Konrad Eißler

„Galiläisch“ denken

"Jesus zog nach Galliläa zurück und wohnte in Kapernaum" (Matthäus 4, 12)

 

Der Kaiser Augustus zog nach Rom, als ihm die Kaiserkrone aufgesetzt wurde. Kaiser Karl der Große zog nach Aachen, als ihm die Kaiserwürde übertragen wurde. Napoleon zog nach Paris, um sich selbst zum Kaiser zu krönen. US-Präsident George W. Bush zog nach Washington, als er die Präsidentschaft antrat. Und Jesus zog sich nach Kapernaum zurück, als er sein „Königsamt“ begann. Ausgerechnet nach Kapernaum – nicht nach Jerusalem! Ausgerechnet in diese Räubergegend –  nicht in die Kult- und Kulturmetropole der Juden! Ausgerechnet in dieses Galiläa der Heiden – nicht in das Juda der Frommen! Wir denken oft „jerusalemisch“. Dabei müssten wir eigentlich „galiläisch“ denken – wie Jesus. Denn er geht zu den zweifelhaften Gestalten – zu denen, die Kratzer und Macken in ihren Biographien haben. Jesus geht zu den ungläubigen Typen, die mit Gott nichts am Hut haben. Jesus besucht die Zerlumpten und Ausgeflippten, die ihren guten Ruf verhökert und ihren guten Namen verspielt haben. Jesus macht von Anfang an sein „Regierungsprogramm“ klar: „Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.“ Nur wenn wir galiläisch denken, werden wir seinen Entschluss einsehen. Nur wenn wir„Galiläer“ sind, solche mit Fehlern und Verfehlungen, mit Sünden und Verschuldungen, werden wir seinen Auftrag verstehen.