08.09.2002
„Und
als er wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das
Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. Und sie brachten zu ihm
einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die Hand auf ihn lege.
Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren
und berührte seine Zunge mit Speichel und sah auf zum Himmel und seufzte und
sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! Und sogleich taten sich seine Ohren
auf, und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig. Und er
gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen. Je mehr er's aber verbot, desto
mehr breiteten sie es aus. Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen:
Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen
redend.“
Markus 7, 31-37
Liebe Gemeinde!
Das Beste an der ganzen Christussache ist immer noch Christus! Schon damals war
das so. Mit keinem Wort wird von denen erzählt, die sich zu Jesus gehalten haben.
An ihnen war nichts Besonderes. Sie waren ganz gewöhnliche Leute. So wie auch
wir. Aber Jesus war Aufsehen erregend. „Er hat alles wohl gemacht!“ So haben
damals die staunend ausgerufen, die wie zufällig das Geschehen miterlebt
hatten. Vielleicht wussten sie noch nicht einmal, dass der Wohltäter Jesus hieß
(der Name „Jesus“ kommt ja im ganzen Bericht nicht vor!). Aber ihn hatten sie
erlebt. Ihn, der Heilloses zurecht bringen kann. Ihn, der Zerbrochenes wohl
machen kann. Ihn, den eigentlichen „Macher“ im All. Ihn, dem Gott alle Macht
und alles Machen anvertraut hat.
Er hat alles wohl gemacht
Das war ja das Erstaunlichste an der ganzen Begebenheit, dass die damals so
sahen und so sagten. „ Alles wohl gemacht!“ Eigentlich hätten sie als
Skeptiker, die wir alle ja normalerweise sind, sagen müssen: „Schön und gut,
dass da jetzt einem Menschen geholfen wurde. Aber was ist mit den vielen
Tauben, Blinden, Stummen und anderen Verschlossenen, die mit ihrer Behinderung
weiter leben müssen? Und wie steht‘s denn mit seinem Machen bei den anderen
Nöten unserer Welt?“ Dass sie damals das nicht vorbrachten, das war das
eigentliche Wunder.
Dies Wunder war größer, als dass ein armer Mensch von Gottes Barmherzigkeit
erreicht wurde. Dies Wunder, dass sie nicht einfach sagten „all right“ – „alles
in Ordnung“. Sondern: „ER“, er ist der Wohlmacher für alles! Dem Taubstummen
hatte Jesus das Gehör und die Sprache aufgetan. Aber sie, die eigentlich nur
Zuschauer zu sein meinten, waren plötzlich in das heilende Handeln von Jesus
einbezogen worden. Ihnen waren – vielleicht begriffen sie es selbst gar nicht
richtig – die Augen und das Verständnis geöffnet worden für die eigentliche
Jesus-Wirklichkeit. Normalerweise tun wir so schwer, zu begreifen: Er, Jesus,
hält die ganze Welt in seiner Hand und das ist gut so! Normalerweise meinen
wir, das sei unrealistische Träumerei. Dabei ist es doch wie eine Vorwegnahme
des großen Lobpreises, der in Gottes Welt angestimmt werden wird: „Ja, du
machst alles neu! Preis, Lob und Dank Dir, Jesus!“ Dies staunende Bekenntnis
hat Zukunft. Dann, wenn wir uns all unserer Zweifel an Jesus schämen werden
müssen, wird erst recht gelten: „ER hat alles wohl gemacht!“
So ist ER, Jesus!
Jeder einzelne Mensch ist Jesus wichtig. Sogar für solche Menschen ist Jesus
da, die nach menschlicher Erfahrung einfach „hoffnungslose Fälle“ sind. Sie
sind bedauernswert. Aber helfen kann man ihnen nicht. Jesus hatte damals für
den Behinderten weit mehr bereit als eben eine wohltuende Gebärde voll
Mitleiden. Er speiste ihn auch nicht mit einer Segnung ab Er gab dem Versehrten
nicht eben etwas. Vielmehr gab er sich selbst. Darum nahm er ihn „aus der Menge
beiseite“. Für ihn wollte er, der Sohn Gottes, ganz da sein. Der
Hilfsbedürftige sollte nicht degradiert werden zu einem Objekt, an dem Jesus
seine Wundermacht demonstrierte. Jesus kann die ganz speziellen Nöte von
Menschen wahrnehmen. Er kann auf erstaunliche Weise spüren lassen, wie viel ihm
jedes einzelne Menschlein wert ist.
Das war doch nicht nur damals so! Damals – dazu ist uns dieser Bericht
überliefert – war Jesus vielmehr unterwegs dorthin, wo er sich von Gott die
eigentliche Not der Menschen auf sich werfen ließ. Seitdem gilt erst recht:
Jesus will für einzelne da sein! Sie sollen innewerden und erfahren: Alles kann
anders werden, wenn ER da ist!
So ist ER, Jesus! Alle Dinge sind möglich ihm, der glaubt, der in
unvorstellbarer Gottesnähe war, blieb und ist. Nichts ist davon berichtet, dass
der arme verschlossene Mensch vertrauensvoll seine Augen auf Jesus gerichtet
hat. Jesus ist doch nicht darauf angewiesen, dass Menschen mit ihrem glaubenden
Zutrauen empfangsbereit werden für ihn. Umgekehrt ist es! Wenn Jesus – wie es
damals geschah – vertrauensvoll zum Himmel aufsieht, wenn Jesus vor dem Vater
für Menschen eintritt, dann öffnet sich selbst der verschlossenste Himmel.
Selbst wenn die ganze Christenheit den Himmel „veruntreut“ haben sollte – so
hat ja der Schriftsteller Franz Werfel voll Bedauern vermutet -, ja selbst wenn
Gottes segnende Gegenwart uns entzogen sein sollte, kann Jesus über dem
verschlossenen Himmel befehlend ausrufen: „Tu dich auf!“ Das ist es doch, was
wir – weit über ein neu geöffnetes Gehör, über ein neu bevollmächtigtes
Sprechen, über ein neu erschlossenes Erkennen hinaus – brauchen! Ach, bitte,
Jesus, befiehl doch dem verschlossenen Himmel: „Tu dich auf!“ „Hephata!“
So ist ER, Jesus! Bei ihm ist alles andere als Willkür. Bei ihm regiert nicht
der Zufall. Er ist voll Geradlinigkeit, geprägt von Verlässlichkeit. Einst
hatten die prophetischen Boten Gottes angekündigt, dass Taube hören werden,
dass die Zunge der Stummen frohlocken wird, dass Elende wieder Freude haben
werden an Gott und dass die Ärmsten unter den Menschen fröhlich sein werden
darüber, dass es den „Heiligen Gottes“ gibt. Das ist in Jesus Wirklichkeit
geworden. Schon damals. Erfahrbar ist es bis heute.
Erst jüngst sagte ein schwerkranken Mitchrist seinen Angehörigen: „Meint doch
keinen Augenblick lang, Jesus hätte mich aufgegeben. Er ist unaussprechlich
nah. Auch die Fürsorge der Ärzte und Pflegenden ist ein Geschenk von Jesus,
auch die lindernden Mittel. Vor allem jedoch hat Jesus diese Tage dazu benützt,
um mich erst recht würdig zu machen der Auferstehung und der kommenden Welt!“
So ist ER, Jesus! Er kann Ärmste fröhlich machen im Wissen: Er ist da! Die
meisten unserer großen Trostlieder der Christenheit sind entstanden in Zeiten,
da die Verfasser hinein gerissen waren in unvorstellbare Leiden. „Dennoch
bleibst du auch im Leide: Jesus, meine Freude!“
Und dass Jesus seinen Leuten nicht nur Schweres schickt, sondern bei ihnen
richtige Wunder wirken kann, das haben – vermutlich – wir alle schon erlebt –
mehr, als wir „verdient“ haben.
Man kann fröhlich werden an Jesus, dem „Heiligen Gottes“, auch wenn es noch so
armselig zugehen sollte. Denn irgendwann wird ja über jedem von uns die
körperliche und auch seelische Ohnmacht zusammenschlagen wie eine Woge, die uns
unter sich begraben mochte.
Aber dann soll noch mehr Verlass darauf sein auf den Jesus, der zugesagt hat:
„Niemand soll euch aus meiner Hand reißen!“
So ist ER, Jesus! Damals hat Jesus mitten in eigentlich heidnischem Gebiet den
ungewohnten Jubel ausgelöst: „Er hat alles wohl gemacht!“ Bis heute kann eine
abgestumpfte Christenheit Freude an Jesus und an seinem Heil von denen lernen,
die noch gar nie zuvor Jesus gekannt hatten. „Dass Jesus uns mit Gott versöhnt
hat!“, das sei das Staunen vieler der neu zum Glauben an Jesus Gekommenen im
Rift Valley in Tanzania, so erzählte uns mit vor Freude blitzenden Augen der
afrikanische Bischof Alpha Mohammed („Our message is atonement!“) In seiner
Diözese gebe es so viel Angst vor den Gottheiten. Denn jeder Mensch empfinde
sein Ungenügen angesichts all dessen, was Gott will. Eigentlich empfinde auch
jeder Mensch das Ungenügen von Opfern und Bußübungen. Um so größer sei die
Freude, dass Jesus vor Gott alles wohl gemacht habe: „Er ist der Erlöser,
Jesus, Gottes Sohn!“ („There is a redeemer...!“)
So
ist ER, Jesus! „Er gebot ihnen, sie sollten’s niemandem sagen. Je mehr er’s
aber verbot, desto mehr breiteten sie es auch“. Jesus will nicht als großer
„Zampano“, als großer Wunderwirker bekannt gemacht werden. Er hat das auch
nicht nötig. Aber noch unnatürlicher wäre es, wenn Menschen nicht davon reden
müssten, was sie bei ihm erlebt haben. Es sollen doch auch andere Menschen auf
ihn bauen, der alles wohl macht.
Amen.