Roger Liebi – Überblick über die 27 Bücher des NTs - Teil 1/9

Allgemeines zum Aufbau der Bibel und Vogelschau: die vier Evangelien

Audioabschrift

 

 

Ich habe das Vorrecht an drei Abenden einen Überblick zu geben über die 27 Bücher des Neuen Testaments. Eigentlich machen wir schon an diesem ersten Abend einen vollständigen Überblick und zwar indem wir das Neue Testament einfach mal in der Vogelschau betrachten. Also möglichst, auf den Punkt gebracht, uns damit zu beschäftigen, was die Botschaft von jedem einzelnen Buch des Neuen Testaments ist. Und ich denke, es wäre etwas sehr nützliches, wenn man versucht, sich das auch so einzuprägen, dass man das immer präsent hat, dass man also sofort weiß: 2. Thessalonicherbrief, Hauptaussage ist das und das. Da braucht man nicht alle Details zu wissen, wann ist es geschrieben worden oder wo man das in der Apostelgeschichte genau einreihen. Das sind noch zusätzliche Einleitungsfragen. Sondern einfach: Was ist die Botschaft des 2. Thessalonicherbriefes? Ganz kurz, prägnant. Und wenn man sich damit beschäftigt, sieht man deutlicher, wie jedes Bibelbuch eine ganz ihm eigentümliche Schönheit und einen einzigartigen Glanz aufweist. Man könnte das dann auch wieder im Verkündigungsdienst verwerten. Im Prinzip hat ja jedes Bibelbuch eine Aussage, die man gut als eine Predigt weitergeben könnte. Und so hätte man mit diesem Abend schon im Grundgerüst eine Vorbereitung für 27 Predigten. Nicht schlecht, oder?

Ja, zunächst nochmals zur Einteilung der Bibel. Ich habe das auch beim letzten Mal schon angetippt. Das Alte Testament zerfällt in drei Teile, das ist die jüdische Einteilung des AT-Kanons. Eine Einteilung, die aber im Neuen Testament durch den Herrn selber bestätigt wird. Denn in Lukas 24, 27.44 legt der Herr Jesus alles aus was ihn, den Messias, betrifft und zwar: im Gesetz, das ist die Thora, die fünf Bücher Mose, dann in den Propheten, das sind die vorderen Propheten wie Josua, Richter, Samuel, Könige und dann auch was wir eigentlich unter Propheten verstehen Jesaja, Jeremia, Hesekiel und die zwölf kleinen Propheten und schließlich in den Schriften oder man nannte sie im Judentum auch einfach die Psalmen, weil die Psalmen ganz zu Anfang stehen in den Schriften. Die hebräische Bibel unterscheidet sich in der Einteilung von unseren Bibeln. Das ist nicht tragisch, aber man muss es wissen. Also die Psalmen, das wäre der dritte Teil, der umfasst also die Psalmen und alle übrigen Bücher, die ich nicht genannt habe.

 

 

Aufbau der Tanach (der jüdischen Bibel AT)

Thora (Pentateuch)

 

 

1. – 5. Mose

Propheten

die vorderen

 

Josua, Richter, 1. und 2. Samuel, 1. und 2. Könige

 

die hinteren

großen Propheten

Jesaja, Jeremia, Hesekiel

 

 

12 kleinen Propheten

Hosea bis Maleachi

Schriften

Weisheit

 

Psalmen, Sprüche, Hiob

 

Fest-Rollen (zu Festen vorgelesen)

 

Hohelied, Ruth, Klagelieder, Prediger, Ester

 

Historisch

 

Daniel, Esra, Nehemia, Chronik

 

 

Der Herr Jesus übernimmt diese Einteilung und bestätigt damit, dass das eine Gott gegebene Einteilung ist. Das Neue Testament wurde ja erst nach dem Tod, der Auferstehung und der Himmelfahrt Jesu geschrieben, aber an diesem Abschiedsabend im Obersaal vor der Kreuzigung hat der Herr Jesus das Kommen des Heiligen Geistes angekündigt. Und in Johannes 14, 26 hat er verheißen, dass der Heilige Geist sie an alles erinnern wird, was er gesagt hat. Das hat neutestamentlich seinen Niederschlag gefunden in den Evangelien. Dort finden wir durch den Geist Gottes gewirkte Erinnerung an die Worte Jesu auf Erden. Und in Johannes 15, 26 steht, der Heilige Geist wird von dem Herrn Jesus zeugen. Dieses Zeugnis des Heiligen Geistes ist kristallisiert im Neuen Testament insbesondere in der Apostelgeschichte. Es ist die älteste Kirchengeschichte und die einzig inspirierte Kirchengeschichte. Sie beschreibt nämlich die ersten drei Jahrzehnte des christlichen Zeugnisses.

Dann kommen die Lehrbriefe. Die hat der Herr angekündigt in Johannes 16, 12-13: Der Heilige Geist wird euch in die ganze Wahrheit leiten. Und das finden wir insbesondere in den Lehrbriefen, die viele Dinge enthalten, die der Herr Jesus in den Evangelien überhaupt noch nicht ausgeführt hatte. Der Herr Jesus sagt ja dort in Johannes 16, 12-13: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnte es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten, denn er wird nicht aus sich selbst reden, sondern was irgend er hören wird, wird er reden, und das Kommende wird er euch verkündigen.“ Also die Lehrbriefe sind, ganz wichtig, so zu sehen als eine Vollendung, als einen Abschluss der Offenbarung Gottes, wo wirklich noch in einem letzten Riesenschub das eingefügt wird, was bisher noch nicht geoffenbart war. In Vers 13 steht auch noch: er wird euch das Kommende verkündigen. Das hat sich ganz besonders in dem einzigen neutestamentlichen rein prophetischen Buch, in der Offenbarung, niedergeschlagen.

So haben wir vier Teile: 1. die Evangelien (die Erinnerung), 2. die Apostelgeschichte (das Zeugnis), 3. die Lehrbriefe (die Wahrheit) und 4. die Offenbarung (das Kommende). Zusammen (AT und NT) sind es sieben Teile, die Zahl der Vollkommenheit. Der Kanon ist abgeschlossen, wir brauchen nichts mehr dazu. Und damit ist die Bibel auch Selbstgenügsam. Die Reformatoren haben das sehr stark betont, die Selbstgenügsamkeit der Schrift. Sie ist nicht nur vollständig Gottes Wort, sondern sie ist auch Selbstgenügsam, das heißt, wir brauchen keine zusätzlichen Offenbarungen, Ergänzungen mehr. Die Offenbarung Gottes an uns Menschen ist vollendet, abgeschlossen, da haben wir alles.

Nun gehen wir an die einzelnen Bücher heran. Das Matthäusevangelium betont, dass Jesus Christus der König Israels ist, der verheißene Messias des Alten Testaments. Woran sieht man das? Es beginnt ja so in Matthäus 1, 1: Buch des Geschlechts Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams. Im ersten Vers wird der Herr Jesus bereits Sohn Davids genannt, ben David auf Hebräisch. Das ist ein Titel für den Messias. So hat man im rabbinischen Judentum den Messias genannt, «maschiach ben david», Messias, Sohn des David. Und grad so wird im ersten Vers der Herr Jesus charakterisiert, als der verheißene Messias-König. In einem engeren Sinn bedeutete ursprünglich «Sohn Davids», Salomo. Wir haben ja gleich nachher das Geschlechtsregister, Verse 2ff: Abraham zeugte Isaak usw. Vers 6: David aber zeugte Salomon. Salomon ist in der königlichen Linie der «Ben David», der Sohn Davids. Aber nun wird hier im Matthäusevangelium gezeigt, der Herr Jesus ist der große Salomo, der große Sohn Davids. Salomo war eigentlich nur ein Vorgeschmack als Friedensfürst, als König, der die größten Ausdehnungen Israels regiert hat, von dem noch größeren Sohn Davids, dem Messias.

Ich gehe weiter auf dem Skript. Deshalb wird viel Wert darauf gelegt, zu zeigen, dass sich in ihm die Voraussagen der Propheten auf den kommenden Erlöser hin nachweislich erfüllt haben. Wenn man das Matthäusevangelium liest und nachher die anderen Evangelien, dann fällt auf, dass diese Betonung der Erfüllung alttestamentlicher Prophetie nirgends so ausdrücklich ist, wie gerade in dem ersten Evangelium. Beispielsweise Matthäus. 1, 22-23: „Dies alles aber geschah, auf dass erfüllt würde, was von dem Herrn geredet ist durch den Propheten, welcher spricht: »Siehe, die Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden seinen Namen Emmanuel heißen», was verdolmetscht ist: Gott mit uns.“ Nachher in Kapitel 2 wird der Sanhedrin, der oberste Gerichtshof von Herodes versammelt. Er will wissen, wo der Messias geboren werden soll und sie zitieren aus der Schrift. Matthäus. 2, 5-6: „Sie aber sagten zu ihm: Zu Bethlehem in Judäa, denn also steht durch den Propheten geschrieben: «Und du, Bethlehem, im Land Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird ein Führer hervorkommen, der mein Volk Israel weiden wird».“ Dies im Anschluss an Kapitel 2, 1, wo es heißt: „Als aber Jesus zu Bethlehem in Judäa geboren war.“ Weiter Kapitel 2, Vers 15: „Und er war daselbst bis zum Tode Herodes’, auf dass erfüllt würde, was von dem Herrn geredet ist durch den Propheten, welcher spricht: «Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen».“ Die Eltern sind mit dem Kind nach Ägypten geflohen, als die Kinder in Bethlehem und Umgebung ermordet werden sollten, und so hat sich das einfach erfüllt. Und das betont Matthäus, der Messias sollte aus Ägypten gerufen werden. Dann weiter, Kapitel 2, 17: „Da wurde erfüllt, was durch den Propheten Jeremias geredet ist, welcher spricht: «Eine Stimme ist in Rama gehört worden, Weinen und viel Wehklagen: Rahel beweint ihre Kinder, und sie wollte sich nicht trösten lassen, weil sie nicht mehr sind».“ Also hier wird das Alte Testament dauernd herangezogen, um die messianische Erfüllung in Jesus von Nazareth nachzuweisen.

Dieses Buch stellt eine wunderbare Brücke vom Alten zum Neuen Testament dar. Gerade dadurch, dass so betont wird, wie das Alte Testament den Messias vorausgesagt hat und dies nun in Jesus Christus erfüllt worden ist, werden die beiden Testamente miteinander engstens verbunden, unzertrennlich verknüpft. Und das Matthäusevangelium zeigt also gewissermaßen auch, was die Bedeutung des Neuen Testaments schlechthin ist. Die beiden Testamente kann man ja so betiteln mit «Verheißung» und «Erfüllung». Das gibt das ganze der zwei Testamente und damit eben die sieben Teile der Bibel. Ich habe ja schon gefragt, wie man merkt, dass es hier vor allem um den König geht und habe auf den ersten Vers verwiesen, den Sohn Davids. Aber es kommt noch mehr dazu. Wenn man zum Beispiel etwas Statistik betreibt und Wörter auszählt, wie König, Königreich, herrschen usw., dann kommt man zu dem Schluss, dass sich in diesem Evangelium die genannten Begriffe 78mal finden lassen. In Markus sind es 32mal, in Lukas 61mal und in Johannes 21mal. Also objektiv kommen diese Ausdrücke in Matthäus mit Abstand am häufigsten vor. Natürlich müsste man dann gerechterweise noch sagen, dass das Markusevangelium zum Beispiel sehr viel kürzer ist. Das längste ist übrigens Lukas, wenn man die Verse auszählt, obwohl es nur 24 Kapitel hat. Aber ich habe das auch umgerechnet, indem ich die Evangelien so berechnet habe, als wären sie alle gleich lang. Und dann ist es immer noch prozentual eindeutig, dass Matthäus durch diese Ausdrücke schlechthin beherrscht und charakterisiert wird.

Noch zum ersten Vers: Buch des Geschlechts Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams. Ich habe erklärt, der Sohn Davids im engsten Sinn in der Königslinie war Salomo. Der Sohn Abrahams im engsten Sinn ist Isaak, Vers 2: Abraham zeugte Isaak. Aber der Messias sollte der große Isaak sein. Nun, der Sohn Davids, Salomo, war der große Friedensfürst und der Sohn Abrahams, Isaak, war der geliebte Sohn, der geopfert werden sollte. Und zwar mit einer ganz besonderen Zielsetzung. 1. Mose 22, die Geschichte der Darbringung Isaaks. Im Anschluss daran sagt Gott in den Versen 16-18: „Ich schwöre bei mir selbst, spricht der Ewige, dass, weil du dieses getan und deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast, ich dich reichlich segnen und deinen Samen sehr mehren werde, wie die Sterne des Himmels und wie der Sand, der am Ufer des Meeres ist; und dein Same wird besitzen das Tor seiner Feinde; und in deinem Samen werden sich segnen alle Nationen der Erde: darum, dass du meiner Stimme gehorcht hast.“ Nun spricht Gott über den Samen Abrahams. Der Same Abrahams war ja zunächst Isaak. Aber jetzt geht die Prophetie über Isaak hinaus auf den Messias, als späteren, aber großen Sohn Abrahams. Zwei Dinge werden gesagt. Erstens: Er soll das Tor seiner Feinde besitzen, das heißt, er wird der große König sein über alle Feinde. Das Tor war ja im Altertum der Ort, wo die Richter ihre Entscheidungen fällten. Also das Tor war der Ort der Herrschaft. Und wenn nun der Messias das Tor seiner Feinde besitzen wird, dann heißt das, er wird über alle Feinde regieren als König. Und zweitens: In deinem Samen werden sich segnen alle Nationen der Erde. Also sein Herrschafts- und sein Segensbereich sind nicht nur auf Israel beschränkt, sondern sollen alle Nationen erreichen. Salomos Herrschaft hat dazu geführt, dass manch umliegende Nation, die Salomo unterstellt war, dadurch auch unter den Segen seiner Friedensherrschaft kam. Aber der Messias wird allen Nationen zum Segen werden.

Schauen wir uns noch den Schluss von Matthäus an. Der Auferstandene spricht die letzten Worte in den Versen Matthäus 28, 18-20: Und Jesus trat herzu und redete mit ihnen und sprach: Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Gehet [nun] hin und machet alle Nationen zu Jüngern, und taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehret sie, alles zu bewahren, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.“ Erstens sagt er: Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Hier spricht der große Sohn Davids, der große Salomo, der nicht nur über ein Großisrael regiert, sondern über die ganze Erde. Und nicht nur über die ganze Erde, sondern über Himmel und Erde. Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Zweitens: Gehet nun hin und machet alle Nationen zu Jüngern, das ist der große Sohn Abrahams, der zum Segen sein soll für alle Völker, indem sie zum Glauben geführt werden durch die Evangelisation. So wird er zum Segen für alle Nationen. Und das hat er selbstverständlich nach seinem Opfertod gesprochen, nach dem vollendeten Werk. Und so finden wir im Matthäusevangelium eine wunderbare Kreisstruktur: Sohn Davids – Sohn Abrahams. Und wenn wir diese Kreisstruktur so im Gedächtnis behalten, dann ist uns schon mal die große umfassende Aussage des ersten Evangeliums bewusst.

Jetzt gehen wir weiter zum Markusevangelium. Das Markusevangelium stellt Jesus Christus als den vollkommenen Diener Gottes vor. Es betont die Taten Jesu. Von allen Evangelien enthält es daher am wenigsten Worte Jesu. Markus lässt die Geburtsgeschichte weg, so wie auch das königliche Geschlechtsregister. Nach einer knapp gehaltenen Einleitung beginnt er sogleich mit der Beschreibung des öffentlichen Dienstes Jesu in Israel. Der nur in diesem Evangelium zu findende Vers 37 aus Kapitel 7, umschreibt treffend die Botschaft von Markus: Er hat alles wohl gemacht. Das Markusevangelium ist das kürzeste von allen Evangelien. Und es ist auch so, dass das meiste, was man in Markus liest, auch in den anderen Evangelien findet. Nur sieben Prozent im Markustext ist, wie man sagt, Sondergut des Evangelisten. Sondergut meint das, was man in den anderen Evangelien überhaupt nicht finden kann. Ich habe mal in Tadschikistan über die vier Evangelien gesprochen, Zentralasien. Und den Tadschiken habe ich das dann so erklärt: Das ist etwa so wie euer Land, 93 Prozent ist Gebirge und 7 Prozent Flachland. Die 93 Prozent macht das aus, was man in den anderen drei Evangelien auch findet und die 7 Prozent Flachland entsprechen dem Sondergut des Markusevangeliums. So war das greifbar für sie.

Das geringe Sondergut ist vielleicht auch ein Grund, warum das Markusevangelium eher vernachlässigt wird von Bibellesern. Sie denken: Was ich in Markus finde, das finde ich sowieso bei den anderen und dort sogar noch ausführlicher. Vielleicht nicht bewusst, dass sie so argumentieren, aber in der Praxis kommt es auf das heraus. Markus ist vernachlässigt. Aber das völlig zu unrecht, wie wir sehen werden. Denn in Markus ist nicht nur das wichtig, was dort steht, sondern gerade auch das, was nicht dort steht. Ja, wir lesen das Markusevangelium und finden nichts von einem königlichen Geschlechtsregister, wie das in Matthäus 1 präsentiert wird. Gleich in Kapitel 1 kommt dort die königliche Linie über David, Salomo und die Könige von Juda, übrigens bis auf Josef. Josef war der Vater Jesu juristisch gesehen. Nicht biologisch, aber juristisch und darum hat der Herr Jesus ein Anrecht auf diese Königslinie bekommen. In Markus steht also gar nichts davon, sondern nach einer kurzen Einleitung beginnt schon sein Dienst. Markus 1, 14: „Nachdem aber Johannes überliefert war, kam Jesus nach Galiläa, predigte das Evangelium des Reiches Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe gekommen. Tut Buße und glaubet an das Evangelium.“ Sofort beginnt also sein Dienst. Für einen Diener ist es ja nicht wichtig, dass er juristisch Anspruch hat auf eine Königsabstammungsliste. Und wir finden hier übrigens auch keine Beschreibung der wunderbaren Geburt Jesu, wie im Lukasevangelium. Wenn jemand sich in einer Firma vorstellt, dann ist es ja auch nicht so, dass man ihn fragt, ob die Geburt etwas ganz Besonderes war. Was da interessiert ist, ob jemand arbeitet.

Also in Markus wird gerade durch die Weglassung uns deutlich gemacht, dass der Herr Jesus gekommen ist um zu dienen, einfach um als Diener in dieser Welt da zu sein. Das kommt in der Weise nicht so zum Ausdruck im Matthäusevangelium. Und darum hat Gott uns ein zweites Evangelium gegeben, dass durch die Zusammenstellung und gerade auch durch die Reihenfolge der Erzählung, eine Botschaft herauskommt, die in Matthäus so nicht heraus käme. Also es ist wichtig, dass wir für jedes einzelne Buch einen Blick bekommen. Und dass wir gerade beim Lesen darauf achten, wie die Abfolge der Dinge, der Gedankenverlauf ist. Das knüpft wieder an das an, was ich letztes Mal gesagt habe über die Auslegung der Schrift. Es ist wichtig, dass wir versuchen den Gedankenverlauf in einem Buch zu entdecken. Übrigens ist es auch so, wie schon gesagt, dass der Herr Jesus in diesem Evangelium viel weniger spricht als in den anderen. Man kann nämlich die Verse auszählen, wo der Herr Jesus spricht. Und dann findet, dass das Matthäusevangelium zu 60 Prozent aus Worten Jesu besteht. In Lukas und Johannes sind es je 50 Prozent und in Markus sind es 42 Prozent. Also da sehen wir, man kann das wirklich anschaulich zeigen, wie Markus das Gewicht mehr auf Taten, als auf Worte. Und wenn er eben Jesus als den vollkommenen Diener vorstellt, dann ist es ja nicht wichtig, dass dieser Diener viel spricht.

Und in Markus Kapitel 7, 37 haben wir den Schlüsselvers. Wie komme ich darauf zu sagen, das ist der Schlüsselvers? Ganz einfach, die Geschichte dort gehört zu den sieben Prozent Sondergut. Was hier gesagt wird, kommt nirgends sonst vor. Da sehen wir, nachdem der Herr Jesus hier geheilt hatte, steht: „Und sie erstaunten überaus und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; er macht sowohl die Tauben hörend, als auch die Stummen reden.“ Er hat alles wohl getan, oder wohl gemacht. Nirgends sonst findet man diesen Ausspruch. Und das zeigt, was wichtig war: Die Taten des vollkommenen Dieners.

Wir gehen weiter zum Lukasevangelium. Das heißt, ich möchte noch ganz kurz zeigen, wie man auch hier eine Kreisstruktur findet. Ich habe gezeigt, wie in Kapitel eins, nach einer kurzen Einleitung, sogleich der Dienst des Herrn Jesus beginnt. Und die Geschichten sind so zusammengestellt, wie nirgends in einem anderen Evangelium, dass wir zunächst einmal einen ganzen Tagesablauf haben. Vers 16: „Als er aber am See von Galiläa wandelte, sah er Simon und Andreas, Simons Bruder.“ Er ruft sie, um Menschenfischer zu werden. Dann gehen wir weiter Vers 21. Sie gehen hinein nach Kapernaum und alsbald an einem Sabbat ging er in die Synagoge und lehrte. Und dann in Vers 29, alsbald gingen sie aus der Synagoge und kamen in das Haus Simons und Andreas, da wird die Schwiegermutter geheilt. In Vers 32, als es aber Abend geworden war, als die Sonne unterging, brachten sie alle Leidenden und Besessenen zu ihm. Kein Feierabend, der Dienst geht weiter. Und was geschieht am nächsten Tag? Ja, wenn man Spätschicht hat, dann sollte man ausschlafen. Vers 35, und frühmorgens, als es noch sehr dunkel war, stand er auf und ging hinaus und ging hin an einen wüsten Ort und betete dort. Und dann geht es weiter, Vers 40, es kommt ein Aussätziger. Also eine Zusammenstellung, die einzigartig ist im Kanon. Hätten wir das Evangelium nicht so für sich, käme das nicht in dieser Weise durch. Also es beginnt gleich mit einer Darstellung des hingebungsvollen Dienstes des Herrn Jesus bis in die Nacht und es beginnt frühmorgens, als es noch dunkel war, wieder neu.

Und nun, der Herr Jesus hat sich so erniedrigt als Diener, schließlich bis zum Tod am Kreuz. Aber Markus 16 spricht über die Auferstehung und die Himmelfahrt. Markus 16, 19: „Der Herr nun wurde, nachdem er mit ihnen geredet hatte, in den Himmel aufgenommen und setzte sich zur Rechten Gottes. Jene aber gingen aus und predigten allenthalben, indem der Herr mitwirkte und das Wort bestätigte durch die darauf folgenden Zeichen.“ Wir kennen das Prinzip, das der Herr Jesus gelehrt hat, in Matthäus 23, 12: „Wer irgend aber sich selbst erhöhen wird, wird erniedrigt werden; und wer irgend sich selbst erniedrigen wird, wird erhöht werden.“ Der Herr Jesus hat sich erniedrigt bis zum Tod am Kreuz, dann wurde er erhoben aus dem Grab, erhöht in der Himmelfahrt und in seinem Sitzen zur Rechten Gottes auf dem Thron. Und das finden wir hier in Markus, aber in keinem anderen Evangelium. Die Himmelfahrt wird in Lukas noch erwähnt, aber das Sitzen zur Rechten Gottes wird nur in Markus erwähnt. Es geht hier um den Diener, der sich so tief erniedrigt hat, und nun erhöht wird über alle Maßen. Und merken wir, Markus nennt ihn: der Herr. Der Diener wird hier Herr genannt. Das ist speziell, denn in den Evangelien ist es ja nicht üblich, dass Jesus, Herr Jesus genannt wird, wie später dann in der Apostelgeschichte und in den Briefen. Weit über zweihundert Mal wird der Herr Jesus dort nicht nur Jesus, sondern Herr Jesus genannt. In den Evangelien wird der erniedrigte Jesus einfach Jesus genannt, aber hier in Markus 16 wechselt Markus auf: der Herr.

Und was tut er jetzt? Ausruhen? Nein: Jene aber gingen aus und predigten allenthalben, indem der Herr mitwirkte. Der Dienst Jesu geht auf Gottes Thron weiter. Er wirkt immer noch als der Diener. Das sind Beobachtungen, die deutlich machen, wie man auch mit internen Argumenten zeigen kann, warum die letzen Verse von Markus 16 echt sind. Es gibt ja viele Bibelkommentare die sagen, das sei eine spätere Ergänzung gewesen ab Vers 9, das sei nicht ursprünglich. Und Nestle-Aland, die Bibelausgabe des griechischen Neuen Testaments, die in Europa als Standard angesehen wird, stellt diese Schluss-Stelle prinzipiell in Frage. Aber wir können nicht nur mit Handschriften argumentieren, sondern auch intern, weil es genau das ist, was zum Markusevangelium passt. Denn es zeigt den erniedrigen Diener, der am höchsten erhöht wird, als Herr, der dann aber weiter dient. Übrigens hat man dann auch noch argumentiert, dass es in diesen Schlussversen 17 Wörter gibt, die man sonst bei Markus nirgends findet. Und das zeigt, in der Theologensprache, dass dieser Markusschluss eben nicht in markanischer Sprache abgefasst worden ist. Nun, ein Schlaumeier hat in der gleichen Anzahl Versen davor, die also echt sein müssen, auch 17 Wörter gefunden, die man sonst auch nirgends im Markusevangelium findet. Tja, so ist das ad absurdum geführt und wir gehen zum Lukasevangelium.

Das Lukasevangelium beschreibt Jesus Christus als den vollkommenen Menschen. Es wurde von einem Arzt geschrieben. In diesem Buch wird am ausführlichsten über die wunderbare Geburt des Erlösers gesprochen. Nur hier wird die Abstammung Jesu bis auf Adam zurückgeführt, in der Genealogie, dem Geschlechtsregister in Kapitel 3, 23-38, gewissermaßen um zu zeigen, dass der vollkommene Mensch Jesus mit der ganzen Menschheit verwandt ist. Interessant, oder? In Matthäus ging es ja nur zurück bis auf Abraham. Nirgends wird so betont, welch ein Mitgefühl Jesus Christus mit den Menschen in der Not hat. Lukas betont sehr, dass die Gnade Gottes sich nicht auf Israel beschränkt, sondern den Menschen aus allen Völkern gilt. Lukas war ein Arzt, Kolosser 4, Vers 14, erwähnt das. Übrigens sagt Paulus nicht, es grüßt euch Lukas, der hochberühmte Arzt, sondern, der geliebte Arzt. Es ist nicht wichtig, dass wir berühmt werden, sondern dass wir in dem Beruf, in den der Herr uns hineingestellt hat, treu sind. Aber es ist schon interessant, ein Spezialist für die Frage: Was ist der Mensch?, wurde gewählt, um am ausführlichsten über die Menschheit Jesu zu berichten. Und eben auch über die Jungfrauengeburt. Das ist schon der Hammer. Wenn die Leute sagen: Ja, die haben das damals noch nicht so ganz gecheckt, wie das geht!, dann können wir sagen: Du, hör doch auf, das war ein Arzt und der schreibt am ausführlichsten über die Jungfrauengeburt. Der wusste schon, wovon er schreibt.

Lukas schreibt in Kapitel 2, Vers 10: „Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die für das ganze Volk sein wird; denn euch ist heute, in Davids Stadt, ein Erretter geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Große Freude, damit beginnt das Lukasevangelium. Der Messias ist in die Welt gekommen, geboren worden in Bethlehem. Und wie endet das Lukasevangelium? Lukas 24, 50-53: „Er führte sie aber hinaus bis nach Bethanien und hob seine Hände auf und segnete sie. Und es geschah, indem er sie segnete, schied er von ihnen und wurde hinaufgetragen in den Himmel. Und sie warfen sich vor ihm nieder und kehrten nach Jerusalem zurück mit großer Freude; und sie waren allezeit im Tempel, Gott lobend und preisend.“ Das Evangelium beginnt mit großer Freude, der Messias ist in die Welt gekommen, und das Evangelium endet mit großer Freude, der Messias ist siegreich in die Herrlichkeit zurückgekehrt. Das ist auch eine Entdeckung, die man nur im Lukasevangelium machen kann. Wenn man die Geschichten zusammensucht, wo Menschen geheilt werden oder wo begegnet der Herr Jesus Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen, fällt uns auf, dass es nirgends eine solche Konzentration davon gibt wie im Lukasevangelium. Ein guter Arzt hat ein Herz für Kranke und auch für solche, die am Rand der Gesellschaft stehen. Und er schreibt und betont, wie der Herr Jesus eben ein Herz hatte gerade für diese Menschen.

Nun wir gehen weiter zum Johannesevangelium. Das Johannesevangelium zeigt auf einzigartige Weise, dass der Mensch Jesus Christus zugleich ewiger Gott ist. Es teilt uns mit, dass Gott sich in seinem Sohn vollkommen geoffenbart hat. Wer den Sohn Gottes kennt, darf Gott den Vater kennen und darf sich des ewigen Lebens als Kind Gottes erfreuen. Wir lesen die Einleitungsverse aus dem Johannesevangelium: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ward durch dasselbe, und ohne dasselbe ward auch nicht eines, das geworden ist. In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“

Ein einzigartiger Anfang. Wir finden den bei den anderen Evangelisten nicht. Ich habe gesagt, das Johannesevangelium zeigt uns besonders die Gottheit Christi auf und das wird schon in den ersten Versen betont. Das Wort war Gott. Der Herr Jesus wird hier das Wort genannt, Logos auf Griechisch. Und das muss man vom jüdischen Hintergrund her verstehen. Im Judentum hat man ja schon in vorchristlicher Zeit begonnen, wegen des dritten Gebotes, du sollst den Namen des Herrn nicht zu Eitlem aussprechen, den Namen des Herrn im Normalfall nicht mehr auszusprechen. Und so hat man Ersatzwörter verwendet für Jahwe. Nur der Hohepriester, am großen Versöhnungstag, bei zehn ganz besonders rituell festgelegten Momenten, sprach er vor dem Volk den Namen Jahwe aus, zehn Mal am Jom Kippur. Aber ansonsten hat man Ersatznamen verwendet wie zum Beispiel Adonaj (Herr). Und so haben wir das auch im Neuen Testament, wenn der unaussprechliche Name Gottes gemeint ist aus dem Alten Testament, finden wir sehr oft «der Herr» als Ersatzwort. Machen wir Pause und fahren dann mit Johannes weiter.