Martin
Luther
(1521)
[WA
7, 546–601]
Jesus
Dem
Durchlauchten und hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Johann Friedrich,
Herzog zu Sachsen, Landgraf zu Thüringen und Markgraf zu Meißen, meinem
gnädigen Herrn und Patron. Untertäniger Kaplan
D.
Martinus Luther.
Durchlauchter,
hochgeborner Fürst, gnädiger Herr!
Für
Eure Fürstliche Gnaden sind meine Gebete und Dienste
allezeit bereit. Gnädiger Herr, ich hab E.F.G. gnädiges Schreiben, das mir
jüngst übergeben wurde, untertänig empfangen und allen tröstlichen Inhalt mit
Freuden vernommen. Weil ich aber E.F.G. nun lange Zeit verheißen habe und
schuldig bin, das Magnificat zu erklären, woran mich die leidigen Händel vieler
Widersacher so oft gehindert haben, hab ich mir vorgenommen, auf die Schrift
E.F.G. zugleich mit diesem Büchlein zu antwortet. Ich habe gedacht, es könnte
mein längeres Verzögern mir eine Schamröte einbringen und der Behelf fernerer
Ausrede nicht am Platze sein; denn sonst versäume E.F.G. junges Gemüt, dass es
zur Liebe göttlicher Schrift geneigt und durch weitere Übung derselben mehr
erhitzt und gestärkt würde, wozu ich E.F.G. göttliche Gnade und Beistand
wünsche.
Denn
das ist sehr nötig, weil an der Person eines solchen großen Fürsten vieler
Leute Heil liegt, wenn er seinem Eigenwillen entzogen und von Gott gnädig
regiert wird, wiederum vieler Verderben, wenn er sich selbst überlassen und
ungnädig regiert wird. Denn obwohl aller Menschen Herzen in der allmächtigen
Hand Gottes sind, ist's doch nicht umsonst allein von den Königen und Fürsten
gesagt: »Das Herz des Königs ist in Gottes Hand, der kann es wenden, wohin er
will.« (Sprüche 21, 1) Damit will Gott seine Furcht
den großen Herren einprägen, dass sie lernen sollen, wie sie gar nichts denken
können, was Gott ihnen nicht auf besondere Weise eingibt. Anderer Menschen Tun
bringt nur ihnen selbst oder gar wenigen Leuten Frommen oder Schaden. Aber
Herren sind nur dazu gesetzt, dass sie anderen Leuten schädlich oder nützlich
sind, um so mehr, je weiter sie regieren. Darum nennt
auch die Schrift fromme, gottesfürchtige Fürsten Engel Gottes, ja auch Götter.
Wiederum schädliche Fürsten nennt sie Löwen, Drachen und wütende Tiere, welche
Gott selbst heißt seiner vier Plagen eine, da er aufzählt: Pestilenz, Teuerung,
Krieg und wütende Tiere (Hesekiel 14, 21).
Denn
ein menschlich Herz, von Natur Fleisch und Blut, ist aus sich selbst leicht
vermessen. Und wo ihm Gewalt, Gut und Ehre dazu in die Hand gegeben sind, wird
es durch solche starke Ursache zur Vermessenheit und allzu freier Sicherheit
noch mehr bewegt, so dass es Gottes vergisst, seiner Untertanen nicht achtet.
Und weil es Raum hat, ohne Strafe übel zu tun, fährt es zu und wird ein Tier,
tut nur, was ihn gelüstet, und ist mit Namen ein Herr, aber mit der Tat ein
Unhold. Darum hat auch der weise Mann Bias wohl geredet: Am Regieren zeigt
sich, was einer für ein Mann ist. Denn die Untertanen wagen nicht, aus sich
herauszugehen, aus Furcht vor der Obrigkeit. Darum tut's allen Oberherren not,
weil sie Menschen nicht zu fürchten haben, dass sie Gott mehr fürchten als
andere, ihn und seine Werke gut erkennen und sorgsam vorgehen, wie St. Paulus
sagt Römer 12, 8: »Wer da regiert, der sei sorgfältig.«
Nun
weiß ich in der ganzen Schrift nichts, das so gut hierzu dient, wie dies
heilige Lied der hoch gesegneten Mutter Gottes, das wahrhaftig allen, die gut
regieren und heilsam Herren sein wollen, gut zu lernen und zu behalten ist. Sie
singt in der Tat hierin aufs allerlieblichste von der Gottesfurcht, und was er
für ein Herr sei vor allem, welches seine Werke sind
in den hohen und niedrigen Ständen. Lass einen andern zuhören seinem Mädchen,
die ein weltliches Lied singt. Dieser züchtigen Jungfrau hört billig zu ein
Fürst und Herr, die ihm ein geistliches, reines, heilsames Lied singt. Es ist
auch kein unbilliger Brauch, dass in allen Kirchen dies Lied täglich in der
Vesper gesungen wird, dazu, verglichen mit anderem Gesang, auf eine besondere,
angemessene Weise. Diese zarte Mutter Gottes wolle mir erwerben den Geist, der
solchen ihren Gesang nützlich und gründlich auslegen könne. Er gebe E.F.G. und
uns allen, heilsames Verstehen und löbliches Leben daraus zu nehmen und dadurch
im ewigen Leben loben und singen zu können dies ewige Magnificat. Das helfe uns
Gott, Amen. Hiermit befehle ich mich E.F.G.,
untertänig bittend, E.F.G. wolle mein geringes Vermögen mit gnädigem Willen
annehmen. Zu Wittenberg, am zehnten Tag des März anno 1521.
Lukas
1, 46-55
46
Mein Seele erhebt Gott den Herrn.
47
Und mein Geist freut sich in Gott, meinem Heiland.
48
Denn er hat mich, seine geringe Magd, angesehen; darum werden mich selig preisen
Kindeskinder ewiglich.
49
Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und des Name heilig
ist.
50
Und seine Barmherzigkeit währt von einem Geschlecht zum andern, bei allen, die
ihn fürchten.
51
Er wirket gewaltig mit seinem Arm, und zerstreuet, die hoffärtig sind in ihres
Herzens Sinn.
52
Er stößt die Gewaltigen vom Thron, und erhebt die Niedrigen.
53
Die Hungrigen füllt er mit Gütern und die Reichen lässt er leer.
54
Er denkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf.
55
Wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.
Um
diesen heiligen Lobgesang ordentlich zu verstehen, ist (darauf) zu merken, dass
die hochgelobte Jungfrau Maria aus eigner Erfahrung redet, darin sie durch den
heiligen Geist erleuchtet und gelehrt worden ist. Denn es kann niemand Gott
noch Gottes Wort recht verstehen, er hab’s denn unmittelbar von dem heiligen
Geist. Niemand kann’s aber von dem heiligen Geist haben, er erfahre es, versuch’s
und empfinde es denn. Und in dieser Erfahrung lehrt der heilige Geist als in
seiner eigenen Schule, außerhalb derer nichts gelehrt wird als nur leere Worte und
Geschwätz. So lehret der heilige Geist die heilige Jungfrau, als sie an ihr
selbst erfahren hat, dass Gott in ihr so große Dinge wirket, obwohl sie doch gering,
unansehnlich, arm und verachtet gewesen, diese reiche Kunst und Weisheit, dass
Gott ein solcher Herr sei, der nichts anderes zu schaffen habe, als nur zu
erhöhen, was niedrig ist, zu erniedrigen, was da hoch ist, und kurz: (zu
zer)brechen, was da gemacht ist, und (ganz zu) machen, was zerbrochen ist. Denn
gleich wie er im Anfang aller Kreaturen die Welt aus nichts schuf, davon er
»Schöpfer« und »allmächtig« heißet, so bleibt er unverändert dabei, auf solche
Art zu wirken, und alle seine Werke bis ans Ende der Welt sind noch so
beschaffen, dass er aus dem, das nichts, gering, verachtet, elend, tot ist, etwas
Kostbares, Ehrenvolles, Seliges und Lebendiges macht. Umgekehrt macht er alles,
was etwas, kostbar, ehrenvoll, selig, lebendig ist, zunichte, gering, verachtet,
elend und sterbend. Auf diese Weise kann keine Kreatur wirken, (sie) vermag
nicht etwas aus nichts zu machen. Seine (Gottes) Augen sehen so nur in die
Tiefe, nicht in die Höhe, wie Daniel (im Gesang der drei Männer im Feuerofen)
sagt: »Du sitzest über den Cherubim und siehest in die Tiefe«, und Psalm 138,
6: »Der Herr ist hoch und sieht auf das Niedrige und die Stolzen kennet er von
ferne.« Ebenso Psalm 113, 5: »Wo ist ein solcher Gott
wie der unsere, der da sitzt in höchster Höhe und auf das Niedrige sieht im
Himmel und auf Erden?« Denn dieweil er der
Allerhöchste und nichts über ihm ist, kann er nicht über sich sehen, kann auch
nicht neben sich sehen. Dieweil ihm niemand gleich ist, muss er notwendig in
sich selbst und unter sich sehen, und je tiefer jemand unter ihm ist, desto
besser sieht er ihn.
Aber
die Welt und die Menschenaugen tun das Gegenteil, sie sehen nur über sich,
wollen unbedingt hoch fahren, wie Sprüche 30, 13 steht: »Es ist ein Volk,
dessen Augen in die Höhe sehen und seine Augenlider sind in die Höhe gerichtet.« Das erfahren wir täglich, wie jedermann nur über sich
(hinaus) zur Ehre, zur Gewalt, zum Reichtum, zur Gelehrsamkeit, zu gutem Leben
und allem, was groß und hoch ist, hinstrebt. Und wo solche Menschen sind, denen
hängt jedermann an, da läuft man (hin)zu, da dienet man gern, da will jedermann
sein und der Höhe teilhaftig werden, so dass nicht umsonst so wenig Könige und Fürsten
in der Schrift als fromm beschrieben sind. Umgekehrt will niemand in die Tiefe
sehen, wo Armut, Schmach, Not, Jammer und Angst ist,
davon wendet jedermann die Augen ab. Und wo solche Leute sind, davon läuft
jedermann weg, da fliehet, da scheuet, da (ver)lässt man sie und denkt niemand (daran),
ihnen zu helfen, beizustehen und zu machen, dass sie auch etwas sind. Sie
müssen so in der Tiefe und niedrigen, verachteten Masse bleiben. Es ist hier kein
Schöpfer unter den Menschen, der aus dem Nichts etwas machen wolle, wie doch
Paulus Römer 12, 16 lehret und sagt: »Liebe Brüder, trachtet nicht nach hohen
Dingen, sondern haltet euch herunter zu den niedrigen.«
Darum
bleibt Gott allein solch Ansehen, das in die Tiefe, Not und Jammer sieht, und
er ist allen denen nahe, die in der Tiefe sind, wie 1. Petrus 5, 5 sagt: »Den
Hohen widerstehet er, den Niedrigen gibt er eine Gnade.« Und aus diesem Grund
fließt nun die Liebe und das Lob Gottes. Es kann ja niemand Gott loben, er habe
ihn denn zuvor lieb. (Eben)so kann ihn niemand lieben, er sei ihm denn aufs
lieblichste und allerbeste bekannt. (Eben)so kann er (uns) nicht so bekannt
werden, außer durch seine Werke, (die er an) uns erzeigt, die wir gefühlt und
erfahren (haben). Wo aber erfahren wird, wie er ein solcher Gott ist, der in
die Tiefe sieht und nur den Armen, Verachteten, Elenden, Jammervollen,
Verlassenen hilft und denen, die gar nichts sind, da wird er (dem Menschen) so
von Herzen lieb, da geht das Herz über vor Freuden, hüpft und springt vor
großem Wohlgefallen, das es an Gott bekommen hat. Und da ist dann der heilige
Geist, der hat solch überschwängliche Kunst und Lust in einem Augenblick durch
die Erfahrung gelehrt.
Darum
hat Gott auch den Tod auf uns alle gelegt und seinen allerliebsten Kindern und
Christen das Kreuz Christi mit unzähligen Leiden und Nöten gegeben. Ja, (er) lässt
sie auch zuweilen in Sünde fallen, auf dass er ja viel in die Tiefe zu sehen
hätte, vielen helfen, viel wirken, sich als einen rechten Schöpfer erzeigen und
damit sich bekannt, lieblich und löblich machen könnte. Darin widerstrebt ihm
leider doch die Welt mit ihren fehlsichtigen Augen ohne Unterlass und hindert
ihn an seinem Sehen, Wirken, Helfen, Erkenntnis, Lieb und Lob, und beraubt ihn
aller solcher Ehre, dazu sich selbst ihrer Freude, Lust und Seligkeit. So hat
er auch seinen einzigen liebsten Sohn Christus selbst in die Tiefe alles
Jammers geworfen, und an ihm vortrefflich sein Sehen, Werk, Hilfe, Art, Rat und
Willen erzeigt, wo das alles hin gerichtet sei. Deshalb bleibt auch Christus,
darin vortrefflich erfahren, voller Bekenntnis, Lieb und Lob Gottes ewiglich, wie
der Psalm 21, 7 sagt: »Du erfreust ihn mit Freude vor deinem Angesicht.« Das ist, dass er dich sieht und erkennt. Davon sagt auch
Psalm 45, 18, dass alle Heiligen nichts anderes tun werden, als Gott im Himmel
loben, dass er sie in ihrer Tiefe angesehen und sich allda ihnen bekannt,
lieblich und löblich gemacht hat.
So
tut auch hier die zarte Mutter Christi. Sie lehrt uns mit dem Exempel ihrer
Erfahrung und mit Worten, wie man Gott erkennen, lieben und loben soll. Denn
dieweil sie sich hier mit fröhlichem, springendem Geist rühmt und Gott lobet,
er habe sie angesehen, obwohl sie niedrig und nichts gewesen sei, muss man
glauben, dass sie arme, verachtete, geringe Eltern gehabt (hat). Damit wir’s um
der Einfältigen willen deutlich vor Augen stellen: es sind ohne Zweifel der obersten
Priester und Ratsherren Töchter zu Jerusalem wie auch noch in vielen anderen
Städten reich, hübsch, jung, gelehrt und aufs ehrenvollste im Ansehen des
ganzen Landes gehalten gewesen (wie jetzt der Könige, Fürsten und Reichen
Töchter). Auch zu Nazareth, in ihrer (Heimat)Stadt, ist sie nicht der obersten
Regenten, sondern eines einfachen, armen Bürgers Tochter gewesen, auf welche
niemand groß gesehen noch acht gehabt hat. Und sie (ist) unter ihren Nachbarn
und (deren) Töchtern ein schlichtes Mägdlein gewesen, das des Viehes und des
Hauses gewartet (hat und ist) ohne Zweifel nicht mehr gewesen, als jetzt eine
arme Hausmagd, die da tut, was man sie im Hause zu tun heißt, sein mag.
Denn
so hat Jesaja 11, 1-2. verkündigt: »Es wird eine Rute aufgehen von dem Stamm
Jesse und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen, auf welchem wird ruhen
der Geist des Herrn.« Der Stamm und die Wurzel ist das
Geschlecht Jesse oder David, sonderlich die Jungfrau Maria, die Rute und der Zweig
ist Christus. Nun, wie es nicht vorherzusehen, ja unglaublich ist, dass aus
einem dürren, faulen Stamm und Wurzeln
eine schöne Rute und Zweigwachse, so war es auch nicht vorherzusehen, dass Maria,
die Jungfrau, eines solchen Kindes Mutter werden sollte. Denn ich meine, sie
sei nicht allein deshalb ein Stamm und eine Wurzel genannt, weil sie übernatürlich,
in unversehrter Jungfrauschaft eine Mutter geworden ist, wie es übernatürlich
ist, dass eine Rute aus einem toten Baumstumpf wächst, sondern auch deshalb,
weil der königliche Stamm und das Geschlecht Davids, welches einmal in großer Ehre,
Gewalt, Reichtum und Glück zu Davids und Salomons Zeiten grünte und blühte,
auch vor der Welt ein hohes Ding war. Aber zum Schluss, als Christus kommen
sollte, hatten die Priester diese Ehre an sich gebracht und regierten allein,
und war das königliche Geschlecht Davids vor Armut und Verachtung wie ein toter
Baumstumpf, so dass nicht mehr Hoffnung noch Anschein da war, dass von ihm
wieder ein König zu großen Ehren kommen sollte. Und eben da solche
unansehnliche Gestalt am weitesten entwickelt war, kommt Christus und wird von
dem verachteten Stamm, von dem geringen armen Dirnlein geboren. (So) wächst der
Zweig und die Blume daher von der Person, welche Herrn Hannas' und Kaiphas'
Tochter nicht würdig geachtet hätten, dass sie ihnen ihre geringste Magd sein
sollte. So gehen Gottes Werke und Augen in die Tiefe, Menschengesicht und -werk
nur in die Höhe. Das ist nun die Ursache ihres Lobgesangs. Den wollen wir nun
von Wort zu Wort hören.
Das
Wort geht aus großer Brunst und überschwänglicher Freude daher, darin sich ihr
Gemüt und inwendiges Leben im Geist ganz erhebt. Darum sagt sie nicht: ich
erhebe Gott, sondern: »meine Seele«, als wollte sie sagen: es schwebt mein
Leben und alle meine Sinne in Gottes Liebe, Lob und hohen Freuden, dass ich,
meiner selbst nicht mächtig, mehr erhoben werde, als mich selbst zu Gottes Lob
erhebe; wie denn allen denen geschieht, die im Geist mit göttlicher Süßigkeit erfüllt
werden, dass sie mehr fühlen, als sie sagen können. Denn es ist kein
Menschenwerk, Gott mit Freuden loben. Es ist mehr ein fröhliches Leiden und allein
ein Gotteswerk, das sich nicht mit Worten lehren sondern nur durch eigene
Erfahrung kennen (lernen) lässt, wie David Psalm 34, 9 sagt: »Schmecket und
sehet, wie freundlich der Herr ist, wohl dem, der auf ihn traut.« Erst setzt er Schmecken, dann das Sehen, deshalb weil
sich’s nicht ohne eigene Erfahrung und Fühlen erkennen lässt, zu welcher doch
niemand kommt, er traue denn Gott mit ganzem Herzen, wenn er in der Tiefe und
Not ist. Darum schließt er sogleich an: »Wohl dem, der auf ihn trauet«, denn
dieser wird Gottes Werk in sich erfahren und so zum Empfinden der Süßigkeit
(und) dadurch zu allem Verstand und Erkenntnis kommen.
Wir
wollen ein Wort nach dem andern erwägen.
Das
erste (ist): »Meine Seele.« Die Schrift teilet den Menschen
in drei Teile, wie Paulus 1. Thessalonicher 5, 23 sagt: »Gott, der ein Gott des
Friedens ist, der heilige euch durch und durch, so dass euer Geist ganz samt Seele
und Leib unsträflich bewahrt bleibe auf die Ankunft unseres Herrn Jesus
Christus.« Und ein jegliches dieser drei wird samt dem
ganzen Menschen auf eine andere Weise in zwei Stücke aufgeteilt, die da Geist
und Fleisch heißen. Das ist eine Teilung nicht der Natur, sondern der
Eigenschaft (nach). Das heißt: die Natur hat drei Stücke – Geist, Seele, Leib –
und (diese) können allesamt gut oder böse sein, denn das heißt Geist und
Fleisch sein, wovon jetzt nicht zu reden ist.
Das
erste Stück, der Geist, ist der höchste, tiefste, edelste Teil des Menschen,
mit dem er fähig ist, unbegreifliche, unsichtbare, ewige Dinge zu fassen, und ist,
kurz gesagt, das Haus, da der Glaube und Gottes Wort drinnen wohnt. Davon sagt
David Psalm 51, 12 »Herr, gib mir einen neuen, gewissen Geist«, d.h. einen
aufrechten, starken Glauben; umgekehrt (sagt er) von den Ungläubigen Psalm 78,
37: »Ihr Herz war nicht fest an ihm, sie hielten nicht treulich an seinem Bunde.«
Das
zweite, die Seele, ist ebenderselbe Geist der Natur nach, aber doch in einer
anderen Aufgabe, nämlich in der, da er den Leib lebendig macht und durch ihn
wirket, und wird in der Schrift oft für »das Leben« genommen. Denn der Geist
kann wohl ohne den Leib leben, aber der Leib lebt nicht ohne den Geist. Dies
Stück sehen wir, wie es auch im Schlaf und ohne Unterlass lebt und wirkt. Und
seine Art ist nicht, die unbegreiflichen Dinge zu fassen, sondern was die
Vernunft erkennen und ermessen kann. Die Vernunft ist nämlich hier das Licht in
diesem Hause, und wo der Geist nicht, mit dem Glauben als mit einem höheren
Licht erleuchtet, dies Licht der Vernunft regiert, so kann sie nimmer ohne
Irrtum sein. Denn sie ist zu gering, über göttliche Dinge zu handeln.
Diesen
zwei Stücken eignet die Schrift viel Dinge zu, wie Weisheit und Erkenntnis, die
Weisheit dem Geist, die Erkenntnis der Seele, danach auch Hass, Liebe, Lust, Gräuel
und desgleichen.
Das
dritte ist der Leib mit seinen Gliedern, dessen Werke sind nur Betätigung und
Gebrauch dessen, was die Seele erkennt und der Geist glaubt.
Und damit wir ein Gleichnis dafür aus der Schrift anzeigen: Mose machte (vgl.
2. Mose 26, 33 f., 2. Mose 40, 1 ff.) ein Tabernakel mit drei unterschiedlichen
Gebäuden. Das erste hieß »Allerheiligstes«, darin wohnt Gott und war kein Licht
drinnen. Das zweite (hieß) »Heiliges«, darin stand ein Leuchter mit sieben
Röhren und Lampen. Das dritte hieß der »Vorhof«, das war öffentlich unter dem
Himmel in der Sonne Licht. In diesem Bild ist ein Christenmensch abgemalt: Sein
Geist ist das Allerheiligste, Gottes Wohnung im finsteren Glauben ohne Licht;
denn er glaubt, was er nicht sieht, noch fühlet noch begreifet. Seine Seele ist
das Heilige, da sind sieben Lichter, d.h. allerlei Verstand,
Unterscheidungsgabe, Wissen und Erkenntnis der leiblichen, sichtbaren Dinge.
Sein Körper ist der Vorhof, der ist jedermann offenbar, dass man sehen kann,
was er tut und wie er lebt.
Nun
bittet Paulus 1. Thessalonicher 5, 23, Gott, der ein Gott des Friedens ist,
wolle uns heilig machen, nicht in einem Stück allein, sondern ganz und gar,
durch und durch, dass Geist, Seele und Leib und alles heilig sei. Über die
Ursache solches Gebetes wäre viel zu sagen; in Kürze: Wenn der Geist nicht mehr
heilig ist, so ist nichts mehr heilig. Nun ist der größte Streit und die größte
Gefahr in des Geistes Heiligkeit, welche nur in dem bloßen, lauteren Glauben
stehet; dieweil der Geist nicht mit begreiflichen Dingen umgeht, wie gesagt
ist. So kommen denn falsche Lehrer und locken den Geist heraus, einer gibt das
Werk vor, der andere die Weise, fromm zu werden. Sofern der Geist hier nicht
bewahret wird und weise ist, so fällt er heraus und folgt, kommt auf die
äußerlichen Werke und Weisen, meinet damit fromm zu werden: alsbald ist der
Glaube verloren und der Geist tot vor Gott.
Da
fangen denn mancherlei Sekten und Orden an, dass der eine ein Kartäuser-, der
andere ein Barfüßer(mönch) wird, der eine mit Fasten, der andere mit Beten,
einer mit dem, der andere mit einem anderen Werk selig werden will. Das sind
doch allesamt selbst erwählte Werke und Orden, von Gott nie geboten, nur von
Menschen erdacht, daneben sie nimmermehr den Glauben beherzigen. Sie lehren
immer forthin auf die Werke zu bauen, so lange, bis dass sie so tief darein kommen,
dass sie darob uneins werden, ein jeglicher will das beste sein und verachtet
den anderen, wie sich jetzt unsere Observanten brüsten und aufblasen. Wider
solche Werkheilige und fromm scheinenden Lehrer bittet Paulus hier und sagt,
Gott sei ein Gott des Friedens und der Einigkeit, welchen solche uneinigen,
unfriedfertigen Heiligen nicht haben noch behalten können. Es sei denn, dass
sie ihre Sache fallenlassen und allesamt im Geist und Glauben zusammenkommen und
erkennen, dass die Werke nur Unterschiede, Sünde und Unfrieden machen, aber
allein der Glaube fromm macht, einig und friedfertig, wie Psalm 133, 1 (sagt):
»Siehe wie fein und lieblich ist’s, dass Brüder einträchtig beieinander
wohnen.«
Der
Friede kommt auf keine andere Weise, als wenn man lehrt, wie kein Werk, keine
äußerliche Weise, sondern nur der Glaube fromm, gerecht und selig mache, das
ist gute Zuversicht in die uns versprochene, unsichtbare Gnade Gottes, wovon ich
im Sermon von den guten Werken viel gesagt (habe). Und wo der Glaube nicht ist,
da müssen viele Werke (sein), woraus dann Unfriede und Uneinigkeit folgt und so
kein Gott mehr dableibt. Darum begnügt sich Paulus hier (1. Thessalonicher 5,
23) nicht zu sagen: dass »euer Geist, eure Seele« usw., sondern: »euer ganzer Geist«.
Darauf kommt es ganz an, das bedeutet, als wollte er sagen: lasset euch durch
keine Lehre von den Werken irre (machen), der gläubige Geist hat es allein ganz
und gar. Es liegt nur am Glauben des Geistes. Diesen das ganze Erbe besitzenden
Geist bitte ich, wolle Gott euch vor den falschen Lehren behüten, die durch
Werke Zuversicht zu Gott machen wollen. Das sind doch falsche Gewissen, weil
sie solche Zuversicht nicht bloß auf Gottes Gnade bauen. Wenn nun solcher das ganze Erbe besitzender Geist erhalten wird, kann danach
auch die Seele und der Leib ohne Irrtum und böse Werke bleiben. Sonst ist’s
nicht möglich, wo der Geist glaubenslos ist, dass da die Seele und das ganze
Leben nicht unrecht und irre gehen sollte, wenn sie
auch gute Absicht und gute Meinung vorwende und eigene Andacht und Wohlgefallen
dabei habe. So sind deshalb um solchen Irrtums und falscher »guter Meinung« der
Seele willen auch alle Werke des Leibes böse und verworfen, wenn sich gleich
jemand tot fastete und aller Heiligen Werke täte. Darum ist’s not, dass uns
Gott zum ersten den Geist, danach Seele und Leib behüte, dass wir nicht umsonst
wirken und leben und so rechtschaffen heilig werden, nicht allein von den
öffentlichen Sünden (frei), sondern viel mehr noch von den falschen und
gleißenden guten Werken.
Das
sei diesmal genug zur Erklärung der zwei Worte »Seele« und »Geist« gesagt,
deshalb weil sie in der Schrift sehr häufig sind. Danach ist das Wörtlein »Magnificat«
d.h. »groß machen«, »erheben« und »viel von ihm halten« als von dem, der große
und viele und gute Dinge vermöge, wisse und tun wolle, wie denn in diesem
Lobgesang folgt. Gleich wie das Wort »Magnificat« wie ein Titel eines Buches
anzeigt, wovon darin geschrieben sei, so zeigt sie (Maria) auch mit diesem Wort
an, wovon ihr Lobgesang lauten soll: nämlich von großen Taten und Werken Gottes,
unseren Glauben zu stärken, alle Geringen zu trösten, und alle hohen Menschen
auf Erden zu schrecken. Auf diesen drei(fachen) Gebrauch oder Nutzen (hin)
müssen wir den Lobgesang gerichtet sein lassen und verstehen; denn sie hat ihn
nicht sich allein, sondern uns allen gesungen, (auf) dass wir ihr nachsingen
sollen. Nun kann’s nicht sein, dass jemand aus solchen großen Taten Gottes
erschrecke oder sich tröste, es sei denn, dass er nicht allein glaube, Gott
vermöge und wisse große Taten zu tun. Sondern (er) muss auch glauben, dass er
so tun wolle und eine Liebe habe, solches zu tun. Ja (es) ist auch nicht genug,
dass du glaubest, er wolle mit andern und nicht mit dir große Taten tun und
dich so von solcher göttlichen Tat ausnehmen, wie die tun, welche Gott in ihrer
Macht nicht fürchten und die, welche in ihrer Drangsal kleinmütig verzagen.
Denn
solcher Glaube ist nichts und ganz tot, gleich einem Wahn von einer Fabel
empfangen. Sondern du musst dir seinen Willen über dich ohne alles Wanken, ohne
alles Zweifeln vor Augen stellen, so dass du fest glaubest, er werde und wolle auch
mit dir große Dinge tun. Dieser Glaube lebt und webt, der dringt durch und
ändert den ganzen Menschen; der zwingt dich, dass du in Furcht sein musst, wenn
du hoch bist, und getrost sein, wenn du niedrig bist. Und je höher du bist,
desto mehr musst du in Furcht sein, je tiefer du unterdrückt bist, desto mehr kannst
du dich trösten, was keiner von jenen »Glauben « tut. Wie willst du dich in
Todesnöten verhalten? Da musst du ja nicht allein glauben, dass er dir helfen könne
und (es zu tun) wisse, sondern auch wolle; da doch ein ganz unsäglich großes
Werk geschehen muss, auf dass du vom ewigen Tod erlöset, ewiglich selig und
Gottes Erbkind werdest. Dieser Glaube vermag alle Dinge, wie Christus sagt, der
bestehet allein, der kommt auch in die Erfahrung göttlicher Werke, und dadurch
in (die) göttliche Liebe und so in Lob und Gesang Gottes, dass der Mensch groß
von Gott hält und ihn recht groß macht.
Denn
Gott wird nicht von uns in seiner Natur groß gemacht, der unwandelbar ist,
sondern in unserer Erkenntnis und Empfindung, d.h. wenn wir viel von ihm halten
und ihn (für) groß (er)achten, zuvörderst nach seiner Güte und Gnade. Darum
sagt die heilige Mutter nicht: »meine Stimme« oder »mein Mund«, auch nicht
»meine Hand,« auch nicht »meine Gedanken«, auch nicht
»meine Vernunft« oder »Wille« macht den Herrn groß. Denn ihrer sind viele, die
Gott mit lauter Stimme preisen, mit kostbaren Worten predigen, viel von ihm
reden, disputieren, schreiben und malen, viele, die sich über ihn Gedanken machen
und durch die Vernunft nach ihm trachten und spekulieren, dazu viele, die ihn
mit falscher Andacht und Willen erheben. Sondern so sagt sie: »meine Seele
macht ihn groß«, das ist: mein ganzes Leben, Weben, Sinn und Kraft halten viel
von ihm, so dass sie gleichsam in ihn verzückt und sich in seinem gnädigen
guten Willen emporgehoben fühlt wie der folgende Vers zeigt. Auf diese Weise
sehen wir, wenn uns jemand etwas besonders Gutes tut, dass unser ganzes Leben
sich gleichsam auf ihn hin bewegt, und sprechen: O, ich halte viel von ihm,
d.h. eigentlich: meine Seele macht ihn groß. Wie viel mehr wird solche lebendige
Bewegung sich regen, wenn wir Gottes Güte empfinden, die in seinen Werken überschwänglich
groß ist, dass uns alle Worte und Gedanken zu wenig werden, und das ganze Leben
und (die) Seele sich bewegen lassen müssen, als wollt’s alles gern singen und
sagen, was in uns lebet. Aber hierbei sind nun zweierlei falsche Geister, die das
Magnificat nicht recht singen können: die ersten, die ihn (Gott) nicht eher
loben, er tue ihnen denn wohl, wie David Psalm 49, 19 sagt: »Sie loben dich, wenn
du ihnen wohl tust.« Diese scheinen Gott sehr zu
loben. Aber dieweil sie niemals Unterdrückung und die Tiefe leiden wollen,
können sie niemals die rechten Werke Gottes erfahren und deshalb auch
nimmermehr Gott recht lieben noch loben. So ist jetzt alle Welt voll
Gottesdienstes und -lobes mit Singen, Predigen, Orgeln und Pfeifen, und das
Magnificat wird herrlich gesungen. Aber daneben ist es zum Erbarmen, dass solch
kostbarer Gesang so ganz ohne Kraft und Saft von uns behandelt werden soll, die
wir nicht eher singen, es gehe (uns) denn gut. Wo es aber schlecht geht, ist
das Singen aus, da hält man nichts mehr von Gott, meinen, Gott könne oder wolle
nichts mit uns wirken; darum muss das Magnificat auch draußen bleiben.
Die
anderen sind noch gefährlicher, die auf die andere Seite weichen, die sich mit
Gottes Gütern erheben und dieselben nicht der reinen Güte Gottes zueignen. Sie
wollen auch was dran haben, wollen deswegen geehrt und (in Ansehen) vor anderen
Menschen gehalten sein, schauen ihr großes Gut an, das Gott mit ihnen gewirkt,
klammem sich daran und nehmen sich seiner an als des ihren und halten sich den
anderen (gegenüber), die solches nicht haben, für etwas Besonderes. Hier ist
fürwahr ein glatter, schlüpfriger Stand. Gottes Güter machen von Natur hoffärtige
und selbstgefällige Herzen. Darum ist es hier nötig, (auf) das letzte Wörtlein
zu merken: »Gott«. Denn Maria sagt nicht: »Meine Seele macht sich selbst groß«
oder »hält viel von sich«. Sie wollte auch gar nichts von sich gehalten haben.
Sondern allein Gott macht sie groß, dem schreibt sie es ganz allein zu. Sie nimmt
es von sich weg und trägt es3 allein völlig wieder hin zu Gott, von dem sie es
empfangen hatte. Denn wenn sie auch solch überschwängliche Tat Gottes in sich
empfand, war sie doch und blieb so gesinnt, dass sie sich nicht über den
geringsten Menschen auf Erden erhob, und wo sie es getan hätte, wäre sie mit
Luzifer in den Höllenabgrund gefallen. Sie hat nicht anders gedacht: Wenn eine
andere Magd solche Güter von Gott hätte, wollte sie ebenso fröhlich sein und
ihr es ebenso wohl gönnen wie sich selbst, ja sich allein solcher Ehre unwürdig
und alle anderen würdig achten. Sie wäre auch noch gut zufrieden gewesen, wenn
Gott solche Güter von ihr genommen und vor ihren Augen einer anderen gegeben hätte.
So ganz und gar hat sie sich nichts von dem allen angemaßt und Gott seine Güter
frei, ledig und (zu-)eigen gelassen, ist nicht mehr als eine fröhliche Herberge
und willige Wirtin solches Gastes gewesen. Deshalb hat sie das alles auch
ewiglich behalten. Siehe, das bedeutet Gott allein groß machen, nur von ihm
allein groß denken und für uns nichts beanspruchen. Daraus sieht man, in wie
großer Ursache zu fallen und sündigen sie gestanden, (so) dass es kein kleineres
Wunder ist, wie sie sich der Hoffart und Anmaßung enthalten als dass sie solche
Güter bekommen hat. Meinst du nicht, wie ein wunderliches Herz das sei? Sie
findet sich als eine Gottesmutter über alle Menschen erhoben und bleibet doch
so einfältig und gelassen, dass sie deshalb nicht eine geringe Dienstmagd (als
für) unter sich (stehend) gehalten hätte. O wir armen Menschen, wenn wir ein
wenig Gut, Gewalt oder Ehre haben, ja ein wenig hübscher als andere sind,
können wir uns nicht einem geringeren vergleichen und ist des Anspruchmachens
kein Maß: was wollten wir tun, wenn wir große, hohe Güter hätten? Deshalb lässt
uns Gott auch arm, unglücklich bleiben, weil wir seine edlen Güter nicht
unbefleckt lassen; wir können (wenn wir sie besitzen) nicht von uns das gleiche
meinen, wie vorher (wo wir sie nicht besaßen), sondern lassen den Mut immer mit
wachsen und abnehmen, je nachdem die Güter kommen oder gehen. Aber dies Herz
Marias stehet zu aller Zeit fest und gleich, lässt Gott in sich nach seinem
Willen wirken, nimmt nicht mehr davon als einen guten Trost, Freude und
Zuversicht in Gott. So sollten wir auch tun, das wäre ein rechtes Magnificat
gesungen.
Und mein Geist freuet sich in Gott, meinem Heiland
Was
der Geist sei, ist jetzt gesagt: nämlich der die unbegreiflichen Dinge durch
den Glauben erfasst. Deshalb nennt sie (Maria) auch Gott ihren Heiland oder
Seligkeit, was sie doch nicht sah noch empfand, sondern (worauf sie) in fester
Zuversicht vertraute, er wäre ihr Heiland und Seligkeit. Diesen Glauben (hatte)
sie aus dem Gotteswerk, in ihr geschehen, empfangen. Und fürwahr, ordnungsgemäß
fängt sie an, dass sie Gott eher ihren Herrn als ihren Heiland nennet; und eher
ihren Heiland als dass sie seine Werke erzählet. Damit
lehrt sie uns, wie wir Gott bloß und recht ordentlich lieben und loben, und ja nicht
das Unsere an ihm suchen sollen. Der liebt aber und lobt Gott bloß und recht,
der ihn nur deswegen lobt, dass er gut ist, und nicht mehr als seine bloße Güte
ansieht und nur an derselben seine Lust und Freude hat. Das ist eine hohe,
reine, zarte Weise zu lieben und zu loben, die einem solchen hohen, zarten Geist
wie (es) diese Jungfrau ist, gut zukommt. Die unreinen und verkehrten
Liebhaber, welche nicht mehr als bloße Selbstsüchtige sind und das Ihre an Gott
suchen, die nicht seine bloße Gütigkeit lieben und loben, sondern nur auf sich
selbst sehen und achten, wie sehr Gott gegen sie gut sei, das ist wie viel er
ihnen seine Güte fühlbar zeige und ihnen wohl tue. Sie halten viel von ihm,
sind fröhlich, singen und loben ihn, solange solches
Empfinden währet. Wenn sich aber Gott verbirgt und seiner Gutheit Glanz an sich
ziehet, dass sie bloß und elend sind, so geht auch Lieb und Lob zugleich aus,
und sie können nicht die bloße, nicht fühlbare, in Gott verborgene Güte lieben
noch loben. Damit beweisen sie, dass sich ihr Geist nicht in Gott, dem Heiland,
erfreut hat; (es) ist nicht rechte Liebe und Lob der bloßen Güte da gewesen, sondern
sie haben viel mehr Lust an dem Heil gehabt als am Heiland, mehr an den Gaben
als an dem Geber, mehr an der Kreatur als an Gott. Denn sie können nicht im
Haben und Ermangeln gleich bleiben, in Reichtum und Armut, wie Paulus Philipper
4, 11 f. sagt: »Ich habe gelernt, dass ich kann übrig haben und Mangel leiden.«
Von
diesen sagt der Psalm 49, 19 »Sie loben dich, solange du ihnen wohl tust«; als
wollte er sagen: Sie meinen sich und nicht dich; wenn sie nur Lust und Gut von
dir haben. Sie geben nichts auf dich, wie auch Christus Johannes 6, 26 zu denen
sagt, die ihn suchten: »Wahrlich, ich sage euch, ihr suchet mich nicht darum, dass
ihr Zeichen gesehen, sondern weil ihr gegessen habt und satt geworden seid.« Solche unreinen, falschen Geister beflecken alle
Gottesgaben und hindern ihn, so dass er ihnen nicht viel gibt, auch nicht zu
ihrer Seligkeit mit ihnen wirken kann. Davon wollen wir ein fein Exempel hören:
Es hat einmal ein frommes Weib ein Gesicht gesehen, wie drei Jungfrauen bei
einem Altar saßen. Während der Messe lief ein hübsches Knäblein von dem Altar
und ging zu der ersten Jungfrau, tat freundlich zu ihr, herzte sie und lachte
sie lieblich an. Danach ging es zu der zweiten und tat nicht so freundlich zu
ihr, herzte sie auch nicht; doch hob es ihren Schleier auf und lächelte sie
freundlich an. Der dritten aber gab es kein freundliches Zeichen, schlug sie
ins Angesicht, raufte sie und stieß sie, ging ganz unfreundlich mit ihr um und
lief schnell wieder auf den Altar und verschwand.
Da
ward demselben Weibe dies Gesicht ausgelegt: die erste Jungfrau bedeutet die unreinen,
selbstsüchtigen Geister, welchen Gott viel Gutes und mehr ihren Willen tun muss
als sie (den) seinen, (sie) wollen nichts entbehren, (sondern) allzeit Trost
und Lust an Gott haben, (lassen sich) nicht mit seiner Güte genügen. Die zweite
bedeutet die Geister, die angefangen (haben), Gott zu dienen und wohl etwas
Mangel leiden, doch nicht ganz, und nicht ohne Eigennutzen und Selbstsucht
sind. Er muss ihnen zuweilen einen lieblichen Blick geben und sie seine Güte
empfinden lassen, dass sie dadurch auch seine bloße Gütigkeit lieben und loben
lernen. Aber die dritte, das arme Aschenbrödlein, hat nichts als eitel Mangel
und Ungemach, sucht keinen Nutzen, lässt sich (daran) genügen, dass Gott gut
ist, wenn sie es auch nimmermehr empfinden sollte – was doch unmöglich ist. Sie
bleibt in beiden Fällen gleich und dieselbe: liebt und lobt ebenso wohl Gottes
Gütigkeit, wenn sie nicht empfunden als wenn sie empfunden wird, klammert sich
nicht an die Güter, wenn sie da sind, fällt auch nicht ab, wenn sie weg sind.
Das ist die rechte Braut, die zu Christus spricht: Ich will nicht das Deine,
ich will dich selber haben, bist mir nicht lieber, wenn mir wohl ist, auch
nicht unlieber, wenn mir übel ist.
Solche
Geister erfüllen das, was Jesaja 30, 21 geschrieben steht: »Dies ist der Weg,
den gehet, sonst weder zur rechten noch zur linken Seite«, das heißt: sie
sollen Gott gleich (mäßig) und richtig lieben und loben, nicht sich selbst und
ihren Nutzen suchen. Einen solchen Geist hatte David. Als er durch seinen Sohn
Absalom aus Jerusalem vertrieben wurde und die Gefahr bestand, dass er ewig
verworfen, nimmermehr König (sein) und zu Gottes Gunst kommen würde, sprach er
(2. Samuel 15, 25 f.): Gehet hin, »will mich Gott haben, wird er mich wohl
wieder hineinführen; spricht er aber: Ich will dich nicht, so bin ich bereit.«
O wie ein reiner Geist ist das gewesen, der in der höchsten Not nicht ablässt,
Gottes Güte zu lieben, zu loben und ihr zu folgen. Einen solchen Geist zeigt
hier die Mutter Gottes, Maria, dass sie – mitten in den großen, überschwänglichen
Gütern schwebend – sich doch nicht daran hängt, nicht ihren Nutzen darin sucht,
sondern ihren Geist in Liebe und Lob der bloßen Gütigkeit Gottes rein behält, bereitwillig
und gern anzunehmen, wenn Gott sie derselben wieder berauben und ihr einen
armen, nackten, Mangel habenden Geist lassen wollte.
Nun,
so viel gefährlicher es ist, sich in Reichtum und großen Ehren oder Macht (zu)
mäßigen als in Armut, Schande und Schwachheit, dieweil Reichtum, Ehre und Macht
starken Anreiz und Ursache zu dem Bösen geben: um so viel mehr ist hier der
wunderbar reine Geist Marias zu preisen, dass sie in solchen übermäßigen Ehren
ist und sich dennoch nicht anfechten lässt. Sie tut, als sehe sie es nicht,
bleibt gleich und richtig auf der Straße, haftet nur an der göttlichen
Gütigkeit, die sie nicht sieht noch empfindet, lässt die Güter fahren, die sie
empfindet, hat nicht ihre Lust darin, sucht nicht ihren Nutzen, so dass sie
fürwahr aus rechtem, wahren Grund singt: »Mein Geist erfreut sich in Gott
meinem Heiland.« Das ist wahrlich ein Geist, der nur im Glauben daher springt
und hüpft, nicht um der Güter Gottes (willen), die sie empfand, sondern nur um
Gottes (selbst willen), den sie nicht empfand, fröhlich ist, um ihres Heiles
willen, das sie nur im Glauben erkennet. O das sind die rechten, demütigen, leeren,
hungrigen, gottesfürchtigen Geister; wovon hernach zu reden sein wird.
Daraus
können wir erkennen und beurteilen, wie voll jetzt die Welt von falschen
Predigern und Heiligen ist, die dem armen Volk viel von guten Werken predigen.
Und obwohl ihrer wenige sind, die auch das (auf die rechte, oben dargestellte
Weise) predigen, wie sie gute Werke tun sollen – der größere Teil predigt Menschenlehre
und -werk, die sie selbst erdacht und aufgesetzt haben – so sind doch leider
die allerbesten unter ihnen noch so weit von der rechten, richtigen Straße, dass
sie das Volk damit immer auf die Seite treiben, dass sie lehren, die guten
Werke und gutes Leben nicht um Gottes bloßer Gütigkeit willen zu tun, sondern
um ihres eigenen Nutzens willen. Denn wo kein Himmel noch Hölle wäre und sie
sich von Gottes Güte keinen Vorteil versprächen, so ließen sie seine Güte wohl
ungeliebt und ungelobt fahren. Das sind eitel Selbstsüchtige und Mietlinge,
Dienstknechte und nicht Kinder, Fremdlinge und nicht Erben. Die machen sich
selbst zum Abgott und Gott soll sie lieben und loben, ihnen eben das tun, was
sie ihm tun sollten. Die haben keinen Geist, Gott ist auch nicht ihr Heiland,
sondern seine Güter sind ihr Heiland, in welchen ihnen Gott wie ein Knecht
dienen muss. Das sind die Kinder von Israel, die sich in der Wüste nicht am
Himmelsbrot genügen ließen, sie wollten auch Fleisch, Zwiebel und Knoblauch
essen (4. Mose 11, 4 ff.).
Nun
ist leider alle Welt, alle Klöster, alle Kirchen solchen Volkes voll, die
allesamt in dem falschen, verkehrten, unrichtigen Geist wandeln, treiben und jagen.
Sie heben die guten Werke so hoch, dass sie den Himmel damit zu verdienen
meinen, obwohl doch vor allen Dingen die bloße Gütigkeit Gottes gepredigt und
erkannt werden sollte und wir wissen sollten, dass ebenso wie Gott uns aus
lauter Güte ohne alle Verdienste der Werke selig macht, so sollten wir
umgekehrt die Werke ohne allen Lohn und Nutzen suchen, sie um der bloßen Güte
Gottes willen tun, nichts mehr als sein Wohlgefallen darin begehren, nicht um
den Lohn sorgen, er wird sich von selbst finden und ohne unser Suchen folgen.
Denn obwohl es nicht möglich ist, dass der Lohn nicht folgen sollte, wenn wir
aus einem reinen, richtigen Geist ohne Verlangen nach Lohn und Nutzen recht
handeln, so will doch Gott den nach Nutzen strebenden, unreinen Geist nicht
haben, demselben wird auch nimmer der Lohn. (Das verhält sich) ebenso wie ein
Kind als ein Erbe dem Vater willig umsonst dient, nur um seines Vaters willen.
Und wo ein Kind dem Vater nur um des Erbes und Gutes (willen) dient, das ist
billig ein hassenswertes Kind und wert, dass es der Vater verstoße.
Das
Wörtlein »humilitas« haben etliche hier zur »Demut« gemacht, als hätte die
Jungfrau Maria ihre Demut angeführt und sich deren gerühmt. Daher kommt es, dass
sich etliche Prälaten auch »humiles« (Demütige)
nennen, welches gar weit von der Wahrheit (entfernt) ist. Denn vor Gottes Augen
kann sich niemand einer guten Sache ohne Sünde und Verderben rühmen. Man muss
sich vor ihm nichts mehr rühmen, als seiner lauteren Güte und Gnade, uns
Unwürdigen erzeigt, auf dass nicht unser, sondern allein Gottes Liebe und Lob
in uns bestehe und uns erhalte, wie Salomon Sprüche 25, 6 f. lehret: »Prange
nicht vor dem König und tritt nicht an den Ort der Großen. Denn es ist dir
besser, man sage zu dir, tritt hier herauf, als dass du vor den Fürsten
erniedrigt wirst.« Wie sollte man denn dieser reinen,
richtigen Jungfrau solche Vermessenheit und Hochmut zuschreiben, dass sie sich
ihrer Demut vor Gott rühmte, welches die allerhöchste Tugend ist – und niemand
erachtet oder rühmet sich (als) demütig, als wer der Allerhochmütigste ist.
Gott erkennt allein die Demut, richtet auch und offenbart sie allein, so dass
der Mensch niemals weniger von der Demut weiß, als eben wenn er recht demütig ist.
Der
Schrift Brauch ist, dass sie »humiliare« »erniedrigen « und »zunichte machen«
nennt; und deshalb heißen die Christen in der Schrift an vielen Orten »pauperes,
afflicti, humiliati«, »arme, nichtige, verworfene Leute«, wie Psalm 116, 10:
»Ich werde aber sehr geplagt.« So ist »humilitas« nichts anderes als ein
verachtetes, unansehnliches, niedriges Wesen oder Stand, wie es die armen,
kranken, hungrigen, durstigen, gefangenen, leidenden und sterbenden Menschen sind,
wie es Hiob in seiner Anfechtung war und David in seiner Verstoßung aus dem
Reich, und Christus mit allen Christen in ihren Nöten. Das sind die Tiefen,
davon droben gesagt ist, dass Gottes Augen nur in die Tiefe sehen und (der)
Menschen Augen nur in die Höhe, das ist, sie sehen nach dem ansehnlichen, glänzenden,
prächtigen Wesen und Stand. Darum heißt Jerusalem in der Schrift (Sacharja. 12,
4) eine Stätte, darüber Gott seine Augen offen hat, d.h. die Christenheit liegt
in der Tiefe und ist vor der Welt unansehnlich, deshalb sieht Gott sie an und
hat seine Augen stets über ihr, wie er Psalm 32, 8 sagt: »Ich will dich mit
meinen Augen leiten.«
Ebenso
sagt auch Paulus 1. Korinther 1, 27 f.: »Gott erwählet alles, was töricht vor
der Welt ist, auf dass er alles zuschanden mache, was da klug ist vor der Welt;
und erwählet, was da schwach und untüchtig ist, auf dass er alles zuschanden
mache, was da stark und gewaltig ist. Er erwählt, was da nichts ist vor der
Welt, auf dass er alles zunichte mache, was etwas ist vor der Welt.« Und damit macht er die Welt zur Narrheit mit aller
Weisheit und Vermögen und gibt eine andere Weisheit und Vermögen. Dieweil es
denn nun seine Art ist, in die Tiefe, auf die unansehnlichen Dinge zu sehen,
habe ich das Wörtlein »humilitas« mit »Nichtigkeit« oder »unansehnliches Wesen«
verdeutscht, so dass die Meinung Marias die sei: Gott hat auf mich armes,
verachtetes, unansehnliches Mägdlein gesehen und hätte wohl reiche, hohe, edle,
mächtige Königinnen, Fürsten und großer Herren Töchter gefunden. Er hätte doch
wohl (z.B.) Hannas' und Kaiphas' Töchter finden können, welche die Obersten im Lande
gewesen (sind), aber er hat seine lauteren, gütigen Augen auf mich geworfen und
eine so geringe, verschmähte Magd dazu gebraucht, auf dass sich niemand vor ihm
rühme, dass er dessen würdig gewesen wäre oder sei. Und ich muss auch bekennen,
dass es lauter Gnade und Güte ist und gar nichts mein Verdienst oder
Würdigkeit.
Nun
haben wir droben genug gesagt, wie die zarte Jungfrau unansehnlichen Wesens und
Standes (gewesen und) ganz unversehens zu dieser Ehre gekommen sei, dass sie
Gott so übergnädig angesehen hat. Und deshalb rühmt sie sich nicht ihrer
Würdigkeit noch ihrer Unwürdigkeit, sondern allein des göttlichen Ansehens,
welches so übergütig und übergnädig ist, dass er auch eine so geringe Magd
angesehen hat und so herrlich und ehrenvoll ansehen wollte. Deshalb tun sie ihr
Unrecht, die da sagen, sie habe sich nicht ihrer Jungfrauschaft, sondern ihrer
Demut gerühmt: sie hat sich weder ihrer Jungfrauschaft noch (ihrer) Demut
gerühmt, sondern allein des gnädigen, göttlichen Ansehens. Darum liegt das
Schwergewicht nicht auf dem Wörtlein »humilitatem« (Nichtigkeit), sondern in
dem Wörtlein »respexit« (er hat angesehen). Denn ihre Nichtigkeit ist nicht zu loben,
sondern Gottes Ansehen. (Das ist so) wie wenn ein Fürst einem armen Bettler die
Hand reicht: (hier) ist nicht des Bettlers Nichtigkeit, sondern des Fürsten Gnade
und Güte zu preisen. Damit aber solcher falscher Wahn vertrieben und die rechte
Demut von der falschen geschieden werde, wollen wir ein wenig abschweifen und
von der Demut reden, denn in Bezug darauf wird von vielen sehr geirrt. »Demut«
nennen wir auf deutsch, was Paulus auf griechisch
tapei-nophrosyne nennt, d.i. einen Willen und eine Geneigtheit zu geringen,
verachteten Dingen. Nun findet man hier viele, die das Wasser in den Brunnen
tragen. Das sind die, die sich mit geringen Kleidern, Personen, Gebärden,
Stätten, Worten darstellen, auch derselben gedenken und damit umgehen, jedoch
in der Absicht, dadurch vor den Hohen, Reichen, Gelehrten, Heiligen ja auch für
gut angesehen zu werden, als die, welche gern mit geringen Dingen umgehen. Denn
wenn sie wüssten, dass man davon nichts halten wollte, ließen sie es wohl
anstehen: das ist eine gemachte Demut. Denn ihr arglistiges Auge sieht nur auf
den Lohn und den Erfolg der Demut, und nicht auf die geringen Dinge (an sich)
ohne den Lohn und den Erfolg. Darum ist die Demut zu ende, wo der Lohn und der
Erfolg nicht mehr in die Augen springt. Solche darf man nicht als die einen
Willen und ein Herz zu den geringen Dingen haben bezeichnen, sondern die haben
nur die Gedanken, den Mund, die Hand, das Kleid und die Gebärde dabei, das Herz
aber sieht über sich nach hohen, großen Dingen, zu denen es durch solch
demütiges Blendwerk zu kommen gedenkt: und diese achten sich selbst für
demütige, heilige Leute.
Die
wahrhaft Demütigen sehen nicht auf die Folgen der Demut, sondern mit
einfältigem Herzen sehen sie auf die niedrigen Dinge, gehen gern damit um und werden
selbst niemals gewahr, dass sie demütig sind. Da quillt das Wasser aus dem
Brunnen, da folgt von selbst, ungesucht, dass sie geringe Gebärde, Worte, Stätte,
Personen, Kleider führen und tragen. Sie meiden, wo sie können, hohe und große
Dinge; davon David Psalm 131, 1 sagt: »Herr, mein Herz ist nicht hoffärtig und
meine Augen sind nicht stolz« usw., und Hiob 22, 29: »Wer sich erniedrigt, der
wird zu Ehren kommen, und wer seine Augen niederschlägt, der wird genesen.« Darum geschieht es auch, dass denselben die Ehre allezeit
unversehens widerfährt, und ihre Erhöhung kommt ihnen, ohne dass sie daran
denken. Denn sie haben sich einfältig an ihrem geringen Wesen genügen lassen
und nie nach der Höhe getrachtet. Aber die falschen Demütigen wundert es, dass ihre
Ehre und Erhöhung so lange ausbleibt und ihr heimlicher, falscher Hochmut lässt
sich nicht an seinem geringen Wesen genügen, denkt heimlich nur höher und
höher.
Darum
weiß rechte Demut, wie ich gesagt habe, niemals, dass sie demütig ist; denn
wenn sie es wüsste, so würde sie von dem Ansehen der schönen Tugend hochmütig.
Sondern sie haftet mit Herz, Mut und allen Sinnen an den geringen Dingen, die
hat sie ohne Unterlass in ihren Augen, das sind ihre Bilder, mit denen sie
umgeht; und dieweil sie die in ihren Augen hat, kann sie sich selbst nicht
sehen, noch ihrer selbst gewahr werden, viel weniger der hohen Dinge
innewerden. Darum muss ihr die Ehre und Höhe unversehens zukommen und sie in
Gedanken finden, die der Ehre und Höhe ganz fremd und entgegen sind. So sagt Lukas
1, 29, dass der Gruß des Engels Maria in ihren Augen verwunderlich war, und sie
bedachte, was das für ein Gruß wäre, dessen sie sich nie versehen hatte. Wäre
der Gruß des Kaiphas Tochter gebracht worden, die würde sich nicht gedacht
haben, was das für ein Gruß wäre, hätte ihn alsbald angenommen und gedacht: Ei,
das ist gut Ding und wohlgetan.
Umgekehrt
weiß falsche Demut niemals, dass sie Hochmut ist, denn wo sie das wüsste, würde
sie bald von dem Ansehen der hässlichen Untugend demütig. Sondern sie haftet
mit Herz, Mut und Sinn an den hohen Dingen, die hat sie ohne Unterlass in ihren
Augen. Das sind ihre Bilder, mit denen sie umgeht, und dieweil sie damit
umgeht, kann sie sich selber nicht sehen noch ihrer selbst gewahr werden. Darum
kommt ihr die Ehre nicht unbedacht noch unversehens, sondern findet
gleichartige Gedanken; aber die Schande und Erniedrigung kommt ihr unversehens und
mitten hinein in viele ganz andere Gedanken.
Deshalb
ist’s nichts nütze, dass man Demut auf die Weise lehre, dass man sich geringe,
verachtete Dinge vor Augen stellt; umgekehrt wird niemand davon hochmütig, dass
man ihm hohe Dinge vor Augen stellt. Nicht die Bilder, sondern die Sehweise muss
man abtun. Wir müssen hier unter hohen und niedrigen Bildern leben, aber, wie
Christus (Matthäus 5, 29; Matthäus 18, 9) sagt, das Auge muss ausgestochen
werden. Mose sagt (1. Mose 3, 7) nicht, dass Adam und Eva nach dem Fall andere
Dinge als vorher gesehen haben, sondern er sagt, ihre Augen seien aufgetan worden,
dass sie sich nackt sahen; obwohl sie doch vorher auch nackt waren und es (nur)
nicht gewahr wurden. So müssen nicht die Dinge, sondern wir verwandelt werden,
im Gemüt und Sinn, alsdann wird sich’s von selbst lernen, hohe Dinge zu
verachten und zu fliehen, niedrige Dinge zu achten und zu suchen: Da ist die
Demut auf allen Seiten grundgut und beständig und wird ihrer doch selbst
niemals gewahr. Das geht mit Freuden zu, und das Herz bleibt gleich und eines,
wie die Dinge auch sich wandeln oder ergeben, hoch oder niedrig, groß oder
klein.
O,
es liegt ein (ganz) großer Hochmut unter den demütigen Kleidern, Worten und
Gebärden (verborgen), deren die Welt jetzt so voll ist. Die verachten sich selbst
so, dass sie dennoch von jedermann unverachtet sein wollen, die fliehen Ehre
so, dass sie dennoch damit gejagt sein wollen, die meiden hohe Dinge, dass man
sich ihrer dennoch annehme, sie preise und ihr Ding nicht das geringste sein lasse. Aber hier diese Jungfrau zeigt nicht
mehr als ihre Nichtigkeit, darin sie gern gelebt (hätte) und geblieben ist,
(sie hat) nie an Ehre oder Höhe gedacht, ist auch nicht innegeworden, dass sie
demütig gewesen sei. Die Demut ist so edel und so kostbar, dass sie eine
Selbstbetrachtung nicht leiden kann, sondern das ist allein dem göttlichen
Gesicht vorbehalten, wie der Psalm 113, 6 sagt: »Er sieht auf das Niedrige im
Himmel und auf Erden.« Denn wer da seine Demut sehen könnte,
der könnte über sich selbst (und seine) Seligkeit urteilen und Gottes Gericht
wäre schon erledigt, dieweil wir wissen, dass Gott die Demütigen gewiss selig
macht. Deshalb muss Gott sich selbst vorbehalten, sie zu erkennen und anzusehen
und sie vor uns mit Vorhaltung und Übung in den geringen Dingen verbergen, bei
denen wir uns selbst anzusehen vergessen. Dazu dienen nun so viel Leiden,
Sterben und allerlei Ungemach auf Erden, damit wir zu schaffen und die falsche
Betrachtungsweise aufzugeben Mühe und Arbeit haben. Nun ersehen wir aus diesem
Wörtlein »humilitas« klar, dass die Jungfrau Maria ein verachtetes, geringes, unangesehenes
Mägdlein gewesen ist, womit sie Gott gedient und nicht gewusst hat, dass ihr
unansehnlicher Stand vor Gott so hoch angesehen wäre. Damit werden wir
getröstet, damit wir, obwohl wir gern erniedrigt und verachtet sein sollen,
doch darin nicht verzagen, als sei Gott zornig über uns, sondern vielmehr hoffen,
dass er uns gnädig sei. Allein deswegen sollen wir besorgt sein, dass wir nicht
willig genug und gern in solcher Niedrigkeit sind, dass vielleicht das falsche Auge
nicht zu weit offen stehe und uns mit heimlichem Suchen der Höhe oder eigenen
Wohlgefallens betrüge, womit die Demut ganz in Trümmer geht. Denn was hilft’s
den Verdammten, dass sie auf die niedrigste Stufe herabgedrückt sind, dieweil
sie nicht gern und willig drin sind? Und was schadet es allen Engeln, dass sie
aufs höchste erhoben sind, dieweil sie nicht mit falscher Lust daran haften?
Kurz gesagt: Es lehret uns dieser Vers recht Gott erkennen, dadurch dass er
anzeigt, Gott sehe auf die Niedrigen und Verachteten. Und der erkennt Gott
recht, der da weiß, dass Gott auf die Niedrigen sieht, wie droben gesagt ist, und
aus der Erkenntnis folgt dann Liebe und Zutrauen zu Gott, dass sich der Mensch
ihm willig ergibt und folgt.
Davon
sagt Jeremia 9, 23 f.: »Niemand rühme sich seiner Stärke, Reichtums oder
Weisheit, sondern wer sich rühmen will, der rühme sich, dass er mich erkennet und
weiß«; wie auch Paulus lehrt (2. Korinther 10, 17): »Wer sich rühmet, der rühme
sich des Herrn.« Nachdem die Mutter Gottes ihren Gott
und Heiland mit bloßem, reinen Geist so gelobt und sich von seinen Gütern
nichts angemaßt hat und ihm damit recht von seiner Gütigkeit gesungen hat,
kommt sie nun in rechter Ordnung auch dazu, seine Werke und Güter zu loben.
Denn, wie gesagt, man darf sich nicht an die Güter Gottes klammern und sich
ihrer bemächtigen, sondern muss durch sie hinauf zu ihm dringen, an ihm allein
hängen und von seiner Gütigkeit viel halten und alsdann (kann man) ihn auch in
seinen Werken loben, in welchen er uns solche Gütigkeit (zum Lieben, Vertrauen und
Loben) erzeigt hat, so dass die Werke nichts anderes sind als viel Ursache,
seine reine Gütigkeit, die über uns regiert, zu lieben und zu loben.
Sie
beginnt aber bei sich selbst und singt, was er ihr getan hat. Damit lehrt sie
uns zwei Stücke, das erste: ein jeglicher soll darauf acht haben, was Gott mit
ihm wirkt, vor allen Werken, die er mit anderen tut. Denn es wird keines
Seligkeit darinnen stehen, was er mit einem anderen, sondern was er mit dir wirkt.
So ist es im letzten Kapitel des Johannesevangeliums (Johannes 21, 21 f.): als
Petrus von Johannes sprach: »Was wird aber mit diesem?«
antwortet ihm Christus und sagt: »Was geht es dich an? Folge du mir nach!« (Das ist) als wollte er sagen: des Johannes Werke werden
dir nicht helfen; du muss selbst dran und warten, was ich mit dir tun will.
Trotzdem regiert jetzt ein gräulicher Missbrauch in der Welt mit Austeilen und Verkaufen
guter Werke, da etliche vermessene Geister andern Leuten, besonders denen
helfen wollen, die ohne eigene Gotteswerke leben oder sterben, gerade als
hätten sie guter Werke zu viel, obwohl doch Paulus 1. Korinther 3, 8 klar sagt:
»Ein jeglicher wird Lohn empfangen nach seiner Arbeit«, ohne Zweifel nicht nach
eines andern Arbeit.
Es
wäre zu leiden, wenn sie für andere Leute beteten oder ihre Werke Gott als eine
Fürbitte vortrügen. Da sie aber nicht anders als mit einem Geschenk damit
verfahren, ist’s ein schändliches Vornehmen. Und, was erst das Allerärgste ist,
sie geben ihre Werke ab, von denen sie selbst nicht wissen, wie sie vor Gott
gelten. Denn Gott sieht nicht die Werke, sondern das Herz und den Glauben an,
durch den er auch mit uns wirkt. Darauf geben sie gar nicht acht,
bauen nur auf die äußerlichen Werke, verführen sich selbst und jedermann damit.
Das reißt auch soweit ein, dass sie die Leute bereden, Mönchskutten im Sterben anzuziehen,
geben vor, wer in solchem heiligen Kleid sterbe, der habe Ablass von Sünden und
werde selig; sie fangen an, die Leute nicht allein mit fremden Werken, sondern
auch mit fremden Kleidern selig zu machen.
Ich
meine: achtet man nicht darauf, wird sie der böse Geist noch so weit führen, dass
sie die Leute mit Klosterspeisen, -behausung und -begräbnis zum Himmel führen.
Hilf Gott, welch handgreifliche Finsternisse sind mir das, dass
eine Mönchskutte fromm und selig machen kann. Was ist da der Glaube not? Lasset
uns alle Mönch werden oder alle in Kutten sterben! Es sollte auf die Weise wohl
das Tuch allein zu Mönchskutten verbraucht werden. Hüte dich, hüte dich vor den
Wölfen in solchen Schafskleidern, sie zerreißen und verführen dich. Dem denke
nach, dass Gott mit dir auch wirke und dass du deine Seligkeit nur auf die
Werke, die Gott in dir allein wirkt, und auf keine anderen stellest, wie du hier
die Jungfrau Maria tun siehst. Wenn du dir aber durch anderer Fürbitte dazu
helfen lässt, ist’s recht und wohl getan: füreinander sollen wir alle bitten
und tun. Aber niemand soll sich ohne eigenes göttliches Werk auf anderer Werke
verlassen, sondern mit allem Fleiß seiner und Gottes wahrnehmen, nicht anders,
als wären er und Gott allein im Himmel und auf Erden und hätte Gott mit niemand
anders als mit ihm zu schaffen. Und danach (mag er) auch auf anderer Werke
sehen.
Das
andere, das sie (Maria) hierin lehret: Ein jeglicher soll der erste in Gottes
Lob sein wollen und seine Werke, in ihm geschehen, hervor tragen und danach (Gott)
auch in anderer Werken loben. So lesen wir, dass Paulus und Barnabas den
Aposteln ihre Gotteswerke verkündigten und sie umgekehrt die ihren (Apostelgeschichte
15, 7 ff.). Genau das gleiche taten sie von der Erscheinung nach der
Auferstehung Christi (Lukas 24, 34 f.). Da hebt dann eine gemeinsame Freude und
Lob zu Gott an, da ein jeglicher des anderen Gnade und
doch seine am ersten preiset, ob sie auch gleich geringer sei, als die des
andern. Er begehret nicht der erste oder vorderste in den Gütern zu sein,
sondern in Lob und Liebe Gottes. Denn ihnen war an Gott und seiner bloßen
Gütigkeit genug, wie gering auch die Gabe sei; so ganz richtig einfältig ist
ihr Herz. Aber die Egoisten und Eigensüchtigen sehen krumm und scheel, wenn sie
gewahr werden, dass sie nicht die Höchsten und Besten in Bezug auf die Güter
sind, murren statt zu loben, dass sie andren gleich oder geringer sind; wie die
im Evangelium Matthäus 20, 11 f., die wider den Hausvater murrten, nicht dass
er ihnen Unrecht täte, sondern dass er sie den anderen mit dem Tagelohn
gleichstellte.
So
findet man jetzt viele, die Gottes Gütigkeit nicht loben, dieweil sie nicht
sehen, dass sie so viel haben wie Petrus oder sonst ein Heiliger oder wie
dieser und jener auf Erden. Sie meinen, wenn sie auch so viel hätten, wollten
sie auch wohl Gott loben und lieben. Sie achten es gering, dass sie doch mit
Gütern Gottes überschüttet sind, die sie nicht erkennen, als da ist Leib,
Leben, Vernunft, Gut, Ehre, Freund und Dienst der Sonne mit allen Kreaturen.
Diese würden, wenn sie gleich alle Güter Mariens hätten, doch darin Gott nicht
erkennen und loben; denn wie Christus, Lukas 16, 10, sagt: »Wer im Geringsten
treu ist, der ist auch im Großen treu, und wer im Geringsten unrecht ist, der
ist auch im Großen unrecht.« Darum sind sie es wert, dass ihnen das Viele und
Große nicht wird, weil sie das Kleine und Wenige verschmähen. Lobten sie aber
Gott im Kleinen, so würde ihnen das Große auch im Überfluss zuteil. Das macht,
sie sehen über sich und nicht unter sich. Wenn sie unter sich sähen, würden sie
ihrer viele finden, die ihnen vielleicht nicht die Hälfte gleich sind und doch
wohl mit Gott zufrieden sind und ihn loben. Ein Vogel singt und ist fröhlich in
dem, was er kann, und murrt nicht, dass er nicht reden kann. Ein Hund springt
fröhlich und ist zufrieden, obgleich er nicht Vernunft besitzt. Alle Tiere
lassen sich begnügen und dienen Gott mit Liebe und Lob, nur das schalkhafte,
eigennützige Auge des Menschen, das ist unersättlich und ist doch ungeeignet dazu,
dass es möchte voll werden: um seines Undanks und Hochmuts willen, dass es
obenan sitzen und der Beste sein will, es will nicht Gott ehren, sondern von
ihm geehrt sein.
So
lesen wir, dass zu den Zeiten des Konstanzer Konzils zwei Kardinale, im Feld
reitend, sahen einen Hirten stehen und weinen. Und der eine Kardinal, ein
gütiger Mann, wollte nicht vorüber reiten, sondern den Mann trösten. Und ritt
zu ihm, fragte ihn, was ihm wäre. Da weinte der Hirt
sehr und wollte es lange nicht sagen, so dass der Kardinal sich bekümmerte.
Zuletzt hob er an und zeigte auf eine Kröte und sprach: Darum weine ich, dass
mich Gott als so eine feine Kreatur geschaffen hat, nicht so ungestalt wie den
Wurm, und ich das nie erkannt noch ihm Dank und Lob gesagt habe. Der Kardinal
schlug in sich und entsetzte sich vor dem Wort, so dass er vom Maultier fiel.
Und man musste ihn hineintragen. Und schrie: O St. Augustin, wie wahr hast du
gesagt, die Ungelehrten stehen auf und nehmen den Himmel vor uns dahin. Und wir
mit unserer Kunst wandeln in Fleisch und Blut. Nun acht ich, der Hirt sei weder
reich noch hübsch noch mächtig gewesen. Und hat
dennoch Gottes Güter so tief betrachtet und bedankt, dass er mehr in sich
gefunden, als er selbst übersehen konnte.
Das
erste Werk Gottes in ihr bekennet sie (Maria): es sei, dass Gott sie angesehen
hat; welches auch das größte ist, woran die andern alle hangen und aus ihm alle
fließen. Denn wo es dahin kommt, dass Gott sein Angesicht zu jemand wendet, um
ihn anzusehen, da ist eitel Gnade und Seligkeit, da müssen alle Gaben und Werke
folgen. So lesen wir 1. Mose 4, 5, dass er Abel ansah und sein Opfer. Aber Kain
und sein Opfer sah er nicht an. Daher kommen die häufigen Gebete im Psalter, dass
Gott sein Angesicht zu uns wenden, es nicht verbergen,
über uns erleuchten wolle und dergleichen. Und wie sie selbst auch das für das
Größte achtet, zeigt sie damit, dass sie spricht: »Darum werden mich selig preisen
Kindeskinder« (Lukas 1, 48).
Merke
die Worte: sie sagt nicht, man werde ihr viel Gutes nachsagen, ihre Tugend
preisen, ihre Jungfrauschaft oder Demut erheben, oder etwa ein Liedlein von
ihrer Tat singen, sondern allein davon, dass sie Gott angesehen hat, davon wird
man sagen, sie sei selig. Das ist doch Gott die Ehre so rein geben, dass es nicht
reiner sein könnte. Deshalb zeigt sie auf das Ansehen und sagt: »Siehe, von nun
an werden mich selig preisen « usw., das ist, von der Zeit an, in der Gott meine
Nichtigkeit angesehen hat, werde ich selig genannt werden. Darin wird nicht sie
gelobt, sondern Gottes Gnade über sie; ja, sie wird verachtet und verachtet sich
selbst in dem, dass sie sagt, ihre Nichtigkeit sei von Gott angesehen. Darum
rühmet sie auch ihre Seligkeit, ehe sie die Werke erzählet, die Gott ihr getan
habe, und schreibt sie ganz allesamt dem göttlichen Ansehen ihrer Nichtigkeit
zu.
Aus
dem können wir lernen, welches die rechte Ehre sei, damit man sie ehren und ihr
dienen solle. Wie muss man zu ihr sagen? Siehe die Worte an, so lehren sie dich
so zu sagen: O du selige Jungfrau und Mutter Gottes, wie bist du so gar nichts
und gering, verachtet gewesen, und Gott hat dich doch so ganz gnädig und
reichlich angesehen und große Dinge in dir gewirkt. Du bist derer ja keines
würdig gewesen und (dennoch) ist über all dein Verdienst weit und hoch die
reiche, überschwängliche Gnade Gottes in dir. O wohl dir, selig bist du von der
Stund an bis in Ewigkeit, die du einen solchen Gott gefunden hast! usw. Du
brauchst nicht zu denken, dass sie das ungern höre, dass man sie solcher Gnade
unwürdig nennt. Denn sie hat ohne Zweifel nicht gelogen, als sie selbst ihre
Unwürdigkeit und Nichtigkeit bekennet, welche Gott gar nicht aus ihrem
Verdienst, sondern aus lauter Gnade angesehen habe.
Die
unnützen Schwätzer höret sie ungern, die viel von ihrem Verdienst predigen und
schreiben, womit sie ihre große, eigene Kunst beweisen wollen und nicht sehen,
wie sie das Magnificat unterdrücken, die Mutter Gottes Lügen strafen und die
Gnade Gottes verkleinern. Denn so viel würdiges Verdienst man ihr zulegt, so
viel bricht man der göttlichen Gnade ab und mindert des Magnificats Wahrheit.
Der Engel grüßt sie auch nur als »Hochbegnadete«, und dass der Herr mit ihr
wäre, so dass sie gebenedeit wäre unter allen Weibern. Darum sind alle die, so
ihr viel Lob und Ehre aufdrängen und alles das auf ihr bleiben lassen, nicht
weit davon, dass sie einen Abgott aus ihr machen; gerade als wäre es ihr darum
zu tun, dass man sie ehret und von ihr sich Gutes versähe, obwohl sie es doch
von sich weist und Gott in ihr gelobt haben will und durch sich jedermann zu
guter Zuversicht auf Gottes Gnade bringen will.
Darum,
wer sie recht ehren will, muss sie nicht allein sich vorstellen, sondern sie
vor Gott und weit unter Gott stellen und sie allda und ihre Nichtigkeit (wie
sie sagt) ansehen. Danach (muss er) sich der überschwänglichen Gnade Gottes
verwundern, der einen solchen geringen, nichtigen Menschen so reichlich, gnädig
ansieht, umfängt und segnet. Dann (wirst du) aus dem Anblick bewegt werden Gott
zu lieben und in solchen Gnaden zu loben und dadurch angereizt werden, dich von
solchem Gott alles Guten zu versehen, der geringe, verachtete, nichtige
Menschen so gnädig ansieht und nicht verschmähet, so dass dein Herz so gegen
Gott in Glauben, Liebe und Hoffnung gestärkt werde. Was meinst du, dass ihr
lieber begegnen mag, als wenn du durch sie so zu Gott kommst und an ihr lernst
auf Gott zu vertrauen und zu hoffen, wenn du auch verachtet und vernichtet
wirst, worin das geschehe, im Leben oder im Sterben? Sie will nicht, dass du zu
ihr kommest, sondern durch sie zu Gott.
Umgekehrt
(sollst du) dich vor allem hohen Wesen fürchten lernen, wonach die Menschen
trachten, wenn du siehst, dass Gott auch in seiner Mutter kein hohes Ansehen
fand und haben wollte. Aber die Künstler, die uns die selige Jungfrau so
abmalen und darstellen, dass nichts Verachtetes, sondern eitel große, hohe Dinge
an ihr zu sehen sind, was tun sie anders, als dass sie uns der Mutter Gottes
allein gegenüberstellen und nicht sie Gott gegenüber, womit sie uns furchtsam und
verzagt machen und das tröstliche Gnadenbild verhängen, wie man mit den Bildern
in der Fastenzeit tut. Denn es bleibt kein Beispiel da, dessen wir uns trösten
können, sondern sie wird über alle Beispiele hinausgehoben, so sie doch das
allervornehmste Beispiel der Gnade Gottes sein sollte und gerne wollte, alle
Welt zur Zuversicht auf die göttliche Gnade zu reizen, zu Lieb und Lob, dass
alle Herzen durch sie eine solche Meinung von Gott gewönnen, die da mit aller
Zuversicht sprechen möchte: Ei, du selige Jungfrau und Mutter Gottes, wie hat
uns Gott in dir erzeigt einen großen Trost, dieweil er deine Unwürdigkeit und
Nichtigkeit so gnädig angesehen hat, wodurch wir hinfort gemahnt werden, er werde
uns arme, nichtige Menschen, deinem Beispiel nach, auch nicht verachten und
gnädig ansehen.
Meinst
du, wenn David, Petrus, Paulus, Maria Magdalena und ihresgleichen durch die
große Gnade, die ihnen unwürdig zu aller Menschen Trost gegeben ist, Beispiele sind,
die Zuversicht zu Gott und den Glauben zu stärken, dass nicht auch die selige
Mutter Gottes gern und billig aller Welt ein solch Beispiel wäre? Nun kann sie
es bei den überflüssigen Lobpredigern und unnützen Schwätzern nicht sein, die
aus diesem Vers nicht anzeigen, wie in ihr der überschwängliche Reichtum Gottes
mit ihrer tiefen Armut, die göttliche Ehre mit ihrer Nichtigkeit, die göttliche
Würdigkeit mit ihrer Verächtlichkeit, die göttliche Größe mit ihrer Kleinheit,
die göttliche Güte mit ihrem Unverdienst, die göttliche Gnade mit ihrer
Unwürdigkeit zusammengekommen sind: woraus Lust und Liebe zu Gott erwüchse in
aller Zuversicht. Zu diesem Zweck sind auch ihr und aller Heiligen Leben und
Taten beschrieben. Aber nun findet man wohl etliche, die bei ihr wie bei einem
Gott Hilfe und Trost suchen, dass ich besorge, es sei jetzt mehr Abgötterei in
der Welt, als je gewesen. Das sei diesmal genug.
Das
lateinische »omnes generationes« hab' ich verdeutscht »Kindeskind«, obwohl es
wörtlich heißt »alle Geschlechter«. Das ist aber so dunkel geredet, dass
etliche sich hier sehr bemüht haben, wie es möglich sei, dass alle Geschlechter
sie selig nennen, wo doch Juden, Heiden und viele böse Christen sie lästern
oder es jedenfalls verachten, sie selig zu nennen. Das macht, sie verstehen das
Wörtlein Geschlecht von der Gesamtheit der Menschen, wo es hier doch eher
heißt: die Folge der Glieder der natürlichen Geburt, wie eines nach dem ändern
geboren wird: der Vater, der Sohn, der Sohnessohn und so fort. Jedes Glied heißt
ein Geschlecht, so dass die Jungfrau Maria nichts anderes meint als: Ihr Preis
werde ebenso währen von einem Geschlecht zum ändern, so dass es keine Zeit
gebe, in der sie nicht gepriesen werde. Und das zeigt sie an, wenn sie sagt:
»Siehe da, von nun an alle Geschlechter«, das ist: Jetzt hebt's an und währet
in alle Geschlechter, zu Kindeskindern.
Das
Wörtlein »makariusi« streckt sich auch weiter als »selig sagen« und heißt
»seligen« oder »seligmachen«. Dass es nicht allein mit Sagen oder Worten
geschehe oder mit Kniebeugen, mit Hauptneigen, mit Hutabtun, mit Bildermachen,
mit Kirchenbauen, was auch wohl die Bösen tun, sondern aus allen Kräften und
mit gründlicher Wahrheit. Das geschieht, wenn das Herz (wie oben gesagt) durch
das Hinsehen auf ihre Nichtigkeit und Gottes Gnade Freude und Lust durch sie zu
Gott gewinnt und mit ganzem Herzen sagt oder denkt: O du selige Jungfrau Maria.
Solch Seligen ist ihre rechte Ehre, wie wir gehört haben.
Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig
ist, und des Name heilig ist
Hier
singt sie auf einmal alle Werke, die Gott ihr getan hat, und hält eine gute
Ordnung. Im vorigen Vers hat sie das göttliche Ansehen und gnädigen Willen über
sie gesungen, was auch, wie gesagt, das größte ist und Hauptstück aller Gnaden.
Hier singt sie von Werk und Gaben. Denn Gott gibt wohl etlichen viele Güter und
ziert sie aufs höchste, wie Luzifer im Himmel, und wirft seine Gaben unter die
Menge; aber er sieht sie deshalb nicht an. Die Güter sind nur Geschenke, die da
zeitlich währen; aber die Gnade und das Ansehen ist das Erbe, welches ewig
bleibt, wie Paulus Römer 6, 23 sagt: »Die Gnade(ngabe) ist das ewige Leben.« In
den Gütern gibt er das Seine, im Ansehen und in der Gnade gibt er sich selbst;
in den Gütern empfängt man seine Hand, aber in der Gnade Ansehen empfängt man
sein Herz, Geist, Mut und Willen. Darum gibt die selige Jungfrau das Größte und
Erste dem Ansehen, und sagt nicht zum ersten: alle Kindeskinder werden mich
selig preisen, dass er mir so große Dinge getan hat, wovon dieser Vers redet,
sondern dass er auf mich Nichtige und meine Nichtigkeit gesehen hat, wovon der
vorige Vers redet. Wo gnädiger Wille ist, da sind auch Gaben, aber nicht ist
umgekehrt gnädiger Wille, wo die Gaben sind. Darum folgt dieser Vers mit Recht
dem vorigen. So lesen wir 1. Mose 25, 5 f., dass Abraham Kindern seiner
Beiweiber oder Nebenfrauen Geschenke gab, aber Isaak, dem rechten Sohn von der
rechten Hausfrau Sara, gab er das ganze Erbe. So will Gott, dass seine rechten
Kinder sich nicht mit seinen Gütern und Geschenken trösten, sie seien so groß
und viel sie mögen, geistlich oder leiblich, sondern mit seiner Gnade und ihm
selbst, doch ohne die Gaben zu verachten.
Sie
zählt auch keine Güter insonderheit auf, sondern fasset sie mit einem Wort alle
zusammen und sagt: »Er hat große Dinge an mir getan«, das ist: es ist alles
groß, was er mir getan hat. Damit lehrt sie uns, dass je größer die Andacht im
Geiste ist, sie desto weniger Worte macht. Denn sie fühlt, wie sie es gar nicht
mit Worten erreichen kann, wie sie wohl gedenkt und gerne wollte. Darum sind
diese wenigen Worte des Geistes allezeit so groß und tief, dass niemand sie
verstehen kann, als wer auch denselben Geist wenigstens zu einem Teil fühlet.
Den Geistlosen aber, welche ihre Dinge mit viel Worten und großem Geschrei
ausrichten, sind solche Worte ganz gering anzusehen und ganz ohne Saft und
Geschmack. Ebenso lehrt auch Christus Matthäus 6, 7, dass wir nicht viel Worte
machen sollen, wenn wir beten. Denn solches tun die Ungläubigen, die meinen,
sie werden infolge vieler Worte erhöret, wie auch jetzt in allen Kirchen viel
Läuten, Pfeifen, Singen, Schreien und Lesen ist, aber ich besorge, gar wenig
Lob Gottes, der da will im Geist und in der Wahrheit gelobt sein, wie er Johannes
4, 23 f. sagt.
Salomo
sagt Sprüche 27, 14: Wer seinen Nächsten mit großem Geschrei lobt und steht
frühe auf, der ist zu achten wie ein Lästerer; denn er macht die Sache
verdächtig, dass jedermann denkt, er wolle eine böse Sache beschönigen; weil er’s
so eifrig machet, macht er damit die Sache nur ärger. Wer umgekehrt seinen Nächsten
mit lauter Stimme lästert und frühe aufsteht (das ist, er ist nicht faul, tut’s
mit großem, eilenden Fleiß), der ist gleich wie einer, der preist, zu achten. Denn
man denkt, es sei nicht wahr und er tue es aus Hass und bösem Herzen; er macht
damit seine Sache ärger und die seines Nächsten besser. Wenn man Gott so auch
mit vielen Worten, Geschrei und Klang zu loben vermeint, tut man, als wäre er
taub oder wüsste nichts, als wollten wir ihn aufwecken und unterweisen. Eine
solche Meinung von Gott gereicht mehr zu seiner Schmach und Unehre als zu
seinem Lobe. Sondern wer seine göttlichen Taten mit tiefem Herzen gut bedenkt
und sie mit Bewunderung und Dank ansieht, dass er vor Inbrunst herausfährt, mehr
seufzet als redet, und die Worte selber fließend (nicht erdacht noch vorher
zusammengestellt) herausbrechen, dass gleichsam der Geist mit herausschäumet
und die Worte Leben, Hände und Füße haben, ja, dass zugleich der ganze Leib und
alles Leben und alle Glieder gerne reden wollten: das heißt recht aus dem Geist
und in der Wahrheit Gott loben, da sind die Worte eitel Feuer, Licht und Leben,
wie David Psalm 119, 140 sagt: Herr, deine Worte sind ganz feurig; ebenso: Meine
Lippen sollen dir ein Lob herausschäumen, gleich wie ein heiß Wasser im Sieden
überläuft und schäumet, dass sich’s vor großer Hitze im Topf nicht mehr halten
kann. So sind auch alle Worte dieser seligen Jungfrau in diesem Gesang, deren
wenige sind und doch tief und groß. Diese nennt Paulus Römer 12, 11, die
geistlich sieden und schäumen, und lehret uns so sein.
Die
großen Dinge sind nichts anderes, als dass sie Gottes Mutter geworden ist, in
welchem Werk ihr so viele und große Güter gegeben sind, dass niemand sie begreifen
kann. Denn da folget alle Ehre, alle Seligkeit, und dass sie im ganzen
menschlichen Geschlecht eine einzigartige Person ist über alle, der niemand (darin)
gleich ist, dass sie mit dem himmlischen Vater ein Kind, und ein solches Kind
hat. Und sie selbst kann ihm keinen Namen geben vor überschwänglicher Größe und
muss es dabei bleiben lassen, dass sie heraus brünstet und schäumt, es seien
große Dinge, die nicht auszureden seien noch zu messen. Darum hat man in einem
Wort alle ihre Ehre begriffen, so man sie Gottes Mutter nennet. Es kann niemand
Größeres von ihr noch zu ihr sagen, wenn er gleich so viel Zeugen hätte wie
Laub und Gras, Sterne am Himmel und Sand im Meer ist. Es will auch im Herzen
bedacht sein, was das sei, Gottes Mutter sein.
Sie
schreibt’s auch frei Gottes Gnade, nicht ihrem Verdienst zu. Denn obwohl sie
ohne Sünden gewesen ist, ist doch diese Gnade so außerordentlich, dass sie ihrer
auf keine Weise würdig gewesen. Wie sollte eine Kreatur würdig sein, Gottes
Mutter zu sein? Zwar schwätzen etliche Skribenten hier viel von ihrer Würdigkeit
zu solcher Mutterschaft. Aber ich glaube ihr selber mehr als ihnen. Sie sagt,
ihre Nichtigkeit sei angesehen worden, und Gott habe nicht ihren Dienst damit
belohnt, sondern: »Er hat große Dinge an mir getan.«
Von sich selbst aus hat ers getan, ohne meinen Dienst. Denn sie hat ihr Lebtage
nie daran gedacht, viel weniger sich dazu bereitet und geschickt, dass sie
Gottes Mutter werden sollte. Es kam ihr diese Botschaft ganz unversehens, wie
Lukas schreibt. Aber ein Verdienst ist nicht unvorbereitet auf seinen Lohn, sondern
um Lohnes willen wohl bedacht und unternommen.
Dass
man aber in dem Lied »Himmelskönigin, freue dich« singt: »denn du hast verdient
zu tragen« und an anderem Ort: »des du würdig bist gewesen zu tragen«, beweist
nichts. Singt man doch dieselben Worte auch vom heiligen Kreuz, das doch ein
Holz war und nichts verdienen konnte. Ebenso ist dies auch zu verstehen, dass,
sollte sie eine Mutter Gottes sein, so musste sie ein Weib sein, eine Jungfrau
vom Geschlecht Juda, und der Engelsbotschaft glauben, damit sie dazu tauglich
sei, wie die Schrift von ihr gesagt hat. Wie das Holz kein anderes Verdienst
und keine andere Würdigkeit hatte, als dass es zum Kreuz tauglich und von Gott
verordnet war, so ist ihre Würdigkeit zu dieser Mutterschaft keine andere
gewesen, als daß sie dazu tauglich und verordnet gewesen ist. So dass es ja
lauter Gnade sei und nicht ein Lohn werde, damit man von Gottes Gnade, Lob und
Ehre nichts abbreche, wenn man ihr zuviel gibt. Es ist besser, ihr zuviel abgebrochen,
als der Gnade Gottes. Ja man kann ihr nicht zuviel abbrechen, da sie doch aus
nichts geschaffen ist, wie alle Kreaturen. Aber Gottes Gnade hat man leicht
zuviel abgebrochen. Das ist gefährlich. Und geschieht ihr keine Liebe damit. Es
bedarf wohl auch eines Maßes, dass man den Namen nicht
zu weit treibe, dass man sie eine Königin der Himmel nennt. Zwar ist das wahr,
aber dadurch ist sie doch keine Abgöttin, dass sie geben oder helfen könne, wie
etliche meinen, die mehr zu ihr als zu Gott rufen und Zuflucht haben. Sie gibt
nichts, sondern allein Gott, wie folgt.
»Der
da mächtig ist.« Damit nimmt sie doch allen Kreaturen
alle Macht und Kraft und gibt sie allein Gott. O, das ist
eine große Kühnheit und ein großer Raub von solchem jungen kleinen Mägdlein.
Sie darf mit einem Worte alle Mächtigen krank, alle Großtätigen kraftlos, alle
Weisen zu Narren, alle Berühmten zuschanden machen und allein dem einzigen Gott
alle Macht, Tat, Weisheit und Ruhm zueignen. Denn das Wörtlein: »der da mächtig
ist«, ist so viel gesagt: Es ist niemand, der etwas tue, sondern wie Paulus Epheser
1, 11 sagt: Allein Gott wirkt alle Dinge in allen Dingen, und aller Kreaturen
Werke sind Gottes Werke; wie auch wir im Glaubensbekenntnis sprechen: »Ich glaube
an Gott den Vater, Allmächtigen.« Allmächtig ist er,
so dass in allen und durch alle und über allen nichts wirkt als allein seine
Macht. So singt auch Samuels Mutter Hanna, 1. Samuel 2, 9: Es ist kein Mann mächtig,
etwas zu tun aus seinem Vermögen; und Paulus 2. Korinther 3, 5: »Nicht dass wir
tüchtig sind, etwas zu erdenken als von uns selber, sondern dass wir tüchtig
sind, ist von Gott.« Dies ist ganz ein hoher Artikel
und begreift viel in sich. Er legt alle Hoffart, Vermessenheit, Frevel, Ruhm,
falsches Vertrauen mit einemmal darnieder und erhebt nur Gott. Ja, er zeigt die
Ursache an, warum Gott allein zu erheben sei: nämlich dass er alle Dinge tue.
Es ist leicht gesagt, aber schwer zu glauben und ins Leben zu übertragen. Denn
die solches im Leben üben, sind gar friedliche, gelassene, einfältige Menschen,
maßen sich keines Dinges an, wissen wohl, dass es nicht ihrer, sondern Gottes
ist.
Das
ist nun der Gottesmutter Meinung in diesen Worten: Es ist nichts mein in allen
diesen Dingen und großen Gütern, sondern der, der allein alle Dinge tut und
seine Macht in allen allein wirkt, der hat solche große Dinge an mir getan.
Denn das Wörtlein »mächtig « soll hier nicht eine still ruhende Macht bedeuten,
wie man von einem zeitlichen Könige sagt, er sei mächtig, auch wenn er still
sitzt und nichts tut, sondern eine wirkende Macht und stetige Tätigkeit, die ohne
Unterlass im Schwange geht und wirkt. Denn Gott ruhet nicht, sondern wirkt ohne
Unterlass, wie Christus Johannes 5, 17 sagt: »Mein Vater wirket bis auf diesen
Tag und ich wirke auch.« Auf diese Weise sagt Paulus,
Epheser 3, 20: »der überschwänglich tun kann über alles, was wir bitten«. Das
ist: er tut alle Zeit mehr als wir bitten, das ist seine Art, so tut seine Macht.
Darum habe ich gesagt: Maria, die will nicht ein Abgott sein. Sie tut nichts,
Gott tut alle Dinge. Anrufen soll man sie, dass Gott durch ihren Willen gebe
und tue, was wir bitten; so wie auch alle anderen Heiligen so anzurufen sind, dass
das Werk durchaus ganz allein Gottes bleibe.
Darum
fügt sie dazu und spricht: »Und des Name heilig ist.«
Das ist: wie ich mir das Werk nicht anmaße, so maße ich mir auch den Namen und
die Ehre nicht an. Denn dem gebührt allein die Ehre und Namen, der das Werk
tut. Es ist unbillig, dass ein andrer das Werk tue und ein andrer habe den
Namen und lasse sich deswegen ehren. Ich bin nur die Werkstatt, darinnen er
wirkt, aber ich habe nichts zum Werke getan; darum soll mich auch niemand loben
oder mir die Ehre geben, dass ich Gottes Mutter geworden bin; sondern Gott und
sein Werk soll man in mir ehren und loben. Es ist genug, dass man sich mit mir
freut und mich selig preist, dass mich Gott gebraucht hat, solche seine Werke
an mir zu tun. Siehe, wie rein führt sie alle Dinge auf Gott zurück, wie ganz
maßt sie sich keines Werks, keiner Ehre, keines Ruhmes an. Sie verhält sich
doch ganz wie vorher, da sie deren keines hatte, fragt auch nicht mehr nach
Ehren als vorher, brüstet sich nicht, erhebt sich nicht, ruft nicht aus, wie
sie Gottes Mutter worden sei, fordert keine Ehre, geht hin und schafft im Haus
wie vorher, melkt die Kühe, kocht, wäscht Schüsseln, kehrt, tut wie eine Hausmagd
oder Hausmutter tun soll in geringen, verachteten Werken, als wären ihr solch überschwängliche
Güter und Gnaden nichts. Sie ist unter anderen Weibern und Nachbarn als nichts
Höheres gehalten als vorher; sie hat’s auch nicht begehrt, ist eine arme
Bürgerin unter der geringen Menge geblieben, O, ein wie einfältiges, reines
Herz ist das, ein wie wunderbares Menschenkind ist das! Wie sind da so große
Dinge unter solcher geringen Gestalt verborgen! Wie viele haben sie berührt,
mit ihr geredet, gegessen und getrunken, die sie vielleicht verachtet und als
eine gewöhnliche, arme, schlichte Bürgerin geachtet haben, die sich sonst vor
ihr entsetzt hätten, so sie solches Ding von ihr gewusst hätten.
Das
bedeutet nun: sein Name ist heilig. Denn »heilig « heißt, was abgesondert, Gott
zugeeignet ist, was niemand anfassen und beflecken soll, sondern in Ehren
halten soll. Ebenso bedeutet »Name« ein gutes Gerücht, Ruhm, Lob und Ehre. So
soll sich jedermann von dem Namen Gottes enthalten, soll ihn nicht antasten,
sich nicht zueignen. So wird 2. Mose 30, 25 ff. im Bilde davon geredet, dass
eine köstliche, heilige Salbe von Mose auf Gottes Befehl gemacht und hart geboten
wurde, dass kein Mensch seinen Leib damit salben sollte. Das bedeutet: Gottes
Namen soll sich niemand zuschreiben. Denn das heißt Gottes Namen verunheiligen,
wenn wir uns rühmen oder ehren lassen oder uns selbst wohl gefallen und mit
unseren Werken oder Gütern rühmen, wie die Welt tut und Gottes Namen (damit)
ohne Unterlass verunheiliget und entweihet. Sondern wie die Werke Gott allein
gehören, soll ihm auch der Name allein bleiben; und alle, die so seinen Namen
heiligen, (und) sich der Ehre und des Ruhmes entäußern, die halten ihn recht in
Ehren. Darum werden sie dadurch auch geheiligt. Wie 2. Mose 30, 29 geschrieben
steht, wie die kostbare Salbe so heilig war, dass sie alles heiligte, was sie
anrührte. Das bedeutet: Gottes Name ist recht geehrt, wenn er von uns geheiligt
ist und wir uns kein Werk, keinen Ruhm, kein eigen Wohlgefallen darin anmaßen,
dann rührt er uns an und heiliget uns.
Darum
ist hier zu wachen, weil wir auf Erden nicht ohne Gottes Güter und dadurch auch
nicht ohne (guten) Namen und Ehre sein können. So uns jemand lobt und (einen
guten) Namen dabei gibt, sollen wir hier der Mutter Gottes Beispiel ergreifen
und ja mit diesem Vers darauf zu antworten bereit sein und die Ehre und das Lob
recht brauchen und öffentlich sagen oder wenigstens im Herzen denken: O Herr
Gott, das Werk ist dein, das da gelobt und gerühmt wird; lass auch den Namen
dein sein. Nicht ich, Herr, sondern du hast dies getan, der du mächtig alle
Dinge tust, und heilig ist dein Name. So soll man das Lob und die Ehre nicht
leugnen, als sei es Unrecht, oder verachten, als sei es nichts, sondern es
nicht als ein allzu edles, kostbares Ding annehmen und dem im Himmel heim tragen,
dem es gehört. Siehe, das lehrt dieser edle Vers. Damit ist geantwortet, wenn
jemand fragt, ob denn niemand den anderen ehren soll. Ja, Paulus sagt, wir sollen
uns darum drängen, dem andern mit Ehrerbietung zuvorzukommen, Römer 12, 10.
Aber die Ehre soll niemand annehmen als ihm geschehen oder auf sich bleiben
lassen, sondern sie heiligen und Gott heimtragen, dessen sie ist, mit allem Gut
und Werk, daraus die Ehre kommt. Denn niemand soll ein Leben ohne Ehre führen.
Soll er denn ehrbar leben, so muss Ehre da sein. Aber wie das ehrbare Leben
Gottes Gabe und Werk ist, so sei auch der gute Name allein sein, heilig und
unberührt von eigenem Wohlgefallen. Das beten wir im Vaterunser: »Dein Name
werde geheiligt.«
Und seine Barmherzigkeit währet von einem Geschlecht
zum andern, bei denen, die ihn fürchten
Wir
müssen uns an die Schrift gewöhnen, die da nennt »Geschlecht« die Folge der
natürlichen Erzeugung oder Geburt, wie ein Mensch vom ändern für und für
geboren wird, wie oben gesagt. Darum ist das deutsche Wort »Geschlecht« nicht
genug, ich weiß aber doch kein besseres. Denn »Geschlechter« nennen wir die
Sippschaften und die Gesamtheit der Blutsverwandtschaft. Aber es soll hier
heißen die natürliche Folge vom Vater zu Kindeskindern, dass ein jedes Glied
derselben Folge heiße ein Geschlecht, so dass ich achte, es sollte nicht übel
so verdeutscht sein: »Und seine Barmherzigkeit währet von Kind zu Kind denen,
die ihn fürchten.« Und diese Weise zu reden ist sehr
allgemein in der Schrift. Sie entspringt aus den Worten Gottes, die er sagt auf
dem Berg Sinai im ersten Gebot zu Mose und allem Volk: »Ich bin dein Gott,
stark und emsig, der da straft die Sünde der Väter in den Kindern ins dritte
und vierte Geschlecht denen, die mich hassen, und bin barmherzig in viel
tausend Geschlechter denen, die mich lieben und halten meine Gebote.« (2.Mose
20, 5 f.)
Nun
sie von sich und ihren Gottesgütern aus gesungen und Gott gelobt hat, spaziert
sie nun durch Gottes Werke, die er insgemein in allen Menschen wirkt und singet
ihm davon auch; lehret uns die Werke, Art, Natur und den Willen Gottes recht
erkennen. Es sind viele hochvernünftige Menschen und Philosophen auch damit
umgegangen, dass sie gern gewusst hätten, was doch Gott wäre, haben viel von
ihm geschrieben, der eine so, der andere so. Aber sie sind alle darin verblendet,
haben den rechten Einblick nicht gewonnen; und es ist fürwahr das Größte im
Himmel und auf Erden, dass man Gott recht erkenne, so es jemand (zuteil) werden
mag. Die Mutter Gottes lehrt es hier sehr wohl, wer sie verstehen wollte; wie
sie auch droben an und in ihr selbst dasselbe lehrt. Wie kann man ihn aber
besser erkennen als aus seinen eignen Werken? Wer sein Werk recht erkennet, der
kann (in der Erkenntnis) seiner Natur, seines Willens, seines Herzens und Mutes
nicht fehlgehen. Darum ist’s eine Kunst, seine Werke zu erkennen. Und, damit
wir’s zusammenfassen: sechs göttliche Werke in sechserlei Menschen zählt sie in
diesen vier Versen nacheinander auf, und teilt die Welt in zwei Teile, auf
jeglicher Seite drei Werke und dreierlei Menschen, und ist ein Teil immer gegen
den andern. Da zeiget sie, was Gott auf beiden Seiten tut, malt ihn so ab, dass
er nicht besser abgemalt werden könnte.
Und
diese Teilung ist gut und ordnungsgemäß gefasst und an mehreren Orten der
Schrift gegründet, nämlich Jeremia 9, 23 f., da er so sagt: »Ein Weiser rühme
sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein
Reicher rühme sich nicht seines Reichtums, sondern wer sich rühmen will, der rühme
sich des, dass er mich wisse und kenne, dass ich der Herr bin, der
Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden. Denn solches gefällt
mir, spricht der Herr.« Das ist ein edler Text und
stimmt mit diesem Gesang der Mutter Gottes überein. Hier sehen wir auch, dass
er alles, was die Welt hat, in drei Teile teilt: in Weisheit, Gewalt und
Reichtum und alles damit zerbricht, dass er sagt, man solle nicht darauf pochen,
denn man werde ihn nicht da finden, er habe auch kein Gefallen daran. Er setzt
andere drei Teile dagegen: Barmherzigkeit, Gericht, Gerechtigkeit. Da bin ich,
spricht er, ja ich mache solches alles; so nahe bin ich, und mach’s nicht im
Himmel sondern auf Erden, da findet man mich. Wer mich so erkennet, der kann
darauf wohl trotzen und pochen. Denn, ist er nicht weise sondern armen Geistes,
so ist da meine Barmherzigkeit bei ihm; ist er nicht gewaltig sondern unterdrückt,
so ist da mein Gericht und wird ihn erretten; ist er nicht reich, sondern arm
und bedürftig, so ist bei ihm um so viel mehr von meiner Gerechtigkeit.
In die »Weisheit« bezieht er alles ein, was da
geistliche Güter und hohe Gaben sind, davon ein Mensch ein Wohlgefallen, Ruhm
und Einbildung haben kann, wie der folgende Vers ergeben wird, als da sind:
Verstand, Vernunft, Witz, Kunst, Frömmigkeit, Tugend, gutes Leben; kurz alles,
was in der Seele ist, das man göttlich und geistlich nennet, wie hohe Gaben es
sein mögen – deren keines (doch) Gott selber ist. In die »Gewalt« bezieht er
ein alle Obrigkeit, Adel, Freunde, Würde und Ehre, es sei über zeitliche oder
geistliche Güter und Volk (obwohl in der Schrift keine geistliche Obrigkeit
noch Gewalt ist, sondern nur Dienstbarkeit und Untertansein) mit allem Recht, Freiheit,
Vorteil usw., das darin sein mag. In »Reichtum « ist einbezogen Gesundheit,
Gestalt, Lust, Stärke und alles, was dem Leib äußerlich Gutes begegnen kann.
Dagegen stehen nun andere drei: Geistesarme, Unterdrückte und an äußeren Dingen
Bedürftige. Nun wollen wir die sechs Stücke der Reihe nacheinander ansehen:
Davon sagt dieser Vers: Seine Barmherzigkeit währet von
Kind zu Kind denen, die ihn fürchten. Sie (Maria) fängt beim Obersten und
Größten an, nämlich bei den geistlichen, inwendigen Gütern, welche die hoffärtigsten,
stolzesten, halsstarrigsten Leute auf Erden machen. Es ist kein reicher Mann,
kein mächtiger Herr so aufgeblasen und mutig wie ein solcher Besserwisser, der
sich fühlet und dünkt, dass er recht habe, die Sache
gut verstehe, weiser sei als andere Leute. Besonders wenn es zum Treffen kommt,
dass er weichen oder Unrecht haben soll, da ist er so frech und ganz ohne
Gottesfurcht, dass er sich zu rühmen wagt, er könne nicht irren, Gott sei bei
ihm, die andern seien des Teufels. Er wagt es, sich auf Gottes Gericht zu
berufen, und kann er Gelegenheit und Gewalt haben, so fährt er einher, mit dem
Kopf hindurch, verfolget, verurteilt, lästert, würget, verjagt, zerstöret alle,
die ihm widerstehen, und sagt danach, er hab’s Gott zu Dienst und Ehren getan.
Er ist eines großen Dankes und Verdienstes vor Gott so sicher und gewiss, dass
die Engel im Himmel kaum so gewiss sind. O wie eine große Aufgeblasenheit ist
das! O wie viel handelt die Schrift von solchen Leuten, wie gräulich drohet sie
ihnen, aber sie fühlen’s weniger als der Amboss des Schmiedes die Hammerschläge
fühlet. So ist dieses Stück ein großes, weitläufiges
Ding.
Von denen sagt Christus Johannes 16, 2: »Es kommt die
Stunde, dass wer euch tötet, wird meinen, er tue Gott einen Dienst damit.« Und Psalm 10, 5 f. (heißt es) von demselben Haufen: »Er
fährt fort mit seinem Tun immerdar und spricht: Ich werde nimmermehr darnieder liegen
«, als wollte er sagen: Ich habe recht, ich tue gut, Gott wird mir großen Lohn
drum geben usw. Solch ein Volk war Moab, davon Jesaja 16, 6 und Jeremia 48, 29
f. (sagen): »Wir haben von Moab gehöret, es ist über die Maßen hochmütig, sein
Hochmut, seine Aufgeblasenheit, seine Vermessenheit, sein Rühmen und sein Zorn
ist größer als seine Macht.« So sehen wir, dass solche Leute vor großem Übermut
gern mehr täten als sie vermögen. Ein solches Volk waren die Juden gegenüber
Christus und den Aposteln. Solche Leute waren die Freunde Hiobs, die über die
Maßen weise wider ihn redeten und Gott sehr hoch lobten und predigten. Solche
Leute hören nicht, lassen sich nichts sagen; das ist nicht möglich, dass sie
Unrecht haben oder nachgeben. Nur hindurch, und sollt die Welt darob ganz in
Trümmer gehen! Die Schrift kann solchen verlorenen Haufen nicht genugsam
strafen. Jetzt nennet sie ihn eine Schlange, die ihre Ohren zustopft, dass sie
nicht höre, jetzt ein unbezwingliches Einhorn, jetzt einen wütenden Löwen,
jetzt einen großen unbeweglichen Fels, jetzt einen Drachen und so fort viel
mehr (Psalm 58, 5; Psalm 22, 22; Psalm 7, 3; Jeremia 5, 3; Psalm 74, 13).
Aber nirgends sind sie besser abgemalt als Hiob 40,
10 ff. und Hiob 41, 1 ff. Da nennt er denselben Haufen Behemot. Behemah heißt
ein Tier, Behemot ein Haufen Tiere, das ist ein Volk, das einen tierischen Verstand
hat und nicht Gottes Geist in sich regieren lässt. Da beschreibt ihn Gott, wie
er Augen habe wie die Morgenröte, denn ihre Klugheit ist ohne Maß; ihre Haut so
hart, dass er einen Spott daraus macht, so man drauf schießt oder sticht. Das
ist: wenn gegen sie gepredigt wird, verlachen sie es; denn ihr Recht soll
unangreifbar sein. Ebenso klebet eine Schuppe an der andern, dass keine Luft
dazwischen geht: denn sie halten zusammen, dass kein Geist Gottes in sie kommen
kann. Sein Herz, spricht Gott, ist verhärtet wie eines Schmiedes Amboss. Es ist
des Teufels Körper; darum schreibt er auch solches alles dem Teufel an
derselben Stelle zu. Ein solches Volk ist zu unsern Zeiten vor allen anderen
der Papst mit seinem Haufen, und (ist es) lange Zeit gewesen; die tun auch so
und mehr als es je gewesen ist: da ist kein Hören, kein Einlenken, da hilft
kein Sagen, kein Raten, kein Bitten, kein Drohen, kurzum nichts mehr, denn: wir
haben recht. Dabei bleibt’s, trotz jemand anders, und wenn’s die Welt wäre.
Möchte aber jemand sagen: Wie will sich das fügen?
Soll man das Recht nicht halten? Soll man die Wahrheit lassen? Ist’s nicht
geboten, dass man um des Rechts und der Wahrheit willen sterben soll? Haben nicht
die heiligen Märtyrer um des Evangeliums willen gelitten? Hat nicht auch
Christus selbst recht haben wollen? Es geschieht doch,
dass solche Leute irgend einmal öffentlich (und wie sie plärren: vor Gott)
recht haben, gut und weislich handeln. Antworte ich: Hier ist’s Zeit und Not
die Augen auftun, hier ist die Hauptschwierigkeit, daran liegt’s ganz und gar, dass
man recht Unterricht über das Recht habe. Es ist ja wahr, um der Wahrheit und
Rechtes willen soll man alles leiden und sie nicht leugnen, sie seien so gering
sie wollen. Es mag auch sein, dass sie bisweilen recht haben; aber damit wird’s
verderbt, dass sie das Recht nicht auf rechtliche Weise ausführen, nicht mit
Furcht darinnen handeln, sich nicht Gott vor Augen stellen, meinen es sei
genug, dass es Recht sei, sollen und wollen aus eigener Gewalt fortfahren und das
Spiel hinausführen, womit sie ihr Recht zu Unrecht machen, wenn es schon im
Grund Recht wäre. Viel gefährlicher aber ist’s, wenn sie es (nur) recht zu sein
dünkt und sie wissen’s nicht sicher, wie es in den hohen Sachen geschieht, die
Gott und seine Rechte betreffen. Aber (wir) wollen zum ersten von dem einfachen
menschlichen Recht reden und ein leicht verständliches Beispiel nehmen.
Ist’s nicht wahr, dass Geld, Gut, Leib, Ehre, Weib, Kind
und Freund usw. auch gute Dinge sind, von Gott selber geschaffen und gegeben?
So es denn Gottes Gaben sind und nicht dein, und er wollte dich versuchen, ob
du diese auch um seinetwillen lassen fahren möchtest und mehr an ihm allein,
als an solchen seinen Gütern hängen? Er schickt dir einen Feind, der sie dir
ganz oder zu einem Teil nehme und dir Schaden tut. Oder du kämest sonst durch
Sterben und Verderben darum: meinst du, dass du hier billig Ursache hättest zu
toben, zu wüten, sie mit Sturm und Gewalt wieder zu holen oder ungeduldig zu
sein, bis du sie wieder hättest? Du gäbest vor, es wären gute Dinge und Gottes
Kreatur, die er selbst gemacht hätte, und die ganze Schrift nenne solche Dinge
gut, darum wolltest du Gottes Wort halten und solch Gut mit Leib und Leben
schützen und zurückholen, oder sie wenigstens nicht mit Willen entbehren noch
mit Geduld fahren lassen: wäre das nicht ein feiner Schein (des Rechts)? Wolltest
du nun hier richtig gut handeln, so darfst du nicht mit dem Kopf hindurch fahren.
Wie denn? Du solltest Gott fürchten und so sagen: nun, lieber Gott, es sind
gute Dinge und deine Güter, wie dein eigenes Wort und Schrift sagt. Aber ich
weiß nicht, ob du mir sie gönnen willst. Wenn ich wüsste, dass ich’s nicht
haben sollte, so wollte ich sie nicht mit einem Haar wieder holen. Wüsste ich
aber, dass du sie bei mir mehr als bei jenen haben wolltest, so wollte ich
deinem Willen darin dienen und sie (unter Einsatz von) Leib und Gut
zurückholen. Weil ich aber deren keines weiß und sehe, dass es gegenwärtig
geschieht, dass du mir sie nehmen lässt, befehle ich dir die Sache, will
warten, was ich drin tun soll und bereit sein, sie zu haben und zu entbehren.
Sieh, das ist eine rechte Seele, die fürchtet Gott;
da ist Barmherzigkeit, wie hier die Mutter Gottes singet. Daraus kann man
merken, aus welchem Grund Abraham, David und das Volk von Israel vor Zeiten
stritten und viele erwürgten. Sie gingen aus Gottes Willen hinan, standen in
Furcht und stritten nicht um des Gutes willen, sondern weil es Gott von ihnen
haben wollte; so wie die Berichte allgemein den vorherigen Befehl Gottes geben
und anzeigen. Nun siehe, wie hier die Wahrheit nicht verleugnet wird. Die
Wahrheit sagt, es seien gute Dinge und Gottes Kreatur. Ja eben dieselbe
Wahrheit sagt auch und lehret, du sollest solche guten Dinge fahren lassen und
alle Stunden bereit sein, sie zu entbehren, so es Gott haben will, und allein an
Gott hangen. Die Wahrheit dringt dich nicht, dass du die Güter zurückholen
sollst, dadurch dass sie sagt, sie seien gut. Sie dringt dich auch nicht, dass
du sagen sollst, sie seien nicht gut, sondern dass du innerlich frei von ihnen
sein und bekennen sollst, dass sie gut sind und nicht böse.
So muss man auch mit dem Recht und allen Gütern der
Vernunft oder Weisheit verfahren. Recht ist ein gut
Ding und eine Gabe Gottes, wer zweifelt daran? Gottes Wort sagt selbst, Recht
sei gut, und ja niemand soll bekennen, dass seine gute oder rechte Sache unrecht
oder böse sei; er soll eher drüber sterben und alles, was Gott nicht ist,
fahren lassen. Denn das wäre Gott und sein Wort verleugnet, der da sagt, Recht
sei gut und nicht böse. Wolltest du aber deswegen schreien, wüten, toben und
alle Welt erwürgen, weil dir solch Recht genommen oder gedrückt würde? Wie
etliche tun, die in den Himmel rufen, allen Jammer anrichten, Land und Leute
verderben, die Welt mit Kriegen und Blutvergießen erfüllen? Was weißt du, ob Gott
dir solche Gabe und Recht lassen will? Ist’s doch sein, er kann dir’s nehmen
heut und morgen, draußen und drinnen, durch Feind und Freund und wie er will. Er
versucht dich, ob du auch um seinetwillen des Rechts entbehren,
Unrecht haben und leiden wollest, um seinetwillen die Schande tragen und an ihm
allein hangen. Bist du nun gottesfürchtig und denkst: Herr, es ist dein, ich
will’s nicht haben, ich wisse denn, dass du mir’s gönnen willst, fahre hin, was
da hin fährt, sei du nur mein Gott. Siehe, dann stimmt dieser Vers: »Und seine
Barmherzigkeit ist bei denen, die ihn fürchten«, die nichts tun wollen ohne
seinen Willen. Siehe, da ist Gottes Wort in beiden Stücken gehalten: zum
ersten, dass du bekennest, das Recht, deine Vernunft, deine Erkenntnis, deine
Weisheit und alle deine Absicht sei recht und gut, wie Gottes Wort selbst davon
redet. Zum andern, dass du solches Gutes gerne um Gottes willen ermangelst, zu
Unrecht verderbt und zu Schanden werdest vor der Welt, wie Gottes Wort auch
lehret.
Es sind zwei Dinge gut oder recht: Bekennen und Gewinnen.
Dir ist das Bekenntnis genug, dass (das) gut und recht (ist, was du) hast;
kannst du nicht gewinnen, Lass es Gott befohlen sein; dir ist befohlen zu bekennen,
Gott hat sich das Gewinnen vorbehalten. Will er, dass du auch gewinnen sollst,
so wird er es selber tun oder es dir so zubringen, ohne dass du daran denkst, dass
du es in die Hand nehmen und auf eine Weise gewinnen musst, wie du es niemals
gedacht oder begehrt hättest. Will er nicht, lass dir an seiner Barmherzigkeit
genügen. Nimmt man dir den Sieg des Rechts, so kann man dir doch das Bekennen
nicht nehmen. Siehe, so müssen wir abstehen: nicht von den Gütern Gottes,
sondern von bösem, verkehrten Kleben an denselben, dass wir ihrer mit innerer
Freiheit ermangeln und gebrauchen können, so dass wir in jedem Fall an Gott
allein hangen.
O, solch Ding sollten alle Fürsten und Obrigkeit
wissen, die sich nicht mit Bekennen des Rechten begnügen, sondern auch stracks
gewinnen und obliegen wollen, ohne alle Gottesfurcht, machen die Welt voll
Bluts und Jammers, meinen, sie tun gut und recht daran, dieweil sie eine rechte
Sache haben oder zu haben vermeinen. Was ist das anders als der stolze,
übermütige Moab, der sich selbst würdig macht und meint, dass er das edle,
schöne Gut und Gabe Gottes (das Recht) haben solle, obwohl er nicht würdig ist,
wenn er sich recht vor Gottes Augen ansähe, dass ihn die Erde trägt und die
Rinden vom Brot esse um seiner Sünde willen. O Blindheit, o Blindheit! Wer ist
einer kleinsten Kreatur Gottes würdig? Und wir wollen die höchsten Kreaturen, das
Recht, die Weisheit und die Ehre derselben nicht allein haben, sondern auch mit
wütendem Blutvergießen und allem Unglück behalten und holen; gehen danach hin,
beten, fasten, hören Messe, stiften Kirchen mit solchem blutigen, wütigen,
rasenden Gemüt, dass es nicht Wunder wäre, die Steine zersprängen vor unserem
Angesicht. Hier ergibt sich am Rande eine Frage. Soll denn nicht ein Herr sein
Land und Leute vor Unrecht schützen, sondern so still halten, sich alles nehmen
lassen? Was wollte daraus in der Welt werden? Da will ich mein Dafürhalten
jetzt aufs kürzeste sagen. Weltliche Gewalt ist schuldig, ihre Untertanen zu
schützen, wie ich oft gesagt habe. Denn deshalb trägt sie das Schwert, dass man
die, welche sich nicht an solche göttliche Lehre kehren, in der Furcht halte,
damit sie den andern Frieden und Ruhe lassen. Auch sucht sie darin nicht ihr
Eigenes, sondern des Nächsten Nutzen und Gottes Ehre. Sie wäre auch wohl gern
stille und ließe ihr Schwert liegen, wenn Gott solches nicht verordnet hätte,
den Bösen zu steuern, doch so, dass solcher Schutz nicht mit viel größerem
Schaden geschehe und ein Löffel aufgehoben werde, während man eine Schüssel
zertritt. Es ist ein schlechter Schutz, wenn man um einer Person willen eine
ganze Stadt in Gefahr bringt, oder für ein Dorf oder Schloss das ganze Land
dransetzt – es wäre denn, dass Gott, wie vor Zeiten, besonders befehle, solches
zu tun. Es nimmt ein Reiter einem Bürger sein Gut, und du brichst mit einem
Heere auf, das Unrecht zu strafen, brandschatzest das ganze Land: Wer hat hier
mehr Schaden getan, der Reiter oder der Herr? David, der sah vielmals durch die
Finger, wo er nicht ohne der anderen Schaden strafen konnte. So muss alle
Obrigkeit tun; es muß auch umgekehrt ein Bürger etwas leiden um der Gemeinde
willen und nicht begehren, dass um seinetwillen die anderen alle in großen
Schaden kommen. Es will nicht allezeit dasselbe sein. Christus wollte nicht das
Unkraut ausrotten lassen, damit nicht auch der Weizen mit ausgerottet würde.
Sollte man auf alle Antastung hin streiten und gar nichts übersehen, so wäre
niemals Frieden und dennoch eitel Verderben dazu. Darum ist das Recht oder
Unrecht niemals genugsam Ursache, ohne Unterschied zu strafen oder Krieg
anzufangen. Es ist wohl genugsam Ursache, mit Berechtigung und ohne eines anderen Verderben zu strafen. Es muss ja ein Herr oder
Obrigkeit mehr darauf sehen, was dem ganzen Haufen dient als einem einzelnen
Stück. Es wird der nicht ein reicher Hausvater werden, der die Gans hintennach
wirft, deshalb weil man ihr eine Feder ausgerauft hat. Vom Kriegführen aber ist
jetzt nicht Zeit zu reden.
So ist auch in göttlichen Sachen zu tun, wie mit dem
Glauben und Evangelium, das die höchsten Güter sind, und sie darf niemand
fahren lassen. Aber das Recht, Gunst, Ehre, das Erhalten und die Folgen derselben
muss man auch in die Waage legen und Gott damit walten lassen, nicht mit dem
Gewinnen, sondern mit dem Bekennen besorgt sein und gerne leiden, wenn man als
ein Ungerechter, ein Verführer, ein Ketzer, ein Irriger, ein Frevler usw. darob
vor aller Welt geschmäht, verfolgt, verjagt, verbrannt oder sonst erwürgt werde;
denn da ist Gottes Barmherzigkeit dabei. Man kann ihm ja den Glauben und die
Wahrheit nicht nehmen, wenn man ihm auch das Leben nimmt; obwohl in diesem
Stück wenige sind, die um das Gewinnen und Obliegen toben und sich wunderlich benehmen,
wie im zeitlichen Gut und Recht geschieht. Denn ihrer sind auch wenig, die es
recht und von Grund auf bekennen. Doch soll ein solcher Mensch Leid und Klage
haben um anderer willen, denen durch das Unterliegen des Evangeliums Hindernis an
der Seelen Seligkeit geschieht. Ja er soll viel mehr hier (doch vor Gottes
Augen) klagen und sich mühen um solchen Schadens der Seelen willen, wie ihn die
Moabiter um ihrer zeitlichen Güter und Rechte willen anrichten, wie droben
gesagt ist. Denn es ist zu erbarmen, wo Gottes Wort nicht gewinnt und obliegt, nicht
um des Bekenners willen, sondern derer, die dadurch sollten gerettet worden
sein. Daher sehen wir bei den Propheten, Christus und den Aposteln so großes
Leid und Klage um der Unterdrückung des Gotteswortes willen, die doch fröhlich
waren alles Unrecht und Schaden zu leiden. Denn hier hat’s eine andere Ursache
um das Gewinnen, vor allen anderen Gütern; obwohl doch niemand selbst darinnen
mit Gewalt verfahren soll und solches Recht des Evangeliums mit dem Sturm und
der Unvernunft behalten oder holen, sondern sich vor Gott demütigen soll, als der
vielleicht nicht würdig sei, dass solch groß Gut durch ihn geschehe und alles
mit Bitten und Klagen seiner Barmherzigkeit anheim geben.
Siehe, das ist das erste Werk Gottes: dass er barmherzig
ist über alle, die ihrer eigenen Meinung, Rechtes, Weisheit und was geistliche
Güter sind, gerne ermangeln und willig geistesarm bleiben. Das sind die rechten
Gottesfürchtigen, die sich keines Dinges würdig dünken, wie gering es sei, gern
vor Gott und Welt nackt und bloß sind, was sie aber davon haben, nur als aus
lauter Gnade denen ohne Verdienst gegeben, mit Lob, Dank und Furcht brauchen
gleich wie Güter Fremder. Sie suchen nicht ihren, sondern allein dessen Willen,
Lust, Lob und Ehre, des sie sind. Und (Maria) zeigt an, wie viel mehr Lust Gott
habe, solche Barmherzigkeit, sein edelstes Werk, zu tun, als das Gegenwerk der
Stärke, damit dass sie sagt, es währe solch Werk Gottes ohne Aufhören von Kind
zu Kind in den Gottesfürchtigen, während jenes Werk nur bis ins dritte oder
vierte Glied währet und in diesem folgenden Vers kein Ziel noch Zeit gesetzt
wird, wie folget.
Das andere Werk Gottes: geistliche Hoffart
zerstören
Er übet Gewalt mit seinem Arm, und zerstreuet, die hoffärtig
sind in ihres Herzens Sinn
Niemand
lasse sich irre machen durch die Verdeutschung, dass ich droben so verdeutscht
habe: »er wirket gewaltig«, und hier: »er übt Gewalt«. Das geschieht deshalb,
damit wir die Worte um so besser verstehen, welche an keine Zeit gebunden sein
sollen, sondern Gottes Art und Werk frei anzeigen, die er allezeit getan hat,
allezeit tut, allezeit tun wird. So dass es gleichviel wäre, wenn ich’s in
solcher Weise auf deutsch sagte: Gott ist ein solcher
Herr, dessen Werke dermaßen gehen, dass er kräftig die Hochmütigen zerstreuet und
über die Furchtsamen barmherzig ist.
Gottes
»Arm« wird in der Schrift seine eigene Gewalt genannt, mit der er ohne
Vermittlung der Kreaturen wirkt. Das geht still und heimlich zu, dass niemand sein
gewahr wird, bis dass es geschehen ist, so dass diese Gewalt oder der Arm nicht
anders als allein durch den Glauben verstanden und erkannt werden kann. Deshalb
klagt auch Jesaja 53, 1 darüber, dass so wenige zu solchem Arm Glauben haben
und spricht: »Wer glaubt unserer Predigt und wem wird der Arm Gottes offenbart?« Das kommt alles davon, wie daselbst beschrieben wird. Es
geht heimlich unter einem ungleichen Ansehen solcher Gewalt. Auch Habakuk 3, 4
sagt, dass Hörner (= Strahlen) in Gottes Händen sind, um seine große Stärke
anzuzeigen. Und er sagt doch, seine Stärke sei darin verborgen. Wie geht das
zu?
Es
geht so zu: Wenn Gott durch Vermittlung der Kreaturen wirkt, so sieht man
öffentlich, wo Gewalt oder Schwäche sei. Daher kommt das Sprichwort: Gott hilft
dem Stärksten. Also, welcher Fürst den Krieg gewinnt, durch den hat Gott die
andern geschlagen. Frisst ein Wolf jemanden oder wird er sonst geschädigt, so
ist’s durch die Kreatur geschehen. So macht und zerbricht Gott eine Kreatur
durch die andere. Wer da liegt, der liegt; wer da steht, der steht. Aber wenn
er selbst durch seinen Arm wirkt, da geht es anders zu: da ist’s zerstört, eher
als man meinet, (und) umgekehrt erbauet, ehe man’s meinet und es jemand sieht.
Solches Werk tut er nun zwischen den beiden Teilen der Welt, den Frommen und
Bösen. Da lässt er die Frommen kraftlos und unterdrückt werden, dass jedermann
meinet, es sei mit ihnen aus, es habe ein Ende, und eben in demselben ist er am
stärksten da, so ganz verborgen und heimlich, dass die auch selbst es nicht
fühlen, die da den Druck erleiden, sondern glauben’s. Da ist Gottes Stärke voll
und der ganze Arm. Denn wo Menschenkraft hinausgeht, da geht Gottes Kraft
herein, wenn der Glaube da ist und des wartet. Wenn nun der Druck zu ende ist,
dann bricht’s hervor, was für eine Stärke unter der Krankheit da gewesen ist.
Siehe, so wurde Christus kraftlos am Kreuz und eben daselbst tat er die größte
Machttat, überwand die Sünde, Tod, Welt, Hölle, Teufel und alles Übel. So sind
alle Märtyrer stark gewesen und haben gewonnen, so gewinnen auch noch (heute) alle
Leidenden und Unterdrückten. Darum spricht Joel 3, 15: »Der da schwach ist, der
soll sagen, ich bin stark«, aber im Glauben und ohne es zu fühlen, bis dass es
ans Ende kommt.
Umgekehrt
lässt Gott den anderen Teil sich groß und mächtig erheben. Er zieht seine Kraft
heraus und lässt sie sich nur aus eigener Kraft aufblasen. Denn wo
Menschenkraft herein geht, da geht Gotteskraft hinaus. Wenn nun die Blase voll
ist, und jedermann meinet, sie liegen oben, haben gewonnen, und sie nun auch selbst
sicher sind und es ans Ende gebracht haben, dann sticht Gott ein Loch in die
Blase, so ist’s ganz aus. Die Narren wissen nicht, dass sie eben während sie
aufgehen und stark werden von Gott verlassen sind und Gottes Arm nicht bei
ihnen ist. Darum währt ihr Ding seine Zeit; danach verschwindet es wie eine
Wasserblase, wird als wäre es nie gewesen. Davon redet Psalm 73, 16 ff., da er
(der Psalmsänger) sich sehr verwundert, wie die Bösen so reich, sicher und
mächtig wären in der Welt. Zuletzt sagt er: Ich hab’s nicht verstehen können,
bis ich in das Heiligtum Gottes sah und auf ihr Ende merkte. Da sah ich, dass sie
nur zu ihrem Selbstbetrug so erhoben waren und eben darin erniedrigt wurden,
darin sie erhoben waren. Wie bald sind sie zerstört, wie schnell ist’s aus mit
ihnen geworden, als wären sie nie gewesen, wie ein Traum dem vergeht, der da
aufwacht. Und Psalm 37, 35 (heißt es): Ich habe einen gottlosen Mann gesehen, aufgewachsen
und erhöht wie ein Zedernbaum auf dem Berge Libanon; ich bin nur vorübergegangen,
und siehe, da war er schon dahin; ich fragte nach ihm, da war er nicht mehr da.
Es
gebricht nur am Glauben, dass wir nicht auch so ein wenig der Zeit warten
könnten, sonst würden wir auch fein sehen, wie die Barmherzigkeit bei den Furchtsamen
mit aller Stärke Gottes ist und der Arm Gottes wider die Hoffärtigen mit allem
Ernst und Gewalt. Wir Glaubenslosen tasten mit der Faust nach der
Barmherzigkeit und nach dem Arm Gottes, und wenn wir (ihn) nicht fühlen, so
meinen wir, es sei mit uns verloren und für die Feinde gewonnen, als sei Gottes
Gnade und Barmherzigkeit von uns (genommen) und sein Arm wider uns. Das macht,
wir kennen die ihm eigenen Werke nicht, darum kennen wir ihn auch nicht, weder
seine Barmherzigkeit noch (seinen) Arm. Denn er muss und will im Glauben
erkannt werden. Darum müssen die Sinne und Vernunft zu sein; ihr Auge, das
ärgert uns, darum soll man es ausstechen und wegwerfen. Siehe, das sind zwei
Werke Gottes widereinander, aus welchen wir lernen, wie Gott so gesinnt sei, dass
er ferne von den Klugen und Weisen sei und nahe bei den Unweisen und denen, die
Unrecht haben müssen. Das macht dann Gott lieblich und löblich, tröstet Seele und Leib und alle Kräfte.
Nun
siehe die Worte: »Er zerstreuet, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.« Die Zerstörung geschieht, wie gesagt: eben wenn sie am
allerklügsten sind und voll eigener Weisheit, dann ist Gottes Weisheit gewisslich
nimmer da. Wie könnte er sie aber besser zerstören als sie seiner ewigen
Weisheit leer machen und voll werden lassen ihrer zeitlichen, kurzen, vergänglichen
Weisheit? Sie (Maria) spricht nämlich; »die da hoffärtig sind in ihres Herzens
Sinn«, das ist, denen ihre Absicht, Meinung und Verstand, den nicht Gott,
sondern ihr Herz gibt, wohl gefällt, dass der allein der allerrechteste, beste,
weiseste sei. Infolgedessen erheben sie sich wider die Gottesfürchtigen, dämpfen
ihre Absicht und Recht, machen’s zuschanden und verfolgen’s aufs äußerste, dass
ja ihre eigene Sache nur recht sei und bestehe. Und wenn sie das erlangen, rühmen
und erheben (sie) sich hoch, wie die Juden wider Christus taten, aber nicht
sahen, dass damit ihre Sache zerstört und zuschanden und Christus zu allen
Ehren erhoben wurde. So sehen wir, dass dieser Vers von den geistlichen Gütern
redet. Und wenn man darinnen Gottes Werk auf beiden Seiten erkennet: dass wir
gerne geistesarm sein und unrecht haben sollen, unsern Widerpart recht haben
lassen; sie werden’s doch nicht lange treiben, die Verheißung hier ist zu
stark, sie können dem Gottesarm nicht entrinnen. Sie müssen herunter, so hoch
wie sie sich erhoben haben, sofern wir das glauben. Wo aber der Glaube nicht
ist, da wirkt Gott solches Werk nicht, lässt (die Dinge) gehen und wirkt
öffentlich durch die Kreaturen, wie droben gesagt ist. Das sind aber nicht die
rechten Werke, daran man ihn erkennen kann. Denn es laufen der Kreatur Kräfte
mit unter, und es sind nicht rein eigene Gotteswerke, welche so (beschaffen)
sein müssen, dass niemand mit ihm wirkt, sondern er allein. Das geschieht, wenn
wir kraftlos werden und unterdrückt in unserem Recht oder Sinn und Gottes Kraft
in uns leiden; das sind edle Werke.
Wie
meisterlich trifft sie (Maria) aber die falschen Gleisner und sieht ihnen nicht
auf die Hände noch in die Augen, sondern ins Herz, spricht: »die hoffärtig sind
in ihres Herzens Sinn.« Damit trifft sie besonders die
Feinde göttlicher Wahrheit, wie es die Juden gegenüber Christus waren und jetzt
auch (die Katholiken). Denn diese Gelehrten und Heiligen sind nicht in Kleidern
oder Gebärden hoffärtig, sie beten viel, fasten viel, predigen und studieren
viel, halten auch Messe, tragen das Haupt demütig und nicht köstliche Kleider,
wissen es selbst nicht anders, als dass kein größerer Feind der Hoffart, des
Unrechtes, der Gleisnerei sei als sie selbst, und kein größerer Freund der Wahrheit
und Gottes als sie: wie könnten sie der Wahrheit Schaden tun, da sie doch solch
heilige, fromme, gelehrte Leute wären? Solch ihr Wesen, das gibt einen Schein
und glänzt und bewegt die Menge. Ach, sie meinen’s so herzlich gut, rufen den
lieben Gott an und erbarmen sich über den armen Jesus, dass er so unrecht tut
und hoffärtig und nicht so fromm ist wie sie es sind. Von denen sagt er Matthäus
11, 19: »Die Weisheit wird von ihren eigenen Kindern gerechtfertigt «, das ist,
sie sind gerechter und weiser als ich selbst, der ich die göttliche Weisheit
bin; wie ich’s mache, so ist’s nicht recht, und ich werde von ihnen gemeistert.
Das sind die giftigsten, schädlichsten Menschen auf Erden, das ist eine
(ab)grundtiefe, teuflische Hoffart des Herzens, für die kein Rat ist. Denn sie hören
nicht; was man sagt, das geht sie nicht an; sie lassen’s über den armen Sünder
ergehen, der solcher Lehre bedarf; sie bedürfen’s nicht. Johannes nennet sie Schlangengezüchte,
Lukas 3, 7, Christus auch. Das sind die recht Schuldigen, die Gott nicht
fürchten und nur dazu dienen, dass Gott sie mit ihrer Hoffart zerstreue,
deshalb weil niemand Recht und Wahrheit mehr verfolgt als sie; doch, wie
gesagt, (angeblich) um Gottes und der Gerechtigkeit willen. Darum müssen sie
die ersten auf dieser Seite unter den drei Feinden Gottes sein. Denn die
Reichen sind die geringsten Feinde, viel mehr tun die Gewaltigen, aber solche »Gelehrten«
sind die Größten, die reizen die andern an. Die Reichen vertilgen die Wahrheit
bei sich selbst, die Gewaltigen verjagen sie bei den andern; aber die Gelehrten
sind die ärgsten, sie löschen sie als solche ganz aus und bringen anderes auf:
ihres Herzens Eigendünkel, dass sie (die Wahrheit) nicht wieder aufkommen kann.
So weit nun die Wahrheit an sich selbst besser ist als die Menschen, in denen sie
wohnet, um soviel sind die Gelehrten ärger als die Gewaltigen und Reichen. O,
Gott ist ihnen besonders feind, wie billig!
Das dritte Werk: die Hohen erniedrigend
Dies
Werk und die nachfolgenden sind nun aus den vorigen zweien leicht zu verstehen.
Denn gleich wie er die Weisen und Klüglinge in ihrem Eigensinn und Gutdünken
zerstöret, darauf sie sich verlassen und ihren Hochmut wider die
Gottesfürchtigen treiben, die da unrecht haben müssen und deren Sinn und Recht verdammt
sein muss, wie denn am meisten um des Gotteswortes willen geschieht. So
zerstöret er auch und setzt ab die Gewaltigen und Großen mit ihrer Macht und
obrigkeitlichen Gewalt, darauf sie sich verlassen und (mit der sie) ihren
Übermut gegen die Unteren und frommen Demütigen üben, die da von ihnen Schaden,
Pein, Tod und allerlei Übel leiden müssen. Und wie er die tröstet, die da
Unrecht und Schaden um ihres Rechtes, Wahrheit und Wortes willen haben müssen,
so tröstet er auch, die da Schaden und Übel leiden müssen, und so viel wie er
diese tröstet, so viel erschreckt er jene. Das muss aber auch alles im Glauben
erkannt und zu Ende abgewartet sein. Denn er zerstört die Gewaltigen so schnell
nicht, wie sie es verdienen, lässt sie eine Weile gehen, bis dass ihre Gewalt
aufs höchste und letzte kommt. Dann hält sie Gott nicht, ebenso kann sie sich
auch nicht selbst halten, so vergeht sie in sich selbst ohne alles Rumoren und
Brechen und kommen dann die Unterdrückten empor, auch ohne alles Rumoren; denn
Gottes Kraft ist in ihnen, die bleibt dann allein (bestehen), wenn jene unten
ist.
Merke
aber, sie (Maria) sagt nicht, dass er die Stühle zerbreche, sondern: »stößt die
Gewaltigen vom Thron«. Sie sagt auch nicht: er lässt die Niedrigen hier unten,
sondern: »erhebt sie«. Denn solange die Welt steht, müssen Obrigkeit, Regiment,
Gewalt und die (Regierungs)stühle bleiben. Aber dass sie diese übel und gegen
Gott brauchen, um den Frommen Unrecht und Gewalt zu tun, und dass sie ein
Wohlgefallen daran haben, sich deswegen erheben, sie nicht mit Furcht Gottes zu
seinem Lob und zum Schutz der Gerechtigkeit brauchen, das leidet er nicht
lange. So sehen wir (es) in allen Geschichtsbüchern und der Erfahrung: wie er
ein Reich aufrichtet, das andere niederwirft, ein Fürstentum erhebt, das andere
unterdrückt, ein Volk mehret, das andere vertilgt; wie er Assyrien, Babylon,
den Persern, Griechen, Rom getan hat, die doch meinten, sie würden ewig auf
ihrem Thron sitzen. So zerstört er auch nicht Vernunft, Weisheit und Recht –
denn soll die Welt bestehen, muss man Vernunft, Weisheit und Recht haben -,
sondern den Hochmut und die Hochmütigen, die sich selbst damit dienen,
Wohlgefallen daran haben, Gott nicht fürchten und die Frommen und das göttliche
Recht damit verfolgen und so die schönen Gaben Gottes wider Gott missbrauchen.
Nun
geschieht’s in Gottes Sachen, dass die Klüglinge und hoffärtigen Dünkler sich
im allgemeinen zu den Gewaltigen schlagen und diese wider die Wahrheit bewegen
– wie Psalm 2, 2 stehet: »Die Könige der Erde lehnen sich auf und sie
ratschlagen miteinander wider Gott und seinen Gesalbten« usw. – so dass das
Recht und die Wahrheit allezeit zugleich die Weisen, die Gewaltigen, die
Reichen, das ist, die Welt mit ihrem größten und höchsten Vermögen wider sich haben
muss. Darum tröstet der heilige Geist diese durch den Mund dieser Mutter, dass
sie sich nicht beirren noch schrecken (lassen): laß sie weise, mächtig, reich
sein; es währet nicht lange. Denn wo die Heiligen und Gelehrten mit den
Gewaltigen und Herren, dazu mit den Reichen, nicht gegen, sondern für das Recht
und die Wahrheit einträten, wo wollte das Unrecht bleiben? Wer würde etwas
Böses leiden? Nein, nicht so, die Gelehrten, die Heiligen, die Mächtigen, die
Großen, die Reichen und das Beste an der Welt muss gegen Gott und Recht
streiten und dem Teufel eigen sein; wie Habakuk 1, 16 sagt: »Ihr Teil ist so fett
und ihre Speise völlig geworden«, das ist: der böse Geist hat ein Leckermaul,
frisst gern das Allerbeste, das Niedlichste, das Auserwählteste, wie der Bär den
Honig. Darum sind die Gelehrten, die heiligen Gleisner, wie die großen Herren,
die Reichen des Teufels Lekkerbißlein. Umgekehrt erwählet Gott, was die Welt verwirft,
die Armen, Niedrigen, Einfältigen, Geringen, Verachteten, wie Paulus 1. Korinther
1, 28 sagt, und macht, dass das Geringste von dem besten Teil der Welt leiden muss,
auf dass ja erkannt werde, wie unser Heil nicht in Menschen, sondern allein in
Gottes Vermögen und Werken bestehe, wie auch Paulus (1. Korinther 3, 7) sagt.
Daher kommt’s, dass man mit rechter Wahrheit sagt: »die Gelehrten, die
Verkehrten«. »Ein Fürst, Wildpret im Himmel.« »Hier reich, dort arm.« Denn die
Gelehrten lassen den Hochmut ihres Herzens nicht, die Gewaltigen lassen ihr
Unterdrücken nicht, die Reichen lassen ihre Lust nicht: so geht es dahin.
Das vierte Werk: Erhöhung der Niedrigen
Und erhebt die Niedrigen
»Niedrige«
sollen hier nicht bedeuten: die Demütigen, sondern alle, die vor der Welt
unansehnlich und ganz nichtig sind. Denn es ist eben das Wörtlein, dass sie (Maria)
droben von sich selbst sagt: »Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.« Doch, welche gern von Herzen so niedrig und nichtig sind
und nicht suchen, hoch zu sein, die sind gewiss demütig. Das »Erheben« ist nun
nicht so zu verstehen, dass er sie auf die Stühle und an die Stelle derer
setzte, die er abgesetzt hat. Ebenso setzt er, wenn er den Furchtsamen barmherzig
ist, sie nicht an die Stelle der Hochgelehrten, das ist, der Hoffärtigen,
sondern gibt ihnen viel mehr, nämlich dass sie in Gott und geistlich erhoben über
Thron und Gewalt und alle Gelehrsamkeit Richter hier und dort werden, denn sie
wissen mehr als alle Gelehrten und Gewaltigen. Wie nun das zugeht, ist droben
beim ersten Werk gesagt, ist nicht nötig zu wiederholen. Es ist alles zum Trost
den Leidenden und zum Schrecken den Tyrannen gesagt, wenn wir so viel Glauben
hätten, dass wir’s für wahr achteten.
Das fünfte und sechste Werk: Die Hungrigen füllet
er mit Gütern und lässt die Reichen leer
Wie
droben gesagt ist, dass die »Niedrigen« nicht die heißen sollen, die in
nichtiger, verachteter Form sind, sondern die gerne drinnen sind oder sein
wollen, zumal wenn sie um Gottes Wortes oder des Rechten willen darein
gezwungen werden; ebenso sollen die Hungrigen auch nicht die sein, die wenig
oder keine Speise haben, sondern die selbst gern Mangel leiden, zumal wenn sie
von andern mit Gewalt um Gottes oder der Wahrheit willen dazu gezwungen werden.
Was ist niedriger, nichtiger, bedürftiger als der Teufel und die Verdammten,
ebenso wie die um ihrer Missetat (willen) gemartert, verhungert, erwürgt
werden, und alle, die mit Unwillen niedrig und bedürftig sind? Und es hilft
ihnen doch nichts, ja vermehret und vergrößert ihren Jammer. Von denen redet
die Mutter Gottes nicht, sondern von denen, die mit Gott eins sind und Gott mit
ihnen, die an ihn glauben und ihm vertrauen.
Was
hindert es umgekehrt die heiligen Väter Abraham, Isaak und Jakob, dass sie
reich waren? Was hindert David sein Königsstuhl, Daniel seine Gewalt zu Babylonien,
und alle, die in hohem Stand oder großem Reichtum waren oder noch sind, so ihr
Herz nichts darauf gibt noch das Seine darin sucht? Salomo spricht, Sprüche 16,
2: »Gott, der wägt die Geister«, das ist: er richtet nicht nach dem äußerlichen
Ansehen und (Existenz)formen, ob sie reich, arm, hoch, niedrig sind, sondern
nach dem Geist, wie der drinnen sich verhalte. Es müssen solche Formen und
Unterschiede der Personen und Stände auf Erden in diesem Leben bleiben, aber
das Herz soll nicht dran kleben noch fliehen, nicht hängen an den Hohen und
Reichen, nicht fliehen die Niedrigen und Armen. So sagt auch Psalm 7, 10:
»Gott, der erforscht das Herz und die Nieren«, »er ist ein rechter Richter«.
Menschen aber richten nach dem Angesicht, darum gehen sie oft fehl.
Diese
Werke geschehen auch, wie die droben, heimlich, dass niemand sie fühlet, bis
(es) ans Ende (kommt). Ein reicher Mensch wird nicht gewahr, wie ganz leer und
elend er sei, als wenn er stirbt oder sonst verdirbt. Dann sieht er, wie sehr
alles nichts gewesen ist, alle seine Habe, wie Psalm 76, 6: »Die Stolzen müssen
beraubt werden und entschlafen.« Die Hungrigen wissen
umgekehrt nicht, wie voll sie sind, bis dass es ans Ende kommt; dann finden sie
das Wort Christi (bestätigt) Lukas 6, 21: »Selig seid ihr, die ihr hier
hungert, denn ihr sollt satt werden«, und hier die tröstliche Zusagung der
Mutter Gottes: »die Hungrigen füllet er mit Gütern«. Es ist ja nicht möglich, dass
Gott jemand leiblich Hungers sterben lasse, der auf ihn vertraut, es müssten
eher alle Engel kommen und ihn speisen. Elias ward von den Raben gespeist und von
einer Hand voll Mehls ward er ernährt mit der Witwe zu Sarepta eine lange Zeit
(1. Könige 17). Er kann die nicht verlassen, die ihm vertrauen; darum spricht
David Psalm 37, 25: »Ich bin jung gewesen und alt geworden und habe noch nie
einen Gerechten verlassen gesehen oder seine Kinder nach Brot gehen.« Wer aber Gott trauet, der ist
recht. Ebenso Psalm 34, 11: »Die Reichen müssen darben und hungern, aber die
Gott suchen, haben keinen Mangel an irgendeinem Gut.«
Und Samuels Mutter Hanna sagt 1. Samuel 2, 5: »Die da satt waren, sind ums Brot
Knechte geworden, und die Hunger litten, sind gesättigt worden.«
Es
ist aber der leidige Unglaube allzeit im Wege, dass Gott solche Werke nicht in
uns wirken kann und wir sie nicht erfahren noch erkennen können. Wir wollen
satt sein und aller Dinge genug haben, ehe der Hunger und die Notdurft kommt, und versorgen uns mit Vorrat auf zukünftigen Hunger
und Notdurft, so dass wir Gottes und seiner Werke nimmer bedürfen. Was ist’s
für ein Glaube, der da Gott traut, solange du Vorrat
fühlst und weißt, wie du dir helfen kannst? Der Unglaube macht, dass wir Gottes
Wort, die Wahrheit, das Recht unterliegen sehen, das Unrecht obliegen, und schweigen
still, strafen nicht, reden nicht deswegen, wehren nicht, lassen gehen, was da
gehet. Warum? Wir haben Sorge, man greife uns auch an und mache uns arm, dass
wir dann Hungers sterben und ewig erniedrigt werden. Das heißt dann, zeitlich Gut
höher als Gott geachtet und an seiner Stelle zum Abgott gemacht, damit wir dann
nicht würdig werden, diese tröstliche Gotteszusagung zu hören oder zu
verstehen, dass er die Niedrigen erhebe, die Hohen erniedrige, die Armen
erfülle, die Reichen leer mache. Und so kommen wir auch nimmer zur Erkenntnis
seiner Werke, ohne welche doch keine Seligkeit ist, und müssen so ewig verdammt
sein, wie Psalm 28, 5 sagt: »Sie wollen nicht achten auf das Tun des Herrn noch
auf die Werke seiner Hände, darum wird er sie zerbrechen und nicht aufbauen.«
Und
das ist auch billig, deshalb weil sie solchen seinen Zusagen nicht glauben, ihn
wie einen leichtfertigen, lügenhaften Gott achten; trauen sich auf seine Worte
nichts zu wagen noch anzufangen; so gar nichts halten sie von seiner Wahrheit.
Es muss ja auf seine Worte hin versucht und gewagt sein. Denn sie (Maria)
spricht nicht: Er hat die Vollen erfüllt, die Hohen erhoben; sondern: Die
Hungrigen erfüllt, die Niedrigen erhoben. Du musst im Hunger mitten in die Notdurft
gekommen sein und erfahren, was Hunger und Notdurft sei, dass da nicht Vorrat
noch Hilfe bei dir oder bei Menschen sei, sondern allein bei Gott, dass das
Werk ja allen anderen unmöglich, allein Gottes sei. Also musst du nicht allein
an Erniedrigung denken und davon reden, sondern darein kommen, darin stecken,
ohne Hilfe werden von jedermann, dass Gott allein da wirken könne; oder
wenigstens solches begehren und nicht scheuen, so es nicht tatsächlich dazu
kommen kann. Darum sind wir Christen und haben das Evangelium, welches der
Teufel und die Menschen nicht leiden können, dass wir dadurch zur Notdurft und
Erniedrigung, und so auch Gott in uns zu seinen Werken kommen könne. Bedenke du
selbst: sollte er dich sättigen, ehe dich hungerte, oder erhöhen, ehe du
erniedrigt wärest, so müsste er sich nur gleich wie ein Gaukler stellen und
könnte nicht tun, was er vorgäbe, und wären seine Werke nichts als ein Spott;
obwohl doch Psalm 111, 7 geschrieben steht: »Seine Werke sind Wahrheit und
Recht.« Sollte er auch alsbald beim Anheben deiner Notdurft und Erniedrigung wirken
oder bei kleiner Notdurft und Erniedrigung helfen, so wären die Werke zu
geringe für göttliche Gewalt und Majestät, von denen doch Psalm 111, 2 sagt:
»Gottes Werke sind groß, wer ihrer achtet, hat lauter Lust daran.«
Lass
das Gegenteil ansehen. Sollte er die Hohen und Reichen zerbrechen, ehe sie hoch
und reich würden, wie wollte er sich dazu stellen? Sie müssen zuvor so ganz in
die Höhe und Reichtum kommen, dass es sie selbst und jedermann dünkt, ja es
auch im Grunde so sei, dass sie niemand brechen, niemand ihnen wehren könne,
und sie ihrer Sache gewiss werden und sagen, wie Jesaja von ihnen und Babylon spricht,
Jesaja 47, 8 f.: »Höre zu, die du in Wollust lebst und sprichst in deinem
Herzen: hier bin ich und niemand tut mir etwas; ich bin gewiss, dass ich nicht
eine Witwe noch ohne Kinder sein werde (das ist, ohne Stärke und Beistand).
Wohlan, es soll dir dies beides plötzlich auf einen Tag kommen« usw. Da kann
dann Gott in ihnen seine Werke wirken. So ließ er Pharao sich über die Kinder
von Israel erhöhen und sie unterdrücken, wie 2. Mose 9, 16 Gott selbst von ihm
sagt: »Darum habe ich dich erhoben, dass meine Kraft an dir erscheine und mein
Name verkündigt werde, in allen Landen.« Und derartiger Exempel ist die Bibel voll,
die da nichts anderes als Gottes Werk und Wort lehrt, Menschen Werk und Wort
verwirft.
Nun
siehe eine starke Tröstung: das ist, dass nicht ein Mensch, sondern Gott selbst
nicht allein etwas den Hungrigen gibt, sondern sie erfüllet und sättiget. Dazu
sagt sie (Maria) »mit Gütern«, das ist, solche Fülle soll unschädlich, nützlich
und selig sein, dass sie Leib und Seele mit allen Kräften wohl tue. Aber das zeigt
auch an, dass sie zuvor aller Güter ledig sind und voll allen Mangels. Denn,
wie droben gesagt, der Reichtum soll allhier allerlei zeitliche Güter zu des Leibes
Genüge umfassen, davon die Seele auch fröhlich wird. Ebenso soll umgekehrt
Hunger hier nicht allein der Speisen sondern aller zeitlichen Güter Mangel bedeuten.
Sintemal der Mensch aller Dinge einmal ermangeln kann außer der Speise, so dass
fast alle Güter um der Nahrung willen da sind. Ohne Speise kann niemand leben,
wenn er auch ohne Kleid, Haus, Geld, Gut und Leute leben könnte. Darum ergreift
die Schrift hier das zeitliche Gut bei dem allernötigsten Nutz und Brauch und
beim allerunerträglichsten Mangel so, dass sie auch die Geizigen und die
zeitlichen Gutes begierig sind, Diener des Bauches nennet (Römer 16, 18), und dass
Paulus den Bauch ihren Gott nennet (Philipper 3, 19). Wie könnte nun jemand
stärker, tröstlicher zu willigem Hunger und Armut anreizen als solche
trefflichen Worte dieser Mutter Gottes, dass Gott alle Hungrigen mit Gütern
erfüllen will? Welchen diese Worte und solche Ehre und Preis der Armut nicht
reizen, der ist ganz gewiss ohne Glauben und Zutrauen, wie ein Heide.
Umgekehrt:
wie könnte einer den Reichtum stärker verwünschen und die Reichen gräulicher
schrecken, als damit, dass Gott sie leer lässt. O, wie sind es beides so große,
überschwängliche Dinge, Gottes Erfüllen und Gottes Verlassen! Wie gar nicht
kann da irgendeine Kreatur weder helfen noch raten! Es erschrickt ein Mensch,
wenn er hört, dass sich sein Vater von ihm lossagt, oder seines
Herren Ungnade – und wir Hohen und Reichen erschrecken nicht, wenn wir hören, dass
Gott uns absagt, ja nicht allein absagt, sondern droht, uns zu zerbrechen, zu
erniedrigen und auszuleeren? Umgekehrt ist’s eine Freude, wenn der Vater gütig,
der Herr gnädig ist und mancher verlässt sich so darauf, dass er Leib und Gut
darob lässt. Und wir haben hier solche Zusagung Gottes, so starke Tröstung, und
können sie weder brauchen noch genießen, noch danken, noch uns freuen. O du
leidiger Unglaube, wie stockhart, wie steindürre bist du, dass du solche große
Dinge nicht fühlest! Das sei von den sechs Werken Gottes genug gesagt.
Er denket der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener
Israel auf
Nach
den Gotteswerken an ihr und allen Menschen kommt Maria wieder auf den Anfang
und das Erste und beschließt das Magnificat mit dem allergrößten Werk aller Werke
Gottes, das ist die Menschwerdung des Gottessohnes. Und sie bekennt hier frei, dass
sie eine Magd und Dienerin aller Welt sei, indem sie bekennt, dass das in ihr
vollbrachte Werk nicht allein ihr, sondern dem ganzen Israel zugute geschehen
sei. Doch scheidet sie Israel in zwei Stücke, und zieht allein das Teil hervor,
das Gott dienet. Niemand dient aber Gott, als wer ihn seinen Gott sein und
seine Werke in ihm wirken lässt, davon droben geredet ist. Trotzdem hat man
jetzt leider das Wörtlein »Gottesdienst « in eine so fremde Bedeutung und
Brauch gebracht, dass wer es höret, gar nicht an solche Werke denkt, sondern an
den Glockenklang, an Stein und Holz der Kirchen, an das Räucherfass, an die
Flammen der Lichter, an das Geplärre in den Kirchen, an Gold, Seide und
Edelsteine der Chorkappen und Messgewänder, an die Kelche und Monstranzen, an
die Orgeln und Bilder, an Prozession und Kirchgang – und das Größte, an das
Maulplappern und Paternostersteinzählen. Dahin ist der Gottesdienst leider
gekommen, von dem Gott doch so gar nichts weiß, während wir sonst nichts als
solches wissen: singen täglich das Magnificat mit lauten Stimmen und herrlicher
Pracht und bringen doch seine rechte Tonart und Verständnis zum Schweigen, je
länger je mehr. Aber der Text ist stark: wo wir diese (rechten) Werke Gottes
nicht lehren und leiden, so wird auch kein Gottesdienst da sein, kein Israel,
keine Gnade, keine Barmherzigkeit, kein Gott, wenn wir gleich uns zu Tode
sängen und klängen in den Kirchen und der Welt Gut allesamt hinein gäben. Er
hat nichts davon geboten, darum hat er daran auch gar kein Gefallen, ohne allen
Zweifel.
Nur
solchem Israel, das Gott dienet, dem kommt die Menschwerdung Christi zugute,
das ist sein eigenes, liebes Volk, um deswillen er auch Mensch geworden ist, es
aus der Gewalt des Teufels, der Sünde, des Todes, der Hölle zu erlösen und in
die Gerechtigkeit, in ewiges Leben und Seligkeit zu bringen. Das ist das
»Aufheben«, von dem Maria hier singt, wie Paulus (Titus 2, 14) sagt, dass
Christus sich für uns gegeben habe, dass er sich ein Volk zum Eigentum
reinigte; und Petrus (1. Petrus 2, 9): »Ihr seid das heilige Volk, das Volk des
Eigentums, das königliche Priestertum « usw. Das sind die Reichtümer
göttlicher, grundloser Barmherzigkeit, die wir aus keinem Verdienst, sondern
aus lauter Gnade bekommen haben. Darum spricht Maria: »Er denket der
Barmherzigkeit «; sie spricht nicht: Er denket an unser Verdienst und
Würdigkeit. Bedürftig waren wir, aber ganz unwürdig. Daraus bestehet nun sein
Lob und Ehre und muss unser Rühmen und Vermessen stillschweigen. Er hatte
nichts anzusehen, das ihn bewegte, als dass er barmherzig wäre; und diesen
Namen (»barmherzig«) sollte er bekannt machen. Warum sagt sie aber mehr, er
habe »gedacht«, als »angesehen« seine Barmherzigkeit? Deshalb weil er sie
versprochen hatte, wie der folgende Vers sagt. Nun hat er sie lange
hingehalten, dass es sich ansehen ließ, er hätte ihrer vergessen (wie denn alle
seine Werke scheinen als vergäße er unser). Aber da er kam, da wurde erkannt, dass
er nicht vergessen, sondern ohne Unterlass daran gedacht hat, seine
Versprechungen zu erfüllen.
Aber
es ist wahr, dass durch das Wörtlein Israel allein die Juden verstanden werden
und nicht wir Heiden. Doch als sie ihn nicht haben wollten, hat er doch etliche
aus ihnen erlesen, damit dem Namen Israel Genüge getan und hinfort ein
geistliches Israel gemacht. Das ward bewiesen 1. Mose 32, 25 ff., als der
heilige Patriarch Jakob mit dem Engel rang und er ihm die Hüfte lahmte, um
anzuzeigen, dass seine Kinder hinfort sich nicht der fleischlichen Geburt
rühmen sollten, wie die Juden tun. Da bekam er auch den Namen, dass er hinfort
Israel heißen sollte als ein Patriarch, der nicht allein als Jakob der
leiblichen, sondern auch als Israel der geistlichen Kinder Vater wäre. Dazu
stimmt das Wörtlein Israel, das heißt »ein Herr Gottes«. Das ist ein sehr
hoher, heiliger Name und begreift in sich das große Wunder, dass ein Mensch
durch die göttliche Gnade geradezu Gottes mächtig wurde, so dass Gott tut, was
der Mensch will. So wie wir sehen, dass durch Christus die Christenheit mit
Gott so vereinigt ist wie eine Braut mit ihrem Bräutigam, dass die Braut Recht
und Macht hat zu des Bräutigams Leib und allem, was er hat. Und das geschieht
alles durch den Glauben. Da tut der Mensch, was Gott will, und wiederum Gott,
was der Mensch will, so dass Israel ein gottförmiger und gottmächtiger Mensch
ist, der in Gott, mit Gott und durch Gott ein Herr ist, alle Dinge zu tun und
zu vermögen.
Sieh,
das heißt Israel. Denn das hebräische Wort saar heißt ein Herr, ein Fürst. El
heißt Gott. Tu's zusammen, so wird auf hebräische Weise Israel draus. Ein
solches Israel will Gott haben. Darum, als Jakob mit dem Engel hatte gerungen
und gewonnen, sprach er zu ihm: Du sollst Israel heißen. Denn wenn du mächtig
bist mit Gott, so wirst du auch mit den Menschen mächtig sein. Davon ist viel
zu sagen. Denn Israel ist ein ungewöhnlich hohes Mysterium.
Wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen
Kindern in Ewigkeit
Da
liegt darnieder aller Verdienst, Vermessenheit und ist die lautere Gnade und
Barmherzigkeit Gottes erhoben. Denn Gott hat nicht Israel angenommen um ihres Verdienstes
willen, sondern um seines eigenen Versprechens willen. Aus lauter Gnade hat er
es versprochen, aus lauter Gnade hat er es auch erfüllt. Darum sagt Paulus
Galater 3, 17 f., dass Gott vierhundert Jahre zuvor sich dem Abraham versprach,
ehe er das Gesetz Mose gab, auf dass sich ja niemand rühmen oder sagen möchte,
er habe solche Gnade und Zusagung durchs Gesetz oder Gesetzes Werk verdient und
erlangt. Diese Zusagung preiset und erhebt hier die Mutter Gottes auch über
alles und schreibt solches Werk der Menschwerdung Gottes völlig den göttlichen,
gnädigen, unverdienten Zusagen zu, die er Abraham getan hat.
Das
Versprechen Gottes an Abraham steht vornehmlich 1. Mose 12, 3 und 1. Mose 22,
18 und wird auch sonst an vielen Orten angeführt und lautet so: »in dir sollen
gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden«. »Ich habe bei mir geschworen:
durch deinen Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden. « Diese Worte
Gottes hält Paulus hoch und alle Propheten, wie billig. Denn durch diese Worte
ist Abraham mit allen seinen Nachkommen erhalten und selig geworden und müssen
auch noch wir alle drinnen selig werden. Denn darin ist Christus begriffen und
zugesagt, aller Welt Heiland. Und das ist der Schoß Abrahams, darin alle
geblieben sind, die da vor Christi Geburt selig geworden sind, und ohne diese Worte
ist niemand selig geworden, ob er gleich alle guten Werke getan hätte. Das
wollen wir sehen.
Es
folgt zum ersten aus diesen Gottesworten, dass alle Welt außerhalb von Christus
in Sünden, Verdammnis und vermaledeit ist mit all ihrem Tun und Wissen. Denn
wenn er sagt: nicht etliche, sondern alle Geschlechter sollen in Abrahams Samen
gesegnet werden, so wird ohne den Samen Abrahams kein Segen in allen Völkern
sein. Wie dürfte Gott so mit großem Ernst und teurem Eid Segen versprechen, wenn
bereits Segen und nicht eitel Verdammung da wäre? Und aus diesem Spruch haben
die Propheten viel abgeleitet und geschlossen: dass alle Menschen böse, eitel
Lügner, falsch, blind und, kurz gesagt, ohne Gott sind, so dass es in der
Schrift keine große Ehre ist, ein Mensch zu heißen. Denn es gilt dieser Name
nicht mehr vor Gott, als wie wenn jemand vor der Welt ein Lügner und Treuloser
genannt würde; so ganz ist er durch Adams Fall verderbt, dass ihm die
Verdammung angeboren ist, gleichsam seine Natur und Wesen wird.
Zum
andern folgt, dass dieser Same Abrahams nicht natürlicherweise von Mann und
Weib geboren werden durfte. Denn diese Geburt ist verdammt und gibt eitel verdammte
Frucht, wie jetzt gesagt. Sollte nun in diesem Samen Abrahams alle Welt von
dieser Verdammung erlöst und dadurch gesegnet werden, wie die Worte und Eide
Gottes lauten, so musste der Same zuvor gesegnet, von solcher Verdammung nicht
berührt noch befleckt sein, sondern eitel Segen sein, voller Gnade und
Wahrheit. Umgekehrt: wenn denn Gott, der nicht lügen kann, zusagt und schwöret,
es soll Abrahams natürlicher Same sein, das ist, ein natürlich, wahrhaftes
Kind, das von seinem Fleisch und Blut geboren würde, so muss dieser Same ein
echter, natürlicher Mensch sein, vom Fleisch und Blut Abrahams. Da stehet nun
eins wider das andere: natürliches Fleisch und Blut Abrahams sein und doch
nicht von Mann und Weib natürlich geboren werden. Denn deshalb gebraucht er (1.
Mose 22, 18) das Wort »dein Same« und nicht das Wort »dein Kind«, damit es ja ganz
klar und gewiss wäre, es sollte sein natürlich Fleisch und Blut sein, wie es
denn der Same ist. Ein Kind braucht wohl kein natürlich
Kind zu sein, wie man weiß. Wer will hier einen Mittelweg finden, dass Gottes
Wort und Eid wahr bleibe, darinnen solche widerstreitenden Dinge aufeinander stoßen?
Das
hat Gott selber getan, der kann erfüllen, was er zusagt, wenn’s auch niemand
begreift, ehe es geschieht. Deshalb fordern sein Wort und Werk nicht der
Vernunft Grund, sondern einen freien, lauteren Glauben. Siehe, das ist der
gesegnete Same Abrahams, darin alle Welt von ihrer Verdammung frei wird. Denn
wer an diesen Samen glaubt, ihn anruft, bekennt und dran hangen bleibt, dem ist
alle Verdammung vergeben und aller Segen gegeben, wie die Worte und Eide Gottes
lauten: »In deinem Samen sollen gesegnet werden alle Völker der Erde«; das ist,
alles was gesegnet werden soll, muss und soll durch diesen Samen und sonst auf keinem
Weg gesegnet werden. Siehe, das ist der Same Abrahams, der von keinem seiner
Söhne, darauf die Juden allezeit gesehen und gewartet, sondern allein von
seiner einzigen Tochter Maria geboren ist.
Das
meinet nun hier die zarte Mutter dieses Samens, da sie sagt, er habe Israel
aufgeholfen laut seiner Versprechung, zu Abraham getan, ihm und allem seinen
Samen: da sah sie wohl, dass die Zusagung in ihr erfüllet war. Darum sagt sie,
es sei nun erfüllet und er habe aufgeholfen, seinem Worte aus lauter Gedenken an
seine Barmherzigkeit genug getan. Hier sehen wir den Grund des Evangeliums,
warum alle Lehre und Predigt darinnen auf den Glauben Christi und in den Schoß
Abrahams treiben. Denn es ist sonst kein Rat noch Hilfe, wo dieser Glaube nicht
ist, darinnen der gesegnete Same ergriffen werde. Und fürwahr, es hängt die
ganze Bibel in diesem Eidspruch Gottes, denn es ist in der Bibel alles um
Christus zu tun. Weiter sehen wir, dass alle Väter im alten Testament mit allen
heiligen Propheten eben den Glauben und das Evangelium gehabt haben, das wir
haben, wie Paulus 1. Korinther 10, 1 ff. sagt. Denn in diesem Eidspruch Gottes
und Schoß Abrahams sind sie alle mit festem Glauben geblieben und so behalten
worden, nur dass sie an den zukünftigen und versprochenen Samen geglaubt haben,
wir an den erschienenen und dargegebenen glauben. Es ist aber alles eine
Wahrheit des Zusagens, ebenso auch ein Glaube, ein Geist, ein Christus, ein
Herr, heute wie zu jener Zeit und in Ewigkeit, wie Paulus Hebräer 13, 8 sagt.
Dass
aber hernach den Juden das Gesetz gegeben wurde, ist dieser Zusagung nicht
gemäß und darum geschehen, dass sie durch das Licht des Gesetzes ihre verdammte
Natur desto besser erkennten und nach diesem zugesagten Samen des Segens desto
hitziger und begehrlicher verlangen sollten. Darinnen haben sie einen Vorteil
vor den Heiden aller Welt gehabt. Aber sie haben den Vorteil umgekehrt und
einen Nachteil daraus gemacht und sich vorgenommen, das Gesetz durch sich
selbst zu erfüllen und nicht ihre (des Segens) bedürftige Verdammung dadurch zu
erkennen. Damit haben sie sich selbst die Tür zugetan, dass der Same hat
vorübergehen müssen. Sie bleiben noch (heute) so, Gott gebe, nicht lange! Amen.
Und das ist der Streit aller Propheten mit ihnen gewesen. Denn die Propheten
verstanden des Gesetzes Absicht gut, dass man darin unsere verdammte Natur
erkennen und Christus rufen lernen sollte. Darum verwarfen sie alle guten Werke
und Leben der Juden, welches nicht diesen Weg ging. So wurden denn jene zornig
auf sie und töteten sie, als die da Gottesdienst, gute Werke und gutes Leben
verwürfen; wie denn die Gleisner und gnadelosen Heiligen allezeit tun. Davon
wäre viel zu reden.
Dass
sie (Maria) aber sagt: »Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit«: Die Ewigkeit
soll so verstanden werden, dass solche Gnade in Abrahams Geblüte (welches da
sind die Juden) von der Zeit an durch alle Zeit währet bis an den Jüngsten Tag.
Denn obwohl der große Haufe verstockt ist, sind doch allezeit solche – wie
wenig ihrer seien -, die sich zu Christus bekehren und an ihn glauben. Denn
diese Zusage Gottes lügt nicht, dass Abraham und seinem Samen die Verheißung geschehen
sei, nicht auf ein Jahr, nicht auf tausend Jahr, sondern in Ewigkeit, das ist,
von einer Menschenzeit in die andere, ohne Aufhören. Darum sollten wir die
Juden nicht so unfreundlich behandeln, denn es sind noch zukünftige Christen
unter ihnen und werden’s täglich. Dazu haben sie allein, und nicht wir Heiden,
solche Zusage, dass allezeit in Abrahams Samen Christen sein sollen, die den
gebenedeiten Samen erkennen. Unsere Sache steht allein auf Gnade ohne Zusage
Gottes. Wer weiß wie und wann: wenn wir christlich lebten und sie mit Güte zu Christus
brächten, das gäbe wohl das rechte (Zeit)maß. Wer wollte Christ werden, wenn er
Christen so unchristlich mit Menschen umgehen sieht? Nicht so, liebe Christen:
man sage ihnen gütlich die Wahrheit; wollen sie nicht, lass sie fahren. Wie viele
sind Christen, die Christus nicht achten, hören seine Worte auch nicht, ärger
als Heiden und Juden, und (wir) lassen sie doch in Frieden gehen, ja fallen ihnen
zu Füßen, beten sie schier als einen Abgott an? Hier lassen wir’s für diesmal
bleiben und bitten Gott um rechtes Verständnis dieses Magnificat, das da nicht
allein leuchte und rede, sondern brenne und lebe in Leib und Seele. Das
verleihe uns Christus durch Fürbitte und Willen seiner lieben Mutter Maria!
Amen.
Am
Ende komme ich wieder zu Euer Fürstlichen Gnaden,
gnädiger Herr, und bitte, E.F.G. wolle mir meine Vermessenheit zugute halten.
Denn ob ich auch weiß, dass E.F.G. Jugend reichlich gute Unterweisung und
Vermahnung täglich hat, kann ich doch meine pflichtgemäße Untertänigkeit und
Treue, dazu meines Gewissens Sorge und mein Gedenken gegenüber E.F.G. nicht
lassen. Denn wir alle hoffen, dass in zukünftigen Zeiten, was Gott gnädig und
heilsam füge, das Regiment zu Sachsen in E.F.G. Hand kommen soll. Und das ist
ein großes, köstliches Werk, wenn es wohl gerät, dagegen gefährlich und voll
Jammers, wenn es übel gerät. Wir sollen in allen Dingen das Beste hoffen und
erbitten, aber nichtsdestoweniger fürchten und besorgen das Ärgste. E.F.G. soll
das bedenken, dass Gott in der ganzen Schrift keinen heidnischen König oder
Fürsten jemals hat lassen loben, so weit und lang die Welt gestanden, sondern
allezeit mehr tadeln lassen. Das ist ein großes, Furcht erregendes Bild allen
Oberherren. Auch in dem Volk Israel, das doch sein eigenes Volk war, hat er
keinen König je lobenswert und unsträflich gefunden. Über das alles hinaus sind
im Volk Juda, das das Hauptstück vom ganzen menschlichen Geschlecht gewesen
ist, das Gott über alle erhoben und geliebt hat, dennoch nur wenige, und nicht
mehr als sechs Könige, gelobt. Und der allerkostbarste von ihnen der
allerteuerste Fürst David, der keinen hinter sich, neben sich, nach sich
gelassen hat im weltlichen Regiment, der ihm gleicht- ob er schon voll
Gottesfurcht und Weisheit alle seine Dinge allein aus Gottes Befehl, nicht nach
seiner Vernunft richtete und führte, so strauchelte er dennoch etliche Male.
Und da die Schrift sein Regiment nicht tadeln konnte und doch des Volkes
Unglück erzählen sollte, das durch David über es kam, gab sie nicht David,
sondern dem Volk die Schuld und sprach, Gott sei zornig übers Volk gewesen und
habe David, den heiligen Mann, vom Teufel lassen bewegen, dass er das Volk ließ
zählen, um welcher Tat willen siebzigtausend Mann an der Pestilenz sterben mussten
(2. Samuel 24). Dies alles hat Gott so verordnet, um die Obrigkeit zu schrecken
und in Furcht zu halten, ihnen ihre Gefährdung vor Augen zu stellen. Denn das
große Gut, die große Ehre, die große Gewalt, die große Gunst, dazu die
Schmeichler, ohne die kein Herr sein kann, sind gleichsam um eines Fürsten Herz
gelegt und bestürmen es: zur Hoffart, zum Vergessen Gottes, zur Missachtung des
Volkes und des allgemeinen Nutzens, zu Wollust, zu Frevel, zu Vermessenheit, zu
Müßiggang und kurz zu allem Unrecht und aller Untugend, so dass freilich kein Schloss
und keine Stadt so hart belagert und bestürmt werden kann. Wer sich dann nicht
hinter solch Exempel legt und sich die Furcht Gottes zu einem guten Bollwerk
und Wall macht,- wie will er bleiben? Denn wenn ein Herr und eine Obrigkeit
nicht sein Volk lieb hat und seine Sorge allein das sein lässt, wie nicht er
selbst gute Tage habe, sondern wie sein Volk durch ihn Besserung empfange, dann
ist's schon aus mit ihm, dann führt seiner Obrigkeit Stand nur zum Verderben
seiner Seele. Und es wird ihm nichts helfen, wenn er dagegen große
Gedächtnisgottesdienste, Klöster, Altäre, dies oder das stiften wollte. Gott
wird Rechenschaft für seinen Stand und für sein Amt von ihm fordern und sich an
nichts anderes kehren. Darum, mein gnädiger Herr und Fürst, befehle ich E.F.G.
das Magnificat, vor allem den fünften und sechsten Vers, in denen es in der
Mitte gefasst wird. Bitte und vermahne, E.F.G. wollte sich all ihr Lebtage vor
keiner Sache auf Erden, ja auch vor der Hölle nicht so sehr fürchten wie vor
dem, was hier die Mutter Gottes nennt »Gemüt des eignen Herzens«. Das ist der
größte, nächste, mächtigste, schädlichste Feind aller Menschen, vor allem der
Oberherrn; das heißt: Vernunft, gute Meinung oder Gutdünken, aus welchem alle
Ratschläge und alle Regierung fließen müssen. Und E.F.G. kann nicht sicher vor
ihm sein, wenn sie das nicht allezeit besonnen prüft und ihm in der Furcht
Gottes folgt. Ich meine nicht E.F.G. Rat allein, sondern all derer, die mit im
Rat sitzen. Keines Rat soll verachtet werden, aber
auch auf keines Rat vertraut werden. Wie dann? So, dass E.F.G. nicht das Gebet
den Mönchen oder den Priestern überlässt, wie es jetzt der leidige Brauch ist,
auf anderer Leute Gebet zu bauen und zu trauen und das eigene Gebet zu
unterlassen. Sondern E.F.G. soll einen freien, entschlossenen Mut schöpfen und
die Zaghaftigkeit ablegen, selber im Herzen oder an heimlichen Orten mit Gott
reden und ihm die Schlüssel frei vor die Füße werfen und ihn mit seiner eigenen
Ordnung drängen, etwa so: Sieh, mein Gott und Vater, das ist dein Werk und
Ordnung, dass ich in diesem Stand zu regieren bin geboren und geschaffen. Das
kann nie jemand leugnen. Und du selbst erkennest's auch. Ich sei würdig oder
unwürdig, so bin ich's jedenfalls, wie du und jedermann sieht. Drum gib mir,
mein Herr und Vater, dass ich deinem Volk möge vorstehen zu deinem Lob und
ihrem Nutzen. Lass mich nicht folgen meiner Vernunft, sondern sei du meine
Vernunft. Auf solche Meinung gehe dann, was da geht, in Gottes Befehl. Wie gut
solches Gebet und Gemüt Gott gefällt, zeigt er selbst an Salomo, der auch solch
Gebet tat, das ich hier verdeutscht habe, damit E.F.G. es als ein Exempel
dieser Predigt am Schluss behalte und eine tröstliche Zuversicht auf Gottes
Gnade erwecke. So dass beides bleibe, Furcht Gottes und Barmherzigkeit, wie der
fünfte Vers singt. Befehle mich hiermit E.F.G., die
Gott zu gesegnetem Regieren sich lasse befohlen sein. Amen.