Predigt von Konrad Eißler im Jugendgottesdienst am 23. Dezember 2001
Josef
Weihnachten,
was bringts denn? Klar ist, was der Weihnachtsjugo bringt. Da haben die beiden
Weihnachtsmänner von Scheffbuch und Gäckle doch tatsächlich noch einmal den
Sack aufgemacht und daraus einen noch älteren Sack hervorgezaubert. Ich darf
nicht den Santa Claus, aber den heiligen Sankt Konrad spielen. Und das in
Zeiten, in denen das Alteisen entsorgt wird: Die D-Mark kommt in die Tonne,
Harald Juhnke kommt ins Pflegeheim und der Eißler kommt noch einmal reanimiert
und reaktiviert auf die Bühne. Aber noch einmal. Weihnachten, was bringts, was
bringts denn, was bringts denn wirklich? Oder anders gefragt: Was bringt
Weihnachten dem Volker? Als Familienvater von 4 Bengeln muss er dafür sorgen,
dass ausreichend Material unterm Baum liegt. Päckles für Gäckles. Noch mehr.
Als Oberniklaus des CVJM reist er durchs Land und muss mehr
Weihnachtsansprachen als alle Bundespräsidenten zusammen halten. Kein Wunder,
dass der Mann bei diesem Stress so schnell licht wird und von oben her abnadelt
wie die Christtanne am Erscheinungsfest. Weihnachten bringt dem Volker weitere
Termine. Und was bringt Weihnachten dem Uli Scheffbuch? Er ist sein eigener
Chef und ein Pfarrer, wie er im Buche steht. In Bernhausen gäbe es nur Kraut
und Rüben, wenn der Uli nicht wäre. Denn der Uli kann ja nicht nur alles,
sondern kann es auch mit allen. Uli ist dort für everybody eine echte
Weihnachts-Wundertüte. Immer top gestylt ist er für die Hauskreise der Bill
Hybels. Uli, immer lächelnd ist für das Frauenfrühstück der Kai Pflaume. Uli,
immer charmant ist für den Altennachmittag der André Rieu, und für die
Konfirmanden, immer locker vom Hocker der Harald Schmidt. Was bringt dem
schönen Single Scheffbuch also Weihnachten? Wenn wir das wüssten. Nur so viel
ist klar: Weihnachten bringt ihm nur eine Unmenge weiterer
Unterhaltungsmöglichkeiten. Und was bringt Weihnachten den Jugo-Musikern? Ich
weiß: Als Mensch, der auf Klassik steht, fällt es schwer, diesen hochkarätigen
Krachmachern etwas anderes zu Weihnachten zu wünschen als Geschmack. Wenn ich
das hier höre, wünsche ich mir Ohrstöpsel. Aber ich habe auch schon, glaubt mir
das, Beatbetrieb gehört und wenn auch knapp, so doch mit mittelschwerem
Herzflimmern und Atembeschwerden überlebt. Weihnachten bringt den Jugo-Musikern
weitere kannibalisch-lautstarke Auftrittsmöglichkeiten. Aber ich wollte ja gar
nicht von diesen Kollegen reden, sondern von Josef, dem Mann an der Krippe. Was
bringt Weihnachten dem Josef? Irgendwie gefällt mir der Typ im Stall. Der Ochs
macht »Muh«, der Esel macht »I-a«, der Josef macht keinen Pieps. Nicht eine
kotzige Silbe kommt über seine Lippen. Was bringt Weihnachten diesem
sympathischen Schweiger? Schwierigkeiten lagen hinter ihm. »Der braucht endlich
a gscheits Mädle ins Haus« sagten die einen. Er aber wollte nicht nur »a
gscheits Mädle«. »Der braucht endlich a schaffigs Weib en d'Küche«, sagten die
andern. Er aber wollte nicht nur a schaffigs Weib. »Der braucht endlich an
passenden Deckel auf den Topf« sagten die dritten. Er aber wollte nicht nur
einen passenden Deckel. Josef wollte eine fromme Frau. Was bringts, wenn man
miteinander leben, aber nicht miteinander beten kann? Wir kennen es doch, wie
schnell aus dem Miteinander ein Nebeneinander, dann ein Gegeneinander, dann ein
Hintereinander, dann ein Durcheinander, dann ein Auseinander wird. In Stuttgart
ist jede dritte Ehe in Eimer. Endlich hatte Josef die richtige gefunden, Maria
aus Nazareth. Doch, Schwierigkeiten lagen hinter ihm. Und Peinlichkeiten lagen
hinter ihm. »Hast du schon gehört« tuschelten sie hinter vorgehaltener Hand:
»Josefs Maria kriegt ein Kind.« Die Klatschtanten hatten ihr Thema und die
Stammtischler ihre dreckige Freude: »Seht, so sind die Frommen. Zuerst große
Reden führen und dann kleine Mädchen verführen.« Doch, Peinlichkeiten lagen
hinter ihm. Und Scherereien lagen hinter ihm. »Kein Zimmer frei« hieß es bei
der Quartiersuche. Die Tür wurde ihnen vor der Nase zugeschlagen. Von wegen
»Stille Nacht« Eine stressige Nacht wars mit einer Geburt ohne Arzt und
Hebamme, einfach so. Scherereien lagen hinter ihm. Nach so viel Schwierigkeiten
muss ihm doch Weihnachten Freude bringen? Nach so viel Peinlichkeiten muss ihm
doch Weihnachten Frieden bringen? Nach so viel Scherereien muss ihm doch
Weihnachten Glückseligkeit bringen? Pfeifendeckel. Weihnachten bringt dem Josef
etwas ganz anderes.
Josef
wollte nichts wie heim. Der klapprige Viehstall war kein Dauerquartier. Die
bockelharte Holzkrippe war kein Paitibett. Maria und das Baby brauchten endlich
ein warmes Nest. Für Josef war der Heimweg dran. Aber dann hatte er nachts eine
Erscheinung. Nicht so wie jener Pfarrer auf der Kanzel. Mitten in der Predigt
sackte er zusammen und verschwand hinter dem Pult. Lähmendes Entsetzen in der
Kirche. Nach einigen Schrecksekunden tauchte der Schwarzkittel wieder auf und
erklärte: »Liebe Gemeinde, ich hatte eben eine Erscheinung, eine
Alterserscheinung.« Josef hatte keine Alterserscheinung, sondern eine
Gotteserscheinung. Ein Engel befahl ihm: »Steh auf. Nimm deine family, flieh
nach Ägypten.« Und Josef rappelte sich nicht auf und stotterte: »Impossible.
Das Kind ist neu geboren. Es verträgt keine Strapazen.« »Steh auf und flieh!«
und Josef hakte nicht nach und schlotterte: »Aber Herr, ich habe doch nichts
ausgefressen Warum soll ich mich aus dem Staub machen?« »Steh auf und flieh!«
Und Josef setzte nicht noch einen drauf und rief: »Aber Herr, ich bin doch in
Galiläa zuhause. Was soll ich in Ägypten?« »Steh auf und flieh!« Und dann? Josef
stand wortlos auf, packte Kind und Mutter und marschierte Richtung Süden. Genau
so wie seine Vorfahren. Josef, Jakobs Sohn, stand auf und marschierte mit
fiesen Sklaventreibern nach Ägypten. Elf Burschen, Josefs Brüder, standen auf
und marschierten mit leeren Getreidesäcken nach Ägypten. Jakob, der Erzvater,
stand auf und marschierte mit seiner Großfamilie nach Ägypten. Ägypten ist
nicht nur ein Name aus der Geografie, sondern ein Begriff der Theologie.
Ägypten meint Ängste. Ägypten meint Fremde. Ägypten meint Hitze. Die heilige
Familie ist auf dem Weg nach Ägypten.
Liebe
Freunde, wer sich dieser Familie anschließen will - und darum geht es, daß wir
uns endlich auf die Socken machen und Familienglieder dieser Gottesfamilie
werden - der hört nicht nur die Stimme »Fürchtet euch nicht« oder die Nachricht
»Euch ist heute der Heiland geboren« oder den Jubel »Ehre sei Gott in der
Höhe«, der hört auch den Befehl: »Steh auf und marschier mit.« Sage bitte
nicht: »Ich vertrag keine Strapazen. Ich habe nichts auf den Kerbholz. Warum
jetzt in diese Richtung?« Nicht der Heimweg ins warme Nest ist dran. Die
Gottesfamilie ist auf dem Weg nach Ägypten.
Wundere
dich nicht, wenn dein Weg ganz anders aussieht, als du geplant hast. Du
wolltest Student werden. Jetzt bist du Azubi. Die Fabrik ist Ägypten für dich.
Du wolltest Mediziner werden. Jetzt bist du Krankenpfleger. Die Station ist
Ägypten für dich. Du wolltest zu zweit glücklich werden. Jetzt hockst du
allein. Das Zimmer bei den Eltern ist Ägypten für dich. Aber versteh: der
andere Weg führt nie aus Gottes Schutzzone hinaus. Seine Macht endet nicht an
den Landesgrenzen. Sie ist durch keinen Schlagbaum begrenzt. Sie wird bei der
Jesusfamile am Nil genau so zu spüren sein wie später am Jordan. Gottes
Schutzengel sind auch und gerade in Ägypten. Gerade auf dem andern Weg, der oft
so unverständlich und unbegreiflich ist, kannst du mit seiner Gegenwart
rechnen. Was Weihnachten dem Josef bringt: Den andern Weg.
Josef
wollte unter allen Umständen das Leben des Kindes retten. Das war sein Ziel.
Jeder Vater will das, wenn er kein Rabenvater ist. Manchmal gehen einem die
Kids auf den Geist. Bei uns kam es vor, dass Bauklötze und Legoteile wie
Raketen durchs Kinderzimmer flogen und sogar den Wandspruch trafen: »Siehe. wie
fein und lieblich ist es, wenn Kinder einträchtig beieinander wohnen«. Aber
solche Scharmützel gingen vorbei und konnten die Vaterliebe nicht trüben. Josef
wollte das Beste für Jesus und deshalb war es das Beste, im ägyptischen Asyl zu
bleiben. Denn dort hörte er aus Israel von neuen Bluttaten des alten Bluthundes
Herodes. Der hatte schon den Hiskia mit seinen Widerstandskämpfern
niedermetzeln lassen. Dann trieb er ganze Familien in die Felshöhlen von
Galiläa und räucherte sie mit Feuerbränden aus. Dann legte er zwei seiner Söhne
um, weil er den Machtverlust fürchtete. Noch 3 Tage vor seinem Tod erdrosselte
er seinen dritten Sohn. Ein Schlächter der Sonderklasse. Jetzt ging er auch
noch gegen die Kinder vor. Alle Ein-Zweijährigen mussten laut königlichem
Befehl ans Messer geliefert werden.
Immer
geht es auf Kosten der Kinder. Damals waren es die Kinder von Bethlehem, die
von den Milizen aus den Armen der Mütter gerissen und getötet wurden wie das
Vieh. Dann waren es die Kinder von Berlin, die 1938 aus dem jüdischen
Krankenhaus abtransportiert wurden. »Die Schreie der Babies, die mitten in der
Nacht aus ihren Betten geholt wurden, war wohl das Schlimmste« schreibt ein
Augenzeuge. Dann waren es die Kinder von Dresden und Hiroshima, die im
Feuersturm wie Fackeln brannten. Dann waren es die Frischlinge im Archipel
Gulag, die wie Sperrmüll entsorgt wurden. Heute sind es die Kinder von Christen
auf der indonesischen Insel Sulawesi, die von Jihad-Kämpfern überfallen und
vertrieben werden. Nicht zu vergessen die Millionen Kinder von Müttern, die bei
uns aus welchen Gründen auch immer schon vor ihrer Geburt ermordet werden.
Immer auf dem Buckel der Kinder! Deshalb nahm Josef Fremde, Hitze, Entbehrung
auf seinen Buckel, um das Kind zu retten.
Wie
lange sie im Exil waren, weiß ich nicht. Nur eines weiß ich, dass auch
Bluthunde nur eine begrenzte Zeit haben, um Blut zu vergießen. Als Herodes tot
war, gings zurück nach Nazareth. Für Jesus folgten Jugendjahre, Lernjahre,
Arbeitsjahre, 30 Lebensjahre. Josef hatte sein Ziel erreicht, die Rettung des
Sohnes.
Und
dann packte der eines Tages seine Siebensachen und sagte: Tschüß. Mit 12
Freunden zog er durchs Land und rief: Tut Buße. Dann nahmen sie ihn fest und
verurteilten ihn zu Tode. Dann pflockten sie ihn aufs Holz und richteten den
Schandpfahl auf. War damit nicht die Rettung durch den Vater für die Katz?
Nein, Josef, das ist das andere Ziel: Nicht Rettung vor dem Kreuz, sondern für
das Kreuz. Der Schweizer Marti hat gesagt: »Nicht Ägypten ist Fluchtpunkt der
Flucht. Nicht Nazareth ist Fluchtpunkt der Flucht. Jesus wurde gerettet für
härtere Tage. Fluchtpunkt der Flucht ist das Kreuz.« Dort muss er hin. Dort
wird es ihn statt der Kinder treffen. Dort hat er den Gottesplan zu erfüllen,
der sein Leben zur Hingabe ans Kreuz bestimmt hat. Liebe Freunde, Jesus ist für
das Kreuz gerettet worden, nicht vor dem Kreuz, damit wir Rettung unterm Kreuz
erfahren. Was das heißt? Es gibt Gefahren auf der Straße. Einer kracht mit 100
in die Karre. Selbst der Airbag schützt nicht mehr. Der Verkehrstod ist
schlimm. Es gibt Gefahren im Beruf. Einer stürzt von der Bauleiter. Der Notarzt
kann nicht mehr helfen. Der Berufstod ist schlimm. Es gibt Gefahren mitten im
Leben. Einer kriegt Karziome. Chemo bringt nichts mehr. Der Krebstod ist schlimm.
Aber das Schlimmste ist der ewige Tod. An diese Gefahr denken wir in der Regel
nicht. In meiner Bibel steht nicht nur: »Sei getrost und fürchte dich nicht.«
Und die Zusammenfassung meiner Bibel lautet auch nicht: Friede, Freude,
Lebkuchen. In meiner Bibel steht: »Du hast mir Arbeit gemacht mit deinen
Sünden.« Luther hatte total recht, wenn er auf dem Reichstag von Worms sagte:
»Es ist die Furcht Gottes, deren wir zuerst bedürfen.« Nur wer einmal vor Gott
gezittert hat, dass er ewig verloren gehen könnte, wird sich am Kreuz freuen
können, dass er von Gott wegen Jesus gerettet wird. Der Blitzstrahl göttlichen
Zorns trifft den Sohn und ich bin frei. Erst als ich das einmal verstanden
habe, kapierte ich den Weihnachtsjubel: »Wonne, Wonne über Wonne, Christus ist
die Gnadensonne.« Was Weihnachten dem Josef bringt? Den andern Weg und das
andere Ziel. Viel anderes brauchst du auch nicht. Weg und Ziel, das Kreuz. Das
bringts.
Amen.