Gedanken zu Jesaja 7, 14

Thomas Jettel, 24. Dezember 2010

 

Jesaja 7, 1-12: Und es geschah in den Tagen Ahas’, des Sohnes Jothams, des Sohnes Ussijas, des Königs von Juda, da zog Rezin, der König von Syrien, mit Pekach, dem Sohn Remaljas, dem König von Israel, nach Jerusalem hinauf zum Kampf gegen es; aber er vermochte nicht gegen es zu kämpfen.  2 Und dem Haus David wurde berichtet und gesagt: Syrien hat sich in Ephraim gelagert. Da bebte sein Herz und das Herz seines Volkes, wie die Bäume des Waldes vor dem Wind beben. 

    3 Und JAHWEH sagte zu Jesaja: Gehe hinaus, Ahas entgegen, du und dein Sohn Schear-Jaschub, an das Ende der Wasserleitung des oberen Teiches, zur Straße des Walkerfeldes hin,  4 und sprich zu ihm: „Hüte dich und halte dich ruhig; fürchte dich nicht, und dein Herz verzage nicht vor diesen beiden rauchenden Brandscheit-Stümpfen, bei der Zornglut Rezins und Syriens und des Sohnes Remaljas.  5 Weil Syrien Böses gegen dich beraten hat, [wie] Ephraim und der Sohn Remaljas, und gesagt hat:  6 Lasst uns gegen Juda hinaufziehen und ihm Grauen einjagen und es uns erobern und den Sohn Tabeals zum König darin machen –  7 so spricht mein Herr, JAHWEH: Es wird nicht zustande kommen und nicht geschehen.  8 denn Damaskus ist das Haupt von Syrien, und Rezin das Haupt von Damaskus. Und in noch 65 Jahren wird Ephraim zerschmettert werden, [dass es] kein Volk [mehr ist].  9 Und Samaria ist das Haupt von Ephraim und der Sohn Remaljas das Haupt von Samaria. Wenn ihr nicht glaubt, dann werdet ihr keinen Bestand haben!

    10 Und JAHWEH fuhr fort, zu Ahas zu reden, und sagte:  11 „Erbitte dir ein Zeichen von JAHWEH, deinem Gott. Erbitte es aus der Tiefe oder aus der Höhe droben!“ 

    12 Und Ahas sagte: „Ich werde nicht darum bitten, und ich werde Jahwe nicht versuchen.“

 

2. Könige 16, 1-7: Im siebzehnten Jahr Pekachs, des Sohnes Remaljas, wurde Ahas König, der Sohn Jothams, des Königs von Juda.  2 Zwanzig Jahre war Ahas alt, als er König wurde, und er regierte sechzehn Jahre in Jerusalem. Und er tat nicht, was recht war in den Augen JAHWEHs, seines Gottes, wie sein Vater David;  3 sondern er wandelte auf dem Wege der Könige von Israel, und er ließ sogar seinen Sohn durchs Feuer gehen, nach den Gräueln der Völker, die JAHWEH vor den Söhnen Israels vertrieben hatte;  4 und er opferte und räucherte auf den Höhen und auf den Hügeln und unter jedem grünen Baum. 

    5 Damals zogen Rezin, der König von Syrien, und Pekach, der Sohn Remaljas, der König von Israel, nach Jerusalem hinauf zum Kampf. Und sie belagerten Ahas, aber sie vermochten nicht [gegen ihn] zu kämpfen.  6 Zu jener Zeit brachte Rezin, der König von Syrien, Elat wieder an Syrien und trieb die Juden aus Elat hinaus. Und die Syrer kamen nach Elat, und sie haben dort gewohnt bis auf diesen Tag. 

    7 Und Ahas sandte Boten zu Tiglat-Pileser, den König von Assyrien, und ließ [ihm] sagen: „Ich bin dein Knecht und dein Sohn; komm herauf und rette mich aus der Hand des Königs von Syrien und aus der Hand des Königs von Israel, die sich gegen mich erhoben haben.“

 

Auslegung

 

7, 1: „Und es geschah in den Tagen Ahas’, des Sohnes Jothams, des Sohnes Ussijas, des Königs von Juda, da zog Rezin, der König von Syrien, mit Pekach, dem Sohn Remaljas, dem König von Israel, nach Jerusalem hinauf zum Kampf gegen es; aber er vermochte nicht gegen es zu kämpfen.“ 

    Israel war geteilt in zwei Reiche (seit Rehabeam, dem Sohn Salomos)

Nordreich Israel (10 Stämme) = Ephraim = Samaria (König Pekach, der Sohn des Remalja)

Südreich Juda (König Ahas)

Weitere Mächte waren:

Aram = Syrien (König Rezin)

Assur = Assyrien (König Tiglath Pileser)

 

7, 2: „Und dem Haus David wurde berichtet und gesagt: Syrien hat sich in Ephraim gelagert. Da bebte sein Herz und das Herz seines Volkes, wie die Bäume des Waldes vor dem Wind beben.“ 

    Jerusalem und Juda zittern. die Stadt Elat war bereits gefallen durch Rezin (2. Könige 16, 6)

 

7, 3: „Und JAHWEH sagte zu Jesaja: Gehe hinaus, Ahas entgegen, du und dein Sohn Schear-Jaschub, an das Ende der Wasserleitung des oberen Teiches, zur Straße des Walkerfeldes hin,“ 

    Gott hat das Südreich Juda nicht vergessen noch verlassen. Zur rechten Zeit schickt er seine Propheten zum König.

    Er soll seinen kleinen Buben Schear Jaschub mitnehmen. Warum?

    „Schear Jaschub“ bedeutet „Ein Überrest wird sich bekehren.“ (Vgl. 10, 21.22.), nur ein Rest (Jesaja 6, 13). Das spricht von Gericht. 

    „Jesaja“ bedeutet = Jahweh ist Heil / Die Rettung ist Jahweh (und niemand anderer). Das spricht von Rettung. (Das Heil ist eine Person.)

    Der König Ahas steht vor der Wahl. Durch die beiden Namen wird dem König gleichsam diese Wahl vor Augen gestellt: Was willst du wählen, König? Gericht (wo nur ein kleiner Überrest übrig bleibt) – oder Heil?

 

7, 4: „und sprich zu ihm: „Hüte dich und halte dich ruhig;“

    Hüte dich und halt still. Sei auf der Hut und handle nicht übereilt.

    [Bei großen Bedrängnissen ist man oft versucht, schnell handeln zu wollen. Man hat gleich seine Vorstellungen und Pläne parat. Aber wichtiger wäre vorerst mal stille zu werden und ins Gebet und Nachdenken zu gehen.]

    Gott warnt ihn vor eigenwilligem und fleischlichem Handeln.

 

7, 4M: „fürchte dich nicht, und dein Herz verzage nicht vor diesen beiden rauchenden Brandscheit-Stümpfen, bei der Zornglut Rezins und Syriens und des Sohnes Remaljas.“ 

    Rezin und der Sohn Remaljas (bewusst wird Pekach so genannt; er ist einer ohne besonderen Stammbaum, hat gar kein Recht auf das Königtum, ist kein Sohn Davids)

    Die beiden sind Brandscheite, die ausgebrannt sind, sodass sie nicht mehr Feuer geben, nur noch rauchen.

    [Betrachte deine Feinde durch die Augen Gottes!]

 

7, 5-7: „Weil Syrien Böses gegen dich beraten hat, [wie] Ephraim und der Sohn Remaljas, und gesagt hat:  6 Lasst uns gegen Juda hinaufziehen und ihm Grauen einjagen und es uns erobern und den Sohn Tabeals zum König darin machen –  7 so spricht mein Herr, JAHWEH: Es wird nicht zustande kommen und nicht geschehen.“

    Ahas (ca. 739-724); zu diesem Zeitpunkt noch sehr jung (ca. 22jährig)

65 Jahre später (= ca. 674 oder ein paar Jahre später): Der letzte Rest der Ephraimiter (= des Nordreiches) wurde im 22. (23.) Jahr Manasses nach Babel weggeführt unter Esarhaddon (2. Chronik 33, 11), im Jahr 674 n. Chr.

(14 Jahre des Ahas [Falls diese Begegnung im 2. Regierungsjahr stattfand], 29 Jahre des Hiskija, 22 Jahre des Manasse; das ergibt 65 Jahre.)

 

7, 9: „Und Samaria ist das Haupt von Ephraim und der Sohn Remaljas das Haupt von Samaria. Wenn ihr nicht glaubt, dann werdet ihr keinen Bestand haben!“ 

    V. 9E: Im Hebräer ein Wortspiel: Haltet ihr nicht fest, so werden ihr keinen festen Halt haben.

    Wenn Juda sich nicht an seinem Gott festhält, wird es seinen Halt verlieren. (und alles: seine Selbstständigkeit, seine Häuser, sein Land)

vgl. 2. Chronik 20, 20: Haltet fest an Jahweh, euren Gott, so werdet ihr festen Halt haben.“

[Wir auch.]

    Aber Ahas schweigt.

    Warum? – Weil er nicht glaubt, was Jesaja ihm sagt. In seinem Herzen hat er etwas anderes, eine andere Strategie, einen Plan, der ihn besser tröstet als das Wort Gottes. Er denkt: Jahweh ist unsichtbar, Assur aber ist sehr sichtbar – und stark (2. Könige 16, 7).

   [Auch in unseren Herzen kommt es leicht dazu, dass wir fleischlichen Überlegungen Raum geben anstatt dass wir uns nach geistlichen Prinzipien ausrichten.]

 

Aber noch gibt Gott den unglückseligen Davidsohn nicht verloren:

7, 10.11: „Und JAHWEH fuhr fort, zu Ahas zu reden, und sagte:  11 ‚Erbitte dir ein Zeichen von JAHWEH, deinem Gott.’“

   Wenn du schon meinen Worten nicht vertraust, so erbitte dir ein Zeichen der Bestätigung von Gott, dass dieses wirklich Gottes Wort an dich ist.

 

7, 11M: „Erbitte es aus der Tiefe oder aus der Höhe droben!“ 

    „Mag sich nun deine Forderung auf die Tiefe der Unterwelt oder die Höhe droben erstrecken“ ..

    Steige tief hinab zum Bereich der Toten, oder steige hoch empor zu himmlischen Höhen.

Jesaja fordert ihn also im Auftrag Gottes auf, sich von Gott ein übernatürliches Zeichen zu erbitten, wie Hiskija (Uhrzeiger 10 Stunden zurück, Jesaja 38, 8) oder auch wie Gideon (Vlies, Richter 6, 37-40).

   Jesaja weiß, dass Gott ein übernatürliches Zeichen geben würde. Und Ahas weiß es auch. Er kennt die Wundermacht Gottes, der durch Jesaja wirkt. Aber Ahas will nicht durch ein Wunderzeichen gezwungen werden, seine eigenen fleischlichen Pläne aufzugeben.

 

7, 12: „Und Ahas sagte: „Ich werde nicht darum bitten, und ich werde Jahwe nicht versuchen.“

    Das ist eine fromme Ausrede. Mehr: Heuchelei! Er will seine Pläne mit Assur nicht aufgeben. (2. Könige 16, 7.) 

    Ahas steht an der Wasserscheide! Es ist eine Wasserscheide für die gesamte Zukunft des Südreiches Juda, ja für die gesamte Geschichte des Reiches. Zu eben jener Stunde entscheidet sich das Geschick des Reiches für die nächsten 2700 (und mehr) Jahre

    Gott stellt Ahas vor die Entscheidung: Was willst du wählen, Ahas? Mich oder Tiglath Pileser, den König von Assyrien?

[Uns auch. Oft sind es ganz kleine Entscheidungen. Aber sie zeigen, wer bei uns wirklich an erster Stelle steht: Gott oder Herr „Ego“, das dicke Ich.]

 

7, 13: „Und er sagte:“

Immer noch ist das Gesagte das Wort Gottes – durch den Propheten Jesaja. Aber Gott spricht als Wort des Jesaja:

„Hört doch, Haus David!“

    Jesaja richtet sich nicht mehr nur an Ahas persönlich, sondern an das gesamte Haus Davids, das Königshaus, die ganze Königsdynastie. Ahas lehnte das Zeichen für sich persönlich ab. Gott wird nun dem ganzen Königshaus David ein Zeichen geben.

 

„Ist es zu gering für euch, Menschen zu ermüden, dass ihr auch meinen Gott ermüdet?“ 

    Gott hatte sich in großer Geduld viel Mühe gegeben, Ahas zurechtzubringen und ihn zu bewegen, Gott alleine zu vertrauen und zu lieben.

    Aber Ahas wollte nicht. Er wollte nicht glauben ohne zu sehen. Und dann bot Gott ihm ein Zeichen an, dass er sehen könnte. Aber Ahas lehnt dennoch ab. Er verhärtete sich.

Darum wird Gott dem Königshaus Davids als gesamten ein Wunderzeichen geben, eines nach seiner Wahl – und gegen ihren Willen.

 

V. 14 „Darum wird mein Herr selbst euch ein Zeichen geben: „Siehe! – die Jungfrau ist schwanger und gebiert einen Sohn. Und sie wird seinen Namen ‚Immanu-El’ nennen.“ 

    Jetzt bekommt das Haus Davids sein Zeichen.

 

„Siehe! – die Jungfrau“:

    Almah ist ein geschlechtsreifes Mädchen, eine Jungfrau, nie eine verheiratete Frau.

Es besteht eine Verwandtschaft zu dem Verb alam, welches bedeutet: stark, kraftvoll, geschlechtsreif sein. (Evtl. auch zu: „sich zurückziehen, sich verbergen“. Jungfrauen in Israel traten nicht in der Öffentlichkeit auf; blieben zu Hause.)

1. Mose 24:43  Siehe! Ich stehe bei der Wasserquelle. Möge es nun geschehen, dass die Jungfrau, die herauskommt, um zu schöpfen, und zu der ich sagen werde: ‚Gib mir bitte ein wenig Wasser aus deinem Kruge zu trinken!’

2. Mose 2:8   Und die Tochter des Pharaos sagte zu ihr: „Gehe hin.“ Da ging die Jungfrau hin und rief die Mutter des Kindes.

Psalm 68:26  Voran gehen die Sänger, hinterher die Saitenspieler inmitten Handpauken schlagender Jungfrauen.

Sprüche 30:18-19  Drei sind es, die zu wunderbar für mich sind, und vier, die ich nicht erkenne:  19 der Weg des Adlers am Himmel, der Weg einer Schlange auf dem Felsen, der Weg eines Schiffes im Herzen des Meeres, und der Weg eines Mannes mit einer Jungfrau.

Hoheslied 1:3  Lieblich an Duft sind deine Salben, ein ausgegossenes Salböl ist dein Name; darum lieben dich die Jungfrauen.

Hoheslied 6:8  Sechzig Königinnen sind es und achtzig Nebenfrauen und Jungfrauen ohne Zahl

    In 1. Mose 24, 43 und Jesaja 7, 14 übersetzte die griechisch Übersetzung (die so gen. LXX) das hebr. almah mit parthenos = Jungfrau.

    Dass in Sprüche 30, 19 eine verheiratet Frau gemeint sein soll, ist auszuschließen. (Vgl. F. Delitzsch, Kommentar zum Alten Testament) Unzucht wäre an der Stelle möglich. Damit ist aber nicht widerlegt, dass mit almah immer eine unverheiratete Frau gemeint ist. 

    Auch Hoheslied 6, 8 ist nicht auf verheiratete Frauen bezogen, sondern auf die dem Harem beigegebenen Jungfrauen, also Dienerinnen. (Vgl. Delitzsch.)

 

Das andere Wort in der Bibel für Jungfrau wäre

    bethulah ist ein Mädchen, eine Jungfrau, aber nicht notwendiger Weise eine, die noch nie geschlechtlichen Kontakt hatte oder nie verheiratet war. Nach der Mischna (Nidda, I, 4) ist eine bethulah „eine Frau, die noch keinen Blutfluss [der Menstruation] hatte, auch wenn sie verheiratet ist”.

Bemerkenswert ist, dass an manchen Stellen zusätzlich angegeben wird, dass die bethulah noch keinen Mann erkannt hatte. Es scheint also nicht selbstverständlich.

1. Mose 24, 16: „Und das Mädchen war sehr schön von Ansehen, eine Jungfrau, und kein Mann hatte sie erkannt.

3. Mose 21, 3: „und wegen seiner Schwester, der Jungfrau, die ihm nahe steht, die noch keinem Mann angehört hat:“

Richter 21, 12: „Und sie fanden unter den Bewohnern von Jabes-Gilead 400 Mädchen, Jungfrauen, die keinen Mann im Beischlaf erkannt hatten:“

Der Begriff kann auch für unverheiratete Frauen verwendet werden, die bereits geschlechtliche Verbindung mit einem Mann hatten, z. Bsp. junge Witwen:

Joe 1, 8: „Wehklage wie eine Jungfrau, die wegen des Gatten ihrer Jugend mit Sacktuch umgürtet ist!”

– oder solche, die als unverheiratete Mädchen geschändet worden waren:

Jesaja 23, 12: „Und er sagte: Du sollst nicht mehr frohlocken, du geschändete Jungfrau:“

    Der Begriff bethulah wäre also in Jesaja 7, 14 zu unklar gewesen. Das mag der Grund gewesen sein, warum der Heilige Geist hier nicht das übliche Wort bethulah verwendete, sondern das ausgefallene aber eindeutigere almah.

 

„Siehe! – die Jungfrau ist schwanger“:

    Jesaja sagt zwar nicht, dass die Jungfrau den Sohn bekommen wird, ohne einen Mann erkannt zu haben, aber er sagt, dass sie schwanger sein wird, ohne verheiratet zu sein, denn eine almah kann nicht eine verheiratete Frau sein. Folglich muss, wenn eine almah schwanger ist, ihre Schwangerschaft entweder durch Unzucht entstanden sein oder durch ein Wunder. Bei dieser hier aber hanelt es sich um ein Wunder, wie Jesaja angekündigt hatte.

 

V. 14M: „…und gebiert einen Sohn.“

    Das Zeichen, das Jahweh dem Königshaus David geben wird, ist etwas Besonderes. Es ist etwas  Außergewöhnliches, Geheimnisvolles um diese Jungfrau, um die Umstände, wie sie schwanger wird, und um ihren Sohn.

    Es wäre nichts Besonderes für das Königshaus David gewesen, wenn eine Jungfrau aus dem Harem des Ahas oder die (neu vermählte zweite) Frau des Jesaja einen Sohn mit diesem Namen geboren hätte. Auch müsste man, wenn die Weissagung sich zur Zeit des Ahas erfüllt hätte, irgendeinen Hinweis finden, dass eine Frau damals solch einen Sohn geboren hätte. Es wird aber nichts berichtet.

    Manche Ausleger meinen, das besondere Zeichen hätte in der Namensgebung bestanden. Aber was wäre das Besonderes? Jesajas Weissagung hätte sich ja herumgesprochen. Was wäre es Besonderes, wenn eine der Haremsfrauen des Königshauses aufgrund der Weissagung des Jesaja ihren Sohn Immanuel nennen würde?

    Nein, jene almah blieb ein Rätsel. Und ganz bewusst so. Das vorausgesagte Zeichen sollte etwas Geheimnisvolles bleiben. (Vgl. Matthäus 13, 10-17.) Die Propheten wussten oft selber nicht, auf welche oder wie geartete Zeit sie prophezeiten (1. Petrus 1, 10).

    Sicher ist: Das Zeichen sollte für die Untreuen Mahnung und Drohung bedeuten, für die Treuen aber Ermutigung und Trost.

 

„Und sie wird seinen Namen Immanu-El nennen.“ 

    Sie selber gibt ihm den Namen. Der Name ist als Eigenname zu verstehen. Aber er gibt das Wesen des Namensträgers an. Der verheißene Sohn ist Immanuel. Er ist im Wesen „Gott mit uns“. In welcher Hinsicht? Sollte er buchstäblich Gott sein? Oder sollte durch ihn gezeigt werden, dass Gott mit Israel ist? Wieder ein Rätsel.

    Von diesem Immanuel ist dann in Jesaja 8, 8 die Rede: „Und er [d. i. der König von Assur] wird in Juda eindringen, [alles] überschwemmen und überfluten; bis an den Hals wird er reichen. Und die Ausdehnung/Spanne seiner Flügel [d. i. vermutl.: seiner Heeresflügel] wird füllen die Breite deines Landes, Immanuel!”

    Inwiefern ist Israel das Land Immanuels? Von einem einfachen Bewohner des Landes kann so etwas nicht gesagt werden. Es scheint, dass damit angedeutet wird, dass Immanuel der Besitzer und Gebieter des Landes ist. Das kann er nur sein, wenn er König ist. Wie kann er das sein, wenn zu jener Zeit Ahas noch König war? Ein weiteres Rätsel – so lange, bis die Erfüllung der Prophetie eintrifft. (S. unten.)

 

V. 15.16: „Rahm und Honig wird er essen bis zu seinem Wissen zu verwerfen das Böse und zu erwählen das Gute,  16 denn ehe der Knabe weiß, das Böse zu verwerfen und das Gute zu erwählen, wird das Land verlassen sein, vor dessen beiden Königen dir graut.“ 

    Rahm und Honig stehen hier nicht für die Fülle des Landes Kanaan. Das Essen von Rahm und Honig deutet auf eine Notzeit hin (hier auf die Kriegszeit bezogen), in welcher das Ackerland nicht bebaut werden kann. Daher besteht die Nahrung des Kindes – wie die der anderen Menschen, die in Land „übriggeblieben sind“ (vgl. V. 22) – nicht aus dem Korn und Weizen des Feldes, sondern aus den einfachen Produkten des Rindes, Schafs und der Ziege (Milch, Rahm) sowie aus wildem Honig. (Vgl. auch die einfache Nahrung des Täufers, Matthäus 3, 4.)

    Die Kombination „Rahm und Honig“ kommt noch in 2. Samuel 17, 29 vor. Dort wird David auf der Flucht in der Wüste mit dieser Speise versorgt. Milch und Rahm ist also eine „königliche Diät“ in Notzeiten. (Vgl. E. J. Young, The Book of Isaiah.) Eventuell wieder ein Hinweis auf die hohe Stellung des Immanuel. 

 

V. 16: „denn ehe der Knabe weiß, das Böse zu verwerfen und das Gute zu erwählen, wird das Land verlassen sein, vor dessen beiden Königen dir graut.“

    Mit dem Land ist das Ackerland (ha-adamah) von Syrien und Ephraim gemeint. ha-adamah kann auch allgemein für Land stehen (Theological Wordbook of the Old Testament, 25b).

    Wann der Junge weiß, Böses zu verwerfen und Gutes zu erwählen, ist unklar. Es könnte das Alter von etwa 3 bis zu 13 Jahren und darüber hinaus gemeint sein. Der Zeitfaktor ist hier bewusst vage gehalten. Innerhalb der folgenden 3-5 Jahre [Der Zeitpunkt der Prophetie ist nicht ganz klar, daher die ungefähren Angaben.] wurde Damaskus (Syrien) von den Assyrern eingenommen (732 v. Chr.) und Samaria empfindlich geschwächt. Innerhalb von 13-15 Jahren wurde Samaria eingenommen und die Bevölkerung ins Exil geführt (722 v. Chr.).

 

V. 17 „JAHWEH wird über dich und über dein Volk und über das Haus deines Vaters Tage kommen lassen, wie sie nicht gekommen sind seit dem Tag, da Ephraim von Juda gewichen ist – den König von Assyrien.“

(Vgl. auch V. 18-25.)

    Das geschah denn auch. Im Jahr 722 v. Chr. wurde Ephraim, das Nordreich, in die assyrische Verbannung geschickt und Juda empfindlich geschwächt. Zur Zeit Hiskijas, 701 v. Chr., stand Sanherib mit seinen Truppen vor den Toren Jerusalems. Dank der Gnade Gottes, der auf Hiskijas Gebete hörte, wurde Jerusalem noch einmal eine Gnadenfrist gewährt, ehe die Weltmacht in Gestalt des neubabylonischen Reiches Jerusalem aufs Neue bedrängte, diesmal ohne Gnadenfrist. Juda wurde 605, 597 und 587 ins die babylonische Gefangenschaft deportiert. Die „Zeit der Völker“ (Vgl. Lukas 21, 24.), d. h. der heidnischen Oberhand über Israel, begann; und sie hat bis heute nicht aufgehört und wird auch nicht aufhören, bis der verheißene Immanuel-Messias zur Rettung des dann noch lebenden Überrestes Israels erscheinen wird.

 

Wer also ist Immanuel?

 

Das Prophetenwort blieb damals letztlich ein Rätsel:

    . Die Mutter dieses Kindes ist ein geschlechtsreifes Mädchen, die noch eine unverheiratete Jungfrau ist, als sie schwanger wird.

    . Die Geburt dieses Sohnes ist ein besonderes Zeichen, etwas Außerordentliches.

    . Der Sohn ist dem Wesen nach Immanuel, Gott mit uns. Und gemäß Jesaja 8, 8 ist dieser Immanuel Besitzer des Landes Juda. („… Und die Spanne seiner Flügel wird füllen die Breite deines Landes, Immanuel!”)

    . Der Name „Immanuel“ ist etwas Besonderes. Der Name drückt das Wesen des Namensträgers aus. In welchem Sinne ist dieser Sohn „Gott mit uns“? Würde man es buchstäblich verstehen, würde das bedeuten, dass jener Immanuel „Gott“ ist – der mit uns seiende Gott.

    . Von der Geburt eines besonderen Sohnes ist in Jesaja 9, 5.6 die Rede. Sein Name ist „Wunder“ bzw. Wunderbar“ und „starker Gott“. Dass eine Verbindung zu 7, 14 besteht, kann kaum geleugnet werden.

    . In der Kindheit dieses Immanuels wird Juda noch von den Weltmächten bedrängt sein, denn er wird eine königliche Diät essen. (V. 15.16)

    .

 

Auf wen passt dieses?

    . Nicht auf eine Frau des Ahas (Hiskija war zu jener Zeit wohl bereits geboren. [Er war 25 Jahre alt, als er an die Regierung kam, 2. Könige 18, 2. Ahas regierte 16 Jahre in Jerusalem, 2. Könige 16, 2.] Kein anderer Sohn war Besitzer des Landes Judäa, 8, 8. Die Mutter war zum Zeitpunkt der Empfängnis nicht unverheiratet.)

    . Nicht auf eine der Jungfrauen aus Ahas‘ Harem (Kein Sohn von ihnen wurde König und daher Besitzer des Landes Judäa; die Mutter war nicht unverheiratet zum Zeitpunkt der Empfängnis.)

    . Nicht auf eine frisch vermählte neue Frau des Jesaja (Deren Sohn hieß „Schneller Raub, Eilende Beute“, 8, 3,  was nichts mit „Immanuel“ gemeinsam hat; er wurde auch nicht König, Besitzer des Landes (8, 8); seine Mutter war nicht unverheiratet zum Zeitpunkt der Empfängnis; auch wäre dieser Sohn kein außergewöhnliches  Zeichen für das Haus Davids gewesen.)

 

Wir beachten:

    . Die Prophetie wurde dem gesamten Hause David gegeben, nicht Ahas alleine.

    . Die Botschaft ist zugleich Heil wie auch Drohung.

    . Nicht ein Sohn des Ahas noch ein Sohn des damaligen Königshauses sollte es sein, durch welchen Gott sein Volk vor der drohenden Weltmacht retten würde, sondern eine namenlose Jungfrau von niedrigem Rang hat Gott als die erkoren, die den Retter gebären soll.

    Das ist ein ernstes Wort an das Königshaus, denn: wenn es eine Jungfrau von niedrigem Rang sein wird, die den Retter gebären wird, so folgt daraus, dass vorher die sündige Königsdynastie des Ahas, die gerade dabei ist, Juda an den Rand des Untergangs zu bringen, bis auf den Stumpf beseitigt werden wird. Das Königshaus David wird nur noch ein Baumstumpf (Jesaja 6, 13) sein – als göttliches Gericht wegen des Unglaubens und Abfalls von Jahweh. Aber es gibt auch Hoffnung: „Aus dem Stumpf Isais wird ein Zweig hervorgehen, und ein Schössling aus seinen Wurzeln wird Frucht bringen.“ (Jesaja 11, 1).

 

Worin besteht das Wunder, das Außergewöhnliche?

    . Der Sohn selbst ist das Wunder. Man wird seinen Namen „Wunderbarer [o.: Wunder]“ nennen (9, 6). Dieser Immanuel wird ein Hoher sein, denn das ganze Land gehört ihm. (8, 8). Sein Wesen ist ein besonderes, seine Hoheit wird durch seinen Namen ausgedrückt: „Gott mit uns“. Das Kind, das in 9, 6 verheißen wird, heißt El Gibbor, d. h. starker Gott (o.: Gott, Starker; o.: Gott-Held; vgl. 10, 21).

    . Folglich muss auch seine Empfängnis und Geburt ein Wunder sein. Eine Jungfrau wird schwanger sein.

 

Die Prophetie geht parallel mit der von Micha, einem Zeitgenossen Jesajas.  

    Micha 5, 1-8: „Und du, Bethlehem-Ephrata, zu klein, um unter den Tausendschaften von Juda zu sein, aus dir wird mir [der] hervorgehen, der [bestimmt ist,] Herrscher über Israel zu sein. Und seine Ursprünge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her.

    2 Darum wird er sie hingeben bis zu der Zeit, da eine Gebärende geboren hat. Und der Rest seiner Brüder wird zurückkehren zu den Söhnen Israels. 3 Und er wird dastehen und [seine Herde] weiden in der Kraft Jahwehs, in der Hoheit des Namens Jahwehs, seines Gottes. Und sie werden wohnen; denn nun wird er groß sein bis an die Enden der Erde. 4 Und dieser wird Friede sein. Wenn Assyrien in unser Land kommt und wenn es in unsere Paläste treten wird, so werden wir sieben Hirten und acht Menschenfürsten dagegen aufstellen.

    5 Und sie werden das Land Assyrien mit dem Schwert weiden und das Land Nimrods in seinen Toren. Und er wird [uns] von Assyrien retten, wenn es in unser Land kommen und wenn es in unsere Grenzen treten wird.

    6 Und der Überrest Jakobs wird inmitten vieler Völker sein wie ein Tau von Jahweh, wie Regenschauer auf das Kraut, der nicht auf Menschen harrt und nicht auf Menschenkinder wartet. 7 Und der Überrest Jakobs wird unter den Völkern*, inmitten vieler Völker, sein wie ein Löwe unter den Tieren des Waldes, wie ein junger Löwe unter den Schafherden, der, wenn er hindurchgeht, zertritt und zerreißt, und niemand rettet. – 8 Hoch erhoben sei deine Hand über deine Bedränger, und alle deine Feinde mögen ausgerottet [o.: abgeschnitten] werden!“

    Der Messias wird Israel „von Assyrien retten“ (V. 5M). Hier haben wir es mit einer „perspektivischen Zusammenschau“ zu tun. Die Rettung, die der Messias an Israel vollbringt, wird als im historischen Kontext der assyrischen Bedrängung zur Zeit des Micha stattfindend gesehen. Nahes und Fernes werden in einem einzigen Bild geschaut, der Messias in den historischen Kontext hineinprojiziert.

 

Die Prophetie von Jesaja 7, 14, wie die von Micha 5, kann nur den verheißenen Messias betreffen.

    . Er ist das Wunder: 9, 5.6: „Und man nennt seinen Namen „Wunderbarer [o.: Wunder], ….

    . Maria gab ihm den Namen. Josef auch, Matthäus 1, 21, aber Maria bekam den Auftrag zuerst, Lukas 1, 31E.

    . Er ist der Besitzer und Herr des Landes Juda (8, 8). Dort wird er regieren (9, 6; 11, 1ff).

    . Sein Name „Immanuel“ offenbart sein Wesen: Er ist der Gott-Held, der starke Gott [bzw.: Gott, ein Starker] (9, 6; 10, 21; 11, 1ff).

    . Es passt in den Zusammenhang: 7, 14 wird von seine Empfängnis und Geburt geweissagt, 9, 5 seine Geburt und sein ewiges Königtum, 11, 1ff sein richterliches und königliches Walten in seinem Königreich.

    . Es gab auch andere Prophetie, die von der Übernatürlichkeit eines zukünftigen besonderen Sohnes sprach, zu dessen Regierungszeit die Weltmächte gänzlich zu Ende kommen werden, z. Bsp. Micha 5. (Siehe oben.)

    . Der Apostel Matthäus bezeugt durch den Heiligen Geist (Matthäus 1, 23),

        - dass es sich in Jesaja 7 tatsächlich um eine Jungfrau handelte

        - dass die Empfängnis des Immanuel so zu verstehen war, dass die Jungfrau schwanger  werden würde, ohne einen Mann erkannt zu haben

        - dass es sich also tatsächlich um ein außergewöhnliches, übernatürliches Zeichen handelte 

        - dass mit dem Jungfrauensohn „Immanuel“ niemand anderer gemeint ist als der Messias, Jesus.

    Matthäus 1, 18-25: Die Geburt Jesu Christi war so: Nachdem nämlich seine Mutter, Maria, dem Joseph verlobt war, fand es sich, ehe sie zusammengekommen waren, dass sie schwanger war – vom Heiligen Geist. 19 Aber Joseph, ihr Mann, war gerecht und wollte sie nicht der Schmach aussetzen, nahm sich ‹also› vor, sich heimlich von ihr zu scheiden.

    20: Während er dieses bedachte – siehe! – da erschien ihm ein Bote des Herrn im Traum.

    ‘Joseph‘, sagte er, ‘du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen, denn das in ihr Gezeugte ist vom Heiligen Geist. 21 Sie wird einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von seinen Sünden.’

    22 Alles dieses ist geschehen, damit das erfüllt werde, was von dem Herrn durch den Propheten geredet wurde, als er sagte: 23 ‘Siehe! Die Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben’ – was übersetzt heißt: ‘Gott mit uns’. {Jesaja 7, 14}

    24 Als Joseph vom Schlaf völlig erwacht war, tat er, wie ihm der Bote des Herrn aufgetragen hatte, und nahm seine Frau zu sich. 25 Und er kannte sie nicht, bis sie ihren Sohn gebar, den Erstgeborenen. Und er gab ihm den Namen Jesus.“

 

Frage 1: Warum wurde Jesus Christus nicht „Immanuel“ genannt?

 

    . Es gab damals keinen jüdischen Eigennamen, der so lautete.

    . Es scheint nicht beabsichtigt gewesen zu sein, dass der Sohn der Jungfrau diesen Namen förmlich und öffentlich tragen sollte, sondern, dass er das sein würde, was durch diesen Namen ausgedrückt ist. Er war in Person und im wahren Sinne „Gott mit uns“ sein.

    Ebenso ist es mit dem Namen „Zemach“, Spross (Sacharja 3, 5; 6, 12; Jeremia 23, 5.6; 33, 15) und „Jahweh Zidkenu“, Jahweh, unsere Gerechtigkeit“ (Jeremia 23, 6). Jesus trug, so viel wir wissen, äußerlich diesen Namen nicht. Aber er war, was dieser Name ausdrückte.

    Jesus war tatsächlich Gott. Und er war „mit uns“, indem er der Retter Israels war.

 

Frage 2: Wie aber verhält sich diese Messias-Prophetie zu den Versen 15-25?  

 

Jesaja sagt nicht, wann Immanuel geboren werden sollte. Er sagt, was vorher geschehen sein wird, ehe Immanuel ein gereiftes Alter haben wird: Erstens die Verwüstung des Nordreiches Israel (Ephraim= Samaria) und des syrischen Reiches durch die Assyrer – was beides im Jahr 732 v. Chr. geschah; und zweitens die Verwüstung Judas selber, ebenfalls durch die Assyrer.

    Der Prophet sieht nun den Immanuel Rahm und Honig essen – wie alle im Südreich Juda, die die assyrischen Bedrängnisse überlebten. D. h., der Prophet sieht die Kindheit Immanuels mit der Zeit der assyrischen Bedrängnisse zusammen in einem Bild, obwohl sie zeitlich nicht zusammen gehören. Man nennt dieses die prophetische perspektivische Zusammenschau weit auseinander liegender Ereignisse. (Vgl. Delitzsch zu Jesaja 7, S. 150.).

    Man nennt dieses auch die so gen. prophetische „Bergspitzenperspektive“. Der Beobachter steht in der Ferne und sieht einen Bergkomplex als einen großen Berg. Nähert man sich aber diesem Bergkomplex, stellt man fest, dass es kein zusammenhängender Bergkomplex ist, sondern eine Reihe von teils hintereinander liegenden Bergen. Die Bergspitzen von mehreren Bergen erscheinen aus der Ferne wie eine einzige Spitze. In Wirklichkeit liegen so manche Täler dazwischen.

    Delitzsch schreibt: „In solcher perspektivischer Zusammenschau weit auseinander liegender Begebnisse besteht der (…) komplexe Charakter der Prophetie.“ Der Grund dieses komplexen Charakters der Prophetie „ist die dem prophetischen Fernblick anhaftende menschliche Schranke, welche der Geist Gottes bestehen lässt und sich dienstbar macht.“ … „was der Prophet zusammenschaut, gehört auch, obwohl nicht zeitlich, doch wesentlich zusammen.

    Jesaja sieht gemäß prophetischer „Bergspitzenperspektive“ Nahes und Fernes in einem einzigen Bilde. Er sieht den Immanuel sehr nahe, nämlich aufwachsend in der Zeit der assyrischen Bedrängung.

 

Delitzsch (S. 150) weiter: „Wenn Jesaja hier in [den] K. 7-12 Assur als das Weltreich schlechthin ansieht (vgl. 2. Könige 23, 29; Esra 6, 22), so ist das insofern wahr, als die vier Weltreiche vom babylonischen [über das medopersische und griechische] bis zum römischen wirklich nur die Entfaltung des in Assur gesetzten Anfangs sind. Und wenn er hier in K. 7 den Sohn der Jungfrau in den assyrischen Drangsalen heranwachsend denkt, so ist auch das insofern wahr, als Jesus wirklich in einer Zeit geboren ist, in welcher das heilige Land, seiner früheren Segensfülle beraubt, unter der Botmäßigkeit des Weltreichs sich befand, in einem Zustande, der auf Ahas‘ Unglauben als letzte Ursache zurückging.“ [Erg. in Eckkl. v. Verf.]

    Außerdem war der Immanuel tatsächlich auch in der Geschichte des Südreiches Juda unter den assyrischen Bedrängnissen unsichtbar helfend (rettend) gegenwärtig, sodass das Haus und das Volk Davids in diesen Bedrängnissen nicht untergingen. (Siehe vor allem K. 36.37.)

 

Anhang: Theorien über die Identität der Jungfrau und ihres Sohnes „Immanuel“

 Fünf Kategorien

Aus der Fülle der Interpretationen können wir hauptsächlich die folgenden Kategorien unterscheiden:

1. Die zeitgenössische buchstäbliche Interpretation

. Die Frau des Königs und Mutter des Hiskija

. Eine junge Nebenfrau des Königs Ahas, die Mutter eines jüngeren Sohnes des Ahas

. Irgendeine Frau in Juda

. Die „Prophetin“, die Frau des Jesaja

. Die neu vermählte Frau des Jesaja

2. Die idealistische Interpretation

. Keine bestimmte Frau, sondern eine ideale, unwirkliche oder kollektive

. Die Tochter Zion

3. Die messianische Interpretation ohne Annahme eines doppelten Sinnes

Nur der Messias Jesus Christus ist gemeint.

4. Die messianische Interpretation mit  Annahme eines doppelten Sinnes (zeitgenössisch und messianisch)

Möglichkeit A: Zwei verschiedene Geburten und zwei verschiedene Kinder.

Möglichkeit B: Nur ein Kind, aber mit doppelter Erfüllung, eine zeitgenössische, eine messianische.

5. Die typologisch-messianische Auslegung

Typologische (schattenhafte) historisch zeitgenössisch) Erfüllung  und reale messianische Erfüllung

 

Die Theorien im Einzelnen

Die Frau des Königs und Mutter des Hiskija

Dagegen spricht:

    - Hiskija war zu jener Zeit wohl bereits geboren. Hiskija war 25 Jahre alt, als er an die Regierung kam (2. Könige 18, 2). Ahas regierte 16 Jahre in Jerusalem (2. Könige 16, 2). Demnach war Hiskija bereits neun Jahre alt, als Ahas König wurde und zur Zeit der Weissagung von Jesaja 7 wahrscheinlich sogar älter.

 

Eine Jungfrau aus dem Harem des Königs Ahas, die Mutter eines jüngeren Sohnes des Ahas

    - Es wäre aber eigenartig, dass dem König Ahas nicht konkreter gesagt wurde, dass die Jungfrau eine aus seinem Harem sei.

    - Es fehlt jede Spur für das Eintreffen der Verheißung.

    - Immanuel müsste ein Hoher werden, denn sonst könnte das Land Israel in 8, 8 nicht sein Land genannt werden. Das aber trifft auf die Söhne aus dem Harem nicht zu.

    - Almah ist eine unverheiratete Frau, nicht eine verheiratete.

 

Irgendeine (unverheiratete) Frau in Juda zur Zeit des Königs Ahas

Dagegen spricht:

    - Schwerlich kann die Geburt eines Sohnes von irgendeiner Frau in Juda ein besonderes Zeichen für den König sein, wenn es sich um eine natürliche Empfängnis handelte.

    - War die Frau unverheiratet zum Zeitpunkt der Empfängnis, beging sie Unzucht. Sollte eine unzüchtige Frau ein besonderes Zeichen für den König sein?

    - Es fehlt jede Spur für das Eintreffen der Verheißung.

 

Keine bestimmte Frau, sondern eine ideale, unwirkliche oder kollektive

Dagegen spricht:

    - Die Verheißung ist konkret und spezifisch. Es muss sich um eine konkrete Frau handeln und um eine konkrete Geburt eines Kindes.

 

Die Tochter Zion

Dagegen:

    - Das wäre eine symbolische Frau. So etwas kommt hier nicht in Frage, da die Verheißung spezifisch ist.

    - Auch spricht V 15ff dagegen.

    - Außerdem wäre das Kind nach dieser Variante der nachfolgende König, Hiskija; der war aber zu dem Zeitpunkt bereits geboren. (S. oben.)  

 

Die Frau des Jesaja

Dagegen spricht:

    - Die Frau des Jesaja hatte bereits einen Sohn, Schear-Jaschub (7, 3). Die Mutter dieses Sohnes kann nicht gemeint sein, da man sie nach der Geburt ihres ersten Sohnes ganz sicher nicht mehr almah nennen konnte. 

 

Die neu vermählte Frau des Jesaja

(Aus einem uns unbekannten Grund, vielleicht war seine erste Frau gestorben, könnte Jesaja in 8, 1-3 eine „Prophetin“ geheiratet haben. Man könnte  8, 2 als das Nehmen von Zeugen zu einer Heirat verstehen, 5. Mose 19, 15; Ruth 4, 9-11. Das erste Kind dieser neuen Ehe wäre dann das verheißene Kind von 7, 14-16, ein Zeichen für Ahas.)

Dagegen spricht:

    - Dem Sohn wurde nicht der Name Immanuel gegeben wurde, sondern der Name „Maher-Schalal Chasch-Bas“ (Schnell-Raub Eile-Beute).  

    - Die neue Frau des Propheten war zum Zeitpunkt der Empfängnis nicht mehr eine almah (= unverheiratete Jungfrau).

    - In 8, 8 wird Immanuel persönlich angesprochen. Warum sollte das Land das des Sohnes Jesajas sein?

    - Almah ist eine unverheiratete Frau, nicht eine verheiratete.

 

Maria und der Messias

    Gegen die messianische Interpretation werden üblicherweise folgende Argumente aufgeführt:

1. Der Begriff almah zwinge nicht dazu, eine übernatürliche Jungfrauengeburt anzunehmen.

    - Dagegen sei einzuwenden: Dass almah auch eine verheiratete Frau sein könne, ist belegbar. Alle Stellen beziehen sich auf unverheiratete Frauen, auch Hoheslied 6, 8 und Sprüche 30, 19. (Siehe Delitzsch an beiden Stellen.)

2. Der Begriff „Zeichen“ zwinge nicht dazu, ein übernatürliches zu erwarten. Die Geburt Immanuels an sich könne ein Zeichen sein, ohne dass die Geburt übernatürlich sein muss. Oder das Zeichen besteht in erster Linie in der Namensgebung.

    - Aber der inspirierte Apostel Matthäus fasste es als ein übernatürliches auf. Matthäus 1, 23.

    - Und: Nicht nur der Name ist das Besondere, sondern auch die Tatsache, dass es sich um eine unverheiratete Frau (almah) handelt.

3. Der engere Kontext zwingt nicht zu einer messianischen Auslegung der Stelle. Die Weissagung beziehe sich auf die Zeit des Königs Ahas. Ahas sollte sich ein Zeichen von Gott erbitten, tut es aber nicht. Daraufhin gibt Gott selbst dem Königshaus ein Zeichen. Das Zeichen müsse eine Bestätigung für die göttliche Zusage der baldigen Befreiung von der syro-ephraimitischen Gefahr sein, nicht von einer anderen Gefahr oder Bedrohung Judas zu einem viel späteren Zeitpunkt. Von daher sei ein unmittelbarer zeitgenössischer Bezug zwingend.

    - Das ist das stärkste Argument, aber nicht zwingend, wie oben dargelegt. Matthäus 1, 23 steht dem entgegen.

    - Das Prinzip der prophetischen perspektivischen Zusammenschau weit auseinander liegender Ereignisse erlaubt es, dass Jesaja die Kindheit Immanuels mit der Zeit der assyrischen Bedrängnisse zusammen in einem Bild schaut, obwohl sie zeitlich nicht zusammengehören.

 

Als wichtiger Punkt, der für die messianische Interpretation spricht, gilt der weitere Kontext der Stelle: Der Kontext der K. 7-12 erwähnt –  in dreifacher Steigerung – die zukünftige Befreiung durch den Messias. Dieser wird in 7, 14 angekündigt, in 9, 5-6 geboren und tritt schließlich in K. 11 als der große Erretter und Richter-König auf.

(Im Übrigen siehe die oben in der Auslegung Angeführten Argumente.)

 

Die messianische Interpretation mit  Annahme eines doppelten Sinnes (zeitgenössisch und messianisch)

Möglichkeit A: Zwei verschiedene Geburten und zwei verschiedene Kinder. (V. 14 der Messias, V. 16 ein zeitgenössisches Kind)

    - Dagegen spricht: Eine Aufspaltung der einen Verheißung bzw. des einen Zeichens in zwei, ist vom Gedankenfluss der Verse 13-16 her unmöglich. V 15 bezieht sich eindeutig auf den Immanuel von V 14. Der Junge von V 16 ist mit dem Sohn von V 14 identisch.

 

Möglichkeit B: Nur ein Kind, aber mit doppelter Erfüllung, einer zeitgenössischen und einer messianischen.

Da gibt es wiederum verschiedene Variationen:

 

. Variation 1:

Eine partielle (teilweise) zeitgenössische Erfüllung der Weissagung zur Zeit Jesajas einerseits, und eine volle Erfüllung in der Jungfrauengeburt des Messias andererseits.

 

. Variation 2:

Eine primäre zeitgenössische Erfüllung einerseits, und eine sekundäre messianische Erfüllung andererseits. D. h., das zeitgenössische Kind zur Zeit Jesajas wäre die primäre und vollständige Erfüllung der Weissagung; die Jungfrauengeburt des Messias wäre die sekundäre. Auf die letzte kommt man erst durch das Licht des Neuen Testaments. Die Stelle hätte dann einen sensus plenior (klaren Sinn) und einen sensus occultus (verborgenen Sinn).

 

    - Gegen diese beiden Thesen einer Doppelerfüllung (bzw. eines doppelten Sinnes einer konkreten Weissagung) gibt es berechtigte Einwände:

    John Owen bemerkte mit Recht: „Wenn die Schrift mehr als eine Bedeutung hat, hat sie gar keine.“ („If the Scripture has more than one meaning, it has no meaning at all „, zit. in M. S. Terry, Biblical Hermeneutics, Grand Rapids, S. 498) Konkrete Weissagungen der Schrift haben nur einen Sinn, und unser erstes Ziel muss sein, diesen herauszufinden. (Ryle, zit. ebd.) Terry: „Sobald wir eine verborgene oder doppelten Sinn einer Stelle zulassen, führen wir ein Element großer Unsicherheit ein und machen wissenschaftliche Auslegung unmöglich.“ (ebd.). Wenn eine Stelle im Kontext etwas Bestimmtes bedeutet, kann sie nicht gleichzeitig auch noch etwas anderes bedeuten.  Auslegung gibt es nur eine, Anwendungen viele.

    Eine so konkrete Weissagung wie Jesaja 7, 14 kann nicht einen doppelten oder mehrfachen Sinn haben.

 

Die typologisch-messianische Auslegung (= eine schattenhafte historisch-zeitgenössische und eine reale messianische Erfüllung)  

J. H. Walton (in: What’s in a Name? Journal of Evangelical Theological Society, Nr. 30/3, September 1987) schlägt vor:  in etwa folgendermaßen:

    Zum Unterschied vom doppelten oder mehrfachen Sinn kann eine Stelle im Alten Testament im historischen Kontext ein Typus für einen Antitypus im Neuen Testament sein. Durch das Licht des NT erhält die Stelle im AT eine tiefere Dimension. In unserem konkreten Beispiel würde dieses bedeuten, dass sich die historische Erfüllung der Immanuelverheißung zur messianischen Erfüllung in der Geburt und Namensnennung des Messias Jesus Christus zueinander verhält wie Schatten und Wirklichkeit. Es bestünde also eine Parallelität zwischen der zeitgenössischen Erfüllung, dem Typus, und der messianischen Erfüllung, dem Antitypus. Die Namensnennung des zeitgenössischen Kindes und die darauffolgende Befreiung von der syro-ephraimitischen Gefahr zur Zeit Jesajas wäre der Typus, die Namensnennung des Messias und sein Erscheinen zur Befreiung von der viel größeren Unterdrückung wäre der Antitypus. Was zur Zeit Jesajas schattenhaft in einem zeitgenössischen Rahmen geschah, geschieht (nach dieser Theorie) in der Jungfrauengeburt Jesu auf einer höheren Ebene.

 

Diese These klingt im ersten Augenblick sympathisch. Aber es gibt Einwände:

    - Wie soll eine unverheiratete Jungfrau der Tage des Jesaja und Ahas ein Typus auf Maria sein? Eine unverheiratete Frau kann den Samen für ihr Kind nur durch Unzucht oder durch ein Wunder empfangen.

    - Außerdem bleibt es dabei, dass wir keinen Bericht einer zeitgenössischen Erfüllung der Geburt eines Kindes haben, das mit Immanuel, dem Besitzer des Landes (Jesaja 8, 8), vergleichbar ist.

 

Schluss

    Alles in allem bleibt die Erklärung von Delitzsch diejenige mit den wenigsten Schwierigkeiten: Die Weissagung ist keine doppelte, auch kein Typus auf einen Antitypus, sondern eine direkte, messianische. Das Prinzip der prophetischen perspektivischen Zusammenschau weit auseinander liegender Ereignisse erlaubt es, dass Jesaja die Kindheit Immanuels mit der Zeit der assyrischen Bedrängnisse zusammen in einem Bild schaut, obwohl sie zeitlich nicht zusammengehören.