ROLF SCHEFFBUCH Allein Jesus Christus, der Gekreuzigte r. Rolf Scheffbuch Allein Jesus Christus, der Gekreuzigte Rolf Scheffbuch Allein Jesus Christus, der Gekreuzigte SCM Hänssler SCM Stiftung Christliche Medien Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © der deutschen Ausgabe 2013 SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG • 71088 Holzgerlingen Internet: www.scm-haenssler.de • E-Mail: info@scm-haenssler.de Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen: Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung 2006, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart Umschlaggestaltung: Jens Vogelsang, Aachen Titelbild: © The Yorck Project Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach Druck und Bindung: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm Gedruckt in Deutschland ISBN 978-3-7751-5436-9 Bestell-Nr. 395.436 Papier aus verantwortungsvollen Quellen MIX .*c*B FSC* C006701 Inhalt Der Gekreuzigte ist der Inbegriff für Jesus Christus .................................. 1. Kreuzverhör - die ach so »vernünftigen« Einwände .......................................... 9 2. Zeugenaussagen - biblische Fingerzeige............ 18 3. Freispruch - der Gekreuzigte geht mich persönlich an .................................... 50 4. Gottes Fiebe will aus dem Zorn retten............. 68 5. Werkzeuge der heiligen Fiebe ..................... 84 6. Bei Gott ist kein Ding unmöglich................. 100 7. Jesus bleibt die Hauptsache...................... 118 Anmerkungen 153 Der Gekreuzigte ist der Inbegriff für Jesus Christus Der indische Staatsmann Mahatma Gandhi (1869-1948) entstammte einer Hindu-Familie. Von der Bergpredigt des Nazareners Jesus hielt jedoch auch er große Stücke. Mit dem gekreuzigten Jesus konnte er allerdings nichts anfangen. Erstaunliches ereignete sich jedoch, als auf Gandhis Anregung in Neu-Delhi ein neuer Hindu-Tempel gebaut wurde. Schon in der Eingangshalle dieses Heiligtums sollte deutlich werden: Auch in anderen Religionen gibt es ernsthafte religiöse Verehrung! Darum wurden auf den Pfeilern alle möglichen Religionsstifter in Stein gemeißelt dargestellt. Es sind zu sehen: der lehrende Konfuzius, der tanzende Vishnu, der in sich ruhende Buddha. Auch Jesus Christus wurde abgebildet. Merkwürdigerweise ist Jesus jedoch nicht als Bergprediger, sondern als der Gekreuzigte dargestellt. Als der ans Kreuz Erhöhte ist Jesus eben unverwechselbar. Lehrende, auch heilende und Wunder wirkende Heilige gibt es auch in anderen Religionen. Aber für Jesus Christus ist nun einmal ganz bezeichnend, dass er der Gekreuzigte ist. So hat es auch Jesus ganz bewusst gewollt und gemeint. Er verglich seine kommende Kreuzigung mit dem Rettungsangebot, das Gott einst dem Volk Israel gemacht hatte (vgl. Joh 3,14f). Als damals in der Wüste eine schreckliche Not über das Volk hereingebrochen war, hatte Mose auf Gottes Geheiß ein Rettungszeichen aufgerichtet. Wer zu diesem Zeichen aufsah, wurde gerettet (vgl. 4Mo 21,8). Daran anknüpfend machte Jesus klar: Die eigentliche Erhöhung, auf die es Gott bei mir ankommt, ist die Erhöhung am aufgerichteten Pfahl. Diese »Erhöhung« eröffnet denen ewiges Leben, die an mich glauben. 1. Kreuzverhör - die ach so »vernünftigen« Einwände Was soll das? Jesus hatte auf eine Entsprechung zwischen dem Rettungszeichen bei Mose und seiner eigenen Erhöhung an das Kreuz hingewiesen. Das wurde oft nicht ernst genommen. Schon bei den ersten Nachfolgern von Jesus muss das angefangen haben. Viele haben schon damals gefragt: »Was soll das?« Erst recht wird heute gefragt: »Ist es nicht abschreckend, wenn in der Mitte der Gotteshäuser das Zeichen des Gekreuzigten unübersehbar herausgestellt wird?« »Was soll denn daran so wichtig sein, dass Jesus am Kreuz gestorben ist?« »War das eine Voraussetzung dafür, dass er Sünden vergeben kann - und wenn ja, weshalb?« »Ist es nicht eine geradezu unmoralische Vorstellung, dass ein anderer für meine Fehler einstehen soll?« Eigentlich ist es ganz normal, dass denkende Menschen so auf den gekreuzigten Jesus reagieren. Davon spricht schon die Bibel. Im Brief des Apostels Paulus an die Christen in Korinth ist zu entdecken: Dem normalen Menschen kommt das Wert-Legen auf den gekreuzigten Christus als eine unbegreifliche Dummheit vor (vgl. IKor 2,1 ff, bes.V. 14). Das war dem Apostel Paulus wohl bewusst. Schließlich war er sowohl in jüdischer Theologie als auch in griechischer Philosophie zuhause. Das menschliche Denken stößt an Grenzen, wenn es den gekreuzigten Jesus wirklich zu erfassen versucht. Der menschliche Verstand kann nun einmal Gottes Geheimnisse nicht erschließen. Das gilt eigentlich für alles, was in der Bibel berichtet und angesprochen ist. Es gilt nun einmal: »So weiß auch niemand, was in Gott ist, als allein der Geist Gottes« (IKor 2,11). Aus diesem Grund braucht es auch den Geist Gottes, um begreifen zu können, wozu denn der gekreuzigte Jesus gut ist. Im Vertrauen auf diesen Gottesgeist blieb der Apostel entschlossen dabei: »Die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit« (IKor 1,23). All das ist in den beiden Anfangskapiteln des ersten Korintherbriefs nachzulesen. Vor allem ist die Schlussfolgerung des Apostels wichtig: »Wir... predigen den gekreuzigten Christus,... damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft« (IKor 1,23; 2,5). Gott selbst will dort mit seinem Geist initiativ werden, wo Christen den gekreuzigten Jesus bekennen. Die Nachfolger von Jesus sind davon entlastet, Verstehen entbinden zu müssen. Denn Gott selbst ist es, der begrenzte Horizonte des Verstehens öffnen will. Vor allem ist Gott darauf aus, dass Menschen sich in die Gemeinschaft mit diesem Jesus hineinnehmen lassen. Gott will das tun, wo sich Christen des gekreuzigten Jesus nicht schämen, sondern ihn bekannt machen (vgl. Röm 1,16). Wenn Christen der Gekreuzigte peinlich ist Tief betroffen hat es Dietrich Bonhoeffer 1930 in den USA erlebt, dass dort in der Verkündigung der Christen der Gekreuzigte ausgeblendet war. Mit großen Erwartungen war er nach Amerika gekommen. Aber schon nach einigen Wochen schrieb er nach Hause: Man kann in New York fast über alles predigen hören, nur über eines nicht oder doch so selten, dass es mir jedenfalls nicht gelungen ist, es zu hören, nämlich über das Evangelium Jesu Christi, vom Kreuz, von Sünde und Vergebung, von Tod und Leben.1 Befremdet, ja geradezu angewidert von solch hohler Theologie und Kirchlichkeit kehrte Bonhoeffer nach Deutschland zurück. Dort geriet er mitten hinein in das Ringen um das unverfälschte Evangelium. Denn die Nationalsozialisten und die von ihnen geförderte Kirchengruppe der sogenannten »Deutschen Christen« vertraten durch ihren Sprecher unverblümt: Die Kirche müsse sich hüten vor einer »übertriebenen Herausstellung des Gekreuzigten«; denn die Lehre vom Kreuz sei pessimistisch und deprimierend, also jüdisch, und Deutschland brauche Hoffnung und Sieg. Im Symbol des Kreuzes erblickte der Sprecher »einen lächerlichen Überrest des Judentums«, der für einen Nationalsozialisten »unannehmbar« sei. Er spottete auch über »die ganze Sündenbock- und Minderwertigkeitstheologie des Rabbiners Paulus«2. Damals, 1933 und 1934, ließen sich viele Christen solch radikale Parolen nicht bieten. Es bildete sich die »Bekennende Kirche«, die mit der »Barmer Theologischen Erklärung« von 1934 Flagge zeigte: »Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft... ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen ... Überzeugungen überlassen.«3 Leider ist das heute »Schnee von gestern«. Ohne Scheu wird in unseren Tagen von Christen gefragt: »Was ist das für ein Gott, der diese brutale Ungerechtigkeit nicht verhindert hat, dass ein offensichtlich Gerechter ausgemerzt werden sollte?« »Was ist denn das für ein Gott, der >auf Blut stehtd?« »Was ist denn das für ein Gott, der es nötig hat, sich in seinem Zorn an seinem Sohn schadlos zu halten - anstelle der sündigen Menschen?!« »Was ist denn das für ein sadistischer Gott, der seinen Sohn brutal aufopfert?!« Dass es solche kritischen Fragen gibt, ist keineswegs neu. Das ist die Christenheit seit ihren Anfängen gewohnt. Neu ist auch nicht die ätzende Schärfe dieser Fragen. Aber das Neue an diesen aufschreckenden Fragen ist, dass sie aus der Christenheit selbst kommen. Vor allem ist dies neu: Die Wortführer und auch Wortführerinnen dieser neuen Erscheinung wollen sich verabschieden von einem Gottesbild, das nach ihrer Über- zeugung falsch, ja sogar schädlich ist. Gerade darin wollen sie ernst genommen werden, dass es ihnen um die Ehre Gottes geht. Es fanden sich rasch Theologen, die für dieses oft aggressiv vorgetragene Anliegen Verständnis zeigten. Zumindest stimmten sie der Beurteilung zu, dass viele »der modernen Menschen« mit den Begriffen vom »stellvertretenden Leiden« und vom »Sühnetod« nichts mehr anfangen können. Sie boten darum eine neue Deutung des Jesus-Geschehens an. In ihm war »das Ärgernis des Kreuzes« (Gal 5,11) ausgespart. Mit Überzeugung wurde proklamiert: Das muss niemand glauben, dass Gott auf das Sterben seines Sohnes am Kreuz aus war! Es ist reiner Irrtum, zu meinen, dass der Tod von Jesus zur Sündenvergebung nötig war! Offen wurde als Programm ausgegeben, man wolle sich »verabschieden« von vielem, das bis dahin zum Kernbestand des Christenglaubens gehört hatte. Mit alldem war das »Wort vom Kreuz« wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Einer der von den Medien herausgestellten Wortführer, ein mir nahestehender westdeutscher Kirchenmann, erklärte sein Engagement etwa so: »Mir ging es um die vielen Menschen, die ein schlechtes Gewissen haben; denn sie können einfach nicht glauben, dass Jesus Christus für ihre Sünden sterben musste, um Versöhnung zu schaffen. Wenn ich denen, vielleicht sind es einige tausend in unserem Land, durch diese nun aufgebrochene Debatte das schlechte Gewissen genommen habe, dann hat sich für mich die ganze Debatte schon gelohnt.« Ich verstehe dieses seelsorgerliche Anliegen. Aber mir geht es um die vielen Menschen - und es sind nicht nur einige tausend -, denen diese ganze Debatte wehtat. Es wurde dabei so viel falsch interpretiert, missdeutet und auch weggehobelt, was Christen durch die Jahrhunderte Gewissheit und Halt gewesen war. Es ist doch verletzend, wenn als beliebig oder gar als falsch und darum verzichtbar dargestellt wird, was Christen bisher in Bibel, Katechismus und Gesangbuch heilig war. Es gibt doch auch heute durchaus »moderne« Menschen, die ein Gespür dafür haben: Mir der Monstrosität und der Schmach unserer Lebenstrümmer haben wir nicht nur andere Menschen verletzt, sondern wir sind erst recht schuldig geworden an Gott, dem Herrn der Welt und auch unseres Lebens. Diese Menschen sind es, die überströmend dankbar dafür werden, dass es bei Jesus Erlösung gibt. Für sie ist das, was der Apostel Paulus mit dem Kürzel »das Wort vom Kreuz« zusammengefasst hat, eine »Gotteskraft« (IKor 1,18), ein Gotteswunder, der Schlüssel zum Himmel. Was soll man eigentlich auch sonst noch im Christenglauben umdeuten oder gar streichen, weil es in ähnlicher Weise wie das »Wort vom Kreuz« diesen und jenen Menschen unannehmbar vorkommt? Macht denn dies ganze Unternehmen den Christenglauben nicht an klaren Konturen noch ärmer? Auf diese Weise wird doch der so abgeschmirgelte Christenglauben noch verwechselbarer mit anderen Heils-Angeboten. Er wird insgesamt unerheblicher. Wie schade! Der Sinn des Kreuzes-Geschehens erschließt sich nicht menschlichem Verstehen. Es ist zutiefst menschlich, nicht glauben zu können, dass Jesus sein Leben zur Erlösung der Vielen hingeben musste. Es ist aber nicht »göttlich«, sondern »menschlich«, Menschen in solcher Sicht zu bestätigen (vgl. Mt 16,21-23). Jesus war darauf aus, Menschen dies als die wahre, als die göttliche Sicht zu erschließen: »Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben« (Joh 3,16). Gott griff nicht in die Speichen, als sein Sohn unter die Räder dieser schrecklichen Welt geriet. Vielmehr hat sich Gott seinen Sohn vom Herzen gerissen, um ihn in diese feindliche Welt hineinzugeben. Er nahm keine Rücksicht auf seinen geliebten Sohn, sondern auf die Menschenwelt. Nicht ein Einziger sollte »verdammt in alle Ewigkeit« bleiben müssen. Keiner sollte verloren gehen müssen. Gott hat seinen eigenen Sohn nicht verschont Den geliebten Sohn hergeben zu müssen, das ist grauenvoll. Einst ist David, Israels großer König, nicht einmal mit dem Sterben seines rebellischen, ihm total ungehorsamen Sohnes Absalom fertiggeworden. Im Schmerz um den Sohn stimmte er die herzzerreißende Totenklage an: «Mein Sohn, mein Sohn Absalom! Wollte Gott, ich wäre für dich gestorben! O Absalom, mein Sohn, mein Sohn!« (2. Sam 19,1) Was einst David an abgrundtiefem Schmerz durchlitt, das durchleiden bis heute Eltern, denen die Kinder entrissen werden. Der Älteste aus unserem großen Kreis von Vettern und Basen verblutete 1941 vor Smolensk. Von da an brachte seine Mutter eigentlich nie mehr ein Wort über diesen ihren Ältesten über ihre Lippen. Aber sie trug bis zu ihrem Tod, mehr als 30 Jahre lang, nur noch schwarze Kleider. Der Evangelist Wilhelm Busch (1897-1966), der so vielen den Glauben wecken und stärken durfte und noch heute vielen Menschen auf der ganzen Welt durch sein Buch «Jesus unser Schicksal« bekannt ist, hatte sich als junger Ehemann sechs Söhne gewünscht. Mit ihnen zusammen wollte er einen Familien-Posaunenchor bilden. Das war für ihn das Schönste, was er sich vorstellen konnte. Aber dann lag plötzlich der kleine Eberhard tot im Bett. Plötzlicher Kindstod! Und der genial künstlerisch begabte Pianisten-Sohn wurde im Hagel russischer Granaten zerrissen. Über diesen Tod seiner Söhne ist Wilhelm Busch, der auch mir ein Vorbild im Glauben war, nie, gar nie hinweggekommen. Beim ewigen Gott muss es jedoch ein noch einmal ganz anderer Schmerz gewesen sein, als er aus Liebe zur Welt »seinen eingeborenen Sohn gab« (Joh 3,16). Es war noch viel unfasslicher und unaussprechbarer als aller nur vorstellbare menschliche Elternschmerz. Es wäre gut, wenn wir neu in den Blick bekämen, was die Christenheit früherer Zeiten noch gewusst hat, wenn sie sang: Sein Sohn ist ihm nicht zu teuer, nein, er gibt ihn für mich hin ... O du unergründ’ter Brunnen, wie will doch mein schwacher Geist, ob er sich gleich hoch befleißt, deine Tief’ ergründen können?!4 Oder wenn die Christengemeinde die Worte von Martin Luther nachbuchstabierte: Da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend Übermaßen;... er ließ’s sein Bestes kosten.5 Gott hat sich das »Eieil der Armen« etwas kosten lassen. Ach, nicht nur »etwas«, sondern das Beste. Nämlich den Besten. Gott hat sich doch nicht selbst etwas Gutes getan, als er den Sohn am Kreuz sterben ließ. Vielmehr hat Gott voll Schmerz auf den Sohn verzichtet, um verlorenen Menschen zu helfen. Obwohl Gott nur Freude an seinem gehorsamen Sohn gehabt hatte, riss er sich diesen geliebten Sohn vom Herzen. Gott war bereit, sich selbst solchen Schmerz zuzufügen. Er war bereit, den Sohn in die äußerste Schmach und in das äußerste Verderben hineinzugeben, nur damit wir Verlorene erlöst werden können. Gott hat es für uns getan. Für uns! Welch eine Verblendung, das so misszuverstehen, als ob der heilige Gott mit dem Tod von Jesus sich selbst eine Genugtuung hätte verschaffen wollen! Nein, »er ließ’s sein Bestes kosten«, weil es ihm um der Menschen Rettung ging. Niemand muss blind bleiben Das Opfer des heiligen Sohnes Gottes und unsere Erlösung greifen ineinander. So hat es Jesus uns wissen lassen: Gott hat seinen Sohn gegeben, damit niemand verloren bleiben und verloren gehen muss. Auf logische Weise jedoch wird kein Mensch es sich je zurechtlegen können, auf welche Weise dies ineinandergreift. Dazu ist unser menschliche Verstand zu begrenzt. Natürlich haben Christen zu allen Zeiten versucht, solche logischen Zusammenhänge systematisch darzustellen. Letztlich haben jedoch gerade diese Erklärungssysteme neue Einwände und neue Fragen aufgeworfen. So hat etwa der mittelalterliche Theologe Anselm von Can-terbury (1033-1109) ein beachtliches System entworfen. Er hat darin dargelegt, weshalb Gott in Jesus Mensch werden und stellvertretend für die sündigen Menschen die Strafe Gottes erleiden musste. Das war sicher gut gemeint. Es war ein Versuch, die biblischen Aussagen in das römisch-germanische Rechtsdenken einzuzeichnen und so verständlich zu machen. Aber diese Konzeption hat bis heute mehr Gegenfragen aufgeworfen als zu Klärungen verholfen. Die verlässlichen Aussagen von Jesus und den biblischen Propheten und Aposteln gleichen eher einzelnen Puzzlestücken. Sie ergänzen einander. Sie greifen ineinander. Erst zusammen genommen ergeben sie ein Bild. Aber in einen mathematischen Satz, in eine spröde Formel, in ein logisch durchstrukturiertes System lassen sie sich nicht pressen. Wer nach einem überzeugend einleuchtenden, logisch zusammenhängenden System fragt, der geht gerade dort fehl, wo es um den gekreuzigten Jesus und also um die Mitte des Evangeliums geht. Das macht nur deutlich, dass die »Chemie« zwischen uns und Gott überhaupt nicht »stimmt«. Gott ist ja schließlich auch nicht dazu da, dass Menschen ihn und sein Handeln begreifen, sondern dass sie sein rettendes Handeln für sich persönlich gelten lassen. Aber mindestens so viel sollten Menschen erahnen können: Wie unendlich groß muss in den Augen Gottes das Verderben der Menschen sein, dass er solch einen uns befremdlich scheinenden, den himmlischen Vater aber überaus schmerzenden Weg einschlug! Gott hat seinen Sohn »nicht verschont«, sondern ihn voller Schmerz - und auch voll Liebe zu uns - »für uns alle dahingegeben« (Röm 8,32)! Nach Gottes Willen sollen aber Menschen sich dies sagen lassen: Das Sterben von Jesus war keine Panne im Himmel, kein »Versagen« eines verschlafenen Gottes, sondern der Kreuzestod von Jesus entsprach einem Plan Gottes. Gott hatte schon über den Ankündigungen der alttestamentlichen Propheten diesen Masterplan aufblitzen lassen. An ihn hat Jesus immer wieder erinnert. So etwa, wenn er sagte: »So muss die Schrift erfüllt werden« (vgl. Lk 24,44; Mk 14,49; Joh 13,18; siehe aber auch Mt l,22f; 2,15.17 und öfter). Der auferstandene Jesus konnte seinen engsten Gefährten Vorhalten: »O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?« (Lk 24,25f) Wir müssen also umlernen, wenn wir verständlicherweise fragen: »Wo ist denn da die Logik? Wo ist denn da der Sinn? Was soll das Ganze?« Die »Logik« Gottes ist jedoch darin zu entdecken: Es ist eingetroffen, was Gott schon lange zuvor hatte ankündigen lassen! Es ist Fakt geworden, was als Absicht Gottes bekannt gemacht worden war! 2. Zeugenaussagen - biblische Fingerzeige Voraussagen sind eingetroffen »Christus ist gestorben für unsere Sünden nach der Schrift« (IKor 15,3)- Mit diesem einen Satz wird Klarheit über das Sterben von Jesus geschaffen. Im Sterben von Jesus vollzog sich von Gott Geplantes und von Gott klar Angekündigtes. Es vollzog sich Heilmachendes. Als Jesus wegen der Sünde von Menschen starb, da geschah das nach dem ewigen Plan Gottes. Als Jesus für Sünder starb, war das kein unvorhergesehener Katastropheneinsatz. Es beruhte auf keiner Augenblicksentscheidung Gottes. Es war erst recht kein Zufall, sondern es vollzog sich das Heil geplant, gezielt, keinem Zufall unterworfen. »Gott, der Herr, tut nichts, er offenbare denn seinen Ratschluss den Propheten, seinen Knechten« (Arnos 3,7). Seinen Freunden und Vertrauten verbirgt Gott nicht, was er vorhat (vgl. IMo 18,17). Darauf bezog sich Paulus - vielleicht sogar die erste Christenheit - mit dem Bekenntnis: »Nach der Schrift« ist Christus gestorben für unsere Sünden (vgl. IKor 15,3). Es geschah gemäß dem, was an prophetischen Vorhersagen in der Bibel Israels zu finden ist, die von den Christen »Altes Testament« genannt wird. Staunend entdeckte der Apostel Paulus im »Gesetz« und bei den »Propheten« Hinweise, die schon dort spurenhaft auf die in Christus in Kraft getretene erlösende »Gerechtigkeit Gottes« zielten (vgl. Röm 3, 21 ff.). Damit hat Paulus vor allem Jesus ernst genommen. Als Auferstandener hat Jesus »die Schrift geöffnet«. Das geschah zuerst bei den Emmaus-Jüngern, danach auch bei seinen anderen Nachfolgern. Dabei fing Jesus an bei den Mose-Büchern und zeigte aus ihnen und aus den Psalmen und Propheten: Christus konnte gar nicht anders zur Herrlichkeit eingehen, als dass er zuvor leiden musste (vgl. Lk 24,25-27. 44-48). Eine Fülle von Spuren führt wie verborgene Pfade schließlich hin zur Erfüllung dessen, was von Jesus in der »Schrift« angekündigt worden war (vgl. Lk 24,44). Es ist nicht nur ein schmaler Pfad, sondern ein ganzes Wegenetz, das hinführt zu Jesus, der für die Sünden gestorben ist. Die zentralste Spur ist jedoch nach wie vor Jesaja 52 und 53. Darum wird sie immer wieder von Jesus selbst und von den Aposteln so erwähnt. Diese Ankündigungen der Propheten machen klar: Gott musste nicht Dampf ablassen wegen seiner pausenlos in den Schmutz getretenen Ehre. Nichts trieb ihn dazu, in blindwütigem Zorn loszuschlagen und dabei eben seinen unschuldigen Sohn Jesus zu treffen, sondern Gott wollte Rettung für Rettungsbedürftige schaffen. Auch über dem Sterben von Jesus - nicht nur über dem von Jesus gestifteten Abendmahl - steht als Leitwort »für euch und für die Vielen«! Wenn Gott seit dem schrecklichen Sündenfall an irgendeinem Augenblick der ganzen Weltgeschichte dankbar aufgeatmet hat, dann war es in jenem Golgatha-Augenblick, da Jesus rief: »Es ist vollbracht« (Joh 19,30). Das war der Höhepunkt seiner Liebe zu den Menschen. Damals wurden nicht Gottes Pläne durchkreuzt, sondern es begann eine Neuschöpfung. Es vollzog sich eine Weltenwende. Damals hat Gott mit sich alles versöhnt, was im Himmel und auf Erden wähnte, mit Gott auf Kriegsfuß stehen zu müssen. Für die ganze Schöpfung war Hoffnung angebrochen. »Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung« (2Kor 5,19). Bis dahin war es konsequent, dass auch Gott der Welt den Rücken zukehrte. Schließlich war das die Reaktion darauf, dass die Menschheit auf Distanz zu Gott gegangen war. Aber nun hatte Jesus stellvertretend Verantwortung übernommen für den gesamten Kriegszustand mit Gott. Die Feindschaft gegen Gott, die sich aufgebaut hatte, wurde von Jesus durchbrochen (vgl. Eph 2,14). Solch eine Sichtweise - es ist die Sichtweise der Bibel - mag den meisten Menschen fremd Vorkommen, ungewöhnlich, vielleicht sogar unpassend. Das Sterben von Jesus wird so oft als schrecklicher Tiefpunkt angesehen, fast als eine Panne, als Entgleisung dessen, was Gott eigentlich gewollt hatte. Bis hinein in christliche Blättchen wird immer wieder einmal empfohlen: Erzählen wir doch den Kindern nicht zu viel vom leidenden Jesus, sondern lasst uns rasch zum Happy End der Auferstehung kommen. Schließlich ist doch alles dann doch noch einmal gut ausgegangen. Wir sind es gewohnt, dass in der Woche des Gedenkens an das Sterben von Jesus Trauer vorherrschen muss, getragene Musik, dunkle Kleidung. Sogar die Liturgiker legen Wert darauf, dass in der Passionszeit das »Ehr sei dem Vater und dem Sohn...« zu schweigen hat. Man hat neuerdings »Sieben Wochen ohne« für die Passions-Zeit erfunden. Also weg mit allem, was schmeckt und Freude macht; denn es ist ja Passionszeit! Der arme, arme Jesus muss uns ja leidtun! Solange die Erinnerung an den leidenden Jesus bei uns Ehrfurcht und Dankbarkeit entbindet, ist ja sogar dies alles recht und auch passend. Aber noch passender wäre staunende Dankbarkeit. Denn es könnte uns bewusst sein: Wenn je irgendwo für Gott die Rechnung aufging, wenn Gott je einmal in der ganzen Weltgeschichte hundertprozentig zu seinem Ziel kam, dann war es damals, als Jesus sich nicht dagegen sträubte, dass ihm die Sünde aller Welt aufgeladen wurde. Gott wollte rechtsgültige Entlastung schaffen. Er wollte verlässliche, tragfähige Versöhnung wirken. Gott wollte nicht warten, bis in Menschen das Sehnen nach göttlicher Vergebung aufbrechen würde, sondern er, Gott selbst, war es, der auf Versöhnung aus war. Er war es, der seitdem Menschen anbettelt: »Lasst euch doch mit mir versöhnen!« (vgl. 2Kor 5,20). Für Gott Entfremdete, wie wir Menschen das nun einmal sind, sollte nachhaltig Schicksal-Wendendes getan sein. Dafür wollte Gott ein für alle Mal ein verlässliches Zeichen setzen. Wenn es je in der ganzen Weltgeschichte ein für alle Menschen wichtiges Denkmal, Mahnmal, Erinnerungsmal gibt, dann ist es das einst auf Golgatha für Jesus aufgerichtete Kreuz. Das war der Plan Gottes, seitdem das Verhältnis zwischen Mensch und Gott so schmerzlich zerbrochen war. Bei dem zu erwartenden Wiederkommen von Jesus wird am Himmel das »Zeichen des Menschensohnes« erscheinen. So hat Jesus das angekündigt (vgl. Mt 24,30). Dies wird kein anderes Zeichen sein als das in aller Welt schon heute verständliche »Logo« bzw. Piktogramm für Jesus, das Kreuzeszeichen nämlich. Denn was einst am Kreuz von Golgatha in Kraft trat, das soll erst recht in Ewigkeit gelten: dass selbst grauenhaft schuldig gewordene Menschen mit Jesus in den Himmel kommen können. Jesus war nicht einfach von den hasserfüllten Juden und von den von allen guten Geistern verlassenen Römern gelyncht worden, sondern er war - so sagte es Petrus damals an jenem Pfingsttag in Jerusalem - »durch Gottes Ratschluss und Vorsehung dahingegeben« (Apg 2,23). Gott benötigte doch weder den Jünger Judas, noch auch Juden und Römer als Helfershelfer, um zu seinem Ziel zu kommen. Es ist ein müßiger Streit, wer denn eigentlich am Tod von Jesus schuldig war. Jesus war als der Sohn Gottes solch ein Fremdling in unserer Menschenwelt, dass er gleich einem Fremdgewebe über kurz oder lang - eigentlich ganz »organisch« - abgestoßen werden musste. Gottes »Ratschluss« hat vielmehr dafür gesorgt, dass Jesus bewahrt blieb bis zu seinem Opfergang. Der Teufel konnte ihn nicht zu einem Selbstmord-Kommando von der Zinne des Tempels überreden (vgl. Mt 4,5ff.), die Nachbarn von Nazareth konnten ihn nicht über den Abhang in die Tiefe drängen (vgl. Lk 4,28 ff.), Herodes kam mit seinem Mordanschlag nicht zum Ziel (vgl. Lk 13,31), so wenig wie die Juden, die Steine aufgehoben hatten, um Jesus damit zu töten (vgl. Joh 8,59). Sogar als Jesus mit dem Tode rang im Garten Gethsemane, barg sich Jesus in den Willen des Vaters, um bereit zu sein zum Sühnetod, nicht zu einem Sterben durch einen Kreislaufkollaps. Welch ein Trost, diese göttliche Verlässlichkeit! Von Wettervorhersagen sind wir gewohnt, enttäuscht zu werden. Auf sie kann man sich letztlich nie ganz verlassen. Nicht einmal auf die Pünktlichkeit der Bahn. Erst recht nicht auf Absichtserklärungen von Politikern. Dabei hätten wir Menschen es so gerne verlässlich. Dafür hat Gott mit dem angekündigten Sterben von Jesus gesorgt: »Der Menschensohn geht... dahin, wie es beschlossen ist« (Lk 22,22)! Das Sterben von Jesus entsprach punktgenau dem, was Gott durch die Propheten in der Schrift hatte ankündigen lassen. Denn es gehört zur Treue Gottes, dass das Geheimnis vollendet wird, »wie er es verkündigt hat seinen Knechten, den Propheten« (Offb 10,7). Als einen solchen Propheten, ja als den letzten der ankündigenden Propheten, hat Jesus den Täufer Johannes bezeichnet (vgl. Mt 11,9-14). Das Ankündigen dieses »Vorläufers« von Jesus, dieses »Wegbereiters« (vgl. Mt 11,10) ist unverzichtbar für jeden, dem die Augen für den gekreuzigten Jesus aufgehen sollen. Johannes der Täufer hat uns den Gekreuzigten erschlossen Der Täufer Johannes kann mit seiner Botschaft bis heute helfen, gerade den gekreuzigten Jesus recht zu verstehen. Schon über dem Kindlein Johannes hatte sein Vater Zacharias ausgerufen: »Du...wirst ein Prophet des Höchsten heißen___dass du... Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden« (Lk l,76f). Durch Johannes sollte es »zur Erkenntnis der Wahrheit kommen« (lTim 2,4), und zwar zur Erkenntnis jener Wahrheit, die Jesus in die Welt bringen sollte (vgl. Joh 18,37). Klarer, als Johannes das getan hat, konnte nicht mehr gesagt werden, was Menschen an Jesus haben können: »Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm« (Joh 3,36). In der Rettung aus dem Zorn Gottes besteht das Heil, das Gott den Menschen in Jesus zugedacht hat. In nichts weniger! Menschen brauchen solch umfassende Erlösung! Das gehört darum auch so eindeutig, wahrscheinlich auch so erschreckend »blutt« und also unmissverständlich dargelegt, wie das Johannes getan hat. Diese Dimension des Jesus-Heils ist jedoch im Normalfall ausgeblendet. Vielen kommt es als unanständig und als unverantwortlich vor, Menschen mit dem Reden vom »Zorn Gottes« zu schrecken. Von dem ehemaligen Tübinger Neutestamentler Dr. D. Adolf Schiatter (1852-1938) sind die Sätze überliefert: Der Lobpreis der göttlichen Gnade würde unwahr und verdorben, wäre er nicht begleitet von der Erkenntnis und Beherzigung des göttlichen Zorns. Wir verstehen gar nicht, was Gnade ist, wenn wir nicht etwas von der Tiefe des göttlichen Unwillens spüren, mit dem Gott allem Bösen widersteht.6 Würde ihm das heute noch abgenommen? Könnte er sich heute damit noch sehen lassen? Kann man so vom »Zorn Gottes« reden? Oder ist es eine abstoßende, ja ärgerliche Redeweise? Von Gott ausgeschlossen bleiben zu müssen, das halten sogar viele Christen für eine Schimäre - trotz all der vielen biblischen Hinweise auf den »Zorn Gottes«. Dabei haben auch denkende Menschen gerade unserer Tage erkannt, dass Zorn ein anerkennenswertes Gut sein kann; denn Zorn bekunde die Fähigkeit, sich über Unrecht zu erregen. - Manchen Christen mag es trotzdem sogar wie eine sektiererisch-fanatische Weitsicht Vorkommen, wenn davon gesprochen wird, dass Gott im Zorn längst die ganze Welt samt der Christenheit »dahingegeben« haben könnte. Mindestens mir kam es mehr komisch als überzeugend vor, als einst Professor Otto Michel (1903-93) bei einer Fleißprüfung in Tübingen fragte: »Was steht in Römer 1,18 und in den folgenden Versen?« - und dann auf unser Stottern hin in die Reihen des Audimax fast brüllend selbst die Antwort gab: »Dahingegeben! Gott hat sie dahingegeben! Das steht da!« Wenige Monate später begegnete mir noch einmal dieser Ernst, der bis dahin außerhalb meines Denkens gewesen war. Es war 1953 in Altenahr während einer Semesterfreizeit der Theologischen Fachschaft der Universität Bonn. Dabei fantasierten wir Studenten frisch von der Leber weg, wie man denn die Kirche wieder attraktiver machen könnte. Schließlich unterbrach der greise Professor Günther Dehn (1882-1970), ein »Denkmal« aus den Zeiten des Kirchenkampfes, geradezu zornig die Beiträge der jungen Leute. Von Schmerzen über seinen Stock gebeugt fragte er eindrücklich ernst: »Merkt ihr denn nicht, dass Gott auch die Kirche schon längst fallen gelassen hat?« Wenn Gott wirklich - wie das ja gleich zu Beginn des Römerbriefs steht - die ganze Welt »dahingegeben« hat, dann besteht doch ersehntes Eieil nicht vor allem in Gesundheit, in langem Leben, in Erfolg, in einem Freundeskreis, in Frieden, finanziellem Auskommen und was an Heilsvorstellungen unter uns virulent sein möge. Heil besteht dann in allererster Linie in dem, was dann und wann noch in alten Chorälen der Christenheit aufklingt, etwa in den Zeilen von Johann Gramann: ...sein’ Zorn lässt er wohl fahren, straft nicht nach unsrer Schuld, die Gnad tut er nicht sparen oder in der durch Albert Knapp verdeutschten mittelalterlichen Sequenz »Dies irae«: Jesu, milder Heiland, siehe, wie ich Ziel war deiner Mühe, dass ich jenem Zorn entfliehe!8 ln den Berichten über das Wirken des Täufers Johannes findet sich ein ganzes Bündel von Begriffen, die heute viele Menschen als Reizworte empfinden. Also etwa »Buße« und »Zorn Gottes«, auch dass die »Spreu« verbrannt werden wird, und das »mit unauslöschlichem Feuer«, ja dass sogar fromme Taufbewerber »Otterngezücht« und »Schlangenbrut« sein können und dass schon »die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt ist« (vgl. Mt 3,7ff.). Dies alles kommt sogar vielen herzlich frommen und bibeltreuen Leuten als noch abwegiger und abstruser vor, als dass dieser Bußprediger Johannes von Heuschrecken und von wildem Honig lebte und dass er die Wüste zur Heimat gewählt hatte (vgl. Lk 1,80). Aber Johannes war keine skurrile Figur am Rand der Jesusgeschichte. Das habe ich bei meiner Großmutter begriffen. Wenn sie von Johannes erzählte, dann war das anders als sonst etwa in der Kinderkirche. Da wurde nicht spöttelnd über die merkwürdige Kleidung und die eigenartige Ernährung des Johannes hergezogen. Vielmehr konnte sie mit geradezu blitzenden Augen sagen: »Er war ein Prophet, ja sogar mehr als ein Prophet« (vgl. Mt 11,9)! Das war ja das Zeugnis, das Jesus diesem Johannes ausgestellt hatte. Ihm hatte also Gott noch Wichtigeres, noch Zentraleres, noch Bedeutsameres anvertraut als anderen großen Propheten. Also mehr noch als etwa Elia, Jesaja, Jeremia, Hosea und Arnos. Sie alle hatten das Zorngericht Gottes über sein ungehorsames Volk und auch über die anderen Völker angekündigt. Johannes jedoch lud dazu ein, sich von Jesus aus dem Zorngericht Gottes heraushelfen zu lassen. Ich wundere mich, wie selten wir Ausleger dies als heiliges Anliegen des Johannes herausstellen: »Leute, ihr dürft doch nicht mit Buße spielen, erst recht nicht mit Gott! Merkt ihr denn nicht, was für euch auf dem Spiel steht? Ihr müsst doch begreifen, wie einzigartig der »Stärkere« ist, den ich ankündige! Meine Taufe braucht ihr nicht unbedingt; aber diesen Jesus und seine Rettung braucht ihr; sonst seid und bleibt ihr ewig schrecklich von Gott ausgeschlossen!« »Johannes hat die Wahrheit bezeugt« (vgl. Joh 5,33). Das hat Jesus klargestellt. Und dies war die Wahrheit, die Johan- nes bezeugte: »Schaut nicht auf mich, schaut auf ihn!« Das ist das wahre Kennzeichen eines echten Propheten, »von ihm« zu reden, nämlich von Jesus (vgl. Joh 12,41). Der Täufer Johannes war dazu berufen, als der »den Weg bereitende Bote« (vgl. Mal 3,1) den Ernst des Propheten Male-achi aufzunehmen: »Wer wird aber den Tag seines Kommens ertragen können und wer wird bestehen, wenn er erscheint?« (Mal 3,2) Solchen prophetischen Ernst hat eigentlich erst wieder die Reformation gelten lassen. Im Augsburger Bekenntnis von 1530 wurde aufgeräumt mit der mittelalterlichen Verharmlosung, dass die angeborene Erbsünde nur ein Gebrechen oder ein »Erb-Jam-mer« sein soll. Vielmehr sei sie »wirklich Sünde« und verdamme »daher alle... unter den ewigen Gotteszorn«9. Die Apologie der Confessio sagte erklärend dazu: Die böse Lust sei, dass von Natur wider Gottes Wort all unser Sinn, Herz und Muth stehet, da wir nicht allein suchen allerlei Wollust des Leibs, sondern auch auf unser Weisheit und Gerechtigkeit vertrauen, und dagegen Gottes vergessen, oder wenig, ja gar nichts achten [Es| kann niemand sich nach Christo, dem unaussprechlichen Schatz göttlicher Hulde und Gnade, herzlich sehnen oder danach Verlangen haben, der nicht sein Jammer und Seuche erkennet.10 Dieser Ernst ist ganz im Rahmen dessen, was die biblischen Propheten durch Jahrhunderte bezeugt haben. Das ganz Besondere jedoch an dem Täufer Johannes besteht darin, dass ihm darüber hinaus - ihm als dem »Freund des Bräutigams« (Joh 3,29) - ein entscheidender Durchblick eröffnet worden war. Diese göttliche Eröffnung war ähnlich der Himmelsstimme, die Johannes am Jordan vernommen hatte: »Dies ist mein lieber Sohn« (Mt 3.17) . Johannes wurden »erleuchtete Augen des Herzens« (Eph 1.18) geschenkt, um in dem »Nazarener« (vgl. Joh 1,45ff.) Jesus »das Lamm Gottes« zu erkennen, »das der Welt Sünde trägt« (vgl. Joh 1,29.36). So hatte Johannes staunend ausgerufen. Er hatte die ungewöhnliche Formulierung benützt, weil er in Jesus Züge aufleuchten sah, die im Gottesknechtslied von Jesaja 53 vorgegeben waren: dass nämlich Jesus sich wie ein widerstandslos zur Schlachtbank geführtes Lamm (vgl. Jes 53,7) dorthin führen lässt, wo er die Sünde der Welt wegtragen wird. Und dass sein »Tragen« das entscheidende »Werk Gottes« sein würde. So würde dieser Jesus, auf den Johannes hinwies, der von Jesaja angekündigte »Allerverachtetste und Unwerteste« werden und sein, der »für nichts Geachtete« (vgl. Jes 53,3). Johannes hatte begriffen: Jesus wird es erleiden müssen, dass »niemand sein Zeugnis annimmt« (vgl. Joh 3,32 mit Jes 53,1.3: »Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des LIerrn offenbart?... Darum haben wir ihn für nichts geachtet.«). Zugleich sprach Johannes - fast im gleichen Atemzug - auch davon, dass der himmlische Vater diesem Jesus »alles in seine Hand gegeben« habe (Joh 3,35. Vgl. mit Jes 53,10: »Des Herrn Plan wird durch seine Hand gelingen«). Was so dem Johannes anvertraut worden war, das ist später in der jungen Christenheit und erst recht bis heute zur entscheidenden Hilfe geworden, um den gekreuzigten Jesus zu verstehen. Das Gottesknechtslied aus Jesaja 53 wurde für die Christusgemeinde zum »Schlüssel der Erkenntnis«. Das war es dann auch, was Matthias Grünewald (1480-1528) am Isenheimer Altar mit dem Bild des Gekreuzigten ins Bild gesetzt hat. Voll großer Erwartung hatte Johannes dem Augenblick entgegengelebt, da das »Lamm Gottes« der »Welt Sünde tragen« würde (vgl. Joh 1,29 mit Jes 53,4.7.11.12). Es hat ihn befremdet, als er stattdessen von den »Werken Christi« hörte: also dass Blinde sehen und Lahme gehen, dass Aussätzige rein werden und Taube hören, ja dass Tote auferstehen (vgl. Mt 11,2.5). Hatte sich Jesus damit nicht fast so etwas wie abgekehrt vom eigentlichen Heilandsauftrag? Jedenfalls war für den Täufer Johannes das »Wegtragen der Sünde« so vorrangig wichtig, dass er Jesus fragen ließ: »Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?« (Mt 11,3) Für Johannes war es das »Eigentliche« am Auftrag von Jesus, dass er als Gottes Lamm der Welt Sünde tragen soll. Johannes hatte mit ungewöhnlichen Worten deutlich gemacht, was dies »Tragen« möglich machen würde: Menschen würden dann dem »künftigen Zorn entrinnen« können (Mt 3,7). Menschen könnten also herauskommen aus dem schrecklichen Gerichtshorizont des Zornes Gottes. Allein auf diesem Hintergrund gilt, was Johannes ankündigte: »Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben« (Joh 3,36a). Darum ergänzte Johannes diese Feststellung durch die so ungewöhnliche, viele Menschen befremdende Formulierung: »Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm« (vgl. Joh 3,36b). Zweimal also wird erwähnt, dass Johannes dieses Stichwort vom »Zorn Gottes« benützt hat. Offensichtlich hat Johannes, je länger er wirkte, gar nicht nur vor dem »zukünftigen Zorn« gewarnt. Man muss schon genau hinhören. Denn Johannes sagte ja nicht hämisch: »Wer Jesus nicht glauben will, der kommt in die Hölle!« Er sagte noch nicht einmal: »Wer Jesus nicht glaubend ergreifen will, der geht einmal in Zukunft ewig verloren!« Vielmehr sprach er davon, dass die Menschheit schon jetzt unter dem »Zorn Gottes« ist, und dass Menschen unter diesem Zorn bleiben, wenn sie nicht durch Jesus aus diesem Zorn Gottes herausgerettet werden. Diese geistliche Sicht hat ja später dann besonders der Apostel Paulus aufgenommen. Er hat formuliert: »Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten« (Röm 3,23). Und: »Wir alle... waren Kinder des Zorns von Natur wie auch die andern« (Eph 2,3). Gott hat sie »alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme« (Röm 11,32). Paulus hat wie der Täufer Johannes deutlich gemacht: Die Welt ist schon von Gott dahingegeben worden. Gott hat sie fallen gelassen. Es wäre zu wenig, davon zu sprechen, dass Gott über die Menschenwelt »traurig« ist, dass er »nicht einverstanden« ist mit ihrem Treiben und Denken, dass er »ärgerlich« oder gar »beleidigt« ist über die Schmähung seiner Majestät, sondern Gott hat dieser Welt den Rücken zugekehrt. Johannes wollte diesen Zorn nicht so an die Wand malen, dass dadurch Menschen vor Schrecken gelähmt werden. Vielmehr ging es ihm darum, dass normale, ja sogar vermeintlich fromme Menschen »dem künftigen Zorn Gottes entrinnen« wollen und auch können. Allem Reden und Theologisieren vom Evangelium, von der Rettung und vom Heiland fehlt die eigentliche Tiefe, wenn es sich nicht um die Rettung aus dem Zorn Gottes handelt. Das Wort vom Kreuz als Einladung zur »Rettung« wird dort verharmlost, wo der »Zorn Gottes« ausgeblendet wird. Das Reden von der »Erlösung im Herrn« wird dort verwässert, wo nicht mehr damit gerechnet wird, dass sogar »die Kinder des Reichs... hinausgestoßen« werden können (Mt 8,12), ja dass sogar über das von Gott geliebte Volk der Zorn kommen wird (vgl. Lk 21,23). Wer das Evangelium so verkündigt, als ob es gar keinen Zorn Gottes und gar kein kommendes Gericht gäbe, der verfälscht die Einladung zum Glauben an den Retter Jesus. Das Evangelium ist für die Welt die feindseligste Predigt; denn es wirft das Affenspiel der Ichheit, der Pharisäer eigene Gerechtigkeit, der Selbstsucht,..., der Heuchelei ganz über den Haufen. Es macht den Menschen zu Nichts, und Gott in Christo zu Alles - und da muss es Händel geben, und es gab zu aller Zeit Händel.11 So scharf äußerte sich 1811 Martin Boos, der als einer der Anführer der sogenannten »Allgäuer Erweckungsbewegung« von seiner eigenen katholischen Kirche heftigsten Widerstand erleben musste. Wenn der Täufer Johannes vom »Zorn« Gottes sprach, dann wollte er damit nicht sagen, dass der heilige Gott unbeherrscht seine Haltung verlieren und etwa »außer sich« geraten könnte. Gottes »Zorn« ist nie so etwas wie eine ungestüm aufwallende Kurzschlussreaktion, die nicht mehr in den Griff zu bekommen ist, weil Gott »alle Sicherungen durchgebrannt« sind. Gott kann heiligen Zorn, für den er allen Anlass hat, und seinen berechtigten Grimm immer wieder zurückhalten; das ganze Kapitel 20 im Buch des Propheten Hesekiel ist ein Exempel dafür. Gott kann seinen Zorn beherrschen. So hat etwa der Apostel Paulus darauf hingewiesen, dass Gott bis dato »mit großer Geduld« sogar die »Gefäße des Zorns« erträgt, auch wenn sie »zum Verderben bestimmt« sind (vgl. Röm 9,22). Wenn also Johannes deutlich vom »künftigen« Zorn redete, dann weist gerade dies »künftig« darauf hin, dass Gott eine fast endlose Geduld haben kann. Aber diese Geduld Gottes wird meist von den Menschen missbraucht und missdeutet. Sie wird zum Anlass dafür, dass sich Menschen beruhigen: »Ganz so schlimm wird es schon nicht werden! Der Gott, der doch Liebe ist, ist doch größer als alle Angstmacherei! Er hat uns doch bis heute laufen lassen!« Gegen solches Missdeuten der Geduld Gottes setzte der Täufer Johannes die Frage an die Taufwilligen seiner Tage: »Wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?« (Mt 3,7) Noch wichtiger jedoch war es ihm, sündige Menschen auf den Retter vorzubereiten, der »mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen« würde. Er würde nicht nur die Spreu »mit unauslöschlichem Feuer« verbrennen, sondern er würde vor allem seine Ernte entfahren und »seinen Weizen in die Scheune sammeln« (Mt 3,11 f). Jesus hat entscheidende Hinweise gegeben Jesus hat seine Leute auf sein kommendes schmähliches Ende mit einer Fülle von Hinweisen, von Bildern, von Gleichnissen und Ankündigungen vorbereitet. Er hat seine Nachfolger sogar auf das vorbereitet, wozu denn dies in menschlichen Augen so schreckliche Ende gut sein würde. Jesus hat seine Freunde erwartungsvoll gemacht darauf, wie Gott das brutale Ende seines geliebten Sohnes in Elilfreiches verwandeln, in Heilsames umgestalten würde. Sogar mit diesen so hilfreich gedachten Hinweisen war jedoch der engste Schülerkreis von Jesus zuerst überfordert. Petrus’ Reaktion war typisch. Der rief spontan aus, als Jesus von seinem kommenden Leiden sprach: »Das widerfahre dir nur nicht!« Jesus jedoch wies ihn zurecht: »Du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist« (Mt 16,22-23). Es traf eben das zu, was in der Bibel ehrlich berichtet ist: »Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und dass man so mit ihm getan hatte« (Joh 12,16; vgl. auch 2,22). Einige dieser Hinweise, die Jesus gegeben hat, sollen im Folgenden in Erinnerung gerufen werden. Mit ihnen kann der zu seinem Vater erhöhte Jesus sogar heutigen Menschen dazu helfen, dass das Licht Gottes ihr Aufnahmeorgan erhellt. Denn dies ist leider durch die Bilderfülle unserer Tage stumpf geworden. Trotzdem sollen Menschen mindestens die Konturen des heiligen Gotteshandelns erahnen können. Das möge sich auch mitten in unserer Zeit ereignen, da sich die Welt um uns herum -auch weithin die vermeintlich »christliche Welt« - von der Mitte des Heils Gottes immer weiter entfernt. Der erste Hinweis: Wenn das Weizenkorn erstirbt, bringt es viel Frucht Als Jesus auf sein eigenes Sterben zuging, hat er an das Naturgesetz beim Weizenkorn erinnert: Ohne Ersterben gibt es kein Leben. Ohne In-die-Erde-Fallen gibt es keine Frucht: »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht« (Joh 12,24). Sicher schwingt auch Ähnliches mit bei den Worten von Jesus: »Ich bin das Brot des Lebens« (Joh 6,35). Denn bevor das Weizenkorn zum Lebensmittel des »täglichen Brotes« wird, muss es auch nach dem Ersterben im Erdboden und nach dem Frucht-Werden am Halm eine ganze Serie von »Todesprozessen« über sich ergehen lassen: Brutal wird der Halm mit der prall gefüllten Ähre abgemäht, er wird vom scharfen Sensenblatt abgeschnitten. Dann wird die Kornähre beim Dreschen durchgeklopft, als ob sie zerschlagen werden sollte. Das ausgedroschene Korn wird geworfelt, in der Mühle wird es zerrieben wie zu feinstem Pulver, um dann in der Backmulde einem Gärungsprozess ausgesetzt zu werden. Der Teig wird dann geknetet und gewalkt. Schließlich wird der Teig im Ofen einer Hitze ausgesetzt, die kein Mensch ertragen könnte. Erst durch all diese Todesprozesse hindurch wird das Weizenkorn zum Brot, zum stärkenden Lebensmittel. Auch am Anfang eines jeden Menschenlebens steht stellvertretendes Erleiden der Mutter. Daran hat Jesus erinnert mit den Worten: »Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist« (Joh 16,21). Mit solchen Hinweisen hat Jesus deutlich gemacht: Es gibt elementare Gesetzmäßigkeiten. Sie sind im Bereich der Erlösung gar nicht viel anders als im Bereich der guten Schöpfung Gottes. Wenn jedoch Jesus davon sprach, dass er drauf und dran sei, »das Leben zu lassen«, dann hat er offensichtlich Bezug genommen auf vorgekerbte Spuren in der Bibel. Also auf Schneisen in Gottes erlösendem Handeln, so wie es Israel erlebt hat und wie es berichtet ist in der Schrift Israels, also im Alten Testament. Darauf hatte Jesus selbst ausdrücklich hingewiesen, als er sagte: »Die Schrift ist es, die von mir zeugt« (vgl. Joh 5,39). Der Heilige Geist benützt mit Vorliebe die »Schrift«, wenn er Jesus groß machen will. Gott selbst »durchhaucht« (so heißt es eigentlich in 2Tim 3,16) die Schrift. Das Alte Testament ist die Folie, auf deren Hintergrund Entscheidendes an Jesus erkannt werden soll. So sah Jesus etwa im Geschick des Propheten Jona einen Hinweis auf sein kommendes Todesleiden (vgl. Mt 12,39ff.; Lk 1 l,30ff.). Es wird auch berichtet, dass auf dem Berg der Verklärung die Gestalten der alttestamentlichen Erlöser Mose und Elia erschienen sind, um mit Jesus zu reden »von seinem Ende, das er in Jerusalem erfüllen sollte« (Lk 9,31). Das Alte Testament will verstanden sein als eine Batterie von Scheinwerferstrahlen, die auf Jesus gerichtet sind. Wie groß ist quer durch das Alte Testament das Sehnen, wirklich »erlöst« zu werden, noch einmal ganz anders als von der Sklaverei in Ägypten! Wie elementar weckte jeder der jährlich begangenen Versöhnungstage (vgl. 3Mo 16) die Erwartung: Kommt es denn nicht irgendwann einmal zu einer Versöhnung, die nicht nur dem Hohepriester gestattet, Zugang zum Allerheiligsten zu haben? Wie sehnlich ist das Verlangen - quer durch das Alte Testament -, endlich den rechten König zu bekommen, den wahren Hirten! Wie stark ist - quer durch das Alte Testament - das Hoffen darauf, dass Gott die Ankündigung wahr macht: Gott, der Herr, soll selbst eure Gerechtigkeit sein (vgl. Jer 23,5; 33,13). Was muss das für den ehemaligen Christusgegner Saulus gewesen sein, als er plötzlich durch den Heiligen Geist (vgl. IKor 2,12ff.) erkannte: Christus Jesus ist es, »der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung« (IKor 1,30). So lange ist es nicht her, dass man hier in Deutschland das Alte Testament den Christen als Judenbuch madig machen wollte. Man wollte natürlich damit die ganze Bibel treffen. Da war es ein Geschenk Gottes, dass er Professor Wilhelm Vischer, der aus der Schweiz stammte und an der Kirchlichen Hochschule Bethel lehrte, das doppelbändige Werk »Das Christuszeugnis im Alten Testament« schreiben ließ. Das hat dazu beigetragen, dass Gottes guter, heiliger Geist die Gemeinde hier in Deutschland wach machte. Sie begriff, was in Wirklichkeit »ein von Gott Gesandter ist«. Nie und nimmer jener selbsternannte »Führer«, den man geradezu trunken und geistlos als »von Gott gesandten Propheten« bejubelt hatte. Man fing an zu begreifen, dass das Eigentliche an Jesus nur erkannt und beschrieben werden kann, wenn man die Erwartung ernst nimmt, wie sie im Alten Testament zu finden ist. Was dort sehnlich erwartet wird, das ist in Jesus nun real geworden. Ohne Jesus wären die Begriffe wie »König«, wie »Flirte«, wie »Gerechtigkeit« fast nur Worthülsen. In Jesus ist jedoch jeder dieser Begriffe tröstliche Wirklichkeit geworden. Alles, was uns die Apostel wichtig gemacht haben, ist der vom Alten Testament angestrahlte Jesus. Das wird deutlich aus den Hinweisen, an die im Folgenden erinnert wird. Der zweite Hinweis: Aus böse Gemeintem macht Gott Gutes »Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk« (IMo 50,20). Das war einst das Ergebnis des staunenden Rückblicks Josephs, der von seinen Brüdern verstoßen, von Gott aber zum Lebensretter des Vorderen Orients gemacht worden war. Gott kann aus bitterböse Gemeintem unfassbar Gutes schaffen. Das hat Gott mit einem Verlässlichkeitssiegel versehen, als er seinen verachteten Sohn »zum Herrn und Christus gemacht hat« (Apg 2,36). Darauf vorbereitet hatte Jesus jedoch mit einem eindrücklichen Gleichnis. In Gleichnissen redete Jesus oft. Auf diese Weise sollte das geheimnisvolle Wirken Gottes so anschaulich wie nur möglich werden. Trotzdem sahen viele Zuhörer meist »mit sehenden Augen ... nicht« (Mt 13,13). Mindestens einmal jedoch geschah es, dass Hörer »erkannten..., dass er von ihnen redete« (Mt 21,45). Das war damals, als Jesus das Gleichnis von den »bösen Weingärtnern« (vgl. Mt 21,33ff.) erzählte: Seinen Weinberg hatte der Besitzer aufs Beste bestellen lassen, bevor er außer Landes ging. Jährlich wollte er den ausgehandelten Pachtbetrag durch Beauftragte abholen lassen. Doch die Pächter ließen die Beauftragten schmählich abblitzen: »Den einen schlugen sie, den zweiten töteten sie, den dritten steinigten sie« Dadurch ließ sich der Weinbergbesitzer nicht von seinem Konzept abbringen. »Abermals sandte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; aber sie taten mit ihnen dasselbe.« Es bedarf nicht viel Einfühlungsvermögens, um zu begreifen, dass Jesus so auf das Schicksal der Propheten anspielte, die Gott als seine Boten nach Israel entsandt hatte. »Zuletzt aber sandte er seinen Sohn zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.« Aber nein! Sie waren wild entschlossen, jetzt erst recht den Besitzer wissen zu lassen: Über den Weinberg verfügen wir! »Und sie nahmen [den Sohn] und stießen ihn zum Weinberg hinaus und töteten ihn.« So weit erzählte Jesus das Gleichnis. Doch dann fragte er die Zuhörer: »Was wird nun der Herr des Weinbergs mit diesen Pächtern tun?« Spontan antworteten die Zuhörer: »Er wird den Bösen ein böses Ende bereiten!« (Mt 21, 41) Diese Erwartung war durch und durch verständlich; denn sie ist typisch »menschlich«. Jesus jedoch erinnerte an die schon in den Psalmen Israels angekündigte »göttliche« Reaktion. Sie ist diametral verschieden von allem, womit Menschen normalerweise rechnen: »Jesus sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen in der Schrift (Psalm 118,22.23): >Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augeneinmal< für die Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, damit er euch zu Gott führte« (IPetr 3,18). Und: »...wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist« (IJoh 2,1). Schon die erste Christenheit begriff: Von diesem Jesus, der durch das Gottesurteil am Kreuz als Gerechter bestätigt wurde, gilt: Er ist gerecht und er macht gerecht! Dieser Jesus, der Gerechte, ist geprägt von der Art Gottes (vgl. Rom 3,26). Er bringt die Liebe Gottes zum Ziel: Verlorene, die sich glaubend mit Jesus verbinden, können aus dem Zorn Gottes und aus der Verlorenheit herauskommen (vgl. [ob 3,16.36). Einst hatte Jesus als Bergprediger klargemacht: In das Himmelreich können Menschen nur dann kommen, wenn ihre »Gerechtigkeit ... besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer« (Mt 5,20). Im Klartext hieß das aber doch: Das Himmelreich muss jedem normalen Menschen verschlossen bleiben; denn wer kann denn schon in Sachen Gerechtigkeit jene Frommen übertrumpfen, die sich geradezu fanatisch mühten, gottgefällig zu leben (vgl. Mt 5,20)? Nun aber hat Jesus genau dies übernommen, dafür Sorge zu tragen, dass es eine »bessere Gerechtigkeit« gibt. Menschen sollten nach Gottes Plan an der Gerechtigkeit des Retters Jesus Anteil haben können. Mit dieser »besseren Gerechtigkeit« können Menschen heimkommen zu Gott (vgl. Joh 14,6). Das sei also die nun mögliche dritte Antwort auf die Frage, aus welchem Grund Jesus leiden musste: Gott wollte mit dem Jesus, der als der »Gerechte« erwiesen worden war, ungerechten Menschen den Retter geben, der ihnen das Himmelreich aufschließen kann und will. Das war schon damals angeklungen, als Jesus andeutete, »welches Todes er sterben würde«. Damals nämlich hatte er gesagt: »...wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen« (Joh 12,32f). 3. Freispruch - der Gekreuzigte geht mich persönlich an Wohl denen, die hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit »Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden« (Mt 5,6). Mit diesem Wort hat Jesus uns den Blick geöffnet für ein Wunder, das unter Menschen viel zu wenig ersehnt wird, nämlich dass sie nach Gerechtigkeit dürsten, verlangen, gieren. Normalerweise aber sind die Menschen alle miteinander - so verschieden sie auch sonst sein mögen - blind dafür, dass sie ein entscheidendes Defizit an Gerechtigkeit haben. Es war völlig ungewöhnlich, dass ein selbstbewusster König David bekennen, ja hinausschreien musste: »Wohl dem,... dem die Sünde bedeckt ist..., dem der Herr die Sünde nicht zurechnet... Denn als ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine« (Ps 32,1 ff.). Es ist völlig ungewöhnlich, dass ein Mensch - wie uns das von Eliphas von Teman berichtet ist - begreift: »Wie kann ein Mensch gerecht sein vor Gott oder ein Mann rein sein vor dem, der ihn gemacht hat?« (Hiob 4,17) Völlig ungewöhnlich ist das, dass ein Mensch von sich aus zugibt: Das, was uns als unsere Gerechtigkeit vorkommt, das ist »wie ein beflecktes Kleid« (Jes 64,5). Es ist auch völlig ungewöhnlich, was von Dr. Julius Schnie-wind (1883-1948) erzählt wird: Dieser vom Hitlerstaat schwer gedemütigte Professor gehörte zu den einflussreichsten Bibelauslegern des 20. Jahrhunderts. An einem Sonntagvormittag stolperte er mit von Tränen verschleierten Augen durch Halle/ Saale. Ihn hatte die Predigt leer gelassen, die er zuvor gehört hatte. Vergeblich hatte er auf den Zuspruch des Evangeliums gewartet. Schluchzend fragte er einen Freund, auf den er stieß: »Wer sagt denn dem gottlosen Schniewind, wie er gerettet werden kann?!« Jesus hat mit dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner daran erinnert: Sogar ein schuldig gewordener Mensch kann »gerechtfertigt« werden, wenn er Gottes Gnade begehrt (vgl. Lk 18,9-14). Das hat Jesus gemeint, als er sagte: »Selig«, also wohl denen, Glückwunsch, Hochachtung, Halleluja, wenn das geschieht, dass ein Mensch »hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit«. Damit hat Jesus ein zentrales Thema der Schrift Israels aufgenommen. Denn das Tiefste, was je zum Thema »Gerechtigkeit« gesagt wurde, findet sich in den an Israel gerichteten Worten Gottes. Alles, was Gott durch seine Boten und Propheten ankündigen ließ, ist - wie von einem immer wiederkehrenden Grundmuster - durchflochten vom gespannten Warten auf die Gerechtigkeit, die allein Gott hat und die allein Gott schafft. So heißt es etwa im Psalm 71: »Errette mich durch deine Gerechtigkeit [, Herr]«; »ich preise deine Gerechtigkeit allein«; »meine Zunge soll täglich reden von deiner Gerechtigkeit« (Ps 71,2.16.24; Hervorhebungen durch Autor). Bei Jeremia finden sich gleich zwei ganz ähnlich lautende Ankündigungen: Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross [Nachkommen; Anmerkung durch Autor] erwecken will..., der... Gerechtigkeit im Land üben wird,... Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der Herr unsere Gerechtigkeit«. Jeremia 23,Sf (vgl. 33,15f) Die »Schrift«, die Bibel Israels, schließt ab mit der jubelnden Ankündigung Gottes: »Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter ihren Flügeln. Und ihr sollt herausgehen und springen wie die Mastkälber« (Mal 3,20). In den Psalmen heißt es: »Ich will aber schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit, ich will satt werden, wenn ich erwache, an deinem Bilde« (Ps 17,15). Für Leute, die »ferne [sind] von der [eigenen] Gerechtigkeit« (Jes 46,12), wird dann die Zusage Gottes wahr werden: »... ich halte dich durch die rechte Fland meiner Gerechtigkeit« (Jes 41,10; Hervorhebung durch Autor). Denn Gott gefällt es, selbst Gerechtigkeit zu üben (also: Gerechtigkeit auszuüben, zu praktizieren) auf Erden (vgl. Jer 9,23). Dieser Plan Gottes war also oft angekündigt worden. Er sollte durch seinen kommenden »Knecht« Gottes zur Ausführung kommen und gelingen. Denn das war es doch, was Jesaja, der prophetische Bote Gottes, schon 700 Jahre vor dem Kommen von Jesus angekündigt hat: »...er, mein Knecht, der Gerechte, [wird] den Vielen Gerechtigkeit schaffen« (Jes 53,11c). Noch einmal sei daran erinnert: Das Staunenswerteste an Gott ist, dass er nicht nur gerecht ist, sondern dass er auch gerecht macht (vgl. Röm 3,26; 4,5). Gott ließ es sich den Besten kosten »Was nichts kostet, hat auch keinen Wert.« So heißt es in der Umgangssprache unserer Tage, denn das ist ein Erfahrungswert unserer Welt. In der Tat ließ sich auch Gott das Gerechtmachen Wertvollstes »kosten«: den geliebten, einzigartigen Sohn. Mit der Hingabe seines Sohnes schnitt sich Gott »ins eigene Fleisch«. So können bis heute der Vergebung bedürftige Menschen zu ahnen beginnen: Vergeben und erst recht Gerechtmachen sind für Gott keine Lappalien. Gottes Vergeben und Gerechtmachen sind unvergleichlich kostbar. Es ist jedoch nicht Gott, der eine wiedergutmachende Ersatzleistung »braucht«. Auch die Hingabe des Sohnes durch den himmlischen Vater steht unter der Gesamtüberschrift: »Für euch und für viele!« Angesichts des gekreuzigten Jesus soll Menschen die Bitte wichtig werden: ... dass mir nie komme aus dem Sinn, wie viel es dich gekostet, dass ich erlöset hin.12 In der prophetischen Ankündigung von Jesaja 53 wird eben nicht nur davon gesprochen, dass der »Allerverachtetste« als gerechter Knecht Gottes Menschen »gerecht macht«, sondern es wird ausgesprochen, was es ihn gekostet hat. Denn im gleichen Atemzug heißt es: »er trägt ihre Sünden« (Jes 53,11). Gott hat diesen Jesus, »der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht« (2Kor 5,21; Hervorhebung durch Autor). Jesus ist »zum Fluch... für uns« gemacht worden (Gal 3,13; Hervorhebung durch Autor). Dazu ist Jesus von Gott »für uns« gemacht und auch so behandelt worden. Mit dem Sterben von Jesus »für uns« Menschen ist Entscheidendes in Kraft getreten. Die Schuld ist gesühnt. Der auf der sündigen Menschheit liegende Bann ist gebrochen (vgl. Offb 22,3). Sündige Menschen haben das Recht dazu, sich vertrauensvoll in die Gerechtigkeit von Jesus zu bergen. Sündige Menschen sollten in und mit Jesus Christus eingehüllt sein können in die Gerechtigkeit, die vor Gott zählt. Noch einmal sei klargestellt: Jesus ist also nicht darum gestorben, weil Gott für seinen heiligen Zorn einen Blitzableiter brauchte. Schon gar nicht ist Jesus gestorben, weil Gott etwa auf Blut steht oder weil er nach dem Blut eines Opfers dürstet. So etwas Gedankenloses und vor allem Ehrfurchtsloses sollte Christen nicht über die Lippen gehen. Beim Leiden und Sterben von Jesus ging es doch darum, dass er als der Auserwählte Gottes das Leben von Todeswürdigen auslöste. Schon seit Abrahams Fürbitte für Sodom wusste man im Volk der Bibel: Der »gerecht richtende Richter der Welt« bringt weder rücksichtslos noch pauschal-blindwütig »den Gerechten mit dem Gottlosen« (IMo 18,23) um. Vielmehr ist der gerechte »Richter aller Welt« (IMo 18,25) auch fähig und willens, um Gerechter willen auch die offenkundig gottlosen Ungerechten vom Strafgericht zu »verschonen« (vgl. IMo 18,22ff.). Alseinst Abraham fürbittend für das gottlose Sodom eintrat und mit Gott rang, da war er leider optimistisch davon überzeugt, dass sich in Sodom wenigstens zehn solcher Gerechter würden finden lassen. Diese ließen sich jedoch leider nicht finden. Seit jenem inständigen Ringen Abrahams mit Gott lag jedoch die Frage nahe: Kann denn nicht auch ein einziger wirklich Gerechter das gerechte Strafgericht Gottes aufhalten? Vertieft hat diese Frage der Gottesmann Mose, als er, der »Auserwählte«, Gott anbot, an Stelle des sündig gewordenen Volkes von Gott verstoßen zu werden (vgl. 2Mo 32,32 mit Jer 5,1). Es ist ja gar nicht so, wie so oft behauptet und noch öfter nachgeschwatzt wird, dass nämlich heute lebende Menschen keine Antenne für »stellvertretendes Leiden« hätten. Überall geschieht das Lasten-Tragen - durch Mütter, in Familien, in Gemeinschaften. Es geschieht, dass das Unrecht, die Nöte, die Leiden, die Schande der einen aufgenommen wird in der Liebe, dem Leiden, dem Erbarmen und der Vergebung, die andere schenken, indem sie den Preis dafür auf sich selbst nehmen.13 Es war eindrücklich, als der Lreund Ajith Lernando, der Evangelist aus Sri Lanka, mir einmal sagte: »Das Geheimnis stellvertretenden Leidens tragen wir Menschen sogar in unserem Blut. Wenn unser Körper infiziert wird, dann werden die wenigen kleinen weißen Blutkörperchen aktiv. Sie stürzen sich auf die Eindringlinge, um sie abzuwehren und so den Körper zu schützen, auch wenn sie selbst dabei umkommen.« Aber noch einmal etwas ganz anderes ist es, dass ein einzelner Beauftragter die Schuld der Vielen aufgeladen bekommen hat. Es ist in der Menschheitsgeschichte ohne Analogie, dass ein Einzelner dazu bestimmt ist, sich wie ein Kuli mit der ganzen Last der Sünde von vielen abzuschleppen (vgl. Jes 53,4.6.11.12). Das ist das Vorrecht jenes Auserwählten, den Gott durch seinen Propheten Jesaja so hatte ankündigen lassen: »Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat,... [wird] des Herrn Plan... durch seine Hand gelingen ... Und ...er, mein Knecht, der Gerechte, [wird] den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden« (Jes 53,1 Of). Gott, der gerecht ist und der gerecht macht, hat den gerechten Jesus »uns... gemacht... zur Gerechtigkeit« (IKor 1,30). Das ist es, was dem Apostel Paulus über dem Lauschen auf die Schrift in besonderer Weise erschlossen wurde (vgl. IKor 2,6-16 mit Joh 5,39 und 16,7-15). Das war es dann auch, was vor allem der Apostel Paulus den ihm anvertrauten Gemeinden gewiss gemacht hat: In Jesus ist erfüllt, was im Prophetenbuch des Jesaja vom allerverachtetsten Gottesknecht angekündigt worden war: »...er, mein Knecht, der Gerechte, [wird] den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden« (Jes 53,11). Der Apostel Paulus erinnerte daran: Das Sterben von Jesus hat vor allem anderen dies zum Ziel gehabt, dass Menschen gerecht werden können (vgl. Röm 4,25; 5,18f; 8,33; Gal 2,21). Vergebung der Sünden soll sogar noch »getoppt« werden durch Gerechtmachung. Menschen sollen nicht nur durch Vergebung aus dem Minus an den Null-Punkt kommen können, sondern sie sollen unvorstellbar weit ins Plus versetzt werden. Die Gottesart von Jesus erweist sich gerade darin, dass er nicht nur wie Gott gerecht ist, sondern dass er wie Gott gerecht macht. Er ist würdig, fähig und willens, viele aus der gesamten Menge der Verlorenen zu Gerechten zu machen. Seit langen Jahren darf ich in Korntal leben. Dort wird uns bei jeder Bestattung eines Gliedes der Evangelischen Brüdergemeinde anschaulich gemacht: Es gibt Wichtigeres als Gesundheit und als langes Leben, Wichtigeres auch als Erfolg und Können, Wichtigeres sogar noch als irgendein Wiedersehen mit den Lieben, die uns im Tod vorausgegangen sind. Denn die Glieder der Evangelischen Brüdergemeinde werden in einem weißen Sarg ins Grab gesenkt. Er ist als Sinnbild zugleich auch Erinnerung: Das ist die größte Würde eines armen Menschenlebens, dass es mit all seinen Macken, Ecken und Kanten, mit seinen Versäumnissen und mit seinem vergänglichen Leib eingehüllt ist und von allen Seiten bergend umgeben bleibt von der Gerechtigkeit, die uns Gott mit der Gemeinschaft mit Jesus gewährt. Jesus bringt Neues - Gerechtigkeit Ein alter »Stunden-Bruder« aus dem Schwäbischen Wald brachte mich einmal in peinliche Verlegenheit. Ich hatte keine Antwort parat, als er fragte: »Was ist denn eigentlich mit Jesus an Neuem in die Welt gekommen? Vergebung der Sünden gab es doch schon im alten Israel!« Der unvergessene Pietistenbruder hat mich mit dieser Frage auf eine Spur gesetzt. Lange Zeit hat mich diese Frage beschäftigt. Heute endlich wüsste ich eine Antwort. Nämlich diese: Vergebung anzubieten, das war Gott wirklich schon immer wichtig. Das Neue, das Jesus in die Welt gebracht hat, besteht jedoch darin: Wir können in Jesus, wirklich in ihm, dem Gerechten, sein. Er ist uns von Gott gemacht zur Gerechtigkeit! Mit ihm können wir auf das Engste verbunden sein! Das auch zu begehren und anzunehmen, das ist Gott ebenso heilig, wie es ihm einst wichtig war, dass schuldig gewordene Menschen entsühnt werden! Auf Entsühnung kam es Gott einst heilig an. Das hat der Prophet Jesaja erlebt. Im Jahr 536 vor der Geburt des Retters Jesus geschah es. Als offensichtlich frommer Mensch hatte Jesaja den Tempel in Jerusalem aufgesucht, um dort Gott zu ehren und zu Gott zu beten. Mit einem Mal jedoch wurde er der gar nicht exakt zu beschreibenden Gegenwart des heiligen Gottes gewahr. Eigentlich erblickte dieser Jesaja nur den Saum des göttlichen Gewandes. Unüberhörbar war es jedoch, was die um Gottes Gegenwart schwebenden Engelgestalten einander zuriefen: »Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth; alle Lande sind seiner Ehre voll!« In dem Bericht heißt es: »Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen mit meinen Augen« (vgl. Jes 6,1 ff.). Sogar fromme Menschen wie Jesaja müssen in der Nähe des heiligen Gottes erschrocken begreifen: Mit Gott passe ich nicht zusammen! Schon allein die vielen unwahren, unguten, unüberlegten, unnötigen Worte, die über meine Lippen gegangen sind, machen deutlich, dass ich von innen heraus böse bin (vgl. Mt 12,33-37). So kann ich nicht vor Gott bestehen! Einst löste das erschrockene und ehrliche Bekenntnis des Jesaja bei Gott eine erstaunliche Aktion aus. Eine der Engelgestalten nahm mit einer Zange eine glühende Kohle vom Altar, kam zu Jesaja, rührte mit der glühenden Kohle seine Lippen an und sprach ihm zu: »Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei« (Jes 6,7). Gott ist also darauf aus, erschrockenen Sündern die Schuld wegzunehmen. Sogar das Heiligtum selbst hatte es nötig, »entsühnt« zu werden. Im alten Israel hatte Gott das so angeordnet. Nämlich »wegen ihrer Übertretungen, mit denen [die Israeliten] sich versündigt haben« (3Mo 16,16). Zu diesem Zweck sollte der Hohepriester etwas vom Blut des geopferten Sündopfer-tieres an und vor den »Gnadenthron« im Allerheiligsten des Heiligtums sprengen (vgl. 3Mo 16,11 ff.). Nun ist eindeutig: Sünde kann nicht weggeätzt werden durch eine glühende Kohle selbst vom geheiligten Opferaltar. Es ist auch unmöglich, durch das Blut von Opfertieren Sünden wegzunehmen (vgl. Hebr 10,4). Beides jedoch waren für sündig gewordene Menschen sichtbare und spürbare »Wort-Zeichen«. In, mit und unter solchem Geschehen machte Gott sündigen Menschen gewiss: »Dir ist vergeben, du bist entsühnt; denn ich habe deine Schuld weggenommen!« Gott selbst ist es, der ein heiliges Interesse daran hat, von seinem Volk Schuld wegzunehmen. In unübertrefflicher Eindeutigkeit hatte Gott durch seinen Propheten Jesaja ausrichten lassen: Nicht du hast dich um mich gemüht. Nicht ich habe dich um Sühnegaben angegangen. Vielmehr hast du mir »Arbeit gemacht mit deinen Sünden«, mich haben deine Missetaten Mühe gekostet. »Ich, ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht« (Jes 43,24f; Hervorhebung durch Autor). Es war Gottes ureigenstes Anliegen, Sünden tilgen zu dürfen. Um seiner selbst willen war ihm das wichtig. Gerade deshalb aber wartete Gott auch darauf, dass Menschen hungern und dürsten nach der ihnen zugedachten Gerechtigkeit. Erst recht gilt das für die Gerechtigkeit, die Gott in Jesus rettend zugedacht hat. Der Missionspionier Dr. Ludwig Krapf (1810-81) erblickte als erster Europäer den Mount Kenya in Afrika, einen Beinahe-Sechstausender-Schneeberg südlich des Äquators. Er entdeckte als Hobby-Geograph das ganze System der innerafrikanischen Seen und Flüsse. Viel wichtiger jedoch als dies alles war für ihn, dass er entdeckte: Jesus ist für uns die Gerechtigkeit, die wir brauchen. Aus Korntal, seinem Ruhestandssitz, schrieb er kurz vor seinem Sterben in seelsorgerlichen Briefen: Was das innere Leben betrifft, so werden Sie mit demselben elenden Herzen zu kämpfen haben, mit welchem ich bald 50 Jahre zu kämpfen habe - und es ist heute noch so verderbt, kleingläubig und ungläubig, ja ich möchte sagen, noch verkehrter als vor 50 Jahren. ...Wenn man keine Gerechtigkeit in sich selbst sieht, so muss, kann und darf man umso mehr auf die Gerechtigkeit sehen, die Jesus hat und ist für uns, bis er uns auch zu dem macht, was ER ist. Das, was Jesus getan hat, gilt vor dem Vater, während alles, was wir sind oder getan haben, wie Spreu vor dem Winde zerstäubt. Alle unsere Sünden sowie unse- re Tugenden gelten nichts, sondern allein der gläubige Blick auf den allmächtigen Erlöser - und dann langt’s.14 Der verachtete Gerechtmacher Jesus Gerade als solcher Gottesknecht, der den Vielen Gerechtigkeit schafft, wurde Jesus als der Unnötigste behandelt. Es war damals nicht anders als es heute ist. Jesus war und ist bis heute der höchst Überflüssige. Auf ihn können die meisten Menschen ohne Bedenken verzichten. Gerade in dieser ihm von Gott zugedachten Aufgabe, Gottlose gerecht zu machen (vgl. Röm 3,26; 4,5), war, ist und bleibt Jesus der »leidende Gottesknecht«, der »Allerverach tetste«. Denn das »Hungern und Dürsten nach Gerechtigkeit« (vgl. Mt 5,6) war, ist und bleibt höchst selten unter den Menschen. Die meisten Menschen lassen Jesus ins Leere laufen, wenn er ihnen dafür die Augen aufmachen möchte. Da heißt es dann etwa: »Weshalb auch? Bei mir ist doch alles >rechtMein Herr und Gott!<«20 Jesus gewinnen Einst hatte ich einen Jugendgefährten, einen überaus kritischen, ja skeptischen Theologiestudenten, einen begabten Zweifler. »Nietzsche« nannten wir ihn. Jahrzehnte später kamen wir wieder näher zusammen. Er war ein überaus demütiger, hilfsbereit sich aufopfernder Mensch geworden, ohne eine Spur von ängstigender und ätzender Kritik. Sein Lebensmotto war geworden: »Ich möchte Jesus lieb haben!« Aber daraus erwuchs, dass er packend, überzeugend, authentisch das Paulusbekenntnis aus dem Philipper-Brief auslegen konnte: »Ich möchte ihn, Jesus, erkennen«, und: Ich möchte »Christus gewinne[n] und in ihm gefunden werde[n], dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, ... sondern ... die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird« (Phil 3,8f). Es ging ein engagiertes Vibrieren durch den Körper des Freundes, als er das auslegte. Es war dem Freund über seinen Worten abzuspüren: Ich möchte mich vor Gott nicht darauf verlassen, dass ich so selbstlos, so hilfsbereit, so »zahm« geworden bin, sondern ich möchte nichts anderes als die Gerechtigkeit »mit Jesus« haben! »Ich möchte ihn gewinnen!« Dieser Freund war »satt« geworden. Ihm war es ähnlich gegangen wie auch Ludwig Hofacker, dem so besonderen Wachmacher Gottes im 1 9. Jahrhundert. Dem hatten seine Freunde vorgehalten: Du darfst doch nicht immer davon predigen, dass Jesus uns hineinnehmen will in seine Gerechtigkeit. Es gibt doch auch noch andere »Materiem. Schließlich muss es doch bei Christen auch einmal dazu kommen, dass sie selbst in ihrem Wesen gesunden und mit Worten und Taten Gerechtes und Hilfreiches tun!21 Denen antwortete Hofacker, als er selbst schon sterbenskrank war: Ich bekenne hiermit,... dass ich den Mann, der am Kreuz geschändet ward, für die einzige Ursache meiner Seligkeit halte in Zeit und Ewigkeit - nicht bloß insofern, dass ich durch seine Todes- und Auferstehungskraft zu irgendeiner Tüchtigkeit im Reiche Gottes gelangen kann; Das kann Er mir geben, wenn Er will. Aber er soll es, auch wenn Er’s gibt, es nur vor meinen Blicken verbergen. ... Ich will als ein armer Sünder selig werden, als ein Schächer, dem die blutigen Wunden des Sohnes Gottes die Bahn gebrochen haben vor achtzehnhundert Jahren.22 Jesus, der gerechte Gottesknecht, ist darauf aus, dass Menschen danach verlangen: »Errette mich durch deine Gerechtigkeit« (Psalm 71,2)! Er ist darauf aus, dass sie nach dieser Gerechtigkeit mehr noch verlangen als nach Bewahrung, als nach Heilung, als nach Auskommen und Frieden. Wenn solches Verlangen bei normalen Menschen aufbricht, dann ist das allerdings ein Wunder. Es ist das eigentliche »Event«, auf das es in Gottesdienst-Gestaltungen ankommen müsste. Dass es der gerechte Gottesknecht Jesus zu diesem Wunder ohnegleichen kommen lassen will, das ist Frohe Botschaft, Evangelium, exzellente Kunde! Professor Dr. Ellrich Wilckens, der ehemalige nordelbische Bischof, hat das unfassliche, weil unvergleichliche Geschehen so gedeutet: Aus Liebe zu uns ist Christus den Tod an unsrer statt gestorben, den wir uns durch unsere Abkehr von dem Gott des Lebens selbst erwirkt haben. Doch weil es Gottes Zorn ist, der uns diesem Verderben unseres Lebens, diesem Tod mitten im Leben, anheimgibt, hat Jesus am Kreuz den Zorn Gottes gegen unsere Sünde auf sich genommen, damit unser Leben Gott gehört. Auf diese Weise hat Gott die Strafe seines gerechten und notwendigen Zorns zwar vollzogen, aber nicht an den schuldigen Menschen, sondern an seinem geliebten Sohn.23 4. Gottes Liebe will aus dem Zorn retten »Wer glaubt's aber, dass du so sehr zürnest?« (Ps 90,11) Der Schriftsteller Jochen Klepper (1903-42) hat die menschliche Tragödie in die Zeile gefasst: Von [Gottes] Angesichte trennt uns der Sünde Bann.24 Das »Nein« Gottes liegt wie eine erstickende Decke über der ganzen Menschheit. Eigentlich müsste das offenkundig sein. Doch nur wenige wollen diese Not wahrhaben. Vor allem heute wird es als unpassend, in höchstem Maß missverständlich empfunden, wenn vom »Zorn Gottes« geredet wird. Es wird befürchtet, Menschen würden dann dem heiligen »Gott der Liebe« unterstellen, er könnte im Affekt »die Haltung verlieren«, ja er könnte »sein Mütchen kühlen« wollen. Wenn jedoch in der Bibel vom »Zorn Gottes« gesprochen wird, dann ist nicht an Emotionen zu denken, die außer Kontrolle geraten sind, schon gar nicht an ungebremste Gehässigkeit oder an unkontrollierte Schimpftiraden Gottes. Gott gerät nie »außer sich«! Sondern beim »Zorn Gottes« ist an ganz konkrete Strafgerichte Gottes gedacht, an göttliche Gegenbewegungen gegen das Böse, an das »Nein« zur Auflehnung gegen ihn. Daraus folgern viele Christen erst recht: Wenn es sich schon nicht mehr korrigieren lässt, dass der Täufer Johannes, aber auch Jesus und der Apostel Paulus vom »Zorn Gottes« geredet haben, dann müsste es sich doch vermeiden lassen, dass noch heute in frommen Schriftchen vom »Zorn Gottes« zu lesen ist, ja dass sogar ein ausgewiesener Professor des Neuen Testamen- tes noch immer vom »Zorn Gottes« redet, und das im Zusammenhang mit dem Kreuzestod von Jesus! Aber es ist nicht gut, mit zentralen biblischen Begriffen je nach Bedarf zu jonglieren. Das war zwar zu allen Zeiten eine Versuchung für Schriftgelehrte. Aber Gott wollte doch mit dem zum Ziel kommen, was schon in der Schrift Israels seinen »Vorlauf« hatte. Die Propheten des Alten Testamentes hatten zuverlässig wieder und wieder davon gesprochen, dass der »Zorn des Herrn« über sein eigenes Volk entbrennen kann, ja dass er entbrannt ist (vgl. Jesaja 5,25; 9,11.16.20). Solchen Zorn Gottes hatte einst etwa der Prophet Jesaja geschaut und dies als Gottes Wort gekündet: Ich habe meine Geheiligten entboten zu meinem Zorngericht... Ich will den Erdkreis heimsuchen um seiner Bosheit willen und die Gottlosen um ihrer Missetat willen und will dem Hochmut der Stolzen ein Ende machen und die Hoffart der Gewaltigen demütigen... Darum will ich den Himmel bewegen, und die Erde soll beben und von ihrer Stätte weichen durch den Grimm des Herrn Zebaoth, am Tage seines Zorns. Und sie sollen sein wie ein verscheuchtes Reh und wie eine Herde ohne Hirten ... Jesaja 13,3.11.13-14 Über dem Lesen der »Schrift« kann man doch nur betroffen zur Kenntnis nehmen: Weder die Buße des Königs Josia, noch seine radikal allen Götzendienst ausrottende Reform, noch auch der neu mit Gott geschlossene Bund konnte irgendetwas daran ändern, dass für Gott feststand: »Ich will auch Juda von meinem Angesicht tun« (2Kön 23,27)! Dabei hatte sich doch König Josia wie vor ihm kein König »so von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften... zum Herrn [bekehrt]« (2Kön 23,25). »Doch kehrte sich der Herr nicht ab von dem Grimm seines großen Zorns, mit dem er über Juda erzürnt war um all der Ärgernisse willen« (2Kön 23,26). Es ist eben nicht automatisch so, dass Gott »[s]einen Zorn fahren lässt«, dass er sich abwendet »von der Glut |s|eines Zorns« (Psalm 85,4). Diese alttestamentlich-biblische Erfahrung als »alttestamentarisch« abtun und eliminieren zu wollen, hat mit verantwortlicher Theologie und mit geistlicher Verantwortung nichts mehr zu tun. Vielmehr ist Letzteres ein Zeichen erschreckender moderner Überheblichkeit und Oberflächlichkeit. Wie hat man aber mit diesem »Zorn« Gottes umzugehen? Muss er besänftigt werden? Kann er gesühnt werden durch irgendein Opfer, das Menschen erbringen? Bedarf Gott besonderer Nachhilfe, um mit seinen zornigen Motiven verantwortlich umgehen zu können? Schon der Täufer Johannes hatte einen anderen Weg vorge-»spurt«: Menschen können aus dem Zorn gerettet werden (vgl.Joh 3,36 mit IThess 1,10). Sie können das gerade auch dann, wenn Gott nicht einfach großmütig seinen Zorn wegsteckt, ja wenn vom »zukünftigen Zorn«, ja vom kommenden »Tag des Zorns« nichts abgebrochen wird. Menschen können »dem kommenden Zorn entrinnen«, so wie etwa Noah mit den Seinen aus dem Gericht der Sintflut errettet wurde, so wie Lot mit seinen Töchtern dem Zorngericht Gottes über Sodom entronnen ist (vgl. IMo 19,15ff.). Oder wie die mit dem Blut des Passah-Lammes gezeichneten Häuser der Israeliten vor dem »Verderber« bewahrt blieben (vgl. 2Mo 12,21 ff.). Man muss nicht unter dem Zorn Gottes bleiben! Damit hat schon der Täufer Johannes als »Vorläufer« von Jesus ein Thema angerissen, das in der frühen Christenheit eine weit größere Rolle spielte als heute. Der Apostel Paulus machte das Leben, das der Retter Jesus gewährt, daran deutlich: Man kann durch Jesus »bewahrt werden vor dem Zorn« (Römer 5,9); der vom Himmel kommende Gottessohn Jesus wird die Seinen »von dem zukünftigen Zorn« erretten (IThess 1,10). Denn Gott hat die Seinen »nicht bestimmt zum Zorn« (IThess 5,9). Jesus hat keine »Christianisierung der Welt« angestoßen! Vielmehr zielte sein »Werk« darauf, dass »alle, die an ihn glau- ben, nicht verloren werden« - und erst recht nicht verloren bleiben »sondern das ewige Leben haben« (Joh 3,16). Um dieses Werk zu »vollenden«, ging Jesus in sein Leiden hinein. Es bestand zutiefst darin, sich »um unsrer Missetat willen« die Strafe auferlegen zu lassen (Jes 53,5). Oder, um die Formulierung des Apostels Paulus zu gebrauchen, sich anstelle von uns von Gott »zur Sünde« machen zu lassen (2Kor 5,21). Jesus hat in seinem Sterben am Kreuz stellvertretend für Sünder den Zorn Gottes über sich ergehen lassen. Verkündiger wie Samuel Keller, Wilhelm Busch und Siegfried Kettling haben dafür gerne das folgende verständliche Bild gebraucht: Bei einem Flächenbrand blieb ein Areal von »verbrannter Erde« zurück. Aber sie wurde zu einer rettenden Insel in einem später aufbrechenden Flammeninferno. Auf solch eine Insel konnten sich Menschen flüchten. Samuel Keller hat es bei einem Steppenbrand auf der Krim erlebt. Wilhelm Busch hat es erlebt im Flammenmeer von Essen; damals haben Menschen in der 1938 durch die Hitler-Leute ausgebrannten Ruine der Essener Synagoge Rettung gefunden. So ist ähnlich jeder Mensch gerettet vom Zorn Gottes, der sich zu Jesus hält; denn Jesus hat sich schon vom strafenden Zorn Gottes verzehren lassen! Jesus Christus hat sich nach dem Willen Gottes, unseres Vaters, »selbst für unsre Sünden dahingegeben..., dass er uns errette von dieser gegenwärtigen, bösen Welt« (Gal 1,4). Darin besteht das »Evangelium«. So hat es Paulus formuliert - und zugleich hat er mit allem Ernst klargemacht, dass es »kein andres [Evangelium] gibt« (vgl. Gal 1,7). Darum sind auch die biblischen Evangelien-Berichte - auch mit all ihren Heilungs- und Wunderberichten - nichts anderes als Passions-Geschichten mit verlängerter Einleitung Das Evangelium von Jesus ist also weit mehr als eben ein moralisch-religiöser Muntermacher. Vielmehr ist dies sein Zentralthema, dass man aus dem gegenwärtigen und aus dem künftigen »Zorn Gottes« herauskommen kann! Dass man aus dem ewigen Tod heraus und in das ewige Leben hinein gerettet werden kann. Die Christenheit bleibt - bei allem guten Wollen - so oft an der religiösen Oberfläche. Wie oft heißt es: »Jesus gibt neue Horizonte! Mit Jesus kannst du fröhlich leben! Jesus erhört Gebet und wirkt Wunder!« Aber Christus ist doch keine Beruhigungspille, er ist keine Sonnenbrille für die Seele! Vielmehr soll und kann es doch zu dem staunenden Aha-Erlebnis kommen: Da hat also Jesus Entscheidendes gewirkt, getan, vollbracht, unternommen, vollgültig in Kraft gesetzt - zu meiner Erlösung! Das ist Fakt! Dies Werk ist vollendet! Ich muss nicht verloren bleiben, ich muss nicht verloren gehen. Das Evangelium kann dort ankommen, wo sich Menschen bewusst vom Geist Gottes ergreifen lassen wollen. Helmuth James Graf von Moltke hat kurz vor seiner Hinrichtung gebetet, Gott möge dazu helfen, dass sein kritischer Intellekt ihn nicht am Glauben hindern darf. Wenn Gott solches Gebet erhört, dann kann es dazu kommen, dass Menschen »wissen können, was [ihnen] von Gott geschenkt ist« (IKor 2,12). Christ, der Retter, ist da! Das ist das einfache Evangelium: Gott möchte so gerne, dass du mit Jesus aus der Hoffnungslosigkeit deiner irdischen Existenz herauskommst! Gott möchte auf seine souveräne Art und Weise dafür sorgen, dass Menschen sogar aus »der Sünde Bann«25 (EG 379,1) herauskommen können. Gottes guter Geist freut sich mit, wenn dies einfache Evangelium bei Menschen Glauben findet. Wieder und wieder habe ich es erlebt, dass dieser Einbruch aus der Welt Gottes ein Hochgefühl auslöst. Das fassungslose Staunen in jener Nacht, als die trennende Mauer zwischen Ost und West fiel, war dafür nur wie ein kleiner Vorgeschmack. Es ist deshalb so bedauerlich, dass die Christenheit heute wieder einmal versucht ist, sich des einfachen Evangeliums zu schämen. Es ist heute gar nicht so sehr anders als in den Tagen des schwäbischen Erweckungspredigers Ludwig Hofacker. Er musste schon damals diagnostizieren: Das Mode-Christentum handelt von dem Meer, von der Sonne, Mond und den schönen Sternen, von einem guten Vater, der Seine Kinder thun und treiben lässt, was sie wollen, und ohne Anstand [d. h. Zögern; Anmerkung durch Autor] alle in den Himmel nimmt. ...Man hat sich seine eigene Religion gemodelt. ...Ist es ja doch an manchen Orten so weit gekommen mit der Verfinsterung, dass man die evangelische Lehre für eine ketzerische, neue Lehre ausruft, weil sie dort schon lange Zeit nicht mehr gehört worden ist.26 Wie schrecklich ist das, welch ein vernichtendes Urteil für die Kirche und ihre Mitarbeiter, wenn das wahre Evangelium »schon lange nicht mehr gehört« werden konnte! Es ist und bleibt doch dies das »[Evangelium] von Jesus Christus, dem Sohn Gottes« (Mk 1,1): Er hat »sich selbst für unsere Sünden dahingegeben«! Damit wurde all das in Kraft gesetzt, was Gott rettend für verlorene Menschen geplant und angekündigt hatte. Jesus hätte nicht in die Welt kommen müssen - das hätte er sich sparen können -, wenn es die Hauptsache am Christentum wäre, gegen Fremdenfeindlichkeit zu sein, gegen Krieg, gegen weltweiten Hunger, gegen Ungerechtigkeit, Aids und Umweltverschmutzung, aber auch gegen Abtreibung, gegen eheähnlich praktizierte gleichgeschlechtliche Partnerschaft und was der gegenwärtigen laut verhandelten Themen mehr ist. Um gegen all dies zu sein, hätte es keinen Jesus gebraucht. Dazu hätten die Zehn Gebote und die anderen Ordnungen Gottes vollauf genügt. Schon vor langer Zeit hat der originelle schwäbische Pädagoge Pfarrer Johann Friedrich Flattich (1713-97) angemerkt: »Christen sollten ihre Hauptsache darin haben, den Menschen Jesus lieb zu machen, und nicht im Beklagen von Miss-Ständen!«27 Es hätte auch keinen Jesus gebraucht für Wunder, Bewahrungen und mancherlei Hilfen Gottes. Dies alles hat es lange vor dem Kommen von Jesus in Israel in Fülie gegeben. Darum sollten wir nicht so tun, als seien Gesundheit und Bewahrung, Wunder und Rettungen das Entscheidende, was wir von Jesus erwarten können. Das Entscheidende, was mit Jesus in die Welt gekommen ist, besteht darin: »Welt ging verloren, Christ ist geboren!«28 (EG 44,1) »Christ, der Retter, ist da«29 (EG 46,2; vgl. Mt 1,21). »Christus Jesus [ist] uns von Gott gemacht... zur Gerechtigkeit« (IKor 1,30). Darin besteht daseinfache Evangelium von Jesus, das großartige, das unüberbietbare Evangelium. Das Wort vom Kreuz Die »rettende« Botschaft, die »seligmachende« Information, das Evangelium voll »Gotteskraft« sah der Apostel Paulus konzentriert im »Wort vom Kreuz« (IKor 1,18). Das Kreuz ist bis heute ein »Wort-Zeichen«. Es steht stellvertretend für die zentral in den Evangelien berichtete Hinrichtung von Jesus. Es erinnert daran, dass Jesus von der römischen Gerichtsbarkeit durch Kreuzigung zu Tode gebracht worden ist. Bei den Römern galt die Kreuzigung als schimpflichste Hinrichtungsart. Bei Jesus geschah sie auf Betreiben seiner Gegner. Aber schon ganz zu Beginn der christlichen Gemeinde haben die Apostel darauf hingewiesen: Das geschah nicht ohne Gottes Einwilligung. Jesus ist »durch Gottes Ratschluss und Vorsehung dahingegeben« worden (Apg 2,23). »Herodes und Pontius Pilatus [haben] mit den Heiden und den Stämmen Israels [getan], was [Gottes] Hand und [Gottes] Ratschluss zuvor bestimmt hatten, dass es geschehen solle« (Apg 4,27f). Gott also war es, der das Sterben von Jesus nicht nur zugelassen, sondern offensichtlich gewollt hat. In diesem Sterben wurde an Jesus stellvertretend für die Menschheit das Gericht über die Sünde vollzogen. Im gewaltsamen Sterben von Jesus am »Pfahl« geschah »Justiz ohne Erbarmen, Rechtsvollzug, mit letzter Schändung und völliger Entrechtung verbunden ... >Gott verurteilte die Sünde im Fleisch« (Röm 8,3)«.30 So hat einst der hoch geachtete Tübinger Theologieprofessor und Bibelausleger Dr. Adolf Schiatter (1852-1938) formuliert. Vielen Zeitgenossen kommen solche Sätze abstrus vor, einfach unannehmbar. Für diese Zeitgenossen sind solche Sätze nicht zusammenzubringen mit einem Bild von einem liebenden Gott-Vater. Wer jedoch etwas tiefer bohrt, der muss zur Kenntnis nehmen: Solches Befremden ist uralt. Denn schon Jahrhunderte vor dem Kommen von Jesus musste der Prophet Jesaja zugestehen: ...wer glaubt dem, was uns verkündet wurde...? ...Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.... der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.... er, mein Knecht, der Gerechte, [wird] den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. Jesaja 53,1.4 f.6.11 Wer kann, wer will denn dem Glauben schenken? Offensichtlich liegt es im Wesen des von Gott gewählten Heilsweges, dass das normalerweise bei Menschen befremdetes Kopfschütteln auslöst. Wer jedoch so tut, als sei das erst für das »moderne Empfinden« und für das »heutige Denken« unannehmbar, der kommt zu spät. Denn noch gar nie gab es eine »vernünftige« Erklärung für das von Gott gewollte Leiden von Jesus. Im Gegenteil! Darum hat der Apostel Paulus das, was der »gekreuzigte Jesus« bringt, in ein geradezu widersinniges Wortspiel hineingepackt: Man kann durch die Armut des Jesus Christus reich werden! Durch die Armut von Jesus reich werden »... ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet« (2Kor 8,9). Die Griechen nannten solch ein Zusammenstellen von eigentlich nicht zueinander passenden Begriffen ein »Oxymoron«. Noch heute sind solche Redensarten gang und gäbe. Etwa wie »schaurig-schön«, oder der »alte Knabe«, oder »wahnsinnig klug«, trotzdem »zum Aufregen langweilig«. Als sprachliches Kinkerlitzchen können nicht wenige noch das Gedicht auswendig: »Dunkel war’s, der Mond schien helle auf der schneebedeckten grünen Flur, als ein Wagen blitzesschnelle langsam um die runde Ecke fuhr. ,..«31 Dem Apostel Paulus ging es jedoch nicht um ein Formulierungs-Kabinettstückchen. Schon gar nicht um ein Späßchen ging es ihm, als er die Korinther daran erinnerte: Darin besteht doch - wie ihr doch wohl wisst (so hoffe ich jedenfalls) - die Gnade des Herrn Jesus Christus, dass man »durch seine Armut reich« werden kann! Vielmehr war es dem Apostel darum zu tun, das zentrale Evangelium von der »Gnade Christi« (Gal 1,6) komprimiert und zugleich einprägsam zu bezeugen. Das Zusammenstellen von eigentlich nach menschlichem Urteil nicht zueinander passenden Begriffen ist kein Gag. Vielmehr gehört es zum Wesen des Evangeliums, dass es scheinbar weit voneinander entlegene, eigentlich gar nicht zusammengehörige Begriffe zusammenklammert. Nur ein paar Beispiele dafür: »Die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind« (IKor 1,25). Von den »Dienern Gottes« gilt dies: ... als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben, und doch alles haben. 2. Korinther 6,8ff. Auch daran sei erinnert: Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde. 2. Korinther 4,8ff Die Wahrheit des Christus-Evangeliums umspannt Gegensätze in solch einer Weise, dass normale menschliche Vernunft sich daran wund reibt. Denn das, was Jesus gewährt, geht über alle nur denkbare Erkenntnis hinaus. Er kann »überschwänglich tun... über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen« (Eph 3,20). Das kann besonders auch dann wahr werden, wenn der »arme Jesus« bekannt gemacht wird als der, der »viele reich macht«. Der Satz, dass »Jesus Christus arm wurde«, damit Menschen »durch seine Armut reich« würden, findet sich mitten in einem Kollekten-Aufruf. »... gebt reichlich... bei dieser Wohltat« (2Kor 8,7), dazu hatte der Apostel aufgerufen. Dahinter könnte die Überlegung des Apostels gesteckt haben: Sie sollen sich doch anstecken lassen von der Liebe des Christus Jesus; schließlich müssen sich rechter Glaube, rechte Verkündigung und rechte Erkenntnis (vgl. dazu 2Kor 8,7) auch darin bewähren, dass es zur Tat selbstloser und sich verströmender Liebe von »rechter Art« (2Kor 8,8) kommt. So ist das Wort gemeint: »Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert«32 (Gustav Werner). Jedoch höre ich aus den Worten des Apostels noch stärker dies als seelsorgerliches Anliegen heraus: Auch wenn ihr in Korinth - was ich hoffe und um was ich euch dringlich bitte -überströmend hilfreich opfern werdet, so vergesst darüber bitte nicht: Das Primäre an unserem Christ-Sein ist nicht das, was wir helfend wirken, sondern dass wir uns »in die Gnade Christi [berufen]« (Gal 1,6) und durch sie reich machen lassen! Die Armut des Retters Jesus Die Armut des Heilandes Jesus begann schon damals, als er die Herrlichkeit des Vaters im Himmel verließ und unser Menschenbruder wurde. Der gebärenden Mutter Maria hat man für sie selbst und ihr Kind Jesus nicht einmal ein Notlager gewährt. Schon dem Kleinkind Jesus sprach König Herodes das Lebensrecht ab. Als Joseph mit den ihm von Gott Anvertrauten aus Ägypten zurückkehren wollte, wohin sie geflohen waren, war für sie kein Platz da in Judäa; sie mussten ausweichen ins heidnische Galiläa, nach Nazareth. Aber auch aus Nazareth wurde Jesus ausgestoßen. Er blieb ohne eigenen Besitz, angewiesen auf jene Frauen, die ihm mit ihrem eigenen Zehrpfennig aushalfen. Jesus hatte, weniger als jeder Fuchs und als jeder Vogel unter dem Himmel, keinen Bau, kein Nest, das er sein Eigen nennen konnte. Selbst Leute, die ihn großzügig zum Essen einluden, unterließen bei ihm die elementarsten Regeln wahrer Gastfreundschaft; stattdessen übernahm es eine Hure, Jesus die Füße zu waschen und sein Haupt zu salben. Immer wieder musste Jesus flüchten, weil man ihn steinigen wollte. Keine menschliche Macht schützte ihn. Viele neideten ihm seine Zuhörer, seine Heilungen, seine Wunder. Viele ärgerten sich an ihm und bezichtigten ihn sogar der Kollaboration mit dem Teufel. Voll von Mühsal waren seine Tage. Stets war er umlagert von Hilfesuchenden. Nicht erst in seinem Leiden wurde Jesus also zum armen, zu bemitleidenden Ausgestoßenen, sondern schon durch sein Kommen in diese Welt wurde wahr: »Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf« (Job 1,11). Eigentlich galt schon vom ersten Augenblick seines Kommens in die Welt: »Siehe, dein König kommt zu dir,...arm« (vgl. Sach 9,9; Hervorhebung durch Autor). Der Helfer als der Arme! Ein neutestamentlicher Vers verwendet ein einprägsames Bild: »Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein« (er machte es nicht wie die englischen Posträuber; zwar wurden sie gefasst, aber sie gaben ihren Raub nicht heraus), »sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt« (Phil 2,6f). Das war dem Apostel Paulus wichtig: »Jesus Christus: obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet« (2Kor 8,9). Diese Formulierung streicht vieles von dem durch, was Menschen als Reichtum von Gott abrufen zu können meinen und ersehnen. Denn seit Menschengedenken gehört es zum Ur-Religiösen, dass Menschen sich beschenken und beglücken lassen wollen von der bei der Gottheit gehorteten Fülle von Kraft, von Wohlstand, von Glück, von Erfolg. Auch Christen sind versucht, immer wieder ähnlich zu denken. Gerade auch Christen genügt es doch meist völlig, dass sie Jesus um Hilfe in Prüfungsstress, um Beistand in Krankheit, um Bewahrung in Gefahren, kurz gesagt: um Gesegnetwerden bitten können. Offenbar war das schon immer eine Gefahr unter Christen. Einst schrieb nämlich der Apostel Paulus unter Tränen nach Philippi: »Sie sind die Feinde des Kreuzes Christi.... ihr Gott ist der Bauch;... sie sind irdisch gesinnt.« (Phil 3,18f). Ihnen kam es nur darauf an, für ihren Körper und für das Existieren in diesem Körper bei Jesus Hilfe abzubuchen, Freundlichkeiten, Ermutigungen, Trost, Gelingen, Erfolg, Bewahrung. Hauptsache, ihnen geht es gut. »Feinde des Kreuzes Christi« - ein hartes Wort! Es hat auch mich getroffen. Aber es macht dann auch wach, das Anliegen zu verstehen: reich werden wollen durch die Armut von Jesus Christus! Die Armut des menschgewordenen Gottessohnes Jesus wurde jedoch durch die Armut des gekreuzigten Jesus weit überboten. Das Bekenntnis aus Philipper 2 fährt fort: »Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz« (Phil 2,8). Dort am römischen Hinrichtungsgalgen hat Jesus jenen Psalm 22 gebetet, der mit den Worten beginnt »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« (vgl. Mt 27,46) In den darauf folgenden Versen dieses Psalms wird erschütternd das Elend eines von Gott verlassenen Menschen geschildert: Ich aber bin... ein Spott der Leute und verachtet vom Volke. ...Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Knochen haben sich voneinander gelöst; mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe... sie haben meine Hände und Füße durchgraben..., sie aber schauen zu und sehen auf mich herab. Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand. Psalm 22,7.15-19 Im Grunde genommen ist dieser Psalm erst im Leiden des Heilandes Jesus richtig »erfüllt« worden. Es taucht in diesem von Jesus am Kreuz gebeteten Psalm das Stichwort vom »Armen« auf, das dann der Apostel Paulus in seinem Mahnen an die Korinther aufgenommen hat: Gott hat »nicht verachtet... das Elend des Armen« (Ps 22,25). Für diesen »armen Jesus« regte sich keine Hand, für diesen verachteten Jesus trat niemand ein. Noch nicht einmal der Landesherr Herodes nahm sich seines galiläischen Untertanen an. Allein die Frauen, die am Rand des Weges hinauf zur Hinrichtungsstätte standen, begannen zu klagen. Für Jesus wagte niemand ein entlastendes Wort. Man stieß ihn aus Israel aus und übergab ihn in die Hände der Römer, also in die Hände von Heiden. Für diesen Jesus gab es am Ende sogar keinen Quadratmeter Boden mehr, auf dem man ihn leben ließ. Er sollte keinen Fuß mehr auf den Boden bringen. Vielmehr hängte man ihn im wahrsten Sinn des Wortes »auf«, man »erhöhte« ihn auf makabre Weise in die Luft über dem Erdboden. Diese »Armut von Jesus Christus« war es, an die der Apostel erinnerte. Worin nach göttlicher Wertung »Armut« wirklich besteht, das wird in Psalm 22 offenbart: Zwar ist es schrecklich, von Menschen verstoßen zu sein. Aber weit schlimmer ist es, erleben zu müssen: »Mein Gott hat mich verlassen« (vgl. Ps 22,2)! Diese Armut war es, die Jesus durchlitten hat. Er, der reich ist (nämlich »reich bei Gott«, Lk 12,21), wurde arm (nämlich arm an Gottesgegenwart)! Er ließ sich arm machen. Jesus war bereit zu diesem Weg in die äußerste Armut hinein, weil Gott es so haben wollte. Darum findet sich in Psalm 22 der Satz: »...du, Herr, legst mich in des Todes Staub« (Ps 22,16; Hervorhebung durch Autor). Du! Jesus ist nach göttlichem Plan mit den Lasten beladen worden, die eigentlich jeden Menschen in den Boden hineindrücken müssten. In der Diktion der prophetischen Ankündigung des Gottesknechts-Lieds (Jes 52,13-53,12) muss auffallen, dass viermal die Begriffe wiederkehren, die alle dasselbe meinen: »schleppen«, »tragen«, »wegtragen«. Der Gottesknecht hat sich zum verachteten Kuli machen lassen; er war dem Gesetz Gottes gehorsam, die Lasten anderer zu tragen (vgl. Gal 6,2). Gott hat sein Leben als »Ersatzleistung« bzw. als »Schuldausgleich« eingesetzt; er »trug die Schuld der Vielen und trat für die Frevler ein«. Es war Jahwes Plan, ihn zu schlagen, ihn krank werden zu lassen. Man setzt sich selbst Scheuklappen auf, wenn man die Armut von Jesus nur als einen Verzicht auf Göttlichkeit deutet. Jesus hat sich vielmehr mit der Schuld der Sünde gemein machen lassen, die jeden Menschen vor Gott scheitern lassen müsste. Gott hat nicht einfach großmütig einen umfassenden Gnaden-Erlass ergehen lassen. Er hat keine umfassende Entschuldungs-Maßnahme beschlossen, sondern er ließ Jesus das tragen, was uns Menschen ewig wie mit Bleischuhen in den Abgrund ziehen müsste, von Gott weg. Auch das sind bildhafte, »metaphorische« Aussagen, wie man heute gelehrt zu sagen pflegt. Aber sie versuchen, die Wirklichkeit weiterzugeben, welche als Plan Gottes angekündigt worden war (vgl. Jes 53,10). Jesus hat sich unsere Sünde aufladen lassen, damit wir nun ewig ihm gehören können. Rechtmäßig hat Jesus das göttliche Programm »lass ihn [den Sünder] mit dir leben«33 (EG 341,5) in Kraft gesetzt. Er hat die Verantwortung für die Sünde der Vielen übernommen. Er hat Verantwortung übernommen sogar für die schrecklichsten Abgründe, die im Leben von Menschen aufbrechen können. Als der arme Jesus »sein Leben in den Tod gegeben hat« (Jes 53,12), da wurde das »ihr mit mir« und das »ich mit euch« gültig festgeschrieben. Es ist nach göttlicher Rechtsordnung rechtsgültig. Das kann nun durch nichts mehr aufgehoben werden. Es kann nicht mehr in Frage gestellt werden, selbst wenn im Jüngsten Gericht bei den zu Jesus Gehörenden viel Schlimmes ans Tageslicht kommen sollte. Für alles, was die mit Jesus Verbundenen eigentlich von Rechts wegen von der Gegenwart Gottes ausschließen müsste, hat Jesus die Verantwortung übernommen. Davon und damit sollen sich Jesus-Leute reich machen lassen, reich durch die Armut von Jesus! In der ostafrikanischen Erweckungsbewegung wird Jesus dankbar gepriesen als das »für uns Sünder dahingegebene Opferlamm«. Eines Tages jedoch kamen aus dem Nachbarland einige mehr charismatisch geprägte dänische Missionare. Sie versuchten, die kenianischen Christen zu belehren: »Es gibt doch schließlich auch noch den Heiligen Geist und seine Gaben! Bleibt doch nicht immer beim Staunen über den gekreuzigten Jesus stehen!« Da fragten die afrikanischen Christen zurück: »Gibt es denn einen größeren Reichtum als den Jesus, der für unsere Sünden ans Kreuz ging? Was war es denn, was euch der Heilige Geist über eure Sünde gesagt hat? Braucht denn ihr nicht täglich diese Freude gerade am gekreuzigten Jesus?« Die Gnade des Christus Jesus besteht in dem Adel: Mir ist der Himmel aufgetan worden - ich darf mit Jesus leben! Durch die grenzenlose Armut meines Heilandes bin ich unendlich reich gemacht worden! 5. Werkzeuge der heiligen Liebe Jesus als Gekreuzigten bekannt machen Der Apostel Paulus hat sich nicht damit begnügt, fast formelhaft an den »gekreuzigten, auferstandenen und wiederkommenden Jesus« zu erinnern. Vielmehr hat er in seinen Missions-Vorträgen anschaulich die Leiden des Heilandes Jesus geschildert (vgl. Apg 13,27ff.). Das wird deutlich auch aus dem, was er der Gemeinde in Galatien geschrieben hat: »O ihr unverständigen Galater! Wer hat euch bezaubert, denen doch Jesus Christus vor die Augen gemalt war als der Gekreuzigte?« (Gal 3,1) Der Apostel wollte mit seinem Schildern des Leidens von Jesus deutlich machen: Der Christenglaube ist keine Doktrin. Er ist keine Theorie. Vielmehr ist etwas geschehen. Es sind Tatsachen geschaffen worden. Das entscheidende neue Kapitel der Beziehung zwischen Gott und Mensch ist aufgeschlagen worden. Bilder sind eindrücklich. Im Gemalten liegt eine geheimnisvolle Kraft. Das bildlich Dargestellte hat tief einprägsame Kraft. Das ist besonders dort wahr, wo Künstler mit ihrem Werk »verkündigen« wollen. Vor allem aber wird das dort erfahren, wo Künstler das Geheimnis des stellvertretenden Leidens von Jesus wiederzugeben versucht haben. Ich kann mir vorstellen, dass nicht wenige von ihnen über ihrem Schaffen gebetet haben: »Heiliger Geist Gottes, bewirke du es, dass eine Brücke geschlagen wird von dem gehorsamen Jesus, den ich darzustellen versuche, hin zu dem Beschauer!« Denn die Künstler wussten, dass keine noch so drastisch-blutrünstige Golgatha-Szene jene »Gleichzeitigkeit« herstellen kann, von der gilt: »Nur das Gleichzeitige ist Wirklichkeit für mich«34 (Sören Kierkegaard, 1813-55). Vor noch gar nicht langer Zeit reiste ein Vater mit seinen heranwachsenden Söhnen durch das Eisass. Als sie nach Colmar kamen, rang der Vater mit sich selbst, oh er seinen an Computer und Fernsehen gewöhnten Söhnen zumuten könne, den Isenhei-mer Altar von Matthias Grünewald (ca. 1480-1528) anzusehen. Er war dann jedoch selbst beeindruckt davon, wie seine Söhne ergriffen vor diesem Bild des gekreuzigten Jesus standen. Ich denke an Lukas Cranach (1472-1553), der den predigenden Reformator Martin Luther so darstellte, dass zwischen dem Prediger und der lauschenden Gemeinde der am Kreuz hingerichtete Jesus unübersehbar, fast störend zu sehen ist -ganz dem Beschauer des Gemäldes zugewandt und damit eigentlich perspektivisch gar nicht passend, auch wesentlich größer als die anderen dargestellten Personen. Oft wird das Gemälde so gedeutet: Wenn Luther predigte, dann hat er der Gemeinde den Gekreuzigten so anschaulich und geradezu unübersehbar vor die Augen gestellt, dass sie »nichts sahen als Jesus allein«, den Jesus, der nun auch dem Beschauer des Gemäldes als der Gekreuzigte vor seine Augen gestellt ist. Auch Bartholomäus Zeitblom (ca. 1455 - ca. 1518) hat ein ähnlich eindrucksvolles Gemälde geschaffen. Bis heute ist es im Eingangsbereich des Ulmer Münsters zu sehen. Auf ihm ist dargestellt, wie Gott-Vater den gemarterten, blutüberströmten, im Tode erschlafften Körper seines Sohnes dem Beschauer so hinhält, als ob er sagen wollte: »Schau, das ist für dich geschehen! Diesen gekreuzigten Jesus halte ich für dich hin, dir zum Glauben! So wie einst sogar das fromme Volk Israel mitsamt seinen Priestern entsühnt werden konnte, wenn das Opferblut an den Gnadenthron gesprüht wurde, so hat Gott erst recht Entsühnung in Kraft gesetzt durch diesen Jesus in seinem Blut!« Wenn der gekreuzigte Jesus »vor Augen gemalt« wird, dann geht es um weit mehr als um eine möglichst detailgetreue Schilderung des Kreuzigungsgeschehens! Vielmehr sollen die Betrachtenden dem Geschehen von damals gleichzeitig werden können. Es soll für sie so sein, als ob sie selbst dabei gewesen wären. Allerdings kann allein der Geist Gottes diese Brücke schlagen, dass Menschen mit dem gekreuzigten Christus gleichzeitig werden. Aber Menschen können es wollen, dass diese Brücke geschlagen wird. Solches Wollen ist zu studieren bei frommen Mal-Künstlern. Aber auch bei gesegneten Verkündigern, deren anschauliche Kreuzespredigt Glauben entbunden hat. Der junge Reichsgraf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700-60) hat sich nicht - wie so oft erzählt wird - in der Gemäldegalerie von Düsseldorf »bekehrt«. Das hatte er sich schon lange zuvor. Aber das von Domenico Feti geschaffene mittelmäßige Gemälde des Gekreuzigten hat zu dem jungen Zinzendorf »gesprochen«. Er schrieb in sein Tagebuch: »Ich bat meinen Heiland, mich in die Gemeinschaft seines Leidens mit Gewalt zu reißen, wenn mein Sinn nicht hinein wollte!«35 Der Apostel Paulus benützte weder Pinsel noch Farben, als er den Gemeinden in Galatien Jesus »vor Augen malte«. Jedoch kann auch mit scheinbar kargen Worten höchst anschaulich der Gekreuzigte »vor Augen gestellt« werden. Einst predigte der württembergische Erweckungsprediger Ludwig Hofacker: Sieh deinen Bürgen an in Gethsemane, wie Er den ganzen Zorn der beleidigten Majestät Gottes aufSeinen heiligen Rücken nimmt. Siehe, wie Er sich als dein Bürge in dem Staub vor dem Angesicht des Vaters krümmen muss, wie Er sich auf Seinen Knien für deine Schuld mühen muss. Und siehe, da hängt Er am Kreuz in den brennendsten Schmerzen, blutend, von Gott und Menschen verlassen, verschmachtend, sterbend. ...Das ist die Bezahlung für deine Schuld. So groß war deine Schuld, dass es einer solchen Bezahlung bedurfte. Und diese Bezahlung soll dir ewiglich zu gut kommen, wenn du Buße thust vor dem Herrn, dessen Gerechtigkeit du mit deiner Schuld verhaftet bist. ... Ich rufe, ich schreie, ich posaune es aus! Ihr Knechte des Verderbens! Ihr großen Schuldner! Ihr jungen Schuldner! Ihr alten Schuldner! Ihr bankerotten Leute! Ihr armen Leute, kommt! Kommt! Hier ist euer HErr, der euch alle Schulden nachlässt! Hier ist ein Meer von Liebe und Erbarmung. Wer wagt es, in dieses Meer hineinzuspringen? Wer ist so keck? Wer wagt es, seine Seele zu erretten? Kehre wieder, spricht der HErr, denn ich bin barmherzig und will nicht ewiglich zürnen!36 Hofacker hat solche Predigt damit begründet: »Wenn man Menschen zum Heiland hin locken will, wie er ja selbst befiehlt, so muss man eine Beschreibung von ihm vorausgehen lassen, damit die Menschen wissen, von wem man redet.«37 Darin hatte Hofacker ja gewiss recht. Aber dann erwog er: »Soll man seine Majestät beschreiben? Seine Liebe? Den Gottesglanz, der ihn umgibt?«38 Schließlich antwortete er selbst: Jesus ist am anbetungswürdigsten am Kreuz, in seinen Wunden, wenn sich seine Züge im Tod entstellen, wenn er ausruft: >Es ist vollbracht!» ...Anbetungswürdiger ist er in seinem Todesleiden als in seiner Lebensherrlichkeit. Warum das? Darum, liebe Zuhörer, weil hier sein volles Herz, seine größte Liebe geoffenbart ist, weil hier für die gefallene Kreatur Leben und Friede wehet, und weil wir nicht wüssten, wie wir mit ihm dran wären, wenn er sich nicht zu solchem Leiden erniedrigt hätte.39 Wilhelm Busch (1897-1966) hat in einer Karfreitagspredigt einleitend so gesagt: Ich muss offen bekennen, dass ich erschrecke davor, was in den nächsten zwanzig Minuten vor mir liegt. Es geht darum, dass ich Ihnen deutlich mache, dass das, was da vor 1900 Jahren auf Golgatha geschah, für Menschen im Atomzeitalter unendlich wichtig ist. Für die Ewigkeit wichtig! Ich habe nicht die Aufgabe, Sie ein wenig zu unterhalten, sondern Ihnen ewiges Leben oder ewigen Tod vorzulegen. ...Wir wollten uns ja in dieser Passionszeit die Orte der Passion ansehen. ...Am Karfreitag ist ja nun logischerweise Golgatha dran. Aber dann ging mir auf: Die Stätte des letzten Leidens, des unendlichen Leidens des Sohnes Gottes, ist nicht der Hügel Golgatha, sondern in der Luft. Man hat Jesus hinausgehängt in die Luft. Man hat ihm den Boden unter den Füßen weggenommen. Da, zwischen Himmel und Erde, da hängt er,... zwischen Gott und Mensch. Beide haben ihn hinausgehängt, Gott und der Mensch. Es ist noch nie ein so Verfluchter in der Welt gewesen, der so wie Jesus verstoßen war: hinausgetan von den Menschen und hinausgestoßen vom lebendigen Gott. Als Jesus schrie »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«, da war das nicht, wie wenn Sie Zahnschmerzen haben und sagen »Mein Gott, wie tut das weh!« sondern dann war das ernst gemeint. Er war von Gott hinausgetan. Diesen Tatbestand kann jeder entdecken. Dazu gehört nicht viel Grips. Dazu braucht man kein geistlicher Mensch zu sein. Aber warum das so geschehen ist - das Geheimnis von warum und wieso -, das so ist, das kann nur die Bibel erklären ...40 Der norwegische Bischof Häkon Andersen hat einst eine Gruppe junger schwäbischer Pfarrer an das Sterben von Jesus erinnert. Dies habe ich damals mitgeschrieben: Am großen Leidenstag von Jesus, nach all den vorausgegangenen nächtlichen Verhören voller Demütigungen, nach dem Ausgepeitscht-Werden und dem Tragen des schweren Kreuzesbalkens durch die Gassen Jerusalems, nach der Marter der Kreuzigung und des ruckartigen Aufrichtens des Galgens, als die Sonne am höchsten über Jerusalem stand und auf den Galgenhügel herunter brannte, da verfinsterte sich mit einem Mal der Tag. Unvermutet, unerklärlich brach mitten am hellen Tag eine Sonnenfins- ternis an. Drei Stunden dauerte sie. Die Sonne hatte ihren Schein verloren. Durch Jahrtausende hindurch hatte das Himmelslicht manches schrecklich Böse geduldet. Aber jetzt war es, als ob die Sonne nicht mehr hatte mit ansehen können, wie alles Böse geradezu dämonisch diesen armen Mann am Kreuz einhüllte - alle Gemeinheit, alle Lüge, aller Hass, alles Abartige! Das ganze Heer des Bösen war über Jesus hereingebrochen. Die Höllenmächte waren auf ihn losgelassen - geballt, kompakt, materialisiert, niederschmetternd! Wer kann denn schon ermessen, was Jesus in diesen Stunden durchlitt? Damals, als er rief: »Mein Gott, mein Gott! Warum hast du mich verlassen?« Die Sünde des ganzen Menschengeschlechtes war auf Jesus geworfen - alles Erschrecken über menschliches Unvermögen, alle Peinlichkeit darüber, wie die Menschen wirklich sind, aller ärgerlicher Zorn über menschliches Versagen, alle Pein über die so mangelnde menschliche Widerstandskraft - all das war zu einer undurchdringlichen Finsternis geworden. Ungehindert, schutzlos, stürmte das alles auf die Seele des Gerechten ein. Unverhüllt sah Jesus die ganzen Abgründe menschlicher Gehässigkeit, menschlicher Unwahrhaftigkeit und Dummheit, menschlicher Überheblichkeit und Verführbarkeit. Es war grauenvoll. Als Jesus dann in tiefstem Seelenleiden zu seinem Vater schrie, da wagte er nicht mehr die vertraute Anrede «Abba - Vater«. Die Finsternis hatte den Lichtstrahl der Liebe Gottes wie unterbrochen. »Eli, Eli - mein Gott, mein Gott!«, das war der Anruf des von Gott Verlassenen in seiner tiefsten Erniedrigung...! Auch anschauliches Bezeugen des gekreuzigten Jesus will nicht nur etwas von »anno dazumal« erzählen, sondern es ist darauf aus, dass Gottes Geist Glauben wecken kann. Auch das »Vor-Augen-Malen« des gekreuzigten Jesus soll und will eine »Verkündigung vom Glauben« sein! Glaube soll geweckt werden können »Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben?« (Gal. 3,2) So fragte der Apostel Paulus die Christen in Galatien, denen Jesus Christus als der Gekreuzigte »vor Augen gemalt« worden war. Dieser Nachsatz ist klärend. Denn es soll doch auch dort Glaube entbunden werden, wo der gekreuzigte Jesus »vor Augen gemalt« wird. Es geht also um weit mehr, als dass eine aufregende Story unterhaltsam dargeboten wird. Auch eine rein »historisierende« Beschreibung ist zu wenig! Dass es zu wahrem Glauben kommt, dafür soll Gott mit seinem Geist sorgen können (vgl. 1 Kor 2,4f). Der Heilige Geist kann, will und soll möglich machen, was »eigene Vernunft noch Kraft«41 nicht vermögen (Martin Luther), was auch scheinbar noch so packende und »einleuchtende« Beispiele und Vergleiche nicht schaffen können. Der Apostel Paulus ließ sich nicht davon abbringen, ganz besonders den Kreuzestod von Jesus herauszustellen. Er wollte den »Skandal« des Kreuzes (vgl. Gal 5,11) weder unterschlagen, noch verharmlosen. Er tat dies bewusst, weil er nicht auf »Logisches« abheben wollte, nicht auf Zustimmung menschlichen Urteilens. Paulus sah auch davon ab, den Verbrechertod von Jesus dadurch ein wenig abzumildern, dass er den Nazarener als einen so überaus verständnisvollen Arzt und Seelsorger anpries, als den guten Mann aus Nazareth. Bewusst wollte er das Kreuz des Christus nicht »entleeren« (vgl. IKor 1,17). Dafür hat Paulus selbst den Grund genannt. Der Glaube seiner Zuhörer sollte »auf Gottes Kraft« beruhen, nicht auf »überredenden Worten menschlicher Weisheit« (IKor 2,4f). Von der Gotteskraft, mit der er rechnete, ist in Eph 1,19f zu lesen: »...wir glauben« (und um »Glauben« geht es ja in Gal 3,2), »weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde, mit der er in Christus gewirkt hat. Durch sie hat er ihn von den Toten auferweckt«. Auf nichts anderes als auf diese Wunderkraft des Geistes Gottes wollte der Apostel hauen. Der Apostel wollte mit der Auferweckungskraft Gottes rechnen - allein mit ihr und eben nicht mit wohlerdachtcn Überzeugungsmitteln. Er baute darauf, dass sich über der Verkündigung vom gewaltsam zu Tode gebrachten Jesus bei den Hörern das Auferweckungswunder Gottes fortsetzt. Sie sollen glauben, »weil dieselbe] Macht seiner [Gottes] Stärke bei [ihnen] wirksam« wird, durch die Gott auch den »Allerverachtetsten« »von den Toten auferweckt« hat (Eph l,19f). In der Verkündigung vom Gekreuzigten soll sich das geheimnisvolle göttliche Grundgesetz fortsetzen können, an das Jesus so oft erinnert hat: »... wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden« (Lk 14,11; vgl. 18,14; Mt 18,4; 23,12). Der auferstandene Jesus Christus lehrte seine Freunde: Mein Gehorsam zum Leiden war die Voraussetzung dafür, dass ich als Christus in die Herrlichkeit Gottes erhöht werden konnte. Christus musste dies erleiden, um »in seine Herrlichkeit ein[zu]gehen« (Lk 24,26; Hervorhebung durch Autor). Jesus musste sich erniedrigen lassen, bevor er als Sohn Gottes durch die Auferweckung von den Toten in Kraft eingesetzt werden konnte (vgl. Röm 1,4; vgl. Mt 17,12; Mk 8,31 f; Lk 9,22; 17,25; Joh 20,9; auch Apg 17,3; 26,23). Martin Luther wird das Wort zugeschrieben: »Wen Gott erhöhen will, den erniedrigt er zuvor und wirft ihn auf den Misthaufen.« Die Erhöhung von Erniedrigten ist ein biblisches Zentralthema. Es beginnt mit dem 80-jährigen, aus Ägypten geflüchteten Kleinviehhirten Mose, geht dann weiter über den von den eigenen Brüdern in die Sklaverei verkauften Joseph, über die kinderlose Hanna und den kleinen Hütejungen David und geht hin bis zu dem Allerverachtetsten von Jesaja 53. Zerbrochene sind nun einmal die bevorzugten Werkzeuge Gottes. Sie will Gott als Segensträger und als Helfer in die von ihm weggelaufene Menschenwelt hinein entsenden. Er will es gerade dann tun, wenn diese Segensträger in den Augen ihrer Mitmenschen unwert, unbrauchbar, ja aufregend anders sind. Das ist eine der Grundlehren all dessen, was schon in der Schrift Israels bezeugt ist. Jesus musste als der geliebte Sohn Gottes leiden, weil Gott solche erhöht, die sich erniedrigen ließen - die sogar noch »sich selbst« erniedrigten (vgl. Phil 2,8ff.). Die Stunde, da der gekreuzigte Gottessohn verblich, war die höchst entscheidende Gottesstunde, entscheidender noch als die Auferweckung von Jesus. Die Auferweckung war dann so etwas wie das göttliche Bestätigungssiegel: »Auf diesen Jesus, auf diesen verachteten Gekreuzigten, kommt es an!« Dieses göttliche Grundgesetz kann, will und soll nun auch dort nachwirken, wo sich Verkündiger des gekreuzigten Jesus nicht schämen. Das gilt selbst dann, wenn die Verkündigung von ihm in den Augen der gelehrten Welt »Torheit« und »Ärgernis« ist (vgl. IKor 1,23-25). Wessen Gott sich nicht zu schämen brauchte, dessen sollten auch sie sich nicht schämen. Auch Verkündiger sind in der Pflicht »...wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht« (Mt 23,12; vgl. mit Hiob 22,29; Spr 29,23; Hes 21,31; Lk 14,11; 18,14; IPetr 5,5). Dies göttliche Grundgesetz kann, ja soll doch auch für die Jesus-Verkündigung gelten. Das an Jesus geschehene Auferweckungswunder kann sich bei solchen Nachfolgern fortsetzen und wiederholen, die bereit sind, auf intellektuelle oder rhetorische Absicherungen zu verzichten. Man kann ganz bewusst den gekreuzigten Jesus sozusagen »ohne Netz« verkündigen. Also unter Verzicht darauf, Jesus attraktiv zu machen. Zwar ist es nichts Falsches, wenn Jesus herausgestellt wird als einer, der das Leben sinnvoll macht, der Freude ins Leben bringt, der Zweifelnden Gewissheit schafft, der Mutlosen den Horizont der Hoffnung aufreißt. Das alles ist sicher nicht falsch. Aber Gottes Auferweckungskraft will sich dort erweisen, wo in eigener Schwachheit und Angst Jesus bezeugt wird als der große Fremdkörper in der Menschenwelt, mit dem jedoch Gott ungeahnt Großes vorhatte und mit dem er bis in die Ewigkeit hinein Großes vorhat. Verkündiger des Gekreuzigten brauchen sich nicht zu genieren, wenn sie sich dabei ihrer Schwachheit und ihrer Unvollkommenheit so bewusst werden, dass sie darüber in »großefs] Zittern« hineinkommen (IKor 2,3). Gott kann sie - ebenso wie den Apostel Paulus - mitten in ihrer Schwachheit erfahren lassen: Der Christus, der »in mir redet, der [ist] euch gegenüber nicht schwach ..., sondern ist mächtig unter euch« (2Kor 13,3). Christen brauchen sich nicht des armen Jesus zu schämen, der »so viel Widerspruch von den Sündern erduldet hat« (Piebr 12,3). Gottes Auferweckungskraft vermag Großes zu wirken. Gott kann sogar vermeintlich ohnmächtiges Bezeugen von Jesus dazu benützen, dass bei ganz normal gebauten Zeitgenossen das Gewissen geweckt und das Wunder des Glaubens gewirkt wird. »Gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele« Vom greisen Simeon wird berichtet, dass der heilige Geist »mit ihm« war (Lk 2,25). Im Tempel von Jerusalem kündigte er angesichts des Jesus-Knäbleins der Mutter Maria an: »Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird..., damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden« (vgl. Lk 2,34f). Dazu also ist Jesus »gesetzt«, dass Menschen an ihm zu Fall kommen. Aber erst recht ist Jesus dazu von Gott bestimmt, dass er Menschen aufrichten, ja sogar »auferstehen« lassen wird. Auch dieses prophetisch gesprochene Wort erschließt das Geheimnis des leidenden Jesus. Denn am Leiden von Jesus sind sogar die engsten und treuesten Begleiter von Jesus »zu Fall« gekommen. Schon die Ankündigung des Leidens hatten sie nicht verstanden (vgl. Mk 9,3lf) - und als es dann so weit war, verließen sie alle ihren Meister und flohen (vgl. Mk 14,50). »Zu Fall« kam aber auch die fromme Kaste der Priester und der Schriftgelehrten. Sie waren ihres Gottesglaubens so sicher gewesen! Sie hatten gewähnt, entschlossen für die Ehre des alleinigen Gottes einzutreten. Auch Pontius Pilatus, der römische Gerichtsherr, der so lange versucht hatte, sich die Verurteilung von Jesus vom Hals zu halten, kam »zu Fall«. Trotz seines Versuches, nicht das römische Recht zu brechen und seine richterliche Unparteilichkeit nicht aufs Spiel zu setzen, riskierte er schließlich lieber einen Justizmord, als dass er die Freundschaft des Kaisers aufs Spiel setzte. »Zu Fall« kam auch das jüdische Volk. Es ist doch keine antijüdische Gehässigkeit, wenn in der Feidensgeschichte immer wieder pauschal von »den Juden« gesprochen wird. Vielmehr soll herausgehört werden: Sogar die Glieder des geliebten Gottesvolkes, an das Gott so viel gewandt hatte, ließen sich in einen völlig unberechtigten, ja unsinnigen Volkshass auf Jesus hineinreißen! Es gab nicht eine einzige Hand, die sich für Jesus gerührt hätte. Nicht ein einziger Mensch setzte sich für Jesus ein: keiner der Frommen, keiner der Bibelkenner, keiner aus dem Volk Gottes, noch nicht einmal einer aus dem Jüngerkreis. Als es noch Zeit dazu war, hielten sie alle den Mund - auch der treue Joseph von Arimathäa. Auf Gott und auf den Glauben an Gott wollten die meisten von ihnen nie im Feben verzichten. Aber auf Jesus konnten sie alle verzichten. Die Leidensgeschichte muss doch nicht besonders dramatisiert werden. Die biblischen Passionsberichte müssen vielmehr nur ein klein wenig »abgestaubt« werden, und schon könnte der Heilige Geist das Wunder tun, dass auch heutige Zeitgenossen zusammen mit Hunderttausenden von früheren Erdenbewohnern erkennen: »So, wie die Menschen in der Leidensgeschichte geschildert werden, so ist doch auch meine Lage vor Gott! Ich bin doch auch so einer, der letztlich diesen Jesus nicht braucht, der auch notfalls auf diesen Jesus verzichten kann. Für die wahren Realitäten, wie sie vor Gott sind, war und bin ich offensichtlich blind! Ehrlich gesprochen kommt doch auch mir das Kreuzesgeschehen undurchsichtig vor. Ich habe ja auch so etwas wie Verständnis für diejenigen, die fragen, ob denn das Ganze wirklich nötig war!« Der Schwede Carl Olof Rosenius (1816-68), der spätere Evangeliumszeuge, hat schon als Jungbekehrter entdeckt: Nun erkannte ich, dass diejenige Religion göttlich sein müsste, die zugleich die Welt zum Feind hat und trotzdem die Welt überwindet und besiegt. Sie ist ein Ärgernis und streitet gegen alle Vernunft und ist eine Zumutung für die menschliche Natur. Alles am Menschen, sein Herz und seine Vernunft, wehrt sich und kämpft dagegen an. Ich erkannte, dass nichts anderes auf Erden so wahr und so zutreffend den Grund der Feindschaft der Natur gegen Gott und seine Wege darlegt und auch das Verderben meines Herzens... beschreibt. Ich erkannte, dass die Lehre der Bibel das einzige Mittel war und ist, das einen verdorbenen Menschen neu schaffen und heilig machen kann.42 Es ist »normal« für den »natürlichen« Menschen, dass er nicht an Jesus glauben kann. Doch genau darin besteht seine eigentliche Sünde (vgl. Joh 16,9). Diese Menschenwelt und Menschenart wurde in ihrer Gottesfeindschaft entlarvt, als sie Jesus preisgab. Jesus wurde weggeschleudert wie ekliger Kot. Das ist es, was damals geschah und was bis heute geschieht - oft unter frommem Deckmantel, nicht selten unter Berufung auf »intellektuelle Redlichkeit«, auch unter dem Deckmantel toleranter Rücksichtnahme auf Mitbürger anderer Religionen. Am gekreuzigten Jesus ist anschaulich geworden, wie es um die Sache des normalen Menschen vor Gott steht. Am gewaltsam zu Tode gebrachten Jesus zeigt es sich, wie der natürlich-normale Mensch in Wirklichkeit zu Gott steht. Es ist offenkundig geworden, wie wenig jeder normale Mensch mit dem anfangen kann, was Gott als Heil ihm zugedacht hat. Die Schmähungen derer, die Gott schmähen, ließ Jesus auf sich fallen (vgl. Ps 69,10 mit Röm 15,3f). Offenkundig ist geworden, dass es eigentlich unfassbar beleidigend für Gott sein muss, dass der normale Mensch reserviert oder gar ablehnend auf sein in Jesus komprimiertes Heilsangebot reagiert. Doch Jesus war vor allem dazu bestimmt, viele Menschen aus dem Verderben herauszuholen. Denn selbst am Kreuz von Golgatha konnten Gottes Geduld und Gottes Erbarmen nicht totgeschlagen werden. Als Jesus auferweckt wurde, da hat sich Gott in unvergleichlicher Weise gerade zu diesem »Unnötigen«, zu dem »höchst überflüssig Scheinenden«, zu dem so Sperrigen, zu dem Verachteten bekannt. Gott hat den gekreuzigten Jesus wie ein Leuchtfeuer unübersehbar herausgestellt. Dies »Fanal«, dies Flammenzeichen Gottes, sollte Menschen wecken. Das Kreuz - ein Fanal Gottes Unsere Welt kennt Fanale. Die Doppeltürme des World Trade Center waren ein hoch aufragendes Fanal hochgemuten amerikanischen Selbstbewusstseins, auch ein Fanal westlichen wirtschaftlichen Überlegenheitsgefühls. Dann aber haben die Attentate vom 11. September 2001 die zusammenstürzenden Wolkenkratzer-Türme zum Fanal des Hasses auf die westliche Welt gemacht, zum Fanal amerikanischer Verwundbarkeit. Die Explosionswolken über Fukushimas Kraftwerktürmen sind zum Fanal einer aus dem Ruder laufenden Atompolitik geworden. Das Fukushima-Drama hat weltweit die erschrockene Umkehr ausgelöst, die zuvor durch keine noch so wissenschaftlich erhärteten Bedenken, durch keine Proteste, keine Demonstrationen und Ängste in die Gänge gebracht werden konnte. In unserer Welt gab es auch Gottes-Fanale, also Flammenzeichen Gottes. Etwa den Torso des von Gott gestoppten vermessenen Turmbaus von Babel. Oder auch das Flammenzeichen des zerstörten Jerusalems, in dem Gott drastisch wahr machte: Wer mir konstant den Rücken zukehrt, dem kann auch ich den Rücken zukehren (vgl. Jer 2,27ff. und 18,17)! All diese Fanale Gottes sind aber anders als das Fanal des Kreuzes von Golgatha. Der Marterpfahl des gekreuzigten Jesus ist zum Fanal göttlicher Geduld geworden. Gott kann auf Umkehr warten. Der gekreuzigte Jesus hat alle Gleichgültigkeit erduldet, alle Feindschaft, allen Hass, allen billigen Spott. Jesus hat sich zur Zielscheibe allen Gotteshasses machen lassen. Er hat sich von Menschen fertigmachen lassen, ohne dagegen aufzubegehren. In einem Spiritual heißt es eindrücklich: They crucified my Lord, and he didn’t say a mumblin’ word, not a word, not a word! Sie kreuzigten meinen Herrn, und er sagte noch nicht einmal murmelnd ein Wort! Gott dagegen hat sich zu Wort gemeldet. Gegen alles menschliche Urteilen: »Weg mit diesem Jesus!« hat er erneut und dringlich seine Einladung gesetzt: »Kommt heim zu diesem Jesus« (vgl. Apg 3,14f.26)! Durch die Hilfe des Geistes Gottes kann das Kreuz von Jesus zum Fanal dafür werden, dass die Sache des Christus Gottes noch keineswegs an ihr Ende gekommen ist. Gerade den gekreuzigten Jesus will Gott auch den Menschen unserer Tage hinhal-ten: zum Aufwachen, zum Umkehren, zum Umdenken, zum Neudenken, zum Herauskommen aus dem sicheren Abgleiten ins Verderben, zum Neuwerden. Und zum ewigen Heimkommen zu Gott - mit Jesus! Gott hat die Passion von Jesus benützt. Er hat sie umgemodelt (vgl. Jer 18,1 ff.) in eine rettende Aktion. Menschen aller Couleur hatten damals ihr Nein zu Jesus festgezurrt. Jesus hat es sich gefallen lassen. Aber Gott hat in der Auferweckung von Jesus souverän dagegengesetzt: Der, den ihr für so unnötig erachtet, den ihr abstoßt, den ihr loswerden wollt, der ist auch für euch der Wichtigste; den gebe ich euch zurück! Was Jesus erleidend auf sich genommen hat, das hat Gott aktiv zum Heil für Menschen umgewandelt - für erlösungsbedürftige Menschen, für der Vergebung bedürftige Menschen, für eines Bundes mit Gott bedürftige Menschen, für eine Menschenwelt, für die Gott das auf den Eckstein Jesus gebaute Reich Gottes vorgesehen hat. Der Apostel Petrus hat geradezu klassisch diese rettende Aktion Gottes herausgestellt, als er mutig bekannte: »Der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter, hat seinen Knecht Jesus verherrlicht, den ihr überantwortet und verleugnet habt vor Pilatus, als der ihn loslassen wollte. Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und darum gebeten, dass man euch den Mörder schenke; aber den Fürsten des Lebens habt ihr getötet. Den hat Gott auferweckt von den Toten; dessen sind wir Zeugen.... Für euch zuerst hat Gott seinen Knecht Jesus erweckt und hat ihn zu euch gesandt, euch zu segnen, dass ein jeder sich bekehre von seiner Bosheit« (Apg 3,13 ff.26). Der gekreuzigte Jesus ist nicht nur dazu da, dass Menschen an ihm scheitern und schuldig werden, sondern es soll vor allem bei vielen zum Geweckt-Werden, zum »Auferstehen« kommen. Beim Unverständnis abgeholt Von allen Anfängen der Christenheit an hat also die Verkündigung des gekreuzigten Jesus Menschen abgeholt bei ihrer Gleichgültigkeit gegenüber Jesus, bei ihrer Jesus-Genügsamkeit, ja bei ihrer Jesusfeindschaft. »Abgeholt« wurden Menschen nicht in erster Linie bei diesen und jenen moralischen Bosheiten und ethischen Defekten, sondern bei der eigentlichen Sünde, dass sie sich an der Ehre von Jesus - und damit an der Ehre Gottes - vergangen haben. Die schlimmste Wunde hat sich das Christentum selbst zugefügt, nämlich mit der Moralisierung des Sündenbegriffes. Sünde ist eben etwas ganz anderes als das Steh- len von silbernen Löffeln. Wenn die Christen früher von Sünde sprachen, meinten sie etwas Grundsätzlicheres. Sie meinten vielmehr die Abkehr von Gott, der Quelle des Lebens. Aber nun ist die ganze Christus-Hilfe und die ganze Christen-Hoffnung verweltlicht worden.43 Ganz bewusst sollten gerade heute Menschen abgeholt werden bei ihrem Widerstand gegen Jesus, bei ihrer überheblichen Kritik an allem Göttlichen, bei ihrer Bedürfnislosigkeit in Sachen Erlösung, Gerechtigkeit und Vergebung, bei ihrem vermessenen Aburteilen göttlicher Wege, bei ihrer sicheren Selbstgerechtigkeit. Solches Abholen kann sich ereignen, wenn Menschen die Leidensgeschichte von Jesus so erzählt wird, dass ihnen der Gekreuzigte vor Augen gemalt wird. Darüber können sie sich selbst wie in einem Spiegel erkennen. Mit Hilfe des Geistes Gottes, der die Gewissen weckt, können sich Menschen wiederfinden auch in der Ablehnung von Jesus, die ihn in den Tod getrieben hat. Aber sie sollen sich auch wiederfinden können in der von Gott zum Heil angebotenen Rettungsaktion. Dass es mitten in der über dem Golgatha-Hügel ausgebrochenen Finsternis und mitten in dem Hassgewitter der Feinde von Jesus sogar Durchbrüche zum Glauben geben konnte - so bei dem mit Jesus gekreuzigten Mörder und auch bei dem Cen-turio der römischen Bewachereinheit (vgl. Lk 23,39-43 und 47) -, macht anschaulich und zugleich Hoffnung weckend deutlich: Es muss nicht bei der allgemeinen Aversion gegen Jesus bleiben. Jesus hat vielmehr durch das Opfer seines Leibes die Feindschaft »abgebrochen«. Er hat »die Feindschaft [getötet] durch sich selbst« (Eph 2,14.16). 6. Bei Gott ist kein Ding unmöglich* Gott hat den Gekreuzigten auferweckt Unüberhörbar war der gekreuzigte Jesus gemeint, als der Apostel Petrus beim ersten großen Auftritt der Jesusnachfolger nach Ostern kundtat: »...diesen Mann... habt ihr durch die Hand der Heiden ans Kreuz geschlagen und umgebracht. Den hat Gott auferweckt... Diesen Jesus hat Gott auferweckt« (Apg 2,14.22 ff.32). Das war nicht so zu verstehen: Trotz der vorausgegangen Demütigung hat Gott bei Jesus schließlich für ein Happy End gesorgt! Vielmehr war in den Worten des Apostels Petrus genau dies die Pointe: »Exakt diesen Geschundenen und Gekreuzigten hat Gott ganz groß herausgestellt!« »Gott hat Jesus von den Toten auferweckt!« Mit dieser Sondermeldung ist die erste Christenheit in die Mittelmeerwelt hineingegangen (vgl. z.B. Apg 2,24.32; 3,15; 3,26; 4,10; 5,30; 10,40; 13,30.33.34.37; 17,31; Röm4,24; 6,24; 8,11). Das war das Entscheidende, was die Nachfolger von Jesus mitzuteilen hatten. Das war so total anders als die Vorstellungen in allen vorderasiatischen Religionen, ob und wie es nach dem Tod weitergehen könnte. Sogar die klugen Philosophen von Athen begriffen: »Da ist etwas Neues« (vgl. Apg 17,18-21)! »Gott hat Jesus von den Toten auferweckt!« Wieder und wieder haben die Nachfolger von Jesus dies als Tatsachenfeststellung bezeugt. Seitdem ist dieser Satz wie ein in die Weltgeschichte fest eingeschlagener Nagel. Am ihm hängt alles, was Christen zu vertreten haben. Der Christenglaube fällt in sich zusammen, wenn dieser Nagel herausgezogen wird. Wenn das nicht mehr das Wichtigste bei allem ist, was von den Christen zu hören ist, dann bleibt nur noch der ständige Aufruf zur Nächstenliebe. Aber dazu braucht es eigentlich * Lk 1,37. nicht die Christen. Das besorgen die Humanisten oder das Rote Kreuz genauso gut. Ohne die Gewissheit: «Jesus lebt! Gott hat den Gekreuzigten zum Wichtigsten gemacht!« streiten sich die Kirchenleute nur noch darum, auf welche der bisher gültigen Werte heute verzichtet werden kann. Natürlich kann man das, was den Christen Hauptsache ist, mit einer Handbewegung abtun: »Auferstehung, das gibt’s nicht! Dass Jesus lebt, damit will ich nichts zu tun haben!« Dass es solche Einstellungen gibt, das ist normal. Aber bei den Christen müssten sich alle Haare sträuben, wenn ihnen einzureden versucht wird: »Schließlich kommt es doch darauf gar nicht an, ob man an die Auferstehung von Jesus glaubt oder ob man sie für ein Märchen hält. Hauptsache ist doch, dass man als anständiger Mensch lebt!« Das klingt vernünftig. Aber es ist Selbstbetrug. Das wurde mir klar an jenem erfolgreichen und lebenstüchtigen Geschäftsmann aus Griechenland, mit dem ich einige Tage das Krankenhauszimmer teilte. Er lächelte ein wenig, als ich ihm meinen Beruf nannte. Denn er meinte: »Wozu brauche ich Religion? Es kommt doch nur darauf an, dass man versucht, ein guter Mensch zu sein!« Gut gemeint! Aber ehrlich vor Gott und vor sich selbst war doch der Apostel, der bekannte: »Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.... Ich elender Mensch!« (Röm 7,18 f.24) Wenn die Auferstehung von Jesus madig gemacht wird, dann geht es »ums Eingemachte«. Denn dann geht es darum, dass der Gekreuzigte lebt. Es geht darum, dass es bis heute einen Erlöser gibt für Menschen, die über sich selbst erschrecken können. Für Menschen also, die Böses tun, obwohl sie es eigentlich gar nicht tun wollen (vgl. Röm 7,10.24). Die anständig leben wollen, aber immer wieder damit auch scheitern. Der durch Gott Auferweckte ist eben in erster Linie der Erlöser, der »gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift«. Ohne dass dieser Erlöser lebt, ist der ganze Christenglaube »nichtig« und sind die Christen »noch in [ihren] Sünden« (IKor 15,17). So hat das der Apostel Paulus schon den Christen der ersten Generation eingeschärft. Ich werde immer wieder an die erste Sonder-Synodal-Tagung der württembergischen Landeskirche erinnert. Sie fand 1967 auf der Insel Reichenau statt, abgeschirmt von der Öffentlichkeit. In jener Zeit war nämlich wieder einmal - wie auch heute wieder - eine Wurstigkeit in Glaubensfragen aufgekommen. Hoch angesehene Professoren hatten gelehrt: »Darauf kommt es doch gar nicht an, dass Jesus leibhaftig vom Tod erweckt wurde; es kommt doch gar nicht darauf an, dass das Grab wirklich leer war. Hauptsache ist vielmehr ein verantwortlich gelebtes moralisches Leben nach den Maßstäben des Bergpredigers!« Viele Christen hatten das ohne Einspruch hingenommen, vielleicht sogar erleichtert und zustimmend. Da war es unerwartet, fast unglaublich, als der damals junge Tübinger Theologieprofessor Peter Stuhlmacher uns Synodalen ins Gewissen redete und sagte: »Die Christenheit ist schlecht beraten, wenn sie sich auch nur das Geringste vom Glauben an den auferstandenen Jesus abmarkten lässt!« Das wirkte so erfrischend, wie wenn in einem stickigen Raum die Fenster geöffnet werden, und wenn dann frische Luft voll belebenden Sauerstoffs erquickend hereinströmt. Professor Stuhlmacher hatte schon damals den von ihm hoch geschätzten Apostel Paulus besser verstanden als mancher der altbewährten theologischen Bibelausleger. Denn schon in den ersten Jahren der jungen Christenheit ließ man die Jesus-Leute alles vertreten und praktizieren, was sie nur wollten. Einzige Ausnahme war: »Davon haltet gefälligst den Mund, dass euer Jesus lebt. Ihr könnt ihn als ein Vorbild, als eine Gestalt von gestern liebhaben. Aber vom auferstandenen Jesus wollen wir nichts hören« (vgl. Apg 5,28.40; 24,21; 26,6ff.). Darum ließ der Apostel Paulus seine Seelsorge-Kinder voll spürbarer innerster Erregung wissen: In dieser Sache dürft ihr keinen Millimeter nachgeben! Ihr dürft euch unter keinen Umständen die Butter vom Brot nehmen lassen! Dass wir mit einem lebendigen Hei- land Jesus rechnen können, das ist doch das Entscheidende an unserm ganzen Christusglauben. Wenn ihr euch davon auch nur das Geringste abmarkten lasst, dann seid ihr nicht nur schlecht beraten. Vielmehr ist es Vermessenheit, klüger sein zu wollen als Gott selbst. Denn Gott hat doch uns Menschen als besonderes Vorrecht zugedacht, den für uns gekreuzigten Jesus als einen lebendigen Heiland zu haben (vgl. IKor 15,1-20)! Christus musste »als Erster auferstehen von den Toten« (Apg 26,23). Denn das war nun einmal die gnädige Absicht Gottes, dass kein einziger Mensch auf diesen Heiland verzichten müsse. Glaube an Jesus ist darum noch einmal etwas anderes, als religiöse Gefühle zu haben. Auch noch einmal etwas anderes als Vorliebe für theologisches Nachdenken oder für kirchliche Sitte. Jesus hat mit »glauben« gemeint, dass Menschen ihm »gehören«. Jesus ging davon aus, dass sein Vater ihm Menschen anvertraut, ja »gegeben« hat - und dass bei ihnen sein Gebet wahr wird: »Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein,... die du mir gegeben hast« (Joh 17,21 f). Ich brauchte lange, bis ich den Trost begriff, der darin liegt. Aber während einer schweren Erkrankung vor Jahren war der eigentliche Trost - besser als alle Blumengrüße und als alle Anteil nehmenden Besuche - eine Karte, auf der stand: »Das ist mein einiger Trost im Leben und im Sterben, dass ich mit Leib und Seele nicht mein, sondern meines treuen Heilandes Jesus Christus eigen bin!«44 Ich soll Jesus gehören mit Haut und Haaren! Ein größeres Vorrecht als dies gibt es doch gar nicht. Dass das immer wieder auch bezweifelt wird, damit ist zu rechnen. Christen müssen sogar damit rechnen, dass solche Zweifel selbst in ihrer eigenen Mitte aufbrechen. Aber genau mit solchen Zweifeln fertigzuwerden, darauf hat sich der auferstandene Jesus spezialisiert. Gleich nach seiner Auferweckung hat Jesus nicht - wie während seiner ganzen irdischen Wirksamkeit - Heilungen vollzogen. Er hat auch keine besonderen Wunder bewirkt. Vielmehr hat er vor allem Menschen aus ihren Zweifeln herausgeholt: Maria Magdalena und ihre Gefährtin- nen, die Jünger in Jerusalem hinter ihren Verbarrikadierungen und auch die beiden Jünger auf ihrer Flucht aus Jerusalem nach Emmaus, den impulsiven Petrus ebenso wie den Skeptiker Thomas, ja mit Zeitabstand sogar den fanatischen Christenverfolger Paulus. Das war es doch, woran Paulus erinnern wollte, als er die Sätze diktierte: »... ich (habe] die Gemeinde Gottes verfolgt ...Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen« (IKor 15,9f).Das war es doch gewesen, was Paulus als Gottes »Gnade« erfahren hatte: Eigentlich hatte er doch sogar im fernen Damaskus brutal denen den Mund stopfen wollen, die nicht aufhörten zu bekennen: »Jesus lebt, er ist auferstanden!« Aber der auferstandene Jesus ist nun einmal stärker als wir Menschen sind, stärker sogar als ein fanatisch die Auferstehung bezweifelnder und bekämpfender Paulus. Er hat es dahin gebracht, dass nun dieser Paulus selbst im ganzen Mittelmeerraum bekannte: Gott hat diesen Jesus »erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist« (vgl. Phil 2,9). Paulus hatte es am eigenen Leib erfahren: Es gibt keinen Zweifel, der so fest gerastet ist, dass der auferstandene Jesus mit ihm nicht fertig werden kann. Der lebendige Jesus kann den Glauben schaffen: Ich bleibe dabei, ich glaube, dass der für meine Sünden gekreuzigte Jesus Christus auch heute für mich der Erlöser ist! Gott macht Unmögliches möglich Für Gott ist nichts unmöglich. Handgreiflich hat das der Apostel Paulus auch etwa in Korinth erlebt. An Korinth sei gerade im Zusammenhang mit dem gekreuzigten Jesus erinnert. Denn an die Korinther hat der Apostel geschrieben: Ich predige »den gekreuzigten Christus« (IKor 1,23) Rein menschlich gesehen war es für den Boten des Herrn Jesus total unmöglich, in der Welt- und Hafenstadt Korinth für die Sache des Evangeliums Boden gutzumachen. Schon in Athen, der vorausgegangenen Station, war keine Gemeinde entstanden. Dabei hatte es der Apostel in Athen mit Menschen zu tun gehabt, die klug und religiös interessiert waren, allem Neuen gegenüber aufgeschlossen und zum Hören bereit. Trotzdem war es ein Schlag ins Wasser gewesen. Paulus hatte zwar den hörbereiten Athenern eine geradezu vorbildliche, klug konzipierte Evangelisations-Ansprache gehalten. Aber ein wirklicher »Erfolg« hatte sich nicht eingestellt (vgl. Apg 17,20ff.). Welche Chancen sollte es aber dann in der heidnisch und moralisch verseuchten Großstadt Korinth geben? Was sollte der Apostel da noch für Korinth an Einladendem »auf der Pfanne« haben? Was sollte er in Korinth an echtem Angebot »auf die Theke stellen« können? Boten sich irgendwelche Möglichkeiten an? Nein! Menschlich gesehen war die Situation »unmöglich«. Nach nüchternem menschlichen Urteil war Schweigen angesagt, Mund halten! Froh sein, wenn man nicht unangenehm auffällt! »Es sprach aber der Herr durch eine Erscheinung in der Nacht zu Paulus«, so wird uns in der Apostelgeschichte berichtet: »Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Denn ich bin mit dir...; denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt« (Apg 18,9f). »Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich« (Lk 18,27). Schon allein die beiden uns erhaltenen Briefe des Apostels an die Gemeinde zu Korinth sind ein Beweis dafür, dass Gott wirklich auch dafür gesorgt hat, dass ein »großes Volk« in dieser Metropole des Altertums entstand, in diesem Schnittpunkt von Ost und West. Dabei schien es doch geradezu widersinnig zu sein, wie Paulus in Korinth seine Aufgabe anpackte. Er, der sich immer zuerst an die Juden gewiesen wusste (vgl. Röm 1,16), verhielt sich dabei nach menschlichem Ermessen taktisch höchst unklug. Denn »er bezeugte den Juden, dass Jesus der Christus ist« (Apg 18,5). Mitten in der jüdischen Synagoge von Korinth sprach er sofort den für Juden bis heute heikelsten Punkt an. Nämlich dass der von ihnen erwartete Messias (»Christus« heißt das auf Griechisch) gekommen ist und dass er niemand anderes ist als Jesus. Genau dies war doch Jesus in Jerusalem vom obersten jüdischen Gericht abgesprochen worden. Ja, dieses Gericht hatte es als »Gotteslästerung« angeprangert, dass Jesus sich als Christus, als Sohn Gottes bekannt hatte. Wie konnte denn der Apostel so ins Fettnäpfchen treten, wenn er doch gerade Glieder des alten Volkes Gottes überzeugen und sogar »gewinnen« (vgl. IKor 9,20) wollte? Menschlich geurteilt musste er doch genau das Gegenteil erreichen, wenn er den Juden Jesus als Messias bezeugte, als den, an dem Gott Wohlgefallen hatte! Doch noch nicht einmal dies war genug der Provokation. Der Apostel Paulus machte Jesus nicht allein als »Christus« bekannt. Vielmehr »hielt [er] es für richtig«, gerade bei den Korinthern nichts zu wissen »als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten« (lKor2,2). Der also sollte für Juden begrüßenswert sein, der vom »Hohen Rat« als Ketzer ausgestoßene und der von den Römern ans Kreuz gehängte Jesus? Dieser »Gekreuzigte« sollte der Messias sein, der Heiland Gottes, der Herr der Welt? Für jüdische Ohren war das reinste Blasphemie, dreiste Gotteslästerung, ärgerliche Dummheit. Und was sollte es für die Ohren der Nichtjuden »bringen«, für die Ohren der Griechen? Was sollten vornehme Leute anfangen mit einem, der als Verbrecher hingerichtet worden war? Was sollten erst recht die Matrosen, die Hafenarbeiter und vor allem die Sklaven von Korinth damit anfangen, wenn ihnen einer vor Augen gestellt wurde, dem es noch schlechter als ihnen ging? »Cui bono?«, so mussten doch die Römer fragen, zu Deutsch: »Was Solls?« Paulus hätte es - menschlich gesprochen - doch ganz anders anpacken müssen, wenn er Wert darauf legte, Glauben an Jesus zu wecken! Er hätte davon erzählen müssen, dass Jesus Stürme stillen konnte, Krankheiten heilen, Tote erwecken. Er hätte schildern müssen, dass Jesus Hungernde satt zu machen vermochte, dass er so predigen konnte, dass Tausende zusammenliefen und über dem Gehörten das Essen vergaßen. Das hätte doch Interesse wecken können an Jesus, vielleicht sogar Sympathie für ihn. Aber was sollten die Menschen mit einem Gekreuzigten anfangen? Damit war doch kein Staat zu machen. Was sollte es denn »bringen«, wenn dazu noch der Apostel in Korinth auftreten musste »in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern«, ohne einen Funken rednerischen Feuers, ohne eine Spur von geistreicher Redekunst (vgl. lKor2,3f)? Menschlich gesprochen war doch so nichts als Scheitern vorprogrammiert. Zum Glauben an Jesus konnte es so nicht kommen. Unmöglich! Aber »der im Himmel wohnt« (Ps 2,4) hat lachend über dies -menschlich so verständliche - »Unmöglich« gespottet. »Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich« (Lk 1,37). In Korinth hat Gott durch seine göttliche Schöpferkraft Glauben geweckt. Dazu war er nicht auf Menschenweisheit angewiesen (vgl. lKor2,5). Er musste keinen klugen Redner mobilisieren, der vor lauter Vitalität und Selbstsicherheit strotzte. Gott ließ sich in seinem Wirken noch nicht einmal durch einen furchtsamen und vor Schwäche zitternden Paulus bremsen, auch nicht durch dessen offenbar mangelndes Redetalent (vgl. 2Kor 10,10; 11,6). Denn Gott kann mehr tun, als Menschen für möglich ansehen. Was undenkbar zu sein schien, das hat Gott damals in Korinth möglich gemacht. Im Bericht der Apostelgeschichte wird zwar berichtet, dass die Juden »widerstrebten und [sogar] lästerten« (Apg 18,6) und dass Paulus aus der Synagoge gejagt wurde. Aber gleich in den nächsten Sätzen wird auch davon berichtet, dass ein jüdischer Proselyt, im Haus gleich neben der Synagoge lebend, den Apostel aufnahm und dass sogar Krispus, der jüdische Synagogenvorsteher, zum Glauben an den Messias Jesus gekommen ist (vgl. Apg 18,7f). Ein hilfreicher biblischer Zentralsatz »Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich« (Lk 18,27). Das ist ein biblischer Zentralsatz (vgl. IMo 18,14; Jer 32,17.27; Mk 9,23; 10,27; 14,36; Lk 1,37). Man kann ihn auch noch kürzer fassen. Der persische König Darius etwa hat es geschafft mit dem Satz: »[Gott] tut Zeichen und Wunder im Himmel und auf Erden« (Dan 6,28). Gott hat sogar ganz offensichtlich Wohlgefallen daran (vgl. IKor 1,21), das möglich zu machen, was den Menschen unmöglich zu sein scheint, ja was ihnen unrealistisch und unausdenkbar vorkommt. Gott liebt es, das zu tun, was Menschen nicht können, was ihnen unmöglich ist. Mit Gefallen macht Gott exakt das möglich, was Menschen total irreal Vorkommen muss. Das ist so, ganz gewiss. Zwar gibt das keinem Menschen das Recht, Unmögliches bei Gott einzuklagen. Gott ist doch nicht im Wort, um das möglich zu machen, was den Menschen unmöglich ist! Jedoch dürfen schwache Menschen Gott so demütig um das Unmögliche bitten, wie das Jesus im Garten Gethsemane getan hat mit den Worten: »Abba, mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst!« (Mk 14,36; Hervorhebung durch Autor)! So ist der biblische Zentralsatz recht verstanden. Nämlich wenn er nicht als Brecheisen benützt wird. Denn wir dürfen bei Gott das nicht ertrotzen, was wir zwar ersehnen, aber selbst nicht schaffen können. Was uns Menschen als unmöglich vorkommt, das kann Gott möglich machen. Das ist die geheime Grundmelodie all dessen, was in der Bibel geschrieben ist, angefangen von den Schöpfungsberichten bis hin zum Ausblick auf Gottes kommende neue Welt. Dieser Grundakkord kann auf die richtige Fährte führen bei fast allem, was die Bibel berichtet. Und zwar kann sie zu rechtem Verstehen für die Wunder Gottes helfen, aber ebenso auch für die Strafen Gottes. Dem Volk Israel kam es etwa als undenkbar und als wirklich unmöglich vor, was die Propheten wieder und wieder warnend angekündigt hatten. Nämlich dass die Nachkommen Abrahams einmal von Gott verstoßen sein würden und dass Jerusalem zum Trümmerhaufen gemacht würde. Aber bei Gott war sogar dieser Schrecken möglich, dieses Sich-Abwenden von seinem eigenen Volk. Dies Schlüsselwort »alle Dinge sind Gott möglich« hilft, Gottes Wirken in der Geschichte recht zu erkennen und zu verstehen. Denn dass die vermenschlichte und verweltlichte Kirche des Mittelalters noch einmal mit neuem Lehen erfüllt werden könnte, das schien nach menschlichem Ermessen unmöglich zu sein. Jedoch hat Gott genau das durch ein paar schwache Reformatoren möglich gemacht. Dass aber die von Gott mit der Reformation reich gesegnete Volkskirche auch einmal zum Problemfall werden könnte, das haben die Experten stets brüsk von sich gewiesen; denn so etwas sei einfach undenkbar. Aber bei Gott war es möglich, immer wieder, auch heute. Wir können und sollen aus unseren so arg menschlichen Vorstellungen davon herauskommen, was denn Gott tun sollte und was er doch gefälligst bleiben lassen sollte. Gott muss sich nicht nach unseren Vorstellungen richten, erst recht nicht nach dem, was wir für möglich oder gar für sinnvoll und notwendig ansehen. Vor allem will das biblische Schlüsselwort dazu ermutigen, damit zu rechnen, dass wir staunend einige Zipfel von der »Weisheit Gottes« erspähen werden. Normalerweise ist sie »im Geheimnis verborgen« (lKor2,7). Einst hatte schon der Prophet im Auftrag Gottes ausrichten müssen: »...meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege,...sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken« (vgl. Jes 55,8f). Was Gott für möglich, ja für notwendig ansieht, das nimmt sich in den Augen und in der Bewertung von Menschen oft unsinnig aus, ja als unmöglich, unbrauchbar, unfein, ungereimt, unklar, unverantwortlich, unvernünftig, unverständlich. So ist es einst dem Super-Jesusnachfolger Petrus ergangen. Noch einmal sei daran erinnert: Er hatte aus dem Mund von Jesus das Befremdliche, ja unsinnig Scheinende gehört: »Ich muss hinauf nach Jerusalem gehen und dort viel leiden von den Ältesten und Hohepriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und am dritten Tage auferstehen!« Da nahm Petrus seinen Meister beiseite, fuhr ihn an und sprach: Gott bewahre dich, Herr! Das widerfahre dir nur nicht! IJesus] aber wandte sich um und sprach zu Petrus: Geh weg von mir, Satan! Du bist mir ein Ärgernis; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist. Matthäus 16,22-23 Gott selbst wollte also darauf hinaus, Jesus zum »Gekreuzigten« werden zu lassen. Das war »göttliche« Weisheit. Denn der gekreuzigte Jesus ist der Höhepunkt der erbarmenden Liebe Gottes zu den Menschen. Der »Gekreuzigte« ist das deutlichste Erkennungszeichen für die Treue Gottes zur Menschheit. Der am Kreuz sterbende Christus ist der Inbegriff für die Liebe Gottes zur Welt. Dem Apostel Paulus war bewusst: Kein normaler Mensch kann das begreifen! Er hatte es ja vor seiner Damaskus-Stunde am eigenen Leib erlebt. Jene Gestalt, über deren Kreuz die Tafel mit der Inschrift »Jesus von Nazareth, König der Juden« befestigt gewesen war, passte nicht hinein in die Vorstellungen, die Paulus sich von Gott gemacht hatte. Sein Gottesverständnis »tickte anders«. Schon allein der Name »Jesus von Nazareth« hatte ihn auf die Palme gebracht (vgl. Apg 26,9). Aber dann war ihm genau dieser Jesus begegnet, den er verfolgt hatte. Als er jedoch den einst so verhassten Jesus, den Gekreuzigten, als Lebendigen erlebt hatte, wurde bei ihm bis in sein Denken und in seine Gottesvorstellungen hinein alles total anders. Es kann uns fast so Vorkommen, als ob der Apostel den biblischen Schlüsselsatz am liebsten - auf den Kopf gestellt - so formuliert hätte: »Was für Gott wichtig ist und was auch bei ihm möglich ist, das muss den Menschen als unmöglich Vorkommen!« Da- rum - so viel war dem Apostel klar - muss es zu einem radikalen Umdenken und Neudenken kommen (vgl. 2Kor 10,5). Nur wer vom gekreuzigten Jesus aus denkt, kann beginnen, Gott recht zu verstehen. Es wird leider so oft übersehen, dass Jesus das geheimnisvolle Wort gesagt hat: »Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin« (Joh 8, 28). Damit war doch gesagt: »Der mich gesandt hat, ist mit mir« (Joh 8,29), der göttliche »Ich bin« (vgl. 2Mo 3, 14). Deshalb wählte der Apostel auch die Worte, er habe in Korinth »das Geheimnis Gottes« (lKor2,l) verkündigen wollen. Weil es um ein hochheiliges Geheimnis Gottes ging, wollte er es nicht kaputt schwatzen »mit hohen Worten und mit hoher Weisheit... Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten« (IKor 2,1-2). Der Gekreuzigte soll Menschen zum Trost werden »Andern hat [Jesus] geholfen und kann sich selber nicht helfen___Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefal- len an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn« (Mt 27,42f). So haben Menschen am Galgenhügel von Jerusalem gespottet. »Menschlich« war dies ihr Urteil über den Gekreuzigten: Letztlich kann dieser Jesus nichts, auch Gott kann auf ihn verzichten! Er ist eben ein Gotteslästerer, ein Verführer und Betrüger (vgl. Mt 26,65; 27,63. 64). Unter dem Kreuz war jedoch auch ein römischer Haupt-mann. Er fasste seinen Eindruck spontan in die Worte: »Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!« Und seine Leute, die zusammen mit ihm Jesus bewachten, stimmten ihm zu (vgl. Mt 27,54). Das hatte ihnen doch »[nicht] Fleisch und Blut... offenbart« - genauso wenig wie einst dem Jünger Petrus -, »sondern |der] Vater im Himmel« (Mt 16,17). Gottes Geheimnisse kann nur Gott selbst durch seinen Geist erschließen. So ist es nicht nur jenem römischen Centurio ergangen. Auf dem Hügel Golgatha waren auch noch die zusammen mit Jesus hingerichteten Verbrecher. Der eine von ihnen stimmte mitten in seinen Qualen ein in den Spott der Zuschauer: «Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!« (vgl. Lk 23,39) Der andere jedoch wies ihn zurecht: Und du furchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. ...Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Lukas 23,40ff Was ist das für eine seltene Klarheit! Was für eine Demut! Welch eine Ehrlichkeit! Welch großes Zutrauen zum Messias Jesus! Da ist doch nichts anderes wirksam geworden als die »Macht der Stärke Gottes« (vgl. Eph 1,19). Da hat Gott, »der Vater der Herrlichkeit«, einem todgeweihten Übeltäter »erleuchtete Augen des Herzens« (Eph l,17f) gegeben. Rein menschlich betrachtet und gar psychologisch erklärt, konnte man solch ein Bekenntnis doch nie und nimmer von einem Menschen erwarten, der sich wie jener Räuber aus der menschlichen Gesellschaft abgemeldet hatte. Aber was Menschen unmöglich zu sein scheint, das kann Gott möglich machen. Er kann es gerade möglich machen beim Anblick des ohnmächtig festgenagelten Gekreuzigten. In der Bibel wird uns auch noch von Thomas berichtet, einem aus dem engsten Freundeskreis von Jesus. Er hatte den ersten unerwarteten Besuch des auferstandenen Jesus nicht mitbekommen. Er war nicht da gewesen, als Jesus nach seiner Auferweckung aus dem Grab seine Jünger besucht hatte. Der Gekreuzigte soll wieder da sein? Das konnte und wollte er einfach nicht glauben. Vermutlich hatte er nicht damit sein Problem, ob Gott wirklich sogar Tote auferwecken kann. Das hatte er als Gefährte von Jesus mehrfach miterlebt. Vielmehr störte ihn, dass bei Jesus offenkundig die Wundmale seiner Hinrichtung zu sehen sein sollten. Welcher Staat war denn mit einem Delinquenten zu machen? Es war doch unmöglich, mit einem so Blessierten groß herauszukommen! Es ist doch unmöglich, mit dem Bekenntnis zu solch einem unter die Leute zu gehen, dem sie so offensichtlich schrecklich mitgespielt hatten! Aber dann erschien der auferstandenen Jesus »extra« für den Thomas, der - menschlich ach so verständlich - am Gekreuzigten Ärgernis nahm (vgl. Mt 26,31). Ihn lud Jesus zu sich: Komm, reiche doch deinen Finger her, berühre und sieh die in die Handflächen gerissenen Wunden der Kreuzigung. Komm, gib deine Hand her, und lege sie in die klaffende Wunde in meiner Seite, »...sei nicht ungläubig, sondern gläubig!« (Joh 20,27) Es ist nicht berichtet, ob Thomas dieser Aufforderung nachgekommen ist. Er hätte ja durchaus bekennen können: »Gut, jetzt muss selbst ich akzeptieren, dass du eben als ein Gekreuzigter erkennbar bleiben willst!« Stattdessen ist jedoch aus dem Thomas etwas total anderes herausgebrochen. Nämlich der staunende Ruf: »Mein Herr und mein Gott!« (Joh 20,28) Das meinte doch: Ich sehe mit meinen Augen, wie schmählich man mit dir umgegangen ist. Aber ich sehe zugleich Gottesherrlichkeit, Gottesvollkommenheit, Gottesglanz, Gotteswürde! Nicht abstoßend, nicht schreckend! Sondern das alles tröstlich für mich! »Mein Herr und mein Gott!« Gott kann also auch bei Zweifelnden möglich machen, was eigentlich nach menschlichem Ermessen unmöglich ist. Gerade im Ansehen des Gekreuzigten kann Gott solche Freude am Christus Jesus möglich machen: »Mein Herr und mein Gott!« Und wenn mir gleich mein Herz zerbricht, so bist doch du mein Zuversicht, mein Teil und meines Herzens Trost, der mich durch sein Blut hat erlöst.45 Mit solchem Wunder Gottes hat der Apostel Paulus überall dort gerechnet, wo er Menschen »Jesus Christus [als den Gekreuzigten] vor die Augen gemalt« hatte (Gal 3,1). Denn er hatte - wie fast 1 800 Jahre später der schwäbische Erweckungsprediger Ludwig Hofacker - die Erfahrung gemacht: Menschen werden dort angezogen, nicht abgestoßen, wo man den gekreuzigten Jesus verkündigt und wo man sich also seiner nicht schämt. Denn dort will Gottes Geist kraftvoll darauf hinwirken, dass Menschen zum Glauben an diesen Jesus kommen (vgl. IKor 2,4f). Zu einem Glauben nämlich, der Bestand hat. Denn er ist nicht durch ein rhetorisches Feuerwerk ausgelöst. Er muss darum auch nicht einem rasch in sich zusammenfallenden Strohfeuer gleichen, sondern es wird von diesem Glauben gelten: Er besteht »auf Gottes Kraft« (IKor 2,5). Gottes Kraft überwindet das menschliche »Unmöglich!« Es ist menschlich so verständlich, wenn gesagt wird: »Die Christen mit ihrem Kreuzeszeichen gehen mir auf die Nerven. Denn der Gekreuzigte geht mich absolut nichts an! Mit dem habe ich nichts zu tun und will es auch nicht!« Es war mir ein Aha-Erlebnis, als vor einer Operation der fähige und tröstliche ärztliche Freund erklärte: »Der menschliche Körper reagiert auf jeden noch so hilfreich gemeinten Eingriff mit Abwehr wie auf einen Angriff!« Es gehört wohl ähnlich zum menschlichen Wesen, dass es sich gegen eine übernatürliche Rettungsaktion sträuben muss. Es widerstrebt der menschlichen Selbstbehauptung, einen Retter brauchen zu müssen - dazu noch einen, der von ganz außerhalb unserer Welt kommt und dessen Rettungsstil menschlichem Denken und irdischer Erfahrung fremd ist. So kommt es zu den vielen dem Verstand einleuchtenden und darum ach so »vernünftigen« Einwänden. Erst wenn »der Gott unseres Herrn Jesus Christus« das Wunder tut, dass er »erleuchtete Augen des Herzens« gibt (vgl. Eph 1, 17f), wird vieles an der so befremdlich scheinenden göttlichen Rettungsaktion stimmig. Die Ablehnung des Kreuzesgeschehens ist menschlich verständlich. Es macht sogar Sinn - gemessen an all unserer menschlichen Erfahrung. Ist denn der Gekreuzigte etwas anderes als eine Gestalt von »anno dazumal«? Caesar und Cicero haben normalerweise für das heutige Leben der Menschen keinerlei Bedeutung mehr! Aber dann kann es geschehen - so habe ichs miterlebt sogar bei einem Menschen, der Jesus, Bibel, Glaube und Gebet schon längst auf die Seite geschoben hatte -, dass solch ein Mensch plötzlich unversehens auf das Jesus-Wort stößt: »In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden« (Joh 16,33). Und mit einem Mal spürt ein Mensch: Hinter diesem Wort steht keiner, der nur von vorgestern ist, sondern es ist, als ob unsichtbar, aber real der mir nahe ist, der am Kreuz die Welt überwunden hat - die Welt mit all ihrem Lebensdurst und auch mit ihren Rachegedanken und mit ihrem Klagen. Er hat - gerade als Gekreuzigter - die Welt überwunden und will nun auch mich dabei mitnehmen. Bei vielen heißt es: »Es ist doch einfach undenkbar und eben auch unmöglich, dass Gott sich um einzelne Menschen kümmert! Was sind wir denn schon!? Wir sind doch für Gott, wenn er vom Himmel auf die Erde schaut, noch weit weniger als eine Made in der Käserinde!« (Nur nebenbei seis gesagt: Seitdem mir ein Navigationsgerät als Hilfe für meine weiten Fahrten geschenkt wurde, treiben mich diese Zweifel nicht mehr um. Wenn es schon ein kleines Kästchen fertigbringt, im Kontakt mit einem irgendwo im Weltraum schwebenden Satelliten mich punktgenau zu lokalisieren und mir hilfreiche Weisungen klar zu geben, dann wird es erst recht Gott ein Kleines sein, sich um mich kleines Menschlein zu kümmern, mich hilfreich zu leiten und mich auf eigenen Fehl wegen zu stoppen.) Vor allem kann Menschen bewusst werden: Dieser Jesus ist doch extra zu uns Menschen gekommen, die wir uns so unsere eigenen Vorstellungen über Gott machen. Er wollte uns wissen lassen, wie es wirklich mit Gott ist, wie er über uns denkt, wie er zu uns steht, wer ihm wichtig ist und worauf er aus ist. An diesem Jesus ist deutlich geworden, dass ihm einzelne Menschen, einzelne bedürftige Menschen, wichtiger waren als große Versammlungen. Sogar als es ihm selbst ans Leben ging, hat er das durchgehalten. Sogar als gemarterter Gekreuzigter hat er für die römischen Henkersknechte gebetet. Der Gekreuzigte hat daran gedacht, dass der Jünger Johannes nun Verantwortung für die Mutter Maria übernehmen soll. Der Gekreuzigte war bereit, den mit ihm gekreuzigten Verbrecher auch mit sich in die Welt Gottes zu nehmen. So ist Gott! Jeder einzelne Mensch hat vor Gott unendlichen Wert! Was Menschen unmöglich scheint, das ist bei Gott möglich. »Es ist unmöglich«, so sagt die menschliche Vernunft, »dass es Vergebung geben soll für alles Gemeine und Verpfuschte meines Lebens, bloß weil sich da einer vor bald 2000 Jahren kreuzigen ließ!« So sagte es auch die Tante, die zum Konfirmandenabendmahl ihres Neffen mitging, »eben weil es so Sitte ist«. Aber dann hörte sie die längst vergessen scheinenden Worte: »Mein Leib und mein Blut ist für euch und für die Vielen gegeben zur Vergebung der Sünden«, und es traten ihr die Tränen in die Augen; denn sie empfand elementar: Das ist Wahrheit! Das ist Wahrheit, die stärker ist als mein Einspruch: »Das gibt’s ja gar nicht!« »Unmöglich« sei es, so hat selbst der Gottesleugner Rousseau vertreten, dass nicht irgendwann einmal alles Gute belohnt und alles Böse bestraft würde. Unter dem Marterpfahl des Gekreuzigten wurde jedoch offenbar, dass diese schlichte Vermutung nicht stimmt. Denn Gott kann maßlos traurig sein auch über Menschen, die sich unfehlbar fromm Vorkommen und die wähnen, vorbildlich gut zu sein. Dagegen hat der Gekreuzigte bei Gott für die Menschen um Vergebung gebeten, die ihm unbeschreibliches Leid zugefügt hatten (vgl. Lk 23,34). Ihm war es wichtiger als das Aushaltenkönnen von grässlichen Schmerzen, einen wirklich Bösen in die Welt Gottes mitzunehmen, der ihn darum gebeten hatte. Was Menschen als unmöglich vorkommt, das ist bei Gott möglich. Gerade am Gekreuzigten kann Gott das bis heute Menschen bewusst machen. Es ist doch unmöglich, so raunt uns unser menschliches Gerechtigkeitsgefühl zu, dass Gott - wenn es wirklich einen Gott geben sollte - tatenlos bei allem Bösen auf dieser Welt zusieht. Gott, wenn es ihn wirklich geben sollte, der müsste doch schon längst dazwischengegangen sein, um all das Böse zu stoppen und alle Gehässigkeit zu bestrafen! Aber was Gott möglich ist - und was auch seinem heiligen Sohn möglich war - nämlich alles scheinheilig praktizierte Unrecht zu erleiden und nicht strafend dreinzuschlagen -, das hat keiner deutlicher gemacht als der Gekreuzigte. Er hat leidend deutlich gemacht, dass er als der Sohn Gottes nicht gekommen ist, die Welt zu richten, sondern dass die Welt sich durch ihn retten lässt (vgl. Joh 3,17). Dies alles - und noch vieles mehr - lässt Gott Menschen voll Staunen und zu ihrem Trost erkennen, wenn sie sich - geradezu meditierend - hineinvertiefen in das, was ihnen mit dem gekreuzigten Jesus gegeben ist. Dabei werden sie erfahren: Gott kann »möglich« machen, was für Menschen »unmöglich« zu sein scheint. Gottes Kraft ist stärker als alles menschlich-vernünftige Veto: »Das gibts ja gar nicht!« Bei Gott wird anders gedacht, als wir Menschen normalerweise denken. Am gekreuzigten Jesus kommt das so deutlich wie sonst nirgends heraus. Was soll die Redeweise »Es kommt heraus«? Es sollte doch nicht nur etwas »herauskommen«, sondern es sollte eine neue Kraft und eine neue Bewegung in die schrecklich müde Christenheit hineinkommen. Wenn nämlich der gekreuzigte Jesus immer mehr zum Zentrum des Glaubens wird, dann will Gott seine ganze Kraft mobilisieren. Diese Kraft Gottes zieht uns in seine Welt hinein, in sein Denken, in seine Möglichkeiten. Aus diesem Grund hielt der Apostel es für richtig, nichts anderes wissen und verkündigen zu wollen »als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten« (IKor 2,2). Sogar ein langes Leben reicht nicht aus, um all das Wichtige zu erkennen, was Menschen am gekreuzigten Jesus haben können. 7. Jesus bleibt die Hauptsache Jesus - »für uns alle clahingegeben« Beeindruckend ist ein Rembrandt-Gemälde in der Staatsgalerie Stuttgart: Gezeigt wird der greise Apostel Paulus. Vor sich hat er einen Packen Schreibpapier, in der Hand den Schreibgriffel. Jedoch ist er nicht am Schreiben. Vielmehr ist er offensichtlich am Nachsinnen. Er wollte durch den Geist Gottes für sich selbst immer neue Aspekte des Jesus-Geschehens erschlossen bekommen. Er selbst wollte durch den Geist Gottes, der Jesus »verherrlicht« (Joh 16,14), Spuren zum Kreuz erkennen. Der »Geist der... Offenbarung« (Eph 1,17) sollte ihm bisher noch nicht Erkanntes erschließen. »Durch Offenbarung« wollte er Einblicke bekommen in das »Geheimnis Christi« (Eph. 3,3f), in den »unausforschlichen Reichtum Christi« (Eph 3,8). Aber dann sah der Jesus-Bote seine Aufgabe vor allem auch darin, das Geheimnis des Christus zu verdolmetschen. Dies ließ ihn nicht ruhig werden. Bis in schlaflose Stunden hinein gingen die Fragen mit ihm: Wie kann ich es klarmachen? Wie kann ich Menschen das nahebringen, was doch dem normalen Menschen nicht in den Kopf hineingehen will, wogegen sich der Mensch aller Zeiten sperrt? ln immer neuen Anläufen versuchte dieser Bote Gottes, das Christus-Geheimnis recht zu sagen (vgl. Kol 4,3). Er war darauf aus, immer noch verständlicher, noch anschaulicher, noch einleuchtender den gekreuzigten Jesus vor Augen zu stellen. Unermüdlich hat er immer wieder neu einen Anlauf genommen, anschaulich und verstellbar zu machen, was denn Gott in Jesus Christus erlösend getan hat. Paulus hat Formulierungen von Jesus aufgenommen und bekannt gemacht: Was bei Jesus hieß »Gott schafft Recht« (vgl. Lk 18,7), lautete bei Paulus »Gott macht gerecht« (vgl. Röm 3,26.30). Paulus hat aber auch Bilder der alttestamentlichen Propheten aufgenommen und neu zum Leuchten gebracht: Jesus hat uns »frei gemacht« (Röm 8,2), also losgekauft, Gott »hat Frieden gemacht« (vgl. Eph 2,15), in Jesus hat Gott uns an Kindes statt angenommen (vgl. Eph 1,5), er hat uns »gereinigt« (vgl. Tit 2,14), er hat den gegen uns ausgestellten »Schuldbrief getilgt... und an das Kreuz geheftet« (Kol 2,14). Bei solchem Übersetzen dachte Paulus nicht nur ans sachgemäße Verdolmetschen. Seelsorgerlich dachte er offensichtlich auch an Menschen, die mit ihrem Leben ins Zittern gekommen waren, in Ängste, auch in Zweifel an Gott. Er dachte - gerade im achten Kapitel des Römerbriefs ist das ganz deutlich - an Menschen, die fragten: »Wo ist denn der liebe Gott? Wir sehen nur Trübsal, Angst, Verfolgung, Kriege, Krankheit. Wir haben das eigene Sterben vor Augen. Wo bleibt denn bloß Gott? Woran sollen wir denn das ablesen können, dass er uns nicht vergessen hat?« Hinein in solches Fragen wollte Paulus sagen, was wir an Jesus haben und an seinem himmlischen Vater. Darum sind ja auch diese uns aus alten Tagen überlieferten Schriften so brandaktuell, weil auch uns diese Fragen - erst recht in diesen Tagen der weltweit aufgebrochenen Ängste - umtreiben. Es sieht doch so aus, als ob alles aus den Fugen geraten wäre. Man kann den Eindruck haben, dass Gott der Welt den Rücken zugekehrt habe. Vielleicht lässt er wirklich unsere Menschheit, die ihn nicht haben wollte, auch einmal spüren: »Dahin also kommt ihr ohne mich!« Aber woran sollen und wollen denn wir - die Gemeinde des Christus Jesus - es ablesen, dass mitten in all dem Durcheinander noch gilt: »Gott ist für uns«? Für so angefochtene Leute wollte Paulus ein verlässliches, überzeugendes, tragfähiges Wort haben, zu dem der Geist Gottes »ja« sagen konnte. Darum haben weder Paulus noch die anderen Apostel in den letzten Winkeln ihres Gehirns nach einem Vergleich aus unserer menschlichen Erfahrungswelt gesucht, etwa: »Jesus - ein tröstlicher Brief Gottes«. Oder: »Jesus ist wie ein belebender Tau.« Oder: »Jesus ist wie ein hilfreicher Freund«, sondern sie haben die Bibel Israels aufgeschlagen, die »Schrift« (auf dem Bild von Rembrandt ist ja genau dies dargestellt). Sie haben sich an biblisch bezeugte Vorgaben gehalten. Dabei wurde Paulus der Bericht von der Opferung Isaaks ganz wichtig (vgl. IMo 22). Diesen alten Bericht hat Paulus deshalb aufgenommen, weil mit ihm das Stichwort zusammenpasst: »nicht verschont..., sondern... dahingegeben« (Rom 8,32; vgl. mit IMo 22,12.16). Gott hat seinen Sohn nicht verschont Bei seinem Sinnen über der Bibel ist dem Apostel aufgegangen: Was Gott mit Jesus getan hat, das ist doch so ähnlich wie damals bei Abraham. Auch Abraham war bereit, im Gehorsam gegen Gott seinen Sohn zu opfern. Das war zwar damals ähnlich, aber eben doch noch einmal ganz anders. Drei entscheidende Unterschiede sind es, die der Apostel Paulus darlegt. Mit ihnen macht er das ganz Besondere am Kreuzestod von Jesus deutlich, denn: 1. Damals hat Gott den Abraham, also einen Menschen, getestet: Ist dein Zutrauen zu mir, deine Liebe zu mir auch wirklich ganz echt? Ist sie belastbar? Wärest denn du wirklich bereit, das Beste, das Unverzichtbarste, für mich herzugeben? Könntest du etwa den Sohn »dahingeben«, den dir als das Wunder deines Lebens anvertrauten Sohn, auf den du so viel gebaut hast? Wärest du bereit, ihn um meinetwillen herzugeben? Das war damals bei Abraham der Test. Uns jedoch wird Gott solch einen Test nicht zumuten; denn bei uns gäbe es nicht viel zu testen. Es ist doch offenkundig, dass uns Gott letztlich nicht das Höchste, das Beste ist. Vielmehr sind wir nur zu schnell skeptisch gegenüber Gott. Es ist so »mensch- lieh«, Gott kritisch in Frage zu stellen. Man braucht nicht viel Gehirn, um geradezu rebellisch und vermessen zu fragen: »Lieber Gott, wo bist du denn? Was tust du denn? Ist denn auf dich Verlass?« Nein, Gott testet nicht uns, weil er uns nicht erst lange zu testen braucht. Vielmehr setzt sich Gott selbst einem geradezu ungeheuerlichen Belastungstest aus, um unser Zutrauen zu ihm zu stärken. Denn wir Menschen haben doch so unsere Fragen, ob Gott denn wirklich da ist und ob er wirklich für uns ist. Dafür hätten wir gerne einen verlässlichen, klaren Beweis. Wir wähnen, Gott müsste sich vor uns als verlässlich ausweisen. Eigentlich ist das in höchstem Maß vermessen. Aber Gott ist sogar auf diese Skepsis eingegangen. Er hat uns ein unüberbietbares Garantiesignal gegeben. Einen nicht mehr zu überbietenden Anhalt hat Gott uns Menschen gewährt. »Denn also hat Gott die Welt geliebt« - die ganze rebellische Menschenwelt -, »dass er seinen eingeborenen Sohn gab« - in diese Welt hineingab - und ihn ihr, der ihn bis heute ablehnenden Welt, dahingab (Joh 3,16). Für uns alle! Uns zugute, uns im Auge und im Herzen habend. Nicht um sich selbst zu besänftigen. Nicht weil er - wie heute immer wieder blasphemisch nachgeschwatzt wird - »auf Blut stand« und also »nach einem Opfer dürstete«. O nein, nicht »für sich«, sondern er hat seinen Sohn dahingegeben, weil er für uns Endgültiges und Verlässliches festlegen wollte: »[Gott] hat ihn für uns alle dahingegeben« (Röm 8,32; Hervorhebung durch Autor)! 2. Der zweite große Unterschied besteht darin: Letztlich wurde damals bei Abraham nur die Bereitschaft getestet: Wärest du ernsthaft bereit, meinetwillen so etwas zu tun, solch ein Opfer zu bringen? Ist deine Liebe zu Gott dir wirklich noch mehr wert als deine Liebe zum anvertrauten Sohn? Am Ende jedoch wurde von Abraham nicht verlangt, die Opferung zu vollziehen (Theologen lesen daraus nichts als die Ablösung des Menschenopfers heraus). Sich selbst legte Gott jedoch die Last auf, das herzzerreißende Opfer zu bringen, real zu handeln, Entscheidendes zu tun, Unwiderrufliches zu wirken. Als Gott seinen Sohn in die Welt hineinsandte, da riss er sich den Sohn vom Herzen. Mehr noch: Er gab ihn dahin. Er hat ihn »preisgegeben« an eine mitleidlose Welt. Gott hat seinen von Ewigkeit her zu ihm gehörenden Sohn einer brutalen, gottlosen Welt in den Rachen geworfen, »dahingegeben«. Er hat ihn — um einmal drastische Landser-Sprache zu gebrauchen - »verheizt«, »unter die Räder kommen lassen«, »in den sicheren Tod gejagt«. Es war kein Himmelfahrtskommando, sondern ein »Höllenfahrtskommando«, als es wahr wurde: »Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat« (Rom 8,32). »Nicht verschont!« Damit bei uns das Entscheidende anders werden kann. 3. Wir alle sollten Entscheidendes begreifen. Es ist diese Erzählung nicht nur ein Bericht von einst. Sondern wir alle sollen heute Entscheidendes in Anspruch nehmen, »...für uns alle |hat Gott seinen Sohn] dahingegeben« (Röm 8,32; Hervorhebung durch Autor). Von Christen sollte erkannt werden können: Das ist weit mehr noch als nur ein Signal, mehr als nur eine göttliche Goodwill-Erklärung. Es ist auch mehr als nur eine geklärte Testfrage. Denn da ist etwas, das wir in Anspruch nehmen können und auch sollen. Es ist etwas in Kraft getreten, als Gott diesen Sohn dahingegeben hat. Der Apostel Paulus hat, in der Schrift forschend - so stellt es ja auch das Rembrandt-Gemälde dar -, die Abrahamgeschichte durch die Brille des Propheten Jesaja gelesen, die Wortwahl macht es deutlich. Paulus hat Bezug genommen auf die große prophetische Ankündigung von Jesaja 53. Diese vielgestaltige Ankündigung hat der Apostel komprimiert in den einen Satz: »Für uns alle dahingegeben«. Als Gott seinen Sohn für uns dahingegeben hat, da hat er Entscheidendes in Kraft gesetzt. Jetzt gilt, was von Jesaja nur angekündigt gewesen war: Der ist da, der die Sünden der Vielen trägt, der Sündern Gerechtigkeit schafft. Der ist für uns da, abrufbar! So wollte es der Apostel den Menschen - bis hin zu uns heute - anschaulicher machen, verstehbarer. Trotzdem hat auch er damit gerechnet, dass der »natürliche Mensch ... nicht erkennen [kann]« (IKor 2,14). »Was die Vernunft nicht fassen kann, bietet dir Gott in Gnaden an«46 (Christian Ludwig Scheidt, 1709-61). Um die neunte Stunde »...von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? ...Jesus schrie abermals laut und verschied« (Mt 27,45 f.50). Wenn im Ulmer Münster am Karfreitag diese Sätze aus dem biblischen Passionsbericht verlesen wurden, dann folgte nur noch eine ergreifende Stille. Schließlich erklangen in die Stille hinein einige tiefe Anschläge der Sterbeglocke, der Dome-nica, von der Glockenstube hoch oben im Münsterturm. Seit Jahrhunderten wurde es so Jahr um Jahr gehalten - und viele warteten schon auf diese tief bewegende Stunde. Dabei war es nur eine Erinnerung an jene nicht wiederholbare, einzigartige Stunde, damals auf dem Galgenhügel von Jerusalem. Jene Stunde war es, die es in sich hatte. Es war eine Stunde, die Gott selbst bestimmt hatte. Wenn es nach Menschen gegangen wäre, dann hätten sie sicher Jesus schon lange zuvor eliminiert, aus dem Weg geräumt, erledigt. Aber Gott hatte bis zu dieser Stunde alle Versuche ausgebremst, Jesus ans Messer zu liefern. Immer wieder, geradezu stereotyp, heißt es in den Berichten über Jesus: »[Sie] suchten... ihn zu ergreifen; aber...seine Stunde war noch nicht gekommen« (Joh 7,30; vgl. Joh 7,6.8; 8,20 mit 10,39). Jetzt jedoch galt: »...die Stunde ist da« (Joh 17,1; vgl. mit Mk 14,41; Joh 13,1; 16,32). Es war die Zeit und Stunde, da Jesus wie ein »Weizenkorn ... in die Erde« fiel und erstarb, um »viel Frucht« zu bringen (Joh 12,24). »Gottes Stunde« war gekommen. Wenn überhaupt irgendein Ereignis den Begriff »Gottesstunde« verdient, dann war es diese. In ihr wurde Jesus »durch Gottes Ratschluss und Vorsehung dahingegeben ... [und] durch die Hand der Heiden ans Kreuz geschlagen und umgebracht« (Apg 2,23). Gott wurde in jener Stunde fertig mit der geballten Macht menschlicher Finsternis. Diese Macht der Finsternis gab es ja -und wie! Im Garten Gethsemane hielt Jesus seinen Häschern entgegen: »...dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis« (Lk 22,53). Seit der Erschaffung der Welt will und kann Gott sein Licht voll strahlender Herrlichkeit exakt dort aufstrahlen lassen, wo alles wüst, leer und finster ist. Darum hatte Jesus gebeten: »Vater, die Stunde ist da: verherrliche deinen Sohn___verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war« (Joh 17,1.5). Erhört wurde dies Gebet noch in derselben Stunde. Da wurden einem römischen Centurio, ja sogar einem am Kreuz hängenden Schwerverbrecher die Augen dafür aufgetan: Der da am Kreuz hängt, der ist ein frommer Mensch, ja Gottes Sohn, einer also, der »in sein Reich« geht. Auf dies Ziel des Heimkommens zum Vater war Jesus zielstrebig in jener Gottesstunde zugegangen, nicht nur auf das Sterben! »... seine Stunde [war] gekommen, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater« (Joh 13,1). Die vorausgegangene Stunde war abgeschlossen, die Gottesstunde der besonderen Wunder, Heilungen und Zeichen. Für sie hatte sich Jesus einst die Einsatzbefehle vom himmlischen Vater selbst geben lassen. Auf der Hochzeitsfeier zu Kana war es noch nicht so weit gewesen. Damals hatte Jesus seine Mutter Maria befremdlich brüsk wissen lassen: »Was geht’ s dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen« (Joh 2,4). Aber danach hatte Jesus von Gott den Befehl bekommen, zeichenhafte Wunder zu tun. Durch sie sollte signalisiert sein: »...der Vater [istj in mir und ich in ihm« (Joh 10,38; vgl. mit 5,36; 10,25; 12,37). Als Gott die Stunde dafür eingeläutet hatte, öffnete Jesus Blinden die Augen, machte Lahme gehfähig, Aussätzige rein. Das alles geschah in jener besonderen Gottesstunde der zeichenhaften Wunder. Aber auch diese Stunde hatte ihre Zeit gehabt. Auf sie schaute Jesus Christus zurück: »[Vater, ich] habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue« (Joh 17,4). Es war jedoch kein Rückblick gewesen wie bei einem, der sich nach getaner Arbeit auf den wohlverdienten Feierabend freut. Vielmehr war es wie ein Innehalten eines Bergsteigers vor dem eigentlichen letzten Gipfelsturm. »Die Stunde ist da!« In dieser so ganz besonderen Stunde galt nur noch: »Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen« (Mt 27,42; vgl. mit Lk 23,35ff.). Jetzt zählte nur noch, was schon der Täufer Johannes prophetisch angekündigt hatte: »Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!« (vgl. Joh 1,29.36) Bis heute ist und bleibt dies das Entscheidende an Jesus, dass er schuldig gewordenen Menschen nicht den Rücken zukehrt, sondern dass er gerade für sie Rettung und Gemeinschaft bereit hat. Das hat damals in jener Stunde begonnen. Das wurde in jener Stunde in Kraft gesetzt. Für diese eine Stunde hat sich Gott all die Mühe gemacht -all die Mühe mit der außer Kontrolle geratenen Welt, die Mühe mit dem Entsenden seiner Propheten, auch die Mühe des Wer-bens um Israel, vor allem aber dann mit der unvergleichlichen Rettungsaktion, als Gott seinen Sohn als den Heiland Jesus in unsere Welt hinein entsandte. Diese eine Stunde war gemeint, als Jesus betete: »Vater, die Stunde ist da« (Joh 17,1). Um diese eine Stunde ging es in all dem hoheitsvollen göttlichen Schaffen und Wirken Gottes quer durch die unerforschlichen Räume der Jahrtausende, ja der Jahrmillionen. In jener Stunde hat Gott Schluss gemacht mit seinem Jahrhunderte währenden geduldigen Warten darauf, dass es in Israel »Frucht« geben wird. Gott hätte es so gerne gehabt, dass doch Israel endlich tatsächlich Gott gehorsam werden und auf diese Weise das Himmelreich gewinnen würde. Damit sollte Israel ein Vorbild sein für die anderen Völker, ja ein Anreiz für sie. In jener Stunde jedoch hat Gott unter dies sein heiliges, sein erschreckend vergebliches Warten einen Schlussstrich gezogen. In jener Stunde hat Gott einen neuen Weg zum Heil in Kraft gesetzt, einen total anderen Weg. Seit jener Stunde gilt nämlich: Gott wartet nicht länger darauf, dass Menschen das Rechte ergreifen und tun. Vielmehr will er selbst Recht schaffen. Er selbst will sündig gewordene Menschen in seine eigene Gerechtigkeit einhüllen. Gott will Menschen gerecht machen. Er möchte Glaubende so mit Jesus verbunden sein lassen, dass sie an der Gerechtigkeit von Jesus Anteil haben. Das soll der neue Weg zum Heil sein: Verbunden mit Jesus sollen Menschen eingehüllt sein in die Gerechtigkeit von Jesus. Darum ging es Jesus in jener Stunde. Gleich an ihrem Anfang hat Jesus proklamiert: »Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein« (Joh 17,21). Und da fragen Menschen noch: »Was hat man denn eigentlich vom Glauben?« Seit jener Stunde können Menschen, die sich nach Erlösung von ihrer Schuld und von all ihrer Unvollkommenheit sehnen, aufatmend gelten lassen: Mein Heiland ist Jesus! Ihm gehöre ich! »Meine Schuld kann mich nicht drücken, denn du hast meine Last all auf deinem Rücken«47! Zu solcher Gewissheit sind Menschen seit jener Stunde eingeladen. Diese Stunde hatte es also »in sich«! Zwischen der Erschaffung des Universums und dem zukünftigen Anbrechen der neuen Welt Gottes gab und gibt es nichts, das wichtiger, entscheidender, von Gotteskraft und von Gottesliebe erfüllter sein könnte als das Sterben des Gottessohnes Jesus. Das Entscheidende im Christenglauben hat mit dieser Stunde zu tun. Alles kommt auf das an, was damals in jener Stunde in Kraft getreten ist. Für alles andere, was sonst an Stellungnahmen und Ratschlägen von der Kirche erwartet wird, gilt doch: »Wegen diesem allem hätte Jesus doch eigentlich nicht sterben müssen!« Was die Jesus-Leute der Menschheit an »guter Nachricht« zu vermitteln schuldig sind, das ist entscheidend im Geheimnis dieser einen Stunde beschlossen. Es war jene Stunde des Sterbens von Jesus, die es »in sich« hatte. Sie ist es, die entscheidende Auskunft darüber gibt, was auch in unseren Tagen so manches Mal angezweifelt wird: Ja, es gibt den »Gott der Liebe«; denn er hat dafür gesorgt, dass niemand verloren bleiben und ewig »zum Teufel gehen« muss. Die ganzen Zweifel am stellvertretenden Sühnetod von Jesus sind letztlich nichts anderes als Zweifel daran, dass es eine ewige Verlorenheit gibt. Zugegeben: Das ist auch für menschliches Denken schwer vorstellbar. Aber es war zum Beispiel auch bis vor kurzer Zeit total unvorstellbar, dass einmal das ganze Finanzsystem der Welt ins Wanken geraten, ja zusammenbrechen könnte. Aber heute ist das reale Möglichkeit, kein unverantwortlich an die Wand gemaltes Schreckgespenst. Der Jesus, der uns vor dem ewigen Verlorensein retten will, der hat uns mit der Verlorenheit kein Schreckgespenst an die Wand gemalt. Vielmehr hat er selbst erlitten, wie schauerlich es ist, von Gott verlassen zu sein. Daraus zu erretten, dazu ist Jesus in die Welt gekommen (vgl. Mt 1,21), dazu ist er auch in jene Stunde gekommen. Die Christenleute haben ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht, solange sie nicht noch viel intensiver als bisher sich vom Geist Gottes Einblicke geben lassen in das Gottesgeheimnis, das in jener Stunde geradezu komprimiert ist. Ihnen können doch die Augen dafür aufgehen - und wenn es auch nur einen Spalt weit ist! -, was Menschen seit jener Stunde Jesus glaubend Zutrauen können. Wenn das Begreifen an ein Ende kommt Prälat Christian Römer (1854-1920) hat in einer seiner letzten Predigten von der Kanzel der Stuttgarter Stiftskirche bekannt: Ich habe das Geheimnis des stellvertretenden Leidens von Jesus noch nie verstanden. Aber ich lasse es mir vom Gekreuzigten sagen: »Meinen Frieden gebe ich euch!« Jesus hat seinen Leib und sein Blut auch für mich gegeben zur Vergebung der Sünden! Das lasse ich mir gelten!48 Von diesem Frieden Gottes heißt es einmal in der Bibel, er sei »höher... als alle Vernunft« (Phil 4,7). Er übersteigt alles noch so beachtliche menschliche Erkenntnisvermögen. Die in Christus konzentrierte Liebe Gottes »[übertrifft] alle Erkenntnis« (Eph 3,19). In unsere begrenzte Denkfähigkeit lässt sich die höhere Weisheit Gottes nicht hineinzwängen. Darum wird sich menschlicher Verstand gar nie in die geheimnisvolle Weisheit Gottes fügen können. So konnte auch bis zum heutigen Tag kein noch so kluger Kirchenvater oder auch Theologe plausibel machen, warum Gott mit der Erhöhung seines Sohnes an das Kreuz die Welt mit sich selbst »versöhnt« haben soll (vgl. 2Kor 5,19). Trotzdem braucht niemand kopfscheu zu werden, der den die Welt liebenden Gott nicht zusammen zu denken vermag mit dem Sohn Gottes am Kreuz. Denn jeder Mensch kann damit rechnen: Gott ist es, der durch seinen Geist auch mich zu staunendem Erkennen bewegen kann - zum Staunen selbst über das, was so vielen als wirres Zeug vorkommt, was so viele denunzieren als unlogisches Denken, was sie abtun als unannehmbare Vorstellungen, ja als garstige Karikatur Gottes. Niemand von uns muss verständnislos bleiben. Denn Gott ist darauf aus, Menschen durch seinen Geist - wie durch ein zusätzliches Sinnesvermögen - Erkenntnis zu öffnen. »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben. Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist« (IKor 2,9f). Dafür hat sich Jesus in jener Stunde bei seinem Vater betend eingesetzt; denn er wusste, dass eigentlich jeder normale Mensch als ärgerliche Volksverdummung ansehen muss, was in jener Stunde in Kraft gesetzt wurde. So ist es uns von jener Stunde als Gehet von Jesus berichtet: «Vater, die Stunde ist da: verherrliche deinen Sohn! ...Vater, verherrliche du mich ... mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war« (Joh 17,1.5). Damals bei der Schöpfung wurde die Lichtfülle Gottes nicht vom Chaos der Dunkelheit verschluckt. Vielmehr strahlte sie sieghaft in finsterste Winkel hinein. So kann auch jetzt über dem gekreuzigten Jesus und über allem Verschlossensein des menschlichen Verstandes die Herrlichkeit Gottes sich durchsetzen. Das ist es, was seit jener Stunde geschieht. Das ist es, was das Gebet von Jesus seit jener Stunde in Kraft gesetzt hat. Die Herrlichkeit Gottes soll über Jesus erkannt werden, gerade über dem gekreuzigten Jesus. Die Choräle und geistlichen Lieder der Christenheit sind ebenso wie viele ihrer Gebete voll von Bildern, Begriffen und Assoziationen, die Christenmenschen durch den Geist Gottes erschlossen wurden, als sie sich in vertrauensvoller Erwartung dem an das Kreuz erhöhten Jesus zuwandten. Meist haben sie dabei Durchblicke und Deutungen aufgenommen, wie sie schon den Aposteln des Neuen Testamentes gewährt worden waren. Sie alle kreisen um den einen göttlich gesetzten Tatbestand: Das gewaltsame Sterben von Jesus geschah, weil Gott es so wollte und weil er es so ins Werk setzte. Für uns Menschen ist damit Rettendes in Kraft getreten. Sündige Menschen sollen im Glauben an Jesus zum ewigen Leben erlöst werden können. Ich musste alt werden, bis sich mir so viele biblische Puzzlestücke plötzlich zusammenfügten und Konturen jener großen Gottesstunde erkennen ließen. Dazu geholfen hat mir auch ein »Zwischenruf« des Philosophen Eugen Rosenstock-Huessy. Er hat sich im Blick auf liberale Theologen geäußert: »Sie wollten sagen, wie dumm Jesus und seine Apostel waren. Seien wir so dumm wie die Apostel!« Wenn Menschen dazu bereit werden, dann können die biblischen Linien plötzlich hinstreben zu dieser einen Stunde des Sterbens von Jesus. Zwar habe ich sicher weniger noch als große Lehrer der Kirche das Warum und das Wozu des stellvertretenden Leidens des gekreuzigten Gottessohnes verstanden. Aber es hat mich mehr und mehr wie gebannt festgehalten. Wahrscheinlich ist es auch so, dass Gott direkt darauf aus ist, dass wir an diesem unerledigten Thema dranbleiben sollen. Nur Dranbleibenden kann Gott durch seinen Geist immer neue Durchblicke öffnen und immer wieder Schneisen in seinem Wort erschließen. Dem Reichsgrafen von Zinzendorf wurde etwa deutlich gemacht, dass es keines Bußkampfes bedarf, wenn man vor Gott bestehen will. Denn Jesus hat doch den wahren Bußkampf am Kreuz durchgestanden. Die Erkenntnis, die Zinzendorf zuteilwurde, lautete: »Christus hat am Creutze für uns alle Buße gethan. Nun kostets ihn nur ein Wort, dass wir alle errettet werden!«49 Mir wurde am Ende eines langen Lebens dies als rettender Durchblick eröffnet: An jenem kommenden Tag des letzten Gerichtes wird vor dem heiligen und gerechten Gott der Wust meines ganzen Lebens offenkundig sein - einschließlich der Ausgeburten meiner Fantasie und meines ganzen Seelenschlicks. Gott wird nicht so tun, als sei all das Betrübliche nicht existent. Trotzdem werden sich Gottes Augen nicht enttäuscht oder gar voll Ekel von mir abwenden. Vielmehr wird sein Angesicht mir voll Freude zugewandt sein. Denn bei mir ist die Rettungsaktion angekommen, die von Gott selbst geplant und mit seinem gekreuzigten Sohn in Kraft gesetzt wurde. Zwar wird all das Garstige meines Lebens unbestreitbar und unentschuldbar vor Gott aufgetürmt sein wie eine eklige Müllkippe. Jedoch auch dies wird wie ein Fanal über meinem Leben stehen: »So wollte es Gott, dass gerade Sünder durch Jesus gerettet werden - und da- rum auch ich!« Es »wird Freude sein vor den Engeln Gottes«(Lk 15,10) auch über mich, weil ich einer von denen bin, die Jesus als Retter brauchen. Gott wird strahlen - auch über mich -, wenn er voll Wohlgefallen feststellt: Meine Rettungspläne sind zum Ziel gekommen! Der schwäbische Bildhauer Johann Heinrich Dannecker (1758-1841) hatte sich auf faszinierende Skulpturen von mythologischen Figuren, von Fabeltieren und von Gestalten des griechisch-römischen Götterhimmels spezialisiert - und auch auf Büsten wie etwa die bekannte Büste des Dichters Friedrich Schiller. Im Alter trieb es ihn dazu, noch einmal total anderes zu beginnen. Ihm schwebte eine Kolossalstatue von Christus vor. Aber über den ersten Skizzen wurde ihm deutlich: Jesus wollte doch kein Superheld sein. Vielmehr hat er die Kleinen zu sich geladen: »Lasst die Kinder zu mir kommen« (Mk 10,14). Selbst von da an wurde er, je mehr er sich mit Jesus beschäftigte und je mehr er auf die uns geschilderte Gestalt von Jesus betrachtend schaute, desto unwiderstehlicher zu dem Erkennen weitergetrieben: Weit mehr als alle Segnungen ist doch das Entscheidende an Jesus, dass man als von Jesus Geretteter zu Gott als dem »Vater« kommen kann! Wer sich von Jesus einladen lässt, zu ihm zu kommen und mit ihm zu leben, der braucht nicht einmal mehr Gottes kommendes Gericht zu fürchten. Zum Vater, zum Gott der Liebe kommt man nur mit Jesus, nicht ohne ihn (vgl. Job 14,6). So schuf Dannecker seine beeindruckende Jesusstatue. In deren Sockel meißelte er die Worte ein: »Mit mir - zum Vater!« Wenn Menschen ihre Bibeln aufschlagen, dürfen sie erwartungsvoll damit rechnen: Gott hat es in Kraft gesetzt, dass es »erleuchtete Augen des Herzens« (Eph 1,18) geben kann. Solche »erleuchteten Augen des Herzens« können aufgehen -gerade auch für den gekreuzigten Jesus. Der Gekreuzigte bleibt die Hauptsache Jesus Christus ist heute und in Ewigkeit derselbe, wie er gestern war (vgl. Hebr 13,8). Wer Jesus gestern gewesen ist, das ist leicht zu erfahren. Die biblischen Berichte in den Evangelien stellen ihn uns vor Augen: Gesalbt mit dem Heiligen Geist und mit Kraft ist er umhergezogen und hat Gutes getan; er hat alle gesund gemacht, die in der Gewalt des Teufels waren, denn Gott war mit ihm (vgl. Apg 10,38). Darüber braucht man nicht viele Worte machen. Das Entscheidende jedoch an dem »Jesus von gestern« war doch, dass sie diesen Jesus unerbittlich weghaben wollten. Sie haben ihn »an das Holz gehängt und getötet« (Apg 10,39). Alle Berichte der biblischen Evangelien haben dies Gefälle hin zum Leiden und Sterben von Jesus. Bis heute ist der unverwechselbare Inbegriff für Jesus der Hinrichtungspfahl von Golgatha. »Jesus gestern«, der wurde abgeschoben, ausgegrenzt, ausgemerzt, unschädlich gemacht. Von allen ist dieser »Jesus gestern« wie Fremdgewebe brutal abgestoßen worden. So wurde der »Jesus von gestern« traktiert. So hat man den in den Dreck gestoßen, der nur Gutes getan hatte, dem nicht ein böses Wort nachgewiesen werden konnte. Er wurde aus dem Leben gedrängt wie der absolut Unnötigste. Wohlgemerkt: Auf Gott und auf den Glauben an Gott wollten die meisten seiner Gegner ums Leben nicht verzichten! Alle, ausnahmslos alle konnten jedoch ersatzlos auf Jesus verzichten. Damals, gestern wurde offenkundig: Jesus - nein, den brauchen wir nicht! Das ist bis heute nicht anders. Was dieser »Jesus gestern« erleiden musste, das muss der Sohn Gottes bis heute erdulden. Was steckt denn dahinter, dass sogar »christliche« Leute diesen Christus am liebsten auf Distanz halten? Warum haben Menschen, die sonst offen sind für alles Religiöse, plötzlich Hemmungen, wenn es darum geht, diesen Christus betend anzurufen? Menschen tun sich einfach von Natur aus schwer damit, mit diesem Jesus etwas anzufangen - egal, ob fromm oder unreiigiös, egal, ob vor 2 000 Jahren oder heute. Sogar fromme Kirchenleute sprechen lieber mit Gott als mit Jesus. Nicht nur die anderen, sondern auch ich. Ich bin doch auch einer von denen, denen so erschreckend oft anderes wichtiger zu sein scheint als dieser Jesus. Tausend andere Dinge sind mir oft wichtiger als die Begegnung mit dem »Jesus von heute«. Wie oft lassen wir uns sogar in der »Stillen Zeit« vom wahren Begegnen mit Jesus abhalten, meist durch Nichtigkeiten, die uns wichtiger werden! Sogar wenn wir bereit zu sein scheinen, auf das Reden von Jesus zu hören, dann gibt es immer wieder unerklärliche Widerstände, Ablenkungen und zweifelnde Hemmungen. Damals hieß es: »Weg mit diesem Jesus! Wenn wir auf einen verzichten können, dann auf ihn!« Heute wird es vornehmversteckter, scheinbar toleranter vertreten. Aber Jesus erfährt es heute ebenso wie gestern: Dich brauchen wir nicht! Aber das ist nur die eine Seite dessen, was wir wissen von dem »Jesus gestern«, der auch heute derselbe ist. Jedoch gehört das eben auch entscheidend dazu, was von dem »Jesus gestern« berichtet ist: Gott hat sich damals nicht damit abgefunden, dass seinem Sohn gekündigt und das Existenzrecht bestritten wird. Gott hat sich nicht damit abgefunden, dass seine in unfassbarer Liebe ins Werk gesetzte Rettungsaktion abgeblockt wird. Gott hat eingegriffen. Er hat für diesen verachteten Jesus Partei ergriffen. Er hat ihn aus Verachtung, Verwesung und Tod herausgeholt. Er hat ihn unter allen todsicher dem Sterben verfallenen Menschen groß herausgebracht. Er hat diesen Jesus als Allerwichtigsten unübersehbar herausgestellt. Gott hat deutlich gemacht: »Wenn ich auf einen nicht verzichten will, dann auf diesen Jesus. Und wenn ihr auf einen nicht verzichten müsst und nicht verzichten sollt, dann auf diesen Jesus! Wenn überhaupt ein Einziger unter allen, die ein Menschenantlitz haben, wichtig ist, dann ist es dieser Jesus!« »Diesen Jesus hat Gott [von den Toten] auferweckt« (Apg 2,32; Hervorhebung durch Autor). Das ist die entscheidende andere Seite, wenn wir uns an den »Jesus gestern« erinnern lassen. Denn der »Jesus gestern« ist auch »heute derselbe«! Darauf ist Gott auch bei uns aus, dass Jesus uns erst recht wichtig werden wird: vielversprechend, unverzichtbar, verheißungsvoll, tröstlich, bergend. Dabei soll es auch bleiben; denn Gott hat mit dem »Jesus heute« keinen anderen Plan als mit dem »Jesus gestern«. Einer Welt voll Widerstand gegen das, was Gott eigentlich will, hatte Gott seinen Sohn als Retter zugedacht! Auch der sturste und gehässigste Widerstand gegen Jesus konnte ihn nicht davon abhalten, ihn noch einmal, noch eindringlicher, noch einladender den Menschen hinzuhalten! Der Apostel Petrus hat einst - gleich zu Beginn der ersten Jesus-Gemeinde in Jerusalem - die so treffenden Worte gefunden: In allererster Linie für euch, die ihr mit Jesus nichts anzufangen wusstet, exakt »[f]ür euch...hat Gott seinen Knecht Jesus erweckt und hat ihn zu euch gesandt,... dass ein jeder sich bekehre von seiner Bosheit« (Apg 3,26). Gott will, dass jeder begreifen kann: Ich bin dringlich eingeladen, umzukehren, umzudenken, neu zu denken, mit Jesus zu rechnen, mit Jesus zu leben! Der Gott, der Jesus gestern als Auferstandenen groß herausgebracht hat, der kann auch heute unser Volk so segnen, dass Menschen umkehren zu Jesus. Das hat Gott »gestern« ein für alle Mal festgelegt. Er hat gestern an Jesus festgemacht, was auch heute als das Wichtigste für einen armen, der Rettung bedürftigen Menschen gilt: »[Jesus] nimmt die Sünder an« (Lk 15,2). Sogar schlimmste Sünder, wie auch ich einer bin. Nämlich solche Sünder, die Jesus, den Sohn Gottes, behandelt haben wie das Nebensächlichste vom Nebensächlichen. Dass Jesus gerade solche Menschen annimmt, das gilt in Ewigkeit. Wilhelm Busch, der Jugendpfarrer und Evangelist, war als junger Mensch weit weg von Jesus. Er hatte sich losgesagt von Gott und von seinen guten Ordnungen. Als junger Leutnant war er hineingerissen in die Materialschlachten des Ersten Weltkriegs. Er war aber auch hineingerissen in einen unbändigen Lebenshunger. Der ließ ihn alle Schranken überspringen. Aber dann wurde eines Tages sein bester Freund neben ihm von einem Schrapnellsplitter tödlich getroffen - mitten im Erzählen einer Zote. Und Busch - so berichtete er immer wieder - wusste mit einem Mal: Wenn ich jetzt ebenso umkomme, dann bin ich ewig verloren. Dann hat Gott alles Recht dazu, mich ewig von sich auszuschließen. Dann gibt es keine Rettung mehr für mich! Alles wurde erst dann anders, als Busch auf das Jesus-Wort stieß: »...wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen« (Joh 6,37). Was der »Jesus gestern« so feierlich-verlässlich erklärt hat, das gilt »in Ewigkeit«. Wer Jesus heute als seinen Retter anruft, dem braucht sogar vor der letzten Verantwortung vor Gott nicht mehr bange zu sein. Vielmehr kann er in gespannter Erwartung darauf zugehen, dass das kommende Gerettetwerden alle menschlichen Vorstellungen übersteigen wird. Es ist zwar schon groß, wenn Jesus uns heute zu sich ruft, so wie er »gestern« Frauen und Männern voll einladender Liebe gesagt hat: »Los, komm, her zu mir!« Es ist zwar schon groß, wenn Jesus mich heute aus meinen eigenen Torheiten herausholt, so wie er »gestern« seinen Jünger Petrus aus seinem Irrweg herausgeholt hat. Es ist zwar schon groß, wenn Jesus uns Durchblicke gibt, so wie er »gestern« der Maria von Magdala den Durchblick gegeben hat: »Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater« (Joh 20,17). Aber das wird noch einmal etwas ganz anderes sein, wenn er in Gottes ewiger Welt seine verlorenen Söhne und Töchter umarmen und sie erfahren lassen wird: »Endlich daheim! Einst verloren, aber jetzt gerettet, meine Tochter, mein Sohn!« Professor Otto Michel, der große Tübinger Bibelausleger, wurde im Alter sehr schweigsam. Auf seinem letzten Spaziergang sprach er über das Sterben. Plötzlich sagte er: »Da wird dann wahr: Es geht in ein Land, das Gott mir zeigen will!« Jesus, der Retter von Sünden Im Eröffnungsgottesdienst des Stuttgarter Deutschen Evangelischen Kirchentags im Jahr 1 952 rief der damalige württember-gische Landesbischof Haug den Teilnehmern zu - ich erinnere mich noch gut daran: »Die Christenheit wird nur dann Zukunft haben, wenn sie wieder viel mehr von ihm, von Jesus Christus selbst, erwartet!« Dafür hat er sich eingesetzt, unermüdlich: in Bibelarbeiten und mit Vorträgen bis weit ins hohe Alter hinein. Als es auf das Sterben zuging, schrieb er mir trotz körperlicher Schwachheit mit zitternder Hand den Satz: »Christo duce, nihil triste« - wenn wir uns von Christus führen lassen, dann ist nichts mehr traurig, nichts ist dann trostlos! Christus Jesus ist und bleibt die Hauptsache des Christusglaubens. Schon seit einiger Zeit sind die Christen auch in Gefahr, nur noch Moralprediger zu sein. Als ob wir Kirchenleute der Welt zu sagen hätten, was alles böse ist und was - das ist noch schlimmer! - nach unserem Ermessen heute nicht mehr als böse zu gelten hat. Aber die Christen haben doch dies als Hauptaufgabe, Jesus bekannt zu machen. Denn er ist in die Welt gekommen, um Menschen zu retten, die unter ihrer eigenen Bosheit leiden - und hoffentlich gehören auch wir dazu! Diesen Christus als Retter anrufen zu können, das ist unser Vorrecht. Christian Friedrich Spittler (1782-1867) war der Gründer der Basler Mission und vieler Reich-Gottes-Werke. Wenn er am Fenster saß und betete, wollte er nicht gestört werden. Denn in solchen Stunden bewegte ihn eine neue Herausforderung, die Gründung einer neuen Rettungsanstalt. Ihn trieben - vor Gott betend - die Fragen um: Wird das Geld reichen? Werde ich die nötigen Mitarbeiter bekommen? Aber wenn er dann nach zwei Stunden vom Gebet aufstand, konnte er sagen: »Lasst uns mit dem starken Jesus vorangehen!« Dazu möchte auch ich Mut machen: »Mit dem starken Jesus vorwärts!« Bloß keine Stagnation, erst recht keine Rückschritte! Es ist ein Rückschritt in der Christenheit, wenn es üblich wird, das Beten einzuleiten mit der Anrede: »Guter Gott!« Das klingt für mich so, als würde man ihm gerade mal gnädig die Note »2 minus« zugestehen. Armes Deutschland! Wie viel reicher an Gotteserkenntnis und an Gottesliebe war da das alte Israel! Begeistert wurde Gott angerufen als »Herr, meine Stärke« (Ps 18,2), als der Schöpfer, »der Himmel und Erde gemacht hat« (Ps 115,15), als »meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe« (Ps 91,2), als »Herr Zebaoth« (Ps 69,7), als »unser Erlöser« (Jes 63, 16). Es war das Kennzeichen schon der ersten Christen, dass sie betend den Namen Jesu Christi als des Herrn anriefen (vgl. IKor 1,2). Sie hatten es sich ins Wachs drücken lassen, dass sie »den Sohn ehren« sollten, so wie der Vater geehrt wird (vgl. Joh 5,23). Ich möchte dazu ermutigen, noch einmal neu einen Anlauf zu machen und betend hineinzuwachsen in den Gebrauch der ganzen Ehrentitel der Bibel, die doch Jesus als dem Herrn zustehen: »Du König« (vgl. Sach 9,9 mit Lk 1,33), »Du Fürsprecher beim Vater« (vgl. ljoh 2,1), »Du Hohepriester« (vgl. Hebr 8,1), »Du Erlöser« (Röm 11,26), »Du Erbarmer« (vgl. Mt 9,27)! Aber noch entscheidender als alle diese herrlichen Titel und Gebetsanrufe ist der Name »Jesus«. Er ist noch wichtiger als seine großartigen Titel als »Versöhner« (vgl. ljoh 2,2), als »Knecht Gottes« (vgl. Apg 3,13), als »Guter Hirte« (vgl. Joh 10,11), ja sogar noch wichtiger als der Titel »Christus« (Apg 2,36). Denn »Jesus« ist der Name, den Gott ihm zugedacht hatte. Dieser Name bedeutet »...er wird sein Volk retten von ihren Sünden« (Mt 1,21). Diese übernatürliche Rettungsaktion war es, die Jesus mit seinem Kreuzestod zum Ziel gebracht hat. Jesus hat nie angekündigt (wie heute immer wieder angekündigt wird): »Ich mache alle Rollstuhlfahrer wieder gehend!« Jesus hat auch nicht behauptet: »Ich befreie alle Krebskranken von ihrer Not!« Dass Jesus bei schwersten Krankheiten einen Stillstand gewähren kann, das habe ich selber erfahren - und auch dies: dass und wie sehr Fürbitte trägt, die ihm ans Herz gelegt wird. Aber dass er »Retter von Sünden« ist, das hat Gott schon vor der Geburt von Jesus angekündigt. Darum ist für mich das so überaus wichtig, dass er mich täglich aus der lauen Gleichgültigkeit ihm gegenüber herausrettet. Denn ich schlittere immer wieder in sie hinein. Und die ist eine schlimmere Sünde als »Gedanken-Diebstahl« bei Doktorarbeiten. Wenn es nicht Jesus als den Retter gäbe, der mir vor dem Absturz in Abgründe die Hand reicht, dann wäre mein Leben eine einzige Katastrophe. Christen sind normale Menschen, die aber wissen, dass sie einen Retter brauchen. Christen sind Leute, die dankbar dafür sind, dass Jesus »Retter von den Sünden« ist. Christen bewahren das, indem sie bewusst und dankbar Jesus, den »Retter«, anrufen. Das ist selbst unter uns nicht mehr ganz klar, »...mancherlei und fremde Lehren« (Hebr 13,9) haben die Christenheit verunsichert. Wenn Jesus mir entdecken will, dass ich ein »verlorener und verdammter Sünder« bin, dann wird mir kritisch zugeraunt: »Du darfst doch nicht immer nur an deine private Rettung denken!« Vielmehr sei doch dies das Entscheidende am Christenglauben, dass Christen die Welt verändern, dass sie für Gerechtigkeit eintreten, dass sie Frieden bewahren, dass sie die Schöpfung erneuern. Ach, das kann ich doch nicht einmal in meinem engsten, so klein gewordenen Familienkreis! Viele der heutigen christlichen Programme sind jedoch geprägt von purer Unnüchternheit und von demutsloser Überheblichkeit. Es ist doch vermessen, zu wähnen, schwache Menschen könnten mit noch so gut gemeinten Programmen etwas »machen«. So etwas gibt es in der Industrie, aber nicht dort, wo der Satan und das Reich Gottes gegeneinander ringen. Darum ist der Gebetsruf so wichtig: »Retter Jesus, erbarme dich über mich, über uns!« Erbarme dich über uns, über unsere Kirche, über unsere Gesellschaft! Ich komme nicht los von dem Eindruck, dass Gott unserer ganzen westlichen, der scheinbar »christlichen« Welt den Rücken zugekehrt hat. Das ist der Grund, weshalb überall der Wurm drin ist - in Politik, in der Wirtschaft, sogar im Sport, aber erst recht in der Kirche. Nach 1945 wurde immer wieder das Wort des Propheten Jeremia zitiert - und wir haben es damals ohne viel Drumherum verstanden: ... du musst innewerden und erfahren, was es für Jammer und Herzeleid bringt, den Herrn, deinen Gott, zu verlassen und ihn nicht zu fürchten, spricht Gott, der Herr Zebaoth. ... Denn sie kehren mir den Rücken zu und nicht das Angesicht. Aber wenn Not über sie kommt, sprechen sie: »Auf und hilf uns!« ... ich will ihnen den Rücken... zeigen... Jeremia 2,19.27; 18,17 Wenn es wirklich so ist, dass Gott mit vollem Recht unserer ganzen Welt den Rücken zugekehrt hat, dann besteht die so viel berufene »gesellschaftliche Verantwortung« der Christen darin, voll ernsthafter Buße voranzugehen mit der Bitte »Herr, erbarme dich!« Das war es, was Pfarrer Dr. theol. h. c. Fritz Grünzweig, den Gründer der Ludwig-Hofacker-Vereinigung, bis zu seinem Sterben in Unruhe gehalten hat: Wir Christen sollten doch noch viel klarer unserem Volk vorangehen mit dem einladenden Ruf: »Kommt, wir wollen wieder zum Herrn« (vgl. Hos 6,1). Dieser Ruf hat Verheißung, weil Jesus heute derselbe ist wie gestern. Nämlich einer, der allen Widerstand gegen ihn erleidet, der aber diesen Widerstand nicht beantwortet mit Vergeltung, sondern mit einer erst recht dringlichen und herzlichen Einladung zu sich. Mit Christus leiden Es darf auch hier nicht unterschlagen werden, was in der Christenheit so oft unterschlagen wird: Zwar gibt es nichts Erstrebenswerteres, als echt und ganz mit Jesus verbunden zu sein; aber diese Gemeinschaft ist auch eine Gemeinschaft mit dem Gekreuzigten. Sie ist eine Gemeinschaft mit seinen Leiden (vgl. Phil 3,10). Wer wirklich mit Christus verbunden ist, muss damit rechnen, als Außenseiter angesehen, ja als störender Fremdkörper behandelt zu werden. Die Christen der ersten Generation mussten das erst lernen. Sie haben offensichtlich gefragt: »Warum müssen wir denn bloß so leiden?« (vgl. IPetr 4,12f) Sie waren schon damals missachtet, geschmäht, verfolgt, so wie bis heute Christen in vielen Regionen der Erde auf die Seite gedrängt, entrechtet, gepeinigt werden. Was dann damals der Apostel Petrus auf diese bedrängenden Fragen geantwortet hat, das kommt uns heute befremdlich, auch unseelsorgerlich, ja vollmundig, wenn nicht gar pausbäckig vor: Lasst euch das nicht befremden! Euch widerfährt nichts Ungewöhnliches. Vielmehr »freut euch, dass ihr mit Christus leidet« (IPetr 4,13). Doch gerade ihm, dem Apostel Petrus, ging diese Auskunft ganz gewiss nicht leicht über die Lippen. Er hatte einst absolut kein Verständnis dafür gehabt, dass für Jesus das Leiden zum göttlichen Masterplan gehören sollte (vgl. Mt 16,21 ff.). Darum hatte Jesus auch für ihn eine Lektion bereit, die Petrus erst noch lernen musste: »Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. Denn ... wer... sein Leben verliert um meinetwillen, der wirds finden« (Mt 16,24f). Das hatte Jesus gerade auch den impulsiven Petrus gelehrt. Aber verstanden hatte der das damals noch nicht. Es bedurfte dazu jener Stunde im Garten Gethsemane, von der die Bibel berichtet. Als damals das Einsatzkommando erschien, um gegen alles Recht Jesus festzunehmen, da reagierte Petrus voller Empörung. Alles in ihm schrie: »Das darf man doch nicht laufen lassen! Da muss doch etwas unternommen werden!« Das Schwert flog dem Petrus geradezu aus der Scheide, um zielsicher dem Malchus, dem Knecht des Eiohepriesters, den Schädel zu spalten. Aber der zog reaktionsschnell den Kopf so zur Seite, dass ihm nur das Ohr abgetrennt wurde. Damals brannte es sich Petrus ein, dass Jesus umgehend den Versehrten heilte und ihm, Petrus, sagte: »Weg mit dem Schwert! Wenn ich wollte, könnte ich den Vater um die Entsendung von ganzen Bataillonen von Engeln ersuchen. Aber ich will das nicht« (vgl. Mt 26,51 ff.; Lk 18,10). Das hat das Denken des Petrus verändert. Für ihn war es dann nur konsequent, zu folgern: Wer zu Jesus gehört, der kann doch nicht anders handeln, als es ihn, Jesus, vom Innersten her bewegte: Solange ich meine Angelegenheiten Gott anbefehlen kann, solange ich meine Sache ihm anvertrauen kann, möchte ich ihm mit meinen impulsiven Reaktionen nicht dazwischenfunken. Ich möchte nicht gegen das Leiden rebellieren! So ist es zu verstehen, dass Petrus seelsorgerlich dazu ermutigte: Christus hat uns ein Vorbild gelassen, »dass [wir sollen] nachfolgen seinen Fußstapfen; er, ...der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde, nicht drohte, als er litt, er stellte es aber dem anheim, der gerecht richtet« (IPetr 2,21f). Das wird ohne großen Kommentar gesagt. Es klingt wie nur so dahingesagt und ist doch ein »Ruf zur Sache«, »zur Geschäftsordnung«. Es ist eine unüberhörbare Erinnerung: Macht euch doch klar: Das Leiden war doch das Entscheidende bei Christus, dem Sohn Gottes, dem von Gott Geliebten, dem Sonderbeauftragten für das Heil. Gott hat ganz Großes mit diesem Christus vorgehabt - und das Leiden gehörte offensichtlich dazu. Wenn ihr also zu Christus gehören wollt, dann dürft ihr euch nicht darüber wundern, wenn euch Leiden nicht erspart wird. Da ist dann nichts aus dem Ruder gelaufen, da sind Gott nicht einige Leitseile entglitten, sondern auch das Leiden kann für Christen zum Glaubenstrost werden, dass sie echt zu Jesus gehören, dem Gekreuzigten. Für Christen, die mit Christus und um Christi willen leiden, gibt es dies als »Ruf zur Sache«: »...wir, die wir leben, werden immerdar in den Tod gegeben um Jesu willen« (2Kor 4,11). Und: »Um deinetwillen werden wir... geachtet wie Schlachtschafe« (Röm 8,36). Leute, die echt Christen sein wollen, müssen sich darauf einstellen, wie Christus - besser: mit Christus - verachtet, missverstanden und sogar als Fremdgewebe abgestoßen zu wer- den. Sie sollten aber in der »Gemeinschaft mit seinem [Christi] Leiden« (Phil 3,10) auch mit Jesus sagen können: »Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!« (Lk 23,46; vgl. mit Apg 7,59) Das heißt ja dann auch: In deine Hände befehle ich meine Sache, meine Angehörigen, meine Ehre, meine Zukunft! Solange du, Gott, so nahe bist, brauche ich mich nicht mehr um mich selbst zu sorgen! Ich erinnere mich daran, wie auf dem weltweiten Evangelisationskongress in Manila (1989) ein Christ aus China berichtete - und es wurde so etwas wie einer der Höhepunkte des Großtreffens: »Während der Kulturrevolution war ich in einem der vielen schrecklichen Umerziehungslager eingesperrt. Die Hoffnungslosigkeit unter den Tausenden von Gefangenen war schrecklich. Deshalb habe ich, so oft ich nur konnte, von Jesus erzählt. Man wollte mir den Mund verbieten. Man schickte mich in die Kloakengrube. Kniehoch im Kot stehend sollte ich mit der Schaufel den Boden der Abortgrube tieferlegen. Die Gerüche wollten mir den Atem rauben, der Ekel wollte mir das Bewusstsein nehmen. Da wurde mir bewusst, dass mein Herr Jesus noch viel Schlimmeres erlitten hat - und dass er gesagt hat: >Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein!« Da habe ich Jesus-Lieder angestimmt. Und die hohen Lehmwände der Kloakengrube sorgten für ein Echo, sodass viele der Mitgefangenen hörten: >Jesus ist auch noch da!<« Es gilt die doppelte Wahrheit: Der gekreuzigte Jesus erweist sich denen als der Lebendige, die sich von ihm auch in die Gemeinschaft mit seinen Leiden führen lassen. Und: Je mehr die Christenheit die Anstöße vermeiden will, die ihre Fremdlingsschaft in der Welt mit sich bringen muss, desto mehr geht ihr auch der Trost verloren, der ihr mit dem Gekreuzigten zuge-dachr ist. Das Kreuzeszeichen und der Gekreuzigte Schon allein rein grafisch gesehen ist das Kreuz wohl die Grundfigur eines Zeichens. In allen nur denkbaren Variationen taucht es in nationalen Erkennungszeichen und auch als Schmuck auf. Es dient als Pluszeichen. Wichtiges wird ange-»kreuzt«. Seitdem Jesus als Verbrecher ans Kreuz genagelt wurde, ist das Kreuzeszeichen das elementarste Symbol der Christen. Es erinnert an die Mitte wahren Gottesglaubens. Aber aufgepasst! Es ist ein Symbol, keine Zauberrune. Es hat keine magische Kraft. Das Kreuzeszeichen weist vielmehr hin auf den Jesus, dem Gott alle Macht im Himmel und auf Erden anvertraut hat (vgl. Mt 28,18). Immer wieder ist es auch mit dem Kreuzeszeichen ähnlich gegangen wie mit der ehernen Schlange, die einst Mose als Rettungszeichen aufgerichtet hatte. Seinerzeit wurden alle gerettet, die zu diesem durch Mose hoch aufgerichteten Mal aufsahen. Doch Jahrhunderte später musste der fromme König Hiskia dies bis dahin sorgsam gehütete Zeichen zerschlagen lassen; denn man hatte es geradezu als Götzen verehrt (vgl. 2Kön 18,4). Klärend heißt es darum in einer späten Schrift Israels: »... sie... erhielten ein rettendes Zeichen... Denn die sich zu diesem Zeichen hinwandten, die wurden errettet, nicht durch das, was sie anschauten, sondern durch dich, den Heiland aller Menschen« (Wsh 16,6f). Das Kreuzeszeichen weist hin auf Jesus, den Heiland aller Menschen. Eindrücklich illustriert wurde mir das von Friedei Wohlrab, der Tochter eines der ersten Pioniermissionare der Usambara-Region. Unsere schwäbische Synodal-Delegation musste im Jahr 1978 eine unvorhergesehene Pause einlegen in Mlalo, auf den Höhen der von Regenwolken verhüllten Berge. Frau Wohlrab erzählte, wie 1891 der Glaube an Jesus dort oben im entlegenen Hochland Fuß fasste. Die beiden Missionare Wohlrab und Johannssen kannten noch kein Wort der Schambala-Sprache, als sie dem dortigen Häuptling mit Gebärden klarmachten, dass sie einen Platz für ihr Zelt erbaten. Mit breitem Grinsen bot man den Fremdlingen einen Rasenplatz an, der von mächtigen Bäumen umgeben war. Nach dem Glauben der Waschambala waren das Geisterbäume, in deren Zweigen die Seelen der Ahnen hausten. Die Eingeborenen mieden diese Gegend, um nicht von den Seelen der Ahnen getötet zu werden. Die Missionare jedoch schlugen ohne Furcht ihr Zelt auf. Vor seinem Eingang stellten sie ein aus herumliegenden Ästen zusammengeschnürtes Kreuzeszeichen auf. An diesem Kreuzeszeichen hielten sie mit Singen und Gebet ihre Abendandacht, bevor sie todmüde ins Zelt krochen. Am nächsten Morgen warteten die Stammesbewohner darauf, dass sich im Zelt nichts mehr bewegen würde. Doch höchst lebendig und auch erfrischt krochen die Missionare aus ihrem Zelt und sangen am Kreuzeszeichen als Morgenchoral das Hiller-Lied »Mir ist Erbarmung widerfahren«. Da hieß es bei den Afrikanern, bevor die Missionare auch nur ein einziges Wort an sie gerichtet hatten: »Sie haben einen Baum, der ist stärker als unsere Bäume!« Das war der Anfang davon, dass bis heute dies die Lieblingsstrophe bei den Waschambala-Christen ist: »Ich hatte nichts als Zorn verdienet und soll bei Gott in Gnaden sein; Gott hat mich mit sich selbst versühnet ...«50 Natürlich kann das Zeichen des Kreuzes auch eine bildhafte Verständnishilfe sein. Wie in den alten ägyptischen Hieroglyphen und auch bei den modernen Piktogrammen kann schon allein das auf das Elementare reduzierte Bild des Kreuzes »sprechen«. Etwa so: Jesus kann und will die Pannen und die ganze Schuld menschlichen Lebens durch-»kreuzen«. Oder: Der Gekreuzigte hat den »Zaun« durchbrochen, der uns Menschen hinderte, zu Gott zu kommen. Oder auch: Der Gekreuzigte ist das große »Pluszeichen«, das vor der Klammer unserer Lebensbilanz stehen kann. Aber das alles ist eher zweitrangig. Denn vor allem weist das Kreuzeszeichen hin auf den Gekreuzigten, auf den »Mann am Kreuz«. Vor allem erinnert es daran, dass Entscheidendes schon geschehen ist. Es ist eine Warnbake, den Christenglauben als ein religiöses Gedankensystem zu verstehen. Es ist auch ein Achtungs-Schild: Vorsicht, der Christenglaube ist kein Moralsystem voller Wertvorstellungen, die praktiziert werden sollen, wenn man sich Gottes Wohlgefallen sichern will. Der Christenglaube ist auch keine Blaupause für eine bessere Welt, die erst geschaffen werden muss. Er ist nicht so etwas wie höhere Mathematik für religiöse Spintisieren Der Christenglaube ist zuallererst ein nüchternes Rechnen mit dem realen Christus Jesus. Er hat am Kreuz seinen Leib und sein Blut für Sünder zur Vergebung darangegeben. »Todsicher« möchte er ankoppeln, andocken, sich einklinken bei Menschen, die eigentlich mehr die Hölle als den Himmel verdient haben. Daran erinnert das Zeichen des Kreuzes. Dazu kann man »Ja« sagen. Auch dabei kann das Zeichen des Kreuzes eine Hinweis-Hilfe sein. Einst empfahl einer unserer damaligen theologischen Lehrer: »Wenn Sie festmachen wollen, dass Sie zu Jesus gehören wollen, dann gebe ich Ihnen den Rat: Zeichnen Sie doch auf das Vorsatzblatt Ihrer Bibel oder Ihres Gesangbuches ein Kreuzeszeichen und schreiben Sie dorthin, wo sonst das >INRI< zu stehen pflegt, Ihre Initialen zusammen mit dem Datum. Sie können auch drunterschreiben: »Jesus, dir will ich gehören!«« Nichts anderes hat doch Martin Luther gemeint, wenn er in seinem »Kleinen Katechismus« in der Vorlage für einen Morgen- und einen Abendsegen geraten hat, sich zu »segnen mit dem heiligen Kreuz«51. Damit empfahl er keine magische Handlung, sondern er wollte dem Betenden bewusst machen: Diesem Jesus will ich gehören, ihm, der auch für mich den Weg zum himmlischen Vater gebahnt hat. Bewusst soll dies Pluszeichen Gottes über jedem neu beginnenden Tag und über jedem abgeschlossenen Tagewerk stehen. Ähnliches ist gemeint, wenn bei den Pro-Christ-Veranstaltungen eingeladen wird, »zum Kreuz« nach vorne zu kommen. Das sichtbare Zeichen soll für den unsichtbar gegenwärtigen Jesus stehen. Sein einladender Ruf war: »Komm! Her zu mir!« Ludwig Hofacker war auf seinem Sterbelager in große Unruhe gekommen durch die Frage, ob er nicht »tausendmal mehr die Hölle verdient habe als den Himmel«. Jeder noch so gut gemeinte seelsorgerliche Trost von Freunden konnte dem Sterbenden nicht helfen. Immer wieder sagte er: »Ich kann’s nicht glauben, nicht annehmen - ich bin zu schlecht dazu!« Eines Tages jedoch bekannte er: »Nun habe ich mich ganz einfältig dazu entschlossen, es einfach gelten zu lassen, dass der gekreuzigte Heiland seine Arme auch zu mir ausstreckt. Und seither ist mirs wohl!« Albert Knapp (1798-1864), der begabte Dichter-Pfarrer und Hymnologe, dichtete unter dem Einfluss seines Freundes Hof-acker das Lied: Eines wünsch ich mir vor allem andern, eine Speise früh und spät; selig lässt’s im Tränental sich wandern, wenn dies Eine mit uns geht: Unverrückt auf einen Mann zu schauen, der mit blut’gem Schweiß und Todesgrauen auf sein Antlitz niedersank und den Kelch des Vaters trank. Ewig soll er mir vor Augen stehen, wie er als ein stilles Lamm dort so blutig und so bleich zu sehen, hängend an des Kreuzes Stamm; wie er dürstend rang um meine Seele, dass sie ihm zu seinem Lohn nicht fehle, und dann auch an mich gedacht, als er rief: »Es ist vollbracht!«52 Am gekreuzigten Jesus kann das Psalmwort zur Erfüllung kommen: »Die auf ihn sehen, werden strahlen vor Freude« (Ps 34,6). Das ist es, wozu auch dieses Buch einladen will: Es will erinnern an das, was sich in der Christenheit festzuhalten lohnt. Gottes Wort behalten Jesus hat den Seinen wichtig gemacht, das ihnen Anvertraute nun auch zu behalten (vgl. Joh 17,6; Offb 3,8). Der Apostel Judas hat sogar die ausdrückliche Mahnung unterstrichen, für den Glauben zu kämpfen, »der ein für allemal... überliefert ist« (Jud 3,1). Christen haben mit ihren Bekenntnissen und Lehrgrundlagen immer den gekreuzigten Jesus als das Zentrum ihres Glaubens klar herausgestellt. An einige dieser Lehrgrundlagen sei hier erinnert: Ich glaube, dass Jesus Christus, wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren, sei mein Herr, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des Teufels; nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben; damit ich sein Eigen sei und in seinem Reich unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit, gleichwie er ist auferstanden vom Tode, lebet und regieret in Ewigkeit. Das ist gewisslich wahr.53 Kleiner Katechismus von Martin Luther, Auslegungen zum II. Glaubensartikel Evangelische Christen bekennen sich zu der in den Schriften des Alten und Neuen Testaments gegebenen Offenbarung des dreieinigen Gottes und zu dem im Evangelium niedergelegten geschichtlichen Glauben. Sie heben folgende Lehrsätze hervor, die sie als grundlegend für das Verständnis des Glaubens ansehen ... und die gegenseitige Liebe, praktischen Dienst der Christen und evangelisti-schen Einsatz bewirken sollen: Wir bekennen uns • zur Allmacht und Gnade Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes in Schöpfung, Offenbarung, Erlösung, Endgericht und Vollendung. • zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift, ihrer völligen Zuverlässigkeit und höchsten Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung. • zur völligen Sündhaftigkeit und Schuld des gefallenen Menschen, die ihn Gottes Zorn und Verdammnis aussetzen. • zum stellvertretenden Opfer des menschgewordenen Gottessohnes als einziger und allgenügsamer Grundlage der Erlösung von der Schuld und Macht der Sünde und ihren ewigen Folgen. • zur Rechtfertigung des Sünders allein durch die Gnade Gottes aufgrund des Glaubens an Jesus Christus, der gekreuzigt wurde und von den Toten auferstanden ist; ...54 Lehrgrundlage der Deutschen und der Europäischen Evangelischen Allianz, beschlossen 1972 Jesus Christus, wahrer Mensch und wahrer Gott, hat sich selbst als die einzige Erlösung für Sünder dahingegeben. Er ist der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen. Es ist auch kein anderer Name, durch den wir gerettet werden. Alle Menschen gehen an ihrer Sünde verloren, Gott aber hebt alle. Er will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass sich jedermann zur Buße kehre. Wer aber Jesus Christus ablehnt, verschmäht die Freude des Heils und verdammt sich selbst zur ewigen Trennung von Gott. Wenn Jesus als der »Erlöser der Welt« verkündigt wird, so heißt das nicht, dass alle Menschen von vornherein oder am Ende doch noch gerettet werden. Man kann erst recht nicht behaupten, dass alle Religionen das Heil in Christus anbieten. Vielmehr muss Gottes Liebe einer Welt von Sündern verkündigt werden. Alle Menschen sind eingeladen, ihn in persönlicher Hingabe durch Buße und Glauben als Heiland und Herrn anzuerkennen. Jesus Christus ist erhöht über alle Namen. Wir sehnen uns nach dem Tag, an dem sich alle Knie vor Ihm beugen und alle Zungen bekennen, dass Er der Herr sei.'5 Lausanner Verpflichtung von 1974, Artikel 3 Hilfreich ist es vor allem, dass Fachtheologen, Bischöfe und auch Gremien sich eindeutig zum Heil im gekreuzigten Jesus bekannt haben. Einige dieser Stimmen seien hier auszugsweise wiedergegeben: Jesus selbst als der Menschensohn, als der eine Sohn des einen Gottes, gibt sein eigenes Leben hin, um das der Sünder aus der Verlorenheit zu erretten. Der Tod, in dem die Sünde das Leben der Sünder endgültig verdirbt, trifft nicht die Sünder, sondern den Sohn Gottes selbst. So radikal wirkt sich die Liebe Gottes am Ende aus. Schon von Anfang an hat sich Gott denen hingegeben, die er liebt. Sein eigenes Ich setzt er für sie ein. Dieses Für-Sein Gottes vollendet sich jetzt darin, dass er seinen geliebten Sohn in den Tod dahingibt, den die Sünder sich selbst erwirkt haben, damit sie, die schon Verlorenen, von diesem Tod frei werden und am Leben teilhaben dürfen, das Gott denen geben will, die er als die Seinen liebt.56 Dr. theol. Ulrich Wilckens, Professor für Neues Testament an der Universität Hamburg, 1981-92 Bischof der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche Es gibt drei Weisen, in denen das Wort vom Kreuz in unser Leben hineinwirkt, wenn wir uns im Vertrauen auf diese Zusage für seine Botschaft öffnen: - Unter dem Kreuz ist der Ort, an dem wir unsere Schuld abladen können.... Er »trägt die Sünde der Welt« (Joh 1,29; exklusive Stellver- tretung). - Unter dem Kreuz ist auch der Ort, an dem wir die Schuld, die uns abgenommen wurde, aufarbeiten können. Unser »alter Mensch wurde mit ihm gekreuzigt«, damit wir mit Christus ein neues Leben führen können (inklusive Stellvertretung). - Unter dem Kreuz beginnt der Weg, den wir in der Nachfolge gehen. Wir sind befähigt, um Jesu willen für Gott und für andere Menschen zu leiden; unser Kreuz (nicht das seine!) auf uns zu nehmen und Jesus nach den Weg der Liebe zu gehen.'7 Dr. theol. Walter Klaiber, 1971-1989 Dozent für Neues Testament am Theologischen Seminar Reutlingen, 1989-2005 Bischof der Evangelisch-Methodistischen Kirche in Deutschland Jesaja 53 ist auch im heutigen Diskurs und Streit um die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu die entscheidende Verstehenshilfe. Das Gottesknechtslied zielt auf eine dramatische Wende in der Wahrnehmung der »Wir«: >Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt» (V. 4f, Einheitsübersetzung). Man spürt förmlich das Erschrecken über die eigene Verblendung. Um diese erschreckende, letztlich aber heilsame Erkenntnis geht es auch heute. Nicht Gott hat Jesus geschlagen und gemartert, sondern wir haben es getan. Es ist »unser aller Sünde«. Es wird deutlich, was das neutes-tamentliche »um unserer Sünde willen gestorben« heißt.58 Dr. theol. Rudolf Weth, 1973-2003 Direktor des Neu-kirchener Erziehungsvereins, 1991-2003 Vorsitzender der Gesellschaft für Evangelische Theologie Luther predigte das »Wort vom Kreuz« in seiner ungekürzten richtenden und rettenden Kraft. Er wäre gewiss kein Freund einer heute weitverbreiteten, von Rudolf Bohren einmal als »Samt-und-Plüsch-Rhetorik« apostro- phierten Predigtweise, in der man - aus vermeintlicher Rücksicht auf Predigthörer - nur noch vom Gott der Liebe zu reden wagt oder einseitig den Slogan »Jesus lieht dich« traktiert. Luther hat die Heilige Schrift auch darin ernst genommen, dass das »Wort vom Kreuz« Ärgernis und Torheit bedeuten kann (IKor 1,23). Er hat aber zugleich daran festgehalten, dass es Gott gefällt, gerade >durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben« (1 Kor 1,21).59 Dr. theol.h.c. Theo Sorg, 1988-94 Landesbischof der Evangelischen Landeskirche Württemberg Sühne ist gesamtbiblisch stets beides: ein Gerichts- und ein Heilsgeschehen. Ein Gerichts- bzw. Strafgeschehen ist es insofern, als sich im stellvertretenden Tod des Opfertieres bzw. im stellvertretenden Tod Jesu das Gericht Gottes über menschliche Sünde und Schuld vollzieht. Ein Heilsgeschehen ist es deshalb, weil durch dieses stellvertretende Sühneopfer für den Sünder zeitliches und ewiges Leben vor Gott eröffnet wird.60 Dr. Volker Gackle, einst Studienleiter im Albrecht-Ben-gel-Haus, Tübingen; seit 2006 Professor und Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell Die Belege aus den Evangelien zeigen mit wünschenswerter Deutlichkeit, dass Jesus selbst seine Jünger gelehrt hat, wie sie sein Leiden und das Kreuz auf Golgatha zu verstehen haben: Sie sollten es sehen als Handeln Gottes für Juden und Heiden durch Jesus, den messianischen Gottesknecht. Sein Leben sollte das Lösegeld sein, das die Sünder ein für alle Mal aus ihrer Schuld vor Gott auslöst, und er selbst das messianische Sühnopfer, durch dessen Darbringung die Frevler auf ewig in die Gottesgemeinschaft eingestiftet werden.61 D. Dr. Peter Stuhlmacher, 1968-72 Professor für Neues Testament an der Universität Erlangen-Nürnberg, von 1972 bis 2 000 Professor für Neues Testament an der Universität Tübingen Im Kreuzestod Jesu Christi kommt... das sündige menschliche Handeln, der Widerstand des Menschen gegen Gott, an dem und durch den Jesus ans Kreuz genagelt wird, zusammen mit dem Handeln Gottes für den Menschen, einem das Böse in seinem Sohn auf sich nehmendes und damit überwindendes und den Menschen mit Gott versöhnendes Handeln.62 Dr. theol. Ulrich Eibach, Professor für Systematische Theologie und Ethik, Universität Bonn Im stellvertretenden Opfertod seines Sohnes hat Gott eine Möglichkeit geschaffen. Durch Vergebung die Sünde wegzuschaffen, ohne dass dabei seine Heiligkeit infrage gestellt wird. Gewiss offenbarte Gott im Kreuzestod seines Sohnes den Menschen seine Liebe, aber diese Liebe beinhaltet zugleich seine Heiligkeit und Gerechtigkeit (Röm 3,25f). Das Kreuz Christi ist, wie es in einem englischen Choral heißt, der Ort, »wo Zorn und Barmherzigkeit einander begegnen«.63 Das Kreuz Christi - Mitte des Heils. Orientierungshilfe der Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften Sonderausgabe der Zeitschrift Diakrisis, Oktober 2011 Anmerkungen 1 Eric Metaxas, Bonhoeffer. Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet. Holzgerlingen: SCM Hänssler, 4. Aufl. 2012, S. 131. 2 Ebd.,S. 243. 3 »Die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode in Barmen«. Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelische Landeskirche in Württemberg. 1. Auflage (1996). Stuttgart: Evangelisches Medienhaus, 2007, Nr. 836,3. Das Evangelische Gesangbuch wird im Folgenden mit EG abgekürzt. 4 Paul Gerhard, »Sollt ich meinem Gott nicht singen«. 1653. EG 325,3. 5 Martin Luther, »Nun freut euch, lieben Christen g’mein«. 1523. EG 341,4. 6 Adolf Schiatter, Erläuterungen zum Neuen Testament. Bd. 2: Die Briefe des Paulus. Stuttgart: Calwer Verlagsbuchhandlung, 1909, S. 15. 7 Johann Gramann, »Nun lob, mein Seel, den Herren«. 1540. EG 289,2. 8 Albert Knapp, »An dem Zorntag, an dem hohen, stürzt die Welt in Feuerlohen«. Um 1850. Evangelisches Kirchengesangbuch. Ausgabe für die Evangelische Landeskirche in Württemberg. 1. Auflage (1953). Stuttgart. Nr. 426,9. Nach »Dies Irae« von Thomas von Gelano. 9 »Das Augsburger Bekenntnis«. EG 835,2. 10 Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen: Vandenhoeck &c Ruprecht, 1952, S. 152 f. 11 Johannes Goßner (Hg.), Martin Boos, der Prediger der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Seine Selbstbiographie. Leipzig: Karl Tauchnitz, 1831, S. 222. 12 Justus Gesenius, »Wenn meine Sünd’ mich kränken«. 1646, EG 82,5. 13 Bischof Kenneth Cragg, »Mühe um das Evangelium«. Studienheft Nr. 20 Weltmission heute, Hamburg: Evangelisches Missionswerk in Deutschland, 1995. 14 Jochen Eber, Johann Ludwig Krapf. Ein schwäbischer Pionier in Ostafrika. Riehen/Lahr: arteMedia, 2006, S. 197f. 15 Albert Knapp, Leben von Ludwig Hofacker, weil. Pfarrer zu Rielingshausen. Heidelberg: Karl Winter, 1855, S. 218 f. 16 Ako Haarbeck, Ludwig Hofacker. Neukirchen, 1961, S. 17. 17 Vgl. Knapp, Hofacker, S. 252. 18 Jochen Klepper, »Er weckt mich alle Morgen«. 1938. EG 452,4. 19 Georg Weissei, »Such, wer da will, ein ander Ziel.« 1642. EG 346,2. 20 Irmgard Weth-Scheffbuch und Philipp Friedrich Hiller, Das Wort und Christus in dem Wort. Metzingen: Ernst Franz, 1969, S. 80. 21 Vgl. Rolf Scheffbuch, Ludwig Hofacker. Vor allem: Jesus! Neuhausen-Stuttgart: Hänssler, 1998, S. 73 ff. 22 Knapp, Hofacker, S. 272. 23 Ulrich Wilckens, Für uns gestorben. Sühne, Opfer, Stellvertretung. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie, 2010, S. 28 f. 24 Jochen Klepper, »Gott wohnt in einem Lichte«. 1938. EG 379,1. 25 Ebd. 26 Predigten für alle Sonn-, Fest- und Feiertage, nebst einigen Buß-und Bettags-Predigten und Grabreden, von M. Ludwig Hofacker, mit dem Bildnisse des Verfassers und erweiterten Mitteilungen aus seinem Lebensgange. Stuttgart: J.F. Steinkopf, 49. Aufl. 1930, S. 918. 27 W. Claus. Württembergische Väter, Band II. Von Brastberger bis Dann. Bilder aus dem christlichen Leben Württembergs. Calw und Stuttgart: Calwer Verlagsbuchhandlung, 2. Aufl. 1905, S. 108. 28 Daniel Falk, »O du fröhliche«. (1816) 1819. EG 44,1. 29 Joseph Mohr, »Stille Nacht, heilige Nacht«. (1816) 1838. EG 46,2. 30 Adolf Schiatter, Paulus, der Bote Jesu. Stuttgart: Calwer Verlagshaus, 4. Aufl. 1969, S. 82. 31 Ein schon 1830 im Sächsischen nachzuweisendes Spottgedicht. 32 Alfred Ringwald, Menschen vor Gott. Band 1. Stuttgart: Verlag Junge Gemeinde, 1957, S. 170. 33 Martin Luther, »Nun freut euch, lieben Christen g’mein«. 1523. EG 341,5. 34 Sören Kierkegaard, Christ aus Leidenschaft. Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk. Hg. und übersetzt von Daniel Hoffmann. Berlin: Eckart Verlag, 1963, S. 217. 35 Erich Beyreuther, Der junge Zinzendorf. Marburg: Verlag der Fran-cke Buchhandlung, 1957, S. 169. 36 Predigten Hofacker, S. 751. 37 Ebd., S. 470 f. 38 Ebd. 39 Ebd. 40 Wilhelm Busch, Predigt am Karfreitag 1961 im Weiglehaus Essen. Tonband. Asslar, 1971. 41 »Der Katechismus nach Luther und Brenz«. EG 834,2.3. 42 Sven Lodin, Carl Olof Rosenius. Der schwedische Erweckungsprediger. Hg. von Jochen Eber. Groß-Oesingen: Druckhaus Harms, 2009, S. 91. 43 Günter Rohrmoser, Der Artikel, mit dem die Kirche auch heute steht und fällt. Bietigheim: Gesellschaft für Kulturwissenschaft, 2008, S. 46. 44 »Heidelberger Katechismus«, Frage 1. Evangelisches Kirchengesangbuch. Ausgabe für die Evangelisch-reformierte Kirche in Nordwestdeutschland; eingeführt 1969. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus; Witten: Luther Verlag; Neukirchen-Vluyn: Neukir-chener Verlag; 1989, S. 1163. 45 Martin Schalling, »Herzlich lieb hab ich dich, o Herr«. 1571. EG 397,1. 46 Christian Ludwig Scheidt, »Aus Gnaden soll ich selig werden«. 1742. Evangelisches Kirchengesangbuch. Ausgabe für die Evangelische Landeskirche in Württemberg. 34. Auflage (1985). Stuttgart: Verlag des Evangelischen Gesangbuchs. Nr. 525,3. Im Folgenden abgekürzt EKG. 47 Paul Gerhard, »Fröhlich soll mein Herze springen«. 1653. EKG 1985. Nr. 27,10a. 48 Gustav Grüner, Christian Römer: Ein Prediger des Kreuzes. Metzingen: Brunnquell-Verl. d. Bibel- u. Missionsstiftung Metzingen/ Württ., 1959, S. 23. 49 Nicolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, Berliner Reden. Band 2. Berlin: 1738; Hildesheim: Georg Olms Verlag, 1985, S. 167. 50 Philipp Friedrich Hiller, »Mir ist Erbarmung widerfahren«. 1767. EG 355,2. 51 Bekenntnisschriften, S. 521. 52 Albert Knapp, »Eines wünsch ich mir vor allem andern«. (1823) 1829. EG 546,1+2. 53 »Der Katechismus nach Luther und Brenz«. EG 834,2.2. 34 Die Deutsche Evangelische Allianz stellt sich vor. Sonderdruck. Stuttgart: Deutsche Evangelische Allianz, 1995, S. 3. 55 Lausanner Dokumente, Band 1: Einzigartigkeit und Universalität Jesu Christi. Neuhausen-Stuttgart: Hänssler 1974, S. 10. 56 Ulrich Wilckens, Standpunkte. Grundlegende Themen biblischer Theologie. Neukirchen-Vluyn: Aussaat, 2010, S. 23 f. 57 Ebd., S. 42. 58 Rudolf Weth, »Jesus Christus für uns gelebt und gestorben«, Studienbrief R 14, in: Kinder leben heute. Berlin: Amt für Missionarische Dienste, 2010, S. 13. Theo Sorg, »Die Predigt des Gekreuzigten«, in: Missionarische Dienste, Bd. 129. Stuttgart: Amt für Missionarische Dienste im Evangelischen Gemeindedienst für Württemberg, 1998, S. 23. 60 Volker Gackle, Warum das Kreuz? Die Frage nach der Bedeutung des Todes Jesu. Beiträge aus dem Albrecht-Bengel-Haus. Tübingen/ Wuppertal: 1998; Auszug aus der Zusammenfassung, S. 223. 61 Peter Stuhlmacher, in: Ders./Theo Sorg, Jesus Christus - für uns gekreuzigt und auferweckt. Jahresgabe. Lichtenstein: Evangelische Sammlung in Württemberg, 1998, S. 22. 62 Dr. theol. Ulrich Eibach, in: Volker Hampel, Rudolf Weth (Hg.), Für uns gestorben. Sühne - Opfer - Stellvertretung, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener-Verlag, 2010, S. 179. 63 Internationale Konferenz Bekennender Gemeinschaften, Das Kreuz Christi - Mitte des Heils. Goslar, 2011, S. 29. Große Entdecker und schwäbische Apostel Von Korntal bis ans Ende der Welt Gebunden, 13,5 x20,5 cm, 178 S., Bibelverse aus der Lutherbibel Nr. 395.167, ISBN: 978-3-7751-5167-2 Johannes Rebmann entdeckt einen Schneeberg in Afrika und keiner glaubt ihm. Samuel Hehich wird von Tempel-Elefanten angegriffen und Gott bewahrt ihn. Neun erstaunliche Porträts aus der Missionsgeschichte laufen in Korntal zusammen. Andreas Schäfer Am dritten Tag Gedanken zu Ostern Paperback, 13,5 x 20,5 cm, 176 S. Nr. 394.847, ISBN: 978-3-7751-4847-4 Seit Ostern ist alles anders: Der Tod ist besiegt! Doch was heißt das im Alltag? Bibeltreu und lebensnah legt Pastor Andreas Schäfer die Oster-Evangelien und 1. Korinther 15 aus. Für jeden der in »echter Gottesfurcht« und »riesiger Jesusfreude« leben möchte. Bitte fragen Sie in Ihrer Buchhandlung nach diesen Büchern! Oder schreiben Sie an: SCM Hänssler, D-71087 Holzgerlingen; E-Mail: info@scm-haenssler.de; Internet: www.scm-haenssler.de Schatten! SCM Bundes-Verlag LebensLauf^> wach glauben » mutig handeln » dankbar genießen ' ■ om Offnen» to i#». LebensLauf^>, »«*• »> magfundwi >. ditnkD.tr aanmßm ' l Ihr Begleiter für eine erfüllte Gestaltung der Jahre nach dem Sechzigsten! Lesen Sie spannende Porträts und bewegende Lebenserfahrungen, die zeigen, wie der Glaube im Alltag Kraft entfaltet, wie Sie Ihr Leben aktiv und weise gestalten können. Inspiration und Ermutigung für den Alltag! Von wegen Kreuzfahrt zum Glauben LebensLauf erscheint 6 mal im Jahr. Ein Abonnement erhalten Sie in Ihrer Buchhandlung oder unter www.bundes-verlag.net Tel. 02302 93093-910 Fax 02302 93093-689 Neu staunen über Passion und Auferstehung Jesus sollte als Gekreuzigter groß herauskommen. Gott hat sich mit der Auferweckung zum allerverachtetsten Jesus bekannt. Das geht weit über menschliches Verstehen hinaus. Aber ohne eine solche übernatürliche Rettungsaktion bleiben Menschen verloren. Wir erahnen, auch wenn wir es nicht völlig begreifen: Das Wort vom Kreuz ist eine Gotteskraft! Rolf Scheffbuch nimmt Zweifel an dieser Botschaft ernst und stellt sie biblischen Aussagen gegenüber. Er verstarb wenige Wochen nach Fertigstellung des Manuskripts und »Allein Jesus Christus« stellt gewissermaßen sein Vermächtnis dar. Rolf Scheffbuch, 1931 bis 2012, war Gemeinde-und Jugendpfarrer der Württembergischen Landeskirche, Dekan und Prälat der Region Ulm. Vielen ist er bekannt als langjähriger Vorsitzender der Ludwig-Hofacker-Vereinigung, von ProChrist e. V. und des deutschen Zweiges der Lausanner Bewegung. CD 14,95 | €A 15,40 | sFr. 22,50 ISBN 978-3-7751-5436-9 SCM Hänssler 9783775154369