Erwählung und Vorherbestimmung
Thomas Jettel – in Zusammenarbeit mit Herbert Jantzen –
Breitistr. 58, CH-8421 Dättlikon
ISBN: 978-3-86701-503-5 Best.-Nr.: 701.503
März 2014
Herausgeber: Christlicher Missions-Verlag e.V. Bielefeld Printed in Germany
Teil 1: Direkte Aussagen der Heiligen Schrift über Erwählung bzw. Vorherbestimmung
1.1 „… erwählt vor Grundlegung der Welt“ Epheser 1, 4
1.1.2 Die Bedeutung des Wortes „erwählen“
1.1.2.1 Der Begriff Erwählung im Allgemeinen
1.1.2.2 Der Begriff Erwählung im biblischen Gebrauch
1.1.3 Der Zeitpunkt der Erwählung
1.1.5 Die Absicht der Erwählung
1.1.5.1 Gott erwählte uns „für sich“.
1.1.5.2 Gott erwählte sich uns, „damit wir heilig seien“.
1.1.5.3 Gott erwählte sich uns, damit wir heilig seien „in Liebe“.
1.1.5.4 Gott erwählte sich uns, damit wir als Heilige und Tadellose „vor ihm“ seien.
1.1.5.5 Gott erwählte sich uns, damit wir „zum Lobe seiner Herrlichkeit“ seien.
1.1.6 Weitere Erklärungen zum Begriff Erwählen (mit Ausblick auf weitere Bibelstellen8)
1.1.6.1 Erwählen ist nicht gleich auserwählen.
1.1.6.2 Erwählung geschieht nicht notwendigerweise permanent.
1.1.6.3 Erwählung geschieht nicht willkürlich, sondern gemäß Vorauskenntnis.
1.1.6.4 Göttliche Erwählung schließt menschliche Verantwortung nicht aus.
1.1.6.5 Erwählung betrifft die gesamte Heilsgemeinde.
1.2 „ … vorausbestimmt zur Sohnesstellung“ Epheser 1, 5.11
1.2.2 Was ist Vorherbestimmung?
1.2.3 Wie ging Gott vor, um uns zu „Söhnen“ zu erklären?
1.3 „… nach einem Vorsatz gerufen“ und „im Voraus bestimmt“ Römer 8, 28.30 (Römer 8, 28-39)
1.3.1 Gottes Wege mit uns sind gut. 8, 28-30
1.3.1.2 Wie sind nun Gottes Wege gut? 8, 28
1.3.1.3 Für wen sind Gottes Wege gut? 8, 28
1.3.1.4 Warum ist das gute Wirken eine Gewissheit? 8, 28
1.3.1.5 Wie erreicht Gott sein Ziel, das der Christusähnlichkeit? 8, 29.30
1.3.2 Gottes Fürsorge ist gewiss. 8, 31-34
1.3.3 Gottes Liebe hält uns fest. 8, 35-39
1.4.1 Einstieg: Die Sorge des Apostels um Israel 9, 1-5
1.4.1.1 Die Glaubwürdigkeit seiner Sorge 9, 1
1.4.1.2 Das Maß seiner Sorge 9, 2
1.4.1.3 Der Grund seiner Sorge 9, 3-5
1.4.2 Warum Israels (teilweiser) Ausschluss vom Heil trotz seiner
1.4.2.1 Gott hält sein Wort. 9, 6
1.4.2.2 Ein Beispiel aus der Familie Abrahams 9, 7-9
1.4.2.3 Das Beispiel in der Familie Isaaks 9, 10-13
1.4.2.4 Zusammenfassung und Schlussfolgerung
1.4.3 Warum Israels (teilweiser) Ausschluss vom Heil gerecht ist 9, 14-29
1.4.3.1 Gott ist nicht ungerecht und handelt nicht willkürlich. 9, 14-18
1.4.3.2 Gott darf tun, was er will, weil er der Schöpfer ist. 9, 19-21
1.4.3.3 Gott darf bei den Gefäßen des Zorns seinen Zorn aus Güte zurückhalten. 9, 22
1.4.4 Schlussbild: Des Rätsels Lösung 9, 30-33
1.4.4.1 Nichtisraeliten finden Gerechtigkeit. 9, 30
1.4.4.2 Israel gelangt nicht zur Gerechtigkeit. 9, 31-33
1.4.5 Exkurs: Die Verhärtung des Pharaos
Teil 2: Weitere Stellen über Erwählung bzw. Vorherbestimmung in der Heiligen Schrift
2.1 „… dass Gott euch von Anfang zum Heil sich wählte“ 2. Thessalonischer 2, 13
2.1.2 „… in [der] Heiligung des Geistes“
2.1.3 „… im Glauben an die Wahrheit“
2.2 „Erwählte Fremde … gemäß Vorauskenntnis Gottes“ 1. Petrus 1, 1.2
2.2.1 „Erwählte Fremdlinge“ 1, 1M.2A
2.2.1.1 Was bedeutet „erwählt“?
2.2.1.2 Wie und wann wurden sie erwählte Fremdlinge?
2.2.2.1 Das erste Gefüge: „Erwählte Fremdlinge … gemäß Vorauskenntnis Gottes, des Vaters“
2.2.2.2 Exkurs: Der ewige Vorsatz Gottes
2.2.2.3 Das zweite Gefüge in 1. Petrus 1, 2: „Erwählte Fremdlinge … in Heiligung des Geistes“
2.3 „Viele sind Gerufene aber wenige Erwählte“ Matthäus 22, 1-14
2.3.2.1 Es gibt ein Gerufensein im allgemeinen Sinn.
2.3.2.2 Es gibt auch ein Gerufensein im speziellen Sinn.
2.3.4 Der Skopus des Gleichnisses
2.3.5 Der dringliche aber nicht unwiderstehliche Ruf
2.4 „Befleißigt euch, euer Gerufensein und eure Erwählung fest zu machen“ 2. Petrus 1, 10
3.1.1 Rechtes Wirken um rechte Speise 6, 26-29
3.1.2 Das Brot Moses und das Brot Jesu 6, 30-33
3.1.3 Vom Sehen, Kommen und Glauben 6, 34-40
3.1.4 Vom Essen des himmlischen Brotes 6, 41-51
3.1.5 Niemand kann zu Jesus kommen, es sei ihm denn vom Vater her gegeben. 6, 60-67
3.2 „Deswegen hört ihr nicht, weil ihr nicht aus Gott seid“ Johannes 8, 47 (Johannes 8, 23-59)
3.3 „Ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen” Johannes 10, 26
3.4 „Ihr tat der Herr das Herz auf…“ Apostelgeschichte 16, 14
3.6 „… so viele zum ewigen Leben gesetzt waren.“ Apostelgeschichte 13, 48
3.7 „Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken“ Philipper 2, 12.13
3.7.2 Der anspornende Faktor 2, 12
3.7.3 Der ermutigende Faktor 2, 13
3.7.4 Was sagt der Text nicht?
3.9 „… tot in Sünden“ Epheser 2, 1
3.10 „… und das nicht aus euch“ Epheser 2, 8
3.11 „… der Glaube, der durch ihn…“ Apostelgeschichte 3, 16
3.12 „… euch wurde es geschenkt … das Glauben an ihn“ Philipper 1, 29
3.13 „… die ihr durch ihn an Gott glaubt“ 1. Petrus 1, 21
3.14 „… die mit uns einen gleich kostbaren Glauben zugeteilt bekamen“ 2. Petrus 1, 1
3.15 „… wie Gott einem jeden ein Maß des Glaubens zuteilte“ Römer 12, 3
3.16 „Anfänger und Vollender des Glaubens“ Hebräer 12, 2
3.17 „… so macht auch der Sohn lebend, welche er will“ Johannes 5, 21
3.18 „Habt Glauben Gottes“ Markus 11, 22
3.19 „Bekehre mich, und ich werde mich bekehren“ Jeremia 31, 18.19
3.21 „Gib also Acht, dass nicht das Licht in dir Dunkelheit ist.” Lukas 11, 29-36
3.22 „Gott … will, dass alle Menschen gerettet werden“ 1. Timotheus 2, 3.4
Teil 4: Zusammenfassende Fragen bezüglich Erwählung bzw. Vorherbestimmung
4.1 Wem gibt Gott Licht? Wem nicht?
Licht bekommt, wer darum bittet.
Licht bekommt, wer Gottes Willen tun will.
Sehen kann nur, wer dem Sohn Gottes gehorcht.
In der persönlichen Heilswende geschieht eine besondere „Erleuchtung“.
4.3 Wie verdorben ist der Mensch?
4.4 Kann sich der Mensch bekehren, wann immer er will?
Wenn jemand verloren geht, liegt es nicht an Gott.
4.5 Kann der Mensch frei entscheiden? Und wie weit nimmt Gott auf die Entscheidung Einfluss?
Inwieweit nimmt Gott auf die Entscheidung Einfluss?
Gott vertraut sich nicht jedem an.
Gott leitet zur Buße, aber er vollführt sie nicht.
4.6 Wirkt Gott den Glauben? Und wie ist das Verhältnis zwischen Glaube und Gnade?
4.6.1 Grundsätzliches zur „Gnade“
4.6.2 Grundsätzliches zum „Glauben“
4.6.3 Wie kommt es zum „rettenden“ Glauben?
4.7 Was kommt zuerst: Wiedergeburt, Glaube oder Umkehr?
Zuerst muss man hören, dann Buße tun und glauben. Dann schafft Gottes Geist Heil und Leben.
Zuerst Abkehr von der Macht Satans – dann Vergebung
Zuerst Buße, dann Vergebung der Sünden
Zuerst Buße, dann Geistempfang
Zuerst Glaube, dann Rechtfertigung
4.8 Warum glaubt der eine, und der andere nicht?
Letztlich ist es ein Geheimnis.
Der eine wollte nicht; der andere wollte.
4.9 Gott als Verlierer? Hiob 1 und 2
Verzeichnis einiger Schriftstellen
Einige Abkürzungen:
Anm.: Anmerkung
AT: Altes Testament
atl.: alttestamentlich
bzw.: beziehungsweise
d. i.: das ist
eigtl: eigentlich
Erg.: Ergänzung
griech.: griechisch
hebr.: hebräisch
i. S. v.: im Sinne von
K.: Kapitel
n. d. griech. Üsg.: nach der
griechischen Übersetzung
NT: Neues Testament
s.: siehe
so a. i. Folg.: so auch im Folgenden
u. a.: und andere
Üsg.: Übersetzung
V.: Vers
Verf.: Verfasser
vgl.: man vergleiche
wörtl.: wörtlich
zit.: zitiert, zitieren
Abkürzungen der biblischen Bücher:
1M, 2M, 3M, 4M, 5M, Jos, Ri, Ru, 1S, 2S, 1Kg, 2Kg, 1Ch, 2Ch, Esr, Neh, Est, Hi,
Ps, Spr, Prd, Hoh, Jes, Jer, Klg, Hes, Dan, Hos, Joel, Am, Ob, Jon, Mi, Nah, Hab,
Zep, Hag, Sac, Mal, Mt, Mk, Lukas, Johannes, Apg, Rm, 1. Korinther, 2. Korinther, Gal, Eph, Php, Kol, 1Th,
2Th, 1. Timotheus, 2. Timotheus, Tit, Phm, Heb, Jakobus , 1P, 2P, 1. Johannes, 2. Johannes, 3. Johannes, Jud, Off
(A im Anschluss an die Bibelstelle bedeutet „Anfang“, M „Mitte“, E „Ende“ des
Verses.)
Vorliegendes Buch beschäftigt sich mit dem Thema Erwählung und Vorherbestimmung. Es soll solchen, die Gottes Wort ernsthaft erforschen, eine Hilfe zum Verständnis schwieriger Bibelstellen bieten. Es entstand nach jahrelanger Sammlung von Bibelstellen und Beiträgen zu dieser Thematik. Ein Teil des Buches besteht aus Abschriften von Vorträgen und Seminaren von Herbert Jantzen. Das erklärt auch die Verschiedenartigkeit des Stils der einzelnen Kapitel. Zuerst werden wichtige Bibelstellen zum Thema betrachtet, danach einige Fragen behandelt. Wiederholungen lassen sich wegen der Komplexität des Themas und des Aufbaus dieses Buches nicht vermeiden. Wir bitten den Leser um Nachsicht. Im Anhang befindet sich ein Stellenregister, welches dem Leser das Auffinden der Ausführungen zu bestimmten Bibelstellen erleichtern soll. An einigen Stellen wird in Fußnoten auf die Behandlung des jeweiligen Themas an anderer Stelle verwiesen. Die Bibeltexte aus dem Neuen Testament sind der aktuellsten Fassung von „Das Neue Testament, die Psalmen und die Sprüche in deutscher Fassung“ von Herbert Jantzen und Thomas Jettel entnommen. Sonstige Bibeltexte entstammen einer eigenen direkten Übersetzung aus dem Hebräischen. Das Thema ist schwierig und hat im Lauf der Geschichte des Öfteren Christen entzweit. Wir bedauern dies, denn es ist ein sehr schönes und kostbares Thema. Unser Wunsch ist, dass das Buch zur Beruhigung unter Christen, die verschiedener Auffassung sind, beiträgt. Möge es eine Ermutigung sein, möglichst nahe am Bibeltext zu bleiben und in den Aussagen nicht über die Schrift hinauszugehen. Gründliches und genaues Bibelstudium darf zu Mehrung der Liebe führen, der Liebe untereinander und zu dem Gott und Vater, der alle Menschen liebt und in Jesus Christus allen das Heil anbietet. Als Ergebnis des Studiums der in diesem Buch angegebenen Bibelstellen kommen die Verfasser zu folgendem Schluss: Die Bibel lehrt eine Erwählung in der Ewigkeit. Diese geschah in Christus, dem Erwählten Gottes. In ihm wurden vor Grundlegung der Welt alle Gläubigen erwählt. Da die Erwählung nur in Christus ist, kann man, solange man nicht in ihm ist, kein Erwählter sein. Sobald jemand in Christus versetzt wird, gehört er zu den Erwählten. Dieses geschieht in der persönlichen Bekehrung und Wiedergeburt. Warum es dazu kommt, dass gewisse Menschen glauben, während andere nicht glauben, wissen wir letztlich nicht. Die Vorherbestimmung ist in der Bibel nicht eine zum Heil, sondern zu etwas Bestimmtem im Heil. Gott hat im Voraus bestimmt, dass die, die an ihn glauben, eine besondere Stellung erhalten: die Stellung von Söhnen. Daher ist die Vorherbestimmung eine „zur Sohnschaft“. Die Bibel lehrt nicht, dass Gott gewisse Menschen dazu vorherbestimmt hat, dass sie sich bekehren. Was die Bibel nicht lehrt, dürfen auch wir nicht lehren. Die Verfasser sind gerne bereit, sich eines Besseren belehren zu lassen, sollte es sich anders verhalten.
Thomas Jettel und Herbert Jantzen, im März 2012
Im ersten Teil des Buches befassen wir uns mit vier Abschnitten der Heiligen Schrift (Epheser 1, 4 und 1, 5.11 sowie Römer 8, 28-30 und Römer 9), die im Blick auf unser Thema „Erwählung“ bzw. „Vorherbestimmung“ von zentraler Bedeutung sind, weil sie dieses Thema direkter behandeln, als andere Bibelstellen. Diese Abschnitte sind zugleich auch die einzigen, wo das Wort „vorherbestimmen“ („im Voraus bestimmen“, lat. praedestinare1) im Zusammenhang mit dem Heil verwendet wird. Im zweiten Teil wenden wir uns weiteren Bibelstellen zu, die unser Thema eher beiläufig erwähnen, und im dritten Teil befassen wir uns mit denen, die damit in Zusammenhang gebracht werden. Im vierten Teil wird dann auf einige weiterführende Fragen eingegangen.
Epheser 1, 4-6: „… entsprechend dem, dass er uns vor Gründung der Welt in ihm sich erwählte, dass wir seien heilig und tadellos vor ihm in Liebe; 5 er bestimmte uns nämlich im Voraus für sich zur Sohnesstellung durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens 6 zum Lobe der Herrlichkeit seiner Gnade, mit der er uns begnadete in dem Geliebten...“
Epheser 1, 4 ist die klassische Stelle, von welcher eine in der Ewigkeit gefasste, göttliche „Erwählung zum Heil“ einzelner Menschen abgeleitet wird. Die Stelle ist unter Christen oft debattiert worden. Basierend auf den Auslegungen dieser Stelle sind große theologische Systeme entstanden. Viele Christen haben sich aufgrund ihrer Auffassung über die Aussage dieser Stelle voneinander getrennt. Wir wollen uns fragen: Was sagt der Text? Und was sagt der Text nicht? Geht aus dem Text tatsächlich hervor, dass Gott in seiner Sou-
1 Der Begriff „vorherbestimmen“ („im Voraus bestimmen“) ist auch als lateinisches
Fremdwort bekannt: „Prädestination“ bzw. „prädestinieren“ (vom lat. praedestinare bzw.
praedestinatio).
veränität manche Menschen im Voraus dazu erwählt hat, dass sie Christen werden würden, und andere nicht? In Epheser 1, 3 lobt Paulus den „Gott und Vater unseres Herrn, Jesu Christi, der uns in Christus mit jedem geistlichen Segen in den himmlischen ‹Bereichen› segnete …“ Er fährt mit dem Ausdruck „entsprechend dem“ fort. Die Tatsache, dass wir gesegnet wurden, entspricht demnach einer langen Geschichte, die vom Handeln Gottes zu unseren Gunsten erzählt; einer Geschichte, die eingeleitet wird mit den Worten: „entsprechend dem“ oder „gemäß dem“. Was in V. 4 steht, ist somit die Grundlage für das, was Paulus in V. 3 mitteilt. Würden wir nach V. 3 einen Punkt setzen, könnten wir V. 4 wie folgt lesen: „[Dass wir gesegnet worden sind,] entspricht dem [und hat mit der Tatsache zu tun], dass er uns vor Gründung der Welt in ihm ‹sich› erwählte.“ Die Geschichte des Handelns Gottes an uns begann also damit, dass er uns – vor Gründung der Welt – „erwählte“. Betrachten wir daher als Erstes, was dieses Tätigkeitswort bedeutet.
Das griechische Wort für „erwählen“ (eklegomai) bedeutet nicht „auserwählen“. Es ist nicht nötig, die Vorsilbe „aus-“ hinzuzufügen. Die griechische Vorsilbe ek- wird treffend übersetzt mit der deutschen Vorsilbe „er-“ – daher: er-wählen. Das griech. Wort eklegomai bedeutet „für sich herausnehmen“, „erlesen“, besonders bei gedanklichem oder sprachlichem Vorgang; daher: „nach Überlegung mit Wort beiseite nehmen“, also gleichsam „heraussprechen“. Gott hat gesprochen, gewählt. Die übliche Bedeutung des Wortes „erwählen“ ist „wählen“, z. B. einen Kandidaten für ein politisches Amt wählen. Man denkt an ein Auswählen aus einer Schar, z. B. aus mehreren Kandidaten.
Das Wort „erwählen“ kann in der Bibel gebraucht werden für ein Auswählen aus einer Menge. Ein solches Auswählen findet z. B. dann statt, wenn Gott sich Sendboten aus der großen Schar seiner Kinder erwählt. (Z. B. Lukas 6, 13: „Und er wählte von ihnen zwölf, die er auch Apostel nannte”.) Motiviert wird die göttliche Erwählung
• nicht durch Werke der Menschen (Römer 9, 11),
• nicht durch göttliche Willkür,
• sondern durch seine Liebe (1. Mose 10, 15; Römer 9, 13: „Jakob habe ich geliebt“; vgl. V. 15). „Erwählen“ hat also mit dem Erzeigen von Liebe und Barmherzigkeit zu tun.
Es geht weniger um einen Kontrast (Aussonderung der einen im Gegensatz zu anderen) als vielmehr um eine positive Beziehung. Wohlenberg2 schreibt, Bezug nehmend auf von Hofmann: „mit eklegesthai [erwählen] werde die Beziehung betont, in welche der Erkorene zum Erkürenden trete.“ Jesaja 41, 8.9: „Du aber, Israel, mein Knecht, Jakob, den ich erwählt habe, Same Abrahams, meines Freundes; 9 du, den ich von den Enden der Erde ergriffen und von ihren fernsten Gegenden her gerufen habe und zu dem ich sagte: Du bist mein Knecht; ich habe dich erwählt und nicht verschmäht...“
In dem Begriff „erwählen“ liegt der Gedanke einer positiven Beziehung und besonderen Wertschätzung. Dieses scheint der übliche Gebrauch des Wortes „erwählen“ im Zusammenhang der biblischen Heilslehre zu sein. Das wird im Folgenden deutlich werden.
An Stellen, wo dieses Wort vorkommt, vor allem dann, wenn der Erwählende Gott ist, steht nicht die Handlung des Herauswählens (der Aussonderung) aus einer vorhandenen Anzahl (im Gegensatz zum Verwerfen anderer, Nichterwählter) im Vordergrund, sondern das Ergebnis. Erwählung ist der Akt, der das Erwählte „auserlesen“ macht. Was man sich erwählt hat, ist einem kostbar. Was man sich erwählt, macht man sich zu etwas Kostbarem. Das Auserlesene ist hoch geschätzt. Im Folgenden einige Beispiele aus der griech. Übersetzung des Alten Testaments, wo das griech. Wort für „erwählen“ vorkommt:
2 Wohlenberg zu 2. Thessalonischer 2, 13, in der Reihe von Th. Zahn
• Das Volk Israel ist dem Herrn etwas „Auserlesenes“, Wertvolles. (Vgl. Jesaja 43, 1-4 in Verbindung mit V. 20E; 41, 8-10; 45, 4; 65, 9.15.22; 1Chr 16, 13; Psalm 105, 6; 106, 5.)
• 1. Mose 12, 11: „ … Dort sollt ihr alles darbringen … jede erlesene3 Gabe, die ihr eurem Gott gelobt.“
• 1Kg 5, 3A: „zehn erwählte/erlesene (wertvolle, besondere) Jungstiere“
• Nehemia 5, 18: „sechs erwählte/erlesene Schafe“
• Sprüche 8, 19: „erlesenes Silber“
• Sprüche 17, 3: „Wie Silber und Gold im Ofen geprüft werden, so die erlesenen Herzen beim Herrn.“
• Jesaja 22, 7: „… erlesenen Täler werden voll Wagen sein.”
• 49, 2M: „machte mich wie einen erlesenen Pfeil.”
• Jeremia 3, 19: „ein erlesenes Land“
• 22, 7: „die erlesenen Zedern“ usw.
1. Mose 41:2 und siehe, gerade wie wenn aus dem Fluss sieben Kühe, schön von Gestalt und vorzüglich/erlesen/erwählt im Fleisch, heraufstiegen, und sie weideten im Riedgras.
1. Mose 30:23 nimm Duftstoffe von ausgesuchter Myrrhe – (Schl.: auserlesene Spezerei)
1Kg 5:3 und zehn ausgewählte (Schl.: gemästete) Jungstiere
1Ch 16:13 Du Same Israels, sein Knecht, ihr Söhne Jakobs, seine Erwählten:
Hld 5:15 seine Beine sind Marmorsäulen, gegründet auf goldenen Sockeln, seine Gestalt ist wie der Libanon, edel (erwählt/erlesen) wie Zedern,
Hld 6:9 _9 (Nur) eine ist meine Taube, meine Vollkommene, (nur) eine ist sie für ihre Mutter, auserwählt ist sie für die, die sie geboren hat ((o.: sie ist die Einzige ihrer Mutter, sie ist die Erwählte/Erkorene derer, die sie geboren hat))
Hld 6:10 Wer ist sie, die hervorschaut wie der frühe Morgen , schön wie der Mond, erlesen (erwählt/erkoren) wie die Sonne, Staunen ‹erregend› wie Wohlgeratenes?
Jesaja 22:8 und sie werden die Tore von Juda entblößen und an jenem Tag schauen auf die herrlichen erwählt/erkoren) Häuser der Stadt.
Jesaja 49:2 er machte meinen Mund wie ein scharfes Schwert, und …. Er machte mich wie einen auserlesenen Pfeil, und in seinem Köcher barg er mich.
LXD Jeremia 3:19 _19 Und ich sagte: Es möge geschehen, Herr! Denn (du sagtest) : »Ich werde dich unter die Kinder stellen ((a)) und dir ein auserwähltes (hebr.: köstliches) Land geben, das Erbe Gottes
Hesekiel 19:12 _"12 Und im Grimm wurde sie niedergebrochen, auf die Erde geworfen, und der brennend heiße Wind ließ ihre Spitzen (( wörtlich ihre ausgewählten (Zweige) ((hebr: ihre starken Zweige)) verdorren.
Da 11:15 Und der König des Nordens wird kommen und einen [Belagerungs]wall aufschütten und befestigte Städte einnehmen. Und die Streitkräfte des Südens werden nicht standhalten, selbst sein auserlesenes Volk wird nicht die Kraft haben, [standzuhalten].
Hab 1:16 Darum opfert er seinem Netz und räuchert seinem Garn, denn durch sie ist sein Teil fett und sein Brot feist. (= weil er mit ihnen reich machte seine Anteile und seine Speisen auserlesen.)
LXD Hag 2:7 _7 Und ich werde alle Nationen erzittern lassen ((a)), und das Erlesene aller Nationen wird kommen,
Sac 7, 14 Und sie haben ein erwähltes Land zu einer Leere gemacht.
Das Mittelwort der Vergangenheit eklektos (Erwählter) bedeutet der/ das „Herausgenommene, Beiseitegesetzte, Besondere, Kostbare, Vorzügliche, Erlesene, Erkorene“. Deshalb stellt Petrus die beiden Wörter „erwählt“ und „kostbar“ als gleichbedeutend nebeneinander; das eine erklärt das andere: 1. Petrus 2, 3-6: „… wenn ihr ‹wirklich› geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist, 4 zu dem hinkommend, einem lebenden Stein, von Menschen abgelehnt ‹und verworfen›, ja, aber bei Gott erwählt, kostbar, 5 auch ihr selbst als lebende Steine gebaut werdet: …, 6 … ‘Siehe, ich lege in Zion einen Eckstein, einen erwählten, kostbaren…’ (Jesaja 28, 16)“ Von dem Messias wird gesagt (Lukas 23, 35M): „... zusammen mit ihnen spotteten auch die Obersten und sagten, andere rettete er. Er rette sich selbst, wenn dieser der Gesalbte ist, der Erwählte Gottes.“
Damit beziehen sie sich auf alttestamentliches Wort Gottes (Jesaja 42, 1; 49, 7). Bekanntlich wurde der Erlöser dieser Welt nicht aus einer Reihe von vorhandenen Kandidaten ausgewählt. Als Gott den Messias erwählte, war das nicht eine Auserwählung. Es gab nicht eine Schar, aus welcher der Messias herausgewählt wurde. Dennoch wird er „Erwählter“ genannt. Er war immer schon ein dem HERRN „Erwählter“, „Kostbarer“ (1. Petrus 2, 4), ja die Kostbarkeit schlechthin (1. Petrus 2, 7A). Wählt jemand sich ein Juwel im Juwelierladen, so ist ihm der Stein, den er sich erwählte, kostbar: ein erwählter/erlesener. (Neben-
3 eklektos nach der griech. Übersetzung; so a. i. Folg.
bei sei bemerkt: Das griechische Wort für „Edelsteine“ ist „erlesene Steine“; Jesaja 54, 12 n. d. griech. Üsg.) Wählt sich ein junger Mann eine Frau, so ist sie seine „Erwählte“. Sie ist ihm kostbar. Er wählt sie natürlich aus einer Menge heraus, aber diese eine ist ihm eine Besondere, Geschätzte. Die Bibel spricht auch von der Erwählung ursprünglicher Himmelsbewohner (1. Timotheus 5, 21): „Ich bezeuge mit Ernst vor dem Gott und Herrn Jesus Christus und den erwählten Engeln...“
Diese himmlischen Wesen wurden nicht aus einer größeren, nicht erwählten Schar gewählt, sondern sie waren von Anfang an alle als gute Engel geschaffen. Es gab keine anderen, aus denen sie gewählt werden konnten. Sie waren nie Auserwählte; sie waren immer Erwählte, Erlesene, Kostbare.
So ist es mit unserem Herrn Jesus. Er ist dem Vater ein Erwählter, d. h. ein „Geliebter“, ein Besonderer. Hier besteht eine Liebesbeziehung. Matthäus 12, 18: „Siehe! Mein Knecht, den ich [mir] vorzog, mein Geliebter, an dem meine Seele Wohlgefallen fand!“
Für „Geliebter“ steht im hebräischen Text von Jesaja 42, 1 bechiri, d. h. „mein Erwählter“. Matthäus übersetzte: „mein Geliebter“, weil „geliebt“ synonym zu „erwählt“ verwendet werden kann. (Vgl. auch die griech. Üsg. von Jesaja 42, 1, wo ho eklektos mou [mein Erwählter] steht.) Lukas 9, 35 lautet nach manchen griechischen Handschriften: „Dieser ist mein erwählter/erlesener Sohn” für: „Dieser ist mein geliebter Sohn”. Wenn Gott Menschen erwählt, geht er eine Beziehung mit ihnen ein. Das Wort „erwählen“ hat hier die Bedeutung des Hineinstellens in eine besondere Beziehung. Römer 8, 31.33A: „Was werden wir also zu diesem sagen? Wenn Gott für uns ist, wer ist gegen uns? … Wer wird Anklage erheben gegen die Erwählten Gottes?“ So spricht der Apostel. Mit dem Begriff „Erwählte“ drückt er aus, dass es um eine Beziehung der Liebe geht. Römer 16, 13 lässt Paulus seinen Bekannten in Rom als einen „Erwählten“ grüßen: „Grüßt Rufus, den Erwählten im Herrn“. Warum nennt er Rufus so? Ist nicht die ganze Gruppe der Christen in Rom eine Schar von Erwählten? Ja. Aber Paulus möchte betonen, dass Rufus ein ihm kostbarer, geschätzter Bruder ist, zu dem er eine besondere Beziehung hat. In Apostelgeschichte 9, 15 sagte der Herr zu Ananias bezüglich Saulus: „Gehe hin, weil dieser mir ein erwähltes Gefäß ist.“ Mit anderen Worten: Ich habe mein Auge auf ihn gehabt. Ich habe ihn von Mutterleib an geschaffen, geformt, vorbereitet. Ich habe mir dort ein geeignetes Gefäß gebildet. Ananias, geh zu ihm. Jetzt ist es so weit. Ein „erwähltes/ erlesenes Werkzeug“, das spricht von einer Beziehung. In 1. Petrus 2, 9 schreibt Petrus an seine Leser: „Aber ihr seid ein erwähltes Geschlecht ...“, ein besonderes. Das will er ihnen nahebringen. In 2. Johannes 1 schreibt der „Ältere“ an die „erwählte Herrin“. Er spricht von sich selbst als von einem älteren Bruder, und er schreibt an eine Frau. Vielleicht handelt es sich um einen verdeckten Ausdruck für eine ganze Gemeinde. Es waren ja Zeiten der Verfolgung. Da spricht man manchmal verdeckt. Auf jeden Fall gebraucht er hier diesen Ausdruck „erwählte Herrin“. Diese Schwester bzw. Gemeinde war für ihn kostbar. Er liebte sie, so wie der Herr Jesus ihn geliebt hatte. Ebenso 2. Johannes 13: „Die Kinder deiner erwählten Schwester grüßen dich.“ Ebenso Offenbarung 17, 14: „... diese werden mit dem Lamm Krieg führen, und das Lamm wird sie überwinden, weil es Herr der Herren und König der Könige ist, und die, die mit ihm sind, sind Gerufene und Erwählte und Treue.“ Der Ausdruck „Erwählte“ spricht auch hier von einer besonderen Beziehung. Jesus liebt diese Schar. Sie hat ihm durch Blut und Tränen die Treue gehalten. Auch in Epheser 1, 4 klingt diese Liebesbeziehung an: Paulus schreibt, dass Gott „uns sich erwählte“. Im Griechischen steht nicht nur: „dass er uns erwählte“, sondern: „dass er uns … sich erwählte“. In dem Wörtchen „sich“ kommt diese Beziehung zum Ausdruck. Für sich tat er es. Wo die Erwählung lediglich als ein „Auswahlprozess“, als das Auswählen aus einer Vielzahl aufgefasst wird, wirkt der erwählende Gott kalt und hart. Doch es ist nicht Gottes Willkür, die ihn motiviert, sondern seine Liebe.
Der Apostel sagt uns in Epheser 1, 4 auch etwas über den Zeitpunkt der Erwählung. Wann wurden wir erwählt? Den Zeitpunkt bezeichnet Paulus mit den Worten „vor Gründung der Welt“. Damit liegt der Zeitpunkt in der Ewigkeit, denn mit der Gründung der Welt begann die (zeitliche) Schöpfung. Bevor Gott unsere Umwelt schuf, dachte er schon an die noch zu schaffenden Menschen und an ihr ewiges Wohl. Schon damals erwählte Gott uns für sich. In ihm, in Christus, erwählte Gott sich uns vor Gründung der Welt. Damals existierte die Gemeinde des Christus noch nicht, aber der Christus existierte. Er war und ist Gottes Erwählter (Lukas 23, 35; Jesaja 42, 1), Geliebter (Matthäus 12, 18; Epheser 1, 6), Kostbarer (1. Petrus 2, 4-7). Gott sah von Anfang an bereits das Ende. Er sah uns, alle Heiligen und Treuen in Christus, in der Ewigkeit. Alles lag vor ihm da, vor den Augen des Allwissenden. Er sah auch das gesamte Leben jedes einzelnen Christen bis in die Ewigkeit hinein. Untersuchen wir das Neue Testament, so stellen wir fest: Zeitlich gesehen haben wir Erwählung an zwei Stellen: „vor Gründung der Welt“ und eine im Augenblick der persönlichen Heilswende4; die eine in der Ewigkeit, die andere in der „Zeit“, im Heute. Die Erwählung, von der Paulus in Epheser 1, 4 spricht, ist die in der Ewigkeit. Damit wir diese aber verstehen können, lohnt es sich, einen Blick auf andere Stellen zu richten. Erwählung ist der Akt, wodurch Gott uns verändert und sich uns zu Kostbaren und Geschätzten macht. Sie geschieht in der Zeit. In der Ewigkeit hatte er uns schon vorausgesehen und seine Freude an uns gehabt. Aber die Veränderung, sodass wir ihm wirklich zu solchen werden, die ihm kostbar sind und die er schätzt, diese geschieht im irdischen Leben, in der Heilswende des Gläubigen. Davon spricht der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die Thessalonicher: „…, wissen wir ja, Brüder, von Gott Geliebte, um eure Erwählung, 5 dass unsere gute Botschaft nicht in Wort allein zu euch kam, sondern auch in Kraft und im Heiligen Geist und in viel ‹und› voller Gewissheit…“ (1. Thessalonischer 1, 4.5A)
4 Der Ausdruck “Heilswende” mag ungewohnt sein, deshalb eine kurze Erklärung:
Es gibt die große Heilswende, die Christus gebracht hat, und es gibt die persönliche, die
aus Umkehr und Rettung besteht. Im Allgemeinen sagt man „Bekehrung und Wiedergeburt“,
aber Letzteres ist nur ein Aspekt von dem, was Gott zu unserem Heil beiträgt.
Paulus blickt hier zurück auf die Zeit, als er in Thessalonich evangelisierte (1, 4) und erinnert sich: „Wissen wir ja Brüder, von Gott Geliebte, um eure Erwählung ...“ Die Erwählung in der Ewigkeit ist ein geistlicher Akt, bei dem niemand dabei war als nur Gott. Doch hier in 1. Thessalonischer 1, 4 geht es um die „erfahrbare“ Erwählung in der Zeit. Paulus war dabei, als die Thessalonicher erwählt wurden. Das geschah, als er für einige Wochen in Thessalonich wohnte und das Evangelium verkündete. Da erwählte Gott sie. Er nahm sie sich auf die Seite, machte sie sich zu seinen Kostbaren, zu einem geschätzten Eigentum. Das geschah bei ihrer Heilswende. Da wurden sie von Gott zu seinen Kindern gemacht. Gott verändert uns, macht uns ihm wohlgefällig. Er tut es, damit er Freude an uns haben kann. Wir tragen nichts dazu bei. Wir reagieren lediglich auf seinen Ruf, nehmen Jesus Christus als Retter an, ergreifen die Hand, die uns zugestreckt wird. Wir lassen uns retten, lassen uns verändern, lassen uns von ihm lieben. Unser Herz antwortet mit: „Ja, Herr, ich liebe dich.“ Unser ganzes Wesen ist wie das Wesen eines geliebten Mädchens, das auf die Liebe dessen, der es erwählte, antwortet. Wir sind die Braut unseres Bräutigams. Und wir durften antworten. Er hat unser Herz gewonnen. Das ist Erwählung, Erwählung in der „Zeit“. Aber das ist nicht die Erwählung, von der Paulus in Epheser 1 spricht; dort geht es um die Erwählung in der Ewigkeit.
Paulus sagt uns in Epheser 1, 4, in welchem Raum Gott uns erwählte und vorausschauend Freude an uns hatte: „in ihm“, Christus. Gott hat uns sich erwählt in Christus. Er erwählt nur in Christus. Und er erwählt, dass die in Christus heilig und tadellos seien; heilig und tadellos deshalb, weil sie in Christus sind. Um persönlich zu sprechen: Du wurdest nicht in Christus hinein erwählt, sondern du wurdest in Christus erwählt. Du wurdest nicht erwählt, zu Christus zu kommen, sondern wenn du in Christus hineinkommst, wirst du ein in Christus Erwählter, vom Vater geliebt. Warum liebt dich der Vater? Weil du so liebenswürdig bist? Nein. Er liebt dich, der du in dir selbst ein schmutziger Sünder bist, weil du durch den Glauben in Christus bist; in Christus hat er dich für Gott angenehm gemacht. Der Theologe Karl Barth überzog diesen Gedanken und kam zu dem Schluss, dass alle Menschen in Christus erwählt seien. Aber so weit darf man nicht gehen, denn es gibt Menschen, die für alle Ewigkeit verloren gehen werden. Nur von denen, die gerettet werden, kann man sagen, dass sie in Christus erwählt wurden. Gott wusste im Voraus, wer in Christus hineinkommen werde, wer mit ihm – in dem einen geistlichen Leibe Christi – verbunden werden sollte. In diesem Leibe, in diesem Raum in Christus, erwählte er sich uns. Die Erwählung geschieht nicht in einem Leerraum. Gott sieht nicht eine Menge von Menschen und überlegt sich, welchen von ihnen er für den Himmel und welchen er für die Hölle erwählen werde. Jesus Christus ist der Ort, in welchem sich Gott uns zu Erlesenen und Kostbaren macht. Erwählung hat demnach nichts mit der Frage zu tun, wer gerettet wird und wer nicht, sondern mit der Qualität der Geretteten. Erwählung ist nicht die Ursache der Rettung, sondern die Folge. Erwählung heißt, dass der Vater diejenigen für sich nimmt, die in Christus sind. Er nimmt sie für sich als etwas Besonderes. Ein Erwählter kann man erst dann sein, wenn man Buße getan hat. Und jeder Mensch kann zu einem Erwählten werden, wenn er Buße tut. Fazit: Wir lesen nicht, dass Gott uns in Christus hinein erwählte. Erwählung geschieht nur „in Christus“, nie außerhalb von ihm. Erwählung betrifft daher nie jemanden, der noch außerhalb des Heils und damit außerhalb von Christus ist. Von Erwählung wird erst gesprochen, wenn Menschen bereits gläubig sind. Erst ab dem Augenblick, da ein Mensch in Christus hineinkommt, ist er – in Christus – ein von der Gründung der Welt an Erwählter.
Unsere Erwählung ist mit einem Auftrag bzw. mit einem bestimmten Ziel und Zweck verbunden. Wozu, zu welchem Ziel und Zweck, erwählte Gott sich uns in Christus? Epheser 1, 4M: „... dass wir seien heilig und tadellos [o. Heilige und Tadellose] vor ihm in Liebe; (V. 5) er bestimmte uns ‹nämlich› im Voraus für sich zur Sohnesstellung durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens.“ Die Absicht der Erwählung hat mit Heiligkeit zu tun, hat damit zu tun, dass wir tadellos seien in Liebe, hat damit zu tun, dass er uns zu Söhnen und Töchtern machte, die vor ihm sein sollten. Wie kann ein heiliger Gott sündige Menschen erwählen? Ohne das Blut Christi haben wir keine annehmbare Stellung vor Gott. Er hat uns nicht erwählt, weil er voraussah, dass wir heilig wandeln würden, sondern er erwählte uns in Christus mit dem Ziel, dass wir heilig werden sollten. Er wollte die Gemeinde sich selbst darstellen „als die herrliche Gemeinde, die nicht einen Flecken oder eine Runzel habe oder etwas Ähnliches, sondern damit sie heilig sei und tadellos.“ (Epheser 5, 27). Er versöhnte uns, um uns darzustellen „als Heilige und Tadellose und Nichtanzuklagende vor seinem Angesicht“ (Kolosser 1, 22). Die Absicht der Erwählung war und ist, Geschöpfe zu haben, die als Heilige und Tadellose in Liebe „vor ihm“ seien. Heilige und Tadellose, in Liebe – das sind wir in Christus, und das sollen wir auch werden in der Praxis. Beides ist im Blickfeld des Apostels. Die Absicht der Erwählung sei uns im Folgenden Schritt für Schritt vor Augen geführt:
So steht es im Grundtext. Das griechische Wort (eklegesthai) ist in einer bestimmten Aktionsart geschrieben, genannt „Medium“ (die „Sich-Form“). Es bedeutet, dass die handelnde Person etwas in Bezug auf sich selbst tut. Als Gott uns erwählte, tat er es für sich selbst; d. h., er wollte Freude an uns haben. Er rettete uns seinetwegen5. Er hat sich vor Grundlegung der Welt entschieden, sich an unserer Gemeinschaft sättigen zu wollen. Er braucht uns nicht, denn er selber ist die Quelle von allem. Aber er entschied sich, uns zu wollen und sich nach unserer Gemeinschaft zu sehnen. Er wollte Geschöpfe haben, die seinem Herzen Genugtuung und Wonne bereiteten. Eben deshalb verließ Jesus die innige Gemeinschaft mit dem Vater und ging ans Kreuz: damit der Vater mit uns Gemeinschaft haben und uns genießen könne. Für sich hat Gott die Gemeinde der Erlösten erwählt. Wir dürfen nun für ihn da sein. Gott ist das einzige Wesen im ganzen Universum, dem es gebührt, mit Recht einzufordern, dass alles sich um ihn drehe, dass er im Mittelpunkt stehe. Er ist das einzige Wesen, das ein Recht hat, sich selbst, sein Eigenes, zu suchen. Das Wort „Selbstsucht“ ist für uns ein negativer Ausdruck, weil es für uns unangebracht ist. Aber bei Gott ist es nicht verkehrt. Gott darf alles, was er tut, seinetwegen
5 Natürlich nicht nur seinetwegen, sondern auch unseretwegen!
tun. Er sucht das Beste seiner Wesen – seinetwegen; er schuf die Engel und Menschen für sich; er erlöste uns für sich. Wir sind nicht für uns da. Wir haben kein Recht auf uns selbst. Wir sind Fremdeigentum, gehören von Geburt an ihm. Und er meint es so gut mit uns! Bei ihm haben wir es am besten. Da kauft jemand zur alten Zeit auf dem Sklavenmarkt ein schwarzes Mädchen, das verschüchtert, verstört ist, eines, das Angst hat, wenn die Männer vorbeikommen und sie anschauen, ob sie sie kaufen wollen oder nicht. Es kommt ein Herr vorbei und kauft sie. Und sie hasst ihn. Aber sie muss mit ihm gehen. Da sagt er zu ihr: „Du darfst gehen!“ „Wohin?“ „In die Freiheit!“ „In die Freiheit?“ „Ja! Du bist frei.“ „Nein“, sagt sie sich. „In dem Fall will ich nur diesem meinem guten Herrn dienen!“ So ist unsere Sklaverei. Er hat uns aus einer anderen Sklaverei – der Sklaverei der Sünde – freigekauft, damit wir sein Eigentum seien, seine leibeigenen Knechte, von ihm geliebt und ihn aus freien Stücken und von Herzen dankbar liebend.
Heiligung ist Absonderung und Zuordnung. Gott selbst ist heilig, sich selbst zugeordnet. Er ist allem Bösen fremd, abgesondert von allem Sündigen. Nun ruft er uns in seine Nähe; ja, er „baut“ uns hinein in sein eigenes Wesen. Wir sind jetzt durch Christus angeschlossen an ihn, ihm zugeordnet. In diesem Zeichen des Zugeordnetseins sind wir abgesondert von allem Bösen, von dem Feind, dem wir gedient hatten, von der Welt um uns und von der Sünde in uns. Unabhängig davon, wie alt wir in Christus sind, ob „Kind“ oder „Erwachsener“: Gott will, dass wir heilig sind, nichts mit der Sünde zu tun haben. Petrus erinnert uns an das Erlebnis Israels in 1. Mose 19, als Gott zu Israel sagte: Ich habe euch erwählt. Werdet heilig, weil ich heilig bin. (1. Petrus 1, 16) Wer es mit mir zu tun hat, möchte bitte so sein, wie ich! „Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe, wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und euch zu mir gebracht habe. 5 Und nun, wenn ihr fleißig auf meine Stimme hören und meinen Bund halten werdet, so sollt ihr mein Eigentum sein aus allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein; 6 und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.” (1. Mose 19, 4-6A) „Ich bin Jahweh, der euch heraufgeführt hat aus dem Lande Ägypten, um euer Gott zu sein. Und ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.“ (1. Mose 11, 45) „Und ihr sollt mir heilig sein, denn ich bin heilig, ich, Jahweh. Und ich habe euch von den Völkern abgesondert, damit ihr mein seid.“ (1. Mose 20, 26) Gott ist heilig. Daher soll sein Volk heilig sein. War unser Herr Jesus bereit, lieber zu sterben als zu sündigen, so will auch ich bereit sein, lieber zu sterben als zu sündigen. Epheser 1, 4M: „... damit wir heilig seien ...“ im Wesen. Das tut der Herr. Er reinigt uns, vergibt uns alle Schuld, so dass nichts mehr da ist, das uns anklagen könnte. Er macht uns zu seinem Eigentum, ordnet uns sich selbst zu, damit wir ihm geheiligt seien, um dann auch im praktischen Leben Tag für Tag heilig zu wandeln.
Epheser 1, 4: „... entsprechend dem, dass er uns vor Gründung der Welt in ihm ‹sich› erwählte, dass wir seien heilig und tadellos vor ihm in Liebe; 5 er bestimmte uns ‹nämlich› im Voraus für sich zur Sohnesstellung durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens 6 zum Lobe der Herrlichkeit seiner Gnade, mit der er uns begnadete in dem Geliebten...“
Das ist ein schöner Name für den Sohn Gottes (V. 6): „der Geliebte“. So nennt ihn der Vater: „Dieser ist mein geliebter Sohn“ (Matthäus 3, 17; 17, 5; vgl. 12, 18). Es geht um die Liebe – auch bei der Erwählung! An dieser Stelle mag vielleicht jemand einwenden, das Gefüge „in Liebe“ würde zu V. 5 gehören, und die Bedeutung der Aussage wäre dann: „in Liebe bestimmte er uns im Voraus zur Sohnesstellung.“ Es gibt jedoch mehrere Gründe dafür, dass das „in Liebe“ sich auf den vorhergehenden Satzteil beziehen muss:
• Der Abschnitt 1, 3-14 ist einer der zentralsten in der ganzen Heiligen Schrift, voll von reichen Heilsgedanken, Ausdrücken wie „Erwählung“, „Sohnesstellung“, „erkauft“, „versiegelt mit dem Heiligen Geist“ usw. In einer so zentralen Besprechung des Heils, wie wir sie in diesem Text haben, geziemt es sich, die sich ergänzenden Haupttugenden der Erlösten, Heiligkeit und Liebe, die zum eigentlichen Wesen Gottes gehören, zusammenzuhalten. Wir wurden zweimal im Bilde Gottes geschaffen: in Adam und in Christus. Es gehört zum Wesen Gottes, dass er in seinem Charakter zwei Pole hat. Wie der Globus Süd- und Nordpol hat und die beiden zusammen gehören und beide nötig sind, ebenso hat das Wesen Gottes zwei Pole. Alles, was mit Gott zu tun hat, die ganze Welt und die Geschichte der Welt, ist abhängig davon, dass er beides ist: heilig und liebend. Manchmal scheinen diese beiden in Spannung miteinander zu stehen. Aber beide sind nötig. Liebe ohne Heiligkeit ist nicht mehr Liebe, und Heiligkeit ohne Liebe ist nicht mehr Heiligkeit. Die zwei gehören zum Wesen eines jeden der beiden Begriffe: Zu Heiligkeit gehört Liebe, und zu Liebe gehört Heiligkeit. Wenn wir gerettet werden, werden wir gerettet, um heilig zu sein. Und dieses Heiligsein muss „in Liebe“ geschehen. Was Gott von uns Menschen seit jeher erwartet, ist Liebe. Liebe wird in der Gottheit stets gepflegt.6 Sie teilt sich mit. Sie gibt. Sie schenkt. Sie rechnet nicht. Heiligkeit grenzt ab, schließt das Unheilige aus. Heiligkeit muss mit Liebe gepaart sein. Für beide wurden wir gerettet. Es scheint also in diesem zentralen Vers, Epheser 1, 4, wo von der Erwählung gesprochen wird, angebracht zu sein, dass auch hier die Rede sei von einem heiligen Wandel in Liebe.
• Der zweite Grund: Es ist für Paulus auch rein sprachlich üblich, das präpositionale Gefüge dem Satzteil, welchen es ergänzt, nachzustellen. Das Ergebnis lautet: Gott hat uns erwählt, „damit wir seien heilig und tadellos vor ihm – in Liebe“.
• Der dritte Grund: Der Ausdruck „in Liebe“ spricht sonst in diesem Brief von der Liebe der Gläubigen und nicht von der Liebe Gottes. Nähme man diese zwei Wörter zu V. 5 („in Liebe bestimmte er uns voraus zur Sohnesstellung“), so bezögen sie sich auf die Liebe Gottes, was für diesen Brief einzigartig (allerdings
6 Es fällt auf, dass die drei Personen der einen Gottheit miteinander sprechen, auch wenn
jede weiß, was die andere denkt und sagen wird. Und dennoch sagt Jesus: „Ich werde
den Vater bitten, und er wird euch den Fürsprecher geben.“ (Vgl. Johannes 14, 16.) Das war alles
schon längst geplant. Das hatte er bereits mitgeteilt. Warum sollte der Sohn den Vater
bitten? Weil er ihn liebt. Liebe spricht, was der andere längst weiß. Kommunizieren –
das gehört zur Liebe.
aber auch nicht ausgeschlossen) wäre. Dass Gott uns zu Söhnen machte, das tat er natürlich auch aus Liebe; aber im Epheserbrief hat Paulus die Gewohnheit, dieses Gefüge („in Liebe“) für die Liebe der Gläubigen zu reservieren (3, 17; 4, 2.15.16; 5, 2). Er dürfte das hier ebenfalls getan haben.
• Ein vierter Grund: Dass ein solches Gefüge zu den Forderungen „heilig und tadellos“ hinzugefügt werden darf, zeigt u. a. 2. Petrus 3, 14: „Darum Geliebte, als solche, die dieses erwarten, befleißigt euch, fleckenlos und frei von Tadel in ihm gefunden zu werden in Frieden.“ Hier haben wir ein präpositionales7 Gefüge: „in Frieden“. Es wird angehängt als eine Beschreibung für das, was er eben gesagt hat.
• Ein fünfter Grund: „In Liebe“ mit „sich erwählte“ zu verbinden, dafür sind die beiden Ausdrücke im Satz zu stark getrennt. Es ist auch nicht nötig, denn dass Gott in seinem Heilsverfahren in Liebe gehandelt hat, zeigt V. 6; und „erwählen“ ist in der Schrift schon als solcher ein Ausdruck der Liebe.
• Ferner: Der Ausleger R. C. H. Lenski hält auch den Rhythmus für nicht unwichtig. Paulus ist ein guter Kenner der griechischen Sprache. Er schreibt so, dass es rhythmisch schön klingt. Auch das könnte dafür sprechen, „in Liebe“ dem Gedanken von V. 4 zuzuordnen.
Der Apostel sagt weiter: „vor ihm“ sollen wir tadellos in Liebe sein: „… dass wir seien heilig und tadellos [o. als Heilige und Tadellose] vor ihm in Liebe“. Gott erwählte sich uns, dass wir unser ganzes Leben lang vor ihm, dem Herrn, wandeln: heilig und tadellos – in Liebe. Des Morgens früh stehen wir auf, und schon dürfen die Gedanken beim Herrn Jesus sein. „Vor ihm“ erwachen wir. Der Psalmist spricht davon: „Wenn ich erwache, so bin ich bei dir.“ (Psalm 139, 18) Wenn ich erwache, darf ich mich auf die Bettkante setzen und dem Herrn danken, dass ich sein Kind sein darf. Ich darf ganz bewusst den Tag „vor ihm“ beginnen. Dann macht man sich sauber, zieht sich an „vor ihm“. Wenn auf diese Weise die Gedanken bei ihm
7 Präpositional heißt, es hat mit einer Präposition, einem Vorwort – wie „an, auf, für, in, ohne“ – zu tun.
sind, ist es leicht, bald zum Wort Gottes zu gehen, sich zu ernähren. Und man sitzt, wie David „vor dem Herrn“, bedenkt sein Wort und antwortet darauf. „Vor ihm“ steht man wieder auf, kniet sich vielleicht nieder oder geht im Zimmer hin und her. Dann spricht man mit dem Herrn, ist ganz allein mit ihm. Man geht aus dem Zimmer an die Arbeit und erledigt „vor ihm“ die Arbeit; ob es die Bank ist, die Drehbank, die Küchenbank, die Schulbank oder die Datenbank, man sitzt, steht, geht, lebt „vor ihm“. Alles darf „vor ihm“ geschehen. Gott erwählte sich uns, dass wir ihm geheiligt seien, ihm zugeordnet und dass unsere Liebe vor ihm tadellos sei. „Tadellos“ heißt, dass nichts daran auszusetzen ist. Warum „vor ihm“? – weil er die Liebe ist; weil er aus Liebe zu uns kam! So wie er liebte, so tadellos in der Liebe wollen auch wir vor ihm sein! Der Ausdruck „vor ihm“ könnte auch auf das Ziel bezogen sein. Es war Gottes Ziel, dass wir allezeit und in alle Ewigkeit „vor ihm“ seien als Heilige und Tadellose, in Liebe. „Vor ihm“ heißt im Griechischen wörtlich „vor seinem Angesicht“. Gott schuf das Universum, die Milchstraße, unser Sonnensystem, die Erde zu dem Zweck, dass wir ewiglich „vor seinem Angesicht“ seien. Seine Absicht in seiner Erwählung bestand darin, erlöste Geschöpfe für immer vor sich zu haben, zu seiner Genugtuung. In 1. Mose 24, 1-3 wird der goldene Leuchter beschrieben: „Und Jahweh redete zu Mose und sagte: Gebiete den Söhnen Israels, dass sie dir reines, zerstoßenes Olivenöl bringen zum Licht, um die Lampen anzuzünden beständig. Außerhalb des Vorhangs des Zeugnisses, im Zelt der Zusammenkunft, soll Aaron sie zurichten, vom Abend bis zum Morgen, vor Jahweh beständig: eine ewige Satzung bei euren Geschlechtern. Auf dem reinen Leuchter soll er die Lampen beständig vor Jahweh zurichten.“ Wozu stand der Leuchter dort im Zelt der Zusammenkunft? Nicht nur, um den Priestern Licht zu spenden, sondern um „vor dem Herrn“ zu scheinen. Die sieben Flammen leuchteten, ob Menschen zugegen waren oder nicht. Das Licht spricht von Jesus Christus. Dieses Licht kam in uns, als wir Christen wurden. Nun dürfen wir Licht sein. Jesus Christus ist in uns, damit wir nun als Leuchter „vor dem Herrn“ scheinen können, sodass er uns ewiglich ansehen und genießen kann. Ebenfalls in 1. Mose 24, in den V. 5-8, werden die Schaubrote (wörtl.: die „Brote der Präsentierung“) beschrieben: „Und du sollst Feinmehl nehmen und daraus zwölf Kuchen backen: Von zwei Zehnteln soll ein Kuchen sein. Und du sollst sie in zwei Schichten legen, sechs in eine Schicht, auf den reinen Tisch vor Jahweh. Und du sollst auf jede Schicht reinen Weihrauch legen, und er soll dem Brot zum Gedächtnis sein, ein Feueropfer Jahwehs. Sabbattag für Sabbattag soll er es beständig vor Jahweh zurichten: ein ewiger Bund von Seiten der Söhne Israels.“ Was taten diese Brote die ganze Woche hindurch dort vor Gott? Braucht Gott Brot? Hat er Hunger? Nein. Sie lagen nicht zur Speise da, sondern wurden einfach „präsentiert“. Sie lagen da sieben Tage lang „vor dem Herrn“; und dann wurden sie erneuert – und lagen wieder da, „vor ihm“. Wie wurden sie hochgehalten, präsentiert? Durch den goldenen Tisch. Der goldene Tisch spricht von unserem Herrn, Jesus Christus. Wie der Tisch die Brote Gott präsentiert, stellt uns der Herr Jesus dar „vor dem Herrn“. Dazu wurden wir in Christus erwählt.
Epheser 1, 5: „… er bestimmte uns ja im Voraus für sich zur Sohnesstellung durch Jesus Christus…“
Das ist es, was Gott haben wollte: reife Söhne – durch Jesus Christus. So war es das Wohlgefallen des göttlichen Willens gewesen. Und dieses „zum Lobe der Herrlichkeit seiner Gnade“ (V. 6). Das war und ist das große Ziel seines Heilshandelns: dass Gott und Gottes Gnade gepriesen werde. Mit dieser Gnade hat Gott uns versehen, überhäuft: „mit der er uns begnadete (beschenkte) in dem Geliebten“, dem Hochgeschätzten, Erkorenen, Erlesenen. Wir sind ihm Söhne, im Voraus von ihm zu dieser Stellung bestimmt. Und als Söhne sind wir auch Erben (V. 11.12): „in dem wir auch zu einem Erbe kamen, die wir im Voraus bestimmt waren nach dem Vorsatz dessen, der alles nach seinem Willensentschluss wirkt, 12 um zum Lobe seiner Herrlichkeit zu sein, die wir im Voraus in dem Christus gehofft haben”. Mit „wir“ ist die gesamte Schar der „Heiligen und Treuen in Christus“ (V. 1) gemeint. Es war Gottes Vorsatz gewesen, dass wir, seine Gemeinde, „zum Lobe seiner Herrlichkeit“ (V. 12A) seien. Unseretwegen, sagt Paulus, soll Gottes Herrlichkeit gepriesen werden. Wie dieses Ziel erreicht werden kann, zeigt Paulus im Epheserbrief: Zuerst sollen wir erkennen, was wir in Christus sind und haben. Und dann soll unser Wandel dem entsprechend heilig und liebevoll werden. Und eines Tages sollen (und werden) alle Erlösten ungehindert – ohne Schwäche und ohne Zurückhaltung – der Gegenstand sein, durch den Gott gepriesen wird. So war es Gottes Vorsatz gewesen. Alles zu seiner Ehre. Das wunderbare Heil ist nicht nur dazu da, dass wir es genießen, sondern dass er in alle Ewigkeit verherrlicht und gepriesen wird.
Wie ist das Wort „Erwählung/erwählen“ (eklogee; eklegesthai) in heilsgeschichtlichen Zusammenhängen zu verstehen? Wie bereits erwähnt, im Sinne von „erwählen“, nicht im Sinne von „aussuchen, auswählen, auslesen aus einer Menge“. Die Erwählung des Heilsvolkes erfolgte „in ihm“. Sie fand in der Erwählung Christi statt. Indem Gott Christus erwählte, erwählte er mit und in ihm
diejenigen, die eines Tages in Christus sein würden, das gesamte Gottesvolk. In Epheser 1, 4 teilt Paulus mit, dass sich Gott uns vor Grundlegung der Welt in Christus erwählte, und in 2. Timotheus 1, 9 schreibt er, dass uns vor allen Weltzeiten in Christus Jesus die Gnade gegeben wurde. Aber wir existierten damals noch gar nicht. Wie also konnte Gott uns die Gnade vor allen Weltzeiten geben? Paulus sagt: in Christus Jesus, nicht außerhalb von ihm: „… der uns rettete und mit einem heiligen Ruf rief, nicht nach unseren Werken, sondern nach eigenem Vorsatz und der Gnade, die uns in Christus Jesus vor ewigen Zeiten
9 gegeben wurde“ (2. Timotheus 1, 9). In demselben Sinne, wie er uns die Gnade „vor ewigen Zeiten“ gab, erwählte er uns in Christus „vor Grundlegung der Welt“.
8 Die im Folgenden angeführten Erklärungen beziehen sich zum Teil auf Bibelstellen,
die später noch ausführlicher behandelt, an dieser Stelle jedoch zum umfassenderen
Verständnis des Begriffes „Erwählung“ notwendigerweise angeführt werden.
9 o.: vor allen Weltzeiten
In Christus waren wir ihm in alle Ewigkeit bereits gegenwärtig, obwohl wir noch nicht existierten. Und indem Christus in der Ewigkeit erwählt wurde, wurden wir in ihm erwählt. Gott ruft zu Christus – in der Zeit, heute. Wer heute diesem Ruf Folge leistet, kommt zu Christus und dadurch in Christus hinein. Vor meiner persönlichen Heilswende war ich kein Erwählter. Ab dem Zeitpunkt, in dem ich durch Buße und Glauben in Christus hineingekommen bin, bin ich ein in Christus (vor Grundlegung der Welt) Erwählter – aus dem Grunde, weil Christus der (vor Grundlegung der Welt) Erwählte ist. So ist es mit allen Gliedern des Heilsvolkes. Wir sind kostbar und geliebt, weil er der „Kostbare“ (1. Petrus 2, 4- 6) und „Geliebte“ (Matthäus 12, 18) ist und wir in ihm sind. Sobald ich in Christus bin, darf ich sagen, dass Gott mich vor Grundlegung der Welt in Christus erwählte; denn Christus ist meine neue Identität. Dasselbe gilt für alle Glieder des Heilsvolkes. In Epheser 1, 4 wird nicht gesagt, dass Gott sich einzelne Menschen auserwählt hat – im Gegensatz zu anderen, die er nicht auserwählte. Damit wird deutlich, dass in dem Begriff „erwählen“ (im Zusammenhang mit dem Heil) nicht der Vorgang des Auslesens/Auswählens betont wird, sondern das Ergebnis. Betont wird die Qualität. Für jeden Menschen ist die entscheidende Frage, ob er heute in Christus ist oder nicht. Sobald jemand in Christus hineinkommt, gehört er zu den Erwählten. Solange er noch außerhalb von Christus verbleibt, ist er nicht ein Erwählter. Wenn heute jemand außerhalb von Christus ist, ist er damit nicht notwendigerweise unwiederbringlich ein Verworfener, sondern er hat immer noch die Möglichkeit, durch Buße und Glauben in Christus hineinzukommen und so ein Erwählter zu werden.
Ist eine Person oder ein Gegenstand „erwählt“, so ist damit nicht notwendigerweise ein permanenter – also unveränderlicher – Zustand gemeint. In Römer 11, 1.2.7-15 werden die Ausdrücke „verwerfen / versstoßen / verhärten“ und „erwählen“ im relativen Sinne gebraucht, nicht im absoluten, ewigen. Römer 11, 7: „Was ist also [zu sagen]? Wonach Israel trachtet, das erreichte es nicht. Aber die Erwählung erreichte es. Die Übrigen wurden verhärtet”. Unwiederbringlich verhärtet? Nein: V. 12.15.22.23-32. So kann etwas/jemand zunächst nicht erwählt sein, später aber doch erwählt werden. Ebenso kann jemand, der verstoßen/verworfen war, später wieder angenommen werden (Psalm 60, 3; 89, 39; Jesaja 14, 1; Jeremia 6, 30; 7, 29; 14, 19; Klg 5, 22; Sac 1, 17; 2, 16; Römer 11, 1ff) oder jemand, der erwählt ist, später verworfen werden (z. B. Saul, 1Sa 15, 23; Israel). Die Tatsache der Erwählung garantiert also nicht, dass das Ziel erreicht wird. Nachdem der Apostel Paulus von der Erwählung der Thessalonicher zum ewigen (künftigen) Heil gesprochen10 und sie ermutigt hat, ruft er sie auf: „Steht dann also fest!“ (2. Thessalonischer 2, 15). Und Petrus sagt, Erwählte sollen sich befleißigen, die Erwählung „festzumachen“ (2. Petrus 1, 10.11).11
Gott erwählt nach einem Grundsatz: gemäß Vorauskenntnis. Davon spricht der Apostel Petrus in seinem ersten Brief (1. Petrus 1, 1.2): „Den erwählten Fremden der Zerstreuung ‹in› Pontus, Galatien, Kappadokien, Asien und Bithynien, 2 [erwählten Fremden] gemäß Vorauskenntnis Gottes, des Vaters ...“
Gott kannte uns im Voraus persönlich: unsere Geschichte, unseren Anfang, unser Ende, unsere Liebe. Die Tatsache, dass etliche nicht glauben, während andere glauben, ist nicht auf einen Willkürakt Gottes zurückzuführen. Die Heilige Schrift offenbart12, dass Gott nicht aus Willkür handelt, sondern aus Barmherzigkeit und Liebe. Gott verstößt niemanden willkürlich.13 Der Kanal der Liebe Gottes zu den Menschen heißt Jesus Christus. Das Mittel, um sich diese Liebe zu eigen zu machen, heißt Glaube. Johannes 16, 27: „… der Vater selbst hat euch lieb, weil ihr mich geliebt und geglaubt habt, dass ich von Gott ausgegangen bin.“ Warum liebte der Vater diese Jünger? Weil sie liebenswürdig waren? Nein. Allein deshalb, weil sie durch den Glauben mit Christus, dem Geliebten, verbunden waren.
Petrus macht klar: Auch wenn Gott uns schon vor Grundlegung der Welt erwählte, sind wir dennoch dafür verantwortlich, dass wir
10 Siehe die Ausführungen zu 2. Thessalonischer 2, 13.
11 Siehe die Ausführungen zu 2. Petrus 1, 10.11.
12 Siehe die Ausführungen zu 1. Petrus 1, 1.2.
13 Siehe die Ausführungen zu Römer 9.
Erwählte bleiben: „Deshalb, Brüder, befleißigt euch umso mehr, euer Gerufensein und [eure] Erwählung fest zu machen“ (2. Petrus 1, 10A). Jesus legte seinen Jüngern nahe, in seiner Liebe zu bleiben (Johannes 15, 9): „So wie der Vater mich liebte, liebte auch ich euch. Bleibt in meiner Liebe.“ Bleibt meine Geliebten, bleibt im Genuss meiner Liebe. Ich will euch bei mir haben. Entfernt euch nicht! Saul, der Erwählte des Herrn (2Sa 21, 6), wurde verworfen von dem Stand, zu welchem er erwählt worden war (1Sa 15, 23.26; 16, 1). Niemand kann sich damit herausreden, dass er nicht glauben könne. In Römer 10, 16 zeigt Paulus auf: „Nicht alle jedoch gehorchten der guten Botschaft.“ Dann führt er Jesaja 53, 1 an: „… denn Jesaja sagt: ‘Herr, wer glaubte unser Gehörtes?’“. Und in Römer 10, 21 führt er Jesaja 65, 2 an: „Zu Israel sagt er aber: ‘Den ganzen Tag streckte ich meine Hände aus zu einem im Unglauben ungehorsamen und einem widersprechenden Volk.’“ Paulus bezieht sich auf dieselben Menschen. Gott befahl; sie gehorchten nicht, wollten nicht glauben. Gott streckte seine Hände nach ihnen aus. Sie gehorchten immer noch nicht. Warum nicht? Weil sie nicht konnten? Daran lag es nicht. Der Weg zu Gott wäre ihnen offen gestanden. Sie hätten gekonnt. Gott sehnt sich ja danach, dass sie sich retten lassen. Er ruft sie auf. Er spielt nicht „Theater“ mit diesen Menschen. Sie wären in der Lage gewesen, sich retten zu lassen. Auch der Pharao erhielt Gelegenheit zur Umkehr. Er wollte sie aber nicht ergreifen.14 Auch die Pharisäer, die Zeitgenossen Jesu, erhielten Gelegenheit zur Umkehr. Sie wollten jedoch nicht umkehren (Johannes 12, 37; vgl. 5, 40; 8, 45; Römer 10, 3.21), setzten in Bezug auf sich selbst den guten Ratschluss Gottes auf die Seite, machten ihn wirkungslos (Lukas 7, 30) und verhärteten sich – bis sie schließlich von Gott verblendet wurden. Wir beachten Johannes 12, 36-40: Die, die in Vers 39 (aufgrund göttlicher gerichtlicher Verblendung15 und Verhärtung16) nicht glauben können („Deswegen konnten sie nicht glauben…“), waren in Vers 36 gerade dazu aufgefordert worden: „Solange ihr das Licht habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne des Lichtes werdet.“ (12, 36)17
14 Siehe die Ausführungen zu Römer 9.
15 Vgl. Jeremia 13, 16.17.
16 Vgl. Römer 11, 7-10.
17 Siehe die Ausführungen zu Johannes 9, 41 (K. 7-9) und Lukas 11, 29-36.
Wen hat sich Gott erwählt? Die Gesamtheit der Heiligen und Treuen in Christus (Epheser 1, 1). Das bedeutet: uns alle, die wir an Jesus Christus glauben, die ganze Heilsgemeinde. In ihm und durch ihn hat Gott uns – alle Heiligen – gesegnet mit jedem geistlichen Segen in der himmlischen Welt (V. 3). Der Segen kommt in Christus auf uns. Dass wir gesegnet wurden, entspricht dem (o.: hat mit dem zu tun), dass er uns vor Gründung der Welt in ihm sich erwählte. Wir als „Heilige und Treue in Christus Jesus“ (V. 1) haben in ihm eine hohe, kostbare Stellung. Wie Gott im AT Israel als Volk zum Segensträger erwählt hatte, so ist die neutestamentliche Gemeinde erwählt zu einem herrlichen Ziel. Und was war dieses Ziel? Was war „das Geheimnis seines Willens nach seinem Wohlgefallen, das er sich bei sich selbst vornahm“ (V. 9)? Alles sollte in Christus unter ein Haupt gefasst werden. V.10: „… im Hinblick auf die Verwaltung der Fülle der Zeiten, um in Christus alles ‹für sich› wieder unter ein Haupt zu fassen…“ Alles in Christus!
Was stand hinter der Absicht Gottes, dass seine Erwählten heilig und liebevoll (1, 4) sein sollten? Der Apostel Paulus schrieb, Gott hätte erwählt und hätte mit dieser Erwählung seine Absichten gehabt. Aber es stünde noch etwas hinter der Absicht. Es ist für Ausleger oft schwer, V. 5 in eine klare Verbindung mit V. 4 zu bringen. Die Verbindung liegt nicht an der Oberfläche. Epheser 1, 4.5A: „… entsprechend dem, dass er uns vor Gründung der Welt in ihm ‹sich› erwählte, dass wir seien heilig und tadellos vor ihm in Liebe; 5 er bestimmte uns nämlich im Voraus … zur Sohnesstellung …“ Mit V. 5 wird der Gedanke von V. 4 weiter besprochen, und doch haben wir mit V. 5 zugleich auch einen neuen Gedanken. V. 5 ist die Fortsetzung von V. 4, kann aber als ein zweiter Schritt in der Geschichte Gottes in unserem Heil gedacht werden. Gott ist dabei, uns zu segnen (V. 3). Er hat sich uns erwählt (V. 4); nun (V. 5) wird Paulus von der Sohnesstellung sprechen. Was hat es damit auf sich, dass Gott uns im Voraus zur Sohnesstellung bestimmte? Paulus gebraucht das Wort „im Voraus bestimmen“ (oder, mit einem Fremdwort aus dem Lateinischen: „prädestinieren“). Wie verhält sich das Vorherbestimmen (Prädestinieren) zu dem Erwählen? Geschah es vor dem Erwählen oder zur gleichen Zeit wie das Erwählen? Epheser 1, 5A: „… er bestimmte uns ja [o.: nämlich] im Voraus … zur Sohnesstellung…“ Was ist die Bedeutung des kleinen deutschen Wortes „ja“ (bzw. „nämlich“)? Klar scheint zu sein, dass es sich hier um einen zweiten Heilsschritt in der Heilsgeschichte handelt; denn es ist ein sehr großes Ereignis, dass Gott uns zu Söhnen und Töchtern bestimmt hat: V. 4-6: „… entsprechend dem, dass er uns vor Gründung der Welt in ihm ‹sich› erwählte, dass wir seien heilig und tadellos vor ihm in Liebe; er bestimmte uns ‹nämlich› im Voraus für sich zur Sohnesstellung durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens zum Lobe der Herrlichkeit seiner Gnade, mit der er uns begnadete in dem Geliebten“ … V. 9-12: „er setzte uns ‹nämlich› in Kenntnis über das Geheimnis seines Willens nach seinem Wohlgefallen, das er sich bei sich selbst vornahm – im Hinblick auf die Verwaltung der Fülle der Zeiten, ‹um› in Christus alles ‹für sich› wieder unter ein Haupt zu fassen, sowohl das in den Himmeln als auch das auf der Erde – in ihm, in dem wir auch zu einem Erbe kamen, die wir im Voraus bestimmt waren nach dem Vorsatz dessen, der alles nach seinem Willensentschluss wirkt, um zum Lobe seiner Herrlichkeit zu sein, die wir im Voraus in dem Christus gehofft haben…“
Die beiden Begriffe „Erwählung“ und „Vorherbestimmung“ bedeuten nicht dasselbe, und sie geben auch nicht die Antwort darauf, warum manche Menschen gerettet werden und manche nicht. Erwählung und Vorherbestimmung sind zwei völlig unterschiedliche Begriffe. Die Vorherbestimmung bezieht sich nicht auf die Bestimmung einzelner Menschen für das Heil oder für die Verdammnis. Vielmehr beschreibt sie das Ergebnis, für das die in Christus erwählten Menschen bestimmt sind. Das geht aus Epheser 1, 5 klar hervor: „… er bestimmte uns nämlich im Voraus für sich zur Sohnesstellung…“. Gott hätte uns zu Sklaven bestimmen können oder zu Engeln. Das wäre durchaus in Ordnung gewesen. Aber als Gott gedachte, uns zu retten, war die Frage: Wie sollten die Geretteten aussehen? Sollten sie in andere Wesen verwandelt werden? Paulus sagt: Gott beschloss: Solche, die gerettet werden, sollen Söhne Gottes sein. Sie sollen wie Brüder Christi sein, er der älteste und mit Abstand der Größte; aber er nimmt sich unser an und macht uns zu seinen Brüdern (Römer 8, 29; Hebräer 2, 11.12). Welche erhabene Stellung! Der Text sagt, der Mensch ist prädestiniert zu etwas Bestimmtem im Heil. Der Text sagt nicht, eine gewisse Anzahl von Menschen sei zum Heil oder zum Gläubigwerden prädestiniert. Vorherbestimmung ist nicht eine vorher getroffene göttliche Bestimmung über gewisse Menschen, wo sie die Ewigkeit verbringen sollen, ob im Himmel oder in der Hölle. Gott bestimmt niemanden vor der Geburt dazu, in der Hölle zu enden. (Petrus sagt, Gott will nicht, dass jemand ins Verderben gehe. Vgl. 2. Petrus 3, 9.18) Auch bestimmt er niemanden von vornherein dazu, in den Himmel zu kommen. Das, was von Gott im Voraus bestimmt („prädestiniert“) worden war, ist etwas Konkretes im Heil, in der Stellung, nämlich die „Sohnesstellung“! Der Begriff „Sohnesstellung“ hat hier nicht in erster Linie mit Kindschaft oder Adoption zu tun.19 Verleihung der „Sohnesstellung“ bedeutet Einsetzung in die Vorrechte und in die Verantwortung eines erwachsenen Sohnes. Die Sohnesstellung steht im Gegensatz zur Stellung des unreifen, nicht erwachsenen Sohnes, die derjenigen eines Sklaven ähnlich war.
18 Es gibt Theologen, die behaupten, 2. Petrus 3, 9 beziehe sich nur auf die Gläubigen. Gott
wolle nicht, dass Gläubige verloren gehen. Dass Gott nicht will, dass Gläubige verloren
gehen, ist richtig. Aber Petrus spricht im Zusammenhang davon, dass Gott barmherzig
und geduldig ist und mit der Ankunft Christi wartet. Entsprechend der Mehrheit der
griechischen Handschriften und des überlieferten traditionellen Textes lautet der Vers: „Der Herr ist nicht säumig mit der Verheißung, wie etliche es für eine Saumseligkeit achten,
sondern er ist geduldig gegen uns: Er will nicht, dass welche ins Verderben gehen, sondern
dass alle Raum zur Buße haben.” Das Wort „uns” muss vom Zusammenhang her alle
Menschen mit einschließen: Gott ist geduldig mit uns Menschen. Er will, dass wir den
Ruf des Evangeliums hören. Er ist geduldig und wartet, damit möglichst viele Menschen
sich versöhnen lassen (2. Korinther 5, 20), denn er ist ein „Retter aller Menschen“ (1. Timotheus
4, 10). Er hat kein Gefallen am Tod des Ehrfurchtslosen, sondern möchte, dass er von
seinen Wegen umkehre und lebe (Hesekiel 18, 23; 33, 11).
19 Es stimmt, dass Gott tatsächlich in einem gewissen Sinn die Seinen auch „adoptiert“;
aber das ist hier nicht das Thema.
Römer 8, 15: „denn ihr empfingt nicht einen Geist der leibeigenen Knechtschaft, [der] wiederum [Anlass] zur Furcht [gäbe], sondern ihr empfingt einen Geist der Sohnesstellung, in welchem wir rufen: ‘Abba! Vater!’“
Galater 4, 1-7: „Ich sage aber: Solange der Erbe unmündig ist, unterscheidet er sich in nichts von einem Leibeigenen, obwohl er Herr von allem ist, 2 sondern er steht unter Vormündern und Verwaltern bis zu der vom Vater festgesetzten Zeit. 3 So waren auch wir, als wir unmündig waren, den elementaren Dingen der Welt als Leibeigene unterworfen. 4 Aber als die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn aus, geworden aus einer Frau, geworden unter Gesetz, 5 damit er die unter [dem] Gesetz freikaufte, damit wir die Sohnesstellung empfingen. 6 Dass ihr aber Söhne seid: Gott sandte den Geist seines Sohnes aus in eure Herzen, der ruft: ‘Abba! Vater!’ 7 So bist du nicht länger Leibeigener, sondern Sohn; wenn aber Sohn, auch Erbe Gottes durch Christus.“
Paulus gebraucht den Ausdruck „Sohnesstellung“ im Sinne der Stellung vor Gott und dem Gesetz. Das mosaische Gesetz war für „Kinder“. Wenn Kinder in die Familie geboren werden, brauchen sie zuerst das Gesetz. Sie können nicht freiwillig entscheiden. Sie müssen in einer Atmosphäre der Liebe in Schranken erzogen werden. Fehlt die Liebe, hilft allerdings kein Gesetz. Das Gesetz ist die Form, in der sie erzogen werden, d. h., das Kind erhält darüber eine Orientierung, was es tun darf und was nicht. Das Kind will lernen, will seine Umwelt kennen lernen, will Wissen erwerben. Es will Bekanntschaft machen mit der Welt, in die es hineingeboren wurde. Gesetz (hebr. thorah) bedeutet eigentlich „Weisung“. Das Gesetz ist zweierlei: Unterweisung und Anweisung. Kinder brauchen Gesetz (Weisung, Erziehung) und einen Erzieher (griech. paidagoogos). Der paidagoogos war in der Antike ein Sklave, der die Kinder eines Wohlhabenden zu beaufsichtigen hatte. Unter Umständen, wenn er die Begabung hatte, musste er auch selbst unterrichten; ansonsten oblag es ihm, die Kinder zur Schule zu bringen. Er hatte auch dafür zu sorgen, dass sie wieder nach Hause kamen. Ein paidagoogos ist kein Zuchtmeister. (Das wäre etwas zu hart ausgedrückt.) Er ist ein Aufpasser, Beaufsichtiger, Pfleger, Erzieher. Als Israel unter dem Gesetz war, war es unmündig. Gott erzog es mittels seiner „Weisung“. Diese sollte Gottes Volk dahin bringen, dass es für den Messias empfänglich würde. Dann kam der Messias. Er war die Erfüllung des Gesetzes. Als der Heilige Geist kam, machte er uns zu Söhnen. Wir sind nun nicht mehr unter dem paidagoogos (Galater 3, 24.25). Paulus sagt, das Gesetz erzog uns hin zu Christus, zum Messias. Christus war der Fels, der Israel die ganze Zeit begleitet hatte (1. Korinther 10, 4). Wenn wir heute zu Jesus kommen, sind wir nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter dem Heiligen Geist. Das ist der neue paidagoogos, der uns Anweisung und Unterweisung gibt. Er ist das neue Gesetz, „das Gesetz des Geistes“. (Vgl. Römer 7, 6; 8, 2.) Er führt, und wir folgen, lassen uns leiten (8, 14). Vieles von dem, was das Gesetz und der Geist fordern, ist ein und dasselbe. Aber die Art und Weise, wie Gott mit uns vorgeht, ist eine andere. Die Sohnesstellung ist die Stellung des reif gewordenen Kindes. Das Kind wird nun auf die gleiche Stufe gestellt wie der Vater – nicht ohne Ehrerbietung, das versteht sich von selbst. Wenn wir den Heiligen Geist bekommen, sind wir in einem gewissen Sinne sofort reif „erwachsen“. Mit der Wiedergeburt werden wir reife Söhne. In dieser Reife gilt es, weiter zu wachsen (Philipper 3, 15.16; Epheser 4, 13). Wir sind nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter dem Heiligen Geist (Römer 6, 14; 8, 13-16). Durch den Heiligen Geist erhalten wir die Ehre, Entscheidungen treffen zu dürfen. Er macht uns fähig zum Überlegen, zum Nachdenken. Bevor Paulus in Epheser 5, 18 vom Heiligen Geist spricht, redet er vom Willen Gottes (5, 15.17): „Prüft, was der Wille Gottes ist! Kauft die Zeit aus.“ Wir sollen überlegen, verstehen, prüfen. (Vgl. Römer 12, 2: „Und formt euch nicht nach dieser Welt, sondern werdet umgestaltet20 durch Erneuerung eures Denksinnes, um zu prüfen, was der Wille Gottes sei, der richtige, der akzeptable und vollkommene.“) Gottes Kinder sind in ihrer Stellung sofort, d. h., mit der Wiedergeburt, Reife (Erwachsene), und leben nicht mehr unter dem Gesetz. Wir als Christen (die ja auch zugleich Hirten sind, 1. Mose 4, 9; Hebräer 12, 15) gehen nicht mehr per Gesetz miteinander um; sondern wir rufen einander auf. Nicht mehr das Gesetz und somit Regelungen bilden die Grundlage unseres Umgangs miteinander, sondern geistliches Aufrichten, Ermuntern, Aufrufen21. So leben Gottes Söhne.
20 o.: lasst euch umgestalten; das Umgestaltet-Werden ist ein Prozess, eine fortwährende
Handlung. Im Griech. wird durch den Imperativ Präsens eine fortdauernde oder wiederholte
Handlung angezeigt.
21 griech. parakalein. Dieses Wort bedeutet in erster Linie nicht „ermahnen“, wie es moderne
Übersetzungen wiedergeben. „Ermahnen“ ist ein altes Wort. Es wird heute fast nur
im negativen Sinne gebraucht. Wenn man ermahnt, setzt man Fehler/Versagen voraus.
Das tut das Wort parakalein nicht. Wenn Gott uns aufruft, sollen wir ihm das Ohr
geben. Wenn Gott uns aufruft, teilt er uns etwas mit. Parakalein ist je nach Zusammenhang:
trösten (1. Thessalonischer 4, 18), aufrichten, ermuntern, ermutigen, aufrufen. In Römer 12, 1 („Ich
rufe euch auf kraft der Barmherzigkeit Gottes ...“) hat Paulus nicht den Lebenswandel
der Römer vor Augen, sondern die Barmherzigkeit, mit der Gott uns entgegengekommen
ist. Paulus hat Gott in seinem Heilshandeln vor Augen und lenkt die Augen der
Römer auf ihn: Seht, Gott hat uns in Christus so viele „Erbarmungen“ (Mehrzahl)
erwiesen. Auch in unserem praktischen Christenleben war alles Gnade und Barmherzigkeit.
Im Hinblick darauf rufe ich euch nun auf: Erwidert sie! Sagt ihm, dass ihr ihn
liebt und haltet euch von der Welt rein. Bietet euren Leib dem Herrn dar, denn er ist das
Gefäß, das Werkzeug, mit dem wir Gott dienen.
Vorherbestimmung beschreibt also das Ergebnis, die konkrete Stellung im Heil, nicht, wer ins Heil kommt und wer nicht.
Zur Illustration: Hier ist eine junge Frau. Sie wird bald heiraten. Eines Tages kommt sie nach Hause mit Babykleidung in der Tasche und erzählt ihren Eltern, die Kleidung sei für ihr Kind. Sie hat im Voraus bestimmt, was ihr Kind einmal tragen wird. Sie hat damit aber nicht im Voraus bestimmt, wer das Kind sein wird. So hat Gott, der Vater, von Anfang an den Reichtum geplant, den er für uns bereit hat. Das ist die biblische Vorherbestimmung. Sie bezieht sich darauf, was diejenigen bekommen werden, die den Herrn annehmen werden, nicht, wer ihn annehmen wird und wer nicht.
Epheser 1, 5: „… er bestimmte uns nämlich im Voraus…“
Das griechische Wort für „er bestimmte … im Voraus“ (pro-orisas) ist ein Mittelwort (wörtl: „im Voraus bestimmt habend“), das im Deutschen aufgelöst werden muss. Es deutet an, dass zwischen V. 4 und V. 5 eine Verbindung besteht. Vor Gründung der Welt erwählte Gott sich uns in Christus …, bestimmte er uns im Voraus für sich zur Sohnesstellung. Die Bestimmung zur Sohnesstellung ist der Erweis der Erwählung. Wir erfahren in V. 4, dass Gott uns erwählt hat. Vielleicht können wir es kaum glauben, dass Gott uns so sehr schätzen sollte. Es geht um eine Liebesbeziehung! Dann erfahren wir in V. 5, dass Gott uns zu seinen Söhnen gemacht hat. Das können wir verstehen. Wir gehören zu seiner Familie. Wir sind vor ihm erwachsene Söhne. Er hat uns von Gesetzeswegen zu solchen gemacht, die mit dem Messias ebenbürtig sind. Wir sind in gewisser Hinsicht seine Brüder. Das verstehen wir, und wir lernen es zu schätzen.
Dann gebraucht Paulus diese Wahrheit, um uns zu überzeugen, dass wir erwählt wurden. Er sagt: Wir wurden erwählt, denn schließlich hat er uns ja zu Söhnen bestimmt! Wie das zeitliche Verhältnis zwischen Erwählung und Vorherbestimmung zur Sohnesstellung ist, ist unklar. Geschah die Vorherbestimmung zur Sohnesstellung vorher? Wir wissen es nicht. Geschahen sie gleichzeitig? Wahrscheinlich. Das eine geht Hand in Hand mit dem anderen. Beide, sowohl Erwählung als auch Bestimmung zur Sohnesstellung, sind Liebesschritte. Gott hat uns vor Gründung der Welt in Christus zu seinen Geliebten und Erlesenen gemacht; dann sagte er: Diese in Christus Erlesenen will ich in meinem Königreich, in meiner Familie, zu Söhnen haben.22
Neben dem ersten Kapitel des Epheserbriefes werden die Verse Römer 8, 28-30 zu den wichtigsten „Belegen“ der Prädestinationslehre gezählt, weil dort ausdrücklich davon die Rede ist, dass die Gläubigen nach einem „Vorsatz“ gerufen und „im Voraus bestimmt“ sind. Um die richtige Bedeutung dieser Begriffe zu verstehen, ist es unumgänglich, ihren Zusammenhang näher zu betrachten. In Römer 8 stellt der Apostel dar, was das Heil in Christus im Leben des Gerechtfertigten bedeutet, wie es sich auswirkt:
• V. 1-16: Das Heil bringt dem Gerechtfertigten Kraft, nach Gottes Willen zu leben.
• V. 17-27: Es bringt dem Gerechtfertigten eine herrliche Zukunftshoffnung.
• V. 28-39: Es bringt ihm ewige Sicherheit. In dem letzten Abschnitt (8, 28-39) zeigt Paulus, dass die Hoffnung des Christen eine gewisse und sichere ist. Das Heil bringt dem Gerechtfertigten Gewissheit in Bezug auf seine ewige Zukunft. Diese Gewissheit erwächst aus drei Wahrheiten in diesen Versen:
1. V. 28-30: Gottes Wege mit uns sind gut. Alles wirkt zusammen für uns zum Guten.
2. V. 31-34: Gottes Fürsorge ist gewiss. Gott steht auf unserer Seite.
3. V. 35-39: Gottes Liebe hält uns fest. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen.
22 Zum Thema „Sohnesstellung“ vgl. auch die näheren Ausführungen zu Römer 8, 28.30 unten.
Die Verse 28-30 sind gleichsam ein Bindeglied zwischen V. 17-27 und V. 31-39. Einesteils sind sie eine Weiterführung der Gedanken von V. 17-27, wo der Apostel von der Hoffnung der Christen sprach. Andererseits gehören sie zu dem Abschlussabschnitt V. 31-39, wo er von der Gewissheit des Gläubigen spricht. „Wir wissen aber: Den Gott Liebenden wirkt alles zusammen zum Guten, denen, die nach einem Vorsatz Gerufene sind, 29 weil er die, die er im Voraus kannte, auch im Voraus bestimmte, seinem Ebenbilde, dem Sohne, gleichgestaltet zu sein, sodass er Erstgeborener unter vielen Brüdern sei. 30 Aber welche er im Voraus bestimmte, diese rief er auch, und welche er rief, diese rechtfertigte er auch. Aber welche er rechtfertigte, diese verherrlichte er auch.“ Gottes Wege mit uns sind gut. Das ist der erste Grund, warum unsere Hoffnung ewiglich sicher ist.
Er hat alles in seiner Macht und lässt es zusammenwirken zu einem guten Ziel hin. Er ist denn auch im Weiteren des Textes der Handelnde. Hierzu darf man Klg 3, 37-39 vergleichen: „Wer ist es, der spricht, und es geschieht, [wo] der Herr es nicht befiehlt? 38 Kommt nicht aus dem Munde des Allerhöchsten das Böse und das Gute? 39 Was hat ein lebender Mensch zu klagen? Jeder [klage] über seine Sünde!“
Gott kann bestimmen, was in meinem Leben geschieht. Gott gestaltet für jedes Leben ein neues Bild. Mit jedem neugeborenen Kind kommt etwas ganz Neues auf die Welt. Wenn dieses Kind ein Gotteskind wird, hat Gott ein besonderes Bild, einen Plan, für dieses Leben. Jeder von uns ist ein Mosaiksteinchen in dem ganzen Gebilde. Jesaja 48, 17: „Ich bin Jahweh, dein Gott, der dich lehrt zu tun, was dir frommt, der dich leitet auf dem Wege, den du gehen sollst.“ Psalm 25, 10: „Alle Pfade des HERRN sind Gnade und Wahrheit für die, die seinen Bund und seine Zeugnisse wahren.“
Alles, was Gott auf uns zukommen lässt, alle Ereignisse, Begegnungen, Missgeschicke, Umstände, sie alle wirken zusammen. Das Leben macht einen Sinn! Gott ist ein Gott auch der Geschichte. Seine Geschichte mit uns ist eine einheitliche. Er kann „alles“ in unserem Leben zum Guten wenden, wenn wir ihn vor allem lieben.
Alles wirkt zusammen zu dem von Gott für uns zuvor bestimmten Guten. Daher brauchen wir auch alles, was uns geschieht, begegnet, zustößt, zugeführt wird. Alles soll dem guten Ziel dienen. Und alles, was wir nicht haben oder bekommen (bzw. alles, was wir nicht haben können und bekommen können), brauchen wir nicht. Es wäre ein Hindernis zu diesem guten Ziel.
Dieses gute Ziel ist Gleichgestaltung in Christi Ebenbild (V. 29). Und Christus ist das Ebenbild seines Vaters. Werden wir in unserem Wesen wie Jesus, so nehmen wir die Charaktereigenschaften Gottes an. Das war von Anfang an des Schöpfers Absicht, der den Menschen in und zu seinem Bilde schuf. Die, die Gott lieben, erreichen das Ziel, sein Ziel. Der, der unter ihnen ein gutes Werk anfing, wird es auch ganz zum Ziel führen (Philipper 1, 6). Die, die Gott lieben, haben eine einmalige Perspektive, sodass sie in der Gegenwart nicht orientierungslos leben müssen. Sie können daher auch etwas zurückstellen zu Gunsten des Besseren.
Gottes Wege sind gut für solche, bei denen die Liebe Gottes im Herzen ausgegossen wurde (Römer 5, 5). Wir können Gott nicht von uns aus lieben. Wir sind gänzlich leer. Aber Gott selbst ist die Quelle unserer Liebe zu ihm. Wenn er, der Liebe ist, durch seinen Geist in unser Leben kommt, macht er uns zum Lieben fähig. 1. Johannes 4, 8-10.19: „Wer nicht liebt, kannte Gott nicht, weil Gott Liebe ist. In diesem wurde die Liebe Gottes unter uns geoffenbart, dass Gott seinen einziggeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn lebten. In diesem besteht die Liebe: nicht dass wir Gott liebten, sondern dass er uns liebte und seinen Sohn sandte als Sühnung für unsere Sünden ... Wir lieben ihn, weil er uns zuerst liebte.“ Die „Gott Liebenden“ (so wörtlich) sind daher identisch mit denen, die Christus lieben und an ihn glauben (Epheser 6, 24; 1. Petrus 1, 8). Glaube und Liebe sind die beiden Säulen der Beziehung des Christen zu seinem Gott. Der Glaube ist der Schlüssel zu dieser Beziehung; durch ihn kommt man zu Gott. Die Liebe ist die Substanz, das Wesen dieser Beziehung. Wer Christus nicht liebt, steht außerhalb dieser Beziehung, gehört zu den „Verfluchten“ (1. Korinther 16, 22). Wie kommt der Apostel gerade an dieser Stelle auf die Bezeichnung „die Gott Liebenden“? Das erste Vorkommnis des Wortes Liebe im Brief haben wir in K. 5, 3-8, und zwar in demselben Zusammenhang wie hier, dem der Widerwärtigkeiten. Dort, wie hier, wird die Liebe des Christen zurückgeführt auf die Liebe des Christus, der seine Liebe zu uns in seinem Tod für uns bekundete. Für solche Gott Liebende also dient alles im Leben zum Besten.
„... denen, die Gerufene sind, wirkt alles zusammen zum Guten...“
• Es geht hier um ein „Gerufensein“, nicht um ein „Berufen“ bzw. eine „Berufung“. Das griechische Wort kalein ist ein allgemeines und bedeutet „rufen“, „mit Namen rufen (nennen, benennen, heißen, bezeichnen)“, „einladen“, „zusammenrufen“, „herbeirufen (holen)“. Das deutsche Wort „berufen“ bzw. „berufen werden“ hat Nebenbedeutungen und Begleitvorstellungen, die das griechische Wort eigentlich nicht kennt. Das griech. Wort kalein (pass. kaleisthai) trägt im Neuen Testament weder den Sinn von „erwählen/erwählt werden“ noch von „bestimmen/bestimmt werden“ in sich. Es ist daher besser, bei der Übersetzung des griech. Begriffes die deutschen Wörter „berufen“ und „Berufung“ zu vermeiden und stattdessen die üblichen Begriffe „rufen“ und „Ruf“ / „Gerufensein“ zu verwenden.
• Es gibt nun ein Gerufensein im allgemeinen Sinne. Der Ruf ist grundsätzlich einmal eine Einladung. Das griechische Wort für „rufen“ (kalein) ist im Grundtext dasselbe Wort, das in bestimmten Zusammenhängen auch für „einladen“ gebraucht wird. Wer gerufen (geladen) wird, darf entscheiden, ob er auf den Ruf (die Einladung) positiv reagieren (d. h., der Einladung folgen) will oder nicht.23 Das Fest ist vorbereitet (Matthäus 22, 4; Lukas 14, 17). Der Ruf erschallt. Die Einladung ist dringlich (Matthäus 22, 9). Aber wehe dem, der dem Ruf nicht folgt! Wenn Gott ruft, ist das einerseits ein großes Vorrecht, eine große Gnade. Aber andererseits hat der Mensch auch die Verantwortung zu gehorchen: Wer dem Ruf nicht folgt, muss die Konsequenzen tragen.
• Es gibt auch ein Gerufensein im speziellen Sinne. Wer auf Gottes Einladung, seinen Ruf, positiv reagiert und kommt, gehört im speziellen Sinne zu den „Gerufenen“. Solche tragen die Bezeichnung „gerufene Heilige“ (Römer 1, 7; 1. Korinther 1, 2) oder einfach „Gerufene“ (Römer 1, 6; 1. Korinther 1, 24; Judas 1). Es ist wie bei einem Hochzeitsfest: Viele sind geladen. Die, die der Einladung gefolgt und gekommen sind, tragen am Fest den Titel „geladene Gäste“. Diese sind hier in Römer 8, 28 im Blickfeld. Die zu Jesus „Gerufenen“ wurden nicht lediglich zur Umkehr gerufen, sondern wurden zu ihm gerufen, um eines Tages ein Ziel zu erreichen. Daher heißt es auch, sie wurden „nach einem Vorsatz gerufen“. Wo von diesem Ruf die Rede ist, da ist auch die Rede von diesem Ziel. Die „Gerufenen“ werden, nachdem sie der Einladung, zu Christus zu kommen, bereits gefolgt sind, von Gott weiterhin gerufen – zur künftigen Herrlichkeit. Gott nimmt sie gleichsam an die Hand: „Komm mit!“ Das tut er, bis sie eines Tages bei ihm sind. 1. Thessalonischer 5, 24: „Treu ist der euch Rufende, der es auch tun wird.“ Ga 5, 8: „Das Überzeugtsein ist nicht von dem, der euch ruft.“
1. Thessalonischer 2, 12: „… dass ihr wandeln solltet [in einer Weise], die würdig sei des Gottes, der euch ruft
[nicht: „der euch rief“] zu seinem ‹eigenen› Königreich und [seiner] Herrlichkeit.“
23 Siehe die Ausführungen zu Matthäus 22, 14.
Es sind die, mit denen Gott etwas Besonderes vorhat, denen alles zum Guten dient, denn zu Gerufenen wurden sie „nach einem Vorsatz“ Gottes. Was ist nun dieser Vorsatz? Er ist das Gute, dem alles in unserem Leben zu dienen hat. Denen, die Gott lieben, wirkt alles zusammen zu diesem Guten. Der Vorsatz entspricht einer göttlichen Bestimmung. V. 29: „... weil er ... im Voraus bestimmte, seinem Ebenbilde, dem Sohne, gleichgestaltet zu sein, sodass er Erstgeborener unter vielen Brüdern sei.“ Der Artikel vor „Vorsatz“ fehlt. Es ist daher zu übersetzen: „nach einem Vorsatz“. Der Apostel spricht allgemein. Das Rufen – die Einladung Gottes – geschieht „nach einem Vorsatz“, einem Vorsatz, der lange vor dem Rufen gefasst worden war. Nicht wir haben den ersten Schritt auf Gott zu getan. Wir haben ihn nicht zuerst geliebt. Gott hat sich nach uns umgesehen und uns gemäß einem ewigen Vorsatz gerufen. Das Heil geht also von Gott aus. Das Rufen geschah nach einem Vorsatz bzw. Ratschluss, der beinhaltete, dass Gott für uns, die Glaubenden, Heil wollte. Dieses Heil besteht in Gleichgestaltung in Christi Ebenbild, in Wiederherstellung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Das Rufen selbst fand in der Zeit statt. Und wir hörten seinen Ruf und folgten ihm. Aber der Vorsatz Gottes war bereits vorher – in der Ewigkeit, vor den Weltzeiten – da. (Vgl. 2. Timotheus 1, 9: „... uns rettete und mit einem heiligen Ruf rief, nicht nach unseren Werken, sondern nach eigenem Vorsatz und der Gnade, die uns in Christus Jesus vor allen Weltzeiten [o.: vor ewigen Zeiten] gegeben wurde ...”) Wir vergessen nicht, dass Paulus von denen spricht, die Gott lieben, nicht von denen, die nicht – oder nicht mehr – an ihn glauben wollen. Es geht also um diejenigen, die im engeren Sinne „Gerufene“ sind. (Im weiteren Sinne werden ja alle gerufen, denn Gott will das Heil aller Menschen. Wenn Gott alle bei seinem „Fest“ haben will, folgt daraus, dass er alle einlädt, alle zum Fest ruft. Vgl. 1. Timotheus 4, 10: Hesekiel 18, 23; 33, 11.)24 Bei den Gerufenen von 8, 28E ist also vorausgesetzt, dass sie auf den einladenden Ruf positiv reagiert haben, dem Ruf gefolgt sind. (Im selben Sinne ist übrigens auch das Rufen in V. 30 zu verstehen: „welche er im Voraus [nämlich zur Sohnschaft, vgl. V. 29] bestimmte, diese rief er auch …“.)
24 Siehe die Ausführungen zu 1. Timotheus 2, 1-7.
Der Vorsatz besteht nicht darin, wen speziell er rufen wollte und wen nicht. Es geht im Text um „uns“ (8, 26.31ff), die Gott Liebenden. Es ist nicht Ziel dieses Abschnittes, zu zeigen, wie Menschen gerettet werden oder welche Menschen gerettet werden und welche nicht; 25 der Apostel will hingegen das herrliche Heil aufzeigen, das Gott „uns“ in Christus bereitet hat und zu dem er uns rief. Die Frage, um die es in Römer 8, 28-30 geht, ist nicht, wie es dazu kam, dass sich jemand bekehrte, oder warum sich der eine bekehrte und der andere nicht. Es geht um das herrliche Ziel. Paulus sagt, dass Gott dieses gute Ziel „gemäß einem Vorsatz“ bestimmte. Er zeigt, dass Gott für alle, die an seinen Sohn glauben, etwas Gutes bereitet hat. Dieses Gute hat er schon lange geplant.26
„Wir wissen aber“: In einer Zeit, in der so vieles nur noch als relativ bewertet wird, in einer Zeit der Einebnung von Ideen und Werten, ist es ein großes Vorrecht, etwas zu wissen. Warum wissen wir? Wie können wir es wissen? Und woher wissen wir es? Erstens, weil Gott es gesagt hat. Wir haben seine Offenbarung in schriftlicher Form. Dieses Wort ist treu und zuverlässig. Es wird uns nie im Stich lassen und uns nicht auf Abwege bringen. Wir dürfen uns darauf verlassen. Schon aus dem Alten Testament wissen wir, dass Gott gut ist und Gutes tut und dass alle seine Wege Recht sind.27 Wenn das Wort Gottes sagt, dass Gott die Seinen liebt und
25 Das herrliche Heil ist für alle Menschen, die sich rufen lassen (2. Korinther 5, 21): „Wir sind
also Botschafter für Christus, [und zwar] so, dass Gott durch uns aufruft. Wir flehen
an Christi Statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!” Jeder darf es durch den Glauben an
Christus ergreifen (Johannes 3, 16M): „…, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, …“ Wer irgend hört, darf zugreifen (Offenbarung 22, 17E): „Und wen dürstet, der komme. Und
wer will, der nehme das Wasser des Lebens – kostenlos!”
26 Nebenbei sei bemerkt: Nicht nur das Rufen, sondern auch das Zuvorbestimmen „zur
Sohnschaft“ geschieht gemäß göttlichem Vorsatz. Das zeigt Paulus in Epheser 1, 5.11 und
3, 11. (Siehe die Ausführungen zu Epheser 1, 5.) Auch dort – in Epheser 1, 5 – besteht der Vorsatz
nicht darin, wer von den Menschen die Sohnschaft erhalten sollte und wer nicht,
sondern, dass diejenigen, die sich bekehren, Söhne werden sollen; denn auch in Epheser 1, 5
geht es um uns, d. h. uns alle, die wir „in Christus“ (1, 3) sind. In Epheser 1, 5 wird nicht
abgehandelt, wie Menschen in Christus hineinkommen, auch nicht, welche Menschen in
Christus hineinkommen und welche nicht.
27 1. Mose 32, 4: „Fels ist er. Vollkommen ist sein Tun, denn Recht sind alle seine Wege. Ein
Gott der Treue und Beständigkeit ist er, ohne Falsch ‹und Abweichung›, gerecht und
gerade.“ Psalm 119, 68: „Gut bist du – und Gutes tuend.“
dass er alles in seiner Hand hat, dann wissen wir auch, dass denen, die Gott lieben, alles zusammen zum Guten wirkt. Zum Zweiten wissen wir es, weil Gott uns seinen Heiligen Geist gegeben hat. Dieser wohnt in unserem Geist, in unserem Denken, und macht uns fähig, Gottes Worte zu erkennen. Und er hält uns aufrecht, so dass wir dabei bleiben können. Unsere Gewissheit liegt in Gottes Wort, weil sein Geist darin ist und gleichzeitig auch in uns. Zum Dritten: Wenn es heißt: „Wir wissen aber: Denen, die Gott lieben, wirkt alles zusammen zum Guten ...“, dann wollen wir nicht vergessen, dass in der Liebe das Vertrauen liegt. Wer nun ein Gott Liebender ist, vertraut auf Gott, dass er gut ist und nur Gutes tut.
„... weil er die, die er im Voraus kannte, auch im Voraus bestimmte, seinem Ebenbilde, dem Sohne, gleichgestaltet zu sein, sodass er Erstgeborener unter vielen Brüdern sei. 30 Aber welche er im Voraus bestimmte, diese rief er auch, und welche er rief, diese rechtfertigte er auch. Aber welche er rechtfertigte, diese verherrlichte er auch.“
Das Ziel Gottes mit dem Menschen war von Anfang an die moralische Gottesebenbildlichkeit. Nach dem Sündenfall kann dieses Ziel nur über Jesus Christus, das vollkommene Gottesbildnis (Kolosser 1, 15; Hebräer 1, 3A), erreicht werden. Zu dieser Herrlichkeit ruft Gott. Sein Vorsatz war, dass alle, die dem Ruf Folge leisten würden, Besondere werden sollten: Söhne, gleichgestaltet dem Ebenbild Christi. Es werden von Paulus fünf Schritte angeführt, die Gott ging, um zu diesem Ziel zu gelangen.
• Der Vater
kannte
uns bereits im Voraus.
• Uns, die er im Voraus kannte,
bestimmte
er im Voraus zu Söhnen, d. h., dass wir Söhne sein sollten.
• Dieselbe Gruppe – uns –
rief
er. Daraufhin kamen wir. Dieselbe Gruppe – uns –
rechtfertigte
er aufgrund des Glaubens.
• Dieselbe Gruppe – uns –
verherrlichte
er in Christus.
Wir beachten: Die Kette beginnt nicht mit dem ewigen Ratschluss (Vorsatz) Gottes. Der Vorsatz wird (außer in 8, 28) gar nicht erwähnt. Paulus sagt hier nicht, dass irgendwelche Menschen dazu vorherbestimmt waren, das Heil zu erlangen im Unterschied zu anderen, die nicht vorherbestimmt waren, es zu erlangen. Beim Wort „Vorherbestimmen“ geht es im NT an keiner Stelle um eine vorzeitliche göttliche Bestimmung, wer gerettet werden sollte und wer nicht. Vorherbestimmung ist im NT das göttliche Festlegen der herrlichen Vollendung und des herrlichen Standes aller derer, die sich zu Jesus Christus wenden und das Heilsangebot Gottes annehmen.28 Gott kannte uns in der Ewigkeit im Voraus. Dies gilt für alle, die ihn in der Zeit, also im Verlauf der Geschichte annehmen würden. Dieses Kennen bedeutet zum einen, dass Gott uns passiv kannte: Er wusste, dass wir uns bekehren würden. Zum anderen scheint es jedoch noch mehr zu bedeuten, nämlich, dass er uns aktiv „kannte“, d. h., dass er kraft seines Vorauswissens in seinen Gedanken bereits eine Art Beziehung zu uns hatte. (Vgl. 1. Petrus 1, 1.2.)29 Gott sind diejenigen, die sich heute zu ihm bekehren, nicht Fremde.
Die, „die er im Voraus kannte, bestimmte er auch im Voraus, seinem Ebenbilde, dem Sohn, gleichgestaltet zu sein, sodass er Erstgeborener unter vielen Brüdern sei.“ Der Wesfall (Genitiv) im Grundtext: „dem Ebenbild seines Sohnes“, ist hier, nach einer griechischen Gebrauchsweise des Genitivs, wahrscheinlich im Sinne der Gleichsetzung zu verstehen: „seinem Ebenbild30, [nämlich] dem Sohne“. Nachdem Gott am Anfang die Lebensräume und die Tiere geschaffen hatte, machte er ein Bild von sich und setzte es mitten in
28 Siehe die Ausführungen zu Epheser 1, 5.
29 Siehe die Ausführungen zu 1. Petrus 1, 1.2.
30 In welchem Sinne ist „Ebenbild“ hier zu verstehen?
V. 29 bringt die Ebenbildlichkeit in Verbindung mit Bruderschaft. Gott macht die
Seinen zu reifen „Söhnen“, zu Brüdern des „großen Bruders“ Jesus Christus. Gott bestimmte
im Voraus, dass die Seinen reife Söhne Gottes (Römer 8, 15; Galater 4, 5) sein sollen
– bereits in der Gegenwart. Johannes schreibt (1. Johannes 3, 1-3): „Seht, welche Liebe der Vater
uns gegeben hat, dass wir Kinder Gottes heißen sollten. … 2 Geliebte, wir sind nun
Kinder Gottes. Und noch wurde nicht offenbar, was wir sein werden. Aber wir wissen:
Wenn er offenbar wird, werden wir ihm gleich sein, weil wir ihn sehen werden, so wie er
ist.“
An jenem Tage wird die Sohnesstellung, die wir bereits – in Christus durch den Glauben
– haben, öffentlich sichtbar werden. Auf jenen Tag warten wir mit Seufzen, sagt Paulus.
(Römer 8, 23.24) Und weil wir ihm eines Tages gleich sein werden, ist es bereits heute unser
Anliegen, uns zu reinigen (1. Johannes 3, 3): „Und jeder, der diese Hoffnung auf ihn hat, reinigt
‹und weiht› sich selbst ‹immer wieder›, so wie er rein ‹und geweiht› ist.“
seine Schöpfung. Er nannte es „Mensch“. Dieses Bild sollte Gottes Vizekönig auf Erden sein (1. Mose 1, 26: „Und Gott sagte: ‚Machen wir Menschen in unserem Bilde, nach unserem Gleichnis, und sie sollen herrschen über ... die ganze Erde ...“). So war es in Eden. Dieses Bildnis wurde jedoch durch die Sünde verstümmelt. Darauf machte Gott ein neues Bild: Er selber wurde in Christus Fleisch, starb für uns, erstand vom Tode, wurde zu neuem Leben gebracht. Er fuhr auf in den Himmel und sandte den Heiligen Geist. Und nun steht der Auferstandene und Erhöhte da – nicht nur, um ein Vorbild für uns zu sein, sondern auch, damit er durch den Heiligen Geist in uns wohnt und wir mit ihm eins werden.
„gleichgestaltet“
Die Gleichgestaltung erfolgt nicht in jeder Hinsicht. Wir werden niemals so groß wie Gott sein. Sie bezieht sich auf die Sohnesstellung und den Charakter. Alles, was wir vor Gott sind, sind wir in Christus: Söhne, Geheiligte, Geliebte, Erben.
„dem Sohne“
Söhne
sollten wir werden. Die göttliche Bestimmung liegt darin, dass wir so werden wie der Sohn – gleichgestaltet dem Ebenbild, Jesus Christus. Das war der „Vorsatz“ gewesen, von dem der Apostel in V. 28 sprach. V. 29 beginnt nämlich mit dem Wort „weil“ und erklärt die Bemerkung Ende V. 28: „nach einem Vorsatz gerufen“. Wir denken auch an Epheser 1, 5.6: „… er bestimmte uns ‹nämlich› im Voraus für sich zur Sohnesstellung 31…”
„sodass er Erstgeborener unter vielen Brüdern sei“
Der erhöhte Herr schämt sich nicht, die Seinen „Brüder“ zu nennen. Hebräer 2, 9-11: „Wir sehen aber den, der ein wenig geringer als die Engel gemacht wurde, auf dass er durch die Gnade Gottes für jeden den Tod schmeckte, Jesus, wegen ‹und mittels› des Todesleidens mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt, denn es ziemte ihm, um deswillen alle Dinge sind und durch den alle Dinge sind – er brachte ja viele Söhne zur Herrlichkeit – den Urheber ihres Heils durch Leiden hindurch zum Ziel zu bringen, denn beide, der, der heiligt, und die, die geheiligt werden, sind alle von einem, aus welchem Grunde er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen ...“
31 Mit „Sohnesstellung“ ist nicht Adoption gemeint, sondern Einsetzung in die Vorrechte
und die Verantwortung eines erwachsenen Sohnes im Unterschied zu der Stellung des
nicht erwachsenen Sohnes, die der eines Sklaven ähnlich war. (Vgl. Galater 4, 1ff.)
Psalm 22, 23: „Ich will deinen Namen meinen Brüdern ‹lobend› künden, inmitten der Gemeinde dir lobsingen.“ Johannes 20, 17: „Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich steige auf zu meinem Vater und eurem Vater und [zu] meinem Gott und eurem Gott.“ (Vgl. Matthäus 28, 10.) Epheser 1, 5.6 (eben erwähnt) ist eine Stelle, die unseren Text in Römer 8 in Verbindung mit einem weiteren Heilsbegriff im selben Kapitel bringt, dem der Sohnesstellung: „… er bestimmte uns ‹nämlich› im Voraus für sich zur Sohnesstellung durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens zum Lobe der Herrlichkeit seiner Gnade, mit der er uns begnadete in dem Geliebten…” Es sind die Verse 15 und 23 (in Römer 8), und sie sprechen von einer zweifachen Sohnesstellung. In beiden Versen geht es um eine Befreiung vom Gesetz, in V. 15 vom Gesetz Moses, das uns angeklagt hatte, von Jesus aber an unserer statt völlig erfüllt wurde, sowohl was die Forderungen als auch was die Strafe betraf: „... denn ihr empfingt nicht einen Geist der leibeigenen Knechtschaft, [der] wiederum [Anlass] zur Furcht [gäbe], sondern ihr empfingt einen Geist der Sohnesstellung, in welchem wir rufen: ‚Abba! Vater!’“ In V. 23 geht es um die zweite Sohnesstellung, die Befreiung vom Gesetz dieser Welt, wenn wir bei (und mit) dem Kommen des Herrn verwandelt werden: „... aber nicht nur [das], sondern auch wir selbst, als solche, die wir die Erstlingsgabe, den Geist, haben, auch wir selbst seufzen in uns selbst, während wir auf die Sohnesstellung, die Erlösung unseres Leibes, warten...“ Die Sohnesstellung, von der der Apostel den Ephesern schreibt, ist die erste, die wir bereits genießen. Galater 4, 3-7 spricht ebenfalls von diesem großen Vorrecht: „So waren auch wir, als wir unmündig waren, den elementaren Dingen der Welt als Leibeigene unterworfen. 4 Aber als die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn aus, geworden [o. gekommen] aus einer Frau, geworden unter Gesetz, 5 damit er die unter [dem] Gesetz freikaufte, damit wir die Sohnesstellung empfingen. 6 Dass ihr aber Söhne seid ‹kommt daher›: Gott sandte den Geist seines Sohnes aus in eure Herzen, der ruft: ‚Abba! Vater!‘ 7 So bist du nicht länger Leibeigener, sondern Sohn; wenn aber Sohn, auch Erbe Gottes durch Christus.“
„Aber welche er im Voraus“ (nämlich zur Sohnschaft, V. 29) „bestimmte, diese rief er auch“ – nämlich „uns“, denn um „uns“ geht es im ganzen Abschnitt. Wir, die wir uns rufen ließen, sind im Blickfeld, nicht die anderen, die dem Ruf nicht Folge leisten wollten. Diejenigen, von denen er wusste, dass sie sich bekehren würden und die er daher „kannte“, sie, die er im Voraus bestimmte, dem Ebenbild des Sohnes gleichgestaltet zu werden, diese rief er auch. Aus dem Text geht klar hervor, dass nur diese eine Gruppe im Blick ist. Das Rufen in V. 30 schließt das persönliche Annehmen des göttlichen Rufes (d. h., das positive Reagieren darauf) mit ein. „Diese rief er“ bedeutet daher: „diese rief er mit Erfolg“. Sie ließen sich rufen, nahmen die Einladung an, folgten ihr. Dass Gott auch andere rief und ruft, allerdings ohne Erfolg, geht aus anderen Bibelstellen (z. B. Lukas 14, 16-24) hervor. Die Einladung ergeht grundsätzlich an jeden. Wer sich entscheidet, ihr nicht zu folgen, wird für seine Entscheidung zur Verantwortung gezogen werden. Aber das ist hier nicht das Thema. Hier geht es um das Thema: das herrliche Heil derer, die Gott lieben. Paulus ist gerade dabei, die fünf Schritte aufzuzeigen, wie Gott „uns“, die Seinen, zu dem herrlichen Heil bringt. Er zeigt auf, warum für die Gott Liebenden alles zum Guten zusammenwirkt. Zwei Rückschlüsse sind also ausgeschlossen:
•
erstens, der Rückschluss, dass Gott deshalb, weil er alle Menschen rief, auch alle Menschen rechtfertigte, ist nicht zulässig, denn viele wollten und wollen dem Ruf nicht folgen. Vgl. Römer 10, 18-21.
•
Zweitens ist der Rückschluss ausgeschlossen, Gottes Ruf müsse ein „unwiderstehlicher“ sein, weil er alle, die er rief, rechtfertigte. In der Heiligen Schrift ist der göttliche Ruf im Wesen immer derselbe. Die Schrift macht nicht einen Unterschied zwischen dem Ruf, der an diejenigen ergeht, die sich schlussendlich nicht bekehren, und dem Ruf, der an die anderen ergeht, die sich nicht bekehren. Dass nicht alle Menschen glauben, liegt nicht an der Natur des Rufes, sondern – wie der Herr selber sagt – daran, dass gewisse Menschen die Finsternis mehr lieben als das Licht (Johannes 3, 19-21) bzw. daran, dass ihnen andere Dinge wichtiger sind als Gott und sein „Festmahl“ (Lukas 14, 16-23), oder an der Verstocktheit ihres Herzens (Sprüche 28, 14; 29, 1; Jeremia 19, 15; Hebräer 3, 8.13).32
32 Siehe auch die Ausführungen unter 4.8: „Warum glaubt der eine, und der andere nicht?“
In den V. 28-30 wird das zukünftige Heil derer, die Gott lieben, herausgestellt. Paulus geht gleichsam zurück. Er sagt: Ihr habt in Christus ein herrliches Heil. Und als solche, die Gott lieben, werdet ihr das gute Ziel erreichen, denn Gott kannte euch bereits im Voraus und bestimmte euch im Voraus, dem Sohn gleichgestaltet zu sein. Und zu diesem Heil rief er euch – und zwar genau damals, als der allgemeine Evangeliumsruf hinausging, welchem ihr gefolgt seid.
„… und welche er rief…“
– nämlich uns, die wir nun solche sind, die Gott lieben, – „diese rechtfertigte er auch“: Wie rechtfertigte er uns? Aufgrund des Glaubens. Wir waren diejenigen, die durch Glauben dem Ruf Gottes folgten, sagt Paulus. Die Bedingung zur Rechtfertigung ist das persönliche Vertrauen auf Jesus Christus. Dieses Vertrauen, dieser Glaube entsteht durch das Sich-Befassen mit der vertrauenswürdigen Person Jesus Christus. Wenn sich jemand anstatt auf Christus auf seine eigenen Leistungen verlässt, kann er nicht gerechtfertigt werden (Markus 16, 16; Galater 2, 16). Davon hatte der Apostel bereits in Römer 3, 22.26 gesprochen.33 Aber das ist hier nicht sein Thema. Paulus schreibt, dass Gott diejenigen rechtfertigte, „die er rief“. Man könnte fragen: Wenn Gott alle rief, hat er demnach alle gerechtfertigt? Nein. Paulus hat seit K. 3 nicht seine Theologie geändert. Dass Gott nur diejenigen rechtfertigt, die seinem Ruf Folge leisten, muss hier nicht wiederholt werden. Hier geht es dem Apostel um das herrliche Heil derer, die Gott lieben, um „uns“. An uns war der Ruf ergangen, der Ruf, dem wir dann durch den Glauben folgten. Aufgrund dieses Glaubens rechtfertigte Gott uns dann. Diejenigen, die dem Ruf, der ja an alle erging, nicht folgten, konnten nicht gerechtfertigt werden.
„Aber welche er rechtfertigte, diese verherrlichte er auch…“: Diese Aus-
33 Der Mensch ist in eine Entscheidungsnotwendigkeit gestellt. D. h., er muss sich entscheiden.
Er muss zum göttlichen Ruf Ja oder Nein sagen. Er ist aufgerufen, „der Wahrheit“
zu „gehorchen“ (Römer 2, 8). Gott hat sich entschlossen, diese Entscheidung dem
Menschen nicht abzunehmen. So war es auch im Paradies. Das persönliche Glauben ist
Befehl Gottes an den Menschen (Markus 1, 15). Wer nicht glaubt, wird von Gott gescholten
(Markus 16, 14). Glauben ist ein Gehorsamsakt (Römer 1, 5; 16, 26; vgl. 10, 16; 10, 21; 11, 30-32;
15, 18.31; 16, 26; Apostelgeschichte 6, 7; Epheser 2, 2; 5, 6; Kolosser 3, 6; 1. Petrus 1, 2.22; 2, 8; Hebräer 3, 18; 4, 1.11; 11, 8).
sage steht ebenfalls in der Vergangenheitsform. Die Verherrlichung hat ihren Beginn in der Wiedergeburt. (Vgl. Römer 3, 23; Epheser 4, 23.24. Der „neue Mensch“ wurde „nach Gott geschaffen in Gerechtigkeit und Heiligkeit der Wahrheit“.) Alle Gerechtfertigten hat Gott verherrlicht. Inwiefern sind sie Herrliche? In K. 3, 23 hatte Paulus davon gesprochen, dass die Menschen seit dem Sündenfall Gottes Herrlichkeit verloren hatten: „Alle sündigten, und sie reichen nicht an die Herrlichkeit Gottes heran [o.: ermangeln der Herrlichkeit Gottes].“ Sie haben nicht die Ebenbildlichkeit Gottes; sie kommen nicht an sie heran. Mit der Wiedergeburt gab uns Christus „Herrlichkeit“. Diese ist nicht offenbar, sondern verborgen. Gott versetzte uns in den verherrlichten Christus. Wir teilen Christi Stellung (Johannes 17, 22-23), sitzen mit ihm in den himmlischen Bereichen (Epheser 2, 6). Christus „brachte viele Söhne zur Herrlichkeit“ (Hebräer 2, 10)34. Als Gerechtfertigte sind wir „in Christus“. Er ist unser Leben. Unser Leben ist „verborgen worden zusammen mit Christus in Gott“ (Kolosser 3, 3). Christus ist unsere Herrlichkeit. Noch ist sie verborgen, aber sie wird zu seiner Zeit geoffenbart werden (V. 4): „Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart werden wird, dann werdet auch ihr zusammen mit ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit.“ Wenn Gott Menschen rettet, beginnt ein Prozess der Umwandlung. Die göttliche Ebenbildlichkeit (1. Mose 1, 27) soll wiederhergestellt werden. Wenn unsere Sünde vergeben ist, kann Gott damit beginnen. Wir werden mehr und mehr – „von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ – in Christi Bild umgestaltet (2. Korinther 3, 18)35. Diese Herrlichkeit wird erst dann vollendet sein, „wenn er offenbar wird“ (1. Johannes 3, 2M)36. Dann wird „auch sie selbst, die Schöpfung, von der Versklavung an die Verderblichkeit frei gemacht werden in die Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes” (Römer 8, 21). Dann
34 „... denn es ziemte ihm, um dessentwillen alle Dinge sind und durch den alle Dinge
sind – er brachte ja viele Söhne zur Herrlichkeit – den Urheber ihres Heils durch Leiden
hindurch zum Ziel zu bringen ...“ (Hebräer 2, 10).
35 „Wir aber, alle, schauen mit entschleiertem Gesicht in einem Spiegel die Herrlichkeit
des Herrn und werden in dasselbe Bild umgestaltet von Herrlichkeit zu Herrlichkeit
gleichwie vom Herrn her, dem Geist.” (2. Korinther 3, 18)
36 „… wir wissen: Wenn er offenbar wird, werden wir ihm gleich sein, weil wir ihn sehen
werden, so wie er ist.“ (1. Johannes 3, 2M)
wird die Herrlichkeit, die wir heute in Christus bereits haben, sichtbar. 37
Der zweite Grund, warum unsere Hoffnung ewiglich sicher ist, ist das Wissen, dass Gott auf unserer Seite steht. Gottes Fürsorge ist vollkommen und gewiss. „Was werden wir also zu diesem sagen? Wenn Gott für uns ist, wer gegen uns? …“ Wie hat Gott gezeigt, dass er für uns ist? Vier Aussagen machen es deutlich: 1. Gott ist – auf dem Weg zum Ziel – für uns (V. 31). 2. Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern gab ihn für uns alle dahin. Mit ihm wird er uns alles schenken (V. 32). 3. Er rechtfertigt uns (V. 33). „Wer wird Anklage erheben gegen Erwählte Gottes?“ – So mancher wird es tun, aber keiner mit Erfolg, denn der einzige, der es mit Erfolg tun könnte, ist auf unserer Seite: Gott ist der, der uns – in Christus –rechtfertigt! Wer könnte je gegen Gottes Erwählte38 vorgehen? Wer könnte unsere Anrechte auf Christus, unsere Vergebung, unser Heil wegnehmen? Wer könnte mit Gewalt das Band der Liebe, das uns mit Christus vereinigt, trennen? 4. Christus ist zur Rechten Gottes. Und er ist für uns dort und verwendet sich für uns. V. 34
Der dritte Grund, warum unsere Hoffnung für ewig sicher ist, ist das Wissen, dass uns nichts von Gottes Liebe trennen kann. Paulus gibt zu verstehen: Gottes Liebe (V. 39) ist Christi Liebe (V. 35). Er beschäftigt sich in diesen Versen mit den Faktoren, die in Frage kommen könnten, um uns von der Liebe des Christus zu trennen. Gibt es etwas, das das Band der Liebe zwischen uns und Christus durchtrennen könnte? Die Antwort ist: Keinerlei Umstände können von der Liebe des Christus trennen (V. 35-37), auch keine Personen, Mächte oder Geschöpfe (V. 38.39).
37 Von der Schar der Erlösten im neuen Jerusalem, heißt es (Offenbarung 21, 11A): „... und sie hatte
die Herrlichkeit Gottes.“
38 Gott selbst hat sich uns erwählt, hat uns in Christus zu seinen Erwählten gemacht Die
Gott Liebenden werden hier „Erwählte“ genannt. Auch hier ist der Begriff ein Ausdruck
der Liebe und Wertschätzung. Siehe die Ausführungen zu Epheser 1, 4.
In Römer 9 geht es um die Verwerfung Israels39 und die Erwählung der Heidenvölker. Die Hauptaussage ist: Israels Verwerfung beruht nicht auf Ungerechtigkeit Gottes. Das Kapitel Römer 9 wird in vier Abschnitte unterteilt: 1. Einstieg: Die Sorge des Apostels um Israel: 9, 1-5 2. Warum Israels (teilweiser) Ausschluss vom Heil trotz seiner Vorrechte möglich ist: 9, 6-13 3. Warum Israels (teilweiser) Ausschluss vom Heil gerecht ist: 9, 14-29 4. Des Rätsels Lösung: 9, 30-33
„Ich sage die Wahrheit in Christus; ich lüge nicht; mein Gewissen bezeugt es zusammen mit mir im Heiligen Geist.“
Der Heilige Geist geht mit dem Gewissen um, wirkt auf es ein. Das Gewissen und der Heilige Geist bestätigen beide seine Aussagen.
„Ich bin in großer Betrübnis und habe unaufhörlichen Schmerz in meinem Herzen…“
„… denn ich wünschte, ich selbst wäre etwas Verfluchtes, entfernt von dem Christus.“
Wünscht sich Paulus die Hölle? Das wäre nicht nachvollziehbar, denn die Hölle ist ewig. Selbst Mose wünschte sich nur den Tod, nicht die Hölle (1. Mose 32, 32.33). Fluch ist der Weg zum Tode, Segen der Weg zum Leben. Paulus wünscht hier nicht, dass er auf ewig im Feuersee sei, sondern, dass er mit Israel tauschen könnte. Die Israeliten sind von Christus entfernt, leben im Fluch (1. Mose 28) und stehen in Gefahr, dem ewigen Tode entgegenzugehen. Paulus lebt im Segen Christi, ist auf dem Weg in die Herrlichkeit. Er möchte nun
39 eigtl: um die teilweise Verwerfung Israels; vgl. Römer 11.
(jedenfalls vorläufig) lieber im Fluch leben – d. h., so wie vor seiner Bekehrung, ohne den Segen des Evangeliums, wenn nur Israel im Segen der Verbindung mit Christus stehen würde.
„… für meine Brüder, meine Verwandten nach dem Fleisch…“
Paulus liebt seine Landsleute, mit denen er über Jakob verwandt ist. (Es ist gut, wenn man um seine ungeretteten Familienmitglieder besorgt ist.)
„… welche Israeliten sind, deren die Sohnesstellung ist und die Herrlichkeit und die Bündnisse und die Gesetzgebung und der ‹aufgetragene› verehrende Dienst und die Verheißungen, deren die Väter sind und aus denen, nach dem Fleisch, der Christus ist, der über allem ist, Gott, gelobt in Ewigkeit! Amen.“ Wir beachten, dass Paulus die „Juden“ (1, 16; 2, 9.10.17.28.29; 3, 1.9.29) nun „Israeliten“ nennt, womit er ihre Erwählung als Volk Gottes (1. Mose 7, 6; Jesaja 41, 8) betont. Paulus zählt sieben Vorrechte auf. Israel hat
• die Sohnesstellung (1. Mose 4, 22; Hos 11, 1),
• die Herrlichkeit (1. Mose 40, 34.35; Psalm 78, 60.6140),
• die Bündnisse (1. Mose 15; 17, 7; 1. Mose 24, 7.8; 1. Mose 28, 69; Jeremia 31, 31ff)41,
• das Gesetz (Römer 3, 2),
• den Dienst (Hebräer 9, 1),
• die Verheißungen (1. Mose 22, 18; Apostelgeschichte 13, 32.34; Römer 15, 8) und
• den Messias (Römer 1, 3).
Vorrechte möglich ist 9, 6-13
In den Kapiteln 1 bis 8 des Römerbriefes erklärt der Apostel Paulus, dass Gott Sünder nur durch Gnade allein, mittels des Glaubens, rechtfertigt, ohne Zutun der Werke. Er macht deutlich, dass Juden und Nichtjuden auf derselben Grundlage, nämlich aus Gnade auf-
40 Psalm 78, 60.61: „Und er verließ die Wohnung zu Silo, das Zelt, das er errichtet hatte unter
den Menschen. Und er gab in die Gefangenschaft seine Stärke und seine Herrlichkeit in
die Hand des Bedrängers.“
41 1. Mose 28, 69: „Das sind die Worte des Bundes, den Jahweh im Lande Moab dem Mose
geboten hat, mit den Kindern Israel zu machen, außer dem Bunde, den er am Horeb mit
ihnen gemacht hatte.“
grund des Glaubens, gerettet werden und dass niemand durch Werke des Gesetzes gerechtfertigt werden kann. Im neunten Kapitel nun begegnet Paulus den von den gesetzestreuen selbstgerechten Juden zu erwartenden Einwänden. Als Erstes steht da die ernste Anklage im Raum, dass sein Evangelium einige unhaltbare lehrmäßige Schlussfolgerungen beinhalte, durch die das Wort Gottes ‘hinfällig’ oder ungültig würde. Zweitens wird der ebenso schwerwiegende Einwand vorgebracht, Paulus stelle damit Gott als ungerecht dar.42 Auf beide Einwände geht Paulus in diesem 9. Kapitel des Römerbriefes ein.
Die Verheißungen sind nicht hinfällig geworden. Der erste Einwand, den die Juden dem Apostel Paulus gebracht haben, könnte etwa so gelautet haben: „Paulus, du lehrst, dass Gott nur durch Gnade allein, mittels des Glaubens, rettet – ohne Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden. Doch was ist dann mit dem Gesetz und den Verheißungen, die Israel gegeben wurden? Wenn deine Lehre stimmt, dann sind die Verheißungen und das Wort Gottes hinfällig geworden.“ Paulus antwortet: „[Das heißt] aber nicht, dass das Wort Gottes hinfällig geworden wäre…“ (9, 6A). Gott wird sein Volk, das so große Vorrechte hat, nicht verstoßen. Die Verheißungen, die Gott den Vätern gegeben hatte, sind nicht hinfällig geworden. Gott wird sie zur Gänze erfüllen, auch wenn er Israel Gericht ansagen musste. Israels Ungehorsam hat Gottes Zusagen nicht wirkungslos gemacht. Sie sind weiterhin in Kraft. Aber – und das hatten die Juden zu wenig bedacht – das Verheißungswort gilt nicht allen Israeliten. Paulus zeigt auf, dass das Verheißungswort schon von vornherein nicht allen Nachkommen Abrahams galt, sondern nur denjenigen, die aus Isaak hervorgegangen sind: „… denn nicht alle, die aus Israel sind, sind Israel, 7 noch sind alle Kinder, weil sie Abrahams Same sind…“ (V. 6M.7A) So ist es auch heute: Nicht alle Israeliten zählen zu Gottes Heilsvolk. Niemand kann sich darauf berufen, zu Gott zu gehören, nur weil er Nachkomme Abrahams ist. Es gibt Nachkommen Abrahams, die vom Heil ausgeschlossen werden, und zwar die, die nicht glauben;
42 Vgl. Parkinson, Erwählung – Wer, wie und wozu? S 19ff.
die, die den Messias verwerfen. Paulus hatte schon in K. 2 erklärt, dass nur der Jude ein wahrer Jude sei, der es innerlich sei (2, 28.29): „… denn nicht der, der es im Sichtbaren ist, ist Jude, noch ist die, die es im Sichtbaren ist, im Fleisch, Beschneidung, (V. 29) sondern der [d. h., derjenige Jude], der es im Verborgenen ist, ist Jude, und Beschneidung ist die des Herzens, im Geist, nicht im geschriebenen Gesetz. Das Lob eines solchen ist nicht von Menschen, sondern von Gott.“ Wenn daher nicht alle Israeliten gerettet werden, liegt es nicht daran, dass Gott sein Wort gebrochen hätte. Wie man zu einem solchen wird, der das Gesetz einhält, beschreibt Hesekiel (36, 25-27). Man muss den Messias und seinen Geist haben: „Und ich werde reines Wasser über euch sprengen, sodass ihr rein werdet. Von aller eurer Unreinheit und von allen euren Götzen werde ich euch reinigen. Und ich werde euch ein neues Herz geben, und einen neuen Geist gebe ich in euer Inneres, und ich werde das Herz von Stein aus eurem Fleisch auf die Seite tun, und ich werde euch ein Herz von Fleisch geben. Und ich werde meinen Geist in euer Inneres geben; und ich werde machen, dass ihr in meinen Ordnungen lebt und meine Rechtsbestimmungen bewahrt und tut.” 43 Darum ist es also möglich, dass Israeliten vom Heil ausgeschlossen werden – trotz ihrer großen Vorrechte als Israeliten. Gott darf ein ungläubiges Israel ausschließen. Wenn Israel also verworfen ist, ist nicht Gottes Verheißungswort schwach und ungültig geworden (V. 6). Paulus gebraucht nun zwei Beispiele, um das zu zeigen.
„… noch sind alle Kinder, weil sie Abrahams Same sind, sondern ‘ in Isaak wird dir ein Same genannt werden.’ (1. Mose 21, 12) 8 Das heißt, es sind nicht die Kinder des Fleisches, die Kinder Gottes sind, sondern die Kinder der Verheißung werden als Same gerechnet, 9 denn dieses ist ein Wort der Verheißung: ‘Um diese Zeit werde ich kommen, und Sara wird einen Sohn haben.’
(Vgl. 1. Mose 18, 10.14.)“ Gott hatte Abraham besondere Verheißungen gegeben. Er hatte bestimmt, dass Isaak der Erbe dieser Verheißungen werden sollte. Auf diese Weise hat er Isaak Ismael gegenüber den Vorzug gegeben. In dieser Wahl war Gott souverän, d. h., er war frei. Gott ist Gott. Niemand konnte Gott in seiner Wahl hindern. Paulus nutzt nun dieses Beispiel aus der Geschichte Israels, um
43 Vgl. auch Römer 3, 21-24; 8, 1-4; Hebräer 8, 10-12; 13, 20.21.
eine wichtige geistliche Wahrheit zu veranschaulichen. Dabei macht er Gebrauch von einer Allegorie, einem Bild. Eine Allegorie ist ein altes rednerisches Stilmittel: Man nimmt eine wahre historische Begebenheit und benutzt die Bedeutung von Personen und Ereignissen, um einen moralischen oder geistlichen Sachverhalt darzustellen.44 Schon in Galater 4, 22-25 hatte Paulus Isaak und Ismael als Bild zur Veranschaulichung einer wichtigen geistlichen Wahrheit verwendet: „… denn es ist geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd und einen von der Freien. 23 Der jedoch, der von der Magd war, ist nach dem Fleisch geboren, aber der, der von der Freien war, durch die Verheißung, 24 welches als Bild dient, denn diese sind die zwei Bündnisse. Der eine Bund ist der, der vom Berge Sinai ist, der Versklavung erzeugt, welcher Hagar ist, 25 denn Hagar ist der Berg Sinai in Arabien. Er entspricht dem gegenwärtigen Jerusalem: Sie ist mit ihren Kindern in Versklavung.“ Ebenso tut er es hier (Römer 9, 7.8): Es sind nicht „alle Kinder, weil sie Abrahams Same sind, sondern ‘ in Isaak wird dir ein Same genannt werden.’ 8 Das heißt, es sind nicht die Kinder des Fleisches, die Kinder Gottes sind, sondern die Kinder der Verheißung werden als Same gerechnet.“ Aus der Geschichte wird eine wichtige Lehre gezogen. Isaak steht sinnbildlich für die zur Zeit des Apostels messiasgläubigen Juden. Sie sind die „Kinder der Verheißung“ und haben die wahre Gotteskindschaft. Sie zählen als die wahren Nachkommen Abrahams. Von ihnen hatte Paulus bereits in K. 4 geschrieben: „…die nicht aus der Beschneidung allein sind, sondern … sich nach den Fußspuren des Glaubens ausrichten, … 13 denn nicht durch Gesetz wurde Abraham oder seinem Samen die Verheißung zuteil, … sondern durch die Gerechtigkeit des Glaubens“ (4, 12.13). Die anderen, die nicht an den Messias glaubenden Juden, werden sinnbildlich dargestellt durch Ismael, der ein Kind „nach dem Fleisch“ (Galater 4, 23) war, aber ausgestoßen werden musste. Er durfte nicht mit dem Sohn der Freien erben (Galater 4, 30). Diese Juden, die nicht an den Messias glauben, sind zwar „Kinder des Fleisches“, d. h., sie berufen sich darauf, dass sie leiblich von Abraham abstammen, aber sie werden nicht als Nachkommen Abrahams gerechnet. Gott hatte nicht gesagt, dass alle Nachkommen Abrahams auch im engeren Sinne Kinder Gottes sind. Auch heute ist es so, will Paulus
44 Vgl. Parkinson, ebd.
zeigen. Nicht alle Israeliten glauben an den Messias. Nur die an den Messias gläubigen Israeliten sind im engeren Sinne Kinder Gottes. Die anderen sind zwar äußerlich Kinder Gottes, d. h., sie haben zwar als gesamtes Volk die „Sohnesstellung“ (Römer 9, 4), aber nicht innerlich. Sie sind vom Heil ausgeschlossen. Sie sind nicht Erben des ewigen Lebens. Wenn also heute nicht alle Israeliten gerettet sind, sondern nur ein kleiner Teil, dann steht das nicht gegen Gottes Verheißungswort. „Schaut, hier sind ein Vater und zwei Mütter und von jeder Mutter ein Sohn“, sagt Paulus zu den Juden. „Ihr sagt, ihr hättet Abraham zum Vater? Ihr sagt, ihr wärt Kinder Gottes, weil euer Vater ein Kind Gottes war? Aber, bitte: Sind alle Söhne Abrahams erwählt?” Da muss der Jude nachdenken und zugeben. „Nein.“ Paulus fährt fort: „Frage: Was bestimmte also, wer von den Samen Abrahams als Erwählter galt: die Abstammung – oder die göttliche Verheißung?“ Die Antwort ist eindeutig. Niemand kann sich auf die Abstammung berufen. Die Verheißung bestimmt, wer Same ist, nicht die Abstammung.
Lektion: Erwählung zum Heilsvolk erfolgt nicht bloß nach Abstammung. Abstammung allein genügt nicht. Nebenbei bemerkt: Nichts wird hier gesagt von einem ewigen Ratschluss Gottes, als ob Isaak von vornherein zum Heil und Ismael zur Verdammnis vorherbestimmt gewesen sei. Paulus gebraucht den nach dem Fleisch geborenen Ismael hier lediglich als Bild für den sich auf Abstammung berufenden Juden, und er gebraucht den gemäß der Verheißung geborenen Isaak als Bild für den messiasgläubigen Juden. Außerdem geht es hier um nationale Bestimmung durch Gott, nicht um das ewige Schicksal des Ismael persönlich.
Paulus fährt fort: „Aber nicht nur [hier ist es so], sondern auch als Rebekka schwanger war von einem, von Isaak, unserem Vater, [war es so], 11 denn als sie noch nicht geboren waren und weder Gutes noch Schlechtes getan hatten – damit der Vorsatz Gottes nach Erwählung bestehen bliebe, nicht aus Werken, sondern aus dem Rufenden – 12 wurde zu ihr gesagt: ‘Der Größere wird dem Kleineren Leibeigenendienst leisten’
(1. Mose 25, 23), so wie geschrieben ist: ‘Jakob liebte ich, aber Esau hasste ich.’ (Maleachi 1, 2.3)“
Paulus diskutiert mit seinen jüdischen Freunden weiter: „Schaut, hier sind ein Vater und eine Mutter – und von ihnen zwei Söhne. Nun: Welcher war der Erwählte?“ „Jakob.“ „Wann?“ „Bereits im Mutterleib.“ „Frage: Was also bestimmte, wer von den Söhnen Isaaks als Erwählter galt: die Leistung oder die göttliche Verheißung?“ Die Antwort ist eindeutig. Niemand kann sich auf eigene Leistung berufen. Esau und Jakob stehen für zwei unterschiedliche Völker.45 Das hat eine historische wie auch geistliche Bedeutung. Auf der historischen Ebene setzt Gott die Segenslinie über Jakob fort, nicht über Esau. So war es die souveräne (freie, unanfechtbare) Wahl Gottes. Die Geschichte der Nachkommen Esaus, der Edomiter, verlief anders als die der Nachkommen Jakobs (d. i. Israels). In dem unterschiedlichen Verlauf der Geschichte Edoms und Israels fand diese Prophetie ihre wörtliche Erfüllung. Aber das ist nicht alles, was Paulus hier sagen möchte. Paulus verwendet nochmals das rhetorische Stilmittel der Allegorie, um aus dem Fallbeispiel von Jakob und Esau eine wichtige Lektion zu ziehen. Mit der Geschichte von Esau und Jakob zeigt er die geistliche Wahrheit auf, dass Gott aus Gnade rettet und nicht durch Werke – und dass er die Bedingungen selber festlegt. Parkinson formuliert es treffend: „Dem natürlichen Lauf der Dinge gemäß hätte Esau den Segen erben müssen, weil er der Ältere war, der Erstgeborene. Aber er wurde zu Gunsten seines jüngeren Bruders beiseite gesetzt. Die geistliche Bedeutung hiervon wird nun deutlich: Gott hatte die natürliche Reihenfolge verworfen und umgedreht, damit Er nach Seinen Bedingungen segnen konnte. Die Segnungen hätten von Rechts wegen Esau, dem Älteren, zugestanden. Darin symbolisiert er den selbstgerechten Juden oder eigentlich jeden, der versucht, sich seine Errettung selbst zu verdienen, und dann meint, dass sie ihm von Rechts wegen zustünde. Jakob hingegen hatte als der
45 Vgl. 1. Mose 25, 23: „Zwei Völker sind in deinem Leibe, und zwei Völkerschaften werden
sich scheiden aus deinem Inneren. Und eine Völkerschaft wird stärker sein als die andere,
und der Ältere wird dem Jüngeren dienen.“
jüngere Sohn natürlicherweise kein Anrecht auf den Segen. Als er ihn dennoch empfing, war es aus Gnaden und nicht aufgrund eines Rechtsanspruchs. Diese Begebenheit veranschaulicht die Grundlage der Rettung für jeden Menschen.“ 46 Schlussfolgerung: Die Erwählung Jakobs (und seiner Nachkommen) zum Heilsvolk erfolgte nicht nach Leistung, denn die Erwählung erfolgte in diesem Fall schon vor der Geburt, ehe einer Gutes oder Schlechtes getan hatte. Ebenso ist es jetzt: Man ist nicht Gottes Kind, weil man von jemandem abstammt; und man ist auch nicht Gottes Kind, weil man etwas Gutes getan hat, z. B. das Gesetz Moses gehalten hat (worauf viele Juden sich stützten). Paulus nimmt dem Juden den Boden seines Stolzes weg. Was er hier sagt, ist zwar noch nicht das Ende des göttlichen Versprechens bezüglich des Volkes Israel (siehe Römer 11), aber er zeigt zunächst auf, dass Israel nicht genügend Grund hat, sich auf seine Erwählung zu berufen und den Heiden das Heil zu verwehren. Wenn es nun heißt: „Esau hasste ich“, so müssen wir bedenken: Das Wort „hassen“ ist, wie in der Bibel häufig, nicht im emotionalen Sinne zu verstehen. (Vgl. Lukas 14, 26; 1. Mose 29, 31; 1. Mose 21, 15.) Es bedeutet hier so viel wie: Von Esau nahm ich Abstand. Wir beachten: Es ging in der Erwählung Jakobs nicht um das persönliche Heil. Nicht dieses wurde vor der Geburt festgelegt. Gott verurteilte Esau nicht, und er rettete Jakob nicht, als sie noch im Mutterleib waren. Es ging um die Erwählung zum irdischen Heilsvolk47 Gottes, zu dem Volk, durch welches Gott Geschichte machen und den Messias – und mit ihm den Segen – bringen wollte. Wenn es um das persönliche Heil geht, stellen wir fest: Esau wird aufgrund seiner Werke gerichtet (und verurteilt) – wie alle Menschen. Davon hatte Paulus bereits in Römer 2, 6 geschrieben.48 Paulus verwendet Esau und Jakob sinnbildlich für zwei unterschiedliche Arten von Menschen, mit denen er es zu tun hat: Jakob steht für diejenigen Israeliten, die den Messias annahmen, während Esau für diejenigen Israeliten steht, die den Messias ablehnten. Wie im Fall
46 Vgl. Parkinson (S. 22-23).
47 Der Begriff „Heilsvolk“, den wir hier verwenden, soll nicht besagen, dass alle in diesem
Volk das Heil hatten. Wie Paulus im Römerbrief klar macht und wie auch Johannes der
Täufer und der Herr Jesus selbst deutlich machten, sind nicht alle Israeliten Heilsmenschen
(d. h. Gerettete), vgl. z. B. Matthäus 3, 7-9; 12, 30-37; Römer 10, 21. Dennoch waren sie alle
als Same Abrahams „Erwählte“.
48 Vgl. auch Hebräer 12, 16.17.
von Ismael und Isaak ist auch hier keineswegs die Rede von einem ewigen Ratschluss Gottes, der Jakob zum persönlichen Heil vorherbestimmt hätte und Esau zur Verdammnis.
• Nicht alle Nachkommen sind Erwählte. Nicht jeder Sohn teilt wie selbstverständlich die Erwählung des Vaters.
• Das Kriterium für Teilhaberschaft am Volk Gottes ist weder Abstammung (V. 10) noch Leistung (V. 11).
• Es werden zwei Arten von Erwählung unterschieden: eine allgemeine Erwählung zum (irdischen) Heilsvolk Israel einerseits (so im AT) und eine persönliche Erwählung in Christus (zum geistlichen Volk Gottes) andererseits. Zu beiden Völkern (irdisch/geistlich) wird unterschiedlich erwählt. Es geht bei Jakob und Esau nicht um die geistliche Erwählung und persönliche Errettung. Und zwar haben wir in den K. 9-11 deshalb zwei Arten von Erwählung, weil wir nun (seit Israels Verwerfung) zwei Völker Gottes haben. Wir dürfen diese Erwählungen – die jeweilige Erwählung zu einem der beiden Völker – nicht vermischen. Paulus sagt: Nicht jeder ist zum ersten (d. i. irdischen) Volk Gottes erwählt: Ismael nicht, Esau auch nicht. Und somit ist auch nicht jeder zum anderen (d. i. geistlichen) Gottesvolk erwählt. Wenn es Menschen gibt, die zum irdischen Volk zählen – die Israeliten –, so heißt dieses nicht notwendigerweise, dass sie alle zugleich auch zum geistlichen Volk zählen, denn beim geistlichen Volk geschieht die Erwählung anders. Der Apostel sagt: Viele Israeliten sind – trotz ihrer Erwählung zum irdischen Volk – nicht zum geistlichen erwählt. Warum nicht? Weil sie nicht glauben wollen. Das macht Paulus in K. 10 deutlich: Die Erwählung zum geistlichen Volk Gottes geschieht auf Grund des Glaubens. Der Segen Abrahams wird nur denen zuteil, die in Christus sind (Galater 3, 14). Bei der Erwählung zum geistlichen Volk Gottes geht es um eine Erwählung in ihm. Nur in Christus ist der Christ ein Erwählter49, nicht außerhalb von Christus. Eine solche Person wird in dem Augenblick der persönlichen Heilswende50 erwählt, d. h., in dem Mo-
49 Siehe die Ausführungen zu Epheser 1, 4.
50 Die „persönliche Heilswende“ besteht aus Umkehr und Rettung: Im Allgemeinen sagt
man: Bekehrung und Wiedergeburt, aber die Wiedergeburt ist nur ein Aspekt von dem,
was Gott zu unserem Heil beiträgt.
ment, da sie Buße tut und glaubt. (Vgl. 1. Thessalonischer 1, 4 und Matthäus 22, 14.51) In dem Moment kommt sie in Christus hinein.52 Basis für die Versetzung in Christus ist das Ja zu Jesus, d. h., der Herzensglaube an den Auferstandenen und das persönliche Anrufen seines Namens (Römer 10, 12.13). Bei Esau und Jakob geht es also nicht um persönliches Heil und Zugehörigkeit zum geistlichen Volk Gottes, sondern um die Frage der Weiterführung der patriarchalischen Linie. Erst dann, wenn ein Israelit der Botschaft des Messias begegnet, entscheidet sich, ob er nur zum irdischen Volk gehört (was ihm dann aber persönlich nicht hilft) oder auch zum geistlichen Volk. So ist das Wort Gottes in keiner Weise hinfällig geworden. Gott segnet nach seinen Bedingungen: aus Gnade durch den Glauben, ohne Zutun der Werke. Damit hat Paulus den ersten Einwand behandelt. Parkinson bemerkt: „Sicher ist es für uns heute schwierig, wirklich zu verstehen, welch schmerzliche Erfahrung es für einen Juden gewesen sein muss, wenn ihm gesagt wurde, dass er geistlich gesehen (in seinem verlorenen Zustand) eher Ismael und Esau glich als Isaak und Jakob.“53
Wir kommen nun zum zweiten Einwand. Er könnte etwa so gelautet haben: „Wenn es, wie du, Paulus, lehrst, für die Nachkommen Abrahams keine Vorzüge gibt, ist Gott ungerecht. Wenn die Heiden völlig aus Gnade und nur durch den Glauben gerechtfertigt werden, ist das eine Ungerechtigkeit den Juden gegenüber.“ Es kam Judenchristen ungerecht vor, dass Gott die Heiden ins Heil nahm – in Christus. Sie meinten, Gott handle willkürlich. Paulus geht darauf ein: V. 14: „Was werden wir also sagen? Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott? Das sei fern!“
51 Siehe die Ausführungen zu Matthäus 22, 14 und Epheser 1, 4.
52 Zum Sein in Christus vgl. z. B. Römer 8, 1.2; 16, 7; 1. Korinther 1, 2.30; 2. Korinther 1, 21; 5, 17; Gal
3, 14.26.28; Epheser 2, 6.13; 2. Timotheus 1, 1; 1. Petrus 5, 14.
53 Vgl. Parkinson, S 24.
Paulus zeigt auf: Gott handelt trotz seiner Souveränität nicht willkürlich. Er handelt nach bestimmten Kriterien. Wenn er barmherzig ist, ist er nicht ohne gute Gründe barmherzig. Und auch wenn er bestraft, handelt er nach bestimmten Kriterien. Wie lautet die erste Antwort des Paulus auf die Frage, ob Gott nicht ungerecht sei? Paulus stellt für die Juden in Rom zuerst einmal grundsätzlich klar, dass Gott souverän ist. Das bedeutet, dass er frei ist, nach seinem eigenen Willen Entscheidungen zu treffen. Niemand kann Gott vorschreiben, wie und unter welchen Bedingungen er Menschen zu retten hat. Gott ist Gott. Und deshalb ist er frei zu tun, was er will. Und wenn er sich entscheidet, Menschen aus Gnaden zu retten, wer ist man selbst, dass man ihm Vorschriften machen will? Es ist sein Vorrecht, die zu retten, die glauben, seien es Juden oder Nichtjuden. Es geht hier also nicht um die Frage nach der Freiheit des Menschen. Manche Ausleger meinen, Römer 9 zeige uns, dass der Mensch nicht frei sei, also keinen freien Willen hätte. Aber das ist nicht die Frage, die hier gestellt wird. Es geht um die Freiheit Gottes. Das Thema, das hier besprochen wird, lautet: Ist Gott frei? Darf er tun, was er will? Ist das gerecht, wenn Gott tun darf, was er will? Natürlich ist das gerecht, sagt Paulus. Gott ist frei. Und in welcher Beziehung ist Gott frei? Das wird Paulus jetzt aufzeigen. Er wird den Israeliten zuerst zeigen, wer Israel ist, und dann, wer Gott ist. Dabei wird er zwei geschichtliche Argumente liefern und zwei Schlussfolgerungen vom Wesen Gottes her ziehen: 9, 15-18
„... denn er sagt zu Mose: ‘Ich werde barmherzig sein, gegen wen immer ich barmherzig sein werde, und werde mich erbarmen, über wen immer ich mich erbarmen werde.’ Dann ist es also nicht [eine Sache] des Wollenden noch des Laufenden, sondern des barmherzig seienden Gottes ...“
Paulus zitiert zunächst aus 1. Mose 33, 19. In jenem Abschnitt geht es um Gottes Barmherzigkeit in der Geschichte. Was ist der alttestamentliche Zusammenhang? Die Israeliten machten sich ein goldenes Kalb. Was wäre mit den Israeliten geschehen, wenn Gott an ihnen so gehandelt hätte, wie es die Gerechtigkeit gefordert hätte? Er hätte sie getötet. Warum also beschloss Gott, barmherzig zu sein? Auf Grund der Werke der Israeliten? Nein. Gott entschied bei Mose, dass er nicht nach dem Grundsatz der Gerechtigkeit verfahren wolle, sondern nach dem der Barmherzigkeit. Darf er barmherzig sein, wenn er will? Darf er seinem barmherzigen Wesen entsprechend handeln? Paulus packt den Juden gleichsam und fragt: „Bitte, wer bist du? Du, der du damals in deinen Vätern das goldene Kalb angebetet hast! Du bist wie ein Heide! Und dann sprichst du davon, dass ich nicht ein Recht hätte, zu sagen, dass die Heiden die Barmherzigkeit Gottes erfahren dürfen? Wer bist du, dass du sagst, ich dürfe das nicht tun? Der Gott, der dir gegenüber barmherzig war (indem er dir das Heil öffnete), hat auch ein Recht, anderen gegenüber barmherzig zu sein (und ihnen das Heil zu öffnen54)! – Im Grunde bist du nur ein Mensch. Der Heide aber ist ebenfalls ein Mensch, ebenfalls im Bilde Gottes geschaffen!” Gott ist also barmherzig. Und es kann nicht darauf ankommen, dass jemand sagt: „Nein, ich bin gelaufen. Ich habe so und so viele Gebote gehalten. Deshalb darf ich in den Himmel hinein.” Nun könnte jemand sagen: „Gut. Es kommt also nur auf Gottes Barmherzigkeit an. Kann ich dann also gar nichts dazu tun?“ Dazu eine Gegenfrage: Was wissen wir aus der Heiligen Schrift, wem gegenüber Gott barmherzig ist? Antwort: Jedem gegenüber, der sagt: „Ich habe nichts geleistet. Ich habe alles zerbrochen. Ich bin ein Sünder. Du kannst mit mir tun, was du willst. Wenn du mich verurteilst, bist du gerecht. Wenn du mich für alle Ewigkeit verdammtest, wäre es recht, denn genau das habe ich verdient. Wenn du mich rettest, ist es allein deine Barmherzigkeit. Ich werfe mich auf deine Gnade.“ (Vgl. Lukas 18, 13.) Einem solchen Menschen kann und will Gott seine Barmherzigkeit erweisen. Dieses ist die Grundlage für die Aussage in Römer 9, 15 (und in 1. Mose 33, 19). Auf dieser Grundlage erhält der Mensch von Gott Barmherzigkeit.55 Gott ist frei, Barmherzigkeit zu erzeigen.
Er kann nur auf dem Boden seiner eigenen, vollkommenen Freiheit barmherzig sein. Und wem zeigt er sich barmherzig? Dem Bußfertigen. Täte Israel Buße, so würde es Gottes Gnade erfahren.56 Gott „erbarmt sich des Geringen und des Armen“ (Psalm 72, 13A), d. h., dessen, der sich auf keine Leistungen mehr berufen kann, der Gott nichts vorweisen kann, sondern sich hilflos in Gottes Arme wirft. Sobald ein Jude Buße tut und aufhört, sich auf Abraham, Isaak und Jakob oder auf seine eigenen guten Taten zu berufen, sobald er sich nur auf den Gott beruft, der ihn liebt und retten möchte, ist Gott ihm barmherzig und nimmt ihn an. (Vgl. Jesaja 55, 7.)57 Vgl. Römer 11, 30-32: „... denn gleichwie auch ihr einst im Unglauben Gott nicht gehorchtet, nun aber Barmherzigkeit erfuhrt [durch] ihren Ungehorsam, so waren auch diese nun im Unglauben ungehorsam zugunsten eurer Barmherzigkeit, damit auch sie Barmherzigkeit erfahren möchten, denn Gott schloss alle zusammen ein in den Ungehorsam, damit er allen Barmherzigkeit widerfahren lasse.“ Gott schloss alle zusammen unter den Unglauben ein. Wozu? Wozu stempelte er alle als untauglich ab? Damit er „allen Barmherzigkeit widerfahren lasse“, d. h., damit sie alle – durch Buße und Glauben – tauglich werden könnten, denn er will ja alle retten. Deshalb zeigt er uns die Wahrheit über uns: nämlich, dass wir unverbesserliche Sünder sind und nur aus Gnaden gerettet werden können. Also war Gottes Absicht immer Barmherzigkeit: Zuerst Barmherzigkeit den Juden gegenüber, dann den Heiden gegenüber; denn er musste das ungläubige Israel verwerfen, und dadurch kam Gottes Barmherzigkeit den Heiden zugute (denen nämlich, die sie in Buße und Glauben annahmen). Und schlussendlich sollte Gottes Barmherzigkeit wieder Israel zugutekommen, einem Israel, das sich in Buße und Glauben zuletzt dem Messias zuwendet. Ja, es war immer
54 Vgl. Römer 11, 30-32
55 Das ist auch die Grundlage unseres Glaubenslebens. Immer wieder kommen wir an
unsere eigenen Grenzen, und wir merken, dass wir es nicht geschafft haben. Wir haben
in unserem Leben viele Probleme, aber wir werden sie nur dann wirklich lösen, wenn
wir als Hilflose und als solche, die der Barmherzigkeit bedürfen, zu Gott kommen und
sagen: „Herr, nur du. Alle deine Wege sind recht. Ich werde nicht mehr sagen: ‘Warum
hast du mich in diese Lage hineingebracht?’ Nein. Du, Herr, hast ein Recht, zu tun, was
du möchtest.“ Nur wenn ich so spreche, kann ich wieder in die richtige Beziehung zu
ihm kommen.
56 Vgl. Psalm 81, 14-17: „Dass doch mein Volk auf mich hörte und Israel auf meinen Wegen
ginge! Wie schnell würde ich ihre Feinde beugen und meine Hand gegen ihre Gegner
wenden. Die den Herrn hassen, müssten ihm schmeicheln, und ihre Zeit würde ewiglich
währen. Er ließe ihn essen vom besten Teil des Weizens. Und mit Honig aus dem
Felsen würde ich dich sättigen.“
57 Jesaja 55, 7: „Der Ehrfurchtslose ‹und Frevler› verlasse seinen Weg und der Mann des Frevels
seine Gedanken und er kehre um zu dem Herrn, so wird er sich seiner erbarmen,
und zu unserem Gott, denn er ist reich an Vergebung.“
Barmherzigkeit. Gott „schloss alle zusammen ein in den Ungehorsam, damit er allen Barmherzigkeit widerfahren lasse.“ (11, 32) Schlussfolgerung (V.16): „Dann ist es also nicht [eine Sache] des Wollenden noch des Laufenden, sondern des barmherzig seienden Gottes ...“ Es liegt also nicht am Menschen, sondern an dem Barmherzigen. Wer ist der Barmherzige? Gott. Es ist eine Angelegenheit Gottes, nicht eines Menschen. Gottes Handeln resultiert nicht aus den Werken, Leistungen, Motiven und dem guten Willen von Menschen, sondern sein Handeln resultiert aus seiner eigenen Barmherzigkeit. Gott handelt nicht deswegen, weil Menschen ihn durch ihre Werke, Leistungen und Motive beeindrucken, sondern sein Handeln ist immer frei. Im größeren Zusammenhang des Römerbriefes geht es darum, wer bei Gott in Gnaden stehen darf. Wofür entschied Gott sich? In seiner Souveränität entschied er sich, allen gegenüber barmherzig zu sein (11, 30-32). Und niemand kann ihn daran hindern. Beachten wir, dass in Römer 9-11 von Gottes Absichten für Israel und die Heidenvölker die Rede ist. Es kam den Juden ungerecht bzw. willkürlich vor, dass Gott die Heiden annehme. Paulus zeigt auf, dass, wenn Gott ein Heilsvolk (Israel einerseits und die Heidenvölker andererseits) erwählt, er dieses nicht aus Willkür tut, sondern aus Barmherzigkeit. Gottes Absicht ist und war es immer, Barmherzigkeit zu erweisen. Wenn er sich über die Heiden erbarmt, ist das nicht nur sein Recht, sondern es entspricht auch seinem Wesen, einem Wesen, das er auch in der Geschichte Israels immer wieder offenbarte – und von dem Gottes Volk in der Geschichte immer wieder profitierte. Die Israeliten pochten stark auf ihre Abstammung und ihre Werke. Der Israelit sagte: „Ich bin Abrahams Kind. Deshalb bin ich bei Gott in Gnaden.” Gott dagegen sagt: „Ich bin dir gegenüber zu nichts verpflichtet. Nur deshalb, weil du Abrahams Sohn bist, muss ich dir nicht Gnade schenken! Es gibt eine ganze Menge von Söhnen Abrahams, denen ich nicht gnädig war. Also: Ich werde dem gnädig sein, dem ich gnädig sein will.” Dass Gott Israel erwählte, war also gänzlich ein Akt der Barmherzigkeit. (Vgl. 1. Mose 7, 7.8.)
Dass Gott barmherzig ist, zeigt Paulus auch anhand eines zweiten Beispiels: „... denn die Schrift sagt zu Pharao: ‘Eben hierzu stellte ich dich auf…’“ Paulus zitiert 1. Mose 9, 16. Der Pharao hatte sein Herz mehrmals verhärtet. 58 Gott hatte ihm die Möglichkeit gegeben, Buße zu tun. Erst nach der sechsten eigenwilligen Verhärtung Pharaos griff Gott ein. An diesem Tage hätte Gott den Pharao töten können – wie der Töpfer Macht darüber hat, den Ton in seiner Hand, der widerstrebt, zu zerstören und ein neues Gefäß zu machen. Aber anstatt den Pharao zu töten, ließ Gott ihn am Leben: „Eben hierzu stellte ich dich auf [o.: ließ ich dich stehen ‹und am Leben›; o: ließ ich dich – ‹lebend› – stehen]…“ Der Text sagt nicht aus, dass Gott den Pharao ins Leben setzte, um ihn zu zerstören. Stattdessen lesen wir, dass Gott den Pharao „stehen ließ / bestehen ließ“ (9, 16), d. h., am Leben ließ, nachdem jener sich Gott gegenüber verhärtet hatte. Wenn Gott in seiner Souveränität frei entscheidet, wen er rettet, ist er ebenso frei in seiner Entscheidung, wen er zurückweist. Wen rettet er? Die Glaubenden. Und wen weist er zurück? Die, die nicht glauben. Der Pharao wird als Beispiel eines unbußfertigen Sünders genannt, der im Unglauben verharrte. Anstatt den Pharao zu töten, ließ Gott ihn am Leben. Wozu? V. 17: „…, auf dass ich meine Kraft an dir erzeigte und damit mein Name weithin kundgetan werde auf der ganzen Erde.“ Gott entschied sich, den Völkern zu zeigen, wer er sei; er wollte sie retten. War nun Gottes Entscheidung blinde Willkür? Nein. Es war Barmherzigkeit! Ist Gott souverän? Ja. Gott ist frei; er lässt sich nicht fremdbestimmen. Aber das heißt nicht, dass er ohne Kriterien barmherzig ist, und auch nicht, dass er ohne Kriterien verwirft – wie hier den Pharao. Das Kriterium, das ihn leitet, ist Barmherzigkeit. Auch bei der Verhärtung des Pharaos leitete ihn seine Barmherzigkeit, und zwar eine, die allen Völkern der Erde galt (V. 17), auf dass Gottes Name „weithin kundgetan werde auf der ganzen Erde“. Weil Gott sich aller Völker erbarmen will, richtet er den Pharao nach seiner sechsten Selbstverhärtung nicht, sondern lässt ihn am
58 Siehe die Zusammenstellung im Exkurs am Ende der Besprechung bei Römer 9.
Leben und sagt gleichsam: „Du wirst nun von mir gebraucht werden! Aber nicht so, wie du denkst. Ich gebrauche dich, den Verhärteten, nun dazu, dass mein Name und Ruhm zu den Heidenvölkern hinausgeht.“ Ebenso darf Gott auch heute Israel verhärten, nachdem es sich selbst so oft verhärtet und schlussendlich den Messias verworfen hat. Und auch das Volk Israel verhärtet Gott mit dem Ziel und der Absicht, dass nun das Heil zu den Heiden hinausgebracht werde. Schlussfolgerung (V.18): „Dann ist er also barmherzig, gegen wen er will, und er verhärtet, wen er will.“ Gott ist frei, zu tun und zu lassen, was er will. Er ist frei, barmherzig zu sein, gegen wen er will, und zu verhärten, wen er will. Richtig! Aber er handelt dabei nicht ohne Kriterien. Er handelt nicht willkürlich. Wir fragen: Gegen wen will er barmherzig sein? Was sagt die Heilige Schrift an anderen Stellen? Grundsätzlich gegen alle – und zwar zuerst den Israeliten und dann den Heiden gegenüber. Grundsätzlich gilt die Barmherzigkeit Gottes jedem Menschen. Aber im speziellen Sinn erfährt sie nur derjenige, der dazu bereit ist und auf Gottes Rettungsbedingungen eingeht. Gott erbarmt sich über den, der umkehrt (1. Mose 30, 1-3; Jesaja 55, 7)59, der sich nicht auf Leistungen beruft, sondern demütig in Gottes Arme wirft (Lukas 18, 13; Sprüche 3, 34)60. Er erbarmt sich über den, der ihn fürchtet (Psalm 103, 13)61. In diesem speziellen Sinn ist Römer 9, 15 (und 11, 30.31) zu verstehen. Es geht um ein Sich-Erbarmen Gottes über den Menschen, der sich retten lassen will und der auf dem von Gott bestimmten Rettungswege zu ihm kommt. Wenn jemand eigene Heilswege sucht, kann er Gottes Erbarmen nicht erfahren. Nicht deshalb, weil Gott ihm kein Erbarmen geben könnte, sondern weil Gott sich selbst treu ist.
59 1. Mose 30, 1-3: „Und es wird geschehen, wenn … du umkehrst zu Jahweh, … mit deinem
ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele, wird Jahweh, dein Gott, … sich deiner
erbarmen“.
Jesaja 55, 7: „Der Ehrfurchtslose verlasse seinen Weg …; und er kehre um zu Jahweh, so
wird er sich seiner erbarmen, und zu unserem Gott, denn er ist reich an Vergebung.“
60 Lukas 18, 13: „Und der Zolleinnehmer stand von ferne und wollte nicht einmal die Augen
zum Himmel aufheben, sondern schlug an seine Brust und sagte: ‘Gott, werde mir, dem
Sünder, versühnt!’“
Sprüche 3, 34: „… den Demütigen gibt er Gnade.“
61 Psalm 103, 13: „Wie sich ein Vater über [seine] Kinder erbarmt, so erbarmt sich Jahweh über
die, die ihn fürchten.“
Er würde andernfalls gegen seine eigenen, von ihm festgelegten Kriterien verstoßen. Der Mensch darf also Gottes Angebot ablehnen. Gott verhärtet wen er will. Wir fragen: Wen will er verhärten? Was sagt die Schrift? Wem will Gott sein Erbarmen verwehren? Grundsätzlich niemandem.62 Aber er ist – wiederum aufgrund der von ihm selbst festgelegten Kriterien – gleichsam „genötigt“, von denen, die ihr Herz verhärten, sein Erbarmen zurückzuziehen (Jesaja 27, 11; Hesekiel 5, 11; 8, 17.18)63. Dies kann entweder durch sofortigen Tod geschehen oder durch göttliche Verhärtung, wie bei den Ägyptern (1. Mose 14, 17)64 und bei Sihon, dem König von Hesbon (1. Mose 2, 30)65. Wen also will er verhärten? Denjenigen, der sich verhärtet, sich verschließt, z. B. ein ungläubiges Israel (Apostelgeschichte 28, 24-27; Römer 10, 21; 11, 7). Für diejenigen, die Gottes langes und geduldiges Werben konsequent ablehnen und so in der Unbußfertigkeit verharren, gibt es einen Schlussstrich. Wir beachten, dass es in Römer 9-11 um eine heilsgeschichtliche Verwerfung und Annahme (Israels und der Völker) geht (11, 15.32). Einzelne Israeliten, die nicht glaubten, gingen verloren, auch im Alten Testament. Und einzelne aus den Völkern wurden gerettet, wenn sie sich zum Gott Israels wandten (z. B. Rahab, Ruth, Urija, Naeman). So war es in der Erwählung der einen und Verwerfung der anderen immer Barmherzigkeit gewesen, die Gott in seinem Handeln leitete. Aber die persönliche Verwerfung (und damit ewige Verdammnis) geschah immer auf Grund von Unglauben : wie beim Pharao so auch bei Esau und bei den ungläubigen Israeliten zu der Zeit Jesu und der Apostel (10, 21).
62 Siehe unten die Ausführungen zu 1. Timotheus 2, 1-7.
63 Jesaja 27, 11: „… denn es ist kein verständiges Volk; darum erbarmt sich seiner nicht, der es
gemacht, und der es gebildet hat, erweist ihm keine Gnade.“
Hesekiel 5, 11: „Wahrlich, weil du mein Heiligtum verunreinigt hast durch alle deine Scheusale
und durch alle deine Gräuel, will auch ich mein Auge abziehen ohne Mitleid, und
auch ich will mich nicht erbarmen.“
Hesekiel 8, 17.18: „Hast du gesehen, Sohn des Menschen? Ist es dem Hause Juda zu gering,
die Gräuel zu verüben, die sie hier verüben, dass sie auch das Land mit Gewalttat füllen
und mich immer wieder reizen? …. 18 So will auch ich handeln im Grimm, mein Auge
soll nicht schonen, und ich werde mich nicht erbarmen…“
64 1. Mose 14, 17: „Und ich: Siehe! – ich will das Herz der Ägypter verhärten, und sie werden
hinter ihnen herkommen; und ich will mich verherrlichen an dem Pharao und an seiner
ganzen Heeresmacht, an seinen Wagen und an seinen Reitern.“
65 1. Mose 2, 30: „Aber Sihon, der König von Hesbon, wollte uns nicht bei sich durchziehen
lassen, denn Jahweh, dein Gott, hatte seinen Geist verhärtet und sein Herz verstockt/
verhärtet, auf dass er ihn in deine Hand gebe, wie es an diesem Tage ist.“
V. 19: „Du wirst hieraufhin zu mir sagen: „Warum tadelt er noch? – denn wer hat seinem Vorhaben [o.: seinem Entschluss] widerstanden?’“ Paulus sprach von Gottes Souveränität. „Aber“– so könnte man einwenden – „wenn Gott tut, was er will, kann der Mensch gar nichts dagegen tun. Und wenn Gott mit dem Menschen tut, was er will, darf er auch nicht den Menschen schuldig sprechen.“ Hierauf antwortet Paulus mit einer Verteidigung der Größe Gottes (V. 20-22A).
V. 20A: „So?! Wer, o Mensch, bist du, dass du Gott entgegnest?“ Man soll sich im Gespräch mit Gott nicht mit ihm messen.
V. 20.21: „Wird etwa das Geformte zu dem Formenden sagen: ‘Warum machtest du mich so?’ 21 Oder hat der Töpfer nicht Vollmacht über den Ton, aus derselben Masse ein Gefäß zur Ehre und ein anderes zur Unehre zu machen?“ Man soll den Schöpfer nicht in Frage stellen. Als Schöpfer hat er Macht zu formen, wie er will. Alles kann seiner Ehre dienen. Wenn Israel missraten ist und sich von Gott abgewandt hat (indem es den Messias verwarf), so ist es Gottes gutes Recht, sich nun den Heidenvölkern zuzuwenden. Paulus sagt: Nur deshalb, weil du ein Israelit bist, wirst du nicht gerettet. Wenn du den Messias ablehnst, darfst du dich nicht wundern, wenn Gott dich verwirft und die Heiden erwählt. Damals hattest du dich nicht beschwert, als Jakob erwählt wurde; jetzt brauchst du dich auch nicht zu beschweren, wenn Gott nun die Heidenvölker annimmt (erwählt).“ In Matthäus 21, 43.44 sagte der Herr Jesus zu den Juden: „Deswegen sage ich euch: Das Königreich Gottes wird von euch genommen werden, und es wird einem Volk gegeben werden, das seine Früchte bringen wird. Und der, der auf diesen Stein fällt, wird zerschmettert werden. Aber auf wen er fällt, den wird er zermalmen.“ Niemand darf Gott etwas vorschreiben. Das wäre genauso töricht, wie wenn der Ton dem Töpfer etwas vorschreiben wollte. Parkinson schreibt treffend: „Der Sünder hat jeden Anspruch auf Gott verloren. In Seinem Handeln mit den Menschen ist Gott immer im Recht und der Mensch immer im Unrecht. Der Sünder kann in Bezug auf die Erlösung nicht mit Gott verhandeln. Er hat nichts anzubieten. Wenn der Sünder gerettet werden soll, muss dies völlig und allein aus Gottes Antrieb heraus geschehen. Er stellt die Bedingungen. Gott lässt sich nicht vorschreiben, wie und wen Er rettet. Es hat Gott in seiner Güte nun einmal gefallen, aus Gnade diejenigen zu retten, die glauben, seien es Juden oder Heiden.“66
„Wenn aber Gott, da er [seinen] Zorn erzeigen und seine Kraft kennen lassen wollte, in viel Geduld die Gefäße des Zorns, die fürs Verderben fertig geworden waren, ertrug?“ Das griechische Wort für „fertig“ bedeutet „zugerüstet; hergerichtet; reif; bereitet“. Die Gefäße des Zorns waren bereits fertig, reif fürs Verderben. Wodurch waren sie für das Verderben fertig, reif? Durch ihren Unglauben in Bezug auf den Messias. Paulus hat bereits ab 2, 1 geschrieben, dass, wenn Menschen ins Verderben gehen, dies durch ihre eigene Schuld geschieht, denn Gott wird „einem jeden vergelten nach seinen Werken“ (2, 6). Selbst
haben sie sich so gemacht; selbst haben sie sich fürs Verderben bereitet, reif gemacht. Und nachdem sie sich so bereitet hatten, hatte Gott sie getragen, ehe er schließlich zum Gericht einschritt. Gott hat sie in großer Langmut getragen. Das tat er, weil er es so wollte – und weil es seinem Wesen, d. h., seiner Güte und Barmherzigkeit, entsprach. Wer waren in unserem Falle hier „die Gefäße des Zorns“, die Gott so lange trug? Israel! Ein ungläubiges Israel, das sich dem Messias nun schon so lange verweigerte. „Gefäße des Zorns“ waren sie, Gefäße, die durch ihr böses und unbußfertiges Verhalten Gottes Zorn auf sich geladen hatten. Diese hat Gott in viel Geduld getragen. Der Text sagt nicht, dass Gott Menschen dazu vorherbestimmt habe, dass sie sich nicht bekehren und daher ins Verderben kommen sollten. Der Text sagt, dass Gott die Unbußfertigen geduldig trug, so lange, bis sie durch ihre starrsinnige Unbußfertigkeit zum Verderben fertig („zugerüstet“) waren. Pharao ist ein Beispiel davon. Gott hatte (aufgrund seiner eigenen
66 Vgl. Parkinson, S 25.
Kriterien) schließlich keine andere Möglichkeit mehr. Wenn sich jemand starrsinnig verhärtet, gibt es schlussendlich einen Punkt, von dem an man nicht mehr zurückkehren kann. Es gibt Fälle, bei denen Gott dem Propheten verbietet, für das unbußfertige Volk weiterhin zu beten, da Gott bereits sein Gericht an diesem fest beschlossen und sein Gerichtswerk bereits begonnen hat (Jeremia 7, 13-16): „Und nun, weil ihr alle diese Werke getan habt, [...] werde [ich] euch wegwerfen von meinem Angesicht, so wie ich alle eure Brüder, den ganzen Samen Ephraims, weggeworfen habe. 16 Du aber, bitte nicht für dieses Volk und erhebe weder Flehen noch Gebet für sie, und dringe nicht in mich; denn ich werde nicht auf dich hören.“ (s. a. Jeremia 11, 11-14 und 14, 10-12.)
V. 23: „Und [wenn er dieses tat], damit er kennen lasse den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er im Voraus zu Herrlichkeit bereitete...“ Die Gefäße der Barmherzigkeit bereitet Gott im Voraus – nicht zum Heil, sondern zu mehr: „zu67 Herrlichkeit“. Er gibt denen, die sich bekehren, nicht nur das Heil, sondern Herrlichkeit. Gott bestimmte im Voraus, dass diejenigen, die an Jesus Christus glauben würden, Herrlichkeit bekommen sollten, eine zukünftige Herrlichkeit, die Gott mit ihnen teilen würde. Der Text sagt nicht,
• dass es sich um eine bestimmte begrenzte Anzahl von Menschen handle;
• dass sie bereits vor ihrer Bekehrung Gefäße der Barmherzigkeit waren;
• dass sie im Voraus zur Bekehrung bestimmt gewesen waren.
Der Text sagt auch nicht, wie sie Gefäße der Barmherzigkeit geworden waren,
auch nicht, ob sie es wurden oder vorher schon gewesen waren.
Der Text sagt nicht, dass Gott unbekehrte Menschen im Voraus dazu bestimmt hätte, dass sie sich bekehren sollten.
Das sagt die Schrift auch sonst nicht. Gott sieht die Not und rettet, wo immer man sich retten lässt. Und wer sich retten lässt, wird aus einem Gefäß des Zorns zu einem Gefäß der Barmherzigkeit.
67 Im Griech. steht „Herrlichkeit“ ohne Artikel.
Paulus sagt nicht, dass das „Bereiten zu Herrlichkeit“ auf eine bestimmte Anzahl von Menschen beschränkt oder einer bestimmten Anzahl vorbehalten wäre. Er sagt auch nicht, dass Gott in der Ewigkeit im Voraus bestimmte, welchen Individuen er barmherzig sein werde und welchen nicht. Aber er sagt: Das, was Gott denen bereitete, die sich retten lassen würden, ist Herrlichkeit. Gott bereitete die Gefäße der Barmherzigkeit im Voraus „zu Herrlichkeit“. In diesem Leben, wann immer irgendein Mensch der Messiasbotschaft begegnet, entscheidet er, ob er Gottes Angebot annehmen will oder nicht. Und wenn er Buße tut und zum Messias „Ja“ sagt, wird er zu einem Gefäß der Barmherzigkeit, einem Gefäß, das Gott „zu Herrlichkeit“ bereitete. D. h., das ewige Los eines solchen wird Herrlichkeit sein. Wer in diese Verse eine Vorherbestimmung zur Bekehrung (d. h., eine Vorherbestimmung zum Gläubig-Werden) hineinliest, lässt den Römerbrief sich selbst widersprechen, denn Paulus hat bereits in den K. 3-5 deutlich gemacht, dass das Heil nur durch den Glauben erlangbar ist. Und in 10, 9-21 wird er aufzeigen, dass Gottes Werben allen gilt. Gottes Hände sind nach allen ausgestreckt (10, 21). Paulus wird aufzeigen, dass es in der Verantwortung des Menschen liegt, mit dem Herzen zu glauben und mit dem Munde den Namen des Herrn anzurufen (10, 9-13; 11, 20E). Die „Gefäße des Zorns“ sind die Verworfenen. Hier, in unserem Fall, sind sie Israel, ein Israel, das durch sein Verwerfen des Messias zu einem „im Unglauben ungehorsamen und einem widersprechenden Volk“ (10, 21) geworden war. Sie wurden aus dem Ölbaum ausgebrochen „durch den Unglauben“ (11, 20). Die „Gefäße der Barmherzigkeit“ sind die Angenommenen, die aus den Heidenvölkern; jeder aus ihnen steht „durch den Glauben“ (11, 20).
V. 24: „…, an uns, die er auch rief …“ Wie wurden wir Gefäße der Barmherzigkeit? Durch Gottes Rufen (V. 24; 10, 14.15) und durch unsere positive Antwort darauf. Das Antworten nennt die Heilige Schrift „glauben“.68 Das griechische Wort für „rufen“ bedeutet auch „einladen“. Gottes Rufen bzw. Einladen setzt sein Verlangen nach Nähe zum Gerufenen voraus. Wenn Gott die Menschen einlädt zu kommen,
68 Vgl. Hebräer 4, 2, wo gezeigt wird, dass das Wort mit Glauben vermengt werden muss, um
wirksam zu werden: „…, auch uns ist gute Botschaft gesagt worden gleichwie jenen; jedoch
nützte das gehörte Wort jenen nicht, da es bei den Hörern nicht mit dem Glauben
vermengt worden war“.
setzt dieses voraus, dass Gott die Menschen bei sich haben möchte: „Komm! Ich habe hier einen herrlichen Platz für euch bereit. Ich möchte euch bei mir haben.“ Der Mensch kann nur dann zu Gott kommen, wenn Gott ihn ruft. Die Tatsache, dass Gott ihn ruft, ist ein Akt der Barmherzigkeit Gottes. Dass Gott möchte, dass Menschen bei ihm sind, ist reine Gnade.
V. 24: „an uns, die er auch rief nicht nur von den Juden, sondern auch von den Völkern“. Wen rief Gott? Gottes Ruf erging und ergeht nicht nur an die leiblichen Nachkommen Abrahams, sondern an alle aus den Völkern.69 Nur diejenigen, die durch Buße und Glauben auf Gottes Ruf positiv reagieren, werden Gefäße der Barmherzigkeit. Jeder Mensch darf wählen, was er von Gott bekommen möchte: seine Barmherzigkeit oder seinen Zorn. Gott rief alle; „nicht alle jedoch gehorchten der guten Botschaft …“ (10, 16). „Den ganzen Tag streckte ich meine Hände aus zu einem im Unglauben ungehorsamen und einem widersprechenden Volk“ (10, 21). Wer den Ruf nicht annehmen will, dem wird Gott nicht Barmherzigkeit erweisen. Wenn daher gewisse Menschen das Heil nicht bekommen, liegt es nicht an Gott. In 9, 23.24 geht es nicht um die Frage, ob Gott einzelne Menschen dazu vorherbestimmt hat, dass sie sich bekehren. An keiner der Vorherbestimmungsstellen (Epheser 1, 5.11; Römer 8, 28.29)70 geht es darum.
Verworfenen also . 9, 25.26: „… wie er auch in Hosea sagt: Ich werde Nicht-Mein-Volk ‘mein Volk’ nennen und die Nicht-Geliebte ‘Geliebte’ (Vgl. Hos 2, 25.) und: Es wird geschehen an dem Ort, an dem zu ihnen gesagt wurde: ‘Ihr seid nicht mein Volk’, dort werden sie ‘Söhne des lebenden Gottes’ genannt werden.’ (Hos 2, 1)“ Das Zitat aus Hosea bezieht sich dort auf das Israel, das abtrünnig geworden ist. Es gibt zwei „Israel“ im Alten Testament: die Chassidim (die Frommen) und die Abfallenden, die Untreuen, Nichtgelieb-
69 Römer 10, 12.13: „… denn es ist kein Unterschied zwischen Jude und Grieche, denn derselbe
Herr aller ist reich für alle, die ihn anrufen, denn ‘jeder, der den Namen des Herrn
anrufen wird, wird gerettet werden’“ Vgl. auch 9, 33; 10, 4.9.14ff.
70 Die hier aufgeführten sind übrigens sämtliche Stellen. Das Wort selber kommt zwar
noch in Apostelgeschichte 4, 28 und 1. Korinther 2, 7 vor, dort aber in einem anderen Zusammenhang.
ten, die „Nicht-sein-Volk“. Gott liebt sie und möchte sie alle bei sich haben. Darum wirbt er immer noch um sie. Paulus argumentiert: Schaut einmal, meine lieben Landsleute: Im AT steht geschrieben, dass Israeliten sich durch ihren Unglauben die Teilhabe am Volk Gottes verwirkt hatten. Der Prophet Hosea spricht Juden an, die von Gott abtrünnig geworden sind. Gott sagt ausdrücklich: „Solche, die mein Volk waren, sind nicht mehr mein Volk.“ Aber nun kommt die Gnade Gottes zum Ausdruck: „Ich will gerade die, die Nicht-mein-Volk geworden sind, zu meinem Volk machen.“ Wenn nun Gott abtrünnig gewordene Juden (die ja durch ihren Unglauben gleichsam zu Heiden geworden sind) wieder zu Israeliten macht, weil Gott ihnen gnädig ist (im Falle sie zurückkommen wollen), was ist dann heute so außergewöhnlich daran, dass Gott auch die aus den Völkern (Nichtjuden) annimmt? Wenn Juden, die durch ihre Abtrünnigkeit gleichsam zu Nichtisraeliten geworden waren, wieder von Gott zurückgerufen werden und eines Tages wieder angenommen werden (Hos 2), warum kann er nicht andere, die ebenfalls Nichtisraeliten sind (nämlich die aus den Völkern) rufen? Es besteht ja letztlich kein Unterschied zwischen einem abgefallenen Juden und einem Heiden. D. h., der Ruf Gottes an den untreuen Juden (Hos 2, 1) darf auch den Heiden gelten. So macht Paulus den Israeliten deutlich, dass Gott ein vollkommenes Recht hat, einerseits ein Israel, das nicht an Christus glauben möchte, zu verwerfen, und andererseits die aus den Völkern, die an Christus glauben, anzunehmen. Jeder darf kommen – aber nur auf den göttlichen Ruf hin und nur auf Gnade hin und nur mittels gläubigen Annehmens dieses Gnadenangebotes in Christus. Die, die es annehmen, diese sind es, denen er sich barmherzig erzeigt.
Aus Israel wird nur ein Überrest gerettet werden. V. 27.28: „Aber Jesaja ruft aus über Israel: ‘Wäre die Zahl der Söhne Israels wie der Sand des Meeres, der Überrest [d. h., nur der Überrest] wird gerettet werden, denn [Gott ist] einer, der ein Wort ganz zu Ende führt und rasch erledigt in Gerechtigkeit, weil der Herr ein rasch erledigtes Wort [o.: eine rasch erledigte Sache] auf der Erde tun wird.’ (Vgl. Jesaja 10, 22.23.)“; „ein rasch erledigtes Wort“, d. h., eine rasch erledigte Sache, wie er sie angekündigt hatte. Der „Überrest“ von V. 27 ist das „ganz Israel“ von Römer 11, 26. (Vgl. Sacharja 13, 8.9.)
V. 29: „Und [es ist] so, wie Jesaja zuvor sagte: ‘Wenn der Herr der Heere uns nicht Samen übrig gelassen hätte, wären wir wie Sodom geworden und Gomorra gleich geworden.’ (Jesaja 1, 9)“. Zum Begriff „Volk Gottes“ darf gesagt werden: Zum einen wird das von Gott gerufene alte Volk Israel, das Volk der Verheißung, „Israel“ genannt (Römer 10, 1; 11, 2E) bzw. „Israeliten“ (9, 4; 11, 1) und „Volk Gottes“ (11, 1.2). Zum anderen sind nur die echten christusgläubigen Juden das wahre Israel im erlösten Leib des Messias.71 Im letzteren Sinne sind nicht alle Israeliten Israel (Römer 9, 6). So kann das fleischliche Israel also zugleich einerseits „Gottes Volk“ (Römer 11, 1.2) heißen und andererseits „Nicht-Volk“ (Hos 1, 9) sein; sie können zugleich „Israel“ heißen (Römer 10, 1) und eine „Synagoge Satans“ (Offenbarung 2, 9; 3, 9) bzw. „Teufelskinder“ (Johannes 8, 44) sein. In 11, 1.2 ist mit dem Ausdruck „sein Volk“ das ganze Israel im Blickfeld. Das Argument läuft so: Weil es treue Gläubige im Volk gibt (d. h., einen Überrest), kann man sagen, das Volk als solches ist nicht gänzlich verworfen. Vgl. Römer 11, 11ff. Der Ausleger hat beiderlei Gebrauch der Bezeichnungen „Israel“ und „Volk“ im Auge zu behalten. Nach Hosea und Römer 9, 25.26 ist das ungläubige Israel gleich den Nichtisraeliten. Sie sind aber dennoch biologisch und nach der Verheißung „Israel“. Nach Hesekiel 37, 11 heißen die toten Gebeine „Haus Israel“. Der Prophet weissagt aber, dass zunächst nur ein lebloser Körper zustande kommt. Er harrt der Neubelebung durch den Messias. Römer 11, 27ff zeigt beides auf: „Feinde“ sind sie (d. i. das Volk, das jetzt im Unglauben ist) wegen des Evangeliums. Daher sind sie auch nicht gerettet. Dennoch sind sie „Geliebte“ (und daher „Volk Gottes“) um der Väter willen, denen Gott die Verheißungen gegeben hatte. Es hängt also jeweils davon ab, welchen Aspekt man gerade im Blickfeld hat. Zu einseitig sollte man die Bezeichnungen daher nicht verwenden.
71 Vgl. die Analogie: Alle Menschen sind per Schöpfung Gottes Kinder. Aber nicht alle sind es per Wiedergeburt aus dem Geist.
„Was werden wir also sagen? Die von den Völkern, die nicht nach Gerechtigkeit strebten, erlangten Gerechtigkeit, eine Gerechtigkeit aber, die aus Glauben ist…“ Israel erlangte nicht die geforderte Gerechtigkeit, weil es sie auf einem falschen Weg erreichen wollte. Die Heiden erlangten die Gerechtigkeit auf dem Glaubensweg.
V. 31: „… aber Israel, einem Gesetz der Gerechtigkeit nachstrebend, gelangte nicht zum Gesetz der Gerechtigkeit.“
Israel wollte aus Werken gerecht werden und gelangte daher nicht zur Glaubensgerechtigkeit. „Gesetz der Gerechtigkeit“ bedeutet: Sie strebten nach einer gesetzlichen Gerechtigkeit, d. h., einer Gerechtigkeit, die aus Werken kommt. Israel strebte danach, kam dort aber nicht an.
V. 32: „Weshalb nicht?“ Weshalb schaffte Israel es nicht, diese gesetzliche Gerechtigkeit zu erreichen?
„Weil es nicht aus Glauben geschah, sondern als aus Gesetzeswerken…“
Sie gingen nicht den Glaubensweg, sondern den Weg der Werke. Aber durch die Werke konnten sie nicht gerecht werden, weil sie immer wieder sündigten. Sie brachen das Gesetz. Warum geschah es nicht aus Glauben? Warum wollten sie nicht den Weg des Glaubens gehen? Warum wollten sie nicht die Glaubensgerechtigkeit? Paulus sagt: „… denn sie stießen sich an dem Stein des Stolperns…“
„… so, wie geschrieben ist: ‘Siehe! Ich lege in Zion einen Stein des Stolperns und einen Felsen des Ärgernisses ‹und Anstoßens›, und jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.’“
Christus, der Stein (Jesaja 8, 14; 26, 4; 1. Korinther 10, 4; 1. Petrus 2, 8), war ihnen ein Stein des Anstoßens. Von ihm hieß es schon im Alten Testament: „Er wird zum Heiligtum sein; aber zum Stein des Anstoßens und zum Felsen des Strauchelns den beiden Häusern Israels, zur Schlinge und zum Fallstrick den Bewohnern von Jerusalem.“ (Jesaja 8, 14) und: „Vertraut auf Jahweh ewiglich, denn in Jah, Jahweh, ist ein Fels der Ewigkeiten, ‹ein ewiger Fels›“ (Jesaja 26, 4). „Darum sagt mein Herr, Jahweh, so: ‘Siehe! – Ich bin es, der in Zijon einen Grundstein legt, einen erprobten ‹und erprobenden› Stein, einen kostbaren Eckstein, trefflich als wohlgegründetes Fundament. Wer glaubt, wird nicht hasten [o.: ‹ängstlich› eilen; o.: entweichen; wird nicht zu flüchten brauchen].’“ (Jesaja 28, 16)
Sechs Mal verhärtete der Pharao sein Herz. In 1. Mose 7, 13 lesen wir: „Und das Herz des Pharaos war hart, und er hörte nicht auf sie, so wie Jahweh geredet hatte. Und Jahweh sagte zu Mose: ‘Das Herz des Pharaos ist verstockt72; er weigert sich, das Volk ziehen zu lassen.’” Jahweh hatte bereits vorausgesagt, dass Pharao nicht auf Mose und Aaron hören und Israel nicht ziehen lassen würde (3, 19): „Aber ich weiß wohl, dass der König von Ägypten euch nicht ziehen lassen wird, auch nicht durch eine starke Hand.” Auch hatte er vorausgesagt (4, 21; 7, 3), dass er darauf Pharaos Herz verhärten würde. Die Verhärtung, die Jahweh verursachte (9, 12; 10, 20.27; 11, 9.10; 14, 4)73, folgte auf die Selbstverhärtung des Pharao (7, 13.22; 8, 11.15.28; 9, 7)74.
Wie bedeutsam die Wende des Vorgehens Gottes in 9, 12 ist, ersehen wir aus den erklärenden Worten, die folgen: 9, 13-16: „Und Jahweh sagte zu Mose: Mache dich des Morgens früh auf und tritt vor den Pharao und sage zu ihm: So sagt Jahweh, der Gott der Hebräer: Lass mein Volk ziehen, dass sie mir dienen, 14 denn dieses Mal will ich alle meine Plagen in dein Herz senden und über deine leibeigenen Knechte und über dein Volk, auf dass du wissest, dass niemand ist wie ich auf der ganzen Erde, 15 denn jetzt hätte ich meine Hand ausgestreckt und hätte dich und dein Volk mit der Pest geschlagen, und du wärest vertilgt worden von der Erde, 16 aber eben deswegen habe ich dich bestehen lassen, um dir meine Kraft zu zeigen und damit man meinen Namen verkündige auf der ganzen Erde.” 10, 1.2: „Und Jahweh sagte zu Mose: Gehe zu dem Pharao hinein, denn ich habe sein Herz verstockt und das Herz seiner leibeigenen Knechte, um diese meine Zeichen in seiner Mitte zu tun 2 und damit du vor den Ohren deiner Kinder und deiner Kindeskinder erzählst, was ich in Ägypten ausgerichtet und meine Zeichen, die ich unter ihnen getan habe, und ihr werdet wissen, dass ich Jahweh bin.” Gesagt hatte Jahweh es bereits in 3, 1975. Dort finden wir keinen Hinweis darauf, dass Gott den Pharao im Voraus verhärtet oder ihn von vornherein dazu bestimmt hätte, dass er Israel nicht ziehen lassen werde. In 4, 22.23 lesen wir sogar, dass Gott ihm droht: „Und du sollst zu dem Pharao sagen: So sagt Jahweh: Mein Sohn, mein Erstgeborener, ist Israel, 23 und ich sage zu dir: Lass meinen Sohn ziehen, dass er mir diene. Und weigerst du dich, ihn ziehen zu lassen, – siehe – so werde ich deinen Sohn, deinen Erstgeborenen, töten.” Gott treibt mit dem Menschen nicht ein Spiel. Von der Ankündigung einer gottgewirkten Verhärtung lesen wir
erst in 4, 21. Dort wird aber nicht mitgeteilt, wann genau diese beginnen sollte.76 Der Nachsatz in 9, 12: „wie Jahweh zu Mose geredet hatte”, bezieht sich wohl auf 4, 21 und 7, 3, wo Gott seinem Knecht Mose angekündigt hatte, dass er, Gott, das Herz des Pharaos verhärten werde. Wie nun ist 1. Mose 4, 21 zu verstehen? Gott kündigte im Gespräch mit Mose an, dass er, Gott, Pharaos Herz verhärten würde. Wann, wird nicht mitgeteilt: „Wenn du hinziehst, um nach Ägypten zurückzukehren, sieh zu, dass du alle Wunder, die ich in deine Hand gelegt habe, vor dem Pharao tust. Und ich, ich werde77 sein Herz verhärten, sodass er das Volk nicht ziehen lassen wird.” Ähnlich 1. Mose 7, 3: Gott sagte – ebenfalls vor Beginn der Plagen: „Und ich, ich werde das Herz des Pharaos verhärten und meine Zeichen und meine Wunder vermehren im Lande Ägypten.” Auf welchen Zeitpunkt ist das bezogen? Verhärtete Gott den Pharao von Anfang an oder erst nach der sechsten Plage – als Reaktion auf dessen Hart-Bleiben (9, 12; 10, 1; 10, 20.27; 11, 10; 14, 8)? Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass Gott von Anfang an davon wusste, dass Pharao hart bleiben würde (3, 19). Dieses Wissen ist aber nicht auf ein Vorherbestimmen zurückzuführen. Ansonsten hätte Gott von Anfang an gesagt „Ich werde Pharao hart machen.” Von einer gottgewirkten Verhärtung lesen wir aber erst in 4, 21. Und im geschichtlichen Bericht erfahren wir dann, dass Gott den Pharao erst ab der sechsten Plage verhärtete. Folglich zwingt die Aussage von 4, 21 keineswegs zur Annahme, dass die Verhärtung von Anfang an durch Gott bewirkt worden sei.
72 wörtl: ist schwer; d. h. unempfindlich
73 9, 12: „Und Jahweh verhärtete das Herz des Pharaos, und er hörte nicht auf sie, wie Jahweh
zu Mose geredet hatte.”
10, 20: „Und Jahweh verhärtete das Herz des Pharaos, und er ließ die Söhne Israels nicht
ziehen.”
10, 27: „Und Jahweh verhärtete das Herz des Pharaos, und er wollte sie nicht ziehen
lassen.”
11, 9.10: „Und Jahweh hatte zu Mose gesagt: ‘Der Pharao wird nicht auf euch hören,
damit meine Wunder sich vermehren im Lande Ägypten.’ Und Mose und Aaron haben
alle diese Wunder getan vor dem Pharao; aber Jahweh verhärtete das Herz des Pharaos,
und er ließ die Söhne Israels nicht aus seinem Land ziehen.”
14, 4: „Und ich werde das Herz des Pharaos verhärten, so dass er ihnen nachjagt. Und ich
werde mich verherrlichen an dem Pharao und an seiner ganzen Heeresmacht, und die
Ägypter sollen erkennen, dass ich Jahweh bin.” Von der Ausführung dieser angekündigten
Verhärtung lesen wir in 14, 8A: “Und Jahweh verhärtete das Herz des Pharaos, des
Königs von Ägypten, und der jagte den Söhnen Israels nach.”
Weiter kündigte Gott an, dass er auch das Herz der Ägypter verhärten werde (14, 17.18A): „Und ich – siehe – ich werde das Herz der Ägypter verhärten, und sie werden hinter
ihnen herkommen. Und ich werde mich verherrlichen an dem Pharao und an seiner
ganzen Heeresmacht, an seinen Wagen und an seinen Reitern. Und die Ägypter sollen
erkennen, dass ich Jahweh bin …”.
74 7, 13: „Und das Herz des Pharaos war hart, und er hörte nicht auf sie, so wie Jahweh
geredet hatte. …”
7, 22: „Und die Wahrsagepriester Ägyptens taten ebenso mit ihren Zauberkünsten. Und
das Herz des Pharaos war verhärtet, und er hörte nicht auf sie, so wie Jahweh geredet
hatte.”
8, 11: “Und als der Pharao sah, dass die Erleichterung geschah, verstockte er sein Herz
[eigtl: machte er sein Herz schwer], und er hörte nicht auf sie, so wie Jahweh geredet
hatte.”
8, 15: “Und die Wahrsagepriester sagten zum Pharao: ‘Das ist Gottes Finger!’ Und das
Herz des Pharaos war verhärtet, und er hörte nicht auf sie, wie Jahweh gesagt hatte.”
8, 28: “Aber der Pharao verstockte sein Herz auch dieses Mal und ließ das Volk nicht
ziehen.”
9, 7M: “Und das Herz des Pharaos war verstockt, und er ließ das Volk nicht ziehen.”
75 3, 19: “Aber ich weiß wohl, dass der König von Ägypten euch nicht ziehen lassen wird,
auch nicht durch eine starke Hand.”
76 Siehe dazu Keils Kommentar unten.
77 Im hebr. Text steht nicht “ich will” (kohortative [auffordernde] Form), sondern “ich
werde” (normale Zukunftsform).
78 Keil, Biblischer Commentar über die fünf Bücher Mose’s, Erster Band: S. 382-386. Das
Zitat wird in neuer deutscher Rechtschreibung wiedergegeben, “Jahve” mit “Jahweh”;
Anmerkungen in Eckklammern vom Verf.
Der Ausleger Keil kommentiert zu 4, 21: „Das kol („alle” in: „sieh zu, dass
du alle Wunder, die ich in deine Hand gelegt habe, vor dem Pharao tust. Und ich,
ich werde sein Herz verhärten …”) darf man nicht auf die in 4, 2-9 erwähnten drei
Wunderzeichen beschränken; es geht auf sämtliche Wunder, die Mose mit seinem
Stabe vor Pharao verrichten soll, und die, obwohl noch nicht erwähnt, doch mit
dem Gottesstab potentiell in seine Hand gelegt waren. Aber alle Wunder werden
Pharao nicht umstimmen, Israel zu entlassen; denn Jahweh wird sein Herz verstocken:
Ani achareeq äth libbo eig. ich werde fest machen sein Herz, dass es sich
nicht bewegen, seine Stimmung und Stellung zu Israel nicht ändern wird. … Die
Verstockung Pharaos … äußerte sich zunächst darin, dass er der durch Mose an
ihn gerichteten Aufforderung Jahwehs, Israel zu entlassen, kein Gehör gab, dass
er Israel nicht entlassen wolle …; ferner darin, dass er sein Versprechen, Israel
entlassen zu wollen, wenn Mose und Aaron durch ihre Fürbitte bei Jahweh die
Plage wegnehmen würden, nicht erfüllte, nachdem die Plage aufgehoben worden
war, und selbst dann noch, als er bei der siebenten Plage hatte bekennen müssen:
‘ich habe gesündigt, …’ (9, 27), fortfuhr zu sündigen, sowie er Luft bekommen
hatte, und sein Herz verhärtete und das Volk nicht ziehen ließ (9, 34f). Pharao
wollte also seinen Eigenwillen nicht beugen unter den göttlichen Willen, auch
nachdem er in den über ihn und sein Volk verhängten Plagen den Finger Gottes
und selbst die Allmacht Jahwehs erkannt hatte; er wollte von seinem trotzigen
Widerstreben nicht ablassen, trotzdem dass er es als Versündigung gegen Jahweh
bekennen musste. Von dieser Seite betrachtet ist die Verstockung eine Frucht der
Sünde, ein Erzeugnis des aus der Sünde fließenden Eigensinnes, Hochmuts und
Trotzes und ein sich fortsetzender und sich steigernder Missbrauch der dem Menschen
anerschaffenen [schöpfungsmäßig gegebenen] Willensfreiheit, in welcher die Möglichkeit beharrlichen Widerstrebens gegen Gottes Wort und Zucht bis
zum Tode gegeben ist. Da nämlich die Willensfreiheit des Geschöpfes an seiner
unbedingten Abhängigkeit vom Schöpfer ihre Schranke hat, so kann der Sünder
zwar bis an sein Ende dem Willen Gottes widerstreben, aber solches Widerstreben
stürzt ihn ins Verderben, bringt ihm Tod und Verdammnis. Gott lässt seiner
nicht spotten. Wer sich nicht durch die Güte und den Ernst der göttlichen
Mahnung zu demütiger Beugung unter den Willen Gottes, zu Sinnesänderung
und Buße leiten lässt, der muss untergehen und durch seinen Untergang zur Verherrlichung
Gottes, zur Offenbarung der Heiligkeit, Gerechtigkeit und Allmacht
Jahwehs dienen. Aber Gott lässt nicht bloß die Selbstverhärtung des Menschen zu, er führt
die Verstockung auch herbei und verhängt sie über die Unbußfertigen. Nicht
als hätte Gott Gefallen am Tode des Gottlosen; nein, Gott will, dass der Gottlose sich
bekehre von seinem bösen Wege und lebe (Hesekiel 33, 11), und will dies ernstlich; denn
er will, dass alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit und zur Seligkeit kommen
(1 Tm 2, 4; vgl. 2. Petrus 3, 9). … Die Bußfertigen lassen sich durch die Erweise der
göttlichen Güte und Gnade zur Buße und zum Heile führen. Die Unbußfertigen
aber verhärten sich mehr und mehr gegen Gottes Gnade und reifen so dem Gerichte
zur Verdammnis entgegen. Eine und dieselbe Manifestation der göttlichen
Gnade gereicht den Einen zum Heile und zum Leben, den Anderen zum Gerichte
und zum Tode, indem sie sich gegen die Gnade immer mehr verhärten. In dieser
zunehmenden Verhärtung der unbußfertigen Sünder gegen die sich ihnen bezeugende
Gnade vollzieht sich das Gericht der Verstockung, zunächst schon darin,
dass Gott den Gottlosen Anlass und Gelegenheit zur vollen Entfaltung
der in ihren Herzen liegenden bösen Neigungen, Begierden und Gedanken gibt, sodann
weiter darin, dass nach einem unverbrüchlichen Gesetze der sittlichen Weltordnung
dem unbußfertigen Sünder bei fortgesetztem Widerstreben die Möglichkeit
der Umkehr immer schwerer und zuletzt ganz unmöglich wird. Es ist der
Fluch der Sünde, dass sie das harte Herz immer härter und unempfänglicher gegen
die Gnadenzüge der göttlichen Liebe, Geduld und Langmut macht. In dieser
zwiefachen Weise wirkt Gott die Verstockung nicht bloß permissive [erlaubend],
sondern effective [aktiv], d. h., nicht bloß dadurch, dass er dem menschlichen
Widerstreben bis zur äußersten Grenze kreatürlicher Freiheit Zeit und Raum gibt
und den Bösen für das Gericht ausreifen lässt, sondern noch mehr dadurch, dass
er durch unablässige Bezeugungen seines Willens das harte Herz zur gänzlichen,
einer Umkehr nicht mehr fähigen Verstockung treibt und den also Verstockten
dem Gerichte der Verdammnis übergibt. Dies sehen wir an Pharao. Nachdem er während der ersten fünf Plagen sein
Herz gegen den ihm geoffenbarten Willen des lebendigen Gottes verhärtet hatte,
trat bei dem sechsten Strafwunder die Verstockung von Seiten Jahwehs ein
(9, 12) … Und doch wird auch nach dieser von Gott verhängten Verstockung dem
sündigen Könige noch Raum zur Buße und Sinnesänderung gegeben, so dass er
noch zweimal sein Widerstreben als Versündigung erkennen und bekennen und
sich unter den Willen Jahwehs zu beugen versprechen
kann (9, 27ff; 10, 16ff). Als er aber auch bei dem siebenten Strafwunder sein Versprechen, Israel ziehen zu
lassen, nicht gehalten, sondern nach Aufhebung dieser Plage sein Herz wieder
verhärtet hatte (9, 34.35), da verstockte Jahweh das Herz Pharaos, dass er nicht
nur Israel nicht entließ, sondern endlich Mose mit dem Tode bedrohte, wenn
er nochmals vor seine Augen kommen würde (10, 20 und 10, 27.28). Damit war
seine Verstockung vollendet, dass er dem Gerichte anheimfallen musste, obgleich
selbst der erste Schlag des Gerichts in der Tötung
der Erstgeburt für ihn noch eine Mahnung zur endlichen Besinnung und Umkehr war. Erst nachdem er auch
noch die in diesem Gerichte ihm entgegentretende Gnade durch Rückfall in den
alten Trotz verscherzt und das Wort, mit welchem er Mose und Aaron die Erlaubnis
zum Auszuge gegeben: ‘zieht hin und segnet auch mich’ (12, 31f.), gebrochen
hatte, da verhärtete Gott sein Herz vollends, dass er den ausgezogenen
Israeliten mit einem Heere nachjagte (14, 8) und dem Gerichte des Untergangs
erlag. Obgleich nun die Verstockung Pharaos von Seiten Jahwehs nur die Vollendung
seiner Selbstverstockung ist, so wird doch in unserem Vers [1. Mose 4, 21] nur
die erste Seite hervorgehoben, weil es hier darauf ankam, Mose nicht nur von
dem Widerstande, auf den er bei Pharao stoßen würde, zu unterrichten, sondern
zugleich seinen schwachen Glauben zu stärken und jede Ursache zum Zweifeln an der
Allmacht Jahwehs von vornherein zu beseitigen. Wenn Jahweh Pharao verstößt,
so kann diese Verstockung, die er nicht nur vermöge seiner Allwissenheit voraussieht
und vorausverkündigt, sondern auch vermöge seiner Allmacht herbeiführt
und verhängt, der Ausführung seines Willens an Israel unmöglich hinderlich
werden, sondern nur zur Verwirklichung seiner Heilsgedanken und zur Offenbarung
seiner Herrlichkeit beitragen. Vgl. 9, 16; 10, 2; 14, 4.11.17.18.”
„Aber wir sind es schuldig, vom Herrn geliebte Brüder, Gott euch bezüglich allezeit zu danken, dass Gott euch von Anfang zum Heil sich wählte ‹und nahm› in Heiligung des Geistes [o.: in Heiligung durch den Geist] und ‹im› Glauben der Wahrheit [o.: im Glauben an die Wahrheit] ...“
Paulus sagt, Gott „wählte ‹und nahm›“ sich diese Christen „zum Heil“. Die vorliegende Stelle ist die einzige, die von einer Erwählung „zum Heil“ spricht. Was meint der Apostel damit? Will er hier sagen, dass Gott gewisse Menschen dazu erwählt hat, dass sie sich bekehren – im Gegensatz zu anderen, die sich nicht bekehren sollen? Und wie geschah diese Erwählung? Was bedeutet „in Heiligung des Geistes“79 „und im Glauben der Wahrheit“80? Gott wählte sich die Thessalonicherchristen „von Anfang“. Wann geschah diese Erwählung? Von welchem Anfang spricht der Apostel?
79 d. h., in einer Heiligung, die durch den Geist bzw. mittels des Geistes geschah
80 o.: durch den Glauben an die Wahrheit
„… dass Gott euch … zum Heil sich wählte…“
Zu welchem Heil? Das Evangelium ist „zum Heil einem jeden, der glaubt“ (Römer 1, 16). Die Gläubigen werden „in der Kraft Gottes durch Glauben bewahrt zum Heil“ (1. Petrus 1, 5). Christus wird bei seiner Ankunft „zum Heil“ denen erscheinen, die auf ihn warten (Hebräer 9, 28). Das Heil, zu dem die gläubigen Thessalonicher erwählt sind, steht im Gegensatz zu dem künftigen Los der Ungläubigen, das in den vorhergehenden Versen (2, 9-12) beschrieben ist. Dort lesen wir zuerst von dem „Menschen der Sünde“, dem „Sohn des Verderbens“ (V. 3), dem „Gesetzlosen“ (V. 9), „dessen Ankunft nach dem Wirken des Satans ist in aller lügenhaften Kraft und [mit allen lügenhaften] Zeichen und Wundern 10 und in allem Betrug der Ungerechtigkeit unter denen, die ins Verderben gehen, dafür, dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen dazu, dass sie gerettet würden. 11 Deswegen wird Gott ihnen eine wirksame Irreführung schicken, um das Falsche zu glauben, 12 damit alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht glaubten, sondern an der Ungerechtigkeit Wohlgefallen hatten.“ Auf die Ungläubigen wartet das Gericht, aber auf die Thessalonicherchristen das Heil. Zu diesem künftigen „Heil“ hat Gott sie sich erwählt. Es steht im Gegensatz zum Los derer, die dem Evangelium nicht gehorchen und daher die „gerechte Vergeltung“ (1, 8) zu erwarten haben. Im ersten Brief hatte Paulus geschrieben, dass Gott „uns nicht zum Zorn setzte, sondern um durch unseren Herrn, Jesus Christus, in den Besitz des Heils zu kommen“ (1. Thessalonischer 5, 9). So ist es also das vollendete Heil, zu dem er sie sich wählte. Zu diesem rief er sie durch das Evangelium, „…, um die Herrlichkeit unseres Herrn, Jesu Christi, zu erlangen.“ (2. Thessalonischer 2, 14M)81 Es liegt auf der Hand, dass Paulus mit dem Begriff „Heil“ hier in 2, 13 nicht den gegenwärtigen Heilsstand (in welchen man durch Buße und Glauben eintritt) meint, sondern das künftige, vollendete Heil. Die Gläubigen haben es als Hoffnungsgut bereits, in Christus, aber sie sind noch nicht vollendet. In diesem Sinne steht das Heil, zu welchem Gott sie sich wählte, noch aus. In Römer 8, 24.25 heißt es: „... denn ‹auf› Hoffnung wurden wir gerettet82. Aber eine Hoffnung, die man sieht, ist nicht Hoffnung, denn warum erhofft man noch, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, warten wir darauf mit Ausdauer.“ Paulus nahm viel auf sich, damit die in Christus „Erwählten“ das vollendete Heil erlangten, d. h., auch wirklich am Ziel ankämen: „Deswegen erdulde ich alles – der Erwählten wegen, damit auch sie das Heil erlangen, das in Christus Jesus ist, mit ewiger Herrlichkeit.“ (2. Timotheus 2, 10)
Herrn, Jesu Christi, zu erlangen.” Paulus weiß, dass Gott, nachdem er die Thessalonicher
im Evangelium gerufen hatte, auch weiterhin ruft: „… der euch zu seinem eigenen
Königreich und seiner Herrlichkeit ruft.“ (2, 12M) „Treu ist der euch Rufende, der es
auch tun wird.“ (5, 24; in beiden Versen fällt die Präsensform des Zeitworts „rufen“ auf.)
82 Hier steht im Griech. dasselbe Wort wie „Heil“ (sooteeria), aber als Zeitwort (soodsein).
Heiligung ist Absonderung von und Zuordnung zu etwas: Absonderung von der Sünde und dem „gemeinen“ Leben und Zuordnung zu Gott. Was hat es mit dieser „Heiligung“ auf sich? Wann geschah sie? Wann waren die Thessalonicher geheiligt worden? Paulus sagt, Gott wählte sie „in [der] Heiligung des Geistes und im Glauben an die Wahrheit“. Da Paulus die Heiligung vor dem Glauben83 nennt, könnte er an dieselbe vorauslaufende Heiligung denken, von der Petrus am Anfang seines ersten Briefes (1. Petrus 1, 2) spricht84. Sie geschieht durch das zurechtweisende und überführende Wirken des Heiligen Geistes (Johannes 16, 8-11)85. Gott arbeitet durch seinen Geist an dem verlorenen Menschen und möchte ihn von Sünde überführen, von der Wahrheit überzeugen und zur Umkehr und zum Glauben bewegen. Es gibt also eine Art „Heiligung“, die der Bekehrung vorausgeht. Jeder Mensch macht sich von Gott selbständig, läuft von Gott weg. Gott schickt seinen Geist, der uns aus unserer Einsamkeit und Verirrung herausholt und „heiligt“. Er ruft und disponiert uns, stimmt uns ein, macht uns empfänglich. Das ist wahrscheinlich auch in der Apostelgeschichte (13, 48) gemeint.86 Der Heilige Geist sondert uns in gewisser Weise ab, wenn er dabei ist, uns zum Heil zu führen. Dieses Absondern nennt die Heilige Schrift „Heiligen“. Diese Heiligung durch den Geist führt allerdings nicht zwingenderweise zur Bekehrung. Man kann dem Wirken des Geistes widerstehen. Das ist leider sehr häufig der Fall. Fest steht: Der Mensch kann sich nur dann bekehren, wenn Gottes Geist zuvor an ihm wirkte, ihn also „heiligte“. Das bedeutet, dass zum göttlichen Ruf auch diese vorauslaufende Heiligung gehört. Sie führt nur dann zur Heilswende, wenn der Mensch dem Wirken des Geistes nachgibt, auf Gottes Werben eingeht und sich dem Wort Gottes aussetzt. Erst in der persönlichen Heilswende geschieht dann die eigentliche, die entscheidende Heiligung. Da wird der Mensch gereinigt und Gott zugeordnet, sodass er ab jenem Zeitpunkt ganz dem Herrn gehört (1. Korinther 6, 11)87. Es scheint so, dass Paulus hier von der vorauslaufenden Heiligung spricht. Bei den Thessalonicherchristen führte sie dazu, dass sie sich der Wahrheit stellten und an sie glaubten.
83 „im Glauben an die Wahrheit“ (Vgl. Epheser 1, 13 und Kolosser 1, 5.6.)
84 Siehe die Ausführungen zu 1. Petrus 1, 1.2.
85 Johannes 16, 8-11: „Und jener [d. i. der Geist, der Fürsprecher, V. 7], wenn er gekommen ist,
wird die Welt zurechtweisen in Bezug auf Sünde und in Bezug auf Gerechtigkeit und in
Bezug auf Gericht; 9 in Bezug auf Sünde, da sie nicht an mich glauben; 10 in Bezug auf
Gerechtigkeit, da ich zu meinem Vater hingehe (und ihr schaut mich nicht mehr); 11 in
Bezug auf Gericht, da der Fürst dieser Welt gerichtet worden ist.“
86 Vgl. Apostelgeschichte 13, 48: „Als die von den Völkern es hörten, freuten sie sich und verherrlichten
das Wort des Herrn. Und sie glaubten, so viele zum ewigen Leben eingestellt [o. disponiert,
gestimmt, empfänglich gemacht] worden waren.“ Siehe die Ausführungen zu Apg
13, 48 unten.
Aus dem ersten Brief des Paulus an die Thessalonicher erfahren wir, dass sie erwählt wurden, als sie zum Glauben an Jesus Christus kamen: „... wissen wir [doch], Brüder, die ihr von Gott geliebt worden seid, um eure Erwählung, dass unsere gute Botschaft nicht in Wort allein zu euch kam, sondern auch in Kraft und im Heiligen Geist und in viel ‹und› voller Gewissheit …“ (1. Thessalonischer 1, 4.5). Paulus wusste um die Erwählung der Thessalonicher, weil er zugegen gewesen war und miterlebt hatte, wie sie „von den Götzenbildern“ umkehrten, „um einem lebenden und wahren Gott Sklavendienst zu leisten und seinen Sohn von den Himmeln zu erwarten“ (1. Thessalonischer 1, 9.10A). Durch die Verkündigung der missionarischen Boten Paulus und Silas hatte Gott die Thessalonicher gerufen. Sie hörten, nahmen das gehörte Wort als Gottes Wort auf (2, 13) und glaubten. Zu eben jenem Zeitpunkt geschah die göttliche Erwählung. Durch Buße und Glauben kamen sie „in Christus“ hinein. Sobald sie „in Christus“ waren, waren sie Erwählte. So war der Zeitpunkt ihrer Versetzung in Christus ihre faktische Erwählung. Paulus wusste um ihre Erwählung, weil er miterlebte, wie sie „in Christus“ hinein kamen.88
87 1. Korinther 6, 11: „Und dieses waren etliche von euch. Ihr wurdet jedoch gewaschen! Ihr wurdet
jedoch geheiligt! Ihr wurdet jedoch gerechtfertigt! – in dem Namen des Herrn Jesus und
in dem Geist unseres Gottes.“ (Vgl. 1. Korinther 1, 2.30; Apostelgeschichte 26, 18.)
88 Siehe die Ausführungen zu Epheser 1, 4.
Nun bleibt noch die Frage, welchen „Anfang“ der Apostel meinte, als er schrieb: „… dass Gott euch von Anfang zum Heil sich wählte“. Es gibt zwei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit Vor Grundlegung der Welt, also von allem Anfang an. Paulus würde sich demnach auf die vorauskennende Erwählung in der Ewigkeit beziehen. Die Erwählung findet ja an zwei Stellen statt: zum einen in dem Augenblick der Hinwendung des Menschen zu Christus (d. i. die tatsächliche, historische, faktische, eigentliche Erwählung), zum anderen in der Ewigkeit per Vorauskenntnis.89 Per göttliche Vorauskenntnis waren wir bereits vor Grundlegung der Welt Erwählte (d. h., Kostbare, Geschätzte, Geliebte) in Christus (Vgl. Epheser 1, 4). Paulus könnte diesen „Anfang“ gemeint haben. Die zweite Möglichkeit Mit „Anfang“ könnte Paulus den Anfang des Evangeliums in Thessalonich gemeint haben, also die Zeit, als das Evangelium nach Thessalonich kam. In 1. Thessalonischer 1, 4.5 verbindet Paulus die Erwählung der Thessalonicher mit ihrer Aufnahme des Evangeliums. Wohlenberg vertritt diese Auffassung. Er schreibt: „... ‘dass Gott sie von Anfang an erwählt hat’. Eilato [von aireisthai, Anm. Verf.] schreibt der Apostel hier, nur hier, und nicht etwa ekseleksato (1. Korinther 1, 27f; Epheser 1, 4), eine Verschiedenheit, die doch nicht gleichgültig ist, denn beide Begriffe sind nicht identisch. Hfm. [v. Hofmann] dürfte das Richtige treffen, wenn er so scheidet: mit eklegesthai werde die Beziehung betont, in welche der Erkorene zum Erkürenden trete, mit aireisthai dagegen die Bestimmung, welche dem Gewählten zu teil werde. Von ‘Anfang an’: Gleich im Anfang hat Gott das getan. Das wird von manchen Auslegern auf die vorweltliche Erwählung bezogen, als hieße es so viel als ‘vor Grundlegung der Welt’ oder ‘vor der Zeit’. Es kann sich aber nur beziehen entweder auf die Anfangszeit, da das Evangelium in die Welt getreten ist, im Gegensatz zu der noch zu erwartenden Endzeit, oder auf den Anfang der Verkündigung innerhalb der Gemeinde selbst. Letzteres ist das Wahrscheinlichere, weil der Apostel im andern Falle es an einer genaueren Bestimmung nicht hätte fehlen lassen und weil auch die nachher V. 15 folgende Mahnung zum Stehen und Festbleiben auf diese ihre alsbald nach der erstmaligen Verkündigung des Gotteswortes geschehene Aufnahme in den Gnadenbund Gottes zurückweist.“90 Man darf auch bemerken, dass der griechische Begriff für „sich wählte ‹und nahm›“ (eilato, von aireisthai) den Gedanken des Nehmens enthält. Dieses erwählende göttliche Nehmen geschah in der persönlichen Heilswende der Thessalonicher. Gott nahm sie sich, als sie seine ausgestreckte Hand91 ergriffen und zu Christus kamen. Die zweite Möglichkeit ist also die wahrscheinlichere.
89 Davon spricht Paulus in Epheser 1, 4 und Petrus in 1. Petrus 1, 1.2. Siehe die ausführliche Besprechung beider Stellen.
90 Wohlenberg, in der Reihe von Th. Zahn; zu 2. Thessalonischer 2, 13; S. 159f
Das Ziel der Erwählung ist und war von Anfang an das vollendete Heil, das in Christus geschenkte Erbe. Gott will, dass jeder Mensch es erlange. Paulus schreibt, viele nehmen die Liebe zur Wahrheit nicht an und gehen deshalb ins Verderben: „… und in allem Betrug der Ungerechtigkeit unter denen, die ins Verderben gehen, dafür, dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht annahmen dazu, dass sie gerettet würden“ (2. Thessalonischer 2, 10). Die Liebe zur Wahrheit und das Annehmen derselben hätte sie zum „Heil“ gebracht. Nun aber gehen sie ins Verderben, weil sie der Wahrheit nicht glauben, sondern „an der Ungerechtigkeit Wohlgefallen haben“ (V. 11.12). In V. 13 bringt er Gott gegenüber seine Dankbarkeit in Bezug auf die Thessalonicher zum Ausdruck. Er dankt, dass Gott sie von Anfang der Evangeliumsverkündigung an zu diesem herrlichen zukünftigen Ziel, dem vollendeten „Heil“, wählte (und nahm), indem er (anlässlich der Evangeliumsverkündigung) in der (werbenden, vorauslaufenden) „Heiligung“ (Absonderung) durch den Geist an ihnen wirkte und indem sie (auf Gottes Ruf hin) an die Wahrheit glaubten. „… wozu er euch durch unsere gute Botschaft rief, um die Herrlichkeit unseres Herrn, Jesu Christi, zu erlangen.“ (V.14) In den V. 15-17 werden die Leser ermutigt und aufgerufen: „Steht dann also fest, Brüder, und haltet die Überlieferungen fest, die ihr gelehrt wurdet, sei es durch Wort, sei es durch Brief von uns. Aber unser Herr selbst, Jesus Christus, und unser Gott und Vater, der uns liebte und in Gnade ewigen Trost und gute Hoffnung gab, richte eure Herzen auf und festige euch in jedem guten Wort und Werk.“ 2. Thessalonischer 2, 13 spricht nicht von einer Erwählung „zur Bekehrung“ bzw. „zur Buße“; 92 auch nicht von einer Erwählung zur Heiligung oder zum Glauben. Und Paulus sagt nicht, dass ungläubige Thessalonicher durch göttliche Erwählung gläubig wurden.
Es wird hier deutlich, was auch an anderen Stellen der Heiligen Schrift klar zum Ausdruck kommt: Um gerettet zu werden, muss auch der Mensch etwas tun: sich vom Geist Gottes überführen lassen, umkehren93, an die Wahrheit94 glauben. (Vgl. Markus 1, 15; Apostelgeschichte 20, 21). Dazu ruft Gott den Menschen durch das Evangelium auf – mit dem Ziel, dass er die Herrlichkeit erlange.
91 Vgl. Römer 10, 21.
92 Davon spricht die Schrift auch sonst an keiner Stelle. Niemand, der außerhalb von Christus
ist, ist ein „Erwählter“. Siehe die Ausführungen zu Epheser 1, 4.
„Petrus, Apostel Jesu Christi, den erwählten Fremden [eigtl: sich vorübergehend Aufhaltenden] der Zerstreuung ‹in› Pontus, Galatien, Kappadokien, Asien und Bithynien, 2 [erwählten Fremden] gemäß Vorauskenntnis [o.: gemäß einem Zuvorkennen] Gottes, des Vaters, in Heiligung des Geistes [o.: durch den Geist] zum Gehorsam und ‹zur› Besprengung mit [dem] Blut Jesu Christi: Gnade [sei] euch ‹zuteil› und Friede [werde euch] vermehrt.“
Petrus nennt die Adressaten „erwählte Fremdlinge der Zerstreuung“. Lenski95 macht darauf aufmerksam, dass der Artikel vor „erwählte Fremdlinge“ fehlt. Möglicherweise will der Apostel dadurch den Stand seiner Leser betonen: Wenn ich euch schreibe, schreibe ich „an erwählte Fremdlinge der Zerstreuung“. Man könnte übersetzen: „an solche, die erwählte Fremdlinge ‹in› der Zerstreuung sind“. Petrus schreibt an Fremdlinge, die zwar in der Welt zerstreut leben, aber Gottes „Eigentumsvolk“ und „erwähltes Geschlecht“ (2, 9.10)96 sind.
Das Wort ist ein Ausdruck der Beziehung und Wertschätzung. Wenn diese „Fremdlinge“ auch in der Welt verkannt und verachtet sind,
93 o.: Buße tun, d. h., den Sinn ändern und die entsprechenden Konsequenzen ziehen
94 d. h., an die Wahrheit in Lehre und Person, nämlich Jesus Christus
95 Lenski, zu 2. Petrus 1, 1.2
96 1. Petrus 2, 9.10: „Aber ihr seid ein erwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein
heiliges Volk, eine Volksschar zu einem erworbenen Eigentum …, 10 die ihr einst
‘Nicht-Volk’ wart, aber nun Gottes Volk seid, die ihr ‘nicht Barmherzigkeit’ empfangen
hattet, nun aber Barmherzigkeit empfingt.“
sind sie doch ihm, Gott, „erwählt, erlesen, kostbar, geschätzt, vorzüglich“. Sie sind zu dem „erwählten“, kostbaren und vorzüglichen lebenden Stein Jesus Christus gekommen (1. Petrus 2, 4). Deshalb sind sie in Gottes Augen so wertvoll und vorzüglich. Wie bereits erwähnt97 steht bei dem Begriff „Erwählung“ nicht die Handlung des Auswählens aus einer Gruppe (und damit des Verwerfens der nicht ausgewählten anderen) im Vordergrund, sondern das Ergebnis : Was man sich nach höchsten Kriterien ausgewählt hat, hat man sich zu etwas Kostbarem gemacht. Die Empfänger des 1. Petrusbriefes hat Gott sich aus der Welt zu seinem Eigentum gemacht. Als solche sind sie ihm überaus kostbar.
Wie sie es geworden sind, wird in 1. Petrus 1 nicht direkt gesagt. Gemäß Epheser 1, 4 kann man „Erwählter“ im heilsgeschichtlichen Sinne nur in Christus sein. Solange jemand außerhalb von Christus ist, ist er nicht ein „Erwählter“. Erst in dem Augenblick, in dem man in Christus hineinversetzt wird, wird man ein solcher. Wie wurden die Briefempfänger solche „erwählten Fremdlinge“? Gott rief sie. Sie nahmen Gottes Ruf an und kamen zu Christus, wurden in Christus versetzt. So wurden sie im Augenblick ihrer persönlichen Heilswende zu in Christus „Erwählten“.98 In seinem zweiten Brief (2. Petrus 1, 10) macht Petrus klar, dass es gilt, das „Gerufensein“ und die Erwählung fest zu machen: „Deshalb, Brüder, befleißigt euch umso mehr, euer Gerufensein und99 [eure] Erwählung fest zu machen, denn im Tun dieser Dinge werdet ihr keinesfalls je straucheln ‹und zu Fall kommen›, 11 denn so wird euch reichlich dargereicht werden der Eingang in das ewige Königreich unseres Herrn und Retters, Jesu Christi.“100 Der Zeitpunkt der Erwählung der Briefadressaten war der der individuellen Heilswende. Als sie durch Buße und Glauben zu Christus kamen, versetzte Gott sie in Christus. Nun, in Christus, waren sie ihm Erwählte, Kostbare und Geliebte.
97 Siehe die Ausführungen zu Epheser 1, 4.
98 Siehe die Ausführungen zu Epheser 1, 4.
99 Das „und“ zwischen Gerufensein und Erwählung hat hier wahrscheinlich die Bedeutung
von „und zwar“ bzw. „nämlich“. In der griechischen Grammatik nennt man es
ein „erklärendes und“ (kai explicativum). In dem Fall könnte man übersetzen: „euer
Gerufensein, nämlich [eure] Erwählung“.
100 Siehe die Ausführungen zu Matthäus 22, 14 und zu 2. Petrus 1, 10.
Petrus ermutigt seine Leser: Ihr seid als Pilger unterwegs in fremdem Lande. Ihr seid in der Welt Fremdkörper geworden, von ihr verhasst, aber von Gott hochgeschätzt.
Im Grundtext enthält diese Aussage drei Präpositionen: „gemäß“, „in“ und „zu“, und jede führt ein Gefüge ein, das eine Person der Dreieinigkeit erwähnt. Da liegt es nahe, die Aussage des Textes entsprechend einzuteilen:
• „gemäß Vorauskennen/Vorauskenntnis Gottes“
• „in Heiligung des Geistes“
• „zum Gehorsam und [zur] Besprengung mit dem Blut Jesu Christi“. Sieht man sich jedoch den Text etwas näher an, so merkt man, dass wir hier eine ausgezeichnete Zusammenfassung der persönlichen Heilswende haben, das heißt, der Geschichte des Heils, wie es angewendet wird im Leben des einzelnen Gläubigen. Petrus gibt seinen Lesern zwei Bezeichnungen: Im Himmel sind sie „Erwählte“, von Gott Geschätzte, auf Erden „Fremdlinge“, von Menschen Verkannte. Zustande kam dieser Sachverhalt „gemäß Vorauskenntnis Gottes, des Vaters, in Heiligung des Geistes zum Gehorsam“ der Leser und zur Besprengung mit dem Blut Jesu Christi. Auf diesem Wege kam jeder von uns ins Heil und in die Gemeinschaft der Gemeinde Gottes. Gott sah uns in Ewigkeit als seine geliebten Kinder. In der Zeit umwarb er uns durch seinen Geist. Dieser brachte uns zur Hingabe, worauf unsere Schuld durch das Blut Christ getilgt wurde. Der Text kann wie folgt gegliedert werden: „Erwählte Fremdlinge
• gemäß Vorauskenntnis des Vaters
• in Heiligung des Geistes, [diese] - zum Gehorsam und - [zur] Besprengung mit dem Blut Jesu Christi“. Wir merken: Gott tat den ersten Schritt zu uns hin. Wir ergaben uns ihm, und er tilgte unsere Schuld. Ein Missverständnis unter Auslegern sollte vorweg ausgeräumt werden: Die jeweiligen Satzglieder beziehen sich nicht auf das Wort „Apostel“ (V. 1A). Dass der Apostel sich derart beschreiben sollte, wäre weder nötig noch verständlich. Nötig ist, dass die Adressaten näher erläutert werden – und vor allem ihr Stand als „erwählte Fremdlinge“, in den sie durch die Gnade Gottes gelangt sind. „Erwählte Fremdlinge“ ist ein zusammenhängender Begriff. Auf ihn, auf das gesamte Gefüge, beziehen sich die präpositionalen Satzglieder, nicht allein auf das Wort „erwählt“. Das, was die Adressaten des Briefes sind – erwählte Fremdlinge –, das sind sie
• erstens, gemäß einem liebenden „Vorauskennen Gottes, des Vaters“. Es war geplant. Gott kannte sie im Voraus, als das, was sie jetzt sind: kostbare, hochgeschätzte Fremdlinge in dieser Welt.
• Sie wurden es, zweitens, „in Heiligung des Geistes“, d. h., in einem Geheiligtsein, das von Gottes Geist ausging und durch seinen Geist gewirkt war.
• Diese Heiligung führte „zum Gehorsam und [zur] Blutbesprengung Jesu Christi“.
Sie sind, was sie sind, gemäß Vorauskenntnis 101, nicht gemäß Vorherbestimmung. „Vorherbestimmen / im Voraus bestimmen“ ist im Griechischen ein anderes Wort: pro-ooridsein (s. u.) In Römer 8, 29.30 wird „vorauskennen“ von „im Voraus bestimmen“ unterschieden. Die beiden Begriffe bedeuten nicht dasselbe. Petrus sagt nicht, dass seine Adressaten gemäß einer von Gott willkürlich vollzogenen Bestimmung zu „erwählten Fremdlingen“ wurden. Das Vorauskennen geschieht – in Gottes Gedanken – bereits vor Grundlegung der Welt. Gemäß göttlichem Vorauskennen wurden sie „erwählte Fremdlinge“. Das göttliche Vorauskennen selbst ist nicht die eigentliche Erwählung, sondern die Erwählung (d. i. die „in der Zeit“, die Erwählung in der persönlichen Heilswende) geschieht „gemäß Vorauskennen Gottes“. „In Christus“ waren sie bereits in der Ewigkeit „Erwählte“ (Epheser 1, 4A)102. Sie existierten damals noch nicht, aber Christus existierte. Und in ihm hat Gott sie – und das gesamte Volk Gottes – sich erwählt.
101 o.: Zuvorkennen; griech. prognoosis
102 Epheser 1, 4A: „…, entsprechend dem, dass er uns vor Gründung der Welt in ihm ‹sich›
erwählte“. Siehe die Ausführungen zu Epheser 1, 4.
Aber das ist nicht die eigentliche, tatsächliche Erwählung. Diese findet in der persönlichen Heilswende statt. Und weil Gott sie bereits zuvor in Christus kannte, waren sie erwählte Fremdlinge „gemäß Vorauskenntnis Gottes“, d. h., entsprechend einem göttlichen Zuvorkennen in der Ewigkeit. Das griech. Wort für „zuvor kennen / vorauskennen“ setzt sich zusammen aus zwei Wörtern: pro (vor; voraus) und ginooskein. Um dem Begriff „zuvor kennen / vorauskennen“ auf den Grund zu gehen, untersuchen wir zuerst die Bedeutung von „kennen“ und dann die von „zuvor kennen“.
Das Wort „kennen“ (ginooskein) kann unpersönlich oder persönlich sein. „Kennen“ kann sowohl im Griechischen als auch im Hebräischen mehr bedeuten als lediglich, eine sachliche Kenntnis von etwas zu haben. Das griechische Wort hat eine große Bedeutungsspanne. Es kann heißen: „Kenntnis haben; in Kenntnis sein; erfahren; in Erfahrung bringen; merken; erkennen; zur Kenntnis kommen; kennenlernen; zur Kenntnis nehmen; zur Kenntnis bringen; verstehen; im Passiv: bekannt werden; bekannt sein; in den Sinn kommen; begreifen; verstehen; wissen.“ (Ähnlich ist es mit dem hebräischen Wort für „kennen“, jada’. Es ist mehr als ein Wissen.)103 Wenn in der Bibel davon die Rede ist, dass eine Person eine andere „kennt“, ist ein besonderes Kennen gemeint, ein nahendes, liebevolles, ein Kennen, das den Gekannten in eine persönliche Beziehung zu dem Kennenden setzt und umgekehrt. Der Herr Jesus kennt den Vater in besonderer Weise (Johannes 8, 55)104. Gott kennt und kannte in seiner Allwissenheit alle Menschen. Jesus sagt von den Ungerechten, dass
103 Im Folgenden einige Beispiele für den Gebrauch von ginooskein. (Kursivsetzung im Bibeltext
vom Verfasser):
Lukas 18, 34: „Und sie verstanden nichts von diesem, … und sie kannten das Gesagte nicht.“
D. h., sie erkannten/verstanden die Bedeutung davon nicht.
Johannes 8, 43: „Warum kennt ihr nicht,“ (d. h., kennt ihr nicht wirklich; versteht ihr nicht,) „was ich sage?“
Römer 7, 15: „… denn was ich ausführe, kenne ich nicht“ (d. h., ich verstehe es nicht).
2. Korinther 5, 21: „… denn den, der Sünde nicht kannte“ (d. h., keine Erfahrung damit gemacht
hatte; sich nicht mit ihr eingelassen hatte; sie auch nicht in seinem Wesen kannte).
Auch in profanen Zusammenhängen hat das Wort „kennen“ eine breitere Bedeutung.
Hier ein Beispiel aus dem AT: Josef sagte zur Frau Potifars (1. Mose 39, 8): „Sieh, mein Herr
kennt nichts bei mir“, (d. h., er kümmert sich um nichts bei mir) „was auch im Hause ist,
und alles, was sein ist, gab er in meine Hand.“
104 Johannes 8, 55: „Und ihr habt ihn nicht gekannt. Aber ich kenne ihn wirklich. Und wenn ich
sagen sollte: ‘Ich kenne ihn nicht wirklich’, würde ich – euch ähnlich – ein Lügner sein.
Ich kenne ihn jedoch wirklich, und sein Wort halte ich.“
er sie nie kannte (Matthäus 7, 23)105, von den Gläubigen aber, dass er sie kennt (Johannes 10, 14.15.27; 2. Timotheus 2, 19M)106. In Psalm 1, 6A hießt es: „Jahweh kennt den Weg der Gerechten“. Wenn der Herr den Weg des Gerechten kennt, bedeutet dieses jedoch nicht, dass er ihn im Voraus bestimmt oder vorgezeichnet hat. In Psalm 37, 18A lesen wir: „Jahweh kennt die Tage der Lauteren…“ Adam kannte Eva (1. Mose 4, 1.25; 24, 16; Matthäus 1, 25), nämlich liebevoll und in einer Beziehung mit ihr stehend. Und Gäubige „kennen“ ihren Herrn in einer besonderen Weise, mit Erfahrung und Beziehung (Johannes 17, 3; 1. Johannes 5, 20; Jeremia 31, 34).107 Mose kannte Jahweh „von Angesicht zu Angesicht“ (1. Mose 34, 10). Ebenso ist das Kennen, mit dem Gott Israel kannte, mehr als lediglich ein Wissen: Römer 11, 2: „Gott verstieß sein Volk nicht, das er im Voraus kannte/ erkannte.“ (Vgl. Psalm 91, 14; Am3, 2; 1. Mose 9, 24.)108 Das wird auch in 1. Mose 2, 25 sehr deutlich: „Und Gott sah die Söhne Israels. Und Gott kannte ‹sie› [o.: erkannte sie].“ Das ist mehr als ein Wissen. Gott nahm liebevoll Kenntnis von ihnen, nahm sich ihrer an und trat schließlich in eine besondere Beziehung mit ihnen.109 Gott kennt die Seinen schon von der Ewig-
105 Matthäus 7, 23: „Und dann werde ich ihnen bekennen: ‘Niemals kannte ich euch. Weicht von
mir, die ihr das Gesetzlose wirkt!’”
106 Johannes 10, 14.15: „Ich bin der gute Hirte. Und ich kenne die Meinen und werde von den Meinen
gekannt, 15 so wie der Vater mich kennt und ich den Vater kenne.“ Johannes 10, 27: „Meine
Schafe hören auf meine Stimme. Und ich kenne sie.“ 2. Timotheus 2, 19: „Der Herr kannte ‹und
kennt› die, die sein sind.“
107 Johannes 17, 3: „Das ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahrhaftigen Gott, kennen
und den, den du sandtest, Jesus Christus.”
1. Johannes 5, 20: „Aber wir wissen, dass der Sohn Gottes gekommen ist und uns ein Denken
‹und Verständnis› gegeben hat, damit wir den Wahrhaftigen kennen; und wir sind in
dem Wahrhaftigen, in seinem Sohn, Jesus Christus.“
Jeremia 31, 34A: „Und sie werden nicht mehr jeder seinen Nächsten und jeder seinen Bruder
lehren und sprechen: ‘Kenne Jahweh!’, denn sie alle werden mich kennen…“
108 Psalm 91, 14: „Weil er an mir hängt, rette ich ihn … denn er kennt meinen Namen.“ Er weiß
nicht nur, wie der Name heißt, sondern er hat eine Beziehung zu der Person, die hinter
dem Namen steht.
Am 3, 2: „Nur euch habe ich von allen Geschlechtern der Erde erkannt/gekannt…“
1. Mose 9, 24: „Widerspenstige wart ihr gegen Jahweh von dem Tage an, da ich euch kannte/
erkannte“, d. h., in eine Beziehung mit euch trat.
109 Ähnliche Fälle: 1. Korinther 8, 3: „… wenn jemand Gott liebt, der ist von ihm gekannt“, d. h.,
liebevoll gekannt, in eine besondere Beziehung genommen.
Galater 4, 9: „Nun aber, nachdem ihr Gott kanntet, (näher kennen lerntet, in Beziehung
tratet,) viel mehr noch: von Gott gekannt wurdet“, d. h., von ihm liebevoll in Beziehung
genommen wurdet…“
Psalm 1, 6: „Jahweh kennt den Weg der Gerechten“. Er weiß nicht nur davon, nimmt ihn
nicht nur zur Kenntnis, sondern ist bei dem Gerechten, begleitet ihn liebevoll, tritt in
eine Beziehung mit ihm. 1, 7: „Jahweh ist gütig … er kennt die, die zu ihm Zuflucht nehmen.“
keit her, die anderen nicht. Zu den Ungläubigen wird er eines Tages sagen, dass er sie nie kannte (Matthäus 7, 23). Der Vollständigkeit wegen muss noch hinzugefügt werden: Wenn Gott das Volk Israel im Voraus kannte, bedeutet das aber nicht, dass jede Generation Jahweh persönlich kannte. (Vgl. Richter 2, 10.)110 Und wenn man von Gott gekannt wird, heißt das noch nicht notwendigerweise, dass man ihn kennt (1Ch 28, 9)111.
Pro- (vor; voraus) und ginooskein (kennen) ergibt die Bedeutung „vorauskennen“ / „im Voraus kennen“. „Vor“ bezieht sich in 1. Petrus 1, 2 auf die Ewigkeit, vor unserer Zeit. Proginooskein bedeutet an unserer Stelle ein göttliches Kennen vor unserer Zeit, ein Kennen in der Ewigkeit. Es geht um die Ewigkeitsperspektive, um eine Schau von außerhalb der irdischen Zeit: Gott überblickt von Anfang an das Ende. Der Herr Jesus wird eines Tages zu den Ungerechten sagen: „Ich habe euch nicht gekannt“112 (Matthäus 7, 23). Auch am Anfang „kannte“ er sie in diesem Sinne nicht, obwohl er von ihnen wusste. Wenn ginooskein (kennen) mehr ist als ein Wissen, so ist proginooskein (im Voraus kennen) mehr als ein Vorauswissen um jemandes Existenz. Es handelt sich in diesen Zusammenhängen um ein Vorauskennen verbunden mit einer Beziehung. Lenski spricht von einem Kennen „mit Zuneigung und einer daraus resultierenden Wirkung“113. Zuvorkennen/Vorauskennen scheint also ein liebevolles persönliches, beziehungsmäßiges Kennen im Voraus zu sein. In seiner Allwissenheit kannte Gott in der Ewigkeit bereits die, die eines Tages in Christus sein würden, und er hatte bereits vor Grundlegung der Welt gedanklich eine Beziehung zu ihnen. Dass sie noch nicht existierten,
110 Richter 2, 10: „Und auch jenes ganze Geschlecht wurde zu seinen Vätern versammelt. Und
ein anderes Geschlecht kam nach ihnen auf, das Jahweh nicht kannte…“. Die Söhne Elis „kannten Jahweh nicht“ (1Sa 2, 12).
111 1Ch 28, 9: „du, mein Sohn Salomo, erkenne [o.: kenne] den Gott deines Vaters und diene
ihm …, denn Jahweh erforscht alle Herzen, und alles Gebilde der Gedanken kennt er.
Wenn du ihn suchst, wird er sich von dir finden lassen; …” Hos 4, 6: „Volk wird vertilgt
aus Mangel an Erkenntnis/Kenntnis. Weil du die Erkenntnis verworfen hast, verwerfe ich
dich…“
112 Im Griechischen ein Perfekt; man könnte übersetzen: „Ich habe euch nicht gekannt ‹und kenne euch nicht›“.
113 „with affection and with a resultant effect“ (Lenski, zu 2. Petrus 1, 1.2)
war für den Ewigen keine Schwierigkeit, da er von Anfang an das Ende kennt.114 „Vorkenntnis/Vorauskenntnis“ ist in diesem Zusammenhang daher mehr als Voraussicht und Vorauswissen von Fakten.
Vorkommen im NT
Das Hauptwort prognoosis kommt in der ganzen Bibel neben 1. Petrus 1, 1.2 nur noch in Apostelgeschichte 2, 23 vor: „... diesen, der nach Gottes festgesetztem Ratschluss und Vorauskenntnis dahingegeben worden war, habt ihr genommen und umgebracht, wozu ihr die Hände von Gesetzlosen gebrauchtet, die ihn an [das Kreuz] hefteten ...“ In den Apokryphen kommt es noch an zwei Stellen im Buch Judit vor: „Und ich werde dich mitten durch Judäa führen bis nach Jerusalem und deinen Thron mitten in der Stadt aufstellen. Du wirst sie wegführen wie Schafe, denen der Hirte fehlt, und kein Hund wird gegen dich bellen. Dieses wurde mir durch mein Vorherwissen (Vgl. Herder Übersetzung. Einheits-Übersetzung: „kraft meiner Sehergabe“; Patloch: „gemäß meiner Vorherschau“) mitgeteilt. Es wurde mir verkündet, und ich wurde gesandt, es dir zu berichten.“ (11, 19; Kursivsetzung vom Verfasser; so auch im Folg.) „Und deine Beschlüsse [o.: die Dinge, die du beschlossen hattest,] waren da und sprechen: ‘Siehe, da sind wir!’; denn alle deine Wege sind in Bereitschaft, und dein Gericht ist vorhergesehen...“ (9, 6) Das Zeitwort (im Voraus kennen; zuvor kennen; griech. proginooskein) kommt im NT in Apostelgeschichte 26, 5; Römer 8, 29; 11, 2; 1. Petrus 1, 20 und 2. Petrus 3, 17 vor, nie im AT, dreimal im apokryphen Weisheitsbuch Salomons. Apostelgeschichte 26, 5: „... da sie mich von der ersten Zeit her kannten – wenn sie es bezeugen wollen –, dass ich nach der strengsten ‹und genauesten› Sonderrichtung unserer Frömmigkeitserweisung lebte: als Pharisäer.“ Römer 8, 28.29: „Wir wissen aber: Denen, die Gott lieben, wirkt alles zusammen zum Guten, denen, die nach einem Vorsatz gerufen sind, 29 weil er die, die er im Voraus kannte, auch im Voraus bestimmte, seinem Ebenbilde, dem Sohne, gleichgestaltet zu sein, sodass er Erstgeborener unter vielen Brüdern sei.“ Römer 11, 2A: „Gott verstieß sein Volk nicht, das er im Voraus kannte.“ 1. Petrus 1, 19E.20: „… Christus, der im Voraus gekannt war, vor Gründung der Welt, aber auf die letzten Zeiten [zu] geoffenbart wurde euretwegen ...“ 2. Petrus 3, 17: „Ihr also, Geliebte, als solche, die im Voraus Kenntnis haben ...“ Weisheit Salomons 6, 13: „, die [nach ihr] verlangen, gibt sie [d. i. die Weisheit] sich rasch im Voraus zu erkennen [wörtl: kommt sie zuvor, um sich ihnen im Voraus zu erkennen zu geben]“ 8, 8: „… Zeichen und Wunder erkennt/weiß sie im Voraus und ebenso die Ausgänge der Zeitpunkte und Zeiträume/Zeitläufe.“ 18, 6: „Jene Nacht wurde unseren Vätern im Voraus angekündigt...“
114 Jesaja 46, 10: „… der ich von Anfang an das Ende verkünde und von alters her, was noch
nicht geschehen ist…“
Lexikalische Angaben
Einige Wörterbücher kennen „im Voraus ausersehen“ bzw. „vorherbestimmen“ als Bedeutung von proginooskein nicht: Pape115 gibt als Bedeutung „Vorherwissen“ (Nomen) bzw. für das Verb „vorher wissen“ od. „einsehen“ an. Das LEH-Lexikon116 gibt die Bedeutung mit „vorsehen / im Voraus bekannt machen / voraussehen“ (engl.: foresee) an. Liddell & Scott117 (vor allem klassisches Griechisch) geben für das Nomen an: ein „Erkennen/Wahrnehmen im Voraus“ (perceiving beforehand) und (in medizinischen Zusammenhängen:) eine „Prognose“ (von Krankheiten); das Verb: „im Voraus wissen, erfahren, kennen lernen, verstehen“; „vorauskennen“ (foreknow); „im Voraus ein Urteil treffen“ (judge beforehand). Nach Streitenberger ist in der griech. Klassik „vorherbestimmen“ bzw. „im Voraus ausersehen“ für proginooskein unbekannt. (…) Bei Clemens, Justin, Origenes und Hermas findet sich nur die Grundbedeutung „vorherwissen“.118
115 Wilhelm Pape, Griechisch-Deutsch Altgriechisches Wörterbuch
116 A Greek-English Lexicon of the Septuagint, Lust, Eynikel, Hauspie
117 A Greek-English Lexicon, Liddell and Scott
118 P. Streitenberger gibt in der Bibelgriechisch Mailingliste (www.streitenberger.com) aus der Patristik für die Verwendung von proginooskein:
Clemens: „Denn jedes Wissen ist lehrbar; alles Lehrbare aber beruht auf vorher Bekanntem.“
(Stromata 2.4.14.2); „Da aber der Herr ein Herzenskenner ist und die Zukunft vorherweiß , sah er gleich von Anfang her voraus, wie leicht wandelbar der Mensch und wie falsch und tückisch der Teufel ist“ (2.13.56.2.2); „obwohl er im Voraus weiß , dass das, was er tun will, etwas Schlechtes ist.“ (2.13.57.4.4); „Zeichen und Wunder erkennt er im Voraus „ (6.8.70.4.) Justin: „Dass jedoch diejenigen, deren Ungerechtigkeit man vorherwusste , …, nicht durch Gottes Schuld Sünder werden, …, habe ich auch schon oben dargetan.“ (Dialog mit Tryphon, 140.4.7).
„Und der Aufschub, dass Gott dies noch nicht getan hat, ist um des Menschengeschlechtes
willen eingetreten, denn er sieht vorher , dass einige infolge ihrer Buße noch Rettung finden werden“ (Apologie, 28.2.3).
Origenes: „Der die künftigen Dinge vorauswissende Gott“ (Contra Celsum, 2.20); „Wenn ferner die Adler die Nachstellungen gegen ihre Jungen vorhersehen könnten, …, so hätten sie nicht da gehorstet, wo ihnen Nachstellungen bevorstanden.“ (Contra Celsum, 4.90.33).
Hermas: „…, da er ein Kenner der Herzen ist und alles vorher weiß , kannte er die Schwachheit der Menschen und die Verschmitztheit des Teufels“ (Pastor 31.4.3).
119 Thayer’s Greek-English Lexicon of the New Testament
120 against those who in the preceding passages from Rom. explain proginooskein as meaning
to predestinate, cf. Meyer, Philippi, Van Hengel (Thayer’s Greek-English Lexicon of the New Testament)
121 Louw-Nida Greek-English Lexicon of the New Testament
122 Menge-Güthling, Enzyklopädisches Wörterbuch der griechischen und deutschen Sprache
123 Bauer, Danker, Arndt & Gingrich, Greek-English Lexicon of the New Testament and Other Early Christian Literature
Thayer’s Greek Lexikon119 hat die Bedeutung: „Vorauswissen, Vorauskenntnis“ (Judit 9, 6; 11, 19); „Vorbedacht, Vorkehrung-Treffen“ (forethought) und „Vorherige Vereinbarung“ (prearrangement); das Verb: „vorauswissen“, „im Voraus Kenntnis haben“; „im Voraus kennen“ (to have knowledge of eforehand); „im Voraus bedacht sein; im Voraus Vorkehrung treffen“. Thayer gibt für Römer 11, 2 „im Voraus kennen“ an und wendet sich gegen die, die Römer 11, 2 so erklären wollen als bedeute es „vorherbestimmen“120. Luow Nida121 gibt an: „Vorherwissen/Vorauskenntnis“; für proginooskein: „im Voraus über etwas Bescheid wissen, z. B. um ein Ereignis wissen, bevor es geschieht“; „im Voraus kennen“; „Vorherwissen/ Vorauskenntnis haben“. Zur Stelle 1. Petrus 1, 20 findet sich die Anmerkung: „auch die Bedeutung ‘im Voraus erwählen’ ist möglich.“ Aber das ist fraglich. (s. unten.) Menge-Güthling122: „Vorherwissen“, „Voraussicht“; „vorher gefasster Ratschluss“; für proginooskein: „im Voraus erkennen od. kennen lernen“; „vorher erfahren o. einsehen o. bedenken“; „vorauswissen; „zuvor bestimmen (erwählen)“; „einen Vorbeschluss fassen“. Bauer, Danker, Arndt & Gingrich123 haben: „Vorauswissen“; „Vorbestimmung“ (Judit 9, 6; Apostelgeschichte 2, 23; 1. Petrus 1, 2)“; für proginooskein: „vorherwissen, „vorauswissen; (1. Petrus 1, 20: „von früher her kennen)“; „im Voraus (jemanden) ausersehen“ (Römer 8, 29; 11, 2 ; 1. Petrus 1, 20; Apostelgeschichte 26, 5.) Ob, wie Menge und Bauer vorschlagen, proginooskein die Bedeutung, „zuvor bestimmen (erwählen)“ bzw. „vorherbestimmen“ haben kann und prognoosis neben „Vorauskenntnis“ zusätzlich auch „Erwählung im Voraus“ oder ein „Vorherbestimmen“ bedeuten kann, steht zur Debatte. Im Blick auf nicht nur die üblichen Definitionen, sondern auch die mehrmalige Verneinung einer Vorherbestimmung in dem betreffenden Terminus, scheint da eine theologische Überzeugung die Begriffsbestimmung zu beeinflussen.
Bauer-Danker-Arndt & Gingrich führen „Vorherbestimmung“ als eine der Bedeutungen an und geben als Beleg Apostelgeschichte 2, 23 und 1. Petrus 1, 2 sowie Judit 9, 6 an. Auf die Stellen Apostelgeschichte 2 und Judit 9 wollen wir im Folgenden näher eingehen. Apostelgeschichte 2, 22-24 (Kursivsetzung v. Verfasser): „Männer von Israel, hört diese Worte: Jesus, den Nazarener, einen Mann, der von Gott euch vorgestellt ‹und beglaubigt› wurde durch Krafttaten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte tat, wie ihr auch selbst wisst, 23 diesen, der nach Gottes festgesetztem und Vorauskenntnis [prognoosei] dahingegeben worden war, habt ihr genommen und umgebracht, wozu ihr die Hände von Gesetzlosen gebrauchtet, die ihn an [das Kreuz] hefteten, 24 den Gott zur Auferstehung brachte…“ Der Text sagt nicht, dass Jesus von Gott vorherbestimmt wurde, ans Kreuz zu gehen. Es gab zwar einen göttlichen Ratschluss, aber nicht notwendigerweise per Vorherbestimmung. Gott wusste von jeher alles im Voraus; wissend um unseren Fall konnte Gott im Voraus Vorkehrung für unser Heil treffen. Das ist nicht dasselbe wie Vorherbestimmung, denn es handelt sich um eine Antwort auf eine Information; es war ein Vorkehrung-Treffen. Die Übersetzung „Vorherbestimmung“ ließe Apostelgeschichte 2, 23 zu viel aussagen. Zu Judit 9, 6: Die Einheitsübersetzung hält sich an Bauers Vorschlag und übersetzt: „Denn alle deine Wege sind schon gebahnt, und dein Gericht ist eine beschlossene Sache.“ Dem gegenüber stehen eine Reihe anderer Übersetzungen. Menge übersetzt: „Denn alle deine Wege sind in Bereitschaft, und dein Gericht ist vorhergesehen.“ (Ähnlich Patloch, Herder und Luther.) „En prognoosei“ hieße wörtlich „Vorauskenntnis“. Also: „… dein Gericht ist in [göttlicher] Vorauskenntnis“, „… ist vorausgesehen“. Es war ein Trost für Judith, zu wissen, dass Gott alles in der Hand hatte. Das göttliche Gericht über die Assyrer war „in Vorauskenntnis“, d. h., Gott hatte alles vorausgesehen, was geschehen würde, inklusive das Gericht über die Assyrer, das zu jenem Zeitpunkt noch ausständig war, aber mit Gewissheit eintreten würde. Judit 9, 6 verlangt nicht notwendigerweise die Übersetzung: „dein Gericht ist vorherbestimmt“. Die dritte Belegstelle von Bauer ist 1. Petrus 1, 2. Hätte Petrus ausdrücken wollen, dass die persönliche Erwählung einzelner aufgrund einer göttlichen Vorherbestimmung – und daher ohne den Willen der Erwählten – geschehen sei, hätte er das entsprechende Wort, nämlich pro-ooridsein [im Voraus bestimmen] verwenden können. Wie oben bereits dargelegt, liegt dieser Sinn aber nicht in der Stelle. Fazit: Judith 9, 6 und Apostelgeschichte 2, 23 sind ungenügende Belege dafür, dem Wort prognoosis in 1. Petrus 1, 2 die Bedeutung „Vorherbestimmen“ zuzuweisen. Abgesehen davon wäre damit noch nicht bewiesen, dass die Erwählung Einzelner zum Heil aufgrund einer Vorherbestimmung geschehen wäre. Der Text sagt nicht, dass die Erwählung als solche aufgrund der prognoosis stattgefunden hat. Der Text sagt, dass der Stand der Briefempfänger als „erwählte Fremdlinge“ gemäß göttlicher prognoosis war. Der Text sagt nicht, dass man, ehe man zu einem Erwählten wird, von Gott dazu bestimmt sein müsse. Als Belegstellen dafür, dass das Verb proginooskein die Bedeutung „im Voraus erwählen“ haben könne, führen Bauer, Danker, Arndt & Gingrich Römer 8, 29; 11, 2; 1. Petrus 1, 20 und Apostelgeschichte 26, 5 an. Zu 1. Petrus 1, 18-20: „… ihr wurdet nicht mit Verderblichem, mit Silber oder Gold, erlöst …, 19 sondern mit kostbarem Blut als eines tadellosen und fleckenlosen Lammes, [dem Blut] des Christus, 20 der im Voraus gekannt war [griech. pro-egnoosmenou], vor Gründung der Welt, aber auf die letzten Zeiten zu geoffenbart wurde euretwegen“. Wenn Gott den Herrn Jesus Christus als das Lamm „im Voraus kannte“, wird damit ausgedrückt, dass Gott in dem Wissen um den Sündenfall im Voraus für unser Heil Vorkehrung traf. Gottes Lamm war seit jeher die göttliche Vorkehrung für unsere Erlösung. Golgatha war Gottes ewiger Ratschluss. Das ist aber nicht dasselbe wie vorherbestimmte Handlungen. Der Begriff prognoosis darf in seiner Bedeutung nicht zu weit ausgedehnt werden. Der Gedanke einer Vorherbestimmung liegt nicht in dem Wort. Es war nicht so, dass Jesus Christus, ob er wollte oder nicht, als Opferlamm von Gott vorherbestimmt war. Eine Aussage, dass Gott vorherbestimmt hätte, wer sich bekehrt und wer nicht, findet sich nicht. Die Heilige Schrift sagt nicht, dass prognoosis ein Willensakt sei, der die Handlung jemandes anderen bestimmt. Prognoosis ist nicht ein Vorherbestimmen. Davon wird es in Römer 8, 29.30 unterschieden. Prognoosis ist nicht ein Erwählen. Davon wird es in 1. Petrus 1, 1.2 unterschieden. Die erwählten Fremdlinge sind das, was sie sind, nicht durch Vorherbestimmung, sondern durch Vorauskenntnis. Würde man Vorauskenntnis mit Erwählung gleichsetzen, würde man eine Tautologie124 schaffen. Petrus würde gleichsam sagen: „erwählte Fremdlinge gemäß Erwählung“. Er sagt nicht, dass die Briefempfänger erwählt sind „gemäß Erwählung“, sondern „gemäß Vorauskenntnis“. Aus der Tatsache, dass Gott uns schon in der Ewigkeit in Christus sah und als solche kannte, eine Beziehung zu uns hatte, darf man nicht schließen, dass er unsere Bekehrung vorausplante oder uns im Voraus dazu bestimmte, Christus anzunehmen. Wer ist im Voraus gekannt? 1. Grundsätzlich ist es das gesamte „erwählte Geschlecht“ (1. Petrus 2, 9), das neutestamentliche Volk Gottes, das im Voraus gekannt ist. Gott hat die Gemeinde Jesu in der Ewigkeit mit Zuneigung „gekannt“, wie man geliebte Verwandte und Gleichartige kennt. Petrus sagt, dass die Briefempfänger gemäß göttlicher Vorauskenntnis zu einem erwählten (geliebten, kostbaren) Geschlecht geworden sind – erwählte Fremdlinge mitten in einer verderbten Welt. Diese erwählten Fremdlinge sind sie dadurch geworden, dass sie anlässlich ihrer Heilswende (durch Buße und Glauben) in Christus versetzt wurden. Petrus lässt grüßen von der „Miterwählten“ in Babylon (1. Petrus 5, 13; vgl. 2. Johannes 1.13). Sie alle sind Erwählte in Christus. Alle Gläubigen – in Christus – an jedem Ort gehören zu dieser Schar. Sobald jemand in Christus hineinkommt, wird er von einem Nichterwählten zu einem Erwählten. In Christus hat jeder, der zu ihm kommt, Anteil an der Erwählung. 2. Jedes einzelne Glied des Gottesvolkes ist im Voraus gekannt.
124 d. i. eine Häufung gleichbedeutender Wörter
Das göttliche Vorauskennen schließt persönliches und zuneigendes Kennen ein, wie oben dargestellt wurde. Gott kannte die, von denen er wusste, dass sie sich bekehren würden, ganz persönlich, ehe sie existierten, und hatte gedanklich eine Art Beziehung zu ihnen. Es war daher für ihn keine Überraschung, als sie sich bekehrten. Dennoch sagt die Heilige Schrift nicht, dass ihre Hinkehr zu Christus im Voraus bestimmt (determiniert) war.
Gott kannte und liebte die Seinen bereits in der Ewigkeit, obwohl sie noch nicht existierten. Gott kannte den gesamten Lauf ihres Lebens von Bekehrung bis Tod. Die Ungerechten kannte (und kennt) er nicht. Er weiß zwar um sie Bescheid, aber das ist nicht dasselbe wie das Kennen. Die Ungerechten sind in dieses liebevolle persönliche „Kennen“ nicht eingeschlossen. Warum, wird uns in der Heiligen Schrift nicht offenbart. Wir erfahren aber im NT, dass Menschen dem Herrn nur „in Christus“ gefallen können. Nur wenn Menschen in Christus sind, kann Gott Freude an ihnen haben und können sie ihm Geliebte, Geschätzte, Kostbare sein.125 Daraus ergibt sich, dass Gott diese deshalb zuvor kannte, weil er sie als „in Christus“ seiend zuvor kannte (ehe sie sich bekehrten und ehe sie existierten). Von einer Vorherbestimmung zur Bekehrung weiß die Heilige Schrift nichts.126 Die Briefempfänger des 1. Petrusbriefes waren „erwählte Fremdlinge“ entsprechend dem, dass Gott sie bereits in der Ewigkeit im Voraus liebevoll kannte. Sie sind nun Gottes erwähltes, geliebtes Geschlecht (2, 9), zerstreut inmitten einer Welt von Gottfernen und Ehrfurchtslosen. Als solches sind sie Fremdkörper in der Welt. Früher waren sie auf derselben niederen Ebene wie die Menschen ihrer Umgebung gewesen. Nun aber sind sie Erlesene, Erkorene, Kostbare, Hochgeschätzte gemäß Vorauskenntnis Gottes. Und jeder noch nicht Gerettete kann ebenso ein solcher werden, wenn er Christus annimmt. Die Ausdrücke, „erwählt“ sowie „im Voraus gekannt“ sind beide Ausdrücke der Liebe und der Beziehung. Gott hat sich diese „erwählten Fremdlinge“ im Voraus zum Gegenstand seines liebevollen Kennens gemacht.
125 Siehe die Darlegung zu Epheser 1, 4.
126 Zur Frage der Vorherbestimmung siehe die Ausführungen zu Römer 8, 28-30.
Die Heilige Schrift sagt nicht, dass die Erwählung gemäß einer von Gott willkürlich vollzogenen Bestimmung erfolgte, auch nicht, dass Vorauskennen aufgrund von Vorherbestimmung geschieht. Vorauskennen ist etwas, das in der Ewigkeit, in Gottes Gedanken, geschieht. Die faktische Erwählung hingegen ereignet sich im Augenblick der persönlichen Heilswende.
Was ist es um den in der Ewigkeit gefassten göttlichen Vorsatz? Ein Vorsatz ist ein fester Entschluss. Die Heilige Schrift sagt uns, dass Gott alles, was er tut, nach dem Entschluss seines Willens tut: „… nach dem Vorsatz dessen, der alles nach seinem Willensentschluss wirkt…“ (Epheser 1, 11M) In der Vorgeschichte unseres Heils scheint das Vorauskennen, das Petrus erwähnt (1, 2), das allererste „Ereignis“ zu sein. Der Vorsatz, von dem Paulus in Römer 8, 28 spricht, basiert darauf. Diesen seinen Vorsatz der Ewigkeit verwirklichte Gott in Christus (Epheser 3, 11): „… nach dem Vorsatz der Ewigkeit, den er verwirklichte in Christus Jesus, unserem Herrn…“ Er fasste in der Ewigkeit den Entschluss der Erlösung in Christus. 127 Christus war ihm in der Ewigkeit als das sich hingebende Lamm bekannt und von ihm liebevoll gekannt (1. Petrus 1, 20): „… der im Voraus gekannt war, vor Gründung der Welt, aber auf die letzten Zeiten [zu] geoffenbart wurde euretwegen“. So war bereits in der Ewigkeit das ewige Leben verheißen (Titus 1, 2: „… auf Hoffnung ewigen Lebens, das der untrügliche Gott vor allen Weltzeiten verhieß…“). Gemäß Gottes Vorsatz kam deshalb dann – in der Zeit – der Ruf des Evangeliums. Dass wir „gemäß einem Vorsatz“ gerufen wurden (Römer 8, 28), ist für uns eine große Freude und ein großer Trost in schwierigen Umständen. Es kam also – in der Zeit – der Ruf. Er ergeht auch heute noch. Die, die dem Ruf Folge leisten, werden „Erwählte“. Sobald sich jemand heute Christus zuwendet, wird er in Christus versetzt und in ihm ein Erwählter. Paulus sagt in 2. Timotheus 1, 9, dass Gott „uns rettete und mit einem heiligen Ruf rief, nicht nach
127 Deshalb kann Paulus sagen (2. Timotheus 1, 9): „… uns rettete und mit einem heiligen Ruf rief,
nicht nach unseren Werken, sondern nach [seinem] eigenem Vorsatz und der Gnade, die
uns in Christus Jesus vor allen Weltzeiten gegeben wurde.”
unseren Werken, sondern nach eigenem Vorsatz und der Gnade, die uns in Christus Jesus vor ewigen Zeiten gegeben wurde“. Der vor der Zeit von Gott gefasste Erlösungsratschluss in Christus wurde objektiv verwirklicht im Werk Christi und wird subjektiv vollzogen an allen einzelnen Individuen, die zu Christus kommen. Das Rufen geschah gemäß einem göttlichen Vorsatz. Der Vorsatz war: Wer dem Ruf Folge leisten würde, sollte gerettet werden. Der göttliche Vorsatz bestand nicht darin, wer von den Menschen sich bekehren würde; sondern dass er die Menschen zur Umkehr rufen würde und dass jeder Bekehrte aus Gnaden gerettet werden und ein Erbe erhalten sollte. Wenn nun jemand Gottes Ruf hörte und glaubte, wurde er demnach gerettet, „… nicht nach eigenen Werken, sondern nach göttlichem Vorsatz und der Gnade“, die ihm in Christus (nach göttlichem Vorsatz) vor ewigen Zeiten (d. h., vor allen Weltzeiten, also in der Ewigkeit) gegeben wurde. Das heißt, Gott hat in der Ewigkeit beschlossen, dass Rettung allein durch Jesus Christus und allein aus Gnade, nicht aus Werken, geschehen sollte. 2. Timotheus 1, 9 sagt nicht, dass Gott beschlossen hätte, eine gewisse Anzahl von Menschen zu rufen und zu retten – im Gegensatz zu der restlichen Anzahl, die er nicht retten wollte. Alle Gläubigen sind deshalb „nach einem Vorsatz“ Gerufene (Römer 8, 28), weil der Ruf des Evangeliums „nach Vorsatz“ erfolgte, nach dem Vorsatz und der Gnade, die uns in Christus Jesus in der Ewigkeit gegeben wurde. Zusätzlich bestimmte Gott, dass diejenigen, die dem Ruf Folge leisten würden, dem Ebenbild des Sohnes gleichgestaltet werden (also Söhne werden) sollten. Diejenigen, die dem göttlichen Ruf folgen, werden im engeren Sinne „Gerufene“ genannt (z. B. Römer 1, 6; 1. Korinther 1, 24; Judas 1; Offenbarung 17, 14). Der Ruf selber kann auch abgelehnt werden. Vgl. Lukas 14, 16-24. Eine weitere Stelle bezüglich des göttlichen Vorsatzes finden wir in Römer 9, 11: „… als sie noch nicht geboren waren und weder Gutes noch Schlechtes getan hatten – damit der Vorsatz Gottes nach Erwählung bestehen bliebe, nicht aus Werken, sondern aus dem Rufenden.“ Es war Gottes Vorsatz, Jakob als Verheißungsträger zu wählen, nicht Esau. Vgl. 9, 13. Der Text sagt nicht, dass es Gottes Vorsatz war, Jakob zu retten und Esau zu verdammen.128 Ein weiterer Vorsatz: Es war Gottes Vorsatz, alles in Christus
128 Siehe die Ausführungen zu Römer 9.
unter einem Haupt zusammenzufassen (Epheser 1, 9.10): „… er setzte uns ‹nämlich› in Kenntnis über das Geheimnis seines Willens nach seinem Wohlgefallen, das er sich bei sich selbst vornahm – 10 im Hinblick auf die Verwaltung der Fülle der Zeiten, ‹um› in Christus alles ‹für sich› wieder unter ein Haupt zu fassen, sowohl das in den Himmeln als auch das auf der Erde – in ihm“. Auch die guten Werke, die wir tun dürfen, sind zuvor bereitet; in diesem Zusammenhang erwähnt der Apostel Paulus allerdings nicht das Wort „Vorsatz“ (Epheser 2, 9.10): „… nicht aus Werken, damit nicht jemand sich rühme, 10 denn sein Gebilde sind wir, in Christus Jesus erschaffen zu guten Werken, die Gott zuvor bereitete (griech. proeetoimasen), damit wir in ihnen wandeln sollten.“ (Ende des Exkurses)
Die Empfänger des Briefes sind erwählte Fremdlinge „in Heiligung des Geistes“129.
Erwählte Fremdlinge wurden sie in einer werbenden Heiligung, die durch Einwirkung des Heiligen Geistes geschah.130 Es handelt sich um eine Heiligung, die vom Heiligen Geist ausgeht und von ihm gewirkt ist. Die Wiedergeburt, in der man ein „erwählter Fremdling“ wird, geschieht dann durch das anschließende Wirken des Geistes in bzw. an unseren Herzen.
Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten:
• Die punktuelle, im Moment der Wiedergeburt stattfindende
Da geschieht auch die faktische Erwählung.131 In eben dieser Heiligung wurden sie „erwählte Fremdlinge“. Es könnte hier also der Zustand des Geheiligtseins gemeint sein.
• Die fortgesetzte, progressive Heiligung bis zur Vollendung
Lenski vertritt diese Auffassung: „Erwählte Fremdlinge, das sind
129 Ähnlich wie Petrus hier setzte auch Paulus in 2. Thessalonischer 2, 13 keinen Artikel vor das Wort
Heiligung: „Aber wir sind es schuldig … zu danken, dass Gott sich … euch … wählte … in Heiligung des Geistes und Glauben an die Wahrheit“
130 Vgl. Barnes zu 1. Petrus 1, 2.
131 Siehe die Ausführungen zu Epheser 1, 4.
sie ‘in Heiligung des Geistes’, d. h., in einem Geheiligtsein, das durch den Heiligen Geist gewirkt wird.“132 Er meint, hier gehe es nicht nur um das punktuelle Geheiligtsein bei der Wiedergeburt, sondern auch um das praktische Christenleben. Der Heilige Geist hält sie als Fremdlinge von der Welt abgesondert. Er macht sie mehr und mehr „heilig“, Christus ähnlich. Vollendet wird diese Heiligung bei der Ankunft Christi (1. Thessalonischer 5, 23; 1. Johannes 3, 2).
• Die Heiligung vor der Bekehrung
Es spricht einiges dafür, dass der Apostel hier an eine vorauslaufende Heiligung (Absonderung) denkt, eine Heiligung des unbekehrten Menschen; sie geschieht durch den Heiligen Geist. Sie hat die Bekehrung des Menschen zum Ziel. Gott möchte den Menschen, der sich von ihm losgelöst und selbständig gemacht hat, auf die Seite nehmen, absondern, disponieren, auf Gott einstellen, für Gottes Wort empfänglich machen. Lukas berichtet in Apostelgeschichte 13, 48: „Als die von den Völkern es hörten, freuten sie sich und verherrlichten das Wort des Herrn. Und sie glaubten, so viele zum ewigen Leben eingestellt [o. disponiert, gestimmt, empfänglich gemacht] worden waren.“133 Schauen wir zurück auf unsere eigene Geschichte: Wie kamen wir zum Glauben? Hat Gott nicht in unserem Leben gewirkt und um uns geworben, ehe wir umkehrten? Hat er uns nicht auf die Seite genommen, eingestimmt und empfänglich gemacht? Wir wollten nichts von Jesus hören. Unser Ohr (unser Herz, unser Denken) war für das Wort Gottes verschlossen. Der Heilige Geist begann zu wirken, zu überführen, zu rufen; er begann, uns empfänglich zu machen. Das war der Beginn der Heiligung in unserem Leben. Gott fing an, uns in die Richtung zu sich selbst zu bringen. Der Mensch kann sich nur dann bekehren, wenn Gottes Geist in Gnade an ihm wirkt, also der Geist ihn „heiligt“. Das bedeutet, dass zum göttlichen Ruf auch diese Heiligung gehört. Ohne den Ruf und diese Heiligung, dieses Zuordnungsbemühen Gottes, könnte kein Mensch gerettet werden. Von dem vorauslaufenden Wirken des Geistes sprach der Herr in Johannes 16, 8-11: „Und jener134, wenn er gekommen ist, wird die Welt zurechtweisen in Bezug auf Sünde und in Bezug auf Gerechtigkeit und in Be-
132 Lenski, zu 1. Petrus 1, 2
133 Siehe die Ausführungen zu Apostelgeschichte 13, 48.
134 d. i.: der Geist, der Fürsprecher, V. 7
zug auf Gericht; 9 in Bezug auf Sünde, da sie nicht an mich glauben; 10 in Bezug auf Gerechtigkeit, da ich zu meinem Vater hingehe (und ihr schaut mich nicht mehr); 11 in Bezug auf Gericht, da der Fürst dieser Welt gerichtet worden ist.“ Diese „Heiligung“ ist ein göttlicher Akt, der, wenn der Mensch Widerstand leistet, unterbrochen werden kann. Die Heilige Schrift sagt nicht, dass diese Heiligung unwiderstehlich sei. Sie führt nur dann zur Bekehrung, wenn der Mensch dem Wirken des Geistes nicht widersteht. Gott wirbt, lädt ein135. Aber er zwingt niemanden. Das Heil des Menschen beginnt immer mit dem Rufen Gottes. Kommt der Mensch in Buße zu Christus, bekennt er im Vertrauen auf Christi stellvertretendes Opfer seine Sünden, so wird er gerettet. Die eigentliche, die entscheidende Heiligung geschieht dann erst in der persönlichen Heilswende (1. Korinther 1, 2; 6, 11). Da wird der Mensch Gott zugeordnet und vom „normalen“ Leben in dieser Welt abgesondert, sodass er nun ganz dem Herrn gehört. Für die hier beschriebene Bedeutung von „Heiligung“ spricht die Reihenfolge in 1. Petrus 1, 2: „… Heiligung des Geistes zum Gehorsam und zur Besprengung mit dem Blut Jesu Christi”. Es geht um den Glaubensgehorsam in der persönlichen Heilswende (Vgl. 1, 22; Apostelgeschichte 5, 32) und um das Besprengt-Werden mit dem Blut des Lammes (1, 19; Johannes 1, 29; Hebräer 10, 22; 11, 28; 12, 24), das ebenfalls in der Heilswende stattfindet. Petrus nennt nun zuerst die „Heiligung“, dann erst den Glaubensgehorsam. Paulus spricht in 2. Thessalonischer 2, 13, einer ähnlichen Stelle, von derselben vorauslaufende Heiligung. Er verwendet dort dieselbe Reihenfolge: zuerst „Heiligung des Geistes“ (vor der Bekehrung), dann „Glauben an die Wahrheit“.136
Welcher Gehorsam ist gemeint?
Es gibt zweierlei Gehorsam: den Gehorsam in der Bekehrung und den Gehorsam nach der Bekehrung. Buße zu tun und zu glauben, das ist ein göttlicher Befehl (Apostelgeschichte 17, 30): Gott „weist … alle Menschen überall an, Buße zu tun.“ Wenn man dem Befehl nachkommt, ist man gehorsam. Der punktuelle Gehorsam in der Umkehr ist der Anfang eines Gehorsams-
135 Vgl. Lukas 14, 16-24. Siehe die Ausführungen zu Matthäus 22, 14.
136 Siehe die Ausführungen zu 2. Thessalonischer 2, 13.
weges. So, wie wir den Herrn Jesus Christus angenommen haben, so sollen wir in ihm wandeln (Kolosser 2, 6). „Gehorsam“ steht im Petrustext neben „Besprengung mit dem Blut Christi“; beide Ausdrücke beziehen sich auf den Zeitpunkt der persönlichen Heilswende. So ist an unserer Stelle wohl der Gehorsam in der Bekehrung137 im Blickfeld. 138 Dieser mündet freilich in ein Leben des Gehorsams (1, 14). Wie ist der Wesfall „Jesu Christi“ zu verstehen? Die erste Frage, die wir uns stellen, ist, ob der Wesfall „Jesu Christi“ zu beiden Satzgliedern gehört oder nur zum zweiten: Sollte es heißen: „… zum Gehorsam gegenüber Jesus Christus und [zur] Besprengung [mit seinem] Blut“? Oder sollte es heißen: „…zum Gehorsam und [zur] Besprengung mit dem Blut Jesu Christi“? Die grammatische Regel lautet: „Wenn zwei Nomen (Hauptwörter) im gleichen Fall mit kai (und) verknüpft und von einem Genitivattribut gefolgt werden, so bilden die beiden Nomen in der Regel eine Einheit und werden beide vom Genitivattribut modifiziert139. Aber es gibt auch Ausnahmen140. Die Regel trifft in 1. Petrus 1, 2 nicht zu, denn der Genitiv („Jesu Christi“) steht bei „Blut“, nicht bei „Besprengung“. Würde man sie anwenden, so müsste man übersetzen: „zum Gehorsam gegenüber dem Blut Jesu Christi und zur Besprengung mit demselben“. Der Gehorsam wird aber nicht dem Blut entgegengebracht. Diese Übersetzung sollte ausscheiden. Zwischen der Präposition (eis, zum) und der Person Jesu Christi stehen nicht zwei, sondern drei Substantive (Gehorsam, Besprengung, Blut). Der Genitiv „Jesu Christi“ bezieht sich offensichtlich nur auf das Blut: „Jesu Christi Blut“. Der Genitiv „des Blutes“ bezieht sich auf „Besprengung“. D. h.: Es geht um die „Besprengung des Blutes“ (im Sinne von: „Besprengung mit dem Blut“). „Blut“ wird näher definiert: das „Blut Jesu Christi“. Es geht nicht um die Besprengung Christi. Fangen wir beim anderen Ende an, so hat die Präposition eis zwei Objekte, den Gehorsam und die Besprengung. Ab dem Wort „Be-
137 Vgl. auch 1, 22.
138 Siehe auch die Bemerkungen zum vorigen Punkt („Welche Heiligung ist gemeint?“).
139 z. B. Matthäus 4, 16; Lukas 1, 17.79; 6, 15; Apostelgeschichte 1, 13; 2, 19.46; 4, 27; 16, 2; Römer 1, 18; 11, 22; 1. Korinther 11, 7;
2. Korinther 1, 21; Epheser 6, 4; Philipper 1, 11; 2. Thessalonischer 2, 9; 3, 8; Titus 1, 14; Hebräer 12, 19.22.24; Jakobus 1, 21; 2. Petrus 1, 1.17;
Offenbarung 14, 7
140 z. B. Offenbarung 14, 7 und Matthäus 24, 6
sprengung“ geht es nicht mehr um den Akkusativ (Wenfall), sondern um den Genitiv (Wesfall): die Besprengung des Blutes (gleichbedeutend mit „die Besprengung mit dem Blut“) Jesu Christi. Wir haben hier nicht den Fall von zwei mit einem kai verbundenen Gegenständen einer Präposition, welche beide wiederum einem gemeinsamen Nomen gehörten. Die Besprengung gehört nicht Jesus Christus, sondern dem Blut, und der Gehorsam gehört schon gar nicht dem Blut, sondern dem, den der Heilige Geist heiligt. (Natürlich schließt dieser als Gott den Christus ein, aber nicht weil dieser Text es sagt, sondern weil andere Texte es sagen.) Demnach steht „Gehorsam“ losgelöst: „zum Gehorsam und [zur] Besprengung mit dem Blut Jesu Christi“.141 Gehorsam ist wie in 1, 14 und Römer 6, 16 absolut, also losgelöst von einem Bezugswort, gebraucht. Was ist mit „Besprengung mit dem Blut“ gemeint? Durch Besprengtwerden mit dem Blut der Opfertiere wurde Israel in den Gnadenbund mit dem Herrn aufgenommen. (Vgl. Keil und 1. Mose 24, 7.8; Hebräer 9, 19; 12, 22.24.)142 Die Besprengung mit dem Blut Jesu Christi, von welcher Petrus spricht, ist Bild der Zueignung des durch seinen Tod begründeten Bundesverhältnisses. Die Besprengung mit dem Blut Jesu reinigt. Hier scheint also die persönliche Anwendung des Blutes Christi gemeint zu sein, das er für uns vergoss und das daher für den Glaubenden eine sühnende Wirkung hat.
141 Keil, Die Briefe des Petrus und Judas: „… gegen die Verbindung [von eis hüpakoeen] mit
Ieesou Christou (Jesu Christi) spricht entscheidend, dass Ieesou Christou als Subjektsgenitiv
zu haimatos [Blut] nicht zugleich Objektsgenitiv zu hüpakoee [Gehorsam] sein kann“.
(Erg. in Eckklammern v. Verf.)
142 1. Mose 24, 7.8: „Und er nahm das Buch des Bundes und las es vor den Ohren des Volkes.
Und sie sagten: „Alles, was Jahweh geredet hat, wollen wir tun und gehorchen. 8 Und
Mose nahm das Blut und sprengte es auf das Volk und sagte: „Siehe, das Blut des Bundes,
den Jahweh mit euch geschlossen hat aufgrund aller dieser Worte.“
Hebräer 9, 19: „denn nachdem von Mose dem Gesetz entsprechend jedes Gebot dem ganzen
Volk gesagt war, nahm er das Blut der Kälber und Ziegenböcke mit Wasser und Scharlachwolle
und Ysop und besprengte sowohl das Buch selbst als auch das ganze Volk und
sagte: 20 ‘Dieses ist das Blut des Bundes, dem Gott euch verpflichtete.’ 21 Auch das
Zelt und alle Geräte des Dienstes besprengte er in gleicher Weise mit dem Blut. 22 Und
fast alles wird mit Blut gereinigt, dem Gesetz entsprechend, und ohne Blutvergießen
geschieht nicht Vergebung.“
Hebräer 12, 22A.24: „…, sondern ihr seid hingekommen zum Berge Zion … 24 und zu
Jesus, Mittler eines neuen Bundes, und zu dem gesprengten Blut, das Besseres redet als
Abel.“
Die Reihenfolge – zuerst Gehorsam und dann Blutbesprengung – lässt sich daraus erklären, dass im AT das Volk Israel dem Herrn zuerst Gehorsam gegen Gottes Worte und Gebote gelobt hatte (1. Mose 24, 7) und erst danach mit dem Blut besprengt wurde (24, 8). Das Volk Gottes gelobte im AT Gehorsam gegenüber Gottes Geboten, als es in den Gnadenbund eintrat. Mit der Besprengung mit dem Blut Christi ist hier wohl die Reinigung gemeint, die in der Heilswende geschieht (Offenbarung 1, 5; 7, 14)143.
Die Adressaten des Petrus waren „erwählte Fremdlinge der Zerstreuung“, ein erwähltes Geschlecht. Wofür und wozu? – „…zum Gehorsam und zur Besprengung mit Jesu Christi Blut“, d. h., um Gott zu gehorchen144 und sich mit dem Blut Christi besprengen zu lassen.
Matthäus 21, 45.46; 22, 1-14: Als die Hohen Priester und die Pharisäer seine Gleichnisse gehört hatten, merkten sie, dass er von ihnen redete. 46 Und sie suchten ihn zu greifen, fürchteten aber die Mengen, denn die hielten ihn für einen Propheten. K. 22, 1 Und nach der Antwort sprach Jesus wieder in Gleichnissen zu ihnen und sagte: 2 „Das Königreich der Himmel wurde mit einem Menschen verglichen, einem König, der seinem Sohn ein Hochzeitsfest machte. 3 Und er sandte seine leibeigenen Knechte, die Geladenen zum Hochzeitsfest zu rufen. Und sie wollten nicht kommen. 4 Wieder sandte er Knechte, andere, und er sagte: ‘Sagt den Geladenen: Seht! Mein Mahl bereitete ich. Meine Ochsen und das Mastvieh sind geschlachtet, und alles ist bereit. Kommt zum Hochzeitsfest!’ 5 Aber sie kümmerten sich nicht darum und gingen weg, der eine aufs
143 Offenbarung 1, 5M: „Dem, der uns liebte und uns durch sein Blut von unseren Sünden wusch
–…“
7, 14: „… sie wuschen ihre Gewänder, und sie machten ihre Gewänder weiß durch das
Blut des Lammes.“
144 Vgl. Römer 1, 5.
eigene Feld, der andere an seinen Handel. 6 Die übrigen griffen seine Knechte, misshandelten sie ‹in übermütiger Weise› und töteten sie. 7 Als der König es hörte, war er zornig und schickte seine Truppen und brachte jene Mörder um und setzte ihre Stadt in Brand. 8 Dann sagt er zu seinen Knechten: ‘Das Hochzeitsfest ist bereit, aber die Geladenen waren nicht würdig. 9 Begebt euch also auf die durchziehenden Straßen und ruft zum Hochzeitsfest so viele ihr findet!’ 10 Jene Knechte gingen hinaus auf die Straßen und brachten alle zusammen, so viele sie fanden, sowohl Böse als auch Gute. Und der Hochzeitssaal wurde voll von solchen, die zu Tisch lagen. 11 Als der König hereinkam, die zu Tisch Liegenden zu besehen, sah er dort einen Menschen, der nicht mit einem Hochzeitskleid bekleidet war. 12 Und er sagt zu ihm: ‘Gefährte, wie kamst du hier herein, da du kein Hochzeitskleid hast?’ Aber er verstummte. 13 Dann sagte der König zu den Dienern: ‘Bindet ihm Füße und Hände. Nehmt ihn und werft ihn hinaus in die Finsternis draußen.’ Dort wird das Weinen sein und das Zähneknirschen. 14 Es sind nämlich viele Gerufene aber wenige Erwählte.“
Wir beachten: der Handelnde ist Gott. Er ist derjenige, der ruft und somit die Einladung ausspricht; denn das Rufen steht für das Einladen, welches aus Gnade geschieht. Das griechische Wort für „rufen“ (kalein) ist im Grundtext dasselbe Wort, das in bestimmten Zusammenhängen auch für „einladen“ gebraucht wird. Man sollte es nicht mit „berufen“ übersetzen.145 Dass Menschen zu Gottes Hochzeit geladen werden, geschieht nicht aus Verdienst, sondern aus Gnade. Diese Gnade kann man annehmen oder verwerfen.
Wer gerufen (geladen) wird, darf entscheiden, ob er auf den Ruf positiv reagieren (d. h. der Einladung folgen) will oder nicht.
145 Das deutsche Wort „berufen“ ruft deterministische (bestimmende) Begleitvorstellungen
hervor, die das griech. Wort eigentlich nicht hat. Das griech. Wort kalein (pass.: kaleisthai)
trägt im Neuen Testament weder den Sinn von „erwählen/erwählt werden“ noch
von „bestimmen/bestimmt werden“ in sich. Siehe die Erklärung bei den Ausführungen
zu Römer 8, 28.
Jesu Königreich wird verglichen mit einem Hochzeitsmahl. Die ursprünglichen Gäste des Hochzeitmahls (in diesem Fall das Volk Israel) fanden verschiedene Gründe, um nicht daran teilzunehmen. Den Juden wurde das Evangelium zuerst verkündet. Doch sie schlugen Gottes Einladung aus, verwarfen Gottes Sohn. Gott hatte sie erwählt. Sie waren die selektive Schar, die zum Fest hätte kommen dürfen! Aber sie entschieden sich dagegen. Aufgrund dieser ihrer persönlichen Entscheidung wurde ihnen das Königreich weggenommen und einem anderen Volk gegeben: denen, die es annehmen werden, der Jüngerschar Christi: „Deswegen sage ich euch: Das Königreich Gottes wird von euch genommen werden, und es wird einem Volk gegeben werden, das seine Früchte bringen wird.“ (Matthäus 21, 43) In 22, 14 fasst der Herr zusammen: „Viele sind Gerufene aber wenige Erwählte.“ Niemand kommt aus eigenem Verdienst ins Königreich. Man muss geladen werden – unverdienterweise, aus Gnaden. Weil der Ruf aus Gnaden ergeht, ist jeder, der dem Ruf Folge leistet, ein aus Gnaden Geretteter. Und der Herr macht deutlich: Jeder, der kommt, ist ein „Erwählter“. Die Aussage des Gleichnisses ist nicht, dass Einzelne von vornherein dazu erwählt werden, kommen zu dürfen146, und dass andere abgelehnt werden. Alle sind eingeladen. Wer gerufen wird, muss (wie Abraham, Hebräer 11, 8) durch Glauben dem göttlichen Ruf gehorsam sein. Aber nicht alle folgen diesem Ruf. „Viele also sind Gerufene (Geladene)…“ (V. 14) Die „Vielen“, die geladen werden, sind alle. Sie sind zuerst die Israeliten als gesamtes Volk. Nachdem sie die Einladung ausgeschlagen haben, sind die aus den Heidenvölkern die Gerufenen. Im Gleichnis selber sind die Vielen nicht alle Menschen der Welt. (Es wäre ja auch praktisch unmöglich gewesen, Millionen von Menschen bei einem Hochzeitsfest zu haben.) Aber in der Realität, d. h., in dem, was das Gleichnis zeigen soll, sind die Vielen tatsächlich alle Menschen. Gott will alle bei seinem „Mahl“ dabei haben. Daher ergeht die Einladung an alle (Markus 1, 15; 16, 15; 1. Timotheus
146 Israel war erwählt, aber als gesamtes Volk. Es war nicht so, dass einzelne Israeliten erwählt
waren im Gegensatz zu anderen, die es nicht waren.
2, 4).147 Gottes Ruf geht durch seine Boten hinaus in alle Welt. So heißt es in Römer 10, 18: „In jeden Teil der Erde ging ihre Stimme hinaus, und zu den Enden des Weltreiches [gingen] ihre Worte.” Gott ruft alle zu sich, denn er will, „dass alle gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen148.“ (1. Timotheus 2, 4). Warum alle? Weil Christus Jesus „sich selbst als stellvertretendes Lösegeld für alle gab“ (2, 6).149 Wirksam ist Jesu Tod nur für diejenigen, die glauben. Aber er starb, damit alle gerettet werden könnten. Daher ist Gott potentiell „der Retter aller Menschen“ (1. Timotheus 4, 10). Gerettet werden schlussendlich nicht alle – nicht, weil Gott nicht alle gewollt und gerufen hätte, sondern weil nicht alle dem göttlichen Ruf Folge leisten. Die Bewohner Jerusalems gingen nicht deshalb verloren, weil sie nicht gerufen worden waren, sondern weil sie nicht kommen wollten (Lukas 13, 34): „, Jerusalem, die die Propheten tötet und die steinigt, die hin zu ihr gesandt sind! Wie oft wollte ich deine Kinder sammeln in der Weise, wie eine Henne ihre eigene Brut unter die Flügel sammelt, und ihr wolltet nicht!“ Die „Vielen“, für die im Gleichnis über das Hochzeitsmahl „die Ochsen und das Mastvieh geschlachtet“ wurden (V. 4), sind identisch mit den „Vielen“ von Matthäus 26, 28, für die das Blut des neuen Bundes vergossen wurde: nämlich „alle“. Dass Christus wirklich für alle Menschen sein Blut vergoss, lesen wir in Johannes 1, 29; 6, 51; 1. Timotheus 2, 6; Hebräer 2, 9; 1. Johannes 2, 2.150 Der Herr spricht in dem Gleichnis nur von zwei Gruppen, nicht von drei: die Gerufenen, die der Einladung folgten, einerseits, und die Gerufenen, die dem Ruf nicht folgten, andererseits. Nur um diese beiden geht es. Von einer dritten Gruppe ist nicht die Rede. Würden wir künstlich eine dritte (nämlich eine Gruppe von Nichtgerufenen/ Nichtgeladenen) ins Gleichnis einführen wollen, gingen wir an der zentralen Aussage des Gleichnisses vorbei. Es ist für den Herrn klar, dass es in der Welt nur zwei Arten von Menschen gibt: solche, die der göttlichen Einladung Folge leisten, und solche, die sie ablehnen.151
147 Siehe die Ausführungen zu 1. Timotheus 2, 1-7.
148 „Zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Timotheus 2, 4) ist ein Heilswort. Wer die Wahrheit erkannt hat, hat das Heil. Vgl. Kolosser 1, 6; 1. Timotheus 4, 3; 2. Timotheus 2, 25; 3, 7; Titus 1, 1; Hebräer 10, 26.
149 Siehe die Ausführungen zu 1. Timotheus, 2, 1-7.
150 Siehe die Ausführungen zu 1. Timotheus 2, 1-7.
151 Der Ruf erging zuerst nur an Israel. Die Israeliten waren tatsächlich eine besondere Gruppe von „Gerufenen“, eine allerdings, die ihre besonderen Rechte missachtet hat. Wenn also jemand in diesem Gleichnis „speziell gerufen“ war, so waren es gerade diejenigen, die die Einladung ausschlugen und verlorengingen. Danach erging der Ruf an alle. Das bestätigt übrigens auch, dass das griech. Wort für „Gerufene“ (kleetoi) nicht im deterministischen Sinne („Berufene“) verstanden werden darf.
152 d. h., mit dem königlichen Kleid bekleidet (Matthäus 22, 11-13) zum göttlichen Festmahl
kommt; siehe unten.
Das Fest ist fertig (V. 4). Der Ruf erschallt. Die Einladung ist dringlich (V. 9), das Angebot herrlich. Aber wehe dem, der den Ruf ablehnt! In Lukas 14, 17-24 haben wir das Parallelgleichnis: „Und er sandte seinen leibeigenen Knecht zur Stunde des Mahls, zu den Geladenen [o. Gerufenen] zu sagen: ‘Kommt, weil alles schon bereit ist.’ Und ohne Ausnahme fingen sie alle an, sich zu entschuldigen und abzusagen. Der erste sagte ihm: ‘Ich kaufte ein Feld, und es ist nötig, dass ich ausgehe und es sehe. Ich bitte dich, halte mich für entschuldigt.’ Und ein anderer sagte: ‘Ich kaufte fünf Joch Ochsen und gehe hin, sie zu erproben. Ich ersuche dich, halte mich für entschuldigt.’ Und ein anderer sagte: ‘Ich heiratete eine Frau, und deswegen kann ich nicht kommen.’ Und jener leibeigene Knecht kam herbei und meldete dieses seinem Herrn. Dann war der Gebieter des Hauses zornig und sagte zu seinem leibeigenen Knecht: ‘Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Krüppel und Lahmen und Blinden hier herein.’ Und der leibeigene Knecht sagte: ‘Herr, es ist geschehen, wie du befahlst, und es ist noch Platz.’ Und der Herr sagte zu dem leibeigenen Knecht: ‘Gehe hinaus auf die Landstraßen und [an die] Zäune und nötige sie hereinzukommen, damit sich mein Haus fülle, denn ich sage euch: Nicht einer von jenen Männern, die geladen [o. gerufen] waren, wird mein Mahl kosten!’“ Wer dem Ruf Gottes heute nicht folgt, wird sich eines Tages vor dem göttlichen Gericht dafür zu verantworten haben. Wenn Gott ruft, ist das einerseits ein großes Vorrecht, eine große Gnade. Aber wenn Gott ruft, hat der Mensch andererseits auch eine große Verantwortung. Wer dem göttlichen Ruf nicht folgt, ist ungehorsam dem Schöpfer und Besitzer aller Menschen. Jeder Ungehorsame muss die Konsequenzen tragen.
Wer auf den göttlichen Ruf positiv reagiert und kommt152, gehört im speziellen Sinne zu den „Gerufenen“ und trägt im speziellen Sinne diese Bezeichnung. Hierfür einige Beispiele: Römer 1, 6: „… unter denen auch ihr seid, Gerufene Jesu Christi“
1, 7: „Allen Geliebten Gottes, die in Rom sind, den gerufenen Heiligen“ 1. Korinther 1, 2: „Der Gemeinde Gottes, der, die in Korinth ist, [den] Geheiligten in Christus Jesus, gerufenen Heiligen“ 1, 24: „denen aber, die Gerufene sind…“ Judas 1: „Den in Gott, dem Vater, geheiligten und ‹durch› Jesus Christus bewahrten Gerufenen“ Es ist wie bei einem Hochzeitsfest: Viele sind geladen. Die, die der Einladung gefolgt und zum Fest gekommen sind, tragen am Fest den Titel „geladene Gäste“.
Alle sind Gerufene. Alle dürfen kommen. Aber nicht alle sind Erwählte. Nur die, die (freiwillig) kommen, sind Erwählte. Sie antworten auf den Ruf, nehmen ihn ernst. Dadurch entsteht eine Beziehung zwischen dem Rufenden und den Gerufenen. „Erwählt“ ist ein Beziehungs wort. Wenn der Herr Jesus jemanden gerufen und derjenige positiv darauf reagiert hat, ist er ein dem Herrn „Erwählter“. In diesem Sinne sind ihm alle, die sich rufen ließen, „Erwählte“, „Erlesene“, „Kostbare“, „Geliebte“. Er wird sie nicht versäumen noch verlassen. Es ist Petrus, der dann später schreibt: „Deshalb, Brüder, befleißigt euch umso mehr, euer Gerufensein und [eure] Erwählung fest zu machen, denn im Tun dieser Dinge werdet ihr keinesfalls je straucheln ‹und zu Fall kommen›” (2. Petrus 1, 10). Mit anderen Worten: „Macht euer Gerufensein, eure Erwählung fest. Zeigt dem Herrn Jesus, dass ihr ihn liebt, weil er euch rief. Bleibt von seiner Gnade abhängig! Wenn ihr dieses tut, werdet ihr nicht zu Fall kommen, sondern das Ziel erreichen.“153 Das Gleichnis vom Hochzeitsmahl zeigt auch auf, wie die wenigen zu Erwählten und wie die anderen zu Nichterwählten werden: durch ihre Reaktion auf den göttlichen Ruf! Die Erwählten sind wenige. Warum? Weil das Fest nur für wenige vorgesehen war? Nein, sondern, weil viele sich selbst ausschließen – durch Rückweisung der Einladung (V. 3-7) oder durch Abweisung des Festgewandes (in der Meinung, das eigene würde ausreichen, V. 11-13).
153 Siehe die Ausführungen zu 2. Petrus 1, 10.
Der zentrale Punkt des Gleichnisses, der so genannte „Skopus“, ist bei V. 11: Der König sieht sich die Hochzeitsgäste an und beurteilt, ob sie mit dem richtigen Gewand bekleidet sind. Matthäus 22, 11.12: „Als der König hereinkam, die [zu Tisch] Liegenden zu besehen, sah er dort einen Menschen, der nicht mit einem Hochzeitskleid bekleidet war. 12 Und er sagt zu ihm: ‘Gefährte, wie kamst du hier herein, da du kein Hochzeitskleid hast?’“ Wir bemerken: Er fragt ihn nicht: „Warum hast du kein Hochzeitskleid an?“, sondern: „Wie kamst du hier herein, da du kein Hochzeitskleid hast?“ Die auf dem normalen, richtigen Weg hereingekommen sind, haben ihr Hochzeitskleid an der Eingangstür erhalten. Dieser „Gefährte“ (V. 12) ist offensichtlich nicht durch die Tür, sondern auf eine andere Weise hereingekommen. Der Herr stellt ihn dafür zur Rede. „Lieber Mann! Du bist hier fremd! Du gehörst nicht hierher!“ V.12E.13: „Aber er verstummte. Dann sagte der König zu den Dienern: ‘Bindet ihm Füße und Hände. Nehmt ihn und werft [ihn] hinaus in die Finsternis draußen.’ Dort wird das Weinen und das Zähneknirschen sein.“
Im Gleichnis in Lukas 14 ergeht der Befehl (Lukas 14, 23): „… nötige sie hereinzukommen … !“ Dieser darf nicht so aufgefasst werden, als ob Gott bestimmten Menschen das Heil aufnötigen würde. „Nötigen“ ist hier nicht i. S. v. „etw. gegen den Willen von jem. durchsetzen, ihn zu etw. zwingen“ aufzufassen, sondern i. S. v. „dringlich aufrufen; mit Dringlichkeit auffordern“154, so z. B. Apostelgeschichte 2, 40: „Und mit noch vielen anderen Worten bezeugte er mit Ernst und rief er auf [o.: bat dringlich; gr. parekalei ] und sagte: ‘Lasst euch retten von diesem krummen Geschlecht!’” Das griech. Wort kann schon bedeuten „jemanden unter Druck setzen“ (Markus 6, 45; Apostelgeschichte 26, 11), aber nicht in Verbindung mit der Evangeliumsverkündigung; denn diese darf gemäß neutestament-
154 So der Gebrauch des griech. Wortes anangkatsein in Galater 2, 14 und 6, 12:
2, 14M: „Wenn du, obwohl du ein Jude bist, wie die, die von den Völkern sind, lebst und
nicht jüdisch, was nötigst du die, die von den Völkern sind, jüdisch zu werden?“
6, 12E: „So viele im Fleisch wohl angesehen sein wollen, diese nötigen euch, beschnitten
zu werden“
licher Lehre weder mit Anwendung von psychischem noch mit Anwendung von physischem Druck begleitet werden. Auch Gott selber geht so nicht vor. Die Schrift lehrt an keiner Stelle, dass der göttliche Ruf ein unwiderstehlicher sei.
Die „Erwählten“ in diesem Gleichnis sind ausschließlich diejenigen, die der Einladung Folge leisteten und das ihnen an der Eingangstür angebotene Festgewand annahmen. Das Festgewand (V. 11.12) stellt die Gerechtigkeit Christi dar. In Offenbarung 19 lesen wir von der Hochzeit des „Lammes“ mit seiner „Frau“: „… es wurde ihr gegeben, dass sie umkleidet werde mit reinem und glänzendem Byssusstoff, denn der Byssusstoff ist die Gerechtsprechung155 der Heiligen.” (19, 8) Ohne die aus Gnaden zugerechnete Gerechtigkeit Christi (Römer 3, 22; 10, 4; Philipper 3, 9) kann niemand in Gottes Königreich eingehen. Zinzendorf sang: „Christi Blut und Gerechtigkeit ist mein Schmuck und Ehrenkleid. Damit will ich vor Gott bestehn, wenn ich zum Himmel werd’ eingehn.“156 Das Gleichnis zeigt andererseits auch, wer die Nichterwählten sind: alle, die die Einladung verwerfen, sei es aus Stolz, aus Gleichgültigkeit oder aus Hass gegen den König.
„Deshalb, Brüder, befleißigt euch umso mehr, euer Gerufensein und [eure] Erwählung fest zu machen, denn im Tun dieser Dinge werdet ihr keinesfalls je straucheln ‹und zu Fall kommen›, 11 denn so wird euch reichlich dargereicht werden der Eingang in das ewige Königreich unseres Herrn und Retters, Jesu Christi“. (2. Petrus 1, 10.11)
155 Das Wort für „Gerechtsprechung“ in V. 8 kann auch mit „die Handlungen” übersetzt
werden. Es steht im Grundtext in der Mehrzahl, vielleicht wegen der Mehrzahl des
Wortes „Heilige“. Vgl. Jesaja 54, 17: „… ‘Das ist das Erbteil der Knechte Jahwehs; und
ihre Gerechtigkeiten [bzw. gerechten Handlungen] sind von mir’, ist der Ausspruch
Jahwehs.”
156 Graf Nicolaus von Zinzendorf, 1739
Zuerst steht das Gerufensein, dann die Erwählung. Wir wissen nicht, ob die Reihenfolge hier von großer Bedeutung ist, aber es ist bemerkenswert, dass sie auch in Offenbarung 17, 14 zu finden ist: „Und die, die mit ihm sind, sind Gerufene und Erwählte und Treue.“ „Gerufene – Erwählte – Treue“. Das ist die Geschichte jener Begleiter des Königs der Könige. Zuerst waren sie gerufen worden. Als sie auf den Ruf hin zu Christus kamen, wurden sie Erwählte. Und dann blieben sie ihrem Herrn treu. Zuerst kommt der göttliche Ruf, die Einladung, daraufhin die Antwort des Menschen. Ist sie positiv, geschieht die Erwählung. Zu einem Erwählten werden kann man nur durch Buße157 und Glaube. Niemand ist erwählt, ehe er „in Christus“ ist. Die eigentliche Entscheidung fällt nicht in der Ewigkeit, sondern im Augenblick der persönlichen Heilswende. Gott weiß im Voraus, ob wir dem Ruf folgen werden. Auch wenn Gott unsere Entscheidung vorher kennt, nimmt er sie uns nicht ab. Nicht er trifft die Entscheidung. Wir haben sie zu treffen. Wir antworten auf seinen Ruf, und er macht uns daraufhin zu Erwählten, Kostbaren und Geliebten. Solche sind wir „in Christus“, weil Christus der Erwählte ist.158 Die Heilige Schrift lehrt, dass Gott in unserem persönlichen Leben handelt: Er ruft uns zu sich. Wir entscheiden uns in Eigenverantwortung. Die Schrift sagt nicht, dass wir Menschen uns aufgrund einer göttlichen Vorbestimmung entscheiden. Durch unsere Abkehr von der Sünde und Hinkehr zu Gott werden wir dann zu Erwählten. Ehe wir uns bekehrten, waren wir nicht Erwählte. Keine Stelle der Heiligen Schrift sagt, dass Menschen Erwählte sind, ehe sie sich bekehren. Nur „in Christus“ kann man zur Schar der Erwählten gehören. Als wir auf den göttlichen Ruf antworteten, nahm er uns an – in Christus. Diese Annahme nennt die Bibel Erwählung. Dies gilt auch für 1. Korinther 1, 18ff: Das Schwache, das zu Gott kam, dessen hat Gott sich angenommen; nicht, weil Gott gewisse Schwache vorherbestimmte, sondern, weil diese Schwachen zu Christus kamen.
157 d. i.: Sinnesänderung mit praktischer Umkehr als Konsequenz
158 Vgl. Epheser 1, 4; 1. Petrus 2, 4-6; Lukas 23, 35. Siehe die Ausführungen zu Epheser 1, 4. Der Begriff „Erwählter“ ist ein Liebesbegriff. Jesus sagte zu den Jüngern (Johannes 16, 27): „… der Vater
selbst hat euch lieb, weil ihr mich lieb gehabt habt und geglaubt habt, dass ich von
Gott her ausging“. Und: „Der, der mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden. … Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, …“ (Johannes 14, 21.23A). Gott liebt alle Menschen, aber „Geliebte“ im engeren Sinne
sind schlussendlich doch nur diejenigen, die durch Buße und Glaube „in Christus“
sind.
Schwache und Einfache haben es leichter, zu Christus zu kommen, weil sie sich ihrer Schwachheit und Abhängigkeit von Gott eher bewusst werden als vermeintlich Starke und Kluge.
„Deshalb, Brüder, befleißigt euch umso mehr, euer Gerufensein und [eure] Erwählung fest zu machen…“
Wir ließen uns durch das Evangelium rufen. Daher tragen wir nun diesen Titel. Wir sind im engeren Sinne „Gerufene“.159 Darüber hinaus sollen wir uns auch jetzt weiter rufen lassen. Gott ist ständig dabei, uns mit diesem Ruf zu ziehen160, bis wir „zu Hause“ sind. Das „und“ zwischen Gerufensein und Erwählung hat hier wahrscheinlich die Bedeutung von „und zwar“ bzw. „nämlich“.161 In dem Fall könnte man übersetzen: „befleißigt euch, euer Gerufensein, nämlich [eure] Erwählung, fest zu machen…“ Wie können wir das tun? Indem wir entsprechend leben. Wenn Jesus uns angenommen hat, sollen wir wie Angenommene leben. Weil wir geliebt sind, sollen wir wie Geliebte leben, die nun ihn wieder lieben. Wir werden als Geliebte angesprochen und sollen mit Liebe reagieren.162 Wenn Eheleute ihr Eheversprechen immer wieder in Tat und Wort bestätigen, machen sie diese ihre Beziehung fest. Der eine sagt: „Ich liebe dich“; der andere antwortet: „Ich liebe dich ebenfalls!“ So macht man das Geliebtsein, das Angenommensein fest. Das bedeutet für uns: Wenn wir auf Jesu Liebe reagieren, ihm gehorchen, ihm folgen, machen wir die Beziehung fest. „… denn im Tun dieser Dinge werdet ihr keinesfalls je straucheln ‹und zu Fall kommen›…“ Zeigt dem Herrn Jesus, dass ihr ihn liebt, weil er euch rief! Bleibt von seiner Gnade abhängig! Wenn ihr dieses tut, werdet ihr nicht zu Fall kommen, sondern das Ziel erreichen. V. 11: „… denn so wird euch reichlich dargereicht werden der Eingang in das ewige Königreich unseres Herrn und Retters, Jesu Christi.“
159 Vgl. Römer 1, 6; 1. Korinther 1, 24; Judas 1.
160 Vgl. 1. Thessalonischer 2, 12; 5, 24; Galater 5, 8.
161 In der griechischen Grammatik nennt man es ein „erklärendes und“ (kai explicativum).
162 Vgl. Johannes 14, 23A: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten, und mein Vater
wird ihn lieben, …“ und 15, 9.10: „So wie der Vater mich liebte, liebte auch ich euch.
Bleibt in meiner Liebe. 10 Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe
bleiben, …“.
Das sechste Kapitel im Johannesevangelium gehört zu den besonderen Stücken dieses Evangeliums. In K. 5 und 6 gibt es zwei längere Reden Jesu. In K. 5 wird der Herr als der Schöpfer des Lebens (5, 21.24-29.40) vorgestellt, in K. 6 als der Erhalter des Lebens. Nach der Speisung der Fünftausend sagten die Menschen, als sie das Zeichen, das Jesus getan hatte, sahen: „Dieser ist in Wahrheit der Prophet, der in die Welt kommen soll.“ Und sie wollten ihn zum König machen. Aber Jesus zog sich zurück. (6, 14.15) Danach lesen wir davon, wie Jesus nachts am galiläischen See (dem „See von Tiberias“) auf dem Wasser ging, hin zu den Jüngern, die in Not waren. Sie nahmen ihn ins Schiff auf. Überraschend heißt es dann in V. 21M: „Und sogleich gelangte das Schiff an das Land, wohin sie unterwegs gewesen waren.“ Sobald Jesus im Boot war, waren sie am Ziel, obwohl sie kurz vorher noch mitten im See gewesen waren. Die Lektion war eindrücklich: Wenn Jesus im Boot ist, sind wir sofort am Ziel. Der Herr Jesus ist nicht nur der Schöpfer, sondern auch der Erhalter und Vollender des Lebens. Er bringt alle, die ihm vertrauen, unbehelligt ans Ziel. In dem Gespräch des Herrn Jesus mit den Juden, das nun folgt, geht es um eben diese Themen. Zuerst spricht er von zwei Arten von Speise: irdischer und geistlicher.
„Jesus antwortete ihnen und sagte: ‘Wahrlich! Wahrlich! Ich sage euch: Ihr sucht mich, nicht weil ihr Zeichen saht, sondern weil ihr von den Broten aßt und satt wurdet. 27 Wirkt nicht für163 die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die ins ewige Leben bleibt, die der Sohn des Menschen euch geben wird, denn diesen besiegelte164 der Vater, Gott.’ 28 Darauf sagten sie zu ihm: ‘Was sollen wir tun, damit wir die Werke Gottes wirken?’ 29 Jesus antwortete und sagte zu ihnen: ‘Dieses ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den jener sandte.’“
Warum vermehrte der Herr nicht jeden Tag Brot? Weil es die Not der Menschen nicht wirklich gestillt hätte. Sie brauchten mehr. Der Mensch lebt nicht von irdischer Speise allein. Das irdische Brot, das Jesus ihnen anlässlich der Speisung der Fünftausend gegeben hatte, war lediglich ein Zeichen. Aber ein Zeichen nützt nichts, wenn man nicht den will, der hinter dem Zeichen steht. Einen Verlobungsring zu tragen, mag für eine junge Frau eine schöne Sache sein. Aber was nützt er, wenn es keinen Mann gibt, der hinter dem Ring steht? Die Juden sollten sich nicht so sehr um die irdische Speise bemühen, sondern vielmehr um die bleibende: „Wirkt nicht für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die ins ewige Leben165 bleibt!“ Diese Speise ist Jesus in Person. Er ist das Brot Gottes. Eben hierzu war er gekommen und von Gott als sein Gesandter bestätigt worden, um ihnen diese Speise zu sein. Die Juden fragten: „Was sollen wir tun, damit wir die Werke Gottes wirken?“ (V. 28) Die „Werke Gottes“ sind die von Gott geforderten Werke.166 Ihre Frage war: Welches ist jenes Bemühen, das Gott gefällt und das er von uns möchte?“ Jesus geht auf ihre Frage ein und greift dabei den Begriff „Werke Gottes wirken“ auf, den sie in ihrer Frage verwendeten: V. 29: „Dieses ist das Werk Gottes“ (d. h.: Diese ist die gottwohlgefällige und von Gott gebotene Tätigkeit; o.: Folgendes ist das von Gott geforderte und gewünschte Werk167), „dass ihr an den glaubt, den er sandte!“
163 i. S. v.: Müht euch nicht um
164 o.: beglaubigte
165 d. h., bis in die Ewigkeit hinein, bis in die jenseitige Welt
166 Im Griech. ein Wesfall des Objekts (genitivus obiectivus)
167 Ist der Glaube ein Werk? Wenn Gott sagt, dass der Mensch auf Gott vertrauen soll, ist
das nicht ein Gesetzeswerk im Sinne des Begriffes bei Paulus, z. B. im Galaterbrief oder
Römerbrief? Dort ist von Gesetzeswerken die Rede, die der Mensch tut, um dadurch vor
Gott gerecht zu werden. Der Glaube ist das Gegenteil. Paulus schreibt (Römer 4, 5): „Aber
dem, der nicht arbeitet (d. h., Werke tut), sondern an den glaubt, der den Ehrfurchtslosen
rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet.”
Der Mensch erlangt die Gottesgerechtigkeit durch Vertrauen auf das stellvertretende
Leiden und Sterben Christi am Kreuz. Glauben/Vertrauen ist eben die eine Tätigkeit,
die Gott verlangt. Vertrauen ist in diesem Sinne nicht ein „Werk“. (Das deutsche Wort
steht im Zusammenhang mit dem Verb „Werke tun“, „werkeln“, d. h. etwas tun, um dadurch
vor Gott gerecht zu werden). Johannes gebraucht das Wort „Werk“ (griech. ergon)
durchwegs im Sinne von „Tätigkeit, Tat“ (böse oder gut; das Verb „wirksam sein, tätig
sein, wirken“), jedoch kein einziges Mal im Sinne von Tun von Gesetzeswerken, um vor
Gott gerecht zu werden.
Im selben Sinne wie in Johannes 6, 29 verwendete Ignatius (gestorben ca. 110-117) die Phrase.
Er schrieb an einer Stelle: „Ein Christ hat kein Recht (mehr) über sich selbst, sondern er
verwendet seine Zeit für Gott. Dieses ist das Werk Gottes und eures. („touto to ergon theou
estin kai hümoon, ….“ Ignatius, Epistulae VII genuinae, 7.7.3.2, Thesaurus Linguae
Graece). Wenn die Adressaten des Ignatius kein Recht mehr über sich selbst haben und
ihre Zeit für Gott verwenden, tun sie das, was Gott wünscht, und vollbringen also das „Werk Gottes“.
Jesus sagte es ihnen frei heraus: „Wenn ihr etwas tun wollt, das Gott gefällt, dann sage ich euch, was es ist, das Gott möchte, dass ihr es tut: Glaubt an mich! Glaubt an den, den er euch gesandt hat! Vertraut euch dem an, der im Begriff ist, für euch ans Kreuz zu gehen und eure geistliche Speise zu werden!“ Jesus sagte ihnen also nicht, dass sie gar nichts tun sollten. Auch im Folgenden betont der Herr, dass sie sehr wohl etwas tun sollten: kommen und glauben (V. 35.40). Der Herr sagt nicht, dass sie einfach Gott ein Werk an ihnen tun lassen sollten, und er würde dann machen, dass sie an den Sohn glauben würden. Der Weg des Glaubens steht im Gegensatz zum Weg des Fleisches. Die Juden wollten einen König haben, der sie täglich mit Broten und Fischen versorgte (V. 15.26). Jesus belehrt sie, dass sie sich stattdessen um die geistliche Speise bemühen sollten: um das Brot Gottes aus dem Himmel. Zu diesem sollten sie kommen.
„Darauf sagten sie zu ihm: ‘Was tust du also für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben? Was wirkst du? 31 Unsere Väter aßen das Manna in der Wüste, wie geschrieben ist: Brot aus dem Himmel gab er ihnen zu essen.’ 32 Darauf sagte Jesus zu ihnen: ‘Wahrlich! Wahrlich! Ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot aus dem Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das Brot aus dem Himmel, das wahrhafte, 33 denn das Brot Gottes ist der, der aus dem Himmel niederkommt und der Welt Leben gibt.’“
Der Herr Jesus erinnert seine Gesprächspartner an die wunderbare göttliche Versorgung zur Erhaltung des erlösten Volkes auf der Wüstenreise. Gott sandte Brot vom Himmel zur Erhaltung des Lebens des Volkes Gottes. Aber die, die dieses Brot gegessen hatten, mussten eines Tages doch sterben. Dieses Brot konnte sie nicht für immer am Leben erhalten. Was war es, das Gottes Volk auf der Wüstenwanderung durch die himmlische Speisung lernen sollte? (Vgl. 1. Mose 8, 3.)168 Gott ließ die Väter zu dem Zweck in der Wüste Hunger leiden, damit sie lernten, dass einerseits alle irdische Speise von Gott komme169, dass aber andererseits irdische Speise nicht alles sei. Es gibt mehr. Irdisches Brot sättigt nur vorübergehend; ewige Sättigung gibt nur das wahrhaftige Brot. Jesus sagte gleichsam: Ihr kommt zu mir, um euren Bauch wieder zu füllen. Ich sage euch aber: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Es gibt mehr: himmlische Speise und geistliches Leben! (Vgl. V. 49-51.57.58.)170
„Darauf sagten sie zu ihm: ‘Herr, gib uns allezeit dieses Brot!’ 35 Jesus sagte ihnen: ‘Ich bin das Brot des Lebens: Den, der zu mir kommt, den wird gewiss nicht hungern, und den, der an mich glaubt, den wird gewiss niemals dürsten. 36 Ich habe es euch jedoch gesagt, dass ihr mich auch gesehen habt und nicht glaubt. Alles, was der Vater mir gibt, wird zu mir kommen, und den, der zu mir kommt, den werde ich auf keinen Fall hinaustun, 38 weil ich aus dem Himmel niedergekommen bin, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich schickte. 39 Dieses ist aber der Wil-
168 1. Mose 8, 3: „Und er demütigte dich und ließ dich hungern. Und er speiste dich mit dem
Man (Manna), das du nicht kanntest und das deine Väter nicht kannten, um dir kundzutun,
dass der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern dass der Mensch von allem
lebt, was aus dem Mund Jahwehs hervorgeht.“
169 Was ist die Bedeutung des täglichen Brotes? Es sollte den Menschen jeden Tag auf den
Gott hinweisen, der hinter der Speise und dem irdischen Leben steht, den Gott, von
dem wir Tag für Tag abhängig sind.
170 Johannes 6, 49-51.57.58 „Eure Väter aßen das Manna in der Wüste und starben. 50 Dieses ist
das Brot, das aus dem Himmel niederkommt, damit man von ihm esse und nicht sterbe.
51 Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel niederkam. Wenn jemand von diesem
Brot gegessen hat, wird er leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, ist
mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt … 57 So wie der lebende Vater
mich sandte und ich des Vaters wegen lebe, so auch der, der mich isst: Auch derjenige
wird leben um meinetwillen. 58 Dieses ist das Brot, das aus dem Himmel niederkam.
Nicht wie eure Väter das Manna aßen und starben: Der, der dieses Brot isst, wird leben
in Ewigkeit.’“
le des Vaters, der mich schickte, dass ich nichts verderben lasse von dem, was er mir gegeben hat, sondern es zur Auferstehung bringe am letzten Tage. 40 Dieses ist der Wille dessen, der mich schickte, dass jeder, der den Sohn schaut und an ihn glaubt, ewiges Leben habe. Und ich werde ihn zur Auferstehung bringen am letzten Tage.’“
Jesus bedauert, dass seine Gesprächspartner nicht glauben (V. 36). Für das Verständnis der zur Debatte stehenden Verse 37 und 44 ist entscheidend wichtig, dass wir in Erinnerung behalten, dass der Herr hier mit Ungläubigen redet. Zu ihnen sagt er (V. 37A):
„Alles, was der Vater mir gibt, wird zu mir kommen…“
Jesus gibt diesen Juden zu verstehen, dass er von sich aus diese Widerstrebenden nicht zum Glauben zwingen kann. Zudem stellt er klar, dass nicht er die Willigkeit der gläubig zu ihm Kommenden verursacht. Der Vater gibt sie ihm. Er holt sie sich nicht selbst. Jesus zeigt hier in Demut seine Abhängigkeit vom Vater.171 Der Satzteil „Alles, was mir der Vater gibt“ bezieht sich auf die innere Vorbereitung der Menschen, die dann zu Jesus kommen. Beide, Gott und der Mensch, tun etwas. Gott gibt dem Sohn. Der Mensch kommt zum Sohn. Die Frage ist nun, worauf sich dieses „Geben“ des Vaters bezieht. Ist es so, dass Gott vor Grundlegung der Welt gewisse Menschen dazu vorherbestimmt hat, dass sie zu Jesus kommen? Ist es das, worauf dieses „Geben“ des Vaters an den Sohn sich bezieht? Wir beachten, dass Jesu Thema in diesem Gespräch mit den ungläubigen Juden nicht die Frage der Erwählung ist. Jesus sagt nicht: „Alles, was mir der Vater (per Vorausbestimmung) gegeben hat, kommt zu mir“ i. S. v.: „Diejenigen, die Gott vor Grundlegung der Welt erwählt hat, kommen zu mir.“ Jesus spricht von einem Geben in der Gegenwart : „Alles, was mir der Vater gibt“. Hier sind gewisse Menschen, die der Vater zum Sohn weist und ihm anvertraut. Jesus sagt nicht: „Nur diejenigen, die der Vater mir gibt, dürfen zu mir kommen“, als ob es eine begrenzte und zuvor bestimmte Anzahl von Menschen gibt, denen es gestattet ist, zum Sohn zu kommen. Er selber betont, dass es Gottes erklärter Wille ist, „dass der, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, ewiges Leben habe“ (6, 40; vgl. 3, 15.16; 12, 46)172.
171 Vgl. Zahn, Das Evangelium des Johannes, S. 340f
172 3, 14E-17: „ … der Sohn des Menschen muss erhöht werden, 15 damit jeder, der an ihn
glaubt, nicht ins Verderben gehe, sondern ewiges Leben habe; 16 denn so liebte Gott die
Welt, dass er seinen einziggeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht ins
Verderben gehe, sondern ewiges Leben habe; 17 denn Gott sandte seinen Sohn nicht in
„und den, der zu mir kommt, den werde ich auf keinen Fall hinaustun“
V. 37M Wer zu Jesus hinkommt, darf in alle Ewigkeit bei ihm bleiben; er wird für immer Ruhe und Erquickung finden (Matthäus 11, 28). Das „Nicht-Hinaustun“ muss vom Zusammenhang her als ein Sichnicht- Abwenden aufgefasst werden: Der Herr Jesus wird sich von denen, die zu ihm gekommen sind und auf ihn vertrauen, nicht mehr abwenden, nachdem er sie aufgenommen hat. Jesus macht hier klar, dass er treu ist.173 Es ist hier nicht gemeint, dass Jesus dann, wenn jemand zu ihm kommt, diesen nicht abweisen wird, sondern, dass er diejenigen, die zu ihm gekommen sind (und die er natürlich aufgenommen hat), nie mehr hinaustun wird. Das „nicht Hinaustun“ bezieht sich gemäß den darauf folgenden Versen auf die Zeit nach der Bekehrung zu Christus. Dass er jeden aufnimmt, der zu ihm kommt, ist für ihn selbstverständlich; das muss er hier nicht betonen. Welche Menschen gibt der Vater dem Sohn? Gemäß V. 45 gibt er ihm solche, die „von Gott gelehrt“ worden sind. Das Geben von V. 37 („Alles, was der Vater mir gibt…“) und von V. 39 („… von dem, was er mir gegeben hat…“), das Ziehen von V. 44 („Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, dass der Vater … ihn ziehe“) und das Lehren von V. 45 („Sie werden alle von Gott gelehrt sein“) sind parallele Handlungen. Zum Sohn kommen können nur die, die vom Vater zu ihm gezogen werden. Das Ziehen geschieht durch Belehrung, wie V. 45 zeigt. Um an den Sohn glauben zu können, muss man zuvor ein gewisses Maß an Information erhalten haben. Man kann von niemandem verlangen, etwas zu glauben, was er nicht weiß. Man kann von niemandem verlangen, an den Sohn zu glauben, ehe er nicht bezüglich des Sohnes Belehrung empfangen hat. Um zum Sohn kommen zu können, muss man vorher von Gott hinsichtlich der Person des Sohnes belehrt worden sein. Wie belehrt der Vater über seinen Sohn? Durch die von ihm gesandten Boten. Zuerst war der Täufer gekommen und hatte über den Sohn gelehrt. Dann war Jesus gekommen. Er beteuerte wieder
die Welt, damit er die Welt richte, sondern damit die Welt durch ihn gerettet werde.“
12, 46: Jesus ist „als Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht
in der Dunkelheit bleibe.“
173 Dementsprechend ist auch das „Verderben-Lassen“ von V. 39 als ein Vernachlässigen zu
denken. Jesus wird die nicht vernachlässigen, die er aufgenommen hat.
holt, dass seine Lehre nicht seine eigene wäre, sondern die des Vaters (3, 34; 7, 16; 8, 28; 12, 49.50)174. Es war das Wort des Vaters. Durch dieses belehrte der Vater die Menschen über den Sohn, das Heil, den Heilsweg. Aber die Juden, mit denen Jesus an dieser Stelle sprach, waren nicht bereit, die Lehre des Vaters, die er den Menschen über Jesu Verkündigung brachte, wirklich anzuhören. Um zu erkennen, ob Jesu Lehre von Gott ist, muss man zuerst bereit werden, den Willen Gottes zu tun. Der Herr sagte seinen Gegnern (7, 16.17): „Meine Lehre ist nicht meine, sondern dessen, der mich schickte. 17 Wenn jemand seinen Willen tun will, wird er bezüglich der Lehre erkennen, ob sie aus Gott ist oder ob ich von mir selbst her rede.“ Wer bereit ist, ihn zu tun, wird erkennen, dass Jesu Worte die Worte des Vaters sind. Wer bereit ist, wird sich von Gott belehren lassen. Und auf diese Weise wird er vom Vater an den Sohn „gegeben“. Etwas später sagte der Herr zu den Jüngern, die an ihn glaubten (8, 31), d. h., zu denen, die sich belehren ließen: „… ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ (8, 32) Vom Sohn aus gesehen ist jeder Mensch, der zu ihm kommt, ein Geschenk. Alle Gekommenen betrachtet er als Gabe des Vaters. Der Vater hatte sie zu ihm gewiesen. Dieser Gedanke darf jeden Jünger Jesu höchst erfreuen. So viel ist jeder dem Herrn Jesus Christus wert! Das gibt denen, die an Jesus Christus glauben, eine fröhliche Sicherheit, denn ein Geschenk des Vaters wird der Herr Jesus nicht verwerfen. Er wird solche „auf keinen Fall hinaustun“ (V. 37E). Er wird alles daran setzen, um sie ans Ziel zu bringen. Das ist der Wille des Vaters. Und um diesen zu tun, ist er ja gekommen! V. 38: „… weil ich aus dem Himmel niedergekommen bin, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich schickte.“
Was ist der Wille des Vaters? V. 39: „Dieses ist aber der Wille des Vaters, der mich schickte, dass ich nichts verderben lasse von dem, was er mir gegeben hat, sondern es zur Auferstehung bringe 175 am letzten Tage.“
Jesus sagt: Wer zu Gott – zu der Person, von der ich euch sage, er
174 3, 34: „… der, den Gott sandte, redet die Worte Gottes…“; 7, 16: „Meine Lehre ist nicht
meine, sondern dessen, der mich schickte.“; 8, 28: „… dann werdet ihr merken, dass ich …aus mir selbst nichts tue, sondern so, wie mein Vater mich lehrte, das rede ich.“; 12, 49: „… denn ich redete nicht von mir selbst aus, sondern der Vater, der mich schickte, er
selbst gab mir Gebot, was ich sagen sollte und was ich reden werde.“
175 i. S. v: erwecke
sei mein Vater – gekommen ist und sich von ihm belehren lässt, wird von diesem meinen Vater zu mir gewiesen; er wird mir vom Vater gegeben. Und ich bringe ihn ans Ziel. Ich werde ihn zur Auferstehung bringen am letzten Tage. Was sind das für Leute, die Jesus ans Ziel bringt? Gemäß V. 40 sind es solche, die ihren Blick auf den Sohn gerichtet halten und an ihn glauben: „Dieses ist der Wille dessen, der mich schickte, dass jeder, der den Sohn schaut 176 und an ihn glaubt, ewiges Leben habe. Und ich werde ihn zur Auferstehung bringen am letzten Tage.“ Wird Jesus den Willen des Vaters vollkommen ausführen? Oder wird er Menschen, die im Glauben ihren Blick auf den Sohn gerichtet halten, auf dem Wege verlieren? In V. 12 hieß es: „Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts umkomme.“ Wenn der Herr Jesus dafür gesorgt hatte, dass keine Brotkrumen umkämen, wie viel mehr wird er für diese kostbaren Seelen, die der Vater ihm gegeben hat, sorgen, sodass sie nicht umkommen?!
„Da murrten die Juden über ihn, weil er gesagt hatte: ‘Ich bin das Brot, das aus dem Himmel niederkam’, 42 und sagten: ‘Ist dieser nicht Jesus, Josephs Sohn, dessen Vater und Mutter wir ‹sehr wohl› kennen? Wie sagt er denn: Ich bin aus dem Himmel niedergekommen?’ 43 Darauf antwortete Jesus und sagte zu ihnen: ‘Murrt nicht untereinander! 44 Niemand kann zu mir hinkommen, es sei denn, dass der Vater, der mich schickte, ihn ziehe, und ich werde ihn zur Auferstehung bringen am letzten Tage.’ 45 Es ist geschrieben in den Propheten: ‘Sie werden alle von Gott gelehrt sein.’ (Vgl. Jesaja 54, 13.) Jeder also, der vom Vater hörte und lernte, kommt zu mir. 46 Nicht dass jemand den Vater gesehen hätte. Nur der, der von Gott ist, der hat den Vater gesehen. 47 Wahrlich! Wahrlich! Ich sage euch: Der, der an mich glaubt, hat ewiges Leben. 48 Ich bin das Brot des Lebens. 49 Eure Väter aßen das Manna in der Wüste und starben. 50 Dieses ist das Brot, das aus dem Himmel niederkommt, damit man von ihm esse und nicht sterbe. 51 Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel niederkam. Wenn jemand von diesem Brot gegessen
176 o.: jeder, der seinen Blick auf den Sohn gerichtet hält
hat, wird er leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt.’“
Die Juden verstehen Jesus nicht. Das Problem liegt nicht bei Jesus und seinen Worten, sondern bei ihnen. Sie sind nicht in der Lage, Jesu Worte zu verstehen, weil es ihnen an göttlicher Erkenntnis mangelt. Die Erkenntnis fehlt ihnen, weil sie sich nicht belehren lassen. Und all ihr Fragen („Wie sagt er denn …?“, V. 42) wird ihnen nichts helfen, solange sie in dem moralischen Zustand verharren, in dem sie sich befinden. Daher sagt Jesus zu ihnen, sie sollten nicht murren (V. 43), sondern sie sollten sich der göttlichen Belehrung öffnen. In diesem Zusammenhang betrachten wir Jesu Worte von V. 44.
„Niemand kann zu mir hinkommen, es sei denn, dass der Vater, der mich schickte, ihn ziehe, und ich werde ihn zur Auferstehung bringen am letzten Tage.“
V. 44A Wir haben bereits festgestellt: Um vom Vater zum Sohn gezogen werden zu können, muss man sich zuerst beim Vater aufhalten, ihm zuhören, sich belehren lassen. Niemand kann zum Sohn hinkommen, es sei denn, dass er sich vom Vater darüber belehren lässt, wer der Sohn ist. Aber Jesu Hörer waren nicht bereit, auf das Wort des Vaters – gesprochen via Jesus – zu hören. Das war das Problem. „Niemand kann zu mir hinkommen, es sei denn, dass der Vater, der mich schickte, ihn ziehe…“
Beachten wir, was in V. 44 nicht ausgesagt wird:
• Es wird nicht gesagt, dass Gott Menschen zu sich zieht, sondern: Der Vater zieht zum Sohn.
• Es wird nicht gesagt, dass niemand zu Gott kommen könne, wenn nicht Gott ihn ziehe; sondern es geht um das Gezogen-Werden durch den Vater und Kommen zum Sohn.
• Es wird nicht gesagt, dass der Vater bestimmte (zuvor erwählte) Menschen zieht – im Gegensatz zu anderen, die er nicht zieht.
• Und es wird auch nicht gesagt, dass (oder ob) das Ziehen unwiderstehlich sei. Welche Menschen zieht der Vater zum Sohn? Die Antwort auf diese Frage erhalten wir aus dem Zusammenhang, dem kleineren und dem größeren. An dieser Stelle wollen wir uns Zeit nehmen für den größeren: Johannes der Täufer warb um Menschen und brachte sie zum Vater. 177 Viele kamen, taten Buße und waren bereit, Gottes Willen zu tun (Markus 1, 4.5.7): „Johannes trat auf in der Wüste: Er taufte und verkündete eine Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden. 5 Und es ging zu ihm hinaus das ganze jüdische Land; auch die von Jerusalem [gingen]. Und, ihre Sünden bekennend, wurden sie alle von ihm im Jordanfluss getauft … 7 Und er verkündete: ‘Nach mir kommt der, der stärker ist als ich…’“ Johannes sprach zum Volk, „dass man an den glauben solle, der nach ihm käme, das heißt, an den Gesalbten, Jesus.“ (Apostelgeschichte 19, 4) Er war der Vorläufer (Markus 1, 2), der Türöffner (Johannes 10, 3), die „Stimme eines Rufenden in der Wüste: ‘Bereitet den Weg des Herrn! Macht seine Pfade gerade.’“ (Markus 1, 3; vgl. Jesaja 40, 3.) So gab es zur Zeit des Täufers einen treuen Kern des Gottesvolkes: Diejenigen, die auf den Täufer hörten und sich belehren ließen, wurden auf den Sohn Gottes verwiesen: „Und das ganze Volk, als es [ihn] hörte, und die Zolleinnehmer rechtfertigten Gott, indem sie mit der Taufe des Johannes getauft wurden. Aber die Pharisäer und die Gesetzesgelehrten lehnten den Ratschluss Gottes für sich selbst ab…“ (Lukas 7, 29.30) Letztere ließen sich nicht auf das Kommen Jahwehs178 vorbereiten. Sie konnte der Vater nicht zum Sohn ziehen. Der treue Kern des Volkes war „aus Gott“ (Johannes 8, 47)179. Diese treuen Menschen kamen oft aus den niederen Gesellschaftsschichten. Sie kannten die Stimme des guten Hirten, als er in der Person Jesu auftrat (Johannes 10, 1-4). Sie hörten nicht auf die „Diebe und Räuber“ (Johannes 10, 8), die sich als Israels „Hirten“ ausgaben, aber nicht wirklich für die Herde sorgten (Hesekiel 34, 2ff). Sie waren vorbereitet auf den Messias. Ihnen war die Stimme des Hirten vertraut (Johannes 10, 4) – aus dem alttestamentlichen Wort und durch den vorbereitenden Dienst des Täufers. Ja, Johannes hatte einen hervorragenden Dienst getan. Als Jesus dann auftrat, war die Ernte reif, nicht nur in Judäa, sondern auch in Samaria (Johannes 4, 35- 41) und jenseits des Jordans (Johannes 10, 40-42)180.
177 Vgl. Maleachi 3, 23.24; Matthäus 11, 13.14; 17, 10-12; Lukas 1, 17.
178 Vgl. Maleachi 3, 1: „, ich sende meinen Boten, damit er den Weg vor mir her bereite. plötzlich
wird zu seinem Tempel kommen Jahweh, den ihr sucht. Und der Bote des Bundes, den
ihr begehrt: Siehe, er kommt, sagt Jahweh der Heere.”
179 Siehe die Ausführungen zu Johannes 8, 47.
180 Johannes 10, 40-42: „Und er ging wieder weg jenseits des Jordans an den Ort, wo Johannes
Was lernen wir in Bezug auf Johannes 6? Die Menschen, mit denen der Herr Jesus hier spricht, sind solche, die er gerne gerettet sehen möchte. Sie sind aber nicht in der rechten Haltung (Disposition). Sie meinen, das Heil wäre bei Mose, in den Schriften des Alten Bundes (5, 39; 6, 32; 9, 28). Um vom Vater zum Sohn gezogen zu werden, muss man eine gewisse Herzenseinstellung haben. Wie erkannte Petrus, dass Jesus „Worte ewigen Lebens“ hatte und „der Gesalbte“ war, „der Sohn des lebenden Gottes“ (6, 68)? Fleisch und Blut hatte es ihm nicht offenbart, sondern der Vater (Matthäus 16, 17). Wie? Indem Petrus auf Gottes Wort (zuvor aus dem Munde des Täufers und dann aus Jesu Mund) achtete, sich „von Gott belehren“ (6, 45) ließ. So konnte er zum Sohn gezogen werden. Damit ist die Frage geklärt, welche Menschen der Vater zum Sohn zieht. V. 45-48: „Es ist geschrieben in den Propheten: ‘Sie werden alle von Gott gelehrt sein.’ (Vgl. Jesaja 54, 13.) Jeder also, der vom Vater hörte und lernte, kommt zu mir. Nicht dass jemand den Vater gesehen hätte. Nur der, der von Gott ist, der hat den Vater gesehen. 47 Wahrlich! Wahrlich! Ich sage euch: Der, der an mich glaubt, hat ewiges Leben. 48 Ich bin das Brot des Lebens.“ Jesus sagt gleichsam: Lasst euch das sagen, liebe Juden: Niemand außer mir hat den Vater gesehen. Wenn einer den Vater wirklich kennt, dann ich.181 Nur von mir erfahrt ihr die Wahrheit über Gott. Und nur über mich kommt ihr ans Ziel. Nirgendwo anders könnt ihr das Lebensbrot haben. Es gibt keinen anderen Weg, ewiges Leben zu erhalten. Ich bin das Brot des Lebens. Nicht Mose, nicht die Lehre der Pharisäer, kein „Glaube“, der an mir vorbeigeht, bringt zum Ziel. Johannes der Täufer hatte verkündet, dass man, sobald der Messias erscheinen werde, an jenen glauben sollte (Apostelgeschichte 19, 4). Als dann der Messias auftrat, lehrte dieser, dass es keinen anderen Weg zum ewigen Leben gab (Johannes 14, 6). Diese Lehre kam nicht von ihm selbst, sondern vom Vater. Auf diese Weise belehrte der Vater die Menschen, dass der Sohn das wahrhaftige Brot aus dem Himmel sei und der Welt das Leben gebe.
zuerst war und taufte. Und er blieb dort. 41 Und viele kamen zu ihm und sagten: ‘Johannes
tat kein Zeichen. Aber alles, was immer Johannes über diesen sagte, war wahr.’
42 Und viele glaubten dort an ihn.”
181 Vgl. 7, 29; 8, 55E.
Derselbe himmlische Vater, der den Sohn deshalb sandte, weil er alle Menschen so sehr liebte (3, 16), zieht diejenigen zum Sohn, die sich retten lassen wollen. Es sollte den Gesprächspartnern Jesu nun klar geworden sein, dass Jesus nicht eigenmächtig handelte182, wenn er sagte: „Wahrlich! Wahrlich! Ich sage euch: Der, der an mich glaubt, hat ewiges Leben. Ich bin das Brot des Lebens.“
„Viele also von seinen Jüngern sagten, als sie es gehört hatten: ‘Dieses Wort ist hart. Wer kann es hören?’ 61 Da Jesus in sich selbst wusste, dass seine Jünger hierüber murrten, sagte er zu ihnen: ‘Nehmt ihr an diesem Anstoß? 62 Und wenn ihr den Sohn des Menschen aufsteigen schaut [dahin], wo er zuvor war – ? 63 Der Geist ist es, der lebend macht. Das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch rede, sind Geist und sind Leben. 64 Es sind jedoch einige unter euch, die nicht glauben.’ – denn Jesus wusste von Anfang an, welche die waren, die nicht glaubten, und wer der war, der ihn ‹verraten und› ausliefern werde. 65 Und er sagte: ‘Deswegen habe ich euch gesagt, dass niemand zu mir kommen kann, es sei ihm denn von meinem Vater her gegeben.’ 66 Wegen dieses [Wortes] gingen viele seiner Jünger weg, zurück, und wandelten nicht mehr mit ihm. 67 Darauf sagte Jesus zu den Zwölfen: ‘Wollt auch ihr weggehen?’“ Niemand kann zum Sohn kommen und Heil und Leben empfangen, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben ist. Jesus sagte nicht: „Niemand kann zu Gott kommen, es sei ihm denn von Gott gegeben.“ Und er sagte nicht, es sei lediglich einer bestimmten, zuvor ausgewählten Schar von Menschen gegeben, von ihren bösen Wegen umzukehren und an Christus zu glauben und gerettet zu werden. Nein. Alle sind aufgerufen, Buße zu tun. Alle dürfen und sollen kommen. Die Tür ist offen.183
182 Jesus beteuert des Öfteren, dass er nicht seinen eigenen Willen tut (6, 38) und dass diese
seine einzigartige Stellung als alleiniger Heilsvermittler gänzlich dem Willen des Vaters
entspricht (6, 39.40). Er ist nicht auf eigene Faust gekommen. Gott hat ihn gesandt
(6, 32; 7, 16 u.a.). Er ist und tut genau das, was der Vater beabsichtigt hat. Er weiß sich
ganz vom Vater abhängig. Der Vater ist es, der die Menschen zum Sohn weist. Jesus sagt:
Ich handle nicht unabhängig von meinem Vater, wie ihr meint, dass ich tue. Ich bin gekommen,
um nur den Willen des Vaters zu tun, nicht meinen eigenen. Wenn Menschen
zu mir kommen, dann sind es solche, die der Vater selbst mir gegeben hat.
183 Jesus rief (Matthäus 11, 28): „Kommt her zu mir, alle…“ (Vgl. Markus 1, 15; Johannes 7, 37.)
Was aber meinte der Herr mit dem Satz in V. 65? Warum sagte er zu diesen ungläubigen Juden, die ohnehin nicht zu Jesus kommen wollten, dass keiner zum Sohn kommen könne, wenn es ihm nicht vom Vater her gegeben sei? Der Herr zeigt den Juden, dass die Ursache für das gespannte Verhältnis zwischen ihm und ihnen nicht darin liegt, dass er eigenmächtig handelt (was sie ihm vorwerfen). Nein. Wie gerne will er, dass sie alle an ihn glauben!184 Aber sie wollen sich nicht belehren lassen, dass er vom Vater her gekommen ist und im Auftrag des Vaters handelt. Jesus beteuert mehrmals, dass er nicht von sich aus tut, was er tut. Er hat kein Eigeninteresse. Es liegt ihm nicht daran, für sich Anhänger zu sammeln. Er sucht nur die Ehre dessen, der ihn gesandt hat. (Johannes 7, 18; 8, 50.54) Die Initiative für seine Mission geht vom Vater aus. Jesus wusste: Etliche waren da, die nicht glaubten. (V. 64). Eben vorher hatte er zu ihnen gesagt, dass keiner zum Sohn kommen könne, wenn es ihm nicht vom Vater her gegeben sei (V. 65A): „Deswegen habe ich euch gesagt…“. Der Herr bezieht sich auf seine Aussagen von vorhin. Was hatte er denn gesagt?
• In V. 37 hatte er gesagt, dass alles, was der Vater ihm gebe, zu ihm kommen werde.
• In V. 44 hatte er gesagt, dass niemand zu ihm, dem Sohn, hinkommen könne, wenn nicht sein Vater, der ihn geschickt hatte, ihn ziehe. Und jetzt, in V. 65, erinnerte er sie daran: „Deswegen habe ich euch gesagt, dass niemand zu mir kommen kann, es sei ihm denn von meinem Vater her gegeben.“
Gott will, „dass alle gerettet werden“ (1. Timotheus 2, 3.4).
Gott ist „der Retter aller Menschen“ (1. Timotheus 4, 10). „Es erschien die Gnade Gottes, die allen Menschen Heil bringt“ (Titus 2, 11).
Gott sagt in Hesekiel 18, 23: „Habe ich etwa Gefallen am Tod des Ehrfurchtslosen? … –
nicht vielmehr daran, dass er von seinen Wegen umkehre und lebe?”
Und 33, 11: „So wahr ich lebe, spricht der Herr, Jahweh, ich habe kein Gefallen am Tod
des Ehrfurchtslosen, sondern dass der Ehrfurchtslose von seinem Weg umkehre und
lebe! Kehrt um, kehrt um von euren bösen Wegen! – denn warum wollt ihr sterben,
Haus Israel?!”
Es ist nicht der Wille des Vaters in den Himmeln, „dass einer dieser Kleinen umkomme.“
(Matthäus 18, 14) Es ist nicht nur sein Wille, sondern auch sein Gebot (Apostelgeschichte 17, 30): „Nachdem
also Gott über die Zeiten der Unwissenheit hinweggesehen hat, weist er zu dieser Zeit
alle Menschen überall an, Buße zu tun“.
184 Vgl. Lukas 13, 34.
Gemäß V. 37.44.45 muss man vom Vater gezogen, d. h. belehrt worden sein, ehe man zum Sohn kommen kann. Man braucht eine Offenbarung bezüglich der Frage, wer der Sohn ist. Petrus hatte die Offenbarung bekommen. Wie? Indem er auf die Worte des Vaters hörte, sich belehren ließ. Er war bereit Gottes Willen zu tun, und der Vater gab ihm das nötige Licht. Niemand kann zum Sohn Gottes kommen, wenn es ihm nicht vom Vater her gegeben ist. Wem gibt der Vater diese Offenbarung? Jedem, der sich belehren lässt. Wo hört man die Lehre des Vaters? Aus dem Munde Jesu! Vorher hatte er davon gesprochen, dass „jeder, der vom Vater gehört und gelernt hat“, zum Sohn kommen werde (V. 45M). Nur solche! – denn alle (zum Sohn) Gekommenen werden solche sein, die „von Gott gelehrt“ worden sind. Ohne die Lehre des Vaters (bezüglich des Sohnes) angenommen zu haben, kann keiner zum Sohn kommen. Das steht schon in den alten jüdischen Schriften. Jesus verweist auf Jesaja 54, 13: „Sie werden alle von Gott gelehrt sein.“ Jesus ringt um diese ungläubigen Juden. Er will, dass sie sich retten lassen. Er erinnert sie an seine Worte von vorhin: Zu mir kann nur kommen, wem es von meinem Vater her gegeben ist (V. 37), wer vom Vater zu mir gezogen wird (V. 44), wer von Gott gelehrt ist (V. 45). „Gegeben“ ist „gezogen“; gezogen wird man durch die göttliche Belehrung! Es gibt keinen anderen Weg. Das Wort des Vaters, die göttliche Belehrung ist heilsnotwendig für Jesu Hörer. Da geht kein Weg vorbei. Und eben jetzt gibt ihnen der Vater die Gelegenheit! Hier steht Jesus vor ihnen – mit der Lehre des Vaters. Werden sie sich vom Vater belehren und zum Sohn hin ziehen lassen? Er zeigt ihnen: Ihr lieben jüdischen Freunde, hört einmal her: Um den Weg des Heils zu beschreiten, müsst ihr zum Sohn kommen. Der Sohn ist vom Himmel herabgekommen, um der Welt das Leben zu geben (V. 33). Ihr müsst den Sohn „essen“ (V. 35.48-58). Nur so bekommt ihr ewiges Leben. Jetzt ist die Gelegenheit, euch belehren und zum Sohn ziehen zu lassen. Nehmt nicht Anstoß an mir! (V. 61) Der Sohn des Menschen wird euch wieder verlassen, wird wieder dahin aufsteigen, wo er zuvor war (V. 62). Wenn ihr euch jetzt nicht belehren und zum Sohn ziehen lasst, was werdet ihr dann tun, wenn der Sohn wieder in den Himmel gegangen sein wird? Die Worte, die ich zu euch rede, sind Geist und sind Leben (V. 63). Was ich euch hier sage, ist für euch lebenswichtig. Es sind Worte des Geistes Gottes an euch. Wollt ihr diese Lehre an euch unverrichteter Dinge vorbeigehen lassen? Einige von euch glauben nicht. Sie haben noch nicht erkannt, dass es um Tod und Leben geht. Deswegen habe ich euch gesagt, dass niemand zu mir kommen kann, wenn es ihm nicht von meinem Vater her gegeben ist (V. 65). Jetzt wird es euch gegeben! Jetzt und hier geschieht die göttliche Belehrung! Das Ziehen findet hier statt! Meine Worte sind die Lehre des Vaters (V. 63.68)! Meine Lehre ist nicht meine, sondern dessen, der mich schickte185. Ohne euch durch diese Lehre belehren zu lassen, die die Lehre des Vaters ist, könnt ihr nicht Heil und Leben empfangen. Und Gott gibt sie euch! Bemüht euch nicht um vergängliche Speise, sondern um eine, die ins ewige Leben bleibt, die, die ich euch gebe (V. 29)! Ich bin das Brot des Lebens. Esst!186 Meine Worte sind Leben. Kommt zu mir. Trinkt!187 Etwas später macht er sie wiederum darauf aufmerksam, dass er zum Vater zurückkehren werde (7, 33.34): „Noch eine kleine Zeit bin ich bei euch, und ich gehe weg, hin zu dem, der mich schickte. 34 Ihr werdet mich suchen und nicht finden, und wo ich bin, könnt ihr nicht hinkommen.“ Deshalb sollen sie zu ihm kommen, ihm folgen (7, 37.38; 8, 12). In 8, 21 nochmals: „Ich gehe weg. Und ihr werdet mich suchen, und in eurer Sünde werdet ihr sterben. Wohin ich gehe, könnt ihr nicht kommen.“ Mit allem Ernst ruft er sie auf, sich vom Vater belehren zu lassen und so zum Sohn hin ziehen zu lassen (8, 23.24): „Ihr seid von dem, das unten ist. Ich bin von dem, das oben ist. Ihr seid von dieser Welt. Ich bin nicht von dieser Welt. Also sagte ich zu euch: ‘Ihr werdet in euren Sünden sterben’, denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr in euren Sünden sterben.’“ Er warnt sie vor dem ewigen Tod. Wie sehr möchte er, dass sie glauben, dass „er es ist“! Aber sie wollen nicht verstehen. Auf die Frage, wer er denn sei, antwortet er (8, 25M.26): „Zum Ersten das, was ich euch auch sage. Vieles habe ich über euch zu sagen und zu urteilen; der jedoch, der mich schickte, ist wahrhaftig, und ich, was ich von ihm hörte, dieses sage ich zur Welt.’“ Wieder betont er, dass seine Lehre nicht seine eigene ist. Er sehnt sich danach, dass sie sich vom Vater her belehren und zum Sohn zie-
185 Vgl. 7, 16-18; 3, 34; 8, 38.40.42; 12, 49.50.
186 Vgl. 6, 35.47.48.51.57.58.
187 Vgl. 7, 37.
hen lassen. Wenn sie doch nur glauben würden, dass er es ist! Dass er was ist? Das, wovon er mehrmals zu ihnen gesprochen hatte: der Gesandte Gottes, der Sohn, das Leben, das Brot des Lebens. Wieder spricht er von seinem Weggang (8, 28.29): „Es sagte also Jesus zu ihnen: ‘Wenn ihr den Sohn des Menschen erhöht haben werdet, dann werdet ihr merken, dass ich es bin und dass ich aus mir selbst nichts tue, sondern so, wie mein Vater mich lehrte, das rede ich. Und der, der mich schickte, ist mit mir. Der Vater hat mich nicht alleine gelassen, weil ich allezeit das tue, was ihm gefällt.“ Jesus weiß: Es gibt ein Zu-spät. Wenn sie den Menschensohn endgültig verwerfen, wird Gott sie verwerfen.188 Noch hofft er. Noch ringt er um ihre Seelen: „Warum kennt ihr nicht, was ich sage?“ (8, 43) „Warum glaubt ihr mir nicht?“ (8, 46) Jesus weiß, wie kritisch der Augenblick ist und wie ernst es um sie steht. „Wenn jemand mein Wort hält, wird er den Tod nicht sehen in Ewigkeit.“ (8, 51) Haltet mein Wort! Es ist die Lehre des Vaters. Ich agiere nicht von mir selbst aus. „Ich kenne ihn wirklich. Und ich halte sein Wort.“ (8, 55) Hier ist göttliche Belehrung! Hier ist das Ziehen des Vaters zum Sohn, ohne welches niemand zum Sohn hinkommen kann! War Gott nicht willig, jene Juden zum Sohn hin zu ziehen? Und ob! Aber sie wollten die Gelegenheit nicht ergreifen. Sondern sie ergriffen Steine (8, 59). Warum wollten sie nicht kommen? Weil sie die Finsternis mehr liebten als das Licht.189 Weil sie nicht wirklich Interesse an der Wahrheit hatten.190 Weil sie letztlich die Schöpfung mehr liebten als den Schöpfer.191 In Johannes 6, 67 fragte der Herr seine Jünger: „Wollt auch ihr weggehen?“ Er stellt sie vor die Entscheidung – so wie er jeden Menschen vor die Entscheidung stellt. Die muss der Mensch treffen. Die nimmt Gott ihm nicht ab.
188 Vgl. Matthäus 13, 12-15; 21, 42-45; Apostelgeschichte 28, 25-28; Römer 11, 7-10; 2. Korinther 4, 3.4; 1. Thessalonischer 2, 15.16.
189 Vgl. Johannes 3, 19.20.
190 Vgl. Johannes 7, 15.19.28; 8, 23.44.55.59. S. a. die Ausführungen zu Johannes 7-9 u. 8, 23-59.
191 Vgl. Lukas 14, 16-20.
„Wer aus192 Gott ist, hört die Worte Gottes. Deswegen hört ihr nicht, weil ihr nicht aus Gott seid.“
(8, 47) Wer kann hören? Jesus spricht in einem vorwurfsvollen Ton. Die Männer der jüdischen Führung hörten nicht auf Jesus, weil sie nicht aus Gott waren. Jesus weiß: Wahres Hören ist erst möglich, wenn der Hörer „aus Gott“ ist. Der Ausdruck „aus/von193 Gott“ wird nicht immer ausschließlich auf Wiedergeborene angewandt. In V. 47 ist er allgemeiner gefasst. Der Ausleger Godet schreibt zu dem Begriff „aus/von Gott“: „Der Ausdruck von Gott sein bezeichnet den Zustand eines Gemüts, das sich unter den Einfluss der göttlichen Tätigkeit gestellt hat und jetzt darunter steht.“194 Der Teufel stand nicht in der Wahrheit. (V. 44) Nur wer sich in die Wahrheit stellt und in der Wahrheit steht, wird bereit sein zu hören. „Stehen in der Wahrheit“ hat in diesem Zusammenhang nichts mit „wiedergeboren sein“ zu tun. Ebenso ist es mit dem Ausdruck „aus der Wahrheit sein“. Er ist allgemein aufzufassen. Der Satz: „Wer aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ (18, 37) ist eine allgemeine Feststellung, die sich nicht spezifisch nur auf Wiedergeborene anwenden lässt. Wenn sie für Wiedergeborene stimmt (ein Wiedergeborener hört auf Gottes Stimme bzw. auf Gottes Worte), so darf nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass jeder, der auf Gott hört, schon deshalb wiedergeboren sei, weil er auf Gott hört. Das wäre ein unzulässiger Umkehrschluss. Ein Pferd hat vier Beine. Aber nicht alles, was vier Beine hat, ist ein Pferd. Ein Wiedergeborener hört auf Gott. Aber nicht jeder, der auf Gott hört, ist allein deshalb schon wiedergeboren. Dass auch Nichtwiedergeborene auf Christi Stimme hören können, setzt der Herr voraus, wenn er seine Hörer wiederholt aufruft: „Wer Ohren zum Hören hat, höre!“ Damit ist jeder Mensch gemeint, denn jeder dieser Leute, mit denen Jesus hier sprach, hatte Ohren. Um glauben zu können, muss man zuvor hören (Römer 10, 14)195.
192 o.: von; so auch im Folg.
193 Die griech. Präposition ek kann „aus“ (aus … heraus) oder „von“ (von … her) bedeuten.
194 Godet, zum Evangelium des Johannes, S. 348
195 Römer 10, 14: „Wie also sollen sie anrufen den, an den sie nicht glaubten? Wie sollen sie aber ‹an einen› glauben, von dem sie nicht hörten?“
196 o.: aus; griech. ek; so viermal in diesem Vers.
197 Einen ähnlichen Gebrauch von ek (aus, von) finden wir in 8, 42 („aus/von [ek] Gott ging
ich aus“), in Römer 2, 29 („eines solchen Lob ist nicht von [ek] Menschen, sondern von [ek] Gott.“), in 1. Korinther 11, 12 („wie die Frau vom [ek] Manne ist, so ist auch der Mann durch die Frau; aber alles von [ek] Gott”) und in Offenbarung 11, 11 („Lebensgeist von/aus [ek] Gott“).
198 o.: aus
199 Vgl. Epheser 2, 1-3.
200 o.: aus
In Johannes 8 geht es um das Thema „Herkunft“: Jesus ist von oben; die jüdischen Gesprächspartner Jesu, sind von unten (8, 23): „Er sagte zu ihnen: ‘Ihr seid von196 dem, das unten ist. Ich bin von dem, das oben ist. Ihr seid von dieser Welt. Ich bin nicht von dieser Welt.“
Der Herr will die Behauptungen seiner Gegner dementieren, die sagen, sie seien von Gott; sie kämen von Gott her.197 Sie behaupten: „Unser Vater ist Abraham“ (8, 39), und: „Wir sind nicht aus Unzucht heraus geboren worden. Einen Vater haben wir: Gott!“ (8, 41). Damit meinen sie nicht, dass sie „aus Gott geboren“ (also „wiedergeboren“ im neutestamentlichen Sinne) seien. Jesus will seinen Gegnern helfen, die Wahrheit über sich selbst und über den Sohn Gottes zu erkennen. In seiner Güte und Gnade deckt er Dinge auf, die ihnen bisher verborgen waren. Er tut dieses, obwohl sie nicht bereit sind. Aber er gibt ihnen Licht, falls doch noch jemand hören will. Er hilft ihnen zur eigenen Standortbestimmung: Ihr seid nicht von Gott her. Ihr kommt nicht von ihm. Ihr seid von unten her (8, 23). Ich bin von oben her. Wäre Gott euer „Vater“, d. h., wäre eure geistliche Herkunft von dort, so würdet ihr auf mich hören (V. 42): „Wäre Gott euer Vater, hättet ihr mich geliebt, denn von198 Gott ging ich aus und bin ich gekommen, denn nicht von mir selbst bin ich gekommen, sondern jener sandte mich.“
Die Tatsache, dass sie den Herrn Jesus nicht lieben und nicht auf ihn hören, beweist, dass Jesus Recht hat: Sie sind von der anderen Seite. Ihr „Vater“ ist der Teufel; d. h., ihre geistliche Herkunft ist von dort. Der Teufel hat einen erzeugenden Einfluss in ihrem Leben. Von ihm ist, was in ihnen vorhanden ist. Sie wandeln nach dem Geist dieser Welt.199 Der Feind hat Einfluss auf ihr Denken, Wollen und Handeln. Der Herr sagt es ihnen frei heraus (V. 43-45): „Warum kennt ihr nicht, was ich rede? – weil ihr mein Wort nicht hören könnt. Ihr seid von200 dem Vater, dem Teufel, und das Begehren eures Vaters wollt ihr tun. Der war von Anfang ein Menschenmörder, und er ist nicht gestanden in der Wahrheit, weil Wahrheit nicht in ihm ist. Wenn er die Lüge redet, redet er aus seinem Eigenen, weil er ein Lügner ist und der Vater derselben. Aber ich – weil ich die Wahrheit sage, glaubt ihr mir nicht.“
Das Thema der Unterredung ist nicht die Frage, ob Jesu Gesprächspartner durch Gottes Geist wiedergeboren sind oder nicht. Das Thema ist ihre geistliche Abstammung, ihre „Familienähnlichkeit“, und die Frage, unter wessen Einfluss sie stehen. Wer auf Jesus hört, ist „aus Gott“, kommt in geistlicher Hinsicht von ihm her, steht unter seinem Einfluss wie das Kind unter dem seines Vaters. Die Gegner Jesu behaupteten, sie kämen von Gott her – wie Jesus das von sich behauptete. Jesus beweist durch sein sittliches Verhalten, dass er tatsächlich von Gott her kommt – und daher auch seine Lehre von Gott ist (V. 46): „Wer von euch weist mir Sünde nach?“ Er beweist, dass er Gott wirklich kennt und sein Wort hält.201 Sie hingegen sind von dem Teufel her, stammen gleichsam von ihm ab (8, 44). Sie gehören nicht Gott an, halten auch nicht Gottes Gesetz ein (7, 19). Sie kennen Gott nicht wirklich. Wer sagt, dass Gott sein „Vater“ ist, dessen Leben und Haltung sollte beweisen, dass er unter dem guten Einfluss und der Schule dieses Vaters steht; der sollte so leben wie der Vater; der sollte Liebe zu dem beweisen, den der Vater so sehr liebt: den Sohn. Wer wirklich „aus Gott“ ist, sollte sich zum Geliebten Gottes gesellen. Sie aber, sie kennen nicht einmal, was Jesus redet. Sie sind nicht imstande, wirklich auf ihn zu hören. Warum nicht? Weil sie sein Wort nicht hören können (8, 43). Sie beweisen dadurch nur, dass sie keine wirkliche Beziehung zum Vater haben, auch kein wirkliches Interesse an ihm haben – trotz ihrer Beteuerungen, dass Gott ihr Vater sei. Jesus deckt ihr wahres Wesen auf. Gleichzeitig weist er auf seine eigene Lauterkeit und Wahrheit hin (V. 46.47): „Wer von euch weist mir Sünde nach? Wenn ich aber Wahrheit rede, warum glaubt ihr mir nicht? Wer von Gott her202 ist, hört die Worte Gottes. Deswegen hört ihr nicht, weil ihr nicht von Gott her seid.“
Warum glaubt ihr mir nicht? Ihr behauptet, Abrahams Kinder zu sein. Dann aber solltet ihr denselben Glauben haben wie Abraham.
201 Vgl. Johannes 7, 29; 8, 55
202 o.: aus Gott; so auch im Folg.
Ihr solltet mit ihm geistesverwandt sein. Es sollte eine Familienähnlichkeit zwischen euch und ihm bestehen. Kinder lernen vom Vater. Wer wirklich von Abraham gelernt hat, beweist durch seine Taten und Worte, dass er von ihm her ist. Eure Taten aber beweisen das Gegenteil (8, 39-41A). Jesu Frage ist berechtigt: „Warum glaubt ihr mir nicht?“ Wenn Gott ihr Vater ist, warum hören sie denn nicht auf ihn? (8, 47) Jesus deckt sie auf: Sie glauben nicht (8, 46). Warum glauben sie nicht? Weil sie die Finsternis lieben, die Unwahrheit. Ihre Behauptung, „Wir sind aus Gott“ ist eine Lüge. Wären sie wirklich an der Wahrheit interessiert, würden sie auf Jesus hören, denn jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf Jesu Stimme (18, 37E). Sie beweisen damit, dass sie kein wirkliches Interesse an Jesu Worten haben – und kein wirkliches Interesse an der Wahrheit überhaupt. Offenbar hatten sie ihr Herz verhärtet bzw. waren nahe daran, dieses zu tun. V. 48.49: „Da antworteten die Juden und sagten zu ihm: ‘Sagen wir nicht zu Recht, dass du ein Samariter bist und einen Dämon hast?’ 49 Jesus antwortete: ‘Ich habe keinen Dämon, sondern ich ehre meinen Vater, und ihr entehrt mich.“ So weit ist es gekommen, dass er das ausdrücklich verneinen muss! Er nimmt sich in Demut die Zeit und Mühe, das ausdrücklich zu verneinen. Es war eine so furchtbare und banale Anklage, dass er gar nicht hätte darauf eingehen müssen. Aber er liebt sie. V. 50-52: „Aber ich suche nicht meine Ehre. Es ist der da, der sie sucht und der urteilt. 51 Wahrlich! Wahrlich! Ich sage euch: Wenn jemand mein Wort hält, wird er den Tod nicht schauen in Ewigkeit.’ 52 Da sagten die Juden zu ihm: ‘Jetzt erkennen wir, dass du einen Dämon hast. Abraham ist gestorben und die Propheten, und du sagst: ‘Wenn jemand mein Wort hält, wird er den Tod nicht schmecken in Ewigkeit.’“ Hier merken wir die Voreingenommenheit dieser Menschen. Sie sind nicht gesprächsbereit. Wenn man mit jemandem spricht, müsste man sich schon einmal fragen, ob der andere auch Recht haben könnte. Sonst ist es kein Gespräch. Aber das kommt bei ihnen nicht in Frage. Nur sie haben Recht (in ihren Augen). Jesus muss im Unrecht sein. Hier sieht man, dass sie gar nicht an der Wahrheit interessiert sind. V. 53: „Bist du etwa größer als unser Vater Abraham, der gestorben ist? Auch die Propheten starben. Was machst du aus dir selbst?“ Nichts. Er hatte das nicht nötig. Man braucht nicht aus sich selbst etwas zu machen. Er war der, der er war. V. 54.55: „Jesus antwortete: ‘Wenn ich mich selbst verherrliche, ist meine Herrlichkeit nichts. Mein Vater ist es, der mich verherrlicht, der, von dem ihr sagt, dass er euer Gott ist. 55 Und ihr habt ihn nicht gekannt. Aber ich kenne ihn wirklich. Und wenn ich sagen sollte: ‘Ich kenne ihn nicht wirklich’, würde ich – euch ähnlich – ein Lügner sein. Ich kenne ihn jedoch wirklich, und sein Wort halte ich.“ Jesus nimmt kein Blatt vor den Mund, aber er redet in Liebe. Er bemüht sich um sie. V. 59: „Daraufhin hoben sie Steine auf, um auf ihn zu werfen. Aber Jesus verbarg sich. Und er ging aus der Tempelstätte und ging durch ihre Mitte hindurch. Und auf diese Weise entwich er.“
Wie traurig! Hier steht der fleischgewordene Gott vor ihnen, der Abraham die Verheißung gegeben hat und der selber die Erfüllung dieser Verheißung ist. Und sie, die so genannten Kinder Abrahams, heben Steine auf, um ihren Retter hinzurichten. Sie wollen den töten, der das ewige Leben in Person ist. Sie wollen das Licht der Welt löschen. Und er – in seiner großen Barmherzigkeit – geht aus dem Tempel hinaus (V. 59M): „Und er ging aus der Tempelstätte und ging durch ihre Mitte hindurch. Und auf diese Weise entwich er.“
Sein Antlitz ist nach Golgatha gerichtet, um dort für sie zu sterben! K. 8 beginnt und schließt mit einer versuchten Steinigung. Zuerst wollten die Juden die Sünderin steinigen, aber das Licht stellte ihre eigene Sünde bloß. So gingen sie aus dem unbequemen Lichtschein weg – in die Finsternis. Und hier, nachdem das Licht der Welt ihnen nochmals ihre Sünde aufgezeigt hatte, ergreifen sie Steine, um das Licht selbst zu löschen. Trefflich sagte der Herr Jesus (Matthäus 13, 13-15): „… das Herz dieses Volkes wurde empfindungslos, und mit den Ohren wurden sie schwerhörig, und ihre Augen verschlossen sie, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen vernehmen ‹und verstehen› und umkehren möchten und ich sie heilte.’ (Vgl. Jesaja 6, 9.10.)“ Ehe der Mensch sein Herz verhärtet, kann er sehr wohl hören. „Wer Ohren zum Hören hat, der höre!“ Nichtwiedergeborene sind in der Lage, Gottes Wort aufzunehmen. Wären diese Juden gar nicht in der Lage gewesen, Gottes Wort aufzunehmen, hätte der Herr sich nicht so sehr um sie bemüht.
Johannes 10, 26-29: „Ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen, so wie ich euch sagte. 27 Meine Schafe hören auf meine Stimme. Und ich kenne sie. Und sie folgen mir. 28 Und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie gehen in Ewigkeit nicht ins Verderben. Und niemand wird sie aus meiner Hand rauben. 29 Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus der Hand meines Vaters rauben.“ Jesus Christus ist der gute Hirte. Das Volk Israel sind die Schafe. Es gibt im großen Pferch verschiedene Schafherden (so wie es im jüdischen Volk unterschiedliche Arten von Menschen gab). Eine dieser Herden war die Schar des Messias, die Gruppe derer, die inzwischen zum Glauben an ihn gekommen waren bzw. die von Johannes dem Täufer vorbereitet waren, der gläubige Kern des jüdischen Volkes. Sie sind Jesu „eigene Schafe“. Sie sind die, die der Vater seinem Sohn zum Eigentum gab. Warum bekehrten gerade sie sich, warum nicht andere? Weil sie auf das Kommen des Messias vorbereitet waren – nicht zuletzt durch den guten Dienst des Täufers, der dem Messias den Weg bereitete. Die ersten Christen kamen aus den unteren Gesellschaftsschichten (Arme, Verachtete, Schwache). Es waren zum Großteil diejenigen, die die Predigt des Täufers gehört hatten. Ihnen fiel es weniger schwer, an Jesus Christus zu glauben. Der Täufer hatte dem Herrn ein zugerüstetes Volk bereitet203. Viele von den „Schafen“, die der Vater dem Sohn gab, waren vorher Jünger des Täufers gewor-
203 Vgl. Johannes 1, 7.31; Markus 1, 2-5; Lukas 7, 27-30.
den. Als sie dann Jesus Christus hörten, glaubten sie. Buße hatten sie schon getan und in ihrer Taufe bewiesen. Sie liebten nicht „die Dunkelheit mehr als das Licht“ (Johannes 3, 19). In Johannes 10, 26 sagte nun der Herr zu den Juden: „Ihr glaubt jedoch nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen, so wie ich euch sagte.“ Wer waren diese, die „nicht Schafe“ Jesu waren? Die, die sich geweigert hatten, Buße zu tun. Die Pharisäer, mit denen Jesus hier sprach, konnten nicht glauben. Warum nicht? Weil sie nicht von den Schafen Christi waren. Nur diejenigen können glauben, die der Vater dem Sohn gegeben hat. Diese hier waren nicht vom Vater dem Sohn gegeben worden. Warum nicht? Wollte der Vater nicht? Oder wollten die Pharisäer nicht? In der Betrachtung von Johannes 6, 44.45 haben wir erfahren, welche es sind, die der Vater dem Sohn gibt: alle, die sich von Gott bzgl. des Sohnes belehren lassen. Die Pharisäer hatten sich nicht vom Vater belehren lassen. Sie waren nicht zum Täufer gekommen. Sie waren nicht willig gewesen, Buße zu tun und sich taufen zu lassen. Lukas berichtet (7, 29.30): „Und das ganze Volk, als es [ihn] hörte, und die Zolleinnehmer rechtfertigten Gott und wurden mit der Taufe des Johannes getauft. Aber die Pharisäer und die Gesetzesgelehrten lehnten den Ratschluss Gottes für sich selbst ab, und ließen sich nicht von ihm taufen.“ Diese Pharisäer konnten nicht glauben, weil sie nicht von den Schafen Christi waren; und sie waren deshalb nicht von den Schafen Christi, weil sie es nicht werden wollten. Sie wollten nicht nur nicht zu Jesus kommen. Sie wollten Jesus umbringen (Johannes 8, 59; 10, 31). Vorher waren sie nicht bereit gewesen, auf Johannes den Täufer zu hören. Dann waren sie nicht bereit gewesen, auf Jesus zu hören. Deshalb konnten sie auch kein Licht bekommen, um zu glauben. Nur der, der bereit ist, den Willen Gottes zu tun, bekommt Licht (Johannes 7, 17). Nur der, der sich der „Weisung“ und dem „Zeugnis“ Gottes zuwendet, erhält seine „Morgendämmerung“ (Jesaja 8, 20). Nun waren ihre Augen verblendet. Nicht deshalb, weil sie von Ewigkeit her dazu prädestiniert waren, nicht zum Glauben kommen zu dürfen, sondern weil sie das Licht, das sie bereits erhalten hatten, nicht ansehen wollten (Johannes 9, 39-41)204. Noch war das Licht da. Noch hätten sie glauben können. Jesus sagte zu ihnen (12, 35.36A): „Noch eine kleine Zeit ist das Licht bei euch. Wandelt, solange ihr
204 Siehe die Ausführungen zu Johannes 9, 41.
das Licht habt, damit nicht Dunkelheit euch erfasse. Und der, der in der Dunkelheit wandelt, weiß nicht, wohin er geht. 36 Solange ihr das Licht habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne des Lichtes werdet.“ Dann ging er weg (Johannes 12, 36M-40): „Diese Dinge redete Jesus, und er ging weg und verbarg sich vor ihnen. 37 So viele Zeichen er nämlich vor ihnen getan hatte – : Sie glaubten nicht an ihn, 38 damit das Wort des Propheten Jesaja erfüllt werde, das er sagte: ‘Herr, wer hat unserer Verkündigung geglaubt, und der Arm des Herrn, wem ist er geoffenbart worden?’ (Jesaja 53, 1) 39 Deswegen konnten sie nicht glauben, weil wiederum Jesaja sagte: 40 ‘Er hat ihre Augen blind gemacht, und ihr Herz hat er verhärtet, damit sie nicht mit den Augen sähen und mit dem Herzen verständen und sie umkehrten und ich sie heilte.’“205 Ohne Bereitwilligkeit zur Buße kann niemand Licht bekommen und glauben. Zum Glauben braucht man Fakten. An Jesus glauben kann man nur, wenn man sich vom Vater in Bezug auf den Sohn belehren lässt. Petrus ließ sich belehren und bekam Licht206. Die gottesfürchtige Lydia ebenfalls.207
„Und eine gewisse Frau namens Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyateira, die Gott in Ehrfurcht hielt, hörte zu. Ihr tat der Herr das Herz ‹ganz› auf, sodass sie Acht gab auf das, was von Paulus geredet wurde.“ Aus unserer Betrachtung von Römer 9 haben wir erfahren, dass Gott nicht willkürlich dem einen das Herz öffnet und einem anderen nicht. Was veranlasste Gott, der Purpurhändlerin das Herz ganz zu öffnen, sodass sie auf die Botschaft des Apostels Paulus Acht gab? Wir wissen es nicht. Aber wir lesen, dass sie Gott „in Ehrfurcht hielt“, und dass sie zuhörte. Im Gegensatz zu Lydia stehen die Pharisäer und Schriftgelehrten. Lydias Herz wurde geöffnet; jene aber wurden verhärtet. Gott wollte auch ihnen das Herz öffnen. Sein
205 Vgl. a. Matthäus 13, 11-15; Apostelgeschichte 28, 25-28.
206 Matthäus 16, 17: „Ein Seliger bist du, Simon Barjona, weil Fleisch und Blut es dir nicht offenbarten,
sondern mein Vater, der in den Himmeln ist.“
207 Siehe nächstes K.
Ratschluss war, sie zum Heil zu führen. Aber sie „lehnten Gottes Ratschluss für sich selbst ab“208 (Lukas 7, 30). Lydia nicht. Sie brachte die richtigen Voraussetzungen mit. Sie hielt Gott in Ehrfurcht und hörte der Verkündigung des Paulus zu. Der Vater konnte sie zum Sohn ziehen. Ähnlich war es mit dem römischen Hauptmann Kornelius gewesen: Er war „ehrfürchtig (o.: fromm) und Gott fürchtend zusammen mit seinem ganzen Hause, der dem Volk viele Almosen gab und immerzu zu Gott flehte.“ (Apostelgeschichte 10, 2). Dass er zur Buße und zum Tun des Willens Gottes bereit war, steht außer Zweifel. Was ihm fehlte, war Licht (Erkenntnis) in Bezug auf den Sohn Gottes. Durch die Unterweisung des Petrus empfing er es. So konnte ihn der Vater zum Sohn ziehen. Gemäß Johannes 7, 17 ist die Bedingung dafür, dass man Erkenntnis bekommt, diejenige, dass man bereit ist, Gottes Willen zu tun und sich vom Vater in Bezug auf den Sohn und den Heilsweg belehren lässt. Gott ist nur allzu willig, dem Menschen das Herz zu öffnen. Die Frage ist, ob der Mensch sich das Herz öffnen lässt. Der Herr „neigt“ unser Herz, wenn wir es neigen lassen. David wollte sein Herz von Gott neigen lassen. Er betete (Psalm 119, 36): „Neige mein Herz zu deinen Zeugnissen und nicht zum Gewinn” und (141, 4): „Lass mein Herz nicht zu böser Sache sich neigen, Handlungen in Ehrfurchtslosigkeit zu verüben … !”209 Findet Gott bei Menschen dieses „Geneigtsein“, so neigt er die Herzen. Wer ist der Initiator beim „Neigen“ des Herzens, Gott oder der Mensch? Ist es so, dass Gott Davids Herz deshalb neigt, weil David geneigt ist und um Neigung bittet? (So jedenfalls lesen wir es in Gottes Wort.) Oder ist es so, dass Gott David geneigt macht, sodass er darum bittet, Gott möge sein Herz neigen? (So allerdings steht es nicht geschrieben.) Letztlich wissen wir es nicht. Wir müssen es nicht wissen. Wir müssen – und sollen – nicht „philosophieren“. Wichtig ist, dass wir tun, was die Schrift sagt. Und sie sagt uns, dass wir unser Herz nei-
208 Elberfelder: „... haben den Ratschluss Gottes für sich selbst wirkungslos gemacht“
209 Dass der Mensch sein Herz neigen muss, zeigt auch Josua 24, 23: „So tut nun die fremden
Götter weg, die in eurer Mitte sind, und neigt euer Herz zu Jahweh, dem Gott Israels.“
Psalm 119, 112: „Ich habe mein Herz geneigt, deine Satzungen zu tun – für immer, bis ans
Ende.” (Vgl. a. Sprüche 2, 2; 22, 17.)
gen sollen, Gottes Satzungen zu tun, und dass wir darum beten sollen, dass Gott unser Herz zu seinen Zeugnissen neigt.
„… zu öffnen ihre Augen, dass sie umkehren von der Finsternis zum Licht und aus der Obrigkeit des Satans zu Gott [und] dass sie Vergebung der Sünden bekommen und ein Erbe unter denen, die durch den Glauben an mich geheiligt worden sind.”
Paulus ist gesandt, den Menschen die gute Botschaft zu bringen. Durch sie sollen ihnen die Augen geöffnet werden, dass sie umkehren von der Finsternis zum Licht und Vergebung der Sünden erhalten. Wer sich der Botschaft stellt, bekommt Licht in Bezug auf seine Sündhaftigkeit. Dann kommt es darauf an, was der Mensch mit dem von Gott empfangenen Licht tut. Was wird er mehr lieben: die Finsternis oder das Licht? Wer die Finsternis mehr liebt (Johannes 3, 19.20), wird mit der Zeit mehr und mehr verblendet. Paulus spricht von Menschen: „in denen der Gott dieser Weltzeit die Gedanken der Ungläubigen verblendete, sodass ihnen nicht aufleuchtet das helle Licht der guten Botschaft von der Herrlichkeit Christi, der Gottes Ebenbild ist“. (2. Korinther 4, 4) Jesus war „das Licht, das – in die Welt kommend – jedem Menschen leuchtet“ (Johannes 1, 9). Wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht (3, 21). Wer es hereinlässt und ihm folgt, bekommt mehr Licht; seine Erkenntnis wächst. Das Licht hilft dem Menschen, die Wahrheit über sich selbst zu erkennen und die über den Sohn Gottes. Wer auf das Licht positiv reagiert, erkennt mehr und mehr die Wahrheit. Und die Wahrheit macht ihn frei (8, 32). Die Augen werden hell. Freude kehrt ein. Die Bibel nennt das „Erleuchtung“ (Hebräer 10, 32). Wer die Dunkelheit mehr liebt als das Licht, wird sich vom Licht abwenden (Johannes 3, 19) und nicht wissen, wohin er geht. Jesus warnte seine Zeitgenossen davor (12, 35): „Noch eine kleine Zeit ist das Licht bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit nicht Dunkelheit euch erfasse. Und der, der in der Dunkelheit wandelt, weiß nicht, wohin er geht.“ Es gibt Menschen, die etwas von der Wahrheit „sehen“, etwas von Jesus Christus kennen lernen, ihn aber dennoch nicht als Herrn über sich annehmen wollen. Sie laden große Schuld auf sich.210 Wer Licht erhalten hat, aber nicht umkehren will, läuft Gefahr, sein Herz zu verhärten und schlussendlich von Gott verhärtet zu werden.211
13, 46-48: „Mit Freimütigkeit sagten Paulus und Barnabas: „Es war notwendig, euch zuerst das Wort Gottes zu sagen. Nachdem ihr es aber von euch stoßt und euch selbst des ewigen Lebens nicht würdig achtet – siehe– wir wenden uns zu denen von den Völkern, denn so hat der Herr uns geboten: ‘Ich habe dich zum Licht gesetzt für die von den Völkern, damit du zur Rettung seiest bis an das Ende der Erde.’ Als die von den Völkern es hörten, freuten sie sich und verherrlichten das Wort des Herrn. Und sie glaubten, so viele zum ewigen Leben eingestellt (o.: disponiert; gestimmt; gesetzt) worden waren.“
Das griech. Wort tassein hat mehrere Bedeutungen:
1. setzen, arrangieren, an einen (festen, geeigneten) Platz stellen, jemanden (für eine bestimmte Aufgabe, Funktion oder Rolle) zuordnen, mit einer Aufgabe betrauen
2. anordnen, auftragen, beauftragen, anweisen, bestimmen, designieren, festsetzen, bereiten, einstellen, disponieren
3. mit eis (zu, in, an, auf): zu etwas zählen; im Passiv: zu etwas gehören, zu etwas bestimmt werden; aufgestellt werden, bereitet werden, disponiert werden.
In der Apostelgeschichte 13, 48 steht das Verb in der passiven Partizipialform und kann bedeuten: „gesetzt, verordnet, bereitet, vorbereitet, aufgestellt, disponiert, eingestellt, gestimmt, eingestimmt“. In dem Vers werden zwei Aussagen gemacht: 1. Sie glaubten. (Der Text gibt nicht Auskunft, wie es dazu kam.) 2. Sie waren „zu ewigem Leben „gesetzt“ worden (o.: verordnet worden; o.: bereitet, disponiert, eingestellt, eingestimmt worden) – im Gegensatz zu den Juden (V. 46), die sich des ewigen Lebens nicht würdig achteten. Ihr Herz (ihr Inneres) war eingestimmt. Sie nahmen das Evangelium an. Wie es dazu kam, wird nicht mitgeteilt; ebenfalls nicht, dass (und ob) Gott der Handelnde war und dass (und ob) es „zuvor“ geschehen war. Das Wort, das Lukas in V. 48 verwendet, ist das Wort tetagmenoi („gesetzt“; lateinisch: destinati/ordinati), nicht pro-tetagmenoi („im Voraus gesetzt“; lateinisch: praedestinati, prädestiniert). In dem Wort „setzen“ (tassein) liegt nicht notwendigerweise die Bedeutung, dass sie aus göttlichem Entschluss bereits zuvor verordnet worden waren. Zahn weist darauf hin, dass der hier vorliegende Gebrauch des Passivs „gesetzt“ (tetagmenoi) den Griechen keineswegs ungeläufig war. Auch wir sprechen von einem „bewaffneten Soldaten“, „aufgestellten Heer“, „bekleideten Menschen“, ohne damit zu sagen, wer es war, der die Bewaffnung, Aufstellung, Bekleidung veranlasst hat. Das griechische Mittelwort tetagmenoi (gesetzt; eingestellt; eingestimmt; bereitet; disponiert) bezeichnet in V. 48 nicht notwendigerweise das Wirken Gottes, sondern kann auch die das Gläubig-Werden ermöglichende innere Verfassung dieser Heiden bezeichnen. Sie waren für das ewige Leben empfänglich gemacht, vorbereitet, gestimmt, disponiert. Es liegt nahe, dass Lukas ebendieses vermitteln will. Es entspricht dem Zusammenhang. Es entspricht der Kontrastaussage von V. 46: „Mit Freimütigkeit sagten Paulus und Barnabas: ‘Es war notwendig, euch zuerst das Wort Gottes zu sagen. Nachdem ihr es aber von euch stoßt und euch selbst des ewigen Lebens nicht würdig achtet – siehe – wir wenden uns zu denen von den Völkern.“
Im Gegensatz zu den Juden, die das Wort von sich stießen, waren diese Heiden „zum ewigen Leben gesetzt“, d. h., für das ewige Leben empfänglich gemacht, vorbereitet, disponiert, eingestimmt, darauf gerichtet. Wie und wodurch bei ihnen diese Disposition zustande kam, wird nicht mitgeteilt. Die Tatsache, dass ein Mensch solche Disposition für den christlichen Glauben nicht sich selbst geben kann, sondern dass dieses auf göttliches Wirken und Werben zurückzuführen ist, ist aus anderen Stellen des NT erkennbar (z. B. Johannes 6, 65; Römer 2, 4)212, wird aber hier nicht berührt. Gott hat ein Anliegen für die Rettung aller Menschen213 und wirbt daher um jeden. Es ist immer er, der den ersten Schritt tut. Dass nicht alle gläubig werden, liegt nicht an mangelndem oder fehlendem Wir-
212 Siehe die Ausführungen zu Johannes 6, 2. Thessalonischer 2, 13 und 1. Petrus 1, 1.2.
213 Vgl. Hesekiel 18, 23; 33, 11; 1. Timotheus 2, 1-4.
ken Gottes, sondern an mangelnder Reaktion des Menschen, wie auch aus V. 46 deutlich hervorgeht. Die Heiden, so viele bußfertig und damit für das ewige Leben disponiert (o.: eingestimmt; vorbereitet) waren, glaubten – im Gegensatz zu den Juden, die das Wort Gottes von sich stießen und sich des ewigen Lebens nicht für würdig hielten. Es ist nicht von Vorherbestimmung die Rede. Lukas sagt nicht: „Und sie glaubten, so viele dazu verordnet waren, zum Glauben zu kommen.” Die Juden verwarfen das Wort Gottes. Die Heiden verherrlichten es. Die Juden schlossen sich eigenmächtig und schuldhaft vom ewigen Leben aus. Sie stießen das Wort Gottes von sich, hielten sich nicht für würdig des (künftigen)214 ewigen Lebens. Es wird hier nicht ausgesagt, dass Gott im Voraus verordnet (o. bestimmt) hätte, dass eine bestimmte Anzahl von Antiochiern das ewige Leben erhalten sollte im Gegensatz zu anderen, die es nicht erhalten sollten, und dass eine gewisse, von Gott im Voraus verordnete Schar zum Glauben kam. Derartige Gedanken dürfen nicht in den Text hineingetragen werden. Selbst der reformierte Theologe Buswell gibt zu verstehen, dass dieser Vers nicht als Beleg für die Prädestinationslehre herangezogen werden kann. Er schreibt:
„In Bezug auf die Verkündigung des Evangeliums in Antiochien in Pisidien
lesen wir zum Beispiel in Apostelgeschichte 13, 48: ‘Und als die Heiden das hörten, freuten
sie sich und verherrlichten das Wort des Herrn, und es glaubten, so viele zu ewigem
Leben verordnet waren’. Auf der Grundlage der Wörter ‘so viele zu ewigem
Leben verordnet waren’ haben etliche argumentiert, dass in dieser besonderen
Mission von Paulus und Barnabas jeder einzelne in jener Stadt, der zu den von
Gott Erwählten gehörte, zu diesem Zeitpunkt gerettet wurde …
Es ist aber so, dass die Worte aus Apostelgeschichte 13, 48.49 nicht notwendigerweise
irgendwelchen Bezug auf die Lehre von dem ewigen göttlichen Vorsatz der
Erwählung haben. Das passive Mittelwort tetagmenoi [verordnet] kann ganz
einfach ‘gestimmt’, ‘bereit’ bedeuten. Man könnte also ohne weiteres übersetzen: „und es glaubten, so viele zum ewigen Leben bereit (o.: eingestimmt; disponiert)
waren.’
Alford kommentiert dieses Wort so: ‘Die Bedeutung dieses Wortes muss aus
dem Zusammenhang erschlossen (vom Zusammenhang her bestimmt) werden. Die Juden hatten ‘sich des ewigen Lebens nicht für würdig geachtet’ (V. 46); aber
die Heiden glaubten, ‘so viele zum ewigen Leben disponiert (o.: eingestimmt) waren’. Wenn man behauptet, in diesem Text sei der Gedanke der Vorbestimmung zum
Leben zu finden, würde man das Wort [tassein] und dem Zusammenhang eine
Bedeutung aufzwingen, die sie nicht haben.’
Es lohnt sich, Alfords gesamte Besprechung dieses Abschnittes zu lesen.“215
214 Der Ausdruck „ewiges Leben“ ist, wie auch sonst bei Lukas, im zukünftigen Sinne zu
verstehen. Vgl. Lukas 10, 25; 18, 18.30; Apostelgeschichte 11, 18; 13, 46.
215 Der englische Text: „For example, in Acts 13:48, with reference to the preaching of the Gospel in Pisidian Antioch, we read ‘And when the Gentiles heard this, they were glad, and glorified the Word of the Lord; and as many as were ordained to eternal life believed’ (Acts 13:48, 49).
From the basis of the words, ‘as many as were ordained to eternal life,’ some have argued that in that particular mission of Paul and Barnabas, every individual in that
city who was among the elect of God was saved at that particular time. This thought has even been carried to the length of a doctrine of ‘burnt over ground.’ I have heard
it argued that missions to Europe are futile because Europe has been evangelized. … Actually the words of Acts 13:48, 49 do not necessarily have any reference whatever to the doctrine of God’s eternal decree of election. The passive participle tetagmenoi may simply mean ‘ready’, and we might well read, ‘as many as were prepared for eternal life, believed.’ Commenting on this word, Alford says, ‘The meaning of this word must be determined by the context. The Jews had judged themselves unworthy of eternal life [v. 46]; the Gentiles, ‘as many as were disposed to eternal life,’ believed ... to find in this text preordination to life asserted, is to force both the word and the context to a meaning which they do not contain.’ Alford’s entire discussion of this passage is rewarding.“ (Buswell, A Systematic Theology of the Christian Religion, II. S. 152f. Part III. Soteriology)
Auch der Ausleger Zahn kommt zu dem Schluss, dass die Formulierung in Apostelgeschichte 13, 48 nicht zur „Annahme einer ewigen Erwählung und Vorherbestimmung der Einzelnen zum seligmachenden Glauben“ nötigt. Er übersetzt den letzten Teils von Apostelgeschichte 13, 48 so: „… und es wurden gläubig, so viele auf ewiges Leben gerichtet [o.: zu ewigem Leben eingestellt] waren.“ Zahn argumentiert:
„Diese Deutung [d. h., die prädestinatianische Deutung, also die Deutung im Sinne einer ewigen Erwählung und Vorherbestimmung]
ist erstens stilistisch unmöglich. Denn, so gewiss, wie die Heiden, welche beim Anhören des Wortes Gottes Gott oder das Wort Gottes priesen (V. 48) im Gegensatz zu den Juden genannt werden , denen es zuerst, aber vergeblich verkündigt worden war, und das Gläubigwerden derselben das Gegenteil der Abweisung des Evangeliums seitens der Juden (V. 46) bezeichnet, kann auch der Satz „so viele auf ewiges Leben gerichtet waren“ nichts anderes bedeuten
als einen ausschließenden Gegensatz zu dem Urteil der Missionare über ihre jüdischen Zuhörer: ‘ihr achtet euch selbst nicht wert des ewigen Lebens’.
Ein zweiter Grund gegen die prädestinatianische Deutung liegt in der Undenkbarkeit der Annahme, dass Lukas , der in V. 48 redet, dem von ihm selbst
berichteten Wort der von ihm so hochgeschätzten Lehrer (V. 46) gleich darauf widersprochen haben sollte. Nach dem Urteil jener ist das Anerbieten
der Heilsverkündigung , also auch der darin kundgegebene Wille Gottes beiden Klassen von Zuhörern gegenüber gleich . … Es ist aber nicht zu übersehen der Unterschied zwischen dem durch den Artikel bezeichneten Inhalt des von Paulus in der Synagoge gepredigten Evangeliums ( tees aioonees zooees [„ des
ewigen Lebens“] V. 46) und der artikellosen Bezeichnung der das Gläubigwerden der Heiden ermöglichenden inneren Verfassung derselben (eesan tetagmenoi eis dsooeen aioonion [„waren eingestellt worden zu ewigem Leben“] V. 48). Jenes [V. 46] ist das durch das Wirken, Sterben und Auferstehen Jesu verbürgte ewige Leben der an ihn Gläubigen; dieses [V. 48] ist eine dem Inhalt nach noch sehr unbestimmte Sehnsucht nach Errettung aus Sünde und Tod und nach einem ewigen Dasein,
welche sie für das Evangelium empfänglich machte und sie für den Glauben vorbereitete. Für den religiös denkenden Menschen versteht sich von selbst, dass der
Mensch solche Prädisposition [solche Empfänglichkeit; solches posititives Eingestelltsein
/ Eingestimmtsein] für den Christenglauben ebensowenig sich selbst
geben kann, als das leibliche Leben (vgl. Apostelgeschichte 17, 25.28), dass vielmehr eine dahin
zielende Einwirkung Gottes die Voraussetzung davon ist. Dies hier auszusprechen
war aber unveranlaßt, da ohnehin aus dem Gegensatz zu den Juden, welche
das ihnen im Evangelium dargebotene ewige Leben als etwas für sie Überflüssiges
abgelehnt und das Evangelium selbst schnöde von sich gestoßen und verachtet
haben (v. 41. 46), deutlich genug hervorgeht, dass auch jenes Verlangen und
Suchen nach ewigem Leben bei den Heiden auf eine innere Einwirkung Gottes
zurückzuführen ist, welcher diese sich nicht widersetzt haben. Damit ist schon auf einen dritten Grund gegen die prädestinatianische Deutung
der Stelle hingewiesen.
Nur wenn diese Deutung in der Absicht des Lukas
gelegen hätte, dann aber in der Tat wäre ein
hüpo (tou) theou
[„von Gott“] bei
eesan tetagmenoi
[„gerichtet/gesetzt/disponiert waren“]
(vgl. Römer 13, 1)
unerläßlich
gewesen . …
Lukas meint nicht, dass jene Heiden sich selbst in die durch
diese Worte bezeichnete Verfassung gebracht haben, sondern eben nur, dass
sie sich in derselben bereits befanden, als das Evangelium zum ersten Mal an
sie herantrat . Der in dieser Beziehung neutrale, hier vorliegende Gebrauch des
Passivs ist den Griechen so wenig ungeläufig, wie wir Bedenken tragen, von einer
geordneten Verwaltung oder einer bewaffneten Macht oder einem in Schlachtordnung
aufgestellten Heer oder auch von einem mit einem Mantel bekleideten
Menschen zu reden, ohne damit zu sagen oder auch nur daran zu denken, wer
in solchen Fällen die Ordnung, Bewaffnung, Aufstellung oder Bekleidung veranlasst
hat.
Was Lukas hier als Voraussetzung des Gläubig-Werdens nicht weniger
Heiden sagt, ist also dies, dass sie schon vorher, unbefriedigt von ihrer
bisherigen religiösen Stellung und sittlichen Verfassung, mit ihrem Denken
und Streben auf ewiges Leben gerichtet waren .“
216 Man könnte auch annehmen, dass das „Disponieren zum ewigen Leben“ durch die Verkündigung des Paulus geschah. Nach der Ablehnung durch die Juden bildete sich um Paulus eine Schar von Heiden, die von ihm besonders unterwiesen wurde. Auf diese könnte in V. 48 Bezug genommen sein. Diese kamen zum Glauben. Dazu würde die Aussage des Lukas passen. Sie alle, die sich von den Juden absonderten und von Paulus durch seine Verkündigung zu ewigem Leben ‘disponiert’ (eingestimmt, vorbereitet) wurden, kamen an jenem besagten Tag zum Glauben.
216 Zahn, Theodor, Apostelgeschichte des Lukas, Kap. 13-28, S 452-455; Ergänzungen in
Eckklammern v. Verf.
Philipper 2, 12-16: „Daher, meine Geliebten, so wie ihr allezeit gehorchtet, bringt, nicht nur wie in meiner Anwesenheit, sondern nun viel mehr in meiner Abwesenheit, mit Furcht und Zittern eure eigene Rettung zuwege, 13 denn es ist Gott, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken zugunsten des Wohlgefallens. 14 Tut alles ohne Murren und Bedenken, 15 damit ihr untadelig werdet und frei von unlauterer Beimischung als Gottes untadelige Kinder mitten in einem krummen und verkehrten Geschlecht, in dem ihr offenbar seid wie Lichter in der Welt, 16 darhaltend das Wort des Lebens, für mich ein Anlass des Rühmens im Blick auf den Tag Christi, dass ich nicht vergebens gelaufen bin noch vergebens gearbeitet habe.“
Die Philipper sollen in der Welt Gott darstellen. Um das zu tun, müssen sie gehorsam sein. Sie sollen selbstaufopfernd und selbstlos dienen wie ihr Herr, Jesus Christus. Und sie sind auch wirklich imstande dazu, denn Heil bedeutet, dass Gott es ist, der in ihnen wirkt: Sowohl die Bereitschaft als auch die Fähigkeit, nach seinem Wohlgefallen zu leben, darf von ihm empfangen werden. Die Philipper sollen also mit Gott zusammenarbeiten im Bewirken (im Sich-Verschaffen) des zukünftigen Heils. Paulus selbst ist bereit, wie Christus selbstlos sein Leben auszuschütten, um den Philippern zu helfen, dass sie sich Gott aufopfern, sodass er am Tag der Rechenschaft etwas habe, das er als Frucht seiner Arbeit Christus präsentieren kann.
„Daher/Darum …“
Warum?
• Weil unser Herr, Jesus Christus, bereit war, diesen Weg (V. 5-8) zu gehen.
• Und weil es sich lohnt[1], einen ungleich kleineren Demutsweg zu gehen. Welchen Weg ging der Herr Jesus? Aus der höchsten Höhe in die tiefste Tiefe (Gott – Mensch – Leibeigener – unschuldig Leidender – Getöteter am Fluchholz). Demut und niedrige Gesinnung hat zu tun mit Verzicht auf eigene Rechte. Niemand war so hoch wie er, und niemand stieg so tief wie er. Aber danach wurde er über die Maßen erhöht. Daher wollen auch wir bereit sein, den Weg der niedrigen Gesinnung zu gehen. Unser Weg ist viel kürzer als seiner. Wir müssen nicht von so hoch herab und so tief hinunter. „bringt … zuwege (o.: bewirkt weiterhin; richtet ‹fortwährend› aus, erarbeitet ‹stets›) eure eigene Rettung“: Bringt eure eigene Rettung zu Ende, arbeitet sie aus, kultiviert sie! (Das Verb wurde ursprünglich zur Beschreibung landwirtschaftlicher Tätigkeiten und der Bearbeitung von Werkstoffen gebraucht. Vgl. 1. Mose 35, 33; 1. Mose 28, 39; Hesekiel 36, 9 n. d. gr. Üsg. )[2] Mit „Rettung“ („Heil“) ist im Philipperbrief nicht der gegenwärtige Aspekt des Heils gemeint, sondern der zukünftige.[3]
„mit Furcht und Zittern“: Das ist angebracht, weil Gott heilig und majestätisch ist und weil Züchtigung zu erwarten ist, wenn wir Wege des Ungehorsams gehen. „Fürchten“ bedeutet, sich nach einer Autorität auszurichten. Der Autofahrer, der sich nach den Verkehrsregeln ausrichtet, tut es (üblicherweise) aus Furcht vor der hohen Polizeistrafe im Falle der Übertretung. Daniel Schenkel[4] schreibt:
Die aufkommende Frage, ob denn eine solche Gesinnung (V. 12) möglich sei, beantwortet Paulus positiv:
„… denn es ist Gott, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken zugunsten des Wohlgefallens.“
Eine solche Gesinnung ist möglich, weil niemand anderer als Gott selbst es ist, der in uns am Wirken ist. Die Bereitwilligkeit und die Kraft sind in Gott. Bei ihm ist sowohl die nötige Bereitwilligkeit für eine derartige Gesinnung zu holen als auch die Kraft zur Vollführung. Epheser 3, 20.21A: „Dem, der über alles hinaus zu tun vermag, überaus mehr als das, was wir bitten oder begreifen, nach der Kraft, die in uns wirkt, 21 ihm gebührt die Herrlichkeit …“ Alles ist zur Genüge vorhanden. Paulus sagt in Philipper 4, 13: „Ich bin stark für alles in dem, der mich ‹stets› innerlich kräftigt, Christus.“ Und in 4, 18.19: „Ich habe aber von allem da, ‹genug und› reichlich, bin aufgefüllt worden … Aber mein Gott wird bis zur Fülle alles geben, was ihr bedürft, nach seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christus Jesus.“ Welche Ermutigung für die Leser! Paulus ist abwesend, aber die Philipper sollen deshalb nicht weniger fleißig sein, denn Gott ist da und wirkt an (und unter und in) ihnen. (Vgl. 1, 6.) Er ist es, der auch das Wollen bei ihnen wirkt. Paulus weiß: Wir Menschen sind von Natur aus unfähig und unwillig, sodass wir aus uns heraus diese Frucht nicht hervorbringen wollen. Bei wem wirkt Gott das Wollen? Bei allen, die bereit und willig sind zu wollen! Gott spricht die Entscheidungsfähigkeit des Menschen an. Er stellte es in Eden dem ersten Menschen frei, sich für oder gegen die Liebe zu Gott zu entscheiden. Es war nicht so, dass Gott bewirkte, dass Adam sich schlussendlich entschied, vom Baum der Erkenntnis essen zu wollen. Gehorsam ist eine Entscheidungssache. Erlösung ist für diejenigen, die sich für Liebe zu Gott entscheiden und sich daher Gott und dem Evangelium, das ja von Gottes Liebe spricht, fügen.[5]
Zum einen sagt er nicht, dass Gott in unwilligen Herzen, d. h., in solchen, die nicht ihr eigenes Heil bewirken/schaffen (V. 12) und sich nicht darum kümmern wollen, nach Belieben in den einen ein Wollen bewirkt und in den anderen nicht. Im Gegenteil: Gott will, dass wir um einen willigen Geist bitten. David betet (Psalm 51, 14): „Lass mir wiederkehren das Frohlocken ‹über› dein Heil und mit einem willigen Geist stütze mich (o.: versorge mich; rüste mich aus).“ Jakobus schreibt (Jakobus 4, 2E): „Ihr habt nicht, weil ihr nicht bittet.“ Würden sie bitten, so hätten sie. An wem also liegt es, dass sie nicht haben? Zum anderen ist im Text nicht von der persönlichen Heilswende die Rede, sondern von dem Leben von Christen, die dem Herrn nachfolgen. Auch für solche, die dem Herrn nachfolgen, bestünde die Möglichkeit, sich gegen Gottes Willen zu wenden und dem guten Wollen, das er ihnen gibt, zu widerstreben. Widerstreben wir, so bleiben auch die Werke ungetan, die er für uns bereitet hatte, dass wir in ihnen wandeln sollten (Epheser 2, 10). Schlatter sagt: „Dann verweigern wir dem Willen, den er in uns schafft, den Gehorsam… Wir haben sorgsam darauf zu achten, ob wir Gott gehorchen und unseren Willen von ihm empfangen oder eigenwillig sind.“ „zugunsten des Wohlgefallens“: d. h., zugunsten des göttlichen Wohlgefallens, d. h. so, dass Gott an uns Freude hat. Das ist ja der Sinn unseres Lebens: ihm Freude zu bereiten.[6] Vgl. Johannes 15, 8A: „Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht tragt …“ Die Frucht ist dazu da, dass der Winzer Freude, Genuss und Ehre hat. Warum besuchen wir unsere Versammlungen? Warum singen wir Lieder? Warum beten wir? Warum leben wir heilig und liebevoll in den Familien, im Beruf, in Schule und Dienst? Um Gott Freude zu machen! Und Gott wirkt in uns, damit wir so werden, dass er an uns und durch unser Wirken Freude hat. Die Verse Philipper 2, 14ff verdeutlichen, wie dieses geschehen kann und soll. Wir lernen dann, dankbar zu sein und auf das zu sehen, was wir haben, nicht auf das, was wir nicht haben. Wir lernen, mit unserer Situation in der Familie und im Beruf zufrieden zu sein. So leben können wir, weil Gott es ist, der in uns wirkt – sowohl das Wollen als auch das Wirken zugunsten seines göttlichen Wohlgefallens.
Die Philipperstelle kann nicht herangezogen werden, eine Lehre zu belegen, dass Gott nach Belieben und unabhängig von Haltung und Bereitschaft in den einen Menschen ein Wollen bewirke (z. B. das Wollen, sich zu bekehren) und in beliebigen anderen nicht. Es lässt sich aus Philipper 2 nicht beweisen, dass Gott das Wollen oder das Vollbringen gegen den Willen des Menschen bewirke.
Das Buch des Lebens ist „das Buch derer, die leben“. Im AT war es das Buch der Glieder des Volkes Gottes. Alle wahren Glieder des Volkes Gottes stehen im Buch. Man kann gelöscht werden. Wer sündigt, muss sterben (1. Mose 32, 32.33): „‘Und nun, wenn du doch ihre Sünde vergeben wolltest! Wenn aber nicht, so lösche mich denn aus deinem Buch, das du geschrieben hast.‘ 33 Aber Jahweh sprach zu Mose: ‘Wer gegen mich gesündigt hat, den lösche ich aus meinem Buch.’“ In manchen Zusammenhängen geht es bei dem Löschen um mehr als um den irdischen Tod: „Füge Schuld zu ihrer Schuld und lass sie nicht kommen zu deiner Gerechtigkeit. 29 Lass sie gelöscht werden aus dem Buch des Lebens und nicht eingeschrieben werden mit den Gerechten.“ (Psalm 69, 28.29) Die Gerechten bleiben im Buch. Die „zum Leben“ Aufgeschriebenen heißen „heilig“ und haben Teil an der Herrlichkeit des Königreiches: „Und es wird geschehen: Wer in Zijon übriggeblieben und wer in Jerusalem übriggelassen ist, wird heilig heißen, jeder, der zum Leben aufgeschrieben ist in Jerusalem.“ (Jesaja 4, 3) Jeder, „der im Buch geschrieben gefunden wird”, wird gerettet werden (Dan 12, 1) und einen „ewigen Namen“ bekommen, einen, „der nicht ausgerottet werden soll“ (Jesaja 56, 5). An manchen Stellen ist die Rede von einem Buch des Vorauswissens Gottes. Wenn es heißt, dass Gott „alle Tage in sein Buch schreibt“, bedeutet das, dass er alles im Voraus weiß. David betet (Psalm 139, 16): „Meine Urform sahen deine Augen; und in dein Buch waren sie alle geschrieben, die Tage, die einst gebildet werden sollten, und ‹zwar›, als [noch] keiner von ihnen war.” (Vgl. Maleachi 3, 16.) Das „Buch“ Gottes kann also ganz einfach von seinem Vorauswissen sprechen. Vorauswissen ist nicht notwendigerweise schon Vorherbestimmung. Das Buch des Lebens im NT ist das Buch derer, die leben – geistlich leben. Dort stehen die Namen der Glieder des neutestamentlichen Gottesvolkes. In Philipper 4, 3 sagt Paulus: „… samt Klement und den Übrigen, die mit mir wirkten, deren Namen im Buch des Lebens stehen.“ Die Ungläubigen stehen nicht im Buch, haben nicht darin gestanden von Grundlegung der Welt an. Sie wurden nie eingetragen. Das geht aus Offenbarung 13, 8 und 17, 8 hervor: „… alle, die auf der Erde wohnen, werden ihn anbeten, jeder, dessen Name nicht geschrieben ist im Buch des Lebens – des geschlachteten Lammes – von Grundlegung der Welt an.“ (13, 8) „… und die Bewohner der Erde, deren Namen nicht im Buch des Lebens geschrieben sind von Grundlegung der Welt an, werden sich wundern…“
(17, 8). Wer nicht gerettet ist, kommt nicht in das Buch und steht nicht darin: „Und wenn jemand nicht im Buch des Lebens geschrieben gefunden wurde, wurde er in den Feuersee geworfen.“ (20, 15) 21, 27: „Und auf keinen Fall wird eingehen irgendetwas Verunreinigendes und was Gräuel verübt und Lüge. Nur die, die im Lebensbuch des Lammes geschrieben sind, [werden eingehen].“ Die Namen der Erlösten sind „angeschrieben im Himmel“ (Lukas 10, 20), gleichsam in Gottes Gedanken eingraviert. Er ist für sie da. Die Gemeinde der Erstgeborenen ist „in den Himmeln eingetragen” (Hebräer 12, 23). Wie kommt man zur Gemeinde der Erstgeborenen? Durch eine Neugeburt von oben, auf Umkehr und Glauben hin (Johannes 3, 3.16). Wer glaubt, kommt zum „Leben“. Wie kommt man in das Buch des „Lebens“? Auf dieselbe Weise. Folglich findet die faktische Eintragung der Namen im Augenblick der persönlichen Heilswende statt – ebenso wie die faktische Erwählung zu diesem Zeitpunkt stattfindet.225 Im Sinne der göttlichen Vorauskenntnis stehen die Geretteten bereits von Ewigkeit her im „Buch“ (d. h., in Gottes Gedanken) – nicht im Sinne einer Determination (Bestimmung), sondern im Sinne einer Beziehung. Gott kannte sie – im Gegensatz zu den Ungläubigen, von denen Jesus sagt: „Niemals kannte ich euch.“ (Matthäus 7, 23). Offenbarung 3, 5 blickt voraus auf die Zeit in der Herrlichkeit, wo man nicht mehr aus dem Buch des Lebens gelöscht werden kann: „Der, der überwindet, der wird mit weißen Kleidern bekleidet werden, und ich werde seinen Namen keinesfalls auslöschen aus dem Buche des Lebens…”.226
Epheser 2, 1-3: „… auch euch [weckte er von den Toten], die ihr tot wart in den Übertretungen und Sünden, 2 in denen ihr einst wandeltet, ‹ausgerichtet› nach der Zeit dieser Welt, nach dem Fürsten des Machtbereiches der Luft, dem Geist, der nun in den Söhnen des Ungehorsams wirkt, 3 unter denen auch wir alle einst unser Leben führten in den Lüsten unseres Fleisches, wobei wir den Willen des Fleisches und des Denkens taten. Und wir waren von Natur Kinder des Zorns wie auch die anderen.“
Alle Menschen sind Sünder und können sich vor Gott nicht rechtfertigen. Sie bedürfen der Erlösung. Dennoch ist nicht jeder Mensch in dem Ausmaß boshaft, wie er sein könnte, d. h., dermaßen verdorben, dass er unfähig wäre, auf Gott zu reagieren. Epheser 2 zeigt, dass von dem in Sünden und Übertretungen toten Menschen das Mittel des Glaubens eingesetzt werden muss, um die Gabe der Rettung zu erlangen. Der Mensch ist nicht derart „tot“, dass er nicht fähig wäre zu reagieren, wenn Gott ihn ruft. Der nicht gerettete Mensch lebt „‹ausgerichtet› nach der Zeit dieser Welt, nach dem Fürsten des Machtbereiches der Luft“. Wenn er lebendig genug ist, um auf Satan und seine Versuchungen zu reagieren, so ist er auch lebendig genug,
225 Siehe z. B. die Ausführungen zu Epheser 1, 4.
226 Die in Offenbarung 3, 1 Angesprochenen schliefen einen Todesschlaf, aus dem sie aufwachen
sollten. (Vgl. Epheser 5, 14.) Sie waren nicht tatsächlich „tot“, waren aber „im Begriffe zu
sterben“. Daher der ernste Aufruf: „Werde ein Wachender und festige das Übrige, das
sich anschickt zu sterben“ (Offenbarung 3, 2).
um auf Gottes Werben zu reagieren. Auch in dem unbekehrten Sünder nimmt Gott Dinge und Handlungen wahr, die ihm grundsätzlich gefallen, obwohl es nicht genug ist, um die Erlösung zu erreichen. Die allgemeine Aussage „da ist keiner, der Gutes tut“ (Römer 3, 12) schließt nicht aus, dass es nicht Bereiche gibt, in denen Gott etwas Anerkennenswertes bei nicht wiedergeborenen Menschen erkennt. In der Apostelgeschichte 10, 2 wird Kornelius als ehrfürchtiger und hingegebener Mann beschrieben, der zusammen mit seinem ganzen Hause Gott fürchtete und dem jüdischen Volk Almosen gab und beständig zu Gott betete. Auf diesem Hintergrund wird er von Gott durch einen Engel auf Petrus aufmerksam gemacht. Durch Petrus erfährt er den Weg der Rettung. Petrus sagte dann: „In Wahrheit begreife ich, dass Gott nicht einer ist, der die Person ansieht, 35 sondern dass in jedem Volk der, der ihn fürchtet und Gerechtigkeit wirkt, ihm angenehm ist.“ (10, 34.35).
Epheser 2, 8.9: „… denn durch die Gnade seid ihr gerettet, durch den Glauben, und dieses nicht aus euch – Gottes Gabe ist es –, nicht aus Werken, damit nicht jemand sich rühme…“
Dieser Vers war schon oft Ursache für Meinungsverschiedenheiten. Hoehner hat sich in seinem Kommentar zum Brief ausführlich dazu geäußert. „Das eigentliche Problem“, sagt er, „besteht mit dem Demonstrativpronomen touto (dieses). Barth führt aus: ‘Das sächliche Pronomen dieses kann sich auf eines dieser drei Elemente beziehen: auf die Gnade, auf das Verb gerettet oder auf das Nomen Glaube’. Einige Ausleger meinen, dass es sich auf pisteoos (Glaube) bezieht, das nächstliegende vorausgehende Nomen. Ein ernsthafter Einwand dagegen ist, dass das weibliche Nomen [Glauben ] nicht mit dem sächlichen Geschlecht des Pronomens [dieses] übereinstimmt. Dasselbe Problem erhebt sich bei dem weiblichen Nomen ‘Gnade’. Manche würden es gerne rückbeziehen auf este sesoosmenoi [ihr seid Gerettete], aber wiederum hätten wir im Bezug ein männliches Partizip. Außerdem scheint ein Rückbezug auf einen dieser Ausdrücke überflüssig zu sein. Besser als touto [dieses] auf einen bestimmten Ausdruck zu beziehen, ist es, einen Bezug auf den vorauslaufenden Abschnitt anzunehmen. Das ist üblich, und es gibt zahlreiche Beispiele davon im Epheserbrief, z. B. in 1, 15: touto [‘Deswegen’] bezieht sich auf den Inhalt von 1, 3-14; oder in 3, 1 [‘Aus diesem Grunde’]: dort bezieht es sich zurück auf 2, 11-22; und in 3, 14 [‘aus diesem Grunde’] bezieht es sich zurück auf 3, 1-13. Im vorliegenden Text bezieht sich touto also zurück auf 2, 4-8A und insbesondere auf 2, 8A, auf das Gerettetsein aus Gnade durch den Glauben... Im vorliegenden Abschnitt bezieht sich die ‘Gabe Gottes’ nicht auf ‘Glaube’, sondern eher auf das Gerettetsein.“227 Robertson bemerkt in „Word Pictures in the New Testament“, einem Kommentar zum griechischen Text des Neuen Testaments, dass ein Bezug von „Glaube“ auf „und dieses nicht aus euch“ nicht möglich ist: „Und dieses (kai touto): Neutrum, nicht feminin (tautee); daher bezieht es sich nicht auf den Glauben (pistis; der im Griechischen den weiblichen Artikel hat), sondern auf den Akt der Rettung aus Gnade bedingt durch Glauben unsererseits. Paulus zeigt, dass Rettung ihre Quelle nicht im Menschen hat, sondern in Gott. Außerdem ist es Gottes Gabe und nicht das Ergebnis unserer Werke.“228 Ähnlich wird im Grundtextkommentar Word Biblical Commentary argumentiert. „Dieses“ (touto) kann sich nicht direkt auf „Glauben“ beziehen; es bezieht sich auf den „gesamten Prozess der Rettung“.229 Die beste Lösung ist, „und dieses nicht aus euch“ auf die gesamte
227 Ergänzungen in Eckklammern v. Verf.; der Text im Original: „The real problem is with
the demonstrativ pronoun touto, ‘this’. Barth states, ‘The neuter pronoun ‘this’ may refer
to one of three things: the ‘grace’, the verb ‘saved’, the noun ‘faith’. Some commentators
think that it refers to pisteoos, the nearest preceding noun. A serious objection to this
is that the feminine noun does not match the neuter gender of the pronoun. The same
problem is raised with ‘grace’, a feminine noun. Some would have it refer back to este
sesoosmenoi, but again the antecedent would be a masculine participle. Furthermore, to
refer back to any one of these words seems to be redundant. Rather than any particular
word it is best to conclude that touto refers back to the preceding section. This is common
and there are numerous illustrations of such in Ephesians. For example, in 1:15
touto refers back to the contents of 1:3-14, in 3:1 it refers back to 2:11-22, and in 3:14 it
refers back to 3:1-13. Therefore, in the present context, touto refers back to 2:4-8a and
more specifically 2:8a, the concept of salvation by grace through faith. [...] In the present
passage, the gift of God does not refer to ‘faith’ but rather it refers to the whole concept
of salvation” (Harald W. Hoehner, Ephesians – An Exegetical Commentary, S. 342f.)
228 Robertson, Word Pictures in the New Testament, Bd. IV, S. 525
229 Lincoln, Ephesians, in: Word Biblical Commentary, S.111f
Aussage des vorangehenden Satzes zu beziehen: Die Rettung aus Gnade durch Glauben kommt nicht von euch; Gottes Gabe ist es.
„Und auf den Glauben an seinen Namen hin stärkte sein Name diesen, den ihr schaut und [der euch] wohlbekannt ist. Und der Glaube, der durch ihn [wirkte], gab ihm diese volle Gesundheit vor euch allen.”
Eine strengere Wiedergabe: „Und auf den Glauben ‹hin› an seinen Namen diesen, den ihr schaut und [der euch] wohlbekannt ist, stärkte sein Name. Und der Glaube, der durch i h n , gab ihm diese volle Gesundheit vor euch allen.”
Der Vers enthält zwei Sätze. Insofern der zweite Satz etwas aus dem ersten enthält, also wiederholt, betont er ihn. Insofern er anders ist als der erste, erklärt er ihn. Der ganze Vers ist eine kurze Zusammenfassung der Heilung und sollte als eine solche mit dem Bericht in den Versen 5-7 verglichen werden. Zweierlei Behauptungen hört man des Öfteren zu diesem Vers: Erstens, dass der Glaube durch Jesus Christus gekommen sei, und, zweitens, dass der Bettler vor seiner Heilung geglaubt haben sollte. Aber der griech. Text der V. 5-16 ergibt weder das eine noch das andere. Man würde einen dem Zusammenhang fremden Gedanken in den Vers hineintragen, wenn man übersetzte: „Und der Glaube, der durch ihn (d. i. durch Jesus Christus) entstanden ist, …” bzw. „Und der Glaube, der durch ihn (Jesus) hervorgerufen wurde …” Sehen wir uns also den Vers noch einmal etwas näher an:
• „seinen”, „sein” und „ihn” beziehen sich auf „Jesus“ von V. 13.
• „auf den Glauben an seinen Namen” spricht, nach V. 5.6, vom Glauben der Apostel, die sich hier zu verantworten haben: „Er [der Lahme] achtete auf sie in der Erwartung, etwas von ihnen zu bekommen. Da sagte Petrus: ‚Silber und Gold besitze ich nicht, aber das, was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazareners, stehe auf und gehe!‘” Die Apostel hatten also die Heilung veranlasst. Die Gedanken des Lahmen waren auf Geld gerichtet, nicht auf Heilung.
• „stärkte sein Name”: „Name“ steht für die nicht sichtbare Person, Jesus. Er hatte das Wunder vollzogen.
• „der Glaube ... gab ihm diese volle Gesundheit” wiederholt und betont die vorherigen Worte: „auf den Glauben an seinen Namen hin”. Das zwischen „Glaube” und „gab” stehende Gefüge „durch ihn” spricht also davon, dass der Glaube durch Jesus die Gesundung entstehen ließ. Es wirkt nun als eine Entstellung der Textaussage, wollte man behaupten, Jesus hätte den Glauben bewirkt anstatt dass Jesus auf den Glauben der Apostel hin handelte. Es geht um den Glauben, den Petrus und Johannes hatten, nicht um einen Glauben des Gelähmten. Das Wunder bestätigte den Glauben der Apostel – und damit in Verbindung die neue von eben denselben Aposteln verkündete Lehre. Der Bettler war der lebendige Beweis der Macht des verherrlichten Herrn Jesus, einer Macht, die durch den Namen des auferstandenen Jesus und den Glauben an ihn als den erhöhten Herrn zum Ausdruck kam.
„… weil es euch ‹in Gnade› gegeben wurde – für Christus –, nicht nur das Glauben an ihn, sondern auch das Leiden für ihn…“
• Damit ist nicht gemeint, dass Gott ihnen den Glauben gab. Gott ist an dieser Stelle nicht dargestellt als der Verursacher des Glaubens, ebenso wenig wie er dargestellt wird als der Verursacher des Leidens.
• In beiden Fällen scheint es um göttliche Führung zu gehen. Wie in beiden Fällen genau geführt wurde, wird nicht gesagt.
• Paulus will sie aber wissen lassen: So, wie Gott es in seiner Gnade und Weisheit führte und möglich machte, dass sie das Evangelium hörten und an ihn glauben durften, ebenso ist es nun auch seiner weisen Führung – und nicht etwa gewissen unglücklichen Umständen – zu verdanken, dass sie nun für ihn zu leiden haben. Im Allgemeinen darf gesagt werden: Gott macht es möglich, dass Menschen durch einfaches Glauben an Christus gerettet werden, indem er
• (erstens) zuerst das Heil in Christus herbeiführt, sodass niemand etwas dafür leisten muss,
• (zweitens) die Menschen (hier: die Philipper) zum Empfang einstellt (disponiert) und
• (drittens) Boten sendet. Das Vorrecht des Glaubens an ihn und des Leidens für ihn ist ihnen geschenkt. Gott hat es so geführt. Wie sie diese beiden „Geschenke“ bekamen, wird hier nicht gesagt. Andere Stellen der Heiligen Schrift zeigen, dass göttliche „Geschenke“ und Führungen von Herzen angenommen werden müssen. Alle diese Dinge geschehen nicht ohne das Zutun des Beschenkten. Die Stelle spricht nicht davon, dass das Vorrecht des Glaubens einer zuvor bestimmten Anzahl von Menschen gewährt und anderen verwehrt sei.
1. Petrus 1, 19E-21: „… Christus, 20 der im Voraus gekannt war, vor Gründung der Welt, aber auf die letzten Zeiten [zu] geoffenbart wurde euretwegen, 21 die ihr durch ihn an Gott glaubt, der ihn von den Toten erweckte und ihm Herrlichkeit gab, sodass euer Glaube zugleich Hoffnung auf Gott sein ‹darf›.“
Die Präposition dia (mit dem griech. Genitiv) hat drei Bedeutungen. Alle drei treffen hier zu.
• „durch“ im Sinne von „vermittelt durch“ (Bezeichnung des Mittels, des Werkzeuges), das heißt: via Jesus Christus, der der Mittler zu Gott ist, das Lamm; denn er litt und starb, „damit er uns zu Gott führte” (1. Petrus 3, 18). Diese heidnischen gottfremden Menschen aus den Völkern kamen zum Glauben an Gott über Christus.
• „durch“ im Sinne von „kraft“; kraft des Einsatzes Christi und kraft der Botschaft Christi kam es dazu, dass die Empfänger des Petrusbriefes nun an Gott glaubten.
• „durch“ im Sinne von „wegen, aufgrund von“: Sie glauben wegen Jesus, d. h., weil Jesus Christus ihr Vertrauen durch sein Wesen und Tun gewonnen hat. Jesu Herrlichkeiten und Tugenden veranlassten diese Menschen, ihr Vertrauen auf Gott zu setzen. Es ist hier nicht die Rede davon, dass Gott einer bestimmten ausgesuchten begrenzten Schar den Glauben gibt und anderen nicht. Glaube ist nicht etwas, das dem einen gegeben ist und dem anderen nicht. Glaube ist Vertrauen. Das Objekt des Glaubens ist eine vollkommene Person, Jesus Christus. Das Vertrauen wird durch Beschäftigung mit dieser Person hervorgerufen. Wenn ich erkenne, wie sehr Jesus Christus vertrauenswürdig ist und was er alles für mich getan hat und tut und wie sehr er mich liebt, werde ich motiviert, mein ganzes Leben ihm anzuvertrauen. Aber letztlich geht es um meine Bereitwilligkeit. In der zwischenmenschlichen Beziehung ist es ähnlich. Ob ich mich einer Person anvertraue oder nicht, hängt einerseits davon ab, ob jene Person glaubwürdig, verlässlich und liebevoll ist, und andererseits davon, ob ich das will. Gott als Herr und Schöpfer hat ein Recht auf den Menschen und fordert ihn auf, sich ihm anzuvertrauen. Insofern ist der Glaube auch ein Gehorsamsschritt. Ohne Mitwirkung des Menschen kommt es also nicht dazu.
„Symeon Petrus, leibeigener Knecht und Apostel Jesu Christi. Denen, die in der Gerechtigkeit unseres Gottes und Retters, Jesu Christi, ‹mit› uns das Los eines gleich kostbaren Glaubens zugeteilt bekamen [o.: die … einen ebenso kostbaren Glauben ‹wie der› unsere ‹als Los› zugeteilt bekamen].“
Die im zweiten Petrusbrief Gegrüßten sind Christen, die in der Zerstreuung leben, Fremdlinge, unterwegs zwischen zwei Welten. Sie haben „einen ebenso kostbaren Glauben“ ‹als Los› zugeteilt bekommen. Dieser Glaube ist überaus „kostbar“, so wie es ein großes Vorrecht ist, an den Messias zu glauben.
„… mit uns…“:
Petrus stellt sich mit den Briefempfängern auf die gleiche Stufe. Was macht ihren Glauben so kostbar? Der Inhalt der Glaubenslehre und das persönliche Objekt des Glaubens. Inhalt und Objekt unseres Glaubens ist der Christus, der im ersten Petrusbrief der „Kostbare“ (2, 4) bzw. „die Kostbarkeit“ (2, 7) genannt wird. Mit „Glaube“ ist hier das Glauben als Vorrecht230 gemeint oder der Glaubensinhalt, die Glaubenslehre231, bzw. das Glaubensgut232 (ebenso wie die „Hoffnung“ oft für „Hoffnungsgut“233 oder die „Verheißung“ für „Verheißungsgut“234 steht).
„durch die Gerechtigkeit Gottes“:
Gott ist gerecht, wenn er die aus den Heidenvölkern auf die gleiche Stufe stellt wie Israel und sie zusammen mit Israel erben lässt.
„‹durch Los› zugeteilt bekamen“:
Das Bild kommt aus dem Alten Testament, wo die einzelnen Stämme Israels ihre Grenzen bzw. die einzelnen Familien/Sippen ihre Ländereien durch Los zugeteilt bekamen. Ebenso bekamen wir den kostbaren Glauben, das Glaubensgut, zugeteilt.
„… denn ich sage einem jeden unter euch durch die Gnade, die mir gegeben wurde, dass er [sich] nicht für hoch halte, nicht mehr [von sich halte], als zu halten sich gebührt, sondern dass er darauf bedacht sei, eine gesunde Haltung einzunehmen, ‹gesunden Sinnes und züchtig zu sein›, wie Gott einem jeden ein Maß des Vertrauens [o.: Glaubens] zuteilte…“
Das Glaubensmaß ist an dieser Stelle nicht der Glaube, durch den wir gerettet werden. Im Zusammenhang geht es nicht darum, dass Gott ungläubigen Menschen ein Glaubensmaß zuteilte, mit dem sie
230 Vgl. Philipper 1, 29. Ebenso Apostelgeschichte 14, 27: „Als sie angekommen waren …, berichteten sie, wie
viel Gott mit ihnen getan und dass er denen von den Völkern die Tür des Glaubens
aufgetan habe.“
11, 18: Gott gab denen, die von den heidnischen Völkern waren, „die Buße zum Leben“.
Sie mussten nicht vorher Juden werden. Die Heiden durften nun zusammen mit den
Juden glauben.
231 Vgl. Epheser 4, 5.
232 Vgl. Galater 1, 23; 3, 25; 1. Timotheus 3, 9; 4, 6; 5, 8; 6, 10; Titus 1, 1.4; Judas 3.
233 Vgl. Apostelgeschichte 23, 6; 26, 7; 28, 20; Römer 5, 5; 1. Korinther 9, 10E; Galater 5, 5; Epheser 1, 18; Kolosser 1, 5; 1, 27; 1. Timotheus
1, 1; Titus 2, 13; Hebräer 6, 18; 7, 19; 1. Petrus 1, 3.
234 Vgl. Lukas 24, 49; Apostelgeschichte 1, 4; 2, 33; Hebräer 6, 15; 9, 15; 10, 36; 11, 39.
dann zum Glauben kommen und gerettet werden können. Paulus spricht über die Gnadengaben. Diese sollen „gemäß dem entsprechenden Verhältnis des Glaubens“ (d. h., Vertrauens) ausgeübt werden. Jeder Christ hat ein Maß von dem, was er ist und kann. Dieses hat er von Gott. (Vgl. 1. Korinther 12, 4-11.) Auf Grund dieses Maßes hat er ein entsprechendes Vertrauen – im Blick auf alles, was Gott ihm in Barmherzigkeit geschenkt hat; auch ein Vertrauen im Blick auf den Dienst, den er zu leisten hat und leisten will. Er weiß um seine völlige Abhängigkeit von Gott und die Notwendigkeit, ihm zu vertrauen. Es geht also um ein Maß des Vertrauens zu den Gaben, die Gott ihm gegeben, und um ein Maß des Vertrauens zu dem Dienst, in den Gott ihn gestellt hat. Der Gläubige soll nun – im Vertrauen auf Gott – nicht mehr von sich halten, als zu halten sich gebührt; auch nicht weniger. Er soll darauf bedacht sein, eine gesunde Haltung einzunehmen, dementsprechend, wie Gott ihm ein Maß des Vertrauens zuteilte. Seine Gnadengabe ist ein Maß. Und entsprechend diesem Maß soll er sie ausüben. Wenn ich nicht lehren kann, soll ich nicht denken, dass ich lehren kann. Was ich nicht bin, für das soll ich mich nicht halten. Ich soll nicht mehr von mir halten, als zu halten sich gebührt. Aber wenn ich durch die Gnade Gottes Geschwistern Hilfe geben kann, soll ich entsprechend etwas von mir halten; dann soll ich im Gottvertrauen und im Vertrauen auf die Befähigung, die er mir gab, dienen.
Hebräer 12, 1.2: „Ja, so lasst denn also auch uns, da wir eine so große Wolke von Zeugen haben, die uns umgibt, nach Ablegung alles Beschwerenden und der gern umstrickenden Sünde mit Ausdauer laufen in dem Wettlauf, der vor uns liegt, 2 dabei hinwegsehen auf des Glaubens Anführer und Vollender, Jesus, der für die Freude, die vor ihm lag, das Kreuz erduldete – die Schande hatte er verachtet –, sich auch setzte an der Rechten des Thrones Gottes…“
Die Stelle selbst gibt keine Antwort auf die Frage, ob Gott den persönlichen Glauben des Menschen initiiert. Jesus Christus ist des Glaubens Anführer (Urheber, Urgrund; griech. archeegos), der Urheber des Glaubensweges, den wir zu laufen haben. Auf ihn ist es zurückzuführen, dass wir den Glaubensweg überhaupt gehen können. Er ist des Glaubens Bahnbrecher, Vorausgehender. Er selbst lebte durch den Glauben, ein Leben des Glaubens. Er bahnte den Glaubensweg für uns, ging den Weg als Erster. Er ist für unseren Glaubensweg das Vorbild, besser noch als das Vorbild der alttestamentlichen Zeugen. Das zeigt sich in seinem „Hinwegsehen“, weg von den Umständen, hin auf die Freude; das zeigt sich in seinem Verachten der Schande und in seinem Erdulden des Kreuzes (12, 2). Jesus Christus ist auch „des Glaubens Vollender“. Er ging den Weg des Glaubens bis ans Ziel – bis er sich „setzte an der Rechten des Thrones Gottes“. Als solcher führt er uns den Weg bis zur Vollendung, bringt er uns ans Ziel. Vgl. Philipper 1, 6: „... von eben diesem überzeugt, dass der, der unter euch ein gutes Werk anfing, es ‹ganz› zum Ziel führen wird bis zum Tage Jesu Christi“. Dieses wird er tun, wenn der Christ mitmacht. (Vgl. Philipper 2, 12.13.)235 Nebenbei sei bemerkt: Das Fürwort „unser“ („Anführer unseres Glaubens“) steht nicht im Text. Es ist immer auf Gottes Wirken und Werben zurückzuführen, wenn Menschen glauben. Aber die Verantwortung zum Treffen der Glaubensentscheidung liegt beim Menschen. 236 Gott zieht jeden, der sich entschieden hat, nicht glauben zu wollen, für seine Entscheidung zur Verantwortung.237
Johannes 5, 19-23: „Daraufhin antwortete Jesus und sagte zu ihnen: ‘Wahrlich! Wahrlich! Ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich selbst tun, als nur, was er den Vater tun sieht, denn was immer der tut, diese Dinge tut gleicherweise auch der Sohn; 20 denn der Vater hat den Sohn lieb, und er zeigt ihm alles, was er selbst tut. Und er wird ihm noch größere Werke als diese zeigen, damit ihr euch wundert; 21 denn gleichwie der Vater die Toten erweckt und lebend macht, so macht auch der Sohn lebend, welche er will; 22 denn der Vater richtet niemanden, sondern hat alles Gericht dem Sohn gegeben, 23 damit alle den Sohn ehren, so
235 Siehe die Ausführungen zu Philipper 2, 12.13.
236 Siehe die Ausführungen zur Frage „Kann der Mensch frei entscheiden?“ und „Wirkt
Gott den Glauben?“
237 Vgl. Hebräer 3 und 4.
wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt nicht den Vater, der ihn schickte.“
Jesus betont, dass der Sohn, obwohl er als Mensch sich Gott unterordnet und in völliger Abhängigkeit vom Vater lebt, in sich selbst Gott ist. Er weckt kraft seines eigenen Willens Tote auf. Er muss nicht zuerst Gott bitten, das tun zu dürfen. Er richtet wie der Vater. Er wird geehrt wie der Vater. Er macht lebend, welche er will. Damit wird nicht gesagt, welche von den Menschen schließlich lebend werden und welche nicht. Aus V. 24 erfahren wir, dass nur diejenigen lebend werden, die sein Wort hören und glauben: „Wahrlich! Wahrlich! Ich sage euch: Der, der mein Wort hört und dem glaubt, der mich schickte, hat ewiges Leben. Und er kommt nicht in Gericht, sondern ist hinübergegangen aus dem Tode in das Leben.“ Gott will, dass alle leben und gerettet werden. Er ist ein Rettergott. Er will alle, weil er alle liebt. Aber nicht alle wollen ihn.238 So manche lieben die Schöpfung mehr als den Schöpfer und die Finsternis mehr als das Licht. Warum das so ist, wissen wir letztlich nicht.
Üblicherweise wird der Vers so übersetzt: „Habt ‹stets› Glauben an Gott.“ Was meinte der Herr Jesus? Der griechische Wesfall in echete pistin theou heißt wörtlich: „Habt ‹stets› Glauben [o.: Vertrauen] Gottes“. Damit scheint ausgedrückt zu sein, dass das Vertrauen, das die Jünger haben sollen, eines sein soll, das Gott zum Vorbild und zum Gegenstand hat, oder ein Vertrauen, das göttlicher Art ist, d. h., derart, wie Gott selber Vertrauen ausübt. Worauf vertraut Gott? Gott hat nichts außerhalb von sich selbst, auf das er sein Vertrauen setzen könnte. Daher ist sein Vertrauen auf sich selbst gerichtet. Eben dieses Vertrauen auf Gott ist es, das die Jünger Jesu haben sollen. Gott gebietet ausdrücklich, dass das Vertrauen des Menschen nicht auf Unzuverlässiges gerichtet sei. Könnte der Wesfall auch als Genitiv der Urheberschaft aufgefasst werden, i. S. v.: „habt den Glauben, den Gott gibt“? Dagegen spricht, dass der Herr den Jüngern befiehlt, dieses Vertrauen auszuüben.
238 Vgl. Lukas 19, 14: „wollen nicht, dass dieser über uns König sei.“
Auch ist die Fähigkeit zu vertrauen grundsätzlich etwas dem Menschen von der Schöpfung her Gegebenes und für echte Beziehung Notwendiges. Es ist vorzuziehen, echete pistin theou zu übersetzen mit: „Habt Glauben an Gott!“ Der Wesfall theou wird im Sinne des Wenfalles (genitivus obiectivus) verwendet. Diese Übersetzung stimmt mit dem Zusammenhang der Heiligen Schrift überein und ist die übliche des gegenständlichen Genitivs.
„Wohl habe ich Ephraim klagen hören: ‚Du hast mich gezüchtigt, und ich bin gezüchtigt worden wie ein nicht ans Joch gewöhntes Kalb. Bekehre mich, dass ich mich bekehre, denn du bist Jahweh, mein Gott, 19 denn nach meiner Abkehr empfinde ich Reue, und nachdem ich zur Erkenntnis gebracht worden bin, schlage ich mich auf die Lenden. Ich schäme mich und bin auch zuschanden geworden, denn ich trage die Schmach meiner Jugend.”
Bekehrt man sich nun, oder wird man bekehrt? Die kurze Antwort lautet: Beides. Die längere Antwort: Luther übersetzt das Hebräische haschibeni we-aschubah (V. 18) mit: „Bekehre mich, und ich werde mich bekehren”. Die übliche Übersetzung des hebräischen Verbs239 ist: „zurückbringen, (jemanden) umkehren, zur Umkehr/Rückkehr veranlassen”240. Daher ist folgendermaßen zu übersetzen: „Kehre mich um, damit ich umkehre [i. S. v.: Führe mich zurück /Veranlasse meine Rückkehr, dass ich zurückkehre], denn du bist Jahweh, mein Gott; 19 denn nach meiner Abkehr241 empfinde ich Reue, und nachdem ich zur Erkenntnis242 gebracht worden bin, schlage ich mich auf die Hüften. Ich schäme mich und bin auch zuschanden geworden, denn ich trage die Schmach meiner Jugend.” Der Beter wendet sich an Gott, er möge ihn zurückführen, d. h.,
239 heschib; von schub
240 Vgl. 1. Mose 37, 14; 2Sa 15, 25; 1Kg 13, 18; 22, 26; Psalm 35, 17; 80, 4.8.20; Klg 5, 21.
241 d. h., zeitlich nach meiner Abkehr von dir, also, nachdem ich mich von dir abgewandt
habe
242 d. h., zur Einsicht
die Rückkehr veranlassen, sodass er (aus dem Land der Verbannung) zurückkehre zu Jahweh, seinem Gott. Wir betrachten den Vers im Zusammenhang: V. 16.17: „So spricht Jahweh: Halte deine Stimme zurück vom Weinen und deine Augen von Tränen; denn es gibt Lohn für deine Arbeit, [ist der] Ausspruch Jahwehs, und sie werden aus dem Land des Feindes zurückkehren; 17 und es gibt Hoffnung für dein Ende, [ist der] Ausspruch Jahwehs, und deine Kinder werden in ihr Gebiet zurückkehren. 18 Kehre mich um, damit ich umkehre [o.: Veranlasse meine Rückkehr, und ich werde zurückkehren], denn du bist Jahweh, mein Gott; 19 denn nach meiner Abkehr empfinde ich Reue, und nachdem ich zur Erkenntnis gebracht worden bin, schlage ich mich auf die Hüften. Ich schäme mich und bin auch zuschanden geworden, denn ich trage die Schmach meiner Jugend. 20 Ist mir Ephraim ein teurer Sohn oder ein Kind der Wonne? – denn sooft ich auch gegen ihn geredet habe, gedenke ich seiner doch immer wieder. Darum ist mein Innerstes über ihn erregt; ich will mich seiner gewiss erbarmen, [ist der] Ausspruch Jahwehs. 21 Richte dir Wegweiser auf! Setze dir Wegzeichen! Richte dein Herz auf die Straße, auf den Weg, den du gegangen bist! Kehre um, Jungfrau Israel! Kehre um zu diesen deinen Städten! 22 Wie lange willst du dich hin und her wenden, du abtrünnige Tochter? – denn Jahweh hat ein Neues geschaffen auf der Erde: Die Frau wird den Mann umgeben. 23 So spricht Jahweh der Heere, der Gott Israels: Dieses Wort wird man noch sprechen im Lande Juda und in seinen Städten, wenn ich ihre Gefangenschaft wenden werde: ‘Jahweh segne dich, du Wohnung der Gerechtigkeit, du heiliger Berg!’” Es geht in den V. 18.19 um ein von Gottes Seite ausgehendes Wenden des Geschickes des Volkes und der Seelen des Volkes. Bei der Bekehrung einer Seele sind immer beide beteiligt: Gott und der Mensch. Gott disponiert, ruft, wirbt, zieht, liebt, warnt, spricht zu. Und der Mensch reagiert. Das göttliche Wirken soll dann zur Folge haben, dass das Volk ins Land zurückkehrt und in der rechten Jahweh-Verehrung sich wieder Gott zuwendet. Das kann aber nur im verheißenen Lande geschehen. Außerhalb des Landes zu sein bedeutet für das Gottesvolk so viel wie Tod, Leichendasein. (Vgl. Jesaja 26, 13-21.) Das Volk soll zur Umkehr gebracht werden. Wie wir wissen, kehrte nicht jeder aus der Gefangenschaft zurück, nur die, die sich dazu entschieden. Gerade in der Diaspora (d. i.: in der Zerstreuung), dem Ort der Züchtigung, erwartete Gott Buße und einen neuen Anfang mit ihm. Deshalb sandte er auch seine Prophetenboten zu ihnen. Vom Zusammenhang her ist in Jeremia 31, 18 eine rein einseitig göttlich bewirkte Bekehrung der einzelnen Menschenseele (also völlig ohne das Zutun des Menschen) ausgeschlossen. Dasselbe gilt für die Parallelstelle in Klg 5, 21: „Bringe uns zurück [o.: Veranlasse unsere Rückkehr], Jahweh, zu dir243, dass wir umkehren [o.: zurückkehren]! Erneuere unsere Tage wie früher244!”
Auf die Frage der Pharisäer hin, ob sie denn auch blind wären, antwortete ihnen Jesus (Johannes 9, 41A): „Wärt ihr blind, so hättet ihr nicht Sünde.” Wenn ihr blind wäret, wenn ihr wie der Blindgeborene noch nie Licht gesehen hättet, würde Gott euch für eure Blindheit nicht tadeln. Gott wird nicht jemanden zur Verantwortung ziehen, der etwas aus dem Grund nicht gesehen hat, weil er weder Fähigkeit noch Möglichkeit zum Sehen gehabt hatte. Wer hingegen die Fähigkeit und Möglichkeit zum Sehen hatte, aber nicht sehen wollte, ist schuldig. Der Herr sagte in Johannes 15, 22-24: „Wenn ich nicht gekommen wäre und zu ihnen geredet hätte, hätten sie nicht Sünde gehabt. Aber nun haben sie keinen Entschuldigungsgrund für ihre Sünde. 23 Wer mich hasst, hasst auch meinen Vater. 24 Wenn ich nicht die Werke unter ihnen getan hätte, die kein anderer getan hat, hätten sie nicht Sünde gehabt. Nun haben sie aber mich und auch meinen Vater gesehen und auch gehasst.“ Wenn Gott einen Menschen wegen seines Unglaubens zur Verantwortung zieht, bedeutet das, dass er die Möglichkeit zum Glauben gehabt hätte, wenn er gewollt hätte. Alle Menschen sind „blind“ geboren, d. h. ohne Fähigkeit, Gott und seine Wahrheit zu sehen, also ohne Beziehung zu Gott. Aber wir Menschen sind – moralisch gesehen – nicht gänzlich blind. Wir können zwischen Gut und Böse
243 d. h., zum Tempel, zum verheißenen Land, zum Gottesdienst
244 d. h., Erneuere unsere Tage, so dass sie werden wie die, die früher waren; wörtl: Erneuere
unsere Tage gemäß der Vorzeit
unterscheiden. Wir haben das Licht des Gewissens (Römer 2, 15). Wir haben ein moralisches Urteilsvermögen. Jeder ist verantwortlich, sein moralisches Urteilsvermögen zu gebrauchen. Dazu hatte Jesus die Volksmenge in Jerusalem am Laubhüttenfest aufgerufen (Johannes 7, 24): „Richtet nicht nach Augenschein, sondern richtet das gerechte Urteil.“ Und: Urteilt selber bezüglich meiner Morallehre (7, 16-18): „Meine Lehre ist nicht meine, sondern dessen, der mich schickte. 17 Wenn jemand seinen Willen tun will, wird er bezüglich der Lehre erkennen, ob sie aus Gott ist oder ob ich von mir selbst her rede. 18 Der, der von sich selbst her redet, sucht die eigene Ehre, aber der, der die Ehre dessen sucht, der ihn schickte, der ist wahrhaftig, und Ungerechtigkeit ist nicht in ihm.“ Mit ihrem gottgegebenen moralischen Urteilsvermögen hätten sie erkennen können, woher Jesus kam und aus welcher Quelle er sprach. Sie hätten bezüglich seiner Person und Lehre nicht im Dunklen tappen müssen. Sie hatten Jesu Lehre und Jesu Werke vor „Augen“. Jesus verwies auf seine Wunder (7, 21-24): „… Ein Werk tat ich, und ihr verwundert euch alle. 22 Deswegen hat euch Mose die Beschneidung gegeben – nicht, dass sie von Mose sei, sondern von den Vätern –, und am Sabbat beschneidet ihr einen Menschen. 23 Wenn ein Mensch an einem Sabbat die Beschneidung empfängt, damit nicht das Gesetz Moses aufgehoben werde, zürnt ihr mir, weil ich an einem Sabbat einen ganzen Menschen gesund machte? 24 Richtet nicht nach Augenschein, sondern richtet das gerechte Urteil.“ Daraufhin redete Jesus im Klartext; er rief laut, als er in der Tempelstätte lehrte (7, 28.29): „… Ihr wisst über mich Bescheid und wisst auch, woher ich bin. Und von mir selbst aus bin ich nicht gekommen, sondern wahrhaftig ist er, der mich schickte, der, über den ihr nicht Bescheid wisst. 29 Aber ich kenne ihn wirklich, weil ich von ihm bin, und er sandte mich.“
In 7, 53-8, 11, dem Abschnitt von der auf frischer Tat ertappten Ehebrecherin, lesen wir, wie Jesus den moralischen Maßstab der Pharisäer an sie selber anlegt. Als Licht der Welt beleuchtet er ihr moralisches Urteilsvermögen und entlarvt ihre Sündhaftigkeit. Sie werden überführt, empfinden Ekel vor sich selber und gehen aus dem Lichtschein hinaus (8, 7-9). Dann sagt Jesus (V. 12): „Ich bin das Licht der Welt. Der, der mir folgt, wird nicht in der Dunkelheit wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Er war gekommen, damit sie nicht im Dunklen bleiben mussten. Sie erhielten die Möglichkeit und die Gelegenheit, Buße zu tun. Dass sie nicht wollten, lag nicht an Gott, sondern an ihnen selbst. In dem darauf folgenden Gespräch mit den Pharisäern spricht er von seiner Herkunft und zeigt ihnen den moralischen Unterschied zwischen seiner eigenen Person und ihnen (8, 14-18). Er offenbart ihnen, dass sie unwissend sind in Bezug auf seine Person: „Auch wenn ich über mich selbst Zeugnis gebe, ist mein Zeugnis wahr, weil ich weiß, woher ich kam und wohin ich gehe. Aber ihr wisst nicht wirklich, woher ich komme und wohin ich gehe. 15 Ihr urteilt nach dem Fleisch. Ich urteile über niemanden. 16 Wenn aber auch ich urteile, ist mein Urteil wahr, weil ich nicht alleine bin, sondern ich und der Vater, der mich schickte. 17 Es ist aber auch in eurem Gesetz geschrieben, dass das Zeugnis zweier Menschen wahr ist. 18 Ich bin es, der ich über mich selbst Zeugnis gebe, und der Vater, der mich schickte, gibt Zeugnis über mich.“ Und als sie ihn über den Vater befragen, zeigt er ihnen, dass sie auch in Bezug auf den Vater unwissend sind (V. 19): „Weder mich noch meinen Vater kennt ihr wirklich. Wenn ihr mich wirklich gekannt hättet, würdet ihr auch meinen Vater wirklich gekannt haben.“
Später gibt Jesus ihnen noch mehr Licht über beides: ihre Sünde und seine Person (V. 21-29): „Da sagte Jesus wieder zu ihnen: ‘Ich gehe weg. Und ihr werdet mich suchen, und in eurer Sünde werdet ihr sterben. Wohin ich gehe, könnt ihr nicht kommen.’ 22 Darauf sagten die Juden: ‘Wird er sich etwa selbst töten, weil er sagt: ‘Wohin ich gehe, könnt ihr nicht kommen’? 23 „Und er sagte zu ihnen: ‘Ihr seid von dem, das unten ist. Ich bin von dem, das oben ist. Ihr seid von dieser Welt. Ich bin nicht von dieser Welt. 24 Also sagte ich zu euch: Ihr werdet in euren Sünden sterben, denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr in euren Sünden sterben.’ 25 Darauf sagten sie zu ihm: ‘Wer bist du?’ Und Jesus sagte zu ihnen: ‘Zum Ersten das, was ich euch auch sage. 26 Vieles habe ich über euch zu sagen und zu urteilen; der jedoch, der mich schickte, ist wahrhaftig, und ich, was ich von ihm hörte, dieses sage ich zur Welt.’ 27 Sie erkannten nicht, dass er zu ihnen vom Vater sprach. 28 Es sagte also Jesus zu ihnen: ‘Wenn ihr den Sohn des Menschen erhöht haben werdet, dann werdet ihr merken, dass ich es bin und dass ich aus mir selbst nichts tue, sondern so, wie mein Vater mich lehrte, das rede ich. 29 Und der, der mich schickte, ist mit mir. Der Vater hat mich nicht alleine gelassen, weil ich allezeit das tue, was ihm gefällt.’“
Als er ihnen ihr sündhaftes Wesen aufdeckt und ihnen noch mehr über seine wunderbare Person zeigt, werden sie ärgerlich. Sie haben vieles über sich selbst gesehen. Aber sie wollen es nicht wahr haben. Sie fühlen sich unwohl. Haben sie Licht erhalten? Haben sie ihre Sünde erkannt? Gegenfrage: Wie kann man beweisen, dass Licht vorhanden ist? Wenn Licht da ist, sieht man Dinge, die man vorher nicht gesehen hatte. Der Beweis, dass die Pharisäer Licht erhalten haben, ist, dass sie die Lichtquelle eliminieren wollen. Sie heben Steine auf, um das störende, unangenehme Licht zu löschen (8, 59). Sie lieben die Finsternis mehr als das Licht.245 In der Finsternis sieht man nicht, wie schmutzig man ist. Und er, das Licht in Person, was tut er? In seiner Barmherzigkeit verdammt er sie nicht, sondern geht weg – nach Golgatha, um dort für sie zu sterben und ihre Schuld auf sich zu nehmen. Die Zusammenfassung, die Johannes uns in 12, 36-43 gibt, ist ernüchternd: „Diese Dinge redete Jesus, und er ging weg und verbarg sich vor ihnen. 37 So viele Zeichen er nämlich vor ihnen getan hatte –: sie glaubten nicht an ihn, 38 damit das Wort des Propheten Jesaja erfüllt werde, das er sagte: ‘Herr, wer hat unserer Verkündigung geglaubt, und der Arm des Herrn, wem ist er geoffenbart worden?’ (Jesaja 53, 1) 39 Deswegen konnten sie nicht glauben, weil wiederum Jesaja sagte: 40 ‘Er hat ihre Augen blind gemacht, und ihr Herz hat er verhärtet, damit sie nicht mit den Augen sähen und mit dem Herzen verständen und sie umkehrten und ich sie heilte.’ 41 Solches sagte Jesaja, als er seine Herrlichkeit sah, und über ihn redete er. 42 Gleichwohl glaubten tatsächlich auch von den Obersten viele an ihn. Wegen der Pharisäer jedoch bekannten sie es nicht, damit sie nicht aus der Synagoge getan würden, 43 denn sie liebten die Ehre der Menschen mehr als die Ehre Gottes.“ Jesus Christus will erleuchten. Er befähigt, zu sehen. Und dabei
245 Vgl. Johannes 3, 19-21.
ist er nicht selektiv. Das Licht beleuchtet alle. Wer Licht bekommt, es aber abweist (12, 41), ist schuldig und verantwortlich. Jesus sagte zu den Pharisäern (9, 39): „Zum Gericht kam ich in diese Welt, damit die Nichtsehenden sehen sollten und die Sehenden blind würden.“ Und als einige von den Pharisäern, die bei ihm waren, dieses hörten, fragten sie: „Sind wir auch blind?“ Jesus sagte zu ihnen (V. 41): „Wenn ihr blind wärt, hättet ihr nicht Sünde. Aber nun sagt ihr: ‘Wir sehen.’ Daher bleibt eure Sünde.“
Sie hatten gesehen, wollten aber nicht im Lichtschein bleiben, wollten nicht den Tatsachen ins Auge sehen und sich der Wahrheit stellen. Sie gaben vor, etwas anderes zu sehen und behaupteten (9, 24): „Wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist.“ Das sagten sie, obwohl sie ein Zeichen hatten geschehen sehen, das nur durch Gott erklärbar war (9, 31-33). Sie sind für ihr moralisches Fehlurteil – dass sie den Messias verwarfen – vollumfänglich verantwortlich.
Jesus sagte (Lukas 11, 28M): „Selige sind die, die das Wort Gottes hören und es befolgen!“ Zu den führenden Juden sagte er: (V. 29M-32): „Dieses ist ein böses Geschlecht. Nach einem Zeichen trachtet es, und ein Zeichen wird ihm nicht gegeben werden als nur das Zeichen Jonas, des Propheten, 30 denn so, wie Jona ein Zeichen wurde den Niniviten, so wird es auch der Sohn des Menschen diesem Geschlecht sein. 31 Eine Königin des Südens wird im Gericht auftreten mit den Männern dieses Geschlechts und wird sie verurteilen, weil sie von den jenseitigen Teilen der Erde kam, zu hören die Weisheit Salomos. Und – siehe! – mehr als Salomo ist hier. 32 Männer von Ninive werden im Gericht aufstehen mit diesem Geschlecht und werden es verurteilen, weil sie auf die Verkündigung Jonas hin Buße taten. Und – siehe! – mehr als Jona ist hier.“
Was wird der Maßstab am Tag des Gerichts sein? Ihre Reaktion auf das Licht, das ihnen gegeben worden war. (Vgl. Johannes 12, 48.49.)246
246 Johannes 12, 48.49: „Wer mich verwirft und meine Worte nicht annimmt, hat seinen Richter:
Für die Königin von Saba, ehe sie nach Jerusalem kam, war es schwieriger, an Gottes Wahrheit zu glauben, als für die Zeitgenossen Jesu in Kapernaum und den umliegenden Dörfern. Auch für die Menschen von Ninive war es schwieriger. Sie hatten keine Beweise von der Wahrheit der Aussagen, die sie hörten. Dennoch reagierten sie positiv und nahmen sie die Botschaft auf. Sie hörten Jonas Gerichtswort – und glaubten. Je mehr Licht, desto mehr Verantwortung und desto strenger der Gerichtsmaßstab! Vgl. Lukas 10, 13-15: „Wehe dir, Chorazin! Wehe dir, Bethsaida!– denn wenn in Tyrus und Sidon die Krafttaten geschehen wären, die bei euch geschehen sind, längst hätten sie, in Sack und Asche sitzend, Buße getan. 14 Doch es wird für Tyrus und Sidon im Gericht erträglicher sein als für euch. 15 Und du, Kapernaum, die du bis zum Himmel erhöht wurdest, bis zum Bereich des Todes wirst du hinabgestoßen werden!“ Jesus ist mehr als Jona, mehr als ein Gerichtsbote. Er selbst würde vom Tode auferstehen, ohne je wieder sterben zu müssen.247 Jesus ist mehr als Salomo, weiser als der weiseste irdische König. Wie viel ärgeres Gericht wird jemand empfangen, der heute lebt und an diesem weisen Herrn der Herrlichkeit kein Interesse zeigt! Während die Niniviten auf die Botschaft des Jona hin Buße taten, ohne dass sie das Gesetz Moses hatten, taten die Israeliten der Zeit Jesu nicht Buße. Warum nicht? Weil sie nicht sehen wollten, wie sehr sie Buße nötig hatten. Sie meinten, sie bräuchten keinen „Arzt“. Warum sahen sie das Licht nicht? Das erläutert der Herr in Lukas 11, 33-36: „Niemand, der eine Lampe angezündet hat, stellt sie ins Verborgene oder unter ein Getreidegefäß, sondern auf das Lampengestell, damit die Hereinkommenden den Das Wort, das ich redete, das wird ihn richten am letzten Tage; ich redete nicht von mir
selbst aus, sondern der Vater, der mich schickte, er selbst gab mir Gebot, was ich sagen
soll und was ich reden werde.” Vgl. Römer 2, 12: „... so viele ohne Gesetz sündigten, werden
auch ohne Gesetz verloren gehen, und so viele im Gesetz sündigten, werden durch das
Gesetz gerichtet werden.“
247 In welcher Hinsicht war Jona den Niniviten ein „Zeichen“? – Was der Botschaft des
Jona in Ninive großes Gewicht verlieh, war die wunderbare „Auferstehung“ des Jona
aus dem Bauch des Fisches. Und Christus? Sein Sterben und Auferstehen sollte Gottes
letztes Zeichen an Israel sein. (Vgl. Matthäus 12, 38-42 und Lukas 12, 50.) So sollte das Wunder
der Auferstehung zusätzlich ein Akt der Barmherzigkeit und Liebe Gottes zu Israel sein.
Der gnädige Gott würde sie, nachdem sie den Messias verworfen hatten, noch einmal
rufen und ihnen Vergebung, Versöhnung und Entrinnen vor dem Gericht anbieten.
Aber wenn sie auch dieses Zeugnis ablehnten, würden sie unausweichlich dem Verderben
entgegengehen.
Schein sehen. 34 Die Lampe des Leibes ist das Auge. Wenn also dein Auge einfach ist, ist auch dein ganzer Leib erleuchtet. Wenn es aber böse ist, ist auch dein Leib dunkel. 35 Gib also Acht, dass nicht das Licht in dir Dunkelheit ist. 36 Wenn also dein ganzer Leib erleuchtet ist und gar keinen dunklen Teil hat, wird er ganz erleuchtet sein, wie wenn die Lampe mit ihrem blitzenden [Schein] dich beleuchtet.“
Wenn ich etwas nicht sehe, gibt es zwei mögliche Ursachen: Entweder ist das, was ich sehen sollte, nicht vorhanden, oder ich habe nicht genau genug hingeschaut bzw. meine Augen sind krank (schlecht, „böse“). Unsere Augen sind wie eine Lampe: Gebrauchen wir sie, so erhalten wir Licht für unseren ganzen Leib. Stellen wir diese „Lampe“ aber unter einen Scheffel, so hindern wir sie daran, Licht zu geben. Das Ergebnis ist Dunkelheit. Wenn wir unsere Augen unter das „Getreidegefäß“ stellen, d. h., wenn wir unsere gottgegebene Fähigkeit, etwas sehen zu können, nicht gebrauchen wollen, werden wir nichts sehen. Das Ergebnis wird Dunkelheit in unseren Herzen sein. Jesus zeigt: „Sehen“ ist die Fähigkeit etwas wahrzunehmen. Diese Fähigkeit darf der Mensch durch nichts verhindern (11, 34): „Die Lampe des Leibes ist das Auge. Wenn also dein Auge einfach248 ist, ist auch dein ganzer Leib erleuchtet. Wenn es aber böse ist, ist auch dein Leib dunkel.“
Meine Füße haben keine Augen. Aber meine Füße wissen, wohin sie gehen sollen, wenn ich gesunde Augen habe. Wenn meine Augen „einfältig“ sind, ist mein Leib voll Licht. „Einfältig“ heißt: ungeteilt, lauter, im rechten Zustand; so, dass man nicht doppelt sieht. Jeder Mensch hat eine „Lampe“ in sich: das moralische Licht, d. h., die Fähigkeit, zu erkennen, ob etwas moralisch wahr ist oder nicht. Wenn nun mein Auge „böse“ ist (schlecht, z. B. schielend, gleichzeitig auf zwei Dinge gerichtet249), wird die mir gegebene Fähigkeit, die Wahrheit zu erkennen, beeinträchtigt. Jesus erklärte seinen Gegnern, dass sie, wenn sie ihren moralischen Sinn einsetzen würden, erkennen würden, ob er vom Vater gesandt war oder nicht (Johannes 7, 17). Ihre Fähigkeit, die Wahrheit zu erkennen, könnte aber beeinträchtigt werden, wenn sie unlauter gegen sich selbst wären und sich den Beweisen nicht stellten. Wenn wir unserer gottgegebenen
248 o.: ungeteilt; d. h., im rechten Zustand; so, dass man nicht doppelt sieht; o: auf eines
ausgerichtet
249 Vgl. Matthäus 6, 24.
natürlichen Fähigkeit, die Wahrheit zu erkennen, nicht erlauben, uns zu leuchten, laden wir Schuld auf uns und werden mit der Zeit erkenntnisunfähig. „Gib also Acht, dass nicht das Licht in dir Dunkelheit ist.“ (11, 35). Jesus sagt: Ihr habt kein Licht in euch hineingelassen, weil euer Auge unlauter ist. Ihr habt das Licht, d. h. die Beweise für die Wahrheit meiner Botschaft, zur Finsternis werden lassen, weil ihr es nicht lauter aufgenommen habt. Ihr glaubt nicht – trotz des großen vorhandenen Beweismaterials! Lasst ihr das Licht der Beweise nicht in euch hinein, so geht ihr selbstverschuldet in die Verdammnis.250 An anderer Stelle sagt Jesus: „Seht zu, wie ihr hört!“ (Lukas 8, 18) Die führenden Juden wollten Beweise haben. Beweise fehlten nicht. Die waren zur Genüge vorhanden. Aber ihr Auge war nicht einfältig. Vorurteile verdunkeln die klare Sicht und halten das Licht draußen. Man kann die Wahrheit durch Ungerechtigkeit „niederhalten“ (Römer 1, 18). Sünde verhindert Erkenntnis der Wahrheit. Hier ist die Warnung an jeden Menschen heute: Lösche das moralische Licht des Gewissens, das in dir ist, nicht aus! Stelle es nicht unter den Scheffel! Es kommt ein Gericht. Es wäre unrichtig und gefährlich, zu behaupten, ein nicht wiedergeborener Mensch könnte es nicht erkennen, wenn er seiner Lust, seiner Habsucht, seinem Ehrgeiz und seiner Menschenfurcht erlaubt, sein „Auge“ zu trüben. Er wird verantwortlich gemacht werden! Gott wird ihn fragen, warum er nichts dagegen unternommen hatte. Jesus sagt: Lasst das Licht in euch hinein! Ansonsten droht euch ewige Verdammnis. „Gebt Jahweh, eurem Gott, Ehre, bevor er finster macht und bevor eure Füße sich an Bergen der Dämmerung stoßen und ihr auf Licht harrt und er es in Todesschatten verwandelt und zur Dunkelheit macht. 17 Wenn ihr aber nicht hört, wird meine Seele im Verborgenen weinen wegen [eures] Hochmuts. Und tränen wird mein Auge und von Tränen rinnen, weil die Herde Jahwehs gefangen weggeführt ist.“ (Jeremia 13, 16.17)
250 Vgl. Gooding, According to Luke, 229f
Paulus gibt seinem Mitarbeiter Timotheus Anweisungen für das Zusammenkommen. In K. 2, 1ff spricht er vom öffentlichen Gebet. Das Beten in den Zusammenkünften ist wichtig. (V. 1). Aber für wen soll gebetet werden? (V. 1E.2A) Für „… alle Menschen, … für Könige und alle, die in höherer Stellung sind“. Zu welchem Ziel und Zweck soll gebetet werden? (V 2M): „… damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen, in aller rechten Ehrfurcht und Ehrbarkeit.“ In ruhigeren Zeiten ist es leichter, dass Menschen gerettet werden. Zeiten des Aufruhrs und des Krieges sind oft ein Hindernis für das Evangelium. Christen sollen für die Obrigkeit beten, damit es im Lande so zugeht, dass das Evangelium verkündet werden kann und Menschen gerettet werden können. Gott will nicht, dass jemand verloren gehe. Würde man nicht beten, wären die Türen für das Evangelium geschlossen oder die Umstände erschwert. Wenn Gottes Volk betet, wird Gott Möglichkeiten für die Evangelisation schaffen und die Türen öffnen. Er wird die Menschen nicht zwingen, aber dem Evangelium Raum schaffen. Mit welcher Berechtigung kann für alle gebetet werden? (V. 3-7) 1. Weil es edel ist und angenehm vor Gott (2, 3A): „denn solches ist edel und angenehm vor Gott, unserem Retter“. 2. Weil wir es mit einem Rettergott (2, 3E; 1, 1; 4, 10) zu tun haben. 3. Weil der Rettergott will, „dass alle gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“251. (2, 4) Und zur Rettung dieser „Gruppe“ („alle Menschen“) hat er einen Mittler gestellt. Dieser Mittler ist – weil er selber vollkommener
251 Die Heilige Schrift verwendet den Ausdruck „zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“
so, dass damit vorausgesetzt wird, dass derjenige, der zur Erkenntnis der Wahrheit
kommt, das Heil empfängt (Kolosser 1, 6; 1. Timotheus 4, 3; 2. Timotheus 2, 25; 3, 7; Titus 1, 1; Hebräer 10, 26).
Wir beachten ferner, dass es um ein Gerettet-Werden und ein Zur-Erkenntnis-der-
Wahrheit-Kommen geht, das zeitlich vor dem Tode stattfindet. Der Vers ist kein Beleg
dafür, dass Gott nach dem Tode Menschen rettet und sie nach dem Tode zur Erkenntnis
der Wahrheit kommen. Dann ist es zu spät. Vgl. Lukas 16, 25-31.
Wir beachten auch die Reihenfolge: Paulus sagt zuerst „gerettet werden“, dann „zur Erkenntnis
der Wahrheit kommen“. Warum? Weil nach dem ersten Erkennen ein weiteres
progressives Erkennen stattfindet. Die Wahrheit ist eine Person. Und diese Person zu
kennen, ist Heil und Leben. (Vgl. Johannes 17, 3; 2. Petrus 1, 4; 2, 5.20; 3, 18; 1. Johannes 5, 20.)
Mensch ist und sich selbst als Lösegeld „für alle“ gab (2, 6) – zum Retter für alle diese geworden, die Gott retten will. Paulus weiß: Das Mittel, um „alle“ zu retten, ist die Verkündigung der guten Botschaft von Christus. Weil Gott alle retten will, sollen alle die Botschaft hören. Deshalb sollen die Christen, sagt Paulus, für offene Türen zur Verkündigung der Botschaft beten. Es könnten also alle Menschen gerettet werden, weil der Mittler Jesus sich für alle gab (1. Timotheus 2, 5.6A): „denn es ist einer Gott, und einer ist Mittler zwischen Gott und den Menschen, ein Mensch: Christus Jesus, 6 der sich selbst als stellvertretendes Lösegeld für alle gab“. Tatsächlich wirksam ist Jesu Tod schlussendlich nur für diejenigen, die glauben. Dennoch gilt: Er starb, damit alle
gerettet werden könnten. Daher ist Gott potentiell „der Retter aller Menschen“ (1. Timotheus 4, 10). Ist mit dem Ausdruck „allen Menschen“ tatsächlich jeder einzelne Mensch gemeint? Oder meint Paulus kollektiv einfach die Heidenwelt im Gegensatz zu den Juden? Das Werk Christi am Kreuz war nicht auf den Nutzen einiger weniger beschränkt, sondern für alle Menschen zugänglich, für jeden einzelnen. Dieses wird in 1. Johannes 2, 2 bestätigt: „Er ist die Sühnung für unsere Sünden, aber nicht allein für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt“. Sicherlich ist diese Aussage nicht dasselbe wie: „Er ist die Sühnung für eine vorherbestimmte, ausgewählte begrenzte Anzahl von Menschen.“ Johannes 3, 14-17: „Und so, wie Mose in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden, 15 damit jeder, der an ihn glaubt, nicht ins Verderben gehe, sondern ewiges Leben habe; 16 denn so liebte Gott die Welt, dass er seinen einziggeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht ins Verderben gehe, sondern ewiges Leben habe; 17 denn Gott sandte seinen Sohn nicht in die Welt, damit er die Welt richte, sondern damit die Welt durch ihn gerettet werde.” Wenn wir in der Heiligen Schrift „jeder“ lesen, müssen wir den Zusammenhang beachten. Das Wort „jeder“ wird in Johannes 3, 15.16 definiert durch das Wort „Welt“. Dieselbe Anzahl von Menschen, von denen Jesus sagt, dass er nicht gekommen ist, sie zu richten („nicht … damit er die Welt richte“, V. 17M), dieselbe Anzahl ist es, für die er kam, um sie zu retten („sondern damit die Welt durch ihn gerettet werde“, V. 17E). Dieselbe Anzahl von Menschen, für die wir Gebete, Fürbitten und Dank darbringen sollen („für alle Menschen“ 1. Timotheus 2, 1), ist es, für die Christus sein Leben als Lösegeld gab („der sich als Lösegeld für alle gab“, V. 6). Damit ist das Wort „alle“ deutlich definiert. Diese „alle“ will Gott retten. Und für diese „alle“ hat Jesus den Tod geschmeckt (Hebräer 2, 9: „auf dass er … für jeden den Tod schmeckte“). Daher ist Gott „der Retter aller Menschen“ (1. Timotheus 4, 10). Daher ist Gottes Erbarmen „für alle“ zugänglich (Römer 11, 32), die Gnade Gottes, „die allen Menschen Heil bringt“ (Titus 2, 11), allen, die sie annehmen.252 Christus erkaufte sich die Seinen. Ja, er bezahlte das Lösegeld, gab sich für sie hin. Aber nicht nur für sie. Das Lösegeld gilt potentiell für alle Menschen. Die „Vielen“, für die er sein Blut vergoss253, sind alle Menschen (Römer 5, 18). Christus litt „für Ungerechte“ (1. Petrus 3, 18A): „… weil auch Christus ein für alle Mal für Sünden litt, ein Gerechter für Ungerechte…“ Da sind alle Menschen eingeschlossen. Wir alle gingen in die Irre. Gott „ließ ihn treffen unser aller Ungerechtigkeit“ (Jesaja 53, 6), auch die Ungerechtigkeit derer, die ihn schlussendlich ablehnen. Es wird immer Menschen geben, die „den unumschränkten Herrscher, der sie kaufte, verleugnen werden” (2. Petrus 2, 1), obwohl er sein Leben als Lösegeld für sie hingab. Auch für sie bezahlte der Herr Jesus den teuren Kaufpreis. Gott will nicht, dass Menschen ins Verderben gehen, „sondern dass alle Raum zur Buße haben“ (2. Petrus 3, 9), nicht nur eine begrenzte Auswahl von „Erwählten“. Aus diesem Grunde kann „jeder, der will,“ das Wasser des Lebens nehmen – kostenlos (Offenbarung 22, 17). Aus diesem Grunde darf jeder kommen, der „mühselig und beladen“ ist (Matthäus 11, 28). Jeder, „der den Namen des Herrn anruft“, soll gerettet werden“ (Römer 10, 13), denn er ist „reich für alle, die ihn anrufen“ (10, 12). Römer 6, 23 erklärt: „der Lohn der Sünde ist Tod“ – für alle, nicht nur für eine begrenzte Anzahl von Menschen. Ebenso ist es mit der „Gnadengabe Gottes“. Sie ist in Jesus Christus zu erlangen für alle Menschen. Die Rechtfertigung ist vorhanden „für alle Menschen“ (Römer 5, 18).
252 Vgl. 2. Korinther 6, 1: „Als Mitwirkende rufen wir euch ebenfalls auf, die ‹dargebotene› Gnade
Gottes nicht vergebens entgegenzunehmen”
253 Vgl. Matthäus 20, 28; 26, 28; Hebräer 9, 28; Jesaja 53, 12.
2. Korinther 5, 18-21: „… alles aber aus Gott, der uns durch Jesus Christus mit sich selbst versöhnte und uns den Dienst der Versöhnung gab, 19 wie folgt: Gott war in Christus, als er die Welt mit sich selbst versöhnte, als er ihnen ihre Übertretungen bei sich nicht in Rechnung stellte, und das Wort von der Versöhnung legte er nieder in uns. 20 Wir sind also Botschafter für Christus, [und zwar] so, dass Gott durch uns aufruft. Wir flehen an Christi Statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!“ Wenn mit dem Ausdruck „Welt“ (in V. 19) nur eine begrenzte Zahl von Auserwählten gemeint wäre, würde das bedeuten, dass Christus nicht wirklich ein Interesse daran hätte, sich um die übrigen Verlorenen zu bemühen, wüsste er doch, dass sein Versöhnungswerk für jene nicht gilt. Doch das ist es nicht, was Paulus hier sagt. Er ist deutlich genug: Gottes Angebot ergeht an alle. Wirksam werden kann es allerdings erst, wenn es durch Glauben angenommen wird. Ein Scheck muss eingereicht werden, um verwendet werden zu können. Ein Seil muss erfasst werden, um aus der Not zu ziehen. Das Blut des Passahlammes musste an die Türpfosten angebracht werden254, ansonsten hätte die Schlachtung nichts genützt. Alles in allem: Ein universelles und wohlwollendes Heilsangebot kann nicht „jeder Kreatur“ (Markus 16, 15) verkündet werden, wenn es kein allgemeines Angebot ist. Gott ist nicht selektiv. Christus heilte jeden, der zu ihm kam. (Vgl. Lukas 4, 40.) Jesus befahl (Matthäus 28, 19): „… macht zu Jüngern alle Völker!“255 Wenn ein universelles Angebot nur einer begrenzten Schar gilt, ist es nicht wirklich ein universelles Angebot. Wenn das Heil allen angeboten wird, bedeutet dieses, dass das Fundament und der Grund für dieses Angebot, das stellvertretende Leiden und Sterben Christi, für alle ist.256
254 Vgl. 1. Mose 12, 7-13.
255 Mit „Völker“ meinte er nicht Nationen als Einheiten oder die Heidenwelt als gesamte,
sondern, wie das auch sonst der übliche Gebrauch ist, alle Menschen, die von den Heidenvölkern
sind; denn es geht um einzelne Personen; diese sind aufgerufen, Jesu Jünger
zu werden.
256 Die so genannte Lehre von der begrenzten Versöhnung (d. i. die Lehre, dass Christus
nicht für alle Menschen gestorben sei, sondern nur für die Erwählten) ergibt auch in
sich Schwierigkeiten. Die meisten Christen bestätigen, dass die Bibel lehrt, dass Gott
jeden Menschen liebt. Ein Vertreter der reformierten Heilslehre sagte richtig: „Jedes Mal
wenn das Evangelium Ungläubigen verkündet wird, ist das ein Akt der Barmherzigkeit
Gottes, die ihnen die Gelegenheit zum Heil gibt.“ (John Piper, in: What We Believe
About the Five Points of Calvinism, S. 14.) Diese Aussage ist biblisch. Aber wie soll dieses
angesichts der reformierten Lehre von der „begrenzten Versöhnung“ möglich sein?
Verkündigung des Evangeliums gibt eine Gelegenheit zum Heil denen, für die (gemäß
der so gen. „begrenzten Versöhnungslehre“) Christus nicht starb und die Gott, ehe sie geboren wurden, (gemäß der so gen. „Prädestinationslehre“) vorherbestimmt hatte für die ewige Pein? - T. A. McMahon, in: The Berean Call, Aug. 2003)
Frage: Bedeutet dieses, dass alle Menschen versöhnt werden? Oder sind mit dem Ausdruck „Welt“ hier nur die Gläubigen gemeint? Antwort: Weder noch. Wir sehen uns zwei Textstellen an: Der Apostel Paulus schreibt im 2. Korintherbrief (5, 17-21): „Somit ist einer, wenn er in Christus ist, ein neues Geschöpf. Das Alte verging. Siehe, alles ist neu geworden! 18 – alles aber aus Gott, der uns durch Jesus Christus mit sich selbst versöhnte und uns den Dienst der Versöhnung gab, 19 wie folgt: Gott war in Christus, als er die Welt mit sich selbst versöhnte, als er ihnen ihre Übertretungen bei sich nicht in Rechnung stellte, und das Wort von der Versöhnung legte er nieder in uns. 20 Wir sind also Botschafter für Christus, [und zwar] so, dass Gott durch uns aufruft. Wir flehen an Christi Statt: Lasst euch mit Gott versöhnen! 21 – denn den, der Sünde nicht kannte, machte er für uns zur Sünde, ‹zum Sündopfer›, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden.“ Und in Kolosser 1, 14-23 lesen wir vom Sohn Gottes: „In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, 15 der das Ebenbild des unsichtbaren Gottes ist, Erstgeborener aller Schöpfung, 16 weil durch ihn alles geschaffen wurde, das in den Himmeln und das auf der Erde ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, seien es Throne, seien es Herrschaften, seien es Erstrangige, seien es Autoritäten – alles ist durch ihn und für ihn geschaffen; 17 und er ist vor allem; und alles besteht in ihm; 18 und er ist das Haupt des Leibes, der Gemeinde, der der Anfang ist, Erstgeborener von den Toten, damit er in allem der Erste würde, 19 weil es der ganzen Fülle wohlgefiel, in ihm zu wohnen 20 und durch ihn alles mit ihm selbst ganz zu versöhnen (nachdem er Frieden gestiftet hatte durch das Blut seines Kreuzes), durch ihn, sei es das auf der Erde, sei es das in den Himmeln. 21 Und euch, die ihr einst entfremdet wart und Feinde ‹im› Denken, in den bösen Werken, 22 versöhnte er nun aber ganz in dem Leibe seines Fleisches durch den Tod, ‹um› euch darzustellen als Heilige und Tadellose und Nichtanzuklagende vor seinem Angesicht, 23 wenn ihr wirklich im Glauben bleibt, gegründet und gefestigt, und nicht abbewegt werdet von der Hoffnung der guten Botschaft, die ihr hörtet, die verkündet wurde in der ganzen Schöpfung, die unter dem Himmel ist, deren Diener ich, Paulus, wurde.“
Wir haben es mit zwei von vier Stellen zu tun (Römer 5, 10.11; 2. Korinther 5, 18-21; Epheser 2, 11-18; Kolosser 1, 19-22), die das Heilsthema Versöhnung begründen. Was bedeutet „versöhnen“ bzw. „Versöhnung“? Für die Bedeutung des Wortes hat man nebst den Texten, die das Wort enthalten, zur Grundbedeutung der Vokabel selbst zu gehen. Das griechische Wort für „versöhnen“ (apokatallassein) setzt sich zusammen aus zwei Wörtern, apo (ab, von, weg) und katallassein (umändern, tauschen, versöhnen). Katallassein wiederum setzt sich ebenfalls aus zwei Wörtern zusammen, der Präposition kata (nieder) und allassein (ändern, verändern), welches von allos kommt („das andere“). Das Wort „versöhnen“ drückt aus, dass etwas ausgetauscht wird: Eine Beziehung wird ausgetauscht. Dass es sich um eine besondere Beziehung handelt, geht aus den entsprechenden Texten hervor: Es geht um die feindliche Einstellung des Menschen zu Gott und um Gottes heilige Haltung dem Bösen gegenüber. Dass es überhaupt zu einer Versöhnung kommt, ist der göttlichen Eigenschaft der Liebe zuzuschreiben. Und Gott liebt alle Menschen, die ganze „Welt“ (2. Korinther 5, 19). Der Umfang der Versöhnung wird in Kolosser 1, 20 angegeben: „… alles zu versöhnen … sei es das auf der Erde, sei es das in den Himmeln“. Der Umfang der Versöhnung wird auch angedeutet in der Klammer des Verses, wo vom Mittel der Versöhnung die Rede ist, vom Kreuz, genauer: vom „Blut seines Kreuzes“ (V. 20M: „nachdem er Frieden gestiftet hatte durch das Blut seines Kreuzes“). Alle Welt steht – durch die Sünde und als Folge der Sünde – in Feindschaft Gott gegenüber. Weil Gott alle liebt, will er alle versöhnen. Deshalb sandte er den „Sohn seiner Liebe“ (Kolosser 1, 13) für uns ans Kreuz, wo er sein Blut vergoss. Das am Kreuz vergossene Blut war das Mittel der Versöhnung. Dieses war das Blut des Gottes- und Menschensohnes, der für den Menschen und die Folgen seiner Sünde starb. Die Folgen der Sünde werden in der Geschichte des Sündenfalles in 1. Mose 3 angegeben sowie in Römer 8, 19-23: der Tod des Menschen, das Erschweren seines Lebens auf Erden und die Mitleidenschaft seiner Umwelt, der natürlichen Schöpfung. Sie ist gemeint, wenn er sagt: um „durch ihn alles … ganz zu versöhnen …, sei es das auf der Erde, sei es das in den Himmeln“.257 Ausgetauscht („versöhnt“) wird also zweierlei: die Beziehung bußfertiger Menschen, die auf das göttliche Versöhnungsangebot eingehen, und die in Mitleidenschaft gezogene physikalische Schöpfung (Römer 8). Ewald258 bemerkt: „Es bedeutet zunächst ... nichts anderes als ‘zu einem anderen, zu etwas anderem [zu] machen, um[zu]wandeln’, wobei das erst hier und [in] Epheser [2, 16] sich findende apo- verstärkend wirkt. Doch wird es im biblischen Griechisch lediglich da angewendet, wo es sich um ein gestörtes Verhältnis handelt, darum insbesondere da, wo die göttliche Heilstat der ‘Versöhnung’ mit Bezug auf den Sünder in Frage steht.“ In 2. Korinther 5, 19 schreibt der Apostel, dass Gott in Christus „die Welt mit sich selbst versöhnte, als er ihnen ihre Übertretungen bei sich nicht in Rechnung stellte“. Das geschah am Kreuz, nicht danach. Gott hat der Welt ihre Sünden nicht in Rechnung gestellt, weil sie am Kreuz Jesus zugerechnet wurden. Der Herr Jesus wurde am Kreuz für alle Menschen zur Sünde, weil er alle Sünde der Welt trug. Den, der Sünde nicht kannte, machte Gott für uns Menschen zur Sünde (d. h., zum Sündopfer). Wäre es nicht so, hätten wir kein „Wort von der Versöhnung“ (V. 19) für die Ungläubigen. Nun aber sind wir „Botschafter für Christus, [und zwar] so, dass Gott durch uns aufruft. Wir flehen an Christi Statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!“ (V. 20). Es gibt zwei Orte, wo Versöhnung stattfindet. Der erste Ort ist das Kreuz (V. 21; vgl. Römer 5, 10. Wir wurden „als wir Feinde waren, mit Gott versöhnt durch den Tod seines Sohnes”). Da versöhnte Gott die Welt mit sich selbst, weil Christus die Sünde der Welt trug, wie Johannes sagte (Johannes 1, 29): „Sieh! Das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt259!” Am Kreuz war Gott in Christus, die Welt mit sich selbst versöhnend. Christus als das Opfer genügt! Gott ist zufrieden gestellt. Somit ist von Gottes Seite aus ein Verhältnis des Friedens hergestellt. Gott hat also gehandelt, und in diesem Sinne hat er die Welt – die Gesamtheit der Menschheit – mit sich versöhnt. Die Versöhnung fand durch den Tod Christi am Kreuz statt. Wir wurden versöhnt, als wir Feinde waren (Römer 5, 10). Wir stellen fest: Diese Versöhnung geschah am Kreuz, unabhängig von unserer persönlichen Heilswende. Damit ist nicht gesagt, dass der einzelne Mensch ohne Einwilligung in den persönlichen Genuss der vollbrachten Versöhnung kommt. Dass Paulus nicht meinte, dass mit dem Versöhnungswerk Christi am Kreuz alle Menschen bedingungslos in den persönlichen Genuss der Versöhnung kämen, beweist er durch den Folgesatz, V. 20: „Wir sind also Botschafter für Christus, in dem Sinne, dass Gott durch uns aufruft. Wir flehen an Christi Statt: Lasst euch mit Gott versöhnen!“ Der Apostel ist sich im Klaren: Obwohl Gott zufrieden gestellt ist und so die Welt mit sich versöhnt hat, muss sich der einzelne Mensch persönlich noch mit Gott versöhnen lassen, ansonsten kommt er nicht in den Genuss der von Gott vollbrachten Versöhnung. Der zweite Ort der Versöhnung ist also dort, wo persönliche Umkehr und persönlicher Glaube stattfindet. Genauso wie die Sünde jedes Menschen, der Christus nicht annimmt, bleibt, obwohl das Lamm Gottes die Sünde der Welt wegnahm (Johannes 1, 29), genauso wird Gott, obwohl er die Welt mit sich selbst versöhnte, jedem Menschen, der sich nicht versöhnen lassen will, die Sünden in Rechnung stellen.
Andreas Symank schreibt zu Kolosser 1, 19-20 (und Bezug nehmend auf 2. Korinther 5, 19):
„‘Es hat Gott gefallen, mit seiner ganzen Fülle in ihm (Christus) zu wohnen 20 und durch ihn alles mit Gott zu versöhnen, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er durch sein Blut am Kreuz Frieden machte.’
Hier haben wir zwar nicht die Lehre, wohl aber den Ausdruck buchstäblich: ‘die Versöhnung des Alls’. Fasst man die Stelle als Zielangabe dessen auf, was Gott für das Ende der Heilsgeschichte geplant hat, muss man immerhin zugeben,
dass nur von der Möglichkeit der Allversöhnung die Rede ist; der tatsächliche
Vollzug wird nicht geschildert. Doch ist auf zweierlei aufmerksam zu machen. Es
ist möglich, dass Paulus hier nicht nur die Errettung von Menschen im Auge hat,
sondern daran denkt, dass durch den Ungehorsam des Menschen die gesamte
übrige Schöpfung in Mitleidenschaft gezogen wurde und einer Wiederherstellung
bedarf (darauf weist er in Römer 8, 19-22 hin). Vielleicht formuliert er daher
so unpersönlich ‘alles’, ‘alle Dinge’, ‘das All’ und sagt nicht einfach ‘alle’. ‘Versöhnen’
bedeutet im Griechischen eigentlich: ‘etwas verändern’, hier also ‘etwas
wieder in Ordnung bringen, ins rechte Verhältnis zueinander setzen’ und erlaubt
daher dieses erweiterte Verständnis. Da die Wiederherstellung der ganzen Schöpfung
mit der Erlösung des Menschen beginnt, kann Paulus mit Fug und Recht sagen: Gott versöhnt alles, indem er Jesus am Kreuz für uns Menschen sterben lässt. ‘Versöhnung’ mag hier also die allgemeinere und erweiterte Bedeutung von ‘Frieden machen’ haben, was Wiederherstellung und Unterwerfung mit einschließt. In Kolosser 2, 11-15, wo Paulus von dem am Kreuz geschehenen Versöhnungswerk Christi spricht, redet er im selben Atemzug auch von der Entmachtung
der feindlichen Gewalten (V. 15) - nicht von deren Errettung! Offensichtlich
bildet diese Unterwerfung der gegen Gott gerichteten Mächte einen Bestandteil
der Versöhnung des Alls, ja eine Voraussetzung für die Erlösung der Menschen. Die
Beobachtung, dass Paulus dabei vom Kreuz, also von einem vergangenen
Ereignis, spricht, führt uns zum zweiten: Liegt es nicht viel näher, in Kolosser
1, 19.20 eine Parallele zu 2. Korinther 5, 19 zu sehen und die ‘Versöhnung des
Alls’ nicht als noch zukünftig, sondern als bereits vollzogen zu betrachten, worauf
auch das Partizip (‘indem er Frieden machte’) hinzuweisen scheint? Nichts
hindert daran, im Gegenteil, so hat man Schrift durch Schrift erklärt. (Auch
Epheser 2, 16 bestätigt dies: dort ist die zeitliche Gleichsetzung von Versöhnung
und Tod am Kreuz eindeutig.) Alle Schwierigkeiten lösen sich auf, und für eine
Allversöhnung am Ende der Heilsgeschichte bietet sich kein Anhaltspunkt mehr. Denn 2. Korinther 5, 19 bezeichnet das, was Jesus am Kreuz vollbrachte, als ‘Versöhnung der Welt’ (‘Welt’ ist hier, wie sonst noch oft im Neuen Testament,
Sammelbegriff für alle Menschen). Indem Jesus ‘die Sünde der Welt trug’ (Johannes 1, 29), beseitigte er das entscheidende Hindernis; nun kann wieder Friede zwischen Gott und den Menschen herrschen. Das ganze Heilswerk ist, von Gottes
Seite aus gesehen, vollendet; es muss ihm nichts mehr zugefügt werden. Die Versöhnung
ist also in einem objektiven Sinn abgeschlossen. Die Sünde der Welt ist
weggetragen, die Menschheit ist gestorben, als Christus starb. Das ist die ‘Versöhnung
der Welt’, die ‘Allversöhnung’, wie die Bibel von ihr spricht. Wer allerdings daraus folgert, alle Menschen seien tatsächlich mit Gott
versöhnt, seien – ihnen selbst vielleicht noch unbewusst – Kinder Gottes und
müssten durch die Verkündigung des Evangeliums nur noch darauf aufmerksam
gemacht werden, der missachtet die Fortsetzung des Gedankens in 2. Korinther 5. Dort heißt es nämlich, Gott habe den Christen
das ‘Wort der Versöhnung’ gegeben. Aber wie lautet diese Botschaft?
Nicht: ‘begreift, dass ihr versöhnt seid!’, sondern: ‘lasst euch versöhnen mit Gott!’ (V. 20). Und erst wenn ein Mensch sich
Jesus zuwendet, kann er von sich sagen, er sei wirklich mit Gott versöhnt. Wie lässt sich das erklären? Nun, das ‘Heilsgut’, das Jesus am Kreuz erworben hat, steht dem Menschen nicht als ‘Sachwert’ zur Verfügung; es ist an die
Person Jesu gebunden. Nur im ‘Heilsraum’ Christi hat die Versöhnung der Welt
Geltung. Bei ihm zählt das Neue, außerhalb von ihm herrscht das Alte. Nur in
der Gemeinschaft mit ihm hat der einzelne realen Anteil an der Versöhnung, die
alle betrifft. Nur ‘in ihm haben wir die Erlösung’ (Epheser 1, 7; Kolosser 1, 14). Letztlich
ist eben die Versöhnung eine Person, Jesus Christus (vgl. 1. Korinther 1, 30, wo
Paulus es so formuliert: ‘Gott hat uns Christus zur Erlösung gemacht’). Den Schlüssel zu dieser persönlichen Gemeinschaft mit Jesus bildet der Glaube. Durch ihn wird der einzelne in das die ganze Menschheit umfassende
Heilsgeschehen einbezogen. Der Glaube eröffnet den Zugang in den ‘Heilsraum’. Wer sich Jesus anvertraut, ist mit ihm gestorben
und auferstanden und lebt in ihm. Das Sterben Jesu am Kreuz ist sein eigenes Sterben geworden; das Leben des
auferstandenen und gegenwärtigen Herrn ist sein Leben geworden. Wir finden also beim Werk der Versöhnung zwei Stufen. Einmal wird das Kreuzesgeschehen als Versöhnung bezeichnet und ein anderes Mal das Gläubigwerden. Schaut
die Bibel auf Gottes Handeln, dann spricht sie zu Recht von einer abgeschlossenen Versöhnung der ganzen Welt; das ist die objektive Seite. Jesus konnte am Kreuz ohne Übertreibung sagen: ‘Es ist vollbracht!’ (Johannes 19, 30). (Der
Glaube fügt dem Heilswerk als solchem ja nichts hinzu; er ‘empfängt’ nur die
Versöhnung, Römer 5, 11). Fragt sie jedoch nach der Einbeziehung des Menschen
in dieses vollbrachte Werk, so spricht sie jedes Mal dann von ‘Versöhnung’, wenn
ein einzelner Mensch zum Glauben kommt; das ist die subjektive Seite. Hier
kann man nicht mehr von einer weltweiten Versöhnung reden, und das tut die
Bibel auch nicht. Wenn man also Kolosser 1, 19.20 so versteht, dass es von dieser
ersten Stufe der Versöhnung spricht, dann erhalten wir einerseits eine Aussage
von weltumfassender Weite (und genau das möchte Paulus in diesem Abschnitt:
er will die Größe und Überlegenheit Jesu herausstellen), bekommen aber andererseits
keinen Aufschluss darüber, wie viele Menschen sich denn nun dieses Versöhnungswerk
im Glauben persönlich aneignen. Vielmehr ist es so, dass, gerade weil
die objektive Versöhnung beim einzelnen nur durch den Glauben wirksam wird,
die Botschaft von der Versöhnung auch tiefen Ernst einschließt. Wohl ist die
ganze Welt Gegenstand des Versöhnungshandelns Gottes; doch nur wer glaubt,
vermag sich Gott zu nahen und also in den ‘Genuss’ der Erlösung zu kommen. Gerade da, wo die Versöhnung verkündigt wird und alle Menschen gemeint sind, wird eine Scheidung vollzogen. Einerseits heißt es: ‘Gott hat seinen Sohn nicht
in die Welt gesandt, um die Welt zu richten, sondern damit die Welt durch ihn
gerettet wird.’ – ’Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben.’ Andererseits
aber wird gewarnt: ‘Wer dem Sohn nicht gehorcht, der wird das Leben nicht
sehen, sondern unter dem Zorn Gottes bleiben’ (Johannes 3, 17.36).“
Fussnoten:
257 Die Engelwelt, aus der eine Anzahl Wesen von Gott bereits vor der Sünde des Menschen
abfiel, ist ausgeschlossen.
258 Ewald, „Epheser, Kolosser, Philemon“, Reihe von Th. Zahn, S. 336
259 eigtl: ‹aufhebt und› wegträgt
„Alles machte Jahweh zu seinem Zweck [d. h., zu einem von ihm vorbedachten Endzweck], auch den Ehrfurchtslosen [o.: Frevler] für den Tag des Unheils.”
Nicht, dass Gott den Menschen ehrfurchtslos (böse, frevlerisch) machte, sondern der Mensch wird ehrfurchtslos (böse) durch seine Handlungen und Worte. Gott ist nicht der Urheber von Bösem (Jakobus 1, 13.17), sondern der Mensch ist seit dem Sündenfall böse von seiner Jugend an (1. Mose 8, 21). Wenn er dem Bösen nachgeht und sich nicht zu Gott wendet, wird Gott ihn eine Zeitlang geduldig ertragen, bis das Maß seiner Bosheit voll ist. Der Ehrfurchtslose ist aufbewahrt für den Tag des Unheils. Der Herr machte alles zu einem von ihm vorbedachten Endzweck, auch den Ehrfurchtslosen: Wenn der Herr ihn belässt, so tut er dieses für den Tag des Unheils. Mit dem „Tag des Unheils” ist hier wahrscheinlich der Tag des Gerichts gemeint. An diesem wird er Gottes Zorn zu spüren bekommen. Der Herr „weiß, … Ungerechte … auf den Tag des Gerichts zur Bestrafung aufzubewahren” (2. Petrus 2, 9), „weiß, dass für ihn ein Tag des Dunkels bereit ist” (Hi 15, 23). Jede Tat zieht ihre göttliche Reaktion nach sich. Jeder Mensch bekommt die ihm entsprechende gerechte Vergeltung, der Böse seinen „Tag des Unheils”. In diesem Sinne machte Gott den Ehrfurchtslosen „für den Tag des Unheils“. D. h., er hat Vorkehrung dafür getroffen, dass er am Tag des Unheils seine wohlverdiente Strafe empfange.260 (Vgl. Hi 21, 29.30A.261) Gott ist die erste Ursache von allem, die Quelle des Seins von allen Dingen und Personen. Er gab jedem Geschöpf die Existenz und bestimmte seinen Platz. Auch die Ehrfurchtslosen sind seine Geschöpfe, trotz ihrer Widerspenstigkeit. Gott gab ihnen die Kräfte, mit denen sie sich ihm nun widersetzen. Dass sie ihn, der sie schuf, nicht über sich regieren lassen, macht ihre Bosheit schlimmer. Gott ist nicht nur die erste Ursache von allem; er ist auch das letzte Ende, der Abschluss. Alles ist von ihm und durch ihn; daher ist alles auch zu ihm hin und für ihn. Er machte alles nach dem Ratschluss seines Willens und zu seiner Verherrlichung. Er bestimmte, dass alles, was er schuf, dem von ihm vorbedachten Endzweck dienen sollte. Und er wird diesen erreichen. Alles dient zu seiner Ehre. Der Ehrfurchtslose wird nicht Gegenstand der Verherrlichung sein, aber Gott wird sich über (via) ihn verherrlichen. D. h., er wird ein Mittel sein, durch welches Gott sich verherrlicht.262
Delitzsch kommentiert Sprüche 16, 4 folgendermaßen:
„Alles hat Jahweh gemacht zu vorbedachtem Zwecke, und auch den Frevler
zu dem Tag des Unglücks. … Nicht das will der Spruch sagen, dass alles, was
Gott gemacht hat, einem Zwecke dient (…), sondern dass alles von Gott gemacht
ist zu seinem – d. i. einem von ihm vorbedachten – Endzweck, dass die Welt
der Dinge und des Geschehens unter dem Gesetz eines Plans steht, welcher in
Gott seinen Grund und sein Ziel hat, und dass auch das Böse freier Wesen in
diesen Plan aufgenommen und ihm dienstbar gemacht ist: auch den Bösewicht
hat Gott – zwar nicht als solchen, aber für das Böse sich entscheiden könnendes
Wesen – geschaffen, nämlich in Absehen auf den joom ra-ah (d. i.: den Tag des
Unglücks, Prd 7, 14), welchen Gott über ihn kommen lässt, so seine Heiligkeit in
Strafgerechtigkeit erweisend und also auch das Böse zum Mittel seiner Verherrlichung
machend. Es ist derselbe Gedanke, welcher 1. Mose 9, 16 mit Bezug auf Pharao zum Ausdruck
kommt.
Eine praedestinatio ad malum [Vorherbestimmung zum Bösen] …
kann damit nicht gelehrt sein, denn dieses schauderhafte Dogma, (…) sagt Calvin
selber, macht Gott zum Urheber des Bösen und zu einem Herrscher nach
souveräner Laune und zerstört also den reinen Gottesbegriff.“
Was Paulus Römer 9 mit Hinweis auf 1. Mose 9, 16 sagen will, so Delitzsch, ist
dieses: „Es widerfährt Gott durch des Menschen Widerspenstigkeit und Hartnäckigkeit
nichts, was ihn zu einem nicht schon seit ewig geplanten Handeln
bestimmte; sondern auch ein solcher Mensch muss wider seinen Willen der Verherrlichung
Gottes dienen. … Die freien Handlungen [des Menschen] schaffen
keine Situation, von welcher Gott überrascht und zu etwas genötigt würde, was
nicht ursprünglich von ihm selbst gewollt wäre.“263 Weil Pharao sich dem Wirken Gottes widersetzte, musste er schlussendlich als Anschauungsbeispiel für Gottes Zorn und Macht dienen. 264 Gott erzeigte an ihm seinen Zorn und tat hiermit den kanaanitischen Völkern seine Kraft kund. Das war der Grund, weshalb er ihn nicht gleich tötete, sondern seine Widerspenstigkeit so geduldig und so lange ertrug. Auch der Frevler hat seine Stelle in Gottes Weltordnung.
260 Ross, Expositor’s Bible Commentary, Bd. 5, S. 1003. (“The point is that God ensures
that everyone’s actions and their consequences correspond — certainly the wicked for
the day of calamity. In God’s order there is just retribution for every act, for every act
includes its answer or consequence.”)
261 Hi 21, 29.30A: „Habt ihr nicht gefragt die Wanderer am Wege, und erkennt ihr ihre
Zeichen nicht? 30 – dass der Böse behalten wird auf den Tag des Unglücks?”
262 Vgl. Matthew Henry zu Sprüche 16, 4.
263 Delitzsch, Das Salomonische Spruchbuch, S. 261f. (Text nach neuer Rechtschreibung
etwas geglättet v. Verf.)
264 Siehe die Ausführungen zu Römer 9, vor allem den Exkurs zur Verhärtung Pharaos.
Welcher Aufgabe hatte Lukas diesem präpositionalen Gefüge zugedacht? Wollte er beschreiben, wie die Korinther zum Glauben gekommen waren, oder wollte er zeigen, wie Apollos denen in Korinth, die an Christus geglaubt hatten, eine Hilfe war? Soll es nämlich heißen: „der war ... denen, die durch die Gnade geglaubt hatten, eine vielfache Hilfe ...” oder: „der war ... durch die Gnade denen, die geglaubt hatten, eine vielfache Hilfe ...”?
Grammatisch wäre beides möglich. Der Übersetzer hat aber zu entscheiden, wie er den deutschen Satz bauen soll. Gibt ihm die Grammatik nicht die Antwort, so ist er verpflichtet, den Zusammenhang zu befragen. Und da liegt auf der Hand: Die Perikope 18, 24-28 hat die Aufgabe, den Leser auf die Ankunft des Paulus in Ephesus vorzubereiten, ihn über die Person und den Dienst des Apollos ins Bild zu setzen. In Ephesus galt es für den Apostel, auf den Spuren des Apollos etwas zu korrigieren. Dagegen, nachdem Priskilla und Aquila ihn näher ins Evangelium eingeführt hatten, war er den Gläubigen in Korinth eine große Hilfe.
Entsprechend ist also zu lesen: „Als er beabsichtigte, nach Achaia durchzuziehen, schrieben die Brüder den Jüngern und machten Mut, ihn in Empfang zu nehmen; der war, als er hinkam, durch die Gnade denen, die geglaubt hatten, eine vielfache Hilfe ‹und ein großer Beistand›, 28 denn mit anhaltender Nachdrücklichkeit widerlegte er gänzlich die Juden öffentlich und zeigte durch die Schriften auf, dass der Gesalbte Jesus sei.”
(Herbert Jantzen)
Licht und Dunkelheit Gott wohnt im Licht (Psalm 104, 2; 1. Timotheus 6, 16). Er ist Licht (1. Johannes 1, 5), Licht für die Menschen (Psalm 27, 1; Micha 7, 8). Die Menschen sind in der Dunkelheit (Johannes 1, 5; Hi 37, 19; Psalm 82, 5; 107, 10; 1. Thessalonischer 5, 4.5; 1. Johannes 2, 9.11) und sind Finsternis (Epheser 5, 8). Dunkelheit macht blind (1. Johannes 2, 11). Der Mensch kann von sich aus nicht sehen (Psalm 82, 5) und ist darauf angewiesen, von Gott Licht zu empfangen (Psalm 18, 29; 36, 10; 43, 3; 107, 14). Das Wort Gottes ist Licht für den Menschen (Psalm 19, 9; 119, 105). Gottes Gebot ist eine Leuchte und seine Belehrung Licht (Sprüche 6, 23). Jesus Christus selbst ist das wahre Licht (Johannes 1, 4; 8, 12), das – in die Welt kommend – jedem Menschen leuchtet (1, 9). Solange er in der Welt war, war er das Licht der Welt (Johannes 9, 5; 12, 35; Jesaja 9, 1; Matthäus 4, 16; Lukas 2, 32). Er kam, um Licht zu geben, Menschen aus der Dunkelheit herauszuführen (Johannes 12, 46; Jesaja 42, 6.7; 49, 6); er kam, den Gefangenen zu sagen: „Geht hinaus!“, und zu denen, die in Finsternis sind: „Kommt ans Licht!“ (Jesaja 49, 9). Gott ruft Menschen aus der Finsternis in sein wunderbares Licht. Gott will dem Menschen Licht geben, weil er ihn liebt. Er ruft den Menschen aus der Finsternis in sein wunderbares Licht (1. Petrus 2, 9), damit er nicht in der Finsternis bleibe. Elihu spricht davon, dass Gott die Menschen „mit dem Licht des Lebens“ erleuchten möchte (Hi 33, 30). Wer Jesus folgt, „wird nicht in der Dunkelheit wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Johannes 8, 12) Jesus kam als Licht in die Welt, damit „jeder“, der an ihn glaubt, „nicht in der Dunkelheit bleibe.“ (12, 46) Mit Ernst rief er seine Zeitgenossen auf (12, 35): „Noch eine kleine Zeit ist das Licht bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit nicht Dunkelheit euch erfasse. Und der, der in der Dunkelheit wandelt, weiß nicht, wohin er geht.“ Der Mensch hat die Verantwortung, sich dem Licht zu stellen (Johannes 12, 36): „Solange ihr das Licht habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne des Lichtes werdet.“ Wer nicht zum Licht kommt, macht sich schuldig. Jesus sagte (12, 46-48): „Ich bin als Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Dunkelheit bleibe. Und wenn jemand meine Worte hört und nicht glaubt, richte ich ihn nicht, denn ich kam nicht, damit ich die Welt richte, sondern damit ich die Welt rette. 48 Wer mich verwirft und meine Worte nicht annimmt, hat seinen Richter: Das Wort, das ich redete, das wird ihn richten am letzten Tage.“ Richtet sich der Mensch nach Gott und nach dem Wort Gottes aus, kann Gott ihm Licht geben (Jesaja 58, 9.10): „Dann wirst du rufen, und Jahweh wird antworten. Du wirst um Hilfe rufen, und er wird sagen: Hier bin ich! Wenn du das Joch, das Fingerausstrecken und unheilvolle Reden aus deiner Mitte wegtust 10 und deine Speise dem Hungrigen darreichst und die niedergedrückte Seele sättigst, dann wird dein Licht aufgehen in der Finsternis, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.” Tut er das nicht, gibt es für ihn kein Licht, keine Morgendämmerung, keine Wegweisung (Jesaja 8, 20): „Hin zu Weisung und Zeugnis! Wenn sie nicht nach diesem Wort sprechen, gibt es für sie gewisslich keine Morgendämmerung.“
Jesus fragte den blinden Bartimäus, was er wünschte, dass er für ihn tun solle (Markus 10, 51). Er bat Jesus um Augenlicht – und er bekam es. Er bekam es, weil er es wollte und weil er zur richtigen Person kam, die allein Augenlicht geben kann, zum Schöpfer des Universums, der jedes Auge schuf. Der Herr Jesus gab einem Blindgeborenen den Befehl, sich im Teich Siloah zu waschen (Johannes 9, 7). Hätte der Blinde dem Herrn Jesus nicht gehorcht und wäre er nicht zum Teich gegangen, hätte er kein Augenlicht bekommen. Es lag also nicht nur an Jesus. Er war willig, ihn zu heilen. Der Blinde aber musste gehorchen. Die Entscheidung lag letztlich bei ihm. Gott ist bereitwillig, dem Menschen Licht zu geben. Aber der Mensch hat die Verantwortung, auf Gottes Heilswillen zu reagieren. Viele Menschen lieben die Dunkelheit mehr als das Licht. Sie bleiben im Dunklen, weil sie sich dem Licht nicht stellen wollen (Johannes 3, 19-21): „Dieses ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist und die Menschen die Finsternis mehr liebten als das Licht, denn ihre Werke waren böse; 20 denn jeder, der Schlechtes tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Werke nicht untersucht werden. 21 Aber der, der die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit seine Werke offenbar werden, dass sie in Gott gewirkt worden sind.“
Wer ihn nicht tun will, bleibt blind. Jesus war „das wahre Licht, das – in die Welt kommend – jedem Menschen leuchtet.” (Johannes 1, 9) Das Licht ist für jeden da. Aber man muss es hereinlassen, sich beleuchten lassen. Der Mensch hat einen gottgegebenen Sinn für das Licht. So ist es im leiblichen Bereich. Das Auge ist die Tür, durch die das Licht in den Leib kommt. Wenn der Mensch sein Auge verschließt, bleibt das Licht draußen und der Leib dunkel: Der ganze Mensch sieht nicht. Auch in Bezug auf Gott hat der Mensch einen „Sinn“: Jeder ist in der Lage, das Licht zu erkennen, wenn Gott es ihm vor die Augen stellt. Allerdings ist dieser Sinn durch die Sünde stark beeinträchtigt worden. Der geistlich „Blinde“ (Jesaja 56, 10; 59, 10; Matthäus 15, 14; 1. Johannes 2, 11) braucht Gottes Hilfe. Er ist darauf angewiesen, dass Gott ihm die Augen öffnet. Wenn er sein Auge Gott gegenüber verschließt, ist alles in ihm Dunkelheit265. Sehen kann nur der, dem Gott Licht gibt – Licht in Bezug auf die eigene Sünde und in Bezug auf die Wahrheit: Jesus Christus (Johannes 14, 6). An mehreren Stellen im NT wird uns gezeigt, wem Gott Licht gibt und die Augen des Herzens öffnet: demjenigen, der ans Licht kommt und sich der Wahrheit stellt. Wer das nicht tun will, bleibt blind. (3, 20; 5, 40) Die führenden Juden hatten Jesus und sein Wirken genau beobachtet. Sie hatten seine Werke, Wunderzeichen, guten Taten sowie seinen vollkommenen Charakter deutlich gesehen. Dennoch wollten sie nicht glauben (Johannes 9; 12, 37ff). Sie waren vom Licht bloßgestellt worden (8, 12). Das war ihnen unangenehm. Daher entfernten sie sich aus dem Lichtschein (8, 9). Und später, nochmals mit dem Licht
265 Vgl. Matthäus 6, 22.23; Lukas 11, 34.35.
konfrontiert, trachteten sie danach, die Lichtquelle zu löschen (8, 59). Nun sagt der Herr zu ihnen: „Zum Gericht kam ich in diese Welt, damit die Nichtsehenden sehen sollten und die Sehenden blind würden.“ (9, 39) Wer das Licht nicht will, sich aus dem Lichtschein herausbegibt oder die Lichtquelle löscht, bleibt schuldhaft blind und wird schließlich verblendet.266
Gott ist nur allzu bereit, jedem Menschen Licht zu geben. Aber der Mensch muss sich dem Licht stellen. Sehen kann nur der, der dem Sohn gehorcht. Wer dem Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen (Johannes 3, 36). Wer Jesus Christus folgt, „wird nicht in der Dunkelheit wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (8, 12) In K. 5 erfahren wir die Ursache, warum die Juden nicht zum Glauben kamen (5, 37-40): „… Und der Vater, der mich schickte, er selbst hat von mir Zeugnis gegeben. Weder habt ihr jemals seine Stimme gehört, noch habt ihr seine Gestalt gesehen, 38 und sein Wort habt ihr nicht bleibend in euch: Dem nämlich, den derjenige sandte, diesem glaubt ihr nicht. 39 Ihr erforscht die Schriften, weil ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben, und jene sind es, die von mir Zeugnis geben. 40 Und ihr wollt nicht zu mir kommen, damit ihr Leben hättet.“ Jesus führt den Unglauben seiner Zuhörer auf ihre Unwilligkeit zurück. Sie wollen nicht zu Jesus kommen und suchten Gott nicht. Stattdessen nahmen sie Ehre voneinander (V. 44): „Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmt und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, nicht sucht?” Der Grund für ihren Unglauben war nicht, dass sie nicht zum Glauben prädestiniert waren, sondern ihr Stolz, ihre innere Rebellion und ihre Selbsttäuschung.267 Sie wollten dem, was Gott bereits im Alten Testament geoffenbart hatte, nicht glauben (5, 45-47): „Meint nicht, dass ich euch anklagen werde beim Vater. Es ist einer [da], der euch anklagt, Mose, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt, 46 denn wenn ihr Mose geglaubt hättet, hättet ihr mir geglaubt, denn jener schrieb von mir. 47 Wenn ihr aber jenes Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?’“
266 Siehe die Ausführungen zu Johannes 9, 41 (K. 7-9).
267 Der Ausdruck „können“ (in: „Wie könnt ihr glauben …?“ 5, 44A) wird oft verwendet,
um ein starkes Widerstreben gegen den Willen zu bezeichnen. Auch im normalen
Sprachgebrauch reden wir so. Wir sagen: „Dieser Mensch ist ein so großer Lügner, der
kann gar nicht anders als lügen.“ Oder: „Der ist unzuverlässig, von dem kann man keine
Treue erwarten.“
Wir meinen damit nicht, dass solch einer gänzlich unfähig wäre, mit seinen schlechten
Gewohnheiten zu brechen. Nein. Selbstverständlich kann er sich ändern.
Von den Brüdern Josefs lesen wir (M 37, 4): „sie hassten ihn und konnten ihn nicht grüßen“. Sie konnten nicht freundlich mit ihm reden. Das hieß aber nicht, dass sie nicht in der Lage gewesen wären, es zu tun. Vgl. Matthäus 12, 34 („Wie könnt ihr Gutes reden, die
ihr böse seid?“); Johannes 8, 43 („Ihr könnt mein Wort nicht hören“) und 6, 60 („Diese Rede
ist hart. Wer kann sie hören?“) Damit ist nicht gemeint, dass jene keinerlei Möglichkeit
hatten, sich anders zu verhalten. (S. Barnes zu Johannes 5, 44.)
Hebräer 10, 32 spricht davon: „… nachdem ihr erleuchtet worden wart, …“ Dem Schläfer, der sich wecken lässt, wird Christus leuchten (Epheser 5, 14): „Darum sagt er: Wache auf, Schläfer, und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten.“ Wer zu Jesus gekommen ist, muss auch weiterhin im Licht wandeln. Der Erleuchtete, erhält weiterhin Licht, wächst in der Erkenntnis (Sprüche 4, 18): „Aber der Pfad der Gerechten ist wie das Licht des Morgenglanzes, das heller und heller wird bis zur Tageshöhe.” Wir brauchen stetig Licht von Gott (Epheser 1, 18.19): „… wobei die Augen eures Denkens erleuchtet seien, um zu wissen, welches die Hoffnung seines Rufes ist und welches der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen 19 und welches die überschwängliche Größe seiner Kraft für uns, die Glaubenden, ist, nach der Wirkung der Macht seiner Stärke.“ Der Christ ist dafür verantwortlich, im Licht zu wandeln (1. Johannes 1, 7; Epheser 5, 8M) und im Licht zu bleiben (1. Johannes 2, 8). Es gibt schuldhaftes Verblendetwerden. Gott kann Licht wieder zu Dunkelheit machen (Jeremia 13, 16): „Gebt Jahweh, eurem Gott, Ehre, bevor er finster macht und bevor eure Füße sich an Bergen der Dämmerung stoßen und ihr auf Licht harrt, und er es in Todesschatten verwandelt und zur Dunkelheit macht.“ Vgl. Hi 38, 15: „Dem Ehrfurchtslosen wird das Licht genommen…“ Wer Licht bekommen hat, hat die Verantwortung, dem, das er erkannt hat, entsprechend zu handeln.268 Wer – wie die Pharisäer (Johannes 9, 39-41) – viel Licht bekommen hat (viel erkannt hat) und dennoch nicht dem Licht entsprechend handeln will, läuft Gefahr, von Gott verblendet zu werden. „Gib also Acht, dass nicht das Licht in dir Dunkelheit ist.“ (Lukas 11, 35; vgl. V. 29-34.) In Matthäus 13 fragten die Jünger den Herrn Jesus, weshalb er zu ihnen in Gleichnissen redete. Darauf antwortete er (V. 11-16): „Weil es euch gegeben ist, die Geheimnisse des Königreiches der Himmel zu kennen, aber jenen ist es nicht gegeben; 12 denn wer hat, dem wird gegeben werden und in reichem Maße gewährt werden. Aber wer nicht hat, von dem wird auch genommen werden, was er hat. 13 Deswegen rede ich zu ihnen in Gleichnissen, weil sie sehend nicht sehen und hörend nicht hören noch vernehmen ‹und verstehen›. 14 Und an ihnen wird die Weissagung Jesajas erfüllt, die lautet: ‘Hörend werdet ihr hören und gar nicht vernehmen ‹und verstehen›, und hinsehend werdet ihr hinsehen und gar nicht sehen, 15 denn das Herz dieses Volkes wurde empfindungslos, und mit den Ohren wurden sie schwerhörig, und ihre Augen verschlossen sie, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen vernehmen ‹und verstehen› und umkehren möchten und ich sie heilte.’ (Vgl. Jesaja 6, 9.10.) 16 Aber selig sind eure Augen, dass sie sehen, und eure Ohren, dass sie hören“. Den Jüngern war es gegeben, die Geheimnisse des Königreiches zu kennen; den Schriftgelehrten und Pharisäern nicht. Warum nicht? Weil sie von vornherein dazu prädestiniert waren? Nein, sondern weil sie sich verhärtet hatten. Sie hatten dem Gehörten nicht gehorcht. Sie hatten sich verhärtet, bis es so weit kam, dass Gott sie verhärtete und verblendete (Matthäus 13, 15; vgl. 12, 38-44). Von ihnen wurde auch das weggenommen, was sie gehabt hatten (V. 12E). So war es auch nach der Auferstehung und Himmelfahrt Christi. Israel wurde verhärtet: Römer 11, 7-10: „Was ist also [zu sagen]? Wonach Israel trachtet, das erreichte es nicht. Aber die Erwählung erreichte es. Die Übrigen wurden verhärtet, 8 so wie geschrieben ist: Gott ‘gab ihnen einen Schlafgeist’, ‘Augen, die nicht sehen, und Ohren, die nicht hören – bis zum heutigen Tage.’ 9 Und David sagt: ‘Es werde ihr Tisch zur
268 Siehe die Ausführungen zu Johannes 9, 41.
Schlinge und zum Fallstrick und zum Anstoß und zur Vergeltung. 10 Verfinstert seien ihre Augen, um nicht zu sehen. Und ihren Rücken beuge immerzu.’“ 2. Korinther 4, 3.4: „Wenn unsere gute Botschaft aber auch verschleiert ist, ist sie in denen verschleiert, die ins Verderben gehen, 4 in denen der Gott dieser Weltzeit die Gedanken der Ungläubigen verblendete, sodass ihnen nicht aufleuchtet das helle Licht der guten Botschaft von der Herrlichkeit Christi, der Gottes Ebenbild ist“. Warum wurde Israel verhärtet? Weil es dazu prädestiniert war? Nein, sondern weil es der guten Botschaft nicht gehorchen wollte: Römer 10, 16.21: „Nicht alle jedoch gehorchten der guten Botschaft … 21 Den ganzen Tag streckte ich meine Hände aus zu einem im Unglauben ungehorsamen und einem widersprechenden Volk.“
Antwort: Allen. Gott gab den Heiden die Buße (Apostelgeschichte 11, 18): „Als sie dieses gehört hatten, waren sie ruhig, und sie verherrlichten Gott: ‘Demnach also’, sagten sie, ‘gab ja Gott auch denen von den Völkern die Buße zum Leben.’“ Mit „Buße zum Leben“ ist das gesamte Rettungskonzept Christi als „Heilsraum“ gemeint. Denen aus den Heidenvölkern gab Gott Gelegenheit und Fähigkeit, umzukehren. Gott gab Israel die Buße (5, 31): „Diesen erhöhte Gott zum Anführer und Retter durch seine rechte Hand, um Israel Buße zu geben und Vergebung der Sünden.“ Gott ließ allen, Juden wie Heiden, Barmherzigkeit widerfahren (Römer 11, 30-32): „denn gleichwie auch ihr einst im Unglauben Gott nicht gehorchtet, nun aber Barmherzigkeit erfuhrt durch ihren Ungehorsam, 31 so waren auch diese nun im Unglauben ungehorsam zugunsten eurer Barmherzigkeit, damit auch sie Barmherzigkeit erfahren möchten, 32 denn Gott schloss alle zusammen ein in den Ungehorsam, damit er allen Barmherzigkeit widerfahren lasse.“ Gott gab allen die Möglichkeit und die Gelegenheit umzukehren, denn Gott wollte von jeher, dass alle Raum zur Buße haben sollten (2. Petrus 3, 9).269 Buße ist ein Akt der Willensäußerung. Selbständige Entscheidungsfähigkeit gehört zur Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott. Hat der Mensch diesen Aspekt der Ebenbildlichkeit beim Sündenfall nicht verloren? Nein, jedenfalls nicht völlig. Was der Mensch beim Sündenfall verloren hat, kann man daran erkennen, dass Gott es ihm in Christus mit der neuen Geburt (in Bezug auf die Anlage und im praktischen Sinne in Bezug auf das Wachstum) wieder zurückgibt. Was erneuert Gott in der Erlösung? Welcher Aspekt der Ebenbildlichkeit soll im Christen wiederhergestellt werden? Der moralisch- charakterliche! Die moralischen Eigenschaften Gottes kann man zusammenfassen in den beiden „Polen“ Heiligkeit und Liebe. Die Heiligen und Geliebten sollen zunehmen an Heiligkeit und Liebe. 270 Der Aspekt der Ebenbildlichkeit, der die Entscheidungsfähigkeit betrifft, wurde durch den Sündenfall nicht – bzw. nicht völlig – beeinträchtigt. Der Mensch ist auch nach dem Sündenfall noch in eine Entscheidungsnotwendigkeit gestellt. D. h., er muss sich entscheiden. Gott spricht den Menschen nach dem Sündenfall auf genau diesem Gebiet an: Er muss für sich eine Entscheidung treffen und gleichsam den Sündenfall Adams für sich persönlich rückgängig machen. Im Evangelium wird der Mensch aufgerufen, die Entscheidung zu treffen, ob er Buße tun wird oder nicht. Diese Entscheidung kann, will und wird Gott ihm nicht abnehmen. In der Bibel lesen wir nicht, dass Gott nur einer begrenzten Anzahl von Menschen die Möglichkeit und Gelegenheit gibt, Buße zu tun. Seine Hand ist noch ausgestreckt (Römer 10, 21).
269 2. Petrus 3, 9: „Der Herr ist nicht säumig mit der Verheißung, wie etliche es für eine Saumseligkeit
achten, sondern er ist geduldig gegen uns: Er will nicht, dass welche ins Verderben
gehen, sondern dass alle Raum zur Buße haben.“
270 Vgl. z. B. Epheser 1, 4E; 4, 1-3; 4, 28- 5, 8; 1. Timotheus 2, 15.
Antwort: Gänzlich. Römer 3, 11: „Es ist keiner, der verständig ist. Es ist keiner, der nach Gott sucht.“ Der Mensch sucht von sich aus Gott nicht auf. Aber Gott sucht den Menschen auf, wirbt um ihn, streckt ihm die Hand entgegen (Römer 10, 21). Gott ist immer und in jeder Hinsicht der Initiator des Heils. Er sucht nicht nur eine ausgesuchte begrenzte Anzahl von Menschen zur Umkehr zu bringen, sondern will, dass alle Menschen gerettet werden (1. Timotheus 2, 4).271 Das Lamm Gottes trug die Sünde der ganzen Welt (Johannes 1, 29). Christus starb, damit jeder … nicht verloren gehe (Johannes 3, 16). Gott will also (Römer 10, 21). Nachdem diese Frage geklärt ist, erhebt sich die Frage, ob der Mensch will. Antwort: Von sich aus will er nicht. Der König Israels, Jesus Christus, wollte Jerusalems Kinder unter seinen „Flügeln“ sammeln, aber sie wollten nicht. (Matthäus 23, 37; Lukas 13, 23-30.34; Vgl. Lukas 19, 14: „Wir wollen nicht, dass dieser über uns König sei.“) Von sich aus will der Mensch weder Gott suchen noch umkehren noch sich Gott anvertrauen. Von sich aus hat er nicht Sündenerkenntnis und kennt er Gottes Wahrheit nicht. Er „nimmt die Dinge des Geistes Gottes nicht auf, denn sie sind ihm Torheit, und er vermag sie nicht zu [er]kennen“ (1. Korinther 2, 14). Er ist „im Denken verfinstert und dem Leben Gottes entfremdet“ (Epheser 4, 18A). Daher ist er auf göttliche Hilfe angewiesen. Will Gott ihm diese Hilfe geben? Antwort: Von Herzen gerne. Lukas 5, 12.13: „Es geschah, als er in einer der Städte war,– siehe– [da war] ein Mann voll Aussatz. Und als er Jesus sah, fiel er auf das Angesicht und bat ihn flehentlich: ‘Herr,’ sagte er, ‘wenn du willst, kannst du mich reinigen!’ 13 Und er streckte die Hand aus, rührte ihn an und sagte: ‘Ich will. Sei gereinigt!’“ Um gerettet zu werden, muss der Mensch von Gott gerufen werden. Es war Gottes Vorsatz von Ewigkeit her, eben dieses zu tun (2. Timotheus 1, 9): „… der uns rettete und mit einem heiligen Ruf rief, nicht nach unseren Werken, sondern nach eigenem Vorsatz und der Gnade, die uns in Christus Jesus vor allen Weltzeiten gegeben wurde.“272 Um gerettet zu werden, muss der Mensch durch Gottes Geist von Sünde überführt werden. Eben deshalb wurde der Geist gesandt: „Und jener, wenn er gekommen ist, wird die Welt zurechtweisen [o.: überführen] in Bezug auf Sünde und in Bezug auf Gerechtigkeit und in Bezug auf Gericht“ (Johannes 16, 8). Trotz seiner Verdorbenheit hat der Mensch die Verantwortung, sich von Sünde überführen zu lassen, die göttliche Einladung zum
Heil anzunehmen und auf das göttliche Werben einzugehen (Lukas 14, 15-24). Er darf dem Wirken des Geistes nicht widerstreben (Apostelgeschichte 7, 51; Hebräer 10, 26.29)273. Stehen Jakobus 1, 18 und Hebräer 2, 4 dazu im Widerspruch? Besagen diese Stellen nicht, dass die Austeilungen des Heiligen Geistes „nach seiner Absicht“274 und „gemäß seinem Willen“275 geschehen? Nein. In diesen Stellen wird nicht behauptet, dass Gott beabsichtigt hätte, „gemäß seinem Willen“ gewisse Menschen zu retten im Gegensatz zu den anderen, die verloren gehen. Diese Verse zeigen lediglich die gute Heilsabsicht Gottes für den Menschen. Gott ist und war immer für das Heil und Wohl seiner Geschöpfe. Wenn diese seine Absicht nicht in jedem Fall erreicht wird, liegt es nicht an ihm.
271 Siehe die Ausführungen zu 1. Timotheus 2, 1-7.
272 Siehe im Weiteren die Ausführungen zur Frage „Wem gibt Gott Licht?“ und zur Frage „Kann sich der Mensch bekehren wann immer er will?“
Da kein Mensch von sich aus Gott sucht (Römer 3, 9), kann er sich auch nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt bekehren. Sein Wille ist gebunden durch die Sünde (1. Mose 8, 21) und den Satan (2. Korinther 4, 4). Man kann daher in diesem Sinne nicht von einem „freien Willen“ des Menschen sprechen. Der Wille ist immer geknechtet; entweder steht er im Dienst der Sünde oder im Dienst des Herrn Jesus. Dass Gott jeden Menschen ruft, wurde im Laufe dieser Abhandlung bereits aufgezeigt. Auch Hi 33, 29.30 kann als Beleg angeführt werden. Gott hat verschiedene Mittel und Wege, zu den Menschen zu reden. Er kann Träume und Krankheiten gebrauchen oder schwierige Umstände und Nöte, das Zeugnis der Schöpfung (Römer 1, 18ff; Psalm 19, 1ff) und das drückende Gewissen (Römer 2, 14-16). Er kann konkret seine Diener zu jemandem senden, wie das Beispiel von Kornelius (Apostelgeschichte 10) zeigt. Gott sucht276 (Lukas 19, 10), überführt von Sünde (Johannes 16, 8) und leitet zur Buße (Römer 2, 4.5). Der Mensch soll die von Gott geführten Gelegenheiten als Gelegenheiten erkennen und ernst nehmen, denn es gibt ein Zu-Spät.277
273 Apostelgeschichte 7, 51: „Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herz und Ohren! Ihr widerstreitet allezeit dem Heiligen Geist; wie eure Väter, so auch ihr.“
Hebräer 10, 29: „Wie viel schlimmerer Strafe, meint ihr, wird der wertgeachtet werden, der … den Geist der Gnade schmählich misshandelte?”
274 Jakobus 1, 18: „Nach seiner Absicht gebar er uns durch das Wort der Wahrheit ….“
275 Hebräer 2, 4: „wobei Gott .. Zeugnis gab mit … Austeilungen des Heiligen Geistes nach seinem Willen.”
So wie der Vater des „verlorenen Sohnes“ (Lukas 15) lässt Gott seine Geschöpfe ihre eigenwilligen Wege gehen. Aber er gibt immer wieder Gelegenheiten zur Umkehr.278 Sechs Mal verhärtete der Pharao sein Herz, bevor Gott sein Herz verhärtete (1. Mose 9, 12).279 Gott wusste im Voraus, dass der Pharao sich verhärten werde (1. Mose 3, 19.20; 9, 16; Römer 9, 17), aber er gab ihm mehrmals die Gelegenheit zur Umkehr. Es lag also nicht an Gott.
Gott wirkt am Menschen.
Gott bereitet Herzen vor. Er disponiert sie (Vgl. Apostelgeschichte 13, 48280). Sein Geist zeigt dem Menschen, wie verloren er ist, und führt ihn zur Entscheidung. Er legt dem verlorenen Herzen die Frage vor: „Warum willst du sterben?“ (Hesekiel 33, 11): „Sprich zu ihnen: [So wahr] ich lebe, spricht der Herr, Jahweh, ich habe kein Gefallen am Tod des Ehrfurchtslosen, sondern dass der Ehrfurchtslose von seinem Weg umkehre und lebe! Kehrt um, kehrt um von euren bösen Wegen! – denn warum wollt ihr sterben, Haus Israel?“ Gott ruft seine Geschöpfe auf: Tut Buße! Ihr werdet doch wohl nicht sterben wollen?! Solchem dringlichen Werben des Gottesgeistes wird ein Mensch nicht ungestraft widerstehen.
276 Nebenbei bemerkt: Gottes Suchen ist nicht unwiderstehlich. Der Sohn des Menschen kam, das Verlorene zu suchen und zu retten (Lukas 19, 10). Durch das Suchen Gottes ist der Mensch noch nicht gerettet. Gerettet ist man erst, wenn der Mensch auf Gottes Suchen
hin, reagiert, antwortet.
Dagegen könnte man den Einwand vorbringen: Der verlorene Groschen (Lukas 15) hatte
keine Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen. Das stimmt. Aber der Herr spricht im
Gleichnis in Lukas 15 nicht über die Frage, was man tun muss, um gerettet zu werden, bzw.
wie viel Gott tut und wie viel der Mensch tut, sondern im Gleichnis geht es um die Frage
nach dem Wert des Menschen und die Freude darüber, wenn ein Mensch umkehrt. Ein
Mensch ist mehr wert als ein Schaf und als ein Groschen. Wenn eine Frau nach einem
Groschen schon dermaßen intensiv sucht und beim Auffinden sich so sehr freut, und
wenn der Hirte wegen des einen Schafes die anderen 99 im Stich lässt und beim Auffinden
sich so sehr freut, zeigt dieses, wie viel sie ihm wert sind. Wie viel mehr ist dem Vater
der verlorene Sohn wert, der sich abgewandt hatte. Und wie sehr sollte der „Bruder“ sich
mitfreuen.
277 „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht.“ (Hebräer 3, 8.15; 4, 7)
278 Matthäus 23, 37: „Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen,… und ihr habt nicht
gewollt!“
279 Im Ganzen wird sein Herz zwölf Mal verhärtet (1. Mose 7, 13.22; 8, 15.19.32; 9, 7.12.34;
10, 20.27; 11, 10; 14, 4). Auch das Herz seiner Beamten wird verhärtet (9, 34; 10, 1). Siehe
die Ausführungen im Exkurs im Anschluss an die Besprechung von Römer 9.
280 Siehe die Ausführungen zu Apostelgeschichte 13, 48.
Wir sind nicht in jeder Hinsicht freie Wesen. Gewisse Dinge sind vorgegeben. Vieles im Leben ist uns bestimmt (Geschlecht, Erziehung, Elternhaus usw.), aber nicht alles. Gewisse Entscheidungen wird – und will – Gott nicht anstelle des Menschen treffen. Die Bibel berichtet, dass Gott in seiner Souveränität sich entschieden hat, den Menschen in eine Entscheidungsnotwendigkeit zu stellen. Gott stellte von Anfang an den Menschen in eine Situation hinein, in der er gezwungen war, eine eigene Entscheidung zu treffen. Adam musste entscheiden, ob er Gott gehorchen wollte oder nicht. Er musste entscheiden, wen er mehr lieben wollte: Gott oder die Schöpfung (einschließlich sich selbst). Adam war von Gott nicht im Voraus dazu bestimmt worden, die falsche Entscheidung zu treffen. Gott wollte den Menschen zu einem Geschöpf machen, das liebte. Aber man kann niemanden zur Liebe programmieren. Es gibt keine Liebe ohne Freiwilligkeit. Liebesfähigkeit gehört zur Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Adam musste also wählen. Er hätte nicht sagen können: „Diese Entscheidung ist mir zu schwer. Könntest du mich nicht so machen, dass ich dich wähle?“ Gott musste ihm gleichsam sagen: „Ich tue alles für dich, Adam, aber diese Entscheidung kann dir niemand abnehmen.“ Wären Adam und Eva von vornherein dazu bestimmt worden, ungehorsam zu sein und sich gegen Gott zu entscheiden, wäre ihre Tat lediglich eine logische Folge ihrer Bestimmung gewesen. Nach dem Sündenfall war der Mensch weiterhin in die Entscheidungsnotwendigkeit gestellt. Seither ist es wiederum Gott, der alles für den Menschen tut. Er sendet seinen Sohn. Christus nimmt die Schuld auf sich. Das Lamm wird geschlachtet. Alles zum Heil des Menschen ist bereit. (Vgl. Matthäus 22, 4.) Die göttliche Einladung – der Ruf – geht hinaus. Gott wirbt um die Seele, überführt und gibt Gelegenheit zur Umkehr. Nun liegt „der Ball“ wiederum beim Menschen. Gott nimmt ihm die Entscheidung nicht ab. Seine Liebe fordert eine Antwort. Der Mensch kann sich dieser nicht entziehen. Ohne freie Entscheidung gibt es keine Liebe. Die Schrift lehrt, dass das Heil von Gott ist. Annehmen muss es der Mensch. Das Annehmen ist ein göttliches Gebot: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2. Korinther 5, 20) „Wer hören will, der höre, und wer es lässt, der lasse es.” (Hesekiel 3, 27) „Und wen dürstet, der komme. Und wer will, der nehme das Wasser des Lebens – kostenlos!“ (Offenbarung 22, 17) Wenn nun der Mensch dafür verantwortlich ist, eine Entscheidung zu treffen, ergibt sich die Frage:
Antwort: Gott teilt uns nicht alles über die Hintergründe von Entscheidungen mit. Wir können nicht mehr sagen als die Heilige Schrift. Wir dürfen nur dort Aussagen machen, wo die Heilige Schrift Aussagen macht. Wo die Schrift schweigt, haben auch wir zu schweigen. Gewiss ist: Die Heilige Schrift lehrt nicht, dass jede Entscheidung eines Menschen durch Gott beeinflusst wird und der Mensch nichts aus eigener Entscheidung tut. Sie lehrt aber, dass Gott Entscheidungen von Menschen ernst nimmt.
Im Johannesevangelium erfahren wir, dass der Herr die Herzen kannte (2, 23-15): „Als er am Passa in Jerusalem auf dem Fest war, glaubten viele an seinen Namen, da sie seine Zeichen sahen, die er tat. 24 Aber er, Jesus, vertraute sich ihnen nicht an, da er alle kannte 25 und weil er es nicht nötig hatte, dass jemand über den Menschen Zeugnis gebe, denn ihm war bekannt, was im Menschen war.“ Es gibt Menschen, denen Gott sich aus bestimmten Gründen nicht anvertraut. Und es gibt Situationen, wo Gott – aufgrund seiner eigenen Kriterien – nichts tun „kann“ (d. h., beschlossen hat, nichts tun zu wollen). Als der Herr Jesus in Nazareth war, „konnte“ er kein Wunder tun (Markus 6, 5): „Und er konnte dort nicht eine Krafttat tun, außer dass er wenigen Schwachen die Hände auflegte und sie heilte. 6 Und er verwunderte sich wegen ihres Unglaubens.“ Jakobus schreibt, dass Gott bestimmte Dinge nicht tut, weil Menschen ihn nicht bitten: „Ihr habt nicht, weil ihr nicht bittet.“ (Jakobus 4, 2) Würden sie bitten, so hätten sie.
In Römer 2, 4 ist davon die Rede: „Oder verachtest du den Reichtum seiner Freundlichkeit und seines Ansichhaltens und seiner Geduld, nicht wissend, dass die Freundlichkeit Gottes dich zur Buße leitet?“ Gott leitet zur Buße. Das bedeutet nicht, dass der Sünder untätig ist und Gott alles tut, bis der Sünder bekehrt ist. So lehrt es die Heilige Schrift nicht. Römer 2, 4 betont die eine Seite. Aus Güte und Liebe tut Gott sehr viel, um den Sünder von seiner Sünde zu überführen und zur Umkehr zu bewegen. Aber die Schrift sagt nicht, dass Gott – ungeachtet des Wollens des Sünders – auf seine Entscheidung dermaßen Einfluss nimmt, dass er nicht anders kann als Buße zu tun.
Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Wir wollen in einzelnen Schritten vorgehen.281
Alles ist Gnade. Es gibt für den Menschen nichts zu rühmen . 1. Korinther 1, 28-31: „... und das von Geburt Niedrige der Welt und das Verachtete erwählte sich Gott und was nicht etwas ist, damit er das, was etwas ist, zunichtemache, 29 auf dass sich kein Fleisch vor ihm rühme. 30 Aber aus ihm ist es, dass ihr in Christus Jesus seid, der uns Weisheit wurde von Gott, auch Gerechtigkeit und Geheiligtsein und Erlösung, 31 damit [es sei] so, wie geschrieben ist: ‘Wer rühmt, rühme sich im Herrn.’ (Vgl. Jeremia 9, 23.)“ Es gibt nichts zu rühmen ob der großen Gnade Gottes. Aus Gott ist es, dass wir in Christus hineinversetzt wurden. Es war seine Idee, sein Plan, seine
Initiative, sein Ziel. Auch das Mittel, wie man in Christus hineinkommt, hat er festgelegt: nämlich durch den Glauben.
281 Vgl. Volker Koch. (Unveröffentlichtes Manuskript)
Gnade steht im Gegensatz zu Werken der Selbstgerechtigkeit . Römer 11, 6: „Wenn aber durch Gnade, [ist es] nicht mehr aus Werken. Sonst wird die Gnade nicht mehr Gnade. Wenn aber aus Werken, ist es nicht mehr Gnade.”
Die Gnade wurde uns in Jesus Christus gegeben . Paulus dankt dafür (1. Korinther 1, 4): „Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch in Christus Jesus gegeben wurde“. (Vgl. 2. Timotheus 1, 9.)
Zutritt zur Gnade erhält man durch den Glauben . Römer 4, 16: „Deswegen ist es aus Glauben, damit es nach Gnade sei, damit die Verheißung dem ganzen Samen fest sei, nicht allein dem vom Gesetz, sondern auch dem vom Glauben Abrahams, der unser aller Vater ist.“ Römer 5, 1.2: „Sind wir also gerechtfertigt aus Glauben, so haben wir Frieden zu Gott hin durch unseren Herrn, Jesus Christus, 2 durch den wir auch, ‹durch› den Glauben, den Zutritt bekommen haben in diese Gnade, in der wir stehen.“
Die Gnade gilt allen denen, die aufgerufen werden, zu glauben . Man erhält die Gnade nur in Jesus Christus (1. Korinther 1, 4; vgl. 2. Timotheus 1, 9.) An diesen zu glauben sind alle aufgerufen. Diese Aufgerufenen sind es, die zur Gnade Zutritt haben. Diese sind nicht eine begrenzte Zahl.
Gottes Gnade ist für alle . Die Gnade Gottes ist erschienen für alle Menschen (Titus 2, 11). Sie bringt allen Menschen Heil, sofern diese sie annehmen. Die, die sie ablehnen, erhalten sie nicht. Johannes der Täufer sagte über Jesus: „Dieser war es, von dem ich sagte: ‘Der, der nach mir kommt, ist mir voraus geworden’, weil er eher war als ich. Und aus seiner Fülle empfingen wir alle, und [zwar] Gnade um Gnade; denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben; die Gnade und die Wahrheit geschahen durch Jesus Christus.” (Johannes 1, 15-17). Vergebung ist für alle da. Wie viel? Ebenso viel, wie Gnade vorhanden ist. Die Vergebung ist gemäß dem Reichtum seiner Gnade. (Epheser 1, 7: „… in dem wir durch sein Blut die Erlösung haben, die Vergebung der Übertretungen, nach dem Reichtum seiner Gnade“.) Vergebung ist für alle möglich, weil Jesus für alle starb.282 Ebenso ist es mit der Gnade. Sie wird jedem angeboten, und jeder darf sie entgegennehmen. Die Kolosser erkannten die Gnade, als sie die gute Botschaft hörten (Kolosser 1, 6: „… als ihr [sie] hörtet und die Gnade Gottes in Wahrheit erkanntet…“). Die Gnade gibt Gott den Demütigen (Jakobus 4, 6 und 1. Petrus 5, 5M).
Es besteht die Möglichkeit, die Gnade vergebens zu empfangen.
Dann hat man vergebens geglaubt. 1. Korinther 15, 2: „Ich setze euch in Kenntnis, Brüder, über das Evangelium, das ich euch als gute Botschaft sagte, das ihr auch übernahmt, in dem ihr auch steht, 2 durch das ihr auch gerettet werdet, wenn ihr festhaltet, welcherlei Wort ich euch als gute Botschaft sagte, es sei denn, dass ihr vergebens glaubtet“. 2. Korinther 6, 1: „Aber als Mitwirkende rufen wir euch ebenfalls auf, die ‹dargebotene› Gnade Gottes nicht vergebens entgegenzunehmen.“ 1. Thessalonischer 2, 15.16; 3, 1.3.5: „… die auch den Herrn töteten, Jesus – und die eigenen Propheten – und euch verfolgten und Gott nicht gefallen und allen Menschen Gegner sind; 16 sie hindern uns, zu denen, die von den Völkern sind, zu reden, damit sie gerettet werden, womit sie allezeit ihre Sünden zur Fülle bringen. Aber der Zorn ist auf sie gekommen, um ein Ende [zu machen]. … 3, 1 Darum, da wir es nicht länger ertrugen, gefiel es uns, in Athen allein gelassen zu werden, 2 und wir schickten Timotheus, … 3 damit auch nicht einer wankend gemacht werde in diesen Bedrängnissen … 5 Deswegen, da ich es auch nicht länger ertrug, schickte ich ihn, um euren Glauben zu erfahren, ob nicht der Versucher euch versucht habe und unsere Arbeit vergeblich geworden sei.“283 Es liegt in der Verantwortung des Menschen, die göttliche Gnade nicht vergebens zu empfangen. Dass der Mensch dem Wirken der Gnade Gottes an ihm nicht widerstehen könne, lehrt die Heilige Schrift nicht.
282 Siehe die Ausführungen zu 1. Timotheus 2, 1-7.
283 Die Feinde des Evangeliums hinderten Paulus daran, zu Menschen zu reden, damit sie
gerettet würden. Wenn Gott deren Rettung vorherbestimmt hätte, hätte Paulus dieses
übrigens nicht bekümmern müssen, denn in dem Fall hätte er wissen sollen, dass niemand
Gott daran hindern könne, seine Erwählten zu retten. Die Tatsache, dass Paulus
bekümmert war und dass er befürchtete, dass seine Arbeit in Thessalonich vergeblich
geworden sei (3, 5), zeigt, dass er nicht so dachte.
Der Glaube ist der Schlüssel zum Heil. Nur durch den Glauben kommt man ins Heil. Römer 11, 20-22: „Durch den Unglauben kam es, dass sie ausgebrochen wurden. Du stehst durch den Glauben. Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich, 21 denn wenn Gott die natürlichen Zweige nicht schonte, dass er auch dich etwa nicht schonen werde! 22 Sieh also die Freundlichkeit und die Strenge Gottes: Gegen die, die fielen, Strenge; gegen dich Freundlichkeit, wenn du an der Freundlichkeit bleibst. Sonst wirst auch du abgeschnitten werden.“ Alles, was wir in Christus haben, haben wir durch den Glauben.
Der Glaube ist zugleich Gottes Forderung an den Menschen . Wer dieser Forderung gehorcht, hat nichts zum Rühmen. Wer ihr nicht gehorcht, hat etwas zum Fürchten: den Zorn Gottes (Johannes 3, 36): „Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben. Aber wer dem Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm.“ Unglaube ist Ungehorsam. Paulus spricht vom „Glaubensgehorsam“ 284, ebenso Lukas (Apostelgeschichte 6, 7), auch Petrus (1. Petrus 1, 22).
Glauben ist nicht etwas, das dem einen gegeben ist und dem anderen
nicht . Die Fähigkeit zu glauben gehört zur Grundausstattung aller Menschen an allen Orten, wie das Atmen, Essen und Trinken. Wer glaubt, vertraut. Und Vertrauen ist etwas, das durch Beschäftigung mit dem Objekt des Vertrauens hervorgerufen wird. Dieses Objekt ist in unserem Fall eine vollkommene, absolut glaubwürdige Person: Jesus Christus. Dass dem Menschen zuerst der Glaube von Gott gegeben werden muss, ehe er sich dazu entschließen kann, Gott zu glauben, lehrt die Heilige Schrift nicht.
Die Möglichkeit der Rettung aller Menschen liegt im Willen
Gottes . Gott sagt, es ist kein Unterschied: Sie haben alle gesündigt (Römer 3, 23). Und sie haben alle die Fähigkeit bekommen, Buße zu tun und zu glauben und sich durch die Gnade retten zu lassen.
284 Römer 1, 5; 16, 26; vgl. 10, 16; 10, 21; 11, 30-32; 15, 18.31; 16, 26. Epheser 2, 2; 5, 6; Kolosser 3, 6; 1P
1, 2.22; 2, 8; Hebräer 3, 18; 4, 1.11; 11, 8.
Paulus sagt, dass jeder Glaubende gerettet wird. Er sagt nicht, dass es Menschen gibt, die von Gott her nicht die Fähigkeit zum Glauben bekommen hätten. Die Bibel fordert alle Menschen überall auf, Buße zu tun (d. h., den Sinn zu ändern und entsprechende Konsequenzen zu ziehen) und zu glauben (Apostelgeschichte 17, 30; Markus 1, 15 u.a.).
Vorbemerkung: Die Bibel spricht nicht von einem „rettenden“ Glauben. Sie spricht einfach vom „Glauben“. Glauben ist Vertrauen. Es ist nicht eine spezifische Sache, sondern etwas, das jedem Menschen von seiner Grundausstattung her gegeben ist. Die Frage ist nicht, ob ein Mensch Glauben hat, sondern worauf sein Glaube gerichtet ist. Wie also kommt es dazu, dass der Mensch an Jesus Christus glaubt?
Gott wirbt um den Glauben des Menschen . Er motiviert, plädiert, ruft auf, argumentiert, überführt. Ziel des göttlichen Wirkens ist es, den Menschen dahin zu bringen, dass er auf Gott vertraut und sich ihm anvertraut.
Gottes Güte (Freundlichkeit) möchte alle zur Buße bewegen . Römer 2, 4: „Oder verachtest du den Reichtum seiner Freundlichkeit und [seines] Ansichhaltens und [seiner] Geduld, nicht wissend, dass die Freundlichkeit [o.: Güte] Gottes dich zur Buße leitet?“ Folgende Aussage ist unrichtig: „Es ist einzig und allein seine Gnade, die einige rettet, indem sie sie bewegt, Buße zu tun und zu glauben.“ Was an dieser Aussage unrichtig ist, ist das Wort „einige“. Gottes Gnade möchte alle zur Buße bewegen, nicht nur einige.
Gott leitet zwar zur Buße, aber der Mensch muss sich zur Buße
leiten lassen . Wenn Menschen sich nicht zur Buße bewegen lassen, liegt es nicht an Gott. Nachdem der Herr Jesus sein Leben gelassen hat und Gott um die Seele geworben hat, liegt es beim Menschen, das Heilsangebot Gottes in Christus anzunehmen. Gott gibt jedem Menschen Raum zur Buße (2. Petrus 3, 9): „Der Herr … will nicht, dass welche ins Verderben gehen, sondern dass alle Raum zur Buße haben.“ Es ist unbestritten, dass der Mensch von sich aus böse ist und ohne Gottes Einwirken nicht Buße tun würde. Aber es ist nicht so, dass Gott nicht allen Menschen Raum und Gelegenheit zur Buße gibt.
Gott gibt die nötige Information. Um glauben zu können, ist Information nötig. Man darf nur glauben, wenn man eine Grundlage dafür hat. Ich stehe mit meinem PKW vor einem zugefrorenen See und denke mir: „Ich glaube, das Eis wird mich mitsamt meinem Wagen tragen.“ Es wäre fatal für mich, hätte ich keine Basis für meinen Glauben. Ehe ich es wage, das Eis zu befahren, muss ich wissen, ob es stark genug ist. Dazu ist zuverlässige Information nötig. Es wäre ebenso fatal für mich, etwas in Bezug auf die ewigen Dinge zu glauben, ehe ich zuverlässige Information habe. Gott hilft uns, gibt uns die entsprechende Information, liefert uns Argumente und Zeugnisse. Auf diese Weise wirbt er um unser Vertrauen. Wir müssen die göttliche Information, die wir vor allem aus Gottes Wort und durch das Zeugnis von Christen erhalten, aufnehmen und verwerten. Wir müssen wissen, dass wir für unser Tun und Lassen verantwortlich sind, dass es ein Gericht gibt, auch, welcher der Gerichtsmaßstab ist, und dass wir diesem nicht entsprechen. Wir brauchen Information, wie wir die Sünde loswerden: allein durch das stellvertretende Opfer Jesu Christi, der für unsere Sünden starb, der auferstand und für uns lebt; und dass nur derjenige, der Buße tut und sich Christus restlos anvertraut, in den Genuss des Opfers Christi kommt.
Der Mensch wird dringlich aufgerufen Buße zu tun. Tut er es nicht, wird er gescholten (Matthäus 11, 20): „Da fing er an, die Städte zu schelten, in denen die meisten seiner Wundertaten geschehen waren, weil sie nicht Buße getan hatten.“ Lukas 3, 8: „So bringt nun Früchte, die der Buße würdig sind! ….“ 13, 3: „… wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen!“ Hesekiel 33, 11: „‘So wahr ich lebe’, sagt der Herr, Jahweh, ‘ich habe kein Gefallen am Tod des Ehrfurchtslosen, sondern dass der Ehrfurchtslose von seinem Weg umkehre und lebe! Kehrt um, kehrt um von euren bösen Wegen! – denn warum wollt ihr sterben, Haus Israel?’“ Matthäus 18, 14: „So ist es vor eurem Vater in den Himmeln nicht der Wille, dass einer dieser Kleinen umkomme ‹und [so] verloren werde›.“
Gott ruft weder „Gerechte“ noch „Erwählte“ zur Buße, sondern
Sünder . Matthäus 9, 13 „… ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Buße.“
Gott wirkt auf den Willen des Menschen ein. Wenn Gott einen Menschen rettet, ist es ein Akt seiner Gnade. Der gnädige Gott wirkt auf das Wollen des Menschen ein. Die Schrift sagt aber nicht, dass dieses Wirken Gottes immer unwiderstehlich ist.285 „Nicht zu wollen“ bedeutet, zu etwas zwar die Gelegenheit zu haben bzw. in der Lage zu sein es zu tun, aber es willentlich zu unterlassen (bzw. umgekehrt: die Gelegenheit zu haben, eine gewisse Handlung zu unterbrechen bzw. in der Lage zu sein, damit aufzuhören, sie aber willentlich weiter zu vollführen.) Die Bibel sagt nicht, dass der Mensch, wenn er etwas nicht will, deshalb nicht will, weil ihm die Fähigkeit fehlt, es zu wollen.
Gott hilft dem Menschen, zu glauben. Gott hilft uns Menschen, zu erkennen, dass Jesus Christus der ist, auf den wir getrost unser Vertrauen setzen können, weil er sündlos, gut, vollkommen, gerecht und barmherzig ist, und dass er an unserer Stelle die Schuld auf sich nahm, vom Tode auferstand und jetzt lebt. Als der Vater des Taubstummen Jungen den Herrn bat (Markus 9, 24): „Herr ich glaube. Hilf meinem Unglauben!“, half er ihm. Gott will uns ermutigen und motivieren, ihm unser Leben gänzlich anzuvertrauen und zu weihen.
Gott wartet auf die Reaktion des Menschen. Auf zwischenmenschlicher Ebene ist es ähnlich. Ob ich jemandem vertraue oder nicht, hängt einerseits von der Glaubwürdigkeit jener Person ab, andererseits von meiner Bereitschaft, ihr mein Vertrauen zu schenken. Zum Vertrauen muss man sich entscheiden. Die Entscheidung kann Gott dem Menschen nicht abnehmen.
285 Siehe die Ausführungen zu Philipper 2, 12.13.
1Ch 28, 9M: „Jahweh erforscht alle Herzen, und alles Gebilde der Gedanken kennt er. Wenn du ihn suchst, wird er sich von dir finden lassen. Wenn du ihn aber verlässt, wird er dich verwerfen auf ewig.” Hebräer 10, 35-39: „Werft also eure Freimütigkeit nicht weg, welche eine große Belohnung hat, 36 denn ihr habt Ausdauer nötig, damit ihr, nachdem ihr den Willen Gottes getan habt, die Verheißung davontragt … 38 ‘Aber der Gerechte wird vom Glauben her leben.’ (Vgl. Hab 2, 4M.) Und ‘wenn er zurückweicht, hat meine Seele nicht Wohlgefallen an ihm.’ (Hab 2, 4A n. d. griech. Üsg.)“ Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott wohlzugefallen (Hebräer 11, 6A).
Die Heilige Schrift lehrt nicht, dass Gott ohne Bereitwilligkeit und Mitarbeit im Menschen Glauben bewirkt .286 Um glauben zu können, muss der Mensch mitarbeiten. Die Bibel sagt nicht, dass Gott unabhängig vom Wollen und Denken des Menschen Buße287 und Glauben hervorbringt. Hebräer 4, 2.3: „… denn auch uns ist gute Botschaft gesagt worden gleichwie jenen; jedoch nützte das gehörte Wort jenen nicht, da es bei den Hörern nicht mit dem Glauben vermengt worden war; 3 denn wir, die glaubten, gehen in die Ruhe ein …“ (Vgl. 3, 7.8.18.19.) 6, 11.12: „Wir begehren aber, dass jeder von euch denselben Fleiß beweise – hin zur vollen Gewissheit der Hoffnung, bis zum Ende, 12 damit ihr nicht träge werdet, aber Nachahmer derer, die durch Glauben und Geduld die Verheißungen erben.“ Römer 1, 16.17: „… denn ich schäme mich nicht der guten Botschaft des Christus, denn sie ist Kraft Gottes zur Rettung einem jeden, der glaubt, dem Juden zuerst, und auch dem Griechen, 17 denn die Gerechtigkeit Gottes wird darin geoffenbart: aus Glauben zu Glauben, so wie geschrieben ist: ‘Der Gerechte wird aus Glauben leben’ (Vgl. Hab 2, 4.)“. Römer 3, 21.22: „Nun ist aber, ohne Gesetz, Gottes Gerechtigkeit geoffenbart worden, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten, 22 Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an Jesus Christus – für alle und auf alle, die glauben …“ Markus 16, 14: „Hernach offenbarte er sich ihnen, den Elfen, als sie [zu Tisch] lagen, und er machte ihnen Vorwürfe [wegen] ihres Unglaubens und ihrer Herzenshärte, dass sie denen, die ihn als den Auferweckten gesehen hatten, nicht geglaubt hatten.“ Diese Jünger hatten genügend Basis zum Glauben. Die Schelte bzw. der Vorwurf war angebracht. 1. Mose 14, 11: „Wie lange will mich dieses Volk verachten, und wie lange wollen sie mir nicht glauben bei all den Zeichen, die ich in ihrer Mitte getan habe?“ Lukas 24, 25: „O Unverständige und im Herzen Träge, zu glauben auf [Grund von] allem, was die Propheten redeten!“ Markus 9, 19: „O ungläubiges Geschlecht! Bis wann soll ich bei euch sein? Bis wann soll ich euch ertragen?“
286 Siehe hierzu die Ausführungen zu Epheser 2, 8; Apostelgeschichte 3, 16; Philipper 1, 29; 1. Petrus 1, 21; 2. Petrus 1, 1; Rm
12, 3; Hebräer 12, 2 und Markus 11, 22.
287 Sinnesänderung; griech. meta-noia, d. i. Umdenken, Änderung des Denkens
Gerechtfertigt wird man durch die Gnade und aus Glauben . Durch die Gnade (Titus 3, 7): „… damit wir, durch die Gnade desselben gerechtfertigt, Erben würden …“ Vgl. Römer 3, 24. Aus Glauben: Römer 1, 17E; 3, 26; 4, 16; 5, 1; 9, 30; 10, 4.6; Galater 2, 16; 3, 24; Philipper 3, 9. Nun bleiben zwei Möglichkeiten:
• Möglichkeit a: Nur die, die von Gott Gnade bekommen, dürfen glauben und werden so gerechtfertigt.
• Möglichkeit b: Alle, die durch den Glauben zu Jesus Christus kommen, werden aus Gnaden gerechtfertigt. Was lehrt die Bibel, a oder b? Es gibt keine Aussage in der Bibel zu a, aber viele zu b (z. B. Römer 1-5; Römer 9 und 10; Galater 2 und 3.) Fazit: Alle Geretteten aller Zeiten wurden nur mittels des Glaubens zu solchen. Der Mensch kann zu seiner Rettung nichts beitragen, als sie im Glauben anzunehmen. Gott hat verfügt, dass dieses Geschenk nur denen gegeben wird, die es im Glauben annehmen. Gott ist nicht verpflichtet, jemanden zu retten, aber er hat es in seiner Souveränität so verordnet, dass jeder kommen darf. Der Gerechte darf und soll durch Glauben leben (Hab 2, 4; Römer 1, 17; Galater 3, 11; Hebräer 10, 38; Johannes 20, 31). Dem Herrn sei Lob und Dank dafür!
Die Heilige Schrift sagt nicht, dass der Mensch zuerst wiedergeboren werden (d. h., Leben durch den Geist bekommen) muss, ehe er wirksam auf Gottes Wort hören und glauben kann.
Die biblische Reihenfolge ist eine andere: 1. Zuerst wirkt Gottes Geist am Menschen – ungeachtet dessen, ob er sich dann bekehrt oder nicht. Wenn Gott einen Menschen von Sünde überführt, heißt das noch nicht, dass er sich bekehren wird.288 2. Wenn Gottes Ruf an den Menschen ergeht, ist der Mensch aufgerufen zu hören. Hört er, so bekommt er mehr Licht über sich selbst (Sündenerkenntnis) und über das Heil Gottes (Christuserkenntnis). Das Mittel dazu ist Gottes Wort (Römer 10, 17). 3. Gott gebietet dem Menschen, von Sünde umzukehren (Buße), zu Christus zu kommen (Johannes 6, 35.40), ihn anzurufen (Römer 10, 10- 13), ihn anzunehmen (Johannes 1, 12), an sein stellvertretendes Leiden und Sterben sowie an seine Auferstehung zu glauben. Die in der Schrift dargelegte Reihenfolge ist: „Buße und Glaube“ (Markus 1, 15; Apostelgeschichte 20, 21). Der Mensch muss sein Herz neigen und öffnen lassen. So kann Gott ihm helfen, sein Vertrauen auf Jesus Christus zu stärken. 4. Der Mensch bekommt durch den Glauben das Heil in Christus: Sündenvergebung, Rechtfertigung, göttliches Leben (Johannes 20, 31). Dies geschieht durch den Heiligen Geist. Der Mensch wird von neuem geboren (Epheser 2, 1-8; Johannes 3, 3-7; 2. Korinther 5, 17). Es ist nicht so, dass der Mensch erst glauben kann, wenn er wiedergeboren ist. In Johannes 12, 39 lesen wir von Menschen, die nicht glauben können (V. 39). Dieselben wurden aber in V. 36 gerade dazu aufgefordert! Sie hätten zu jenem Zeitpunkt also glauben können. Aber nachdem sie sich verhärtet hatten, war es zu spät. In Römer 10, 16 (Jesaja 53, 1) lesen wir von Menschen, die der guten Botschaft nicht gehorchen. Aber Römer 10, 21 bezieht sich auf dieselben Leute! Der Herr streckt seine Hände nach ihnen aus. Gott spielt nicht mit ihnen. Gott meint, was er sagt: Er möchte, dass sie
288 Siehe die Ausführungen zu 1. Petrus 1, 1.2 und zu 2. Thessalonischer 2, 13.
sich bekehren. Es ist nicht so, dass Gott in dem Wissen, dass sie sich ohnehin nicht bekehren können, dennoch so tut, als ob sie es könnten.
Zuerst muss Glaube vorhanden sein, dann erst wird der Mensch heil . Lukas 18, 42 sagt Jesus zu dem Blinden am Stadteingang von Jericho: „Dein Glaube hat dich heil gemacht [o.: gerettet].“ Er sagte nicht: Du bist heil, deshalb kannst du glauben. Er sagte auch nicht: Ich schenke dir den Glauben, damit du heil wirst. Der Blinde glaubte an den davidischen Messiaskönig. Daraufhin wurde er heil.
Apostelgeschichte 15, 7-9: „Als viel Disputieren aufkam, stand Petrus auf und ‹richtete sich› an sie und sagte: ‘Männer, Brüder: Euch ist bekannt, dass von den ersten Tagen her Gott unter uns erwählte, dass die von den Völkern das Wort der guten Botschaft durch meinen Mund hören und glauben sollten. 8 Und Gott, der Herzenskenner, legte für sie Zeugnis ab und gab ihnen den Heiligen Geist, so wie auch uns. 9 Und er machte keinen Unterschied zwischen uns und ihnen: Er reinigte ja ihre Herzen auf den Glauben hin.’“ Wir beachten die Reihenfolge: Zuerst hören, dann glauben (V. 7E), danach Empfang des Geistes (V. 8). Die Reinigung der Herzen geschah auf den Glauben hin, nicht umgekehrt. Apostelgeschichte 19, 4: „Johannes taufte mit einer Taufe der Buße und sprach zum Volk, dass man an den glauben solle, der nach ihm käme, das heißt, an den Gesalbten, Jesus.“ Der Täufer verkündigte Buße und Glaube – in dieser Reihenfolge. Jesus Christus und Paulus ebenso. (Vgl. Markus 1, 15 und Apostelgeschichte 20, 21.289) Dieselbe Reihenfolge finden wir in Hebräer 6, 1: „Lassen wir darum das Anfangswort des Christus und begeben wir uns hin zur Reife; legen wir somit nicht wieder einen Grund mit Buße über tote Werke und mit Glauben an Gott“.
289 Markus 1, 15E: „Tut Buße und glaubt an die gute Botschaft!“; Apostelgeschichte 20, 21: „21 wobei ich
sowohl Juden als auch Griechen mit Ernst bezeugte die Buße zu Gott hin und den
Glauben an unseren Herrn, Jesus Christus.“
Apostelgeschichte 26, 18: „… zu öffnen ihre Augen, dass sie umkehren von der Finsternis zum Licht und aus der Obrigkeit des Satans zu Gott [und] dass sie Vergebung der Sünden bekommen …“
„… und [muss] verkündet werden ‹unter Berufung› auf seinen Namen Buße und Vergebung der Sünden für alle in den Völkern, beginnend von Jerusalem an.“ (Lukas 24, 47) Dieselbe Reihenfolge finden wir in Apostelgeschichte 5, 31: „Diesen erhöhte Gott …, um Israel Buße zu geben und Vergebung der Sünden“. (Vgl. auch Markus 4, 12; 2Ch 7, 14; Jesaja 55, 7; Jeremia 36, 3.) Apostelgeschichte 16, 31: „Sie sagten: ‘Glaube an den Herrn Jesus Christus, und du wirst gerettet werden, du und dein Haus!’“ Der Kerkermeister von Philippi war bereits bußfertig, wie seine Frage, was er nun tun solle, zeigt. Was musste er demnach noch tun, um gerettet zu werden? Glauben. Die Reihenfolge ist eindeutig. Zuerst Glaube, dann Rettung. Auch im Römerbrief wird in K. 3 und 4 die Buße von 2, 4 vorausgesetzt. Zuerst muss der Mensch zur Buße geleitet werden. Zu beachten ist, dass es um ein „Leiten“ (griech. agein) zur Buße geht, nicht ein „Stoßen“ oder „Schubsen“. Gott wirbt um den Menschen, versucht, ihn durch Güte zur Buße zu bewegen (leiten). Wenn der Mensch nicht Buße tun will, hat Gott noch das Mittel des Warngerichtes (Offenbarung 9, 20.21; vgl. Lukas 13, 1-9.). Wenn der Mensch auch darauf nicht reagiert, bleibt kein Mittel mehr übrig. Dann muss er den Menschen richten (Lukas 13, 3): „… wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle ebenso umkommen.“
Apostelgeschichte 2, 38: Buße (und Taufe auf Vergebung der Sünden), danach Heiliger Geist 2, 41: Wortaufnahme (und Taufe), dann und damit
die Hinzufügung zur Heilsgemeinde durch die Vermittlung des Heils. 4, 4: Hören und glauben (nicht umgekehrt) 1. Korinther 1, 21: Gott gefiel es, die Glaubenden zu retten (d. h.: zuerst Glaube, dann Heil). Wäre eine Wiedergeburt nötig, um glauben zu können, hätte der Apostel sagen müssen: Gott gefiel es, sie zu retten und ihnen dann den Glauben zu geben.
Ohne den Heiligen Geist geschieht keine Wiedergeburt . Um den Heiligen Geist zu empfangen, muss man glauben. In der Apostelgeschichte 8, 14 lesen wir von der Bekehrung einer großen Anzahl von Menschen in Samarien. Sie nahmen das Wort Gottes auf, erhielten aber nicht den Heiligen Geist. Das zeigt, dass Empfang des Geistes (und der damit verbundenen Wiedergeburt) nicht Bedingung zum Aufnehmen des Wortes Gottes ist. Die Wiedergeburt der Samariter ereignete sich dann etwas später, im Augenblick des Geistempfangs.290 In der Apostelgeschichte 10, 33.44 erfahren wir, dass die Menschen um Kornelius schon ehe Petrus kam, bereit gewesen waren, auf das Evangelium zu hören. Die Wiedergeburt geschah erst, als der Heilige Geist kam. Sie waren also bereit, Gottes Wort zu hören, ehe sie wiedergeboren waren. In der Apostelgeschichte 11, 1.14 lesen wir: Zuerst wurden die Worte geredet (V. 14) und aufgenommen (V. 1), dann wurden die Hörer gerettet – „durch“ die gehörten Worte (V. 14). Es war nicht so, dass sie zuerst wiedergeboren werden mussten, um dann Gottes Worte recht aufnehmen zu können.
Römer 4, 5: Wer keine Werke verrichtet, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, dem wird sein Glaube als Gerechtigkeit angerechnet.291 In den folgenden Versen ist die Reihenfolge: zuerst Glaube, dann Rechtfertigung, dann Leben: Hab 2, 4; Römer 1, 17; Galater 3, 11.
290 Das war hier eine Ausnahme. Üblicherweise kommt der Heilige Geist in dem Augenblick,
in dem der Mensch Buße tut und von Herzen an Jesus Christus glaubt. Hier aber
ging es darum, dass der Geist Gottes eine frühe Aufspaltung der Gemeinde Jesu in
Samariterchristen und Judenchristen verhindern wollte.
291 Vgl. 3, 26.28; 4, 3; 5, 1; Apostelgeschichte 13, 39; Galater 2, 16 u.v.a.
Gott hat sich nicht dazu entschlossen, uns alles über die Hintergründe jeglicher Entscheidung eines Menschen zu sagen. Wir können keine letzten Aussagen machen. Wie und aus welchen Gründen es bei einem bestimmten Menschen dazu kam, dass er, als er das Evangelium hörte, die Botschaft annahm und glaubte, können wir nicht sagen. In manchen Fällen erfahren wir aus der Schrift, dass sich jemand verhärtete. Aber wie und wieso es im jeweiligen Fall dazu kam und vor allem, warum es dabei blieb, erfahren wir nicht. Dass dieses letztlich an Gott liegt, sagt die Heilige Schrift nicht. Würden wir behaupten, dass die wichtigsten Entscheidungen eines Menschen letztlich durch Gott beeinflusst werden und der Mensch in diesen Dingen nicht frei und selbständig handeln kann (z. B., dass er von sich aus nicht den Wunsch zur Umkehr hegen kann), so würden wir über die Aussagen der Heiligen Schrift hinausgehen. Wir dürfen nicht mehr sagen wollen. Wir dürfen nicht philosophieren. Nur Gott ist der Herzenskenner. Wenn er die Herzen kennt, heißt das nicht notwendigerweise, dass er die Entscheidungen, die diese Herzen treffen, vorherbestimmt. Was wir aus der Schrift wissen, ist, dass Gott dem Menschen eine Entscheidungsfähigkeit gegeben hat und dass er diese achtet. Die Frage, warum gewisse Menschen gerettet werden (bzw. sich retten lassen) und andere nicht, steht nicht im Zusammenhang mit dem Gedanken der Erwählung. Sicher ist, dass Gott jeden Menschen für seine Entscheidung zur Verantwortung ziehen wird.
Es gibt Fälle, bei denen Gott selbst über den Unglauben der Menschen staunt: Markus 6, 5.6: „Und er konnte dort nicht eine Krafttat tun, außer dass er wenigen Schwachen die Hände auflegte und sie heilte. 6 Und er verwunderte sich wegen ihres Unglaubens.“ Ebenso Jesaja 59, 15.16: „… Und Jahweh sah es, und es war böse in seinen Augen, dass kein Recht vorhanden war. 16 Und er sah, dass kein Mann [da war:] und er staunte, dass kein Vermittler [eintrat]. Da half ihm sein Arm, und seine Gerechtigkeit, sie unterstützte ihn.“ Es gibt Fälle, bei denen Jesus über den Glauben mancher Menschen staunt, z. B. Matthäus 8, 10: „Als Jesus das hörte, verwunderte er sich und sagte zu denen, die ihm folgten: ‘Wahrlich! Ich sage euch: Selbst in Israel habe ich nicht einen so großen Glauben gefunden.“ (Vgl. Lukas 7, 9.)
Der reiche Jüngling stellte die richtige Frage (Matthäus 19, 16). Und er stellte sie an die richtige Adresse und zum richtigen Zeitpunkt. Und er erhielt auch die richtige Antwort (V. 17-21). Dennoch ging er traurig von Jesus weg. Warum? Zweimal hatte der Herr Jesus ihn auf seinen Willen hin angesprochen: V. 17: „Willst du aber ins Leben eingehen…“ und V. 21: „Willst du vollkommen sein…“ Hätte er gewollt, hätte er durch Gottes Hilfe und Kraft gekonnt. Die Gelegenheit gab ihm der Herr. Nun lag es an ihm. Jesus hatte ihm gesagt, er solle seine Habe verkaufen und den Armen geben und ihm folgen (V. 21). Aber er wollte nicht, „… denn er hatte viele Besitztümer“ (V. 22E). Er war reich, hing an seinen Besitztümern, liebte das Geschöpf mehr als den Schöpfer – und übertrat so das wichtigste Gebot. Jesus zeigte ihm damit: Nicht einmal das erste und wichtigste Gebot hast du gehalten. Du hast Gott nicht an die erste Stelle deines Lebens gesetzt. Du liebst ihn nicht von ganzem Herzen und mit aller Kraft. Du hast andere Götter neben Gott. Jesus sagte nicht, der reiche Mann hätte deshalb nicht geglaubt, weil er nicht glauben konnte. Er konnte nicht glauben, weil er nicht wollte. Im Nachgespräch mit den Jüngern sagte Jesus nicht: „Es ist unmöglich, dass ein Reicher in das Königreich der Himmel eingehe.“ Er sagte: „Schwerlich wird ein Reicher in das Königreich der Himmel eingehen“ (V. 23) und: „Bei Gott sind alle Dinge möglich.“ (V. 26) V. 25 wird die Frage gestellt: „Wer kann dann gerettet werden?“ Antwort: Niemand von sich aus. Jeder ist auf göttliche Hilfe angewiesen. (V. 26). Und wie gerne will Gott helfen! Deshalb war der Herr Jesus ja gekommen. Der Herr sagte nicht, dass Gott es nur für eine begrenzte, ausgesuchte Schar von Menschen möglich machte, dass sie sich bekehren und glauben. Wenn Gottes Ruf an den Menschen ergeht, wie hier beim reichen Jüngling, liegt es am Menschen, zu Christus zu kommen. Dieser hier wollte nicht. Gleich darauf erging Jesu Ruf an einen anderen Reichen: Zachäus (Lukas 19, 1-10). Der wollte. Warum wollte er? Sollen wir annehmen, dass er einfach deshalb wollte, weil er von Gott dazu im Voraus bestimmt war? Ist es das, was Gott in jenem Abschnitt zeigen will? Jesus sagte: „Heute widerfuhr diesem Hause Rettung, weil ja auch er ein Sohn Abrahams ist292, 10 denn der Sohn des Menschen kam, das Verlorene zu suchen und zu retten.“ Er sagte nicht: „Heute widerfuhr diesem Hause Rettung, weil Zachäus von Ewigkeit her auserwählt war, dass er sich heute bekehren sollte“, auch nicht: „denn ich bin gekommen, um alle zu sammeln, die Gott im Voraus zum Glauben bestimmt hatte.“
Gott hofft darauf, dass der Mensch hört. Jeremia 26, 2.3: „Tritt in den Vorhof des Hauses Jahwehs und zu allen Städten Judas, die kommen, um im Haus Jahwehs anzubeten. Rede alle Worte, die ich dir geboten habe, zu ihnen zu reden. Nimm kein Wort davon weg. 3 Vielleicht werden sie hören und jeder von seinem bösen Weg umkehren, so werde ich mich des Übels gereuen lassen, das ich ihnen zu tun beabsichtige wegen der Bosheit ihrer Handlungen.”
Gott wirbt, überredet, argumentiert, fleht . Hesekiel 33, 11: „So wahr ich lebe, spricht der Herr, Jahweh, ich habe kein Gefallen am Tod des Ehrfurchtslosen, sondern dass der Ehrfurchtslose von seinem Weg umkehre und lebe! Kehrt um, kehrt um von euren bösen Wegen! – denn warum wollt ihr sterben, Haus Israel?“ 18, 30-32: „Darum werde ich euch richten, Haus Israel, jeden nach seinen Wegen, spricht der Herr, Jahweh. Kehrt um und wendet euch ab von allen euren Übertretungen, dass es euch nicht ein Anstoß zur Schuld werde. 31 Werft von euch alle eure Übertretungen, wodurch ihr übertreten habt, und schafft euch ein neues Herz und
292 d. h. ein wahrer Sohn Abrahams, Römer 4, 16; Galater 3, 6.29, nicht so, wie die jüdische Führung
von sich dachte: Johannes 8, 33.39; vgl. Römer 9, 7.
einen neuen Geist – denn warum wollt ihr sterben, Haus Israel? 32 denn ich habe kein Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht der Herr, Jahweh. So kehrt um und lebt!” Zuerst versucht Gott, den Menschen zu überzeugen. Verhärtet jener sein Herz, so übergibt er ihn dem Widerstand seines Herzens (Psalm 81, 9-14): „Höre, mein Volk! Ich will wider dich zeugen: Israel, wenn du doch auf mich hörtest! 10 Kein fremder Gott sei bei dir und vor einem unbekannten Gott verbeuge dich nicht. 11 Ich bin Jahweh, dein Gott, der dich aus dem Lande Ägypten herausgeführt hat. Mache deinen Mund weit auf: Ich fülle ihn. 12 Aber mein Volk hörte nicht auf meine Stimme. Israel war mir nicht zu Willen. 13 Da gab ich sie dahin in den Widerstand ihrer Herzen. Sie leben nach ihren eigenen Plänen. 14 Dass doch mein Volk auf mich hörte und Israel auf meinen Wegen ginge!“ Lange Zeit hatte Gott um Israel geworben. Das Volk war widerspenstig. Schließlich hörte Gott auf zu werben und zu ringen. Und er ließ sie laufen – in ihr eigenes Verderben. So würde Gott nicht handeln, wenn er sie von vornherein für das Heil bestimmt hätte. Weil er allwissend ist, weiß er, dass gewisse Menschen nicht hören werden. Aber diese seine Allwissenheit steckt er oft zurück. Er spricht mit dem Menschen als echtem Gegenüber – wie auf gleicher Stufe stehend und ohne seine Allwissenheit zu verwenden. Er gibt ihm Zeit. Er wartet. Kehrt er nicht um, so züchtigt er ihn: Offenbarung 2, 21.22: „Und ich gab ihr Zeit, damit sie Buße tue von ihrer Unzucht, und sie tat nicht Buße. 22 Siehe, ich werfe sie in ein Bett und die, die mit ihr Ehebruch begehen, in große Bedrängnis, wenn sie nicht Buße tun von ihren Werken“. Verwirft der Mensch das gütige Reden Gottes, so kommt das laute, ernste Reden. Verwirft der Mensch auch dieses, was will Gott dann noch tun? Hebräer 10, 28-31: „Setzt jemand das Gesetz Moses beiseite, stirbt er ohne Erbarmungen auf zwei oder drei Zeugen hin. 29 Wie viel schlimmerer Strafe, meint ihr, wird der wertgeachtet werden, der den Sohn Gottes mit Füßen trat und das Blut des Bundes, durch das er geheiligt war, für gemein achtete und den Geist der Gnade schmählich misshandelte? 30 – denn wir wissen um den, der sagte: ‘Die Vergeltung ist meine [Sache]; ich werde vergelten’, sagt der Herr’ (1. Mose 32, 35), und wieder: ‘Der Herr wird sein Volk richten.’ (1. Mose 32, 36; Psalm 135, 14) 31 Furchtbar ist es, in die Hände des lebenden Gottes zu fallen!“ Offenbarung 9, 20.21: „Und die übrigen der Menschen, die nicht durch diese Plagen getötet wurden, taten auch nicht Buße über die Werke ihrer Hände, dass sie nicht huldigten den Dämonen und den goldenen und den silbernen und den ehernen und den steinernen und den hölzernen Götzen, die weder sehen noch hören noch gehen können. 21 Und sie taten nicht Buße über ihre Mordtaten noch über ihre Zaubereien noch über ihre unzüchtigen Taten noch über ihre Diebstähle.“ 16, 9-11: „Und die Menschen wurden versengt mit großer Hitze. Und sie lästerten den Namen Gottes, der über diese Plagen Vollmacht hat, und sie taten nicht Buße, ihm Herrlichkeit zu geben. 10 Und der fünfte Bote schüttete seine Schale aus auf den Thron des Tieres. Und sein Königreich wurde finster. Und sie zerbissen ihre Zungen vor Schmerz 11 und lästerten den Gott des Himmels wegen ihrer Schmerzen und wegen ihrer Geschwüre, und sie taten nicht Buße über ihre Werke.“ 16, 21: „Und große Hagelbrocken, wie ein Talent schwer, kommen nieder aus dem Himmel auf die Menschen. Und die Menschen lästerten Gott wegen der Plage des Hagels, weil seine Plage überaus groß ist.“
Es gibt eine Auffassung von Erwählung und Vorherbestimmung, die Gott als Verlierer darstellt: Gott schuf Engel; viele von ihnen entschieden sich gegen Gott. Gott schuf Menschen; viele entschieden sich gegen Gott. Niemand außer Noah und seine Familie liebte Gott zur Zeit der großen Flut. Nach der Flut soll es – gemäß jener Lehre – auch so gewesen sein: Niemand liebte Gott außer denen, die Gott durch seinen souveränen und vorherbestimmenden Willen so beeinflusst hatte, dass sie nicht anders konnten als sich für ihn zu entscheiden. Eine solche Auffassung stellt Gott in ein schlechtes Licht. Und der Satan freut sich; hat er es doch gerne, dass Gott als Verlierer dargestellt wird. Das Buch Hiob widerlegt diese fremde Lehre. Die ersten beiden Kapitel im Buch zeigen, wie der Satan das Anliegen hat, Gott in ein schlechtes Licht zu stellen. Sein Angriff dort richtete sich direkt gegen Gottes Herz: „Hiob dient dir nur deshalb, weil du ihn so gesegnet hast. Würdest du deine Hand ausstrecken und antasten, was er hat, so würde er dir ins Gesicht absagen. Er liebt dich nur deiner Gaben wegen, nicht deiner selbst wegen.” (Vgl. Hi 1, 9-11.) Gott nimmt die Herausforderung des Satans an, gibt ihm die Erlaubnis, Hiob anzutasten: „Nun, lass uns sehen, ob Hiob weiter an mir festhalten wird oder nicht.“ Nach jener fremden Lehre von der Vorherbestimmung soll Gott es gewesen sein, der Hiobs Entscheidungen beeinflusste. Aber wenn Gott selber es war, der bewerkstelligte, dass Hiob treu blieb, was sollte das ganze Spiel? Und was sollte die Diskussion mit Satan? Gott sagt zu Satan: „Na, lasst uns sehen, wie Hiob reagieren wird.“ Und dann soll Gott selber die Reaktion in Hiob bewirkt haben? Gott selber soll es gewesen sein, der in Hiob – ohne dessen Zutun und unabhängig von dessen Wollen oder Laufen (denn Hiob war ja im Voraus bestimmt, dem Herrn treu zu bleiben) – das Ausharren und die entsprechende Liebe und Treue bewirkt hat? Seien wir froh, dass es nicht so war! Das Ganze war kein Spiel Gottes mit den Menschen! Hiobs Treue war echt. Sie zeigt uns, dass er Gott wirklich liebte und ihm vertraute. Und es war nicht so, dass Hiob vorherbestimmt war, Gott zu lieben. Seine Liebe war eine Reflexion der Liebe Gottes zu ihm. Er liebte den Schöpfer nicht lediglich wegen dessen Gaben. Er liebte ihn, weil Gott ist, was er ist. Und so wurde Hiob zu einem göttlichen Lehrbeispiel für den Satan. Der Widersacher sollte erkennen, dass man Gott auch dann treu bleiben kann, wenn man allen irdischen Besitz und alles irdische Wohlergehen verliert. Wir alle – insofern wir Kinder Gottes sind – sind Anschauungsmaterial dafür, wie und was Gott wirklich ist: ein Liebender; einer, der aus freien Stücken treu liebt; einer, der auch dann in Liebe treu bleibt, wenn er momentan keinen Gegenwert für seine Liebe sieht oder zu spüren bekommt. So ist Gott! Und Christen sind Menschen, die Gott mit dieser Liebe aus freien Stücken lieben. Wie könnte es auch anders sein! Sie spiegeln Gottes Liebe wieder, eine Liebe, die gänzlich aus freien Stücken liebt! Sollten wir wirklich glauben, dass diese göttliche Liebe gewisse Menschen im Voraus dazu prädestiniert, dass sie an ihn glauben und ihn lieben werden – im Gegensatz zu anderen Menschen, die von vornherein dazu bestimmt sind, dass sie es nicht tun werden? Das wäre eine Verkennung von Gottes unfassbarer Liebe und Heiligkeit. 293
293 Vgl. McCarthey, S. 254-257
Fettgedruckte Stellen sind Hinweise darauf, dass die Stelle im gesamten Kapitel behandelt wird. 1. Mose 3, 19.20 1.4.5; 4.4 1. Mose 4, 21 1.4.5 1. Mose 7-14 1.4.5 1. Mose 9, 12 1.4.5; 4.4 1. Mose 9, 16 1.4.5; 4.4 Josua 24, 23 3.4
Hi 15, 23 3.24
Hi 1 und 2 4.9
Psalm 81, 9-14 1.4.3.1a; 4.8 Psalm 119, 36 3.4 Psalm 119, 112 3.4 Psalm 141, 4 3.4
Sprüche 16, 4 3.24
Jeremia 31, 18.19 3.19
Klg 5, 21 3.19 Hesekiel 18, 23 1.2.2; 1.3.1.3; 1.3.5; 3.6 Hesekiel 18, 30 4.8 Hesekiel 33, 11 1.4.5; 3.1.5; 3.6; 4.4; 4.6.3; 4.8 Matthäus 13, 11ff 3.2; 4.1 Matthäus 16, 17 3.1.4; 3.4 Matthäus 19, 16-26 4.8
Matthäus 22, 1-14 2.3;
1.3.1.3; 1.4.2.4; 4.5 Matthäus 26, 28 2.3.2.1; 3.22 Markus 10, 51 4.1
Markus 11, 22 3.18
Lukas 7, 29.30 1.1.6.4; 1.1.6.5; 3.1.4; 3.4
Lukas 11, 29-36 3.21 ; 4.1 Lukas 13, 34 2.3.2.1; 3.1.5 Lukas 14, 16-24 1.3.1.5; 2.3.2.1; 2.3.5 Lukas 15 4.4 Lukas 18, 42 4.7 Lukas 19, 1-10 4.4; 4.8 Lukas 19, 14 3.18 Johannes 1, 9 3.5; 4.1
Johannes 5, 21 3.17
Johannes 5, 19-23 3.17
Johannes 5, 37-39 4.1. Johannes 5, 45-47 4.1. Johannes 5, 44 4.1
Johannes 6 3.1
Johannes 6, 29 3.1
Johannes 6, 37 3.1
Johannes 6, 44 3.1
Johannes 6, 65 3.1
Johannes 7 3.2 ;
3.20
Johannes 7-9 3.2; 3.20
Johannes 7, 17 3.3; 3.4; 3.21
Johannes 8 3.20 ; 3.1.5
Johannes 8, 23 3.2 ; 3.1.5
Johannes 8, 23-59 3.2 ; 3.1.5 Johannes 8, 43 3.1.5;
3.2;
4.1. Johannes 8, 46 3.1.5;
3.2
Johannes 8, 47
3.1.4;
3.2
Johannes 9 3.20 ; 4.1
Johannes 9, 41 3.20 ; 4.1. Johannes 9, 39ff 3.3;
3.20 ; 4.1. Johannes 10, 1ff 3.1.4; 3.3
Johannes 10, 26-29 3.3
Johannes 12, 35ff 1.1.6.4; 3.3; 3.5; 4.1; 4.7 Johannes 12, 46 3.1.3; 4.1. Johannes 12, 48 3.21. Johannes 18, 37 3.2 Apostelgeschichte 2, 23 2.2.2.1c Apostelgeschichte 8, 14 4.7
Apostelgeschichte 3, 16 3.11
Apostelgeschichte 5, 31 3.7.3; 4.2; 4.7 Apostelgeschichte 10, 2ff 3.4; 3.9; 4.4; 4.7 Apostelgeschichte 11, 18 3.6; 3.15; 4.2
Apostelgeschichte 13, 46-48 3.6;
4.4
Apostelgeschichte 16, 14 3.4
Apostelgeschichte 26, 18 3.5;
4.7 Römer 1, 6 2.3.2.2 Römer 2, 4 3.6; 4.4; 4.5; 4.6.3 Römer 3, 9 4.4; 4.6.3 Römer 3, 11 4.3 Römer 8, 15 1.2.2; 1.3.1.5b
Römer 8, 28-30 1.3; 2.2.2.2
Römer 9, 1-33 1.4
Römer 9, 11-13 1.4; 1.1.2.2
Römer 9, 14-18 1.4; 2.2.2.2; 3.24
Römer 10, 21 1.1.6.4; 1.4.2.3; 1.4.3.1; 2.1.5; 4.2; 4.3; 4.7 Römer 11, 2 2.2.2.1bc; 1.4.3.4 Römer 11, 20-22 1.4.3.4; 4.6.2 Römer 11, 30-32 1.3.1.5e; 1.4.3.1; 3.22; 4.2
Römer 12, 3 3.15
Römer 16, 13 1.1.2.2 1. Korinther 1, 2 2.3.2.2 1. Korinther 1, 24 2.3.2.2 1. Korinther 1, 28-31 4.6.1 1. Korinther 2, 14 4.3 2. Korinther 4, 4 3.5; 4.1; 4.4 2. Korinther 5, 19
3.23;
3.22
2. Korinther 5, 17-21 3.23;
3.22 Galater 4, 1-7 1.2.2; 1.3.1.5b Galater 4, 22-30 1.4.2.2 Galater 5, 8 1.3.1.3; 2.4.2
Epheser 1, 4 1.1
Epheser 1, 5 1.2
Epheser 1, 9.10 2.2.2.2
Epheser 1, 11 1.2;
2.2.2.2
Epheser 2, 1 3.9
Epheser 2, 8 3.10
Epheser 3, 11 2.2.2.2 Epheser 4, 18 4.3
Philipper 1, 29 3.12
Philipper 2, 12.13 3.7;
3.16
Kolosser 1, 20 3.23
Kolosser 1, 14-23 3.23
1. Thessalonischer 1, 4 1.1.3; 1.4.2.4; 2.1.3; 2.1.4 1. Thessalonischer 2, 12 1.3.1.3; 2.4.2 1. Thessalonischer 5, 24 1.3.1.3; 2.4.2
2. Thessalonischer 2, 13 2.1;
2.2.2.3b
1. Timotheus 2, 1-7 3.22;
2.3.2.1
1. Timotheus 2, 4 3.22;
2.3.2.1; 4.3
2. Timotheus 1, 9
1.1.6.1; 1.3.1.3c;
2.2.2.2 ; 4.3; 4.6.1 2. Timotheus 2, 10 2.1.1 Titus 1, 2 2.2.2.2 Titus 2, 11 3.1.5; 3.22; 4.6.1 Hebräer 2, 4 4.3 Hebräer 10, 32 3.5; 4.1 Hebräer 10, 35ff 4.6.3
Hebräer 12, 2 3.16
Jakobus 1, 18 4.3
1. Petrus 1, 1.2
1.1.6.3; 1.3.1.5a; 2.1.2;
2.2
1. Petrus 1, 19.20 2.2.2.1c; 2.2.2.2
1. Petrus 1, 21 3.13
1. Petrus 2, 4ff 1.1.2.2; 1.1.3; 1.1.6.1; 2.2.1.1
2. Petrus 1, 1 3.14
2. Petrus 1, 10.11
1.1.6.2; 1.1.6.4;
2.4;
2.2.1.2; 2.3.3 2. Petrus 3, 9 1.2.2; 1.4.5; 3.22; 4.2; 4.3; 4.6.3 Judas 1 2.3.2.2 Offenbarung 2, 21.22 4.8 Offenbarung 3, 5 3.8
Offenbarung 13, 8 3.8
Offenbarung 17, 8 3.8
Offenbarung 17, 14 1.1.2.2; 2.2.2.2; 2.4.1
Barnes,
Notes, Online-Bibel, Edition 4.07.02 Bauer, Danker, Arndt & Gingrich, Greek-English Lexicon of the New Testament Buswell, James Oliver: A Systematic Theology of the Christian Religion, Grand Rapids 1977 (11. Aufl.), Bd. II Delitzsch, Franz, Biblischer Commentar über die poetischen Bücher des Alten Testaments; Dritter Band: Das Salomonische Spruchbuch, Leipzig 1878 Elberfelder Studienbibel mit Sprachschlüssel, Wuppertal 2005 Ewald, D. Paul, Die Briefe des Paulus an die Epheser, Kolosser und Philemon, Reihe: “Kommentar zum Neuen Testament” hrsg. v. Theodor Zahn, Leipzig 1910 Godet, Frederic, Kommentar zum Evangelium des Johannes, Gießen 1987 Gooding, David W., According to Luke, Leicester 1987 Hoehner, Harald W., Ephesians – An Exegetical Commentary, Grand Rapids 2002 Keil, Carl Friedrich, Commentar über die Briefe des Petrus und Judas, Leipzig 1883 Keil, Carl Friedrich, Biblischer Commentar über die fünf Bücher Mose’s, Erster Band: Genesis und Exodus; Leipzig 1878 Lenski, R. C. H., The Interpretation of I and II Peter, Minneapolis 1966 Liddell &Scott,
Greek-English Lexicon, 9th Revised Edition, by Henry George Liddell and Robert Scott, Henry Stuart Jones, and Robert McKenzie,
Oxford University Press 1996; Bibleworks 7.0 Lincoln, Andrew T., Ephesians, Reihe: Word Biblical Commentary, hrsg. v. D. A. Hubbard, J. D. W. Watts, R. P. Martin, Dallas 1990 Louw-Nida, Greek-English Lexicon of the New Testament Based on Semantic Domains, 2nd Edition, Edited by J. P. Louw and E. A. Nida.1988 United Bible Societies, New York.Bibleworks 7.0 Lust-Eynikel-Hauspie, A Greek-English Lexicon of the , J. Lust, E. Eynikel, and K. Hauspie, with the collaboration of G. Chamberlain, German Bible Society 1992, 1996; Bibleworks 7.0 Matthew Henry zu Sprüche 16, 4, Online-Bible 2011 McCarthy, James G., Fiat Lux, Hünfeld 2006 Menge-Güthling, Enzyklopädisches Wörterbuch der griechischen und deutschen Sprache, Berlin-Schönebert (1913) 1954 Pape, Wilhelm, Griechisch-Deutsch Altgriechisches Wörterbuch; Digitale Bibliothek, http://www.digitale-bibliothek.de/band117.htm Parkinson, John F., Erwählung – Wer, wie und wozu?, Düsseldorf/ Steffisburg, 2010 Robertson, A. T., Word Pictures in the New Testament, Bd. IV, Grand Rapids 1931 Ross, Allen P., The Expositor’s Bible Commentary, Bd. V, Grand Rapids 1991 Schenkel, Daniel, Der Brief an die Philipper, Reihe: “Theologischhomiletisches Bibelwerk” hrsg. v. J. P. Lange, Bielefeld 1862 Symank, Andreas, Werden alle Menschen gerettet? Überlegungen zur Lehre der Allversöhnung, Genf 1982; Riehen/Schweiz³ 1997 Thayer’s Greek-English Lexicon of the New Testament. Complete and unabridged. Being C. G. Grimm (1861-1868; 1879) and C. L. W. Wilke Wohlenberg, D. G., Der erste und zweite Thessalonicherbrief; Reihe: “Kommentar zum Neuen Testament” hrsg. v. Theodor Zahn, Leipzig 1909 Zahn, Theodor, Das Evangelium des Johannes, Reihe: “Kommentar zum Neuen Testament” hrsg. v. Theodor Zahn, Leipzig 1922ff. Zahn, Theodor, Die Apostelgeschichte des Lukas, Band V., Kap. 13-28, Reihe: “Kommentar zum Neuen Testament” hrsg. v. Theodor Zahn, Leipzig - Erlangen 1921 Thomas Jettel Selbstvorstellung geb.: 05.03.1959, Österreich Seit 1995 wohnhaft in der Schweiz Seit 1989 verheiratet; vier Kinder. 1979-82 und 1995-96: Studium an der STH Basel (Staatsunabhängige Theologische Hochschule Basel; früher FETA = Freie Evangelische Theologische Akademie) 1989-95 Lehrer für Englisch und Geschichte 1982-95 Mitarbeit in freien Gemeinden im Land Salzburg, Österreich Seit 1995 freier Verkündiger im deutschsprachigen Raum und in Rumänien, Ungarn, Ukraine, Moldawien, Russland Seit 2001 mitverantwortlich in einer freien Gemeinde in Hohentengen Seit 1997 freie Zusammenarbeit mit Prof. Herbert Jantzen, vor allem in der Bibelübersetzung und Herausgabe diverser Schriften und Bücher Herbert Jantzen geb.: 12.09.1922, in Kanada; 1951-1954 Bibelschullehrer, Evangelist und Pastor in Kanada. Seit 1954 ausgedehnter Lehr- und Missionsdienst in Europa. 1971-1981 Dozent und Professor für Dogmatik und Weltanschauungskunde an der FETA = Freien Evangel. Theologischen Akademie Basel (Heute: STH = Staatsunabhängige Theologische Hochschule Basel). Ab 1981 Gastdozent an verschiedenen theologischen Ausbildungsstätten und Gemeinden in Europa. Seit 1999 wieder in Kanada. Weiterhin verschiedene Lehrtätigkeiten in Europa, Bibelübersetzung („Das Neue Testament in deutscher Fassung“ und die Psalmen), Herausgabe verschiedener Bücher, vor allem der Reihe „Die Hauptlehren der Heiligen Schrift“ (Verlag FriedensBote, Meinerzhagen).
Teil 1: Inhaltsverzeichnis
Vorwort. 9
Teil 1: . Direkte Aussagen der Heiligen Schrift über Erwählung . bzw. Vorherbestimmung . 11
1.1 „… erwählt vor Grundlegung der Welt“ Epheser 1, 4 . . . 11
1.2 „ … vorausbestimmt zur Sohnesstellung“ Epheser 1, 5.11 . 31
1.3 „… nach einem Vorsatz gerufen“ und „im Voraus bestimmt“ Römer 8, 28.30 (Römer 8, 28-39) 37
1.4 „Dann ist es also nicht eine Sache des Wollenden oder Laufenden“; „dann ist er also barmherzig, gegen wen er will, und er verhärtet, wen er will“ Römer 9, 16.18 (Römer 9, 1-33) . . 52
Teil 2: Weitere Stellen über Erwählung bzw. Vorherbestimmung . in der Heiligen Schrift . 82
2.1 „... dass Gott euch von Anfang zum Heil sich wählte“ 2. Thessalonischer 2, 13. . . 82
2.2 „Erwählte Fremde … gemäß Vorauskenntnis Gottes“ 1. Petrus 1, 1.2. . . 88
2.3 „Viele sind Gerufene aber wenige Erwählte“ Matthäus 22, 1-14 109
2.4 „Befleißigt euch, euer Gerufensein und eure Erwählung fest zu machen“ 2. Petrus 1, 10 . . 116
Teil 3: Weitere Stellen der Heiligen Schrift, die mit Erwählung bzw. Vorherbestimmung in Zusammenhang gebracht werden . 119
3.1 „Alles, was mir der Vater gibt, wird zu mir kommen.“ „Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, dass der Vater ihn ziehe.“ „Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn von meinem Vater gegeben.“ Johannes 6, 37.44.65 (Johannes 6) . 119
3.2 „Deswegen hört ihr nicht, weil ihr nicht aus Gott seid“ Johannes 8, 47 (Johannes 8, 23-59) 135
3.3 „Ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen” Johannes 10, 26 . . 140
3.4 „Ihr tat der Herr das Herz auf…“ Apostelgeschichte 16, 14 142
3.5 „… zu öffnen ihre Augen, dass sie umkehren von der Finsternis zum Licht“ Apostelgeschichte 26, 18 ... 144
3.6 „… so viele zum ewigen Leben gesetzt waren.“ Apostelgeschichte 13, 48 145
3.7 „Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken“ Philipper 2, 12.13 . . . 150
3.8 „… deren Namen nicht in das Buch des Lebens geschrieben worden sind von Gründung der Welt an…“ Offenbarung 17, 8 (und 13, 8) . 155
3.9 „… tot in Sünden“ Epheser 2, 1 . . 157
3.10 „… und das nicht aus euch“ Epheser 2, 8 . . 158
3.11 „… der Glaube, der durch ihn…“ Apostelgeschichte 3, 16 . 160
3.12 „… euch wurde es geschenkt … das Glauben an ihn“ Philipper 1, 29 . 161
3.13 „… die ihr durch ihn an Gott glaubt“ 1. Petrus 1, 21 . . 162
3.14 „… die mit uns einen gleich kostbaren Glauben zugeteilt bekamen“ 2. Petrus 1, 1 . . . 163
3.15 „… wie Gott einem jeden ein Maß des Glaubens zuteilte“ Römer 12, 3 . 164
3.16 „Anfänger und Vollender des Glaubens“ Hebräer 12, 2 . 165
3.17 „… so macht auch der Sohn lebend, welche er will“ Johannes 5, 21. . . 166
3.18 „Habt Glauben Gottes“ Markus 11, 22 . 167
3.19 „Bekehre mich, und ich werde mich bekehren“ Jeremia 31, 18.19 . . . 168
3.20 „Wenn ihr blind wärt, hättet ihr nicht Sünde. Aber nun sagt ihr: ‘Wir sehen.’ Daher bleibt eure Sünde.“ Johannes 9, 41 (K. 7-9) 170
3.21 „Gib also Acht, dass nicht das Licht in dir Dunkelheit ist.” Lukas 11, 29-36 . . . 174
3.22 „Gott … will, dass alle Menschen gerettet werden“ 1. Timotheus 2, 3.4 178
3.23 Gott war in Christus, „die Welt mit sich selbst versöhnend“ 2. Korinther 5, 19 (und Kolosser 1, 20) . 182
3.24 „Alles hat der Herr gemacht zu seinem Zweck, und auch den Ehrfurchtslosen für den Tag des Unheils.“ Sprüche 16, 4 . . 187
Teil 4: Zusammenfassende Fragen bezüglich Erwählung bzw. . Vorherbestimmung . 190
4.1 Wem gibt Gott Licht? Wem nicht? . 190
4.2 Wem gibt Gott die Buße? 196
4.3 Wie verdorben ist der Mensch? 197
4.4 Kann sich der Mensch bekehren, wann immer er will? . . 199
4.5 Kann der Mensch frei entscheiden? Und wie weit nimmt Gott auf die Entscheidung Einfluss? 201
4.6 Wirkt Gott den Glauben? Und wie ist das Verhältnis zwischen Glaube und Gnade? . 203
4.7 Was kommt zuerst: Wiedergeburt, Glaube oder Umkehr? 212
4.8 Warum glaubt der eine, und der andere nicht? 216
4.9 Gott als Verlierer? Hiob 1 und 2 . . . 220
[1] Vgl. den Lohn, den der Herr Jesus Christus für seinen Demutsweg empfing,
V. 9-11. „Der Ausdruck ssooteeria [Heil, Rettung] weist auf 2,9-11, die herrliche Erhöhung, welche in Folge seiner tiefen Erniedrigung Christo zuteil ward, zurück. Die Christen, sofern sie Christo in demütiger und gehorsamer Selbstverleugnung auf seinem Leidenswege nachfolgen, sollen auch an seiner himmlischen Herrlichkeit
teilnehmen (Rm 8,17). Der Apostel fordert hierbei die Christen auf, ihr Heil selbst zu vollbringen; denn das Kompositum [zusammengesetzte Wort] katergadsesthe [erwirken; zuwege bringen] weist darauf hin, dass es zu Ende gebracht, dass das herrliche Ziel wirklich erreicht werden soll ... Es ist dieselbe sittliche
Ausdauer, welche Christus bis ans Ende bewiesen hat, zu welcher der Apostel hier die Philipper ermahnt. Durch den Zusatz meta fobou kai tromou [mit Furcht und Zittern] wird ausgedrückt, dass sie es mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit tun sollen..., wodurch es allein möglich ist, in unverrückter Pflichterfüllung zu verharren.“
[2] Elberfelder Studienbibel mit Sprachschlüssel
[3] Vgl. 1,28; 3,20.
[4] im Bibelwerk von J. P. Lange
[5] Apg 5,29-32: „Petrus und die Apostel antworteten und sagten: ‘Es gehört sich, sich Gott ‹als Autorität› zu fügen, mehr als den Menschen. 30 Der Gott unserer Väter erweckte Jesus … 32 Und wir sind seine Zeugen von diesen Dingen, aber auch der Heilige Geist, den Gott denen gab, die sich ihm ‹als Autorität› fügen.’“ Jesus wurde „allen, die ihm gehorchen, Urheber eines ewigen Heils“ (Heb 5,9). Das Gericht ist für diejenigen, die dem Evangelium nicht gehorchen, aber der Ungerechtigkeit (und damit der Eigenliebe) gehorchen (Rm 2,5-8): „Nach deiner Störrigkeit und deinem unbußfertigen Herzen häufst du dir selbst Zorn auf – am Tage des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes, 6 der einem jeden vergelten wird nach seinen Werken: 7 denen, die mit Ausharren in gutem Werk Herrlichkeit und Ehre und Unverweslichkeit suchen, mit ewigem Leben, 8 aber denen, die aus der Streitsucht sind und der Wahrheit im Unglauben nicht gehorchen, der Ungerechtigkeit aber gehorchen, mit Grimm und Zorn.“ Rm 10,16A: „Nicht alle jedoch gehorchten der guten Botschaft“ 2Th 1,8M.9: „… wenn er gerechte ‹Vergeltung› gibt denen, die Gott nicht wirklich kennen und denen, die der guten Botschaft unseres Herrn, Jesu Christi, nicht gehorchen, 9 welche ‹gerechte› Strafe erleiden werden, ewiges Verderben von dem Angesicht des Herrn und von der Herrlichkeit seiner Stärke…“
[6] Vgl. 2Kr 5,9: „Infolgedessen ist es unser Streben, solche zu sein, die ihm wohlgefällig sind, sei es daheim, sei es nicht daheim …“