18. Juni 1987
31. Ludwig-Hofacker-Konferenz
Da sitze im am späten
Abend noch im Sitzungszimmer. Der Unternehmer hatte mich um Rat gefragt. Das
Problem war in kurzer Zeit geklärt worden. Aber kurz vor dem Aufbruch hatte
mich der Unternehmer gefragt: „Wie beurteilen Sie die Zukunft unserer Wirtschaft?“
Wir waren uns schnell einig geworden: Es gibt vieles zu tun, es gibt einige
Nüsse zu knacken, wenn wir den Fortbestand der Unternehmen sichern und die
Arbeitsplätze erhalten wollen. Aber da ist noch eine Frage, die mich
beschäftigt und die ich vor dem Verabschieden an meinen Gesprächspartner
weitergeben will: „Wie denken Sie über Ihre persönliche Zukunft?“ Zugegeben – eine
unerwartete Frage. Aber mein Gesprächspartner fühlt sich angesprochen, bittet
mich, nochmals Platz zu nehmen – und nun folgt der wichtigste Teil unserer
Aussprache: „Wie habe ich persönlich Zukunft?“ Wie oft aber reden wir über
Sachprobleme und vergessen die wichtigste persönliche Frage: „Wie kann ich richtig
leben? Was nützt mir der Erfolg in meinen beruflichen Zielen, wenn ich in
meinem persönlichen Leben kein klares Ziel habe?“
Hunger ist ausgebrochen
Bei unzähligen Menschen
ist heute ein Hunger da, ein bohrender Hunger nach einer Antwort, auf die man
sich verlassen kann. Nicht viele Worte sind gefragt, nicht Theorie, vielmehr
eine Antwort, die im Leben sich auswirkt, die wirklich greift und auch trägt.
Jedem denkenden Menschen muss
es eigentlich klar sein, dass ich erst
dann richtig zu leben anfange, wenn ich nach Gott frage, wenn ich mich von ihm,
dem großen Schöpfer, in Frage stellen lasse: „Du Gott, der Du mich geschaffen
hast, was ist Dein Ziel für mein Leben?“ Wenn ich diese göttliche Konzeption
für mein Leben nicht kenne – ist dann nicht überhaupt alles konzeptionslos?
Will ich denn meinem persönlichen Leben weniger Sorgfalt zukommen lassen als
meinem Pkw, den ich auch regelmäßig zur großen Inspektion gebe?
„Freuen dürfen sich alle,
die Hunger und Durst empfinden, dass Gottes Wille geschieht, denn ihre Sehnsucht
soll erfüllt werden“ (Matthäus 5, 6). Dies kann heute erlebt werden. Aber sind
nicht viele Menschen enttäuscht, weil Religion ihre Sehnsucht nicht erfüllt,
vielmehr den Stress ihres Lebens nur verstärkt? Reden nicht manche von Gott und
meinen oft ihre eigenen Interessen? Wie kann ich Gott wirklich kennen lernen?
Wie kann ich wissen, was er von mir will?
Ich bin so froh, dass es
hier eine Antwort gibt. Es gibt eine Autorität, die diese Antwort verkörpert:
Jesus Christus. Er ist der einzige, der die göttliche Vollmacht hat, meinem
Leben neuen Inhalt zu geben. Was alle Religionen fordern – ein besserer Mensch
zu werden –, das fordert er nicht nur, das schafft er, verwirklicht er, immer
da, wo einzelne Menschen sich ihm öffnen.
Ich sehe sie vor mir,
Erfolgreiche, Selbstsichere und auch von schwerem Erleben Gezeichnete. Ich habe
erlebt, wie sie suchten. Es war der Hunger nach dem echten Leben, der sie
trieb. Mit ihnen habe ich empfunden und dann erlebt, wie nur einer wirklich
Erfüllung schenken kann. Ob wir in der Mitte unseres Lebens stehen oder ob wir –
wie mancher rebellische junge Mensch – das Leben noch vor uns haben: nur einer
hat den Schlüssel für ein erfülltes Leben – Jesus.
Gefährliche Sattheit
Für mich ist dies das
Faszinierendste in meinem ganzen Berufsleben: Eine Generation, die geprägt war
vom Glauben an den Erfolg, und die nur das gelten ließ, was rational beweisbar
war oder sich in klingende Münze umwandeln ließ – sie ist zur hungrigen
Generation geworden. Etwa Mitte der 70er Jahre ist dies ausgebrochen, dieser
Hunger nach Neuem. Eine Generation, die in ihrer Selbstsicherheit erschüttert
wurde, fing an, nach einer neuen, gültigen Orientierung zu fragen. Wo aber
waren Menschen mit einer Antwort?
Die Christen waren meist
unter sich, mit sich beschäftigt und nicht in der Lage, den neu aufbrechenden
Hunger nach Evangelium angemessen zu begegnen. Es kamen dann andere, die
nutzten die Gunst der Stunde und gaben ihre Antworten, wo wir Christen versagt
hatten. Es kamen Gurus und Bhagwan, es kamen Ideologen und Therapeuten
verschiedenster Couleur. Ob es die gefährlichen Lockungen des „Heimholungswerkes“
sind oder die des verführerischen „New Age“ – Hunderttausende von Menschen
haben sich diesem gefährlichen Sog ergeben, weil die anderen nicht greifbar
waren, die glaubwürdig die Antwort von Christus hätten bringen sollen.
Gibt es denn nicht
genügend christliche Aktivitäten, ein reichliches Angebot von Veranstaltungen
für alle, die etwas suchen? Ja, das gibt es, fast verschwenderisch, wenn wir
bedenken, mit welchem Aufwand manch guter Vortrag vor vielen unbesetzten
Stühlen gehalten wird. Die Vorbehalte gegen Religion und ihre Institutionen
sind weit verbreitet, die Enttäuschung an den Christen ist groß, aber es gibt ein starkes Interesse an Christus
selbst.
Der Hunger von vielen nach
der Botschaft von Christus verlangt nicht nach satten Christen, sondern nach
solchen, die von neuem Hunger nach Ihm durchdrungen sind und dadurch eine
wohltuende Anziehungskraft ausüben.
Was wir brauchen
Dies wünsche ich mir
einfach – für Sie und für mich: diesen neu aufbrechenden Hunger nach Jesus,
nach der vertrauten Gemeinschaft mit ihm. Wenn dies unter uns Wirklichkeit wird
– diese neue Sehnsucht, diese Liebe zu unserem Herrn –, dann kann es
Auswirkungen haben auf unsere Umgebung!
Dies ist auch der wichtigste
Beitrag, den wir Christen – und nur wir – für unsere Gesellschaft bringen
können. Die Welt braucht Menschen, die unter Gott stehen und die durch gelebte
Zuversicht und in betender Vollmacht hineinwirken in die Gesellschaft.
Hat es dann auch
tatsächlich Auswirkungen? Wenn Jesus mir heute wichtig ist, und wenn ich heute
mein Leben an seinem Willen ausrichte, dann kann dies nicht ohne Auswirkung
sein für meine Umgebung. Aber die Voraussetzung ist: Nur echter Glaube (nicht
Theorie) und das, was frisch im Glauben erlebt wird, findet Beachtung. Können
wir dabei nicht auch von der Welt lernen? Wer seine Tageszeitung beim Kiosk
kaufen will, lässt sich nicht mit der Ausgabe von vorgestern abspeisen. Unser
Brot kaufen wir auch dort am liebsten, wo nicht die Ladenhüter der vorigen
Woche angeboten werden, sondern wo der angenehm-knusprige Geruch frischer
Backwaren uns einfach anzieht und überzeugt.
Ich staune immer wieder
vor der Tiefe und Aktualität der Bibel. Hier wird für Hungrige Lebensbrot
geboten. Nur wenn wir weitergeben, können wir neu empfangen. Und was wir den
Hungernden weitergeben – es sollen nicht die übrig gebliebenen harten,
angeschimmelten Brocken sein. Nur frisches Lebensbrot zieht Menschen an.
Manchmal frage ich mich,
wie lange wohl noch die Offenheit für das Evangelium unter den Menschen von
heute andauert? Es ist die entscheidende Frage, ob einzelne Christen sich neu
rufen lassen, in einer Welt der Ratlosigkeit ein Botschafter für Christus zu
werden?
Für einen glaubwürdigen
Botschafter gelten zwei unverzichtbare Bedingungen: Er muss beständige, enge
Verbindung halten zu seinem Auftraggeber. Und er muss die Sprache und die
Sitten seines Wirkungsfeldes beherrschen.
Auf beiden Gebieten haben
wir bedenkliche Defizite. Aber wenn wir wollen, können wir dran arbeiten, bei
unserem Herrn neu in die Schule gehen. Wir brauchen ein Trainingsfeld für
Botschafter, die nicht auf jede Frage eine Antwort wissen müssen, aber die
Verstehen, mit Hungernden
umzugehen.