dass wir mit ihm reden im Gebet. Mit dieser besonderen
Beziehung durch das Wort macht Gott uns im Unterschied zu allen übrigen
Geschöpfen zu seinen Partnern und Kindern.
Diese Beziehung zwischen
Gott und Mensch durch das Wort ist der entscheidende Unterschied zwischen Affe
und Mensch.
In dieser Beziehung Gottes
zu uns in seinem Wort und in unserer Beziehung zu ihm im Hören und Beten liegt
das Geheimnis eines erfüllten Lebens – angefüllt mit Glaube, Hoffnung und
Liebe.
„Der Mensch lebt nicht vom
Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“
Als wir vor kurzem im
Konfirmandenunterricht darüber gesprochen haben, ob diese Welt und wir von Gott
geschaffen wurden oder durch Zufall entstanden sind, sagte eine Konfirmandin
spontan: „Ich bin durch Zufall entstanden. Meine Eltern haben mich nicht
gewollt.“
Dann haben wir miteinander
Psalm 139 aufgeschlagen und gelesen: „Du hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich
danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin.“
Ich hoffe, dass die
Konfirmandin etwas davon entdeckt hat, dass sie Geschöpf Gottes ist; von ihm
gewollt; und das sie ihr Leben aus der Hand Gottes nehmen darf.
In der Begegnung mit Gott
in seinem Wort und in seinem Sohn entdecken wir, wozu wir leben:
Da ist ein junger Mann,
gesund, begabt. Vom Elternhaus her stehen ihm alle Wege offen. Er schließt
erfolgreich die Schule und das Studium ab. Aber das Leben, das vor ihm liegt,
hat für ihn keinen Sinn. Er kann so nicht leben. Er braucht einen Sinn, einen
Inhalt für sein Leben. Und dann macht er sich auf die Suche. Er engagiert sich
in verschiedenen politischen Bewegungen. Aber er findet keine Antworten auf
seine Fragen. Da gibt er seinen Beruf auf und reist nach Indien und lebt für
ein halbes Jahr bei Bhagwan in Poona. Aber er findet
dort die Antwort nach dem Sinn seines Lebens nicht. Da reist er weiter nach
Osten zu Indianerstämmen in Amerika. Die leben noch in Harmonie mit der Natur –
denkt er. Die müssen die Antwort kennen. Aber er findet nur ratlose und
hoffnungslose Menschen. Und so kehrt er traurig und leer nach Stuttgart zurück.
Und dort begegnet er
jemand, der ihn in den Offenen Abend mitnimmt. Er lernt dort, die Antwort auf
seine große Frage in der Bibel zu suchen. Und er entdeckt die Antwort und
Einladung Jesu: „Ich bin das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben“ (Johannes
11, 25).
Von dem Augenblick an ist
sein Leben grundlegend verändert. Er hat gefunden, was seinem Leben Inhalt,
Sinn, Aufgabe und Zukunft gibt.
Gottes Plan für uns
In der Begegnung mit Gott
in seinem Wort und in seinem Sohn erkennen wir den Plan Gottes für unser Leben;
erkennen wir die Wege, die er uns führen will:
Viele Menschen leben in
großer Unsicherheit, was für sie richtig und gut ist. Das ist die Unsicherheit
vieler Ehepaare, die einmal geheiratet haben, weil sie der Meinung waren, dass
sie zusammenpassen und zusammengehören. Und dann kommen sie im Lauf ihres
Lebens an einen Punkt, an dem diese Rechnung scheinbar nicht mehr stimmt.
Vielleicht weil sich der Ehepartner anders entwickelt hat, als sie sich das
einst vorgestellt haben. Oder weil ihnen ein anderer Mensch über den Weg läuft,
der die bisherige Rechnung über den Haufen wirft. Und dann fragen sie
erschrocken: Haben wir uns damals falsch entschieden? Müssen wir noch einmal
mit einem neuen Partner neu anfangen?
In der Begegnung mit Gott
in seinem Wort erkennen wir seinen Plan für unser Leben. Und deshalb können und
sollen wir die wichtigen Entscheidungen unseres Lebens nicht nur von unseren Überlegungen
her, sondern vom Wort Gottes her entscheiden lassen.
Wenn wir im Hören auf das
Wort Gottes unseren Ehepartner als Gabe Gottes erkannt und angenommen haben,
dann haben wir festen Grund für diese Lebensgemeinschaft gefunden. Wir wissen:
dieser Mensch ist mir von Gott geschenkt und anvertraut. Diese Zusage ist eine
unveränderliche und verlässliche Grundlage für unsere Gemeinsamkeit. „ Was Gott
zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden“ (Matthäus 19, 6).
In der Begegnung mit Gott
in seinem Wort und in seinem Sohn entdecken wir das Ziel unseres Lebens:
Ich besuchte eine alte
Frau in meiner Gemeinde, weil man mir gesagt hatte, dass sie sehr krank sei.
Man wisse nicht, wie lange sie noch zu leben habe. Als ich ins Zimmer kam, sah
ich auf dem Tisch die aufgeschlagene Bibel. Ganz spontan sagte ich: „Das ist
aber sehr schön, dass Sie in der Bibel lesen.“
Da sah sie mich fast
entrüstet an und sagte mit großem Ernst und Nachdruck: „ Was heißt das, das ist
schön? Wovon soll ich denn sonst leben?!“
Ihr körperlicher Zustand
hatte ihr nicht viel gelassen an Lebenskraft und Lebensqualität. Aber im Wort
Gottes begegnete sie dem Leben, das stärker und größer ist als die Macht der
Krankheit und des Todes, die ihr zu schaffen machte. Hier begegnete sie der
Stimme Jesu, die ihr sagte: „Wer sich an mich hält, der wird leben ob er gleich
stürbe“ (Johannes 11, 25).