U n t e r w e g s n o t i e r t
Eine Handreichung für Dienende
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„Ja, so lasst denn also auch uns, da wir eine so große Wolke von Zeugen haben, die uns umgibt,
nach Ablegen alles Beschwerenden und der Sünde, die einen so leicht umstrickt,
mit Ausdauer laufen in dem Wettlauf, der vor uns liegt.
Hebräer 12, 1
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Nr. 110: Mai, Juni 2018
Der 13. Psalm
Gedanken von Charles Spurgeon
Überschrift und Inhalt
Ein Psalm Davids, vorzusingen
Der Psalm kann nicht auf eine besondere Begebenheit oder Zeit in Davids Geschichte zurückgeführt werden. Alle Versuche, seine Geburtsstätte ausfindig zu machen, sind nur Mutmaßungen. Was er sagt, ist ohne Zweifel mehr als einmal die Sprache dieses vielgeprüften Gottesmannes gewesen und will den Gefühlen des Volkes Gottes in den
stets wiederkehrenden Anfechtungen Ausdruck geben. Wenn der Leser noch nie Anlass gefunden hat, sich die Sprache dieses kurzen Liedes zu eigen zu machen, so wird es nicht lange währen, bis er dazu Gelegenheit hat, wenn anders er ein Mann nach dem Herzen Gottes ist.
Das Stichwort des Psalms ist: Wie lange?
Einteilung
Der Psalm zerfällt naturgemäß in drei Teile: die Frage der Angst (V. 2 u. 3), der Gebetsruf (V. 4 u. 5) und das Glaubenslied (V. 6).
Auslegung
2 Herr, wie lange willst du meiner so gar vergessen?
Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?
3 Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele
und mich ängstigen in meinem Herzen täglich?
Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben?
(Anm.: Wörtl. heißt die 2. Vershälfte wahrscheinlich: infolgedessen Kummer ist in meinem Herzen bei Tage. Dem nächtlichen Grübeln und Plänemachen folgt bei Tage der Kummer der Enttäuschung, dass die Pläne sich als unausführbar erweisen.)
Wie lange? Diese Frage wird nicht weniger als viermal wiederholt. Sie drückt ein heftiges Sehnen nach Rettung und große Herzensangst aus. Und wenn ein wenig Ungeduld dabei mit untergelaufen wäre, ist es dann nicht ein umso treueres Bild unserer eigenen Erfahrung? Es ist nicht leicht, die feine Grenzlinie zwischen starkem Verlangen und Ungeduld innezuhalten. Wolle uns Gott nur bewahren, dass wir nicht beim sehnlichen Harren auf Gottes Hilfe einem Geist des Murrens Raum geben.
Wie lange? Wird nicht der einmal ums andere wiederholte Ruf zu einem wahren Jammergeschrei? Und wenn nun der Kummer sich nicht anders Luft zu schaffen weiß? Auch dann ist Gott nicht fern von unserem Angstgestöhn; denn er achtet nicht auf den Wohllaut unserer Gebete, sondern auf seines Geistes Werk in ihnen, der das Verlangen weckt und den Gebetstrieb entzündet.
Wie lange?
Ach, wie lang scheinen uns die Tage, wenn unsere Seele innerlich zerschlagen ist. Wie scheint so mühsam über bitteres Weh der Augenblick zu gleiten; wie liebt es die Zeit, in ihrer Flucht zu säumen! Ja, mit weit ausgebreiteten Schwingen fliegt uns die Zeit dahin in heiteren Sommertagen. Doch in düsterer Winterzeit ist ihr Flug lahm und matt. Eine Woche in Kerkermauern ist länger als ein Monat in der Freiheit. Langwieriges Leid scheint uns besonders tiefer Verderbnis anzuklagen; denn das Gold, das lange im Feuer bleibt, muss viel Schlacke gehabt haben, die zu verzehren war. So mag die bange Frage: Wie lange? darauf hinweisen, dass der Fragende ein gründliches Selbstgericht gehalten hat.
Wie lange willst du mein so gar [wörtl.: für immer] vergessen?
O David, wie redest du so töricht! Kann Gott vergessen? Kann die Allwissenheit an Gedächtnisschwäche leiden? Und viel mehr noch: Kann Jahwehs Herz seines geliebten Kindes vergessen? Lasst uns, meine Brüder, solche Gedanken hinwegscheuchen und auf das hören, was unser Bundesgott uns durch den Mund des Propheten zuruft:
„Zion aber spricht: Der Herr hat mich verlassen. Der Herr hat meiner vergessen.
Kann auch eine Frau ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselbigen vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen. Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet; deine Mauern sind immerdar vor mir.“ (Jesaja 49, 14 ff)
Für immer? (Grundtext)
Welch finsterer Gedanke! Es wäre gewiss schlimm genug, an eine augenblickliche Vergesslichkeit Gottes zu denken; und nun sollten wir gar solch abscheulichem Zweifel Raum geben und uns vorstellen, Gott wolle sein Volk für immer verstoßen? Nein. Sein Zorn mag eine Nacht hindurch währen, aber seine Liebe wird ewiglich über uns walten.
Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?
Das ist eine weit vernünftigere Frage; denn Gott kann sein Antlitz verbergen und dennoch unser gedenken. Ein umwölktes Antlitz ist kein Zeichen eines vergesslichen Herzens. In väterlich erziehender Liebe hat sich sein Angesicht von uns abgewandt. Doch einem wahren Gotteskind ist dieses Verhüllen des väterlichen Angesichts schrecklich, und es wird sich nicht zufrieden geben, bis es wieder seines Vaters Lächeln sieht.
Wie lange soll ich sorgen [wörtl.: Pläne aufstellen] in meiner Seele und mich ängstigen in meinem Herzen täglich? Seine Seele ist eine Werkstätte von sorgenvollen Überlegungen, wie er diesen peinlichen Zustand entfliehen könne. Zahllos sind die Pläne, doch nutzlos. Oft war es so auch bei uns. Wir haben erwogen und wieder erwogen, einen Tag um den anderen, und sonderlich in den Nächten, haben aber nicht den glücklichen Plan gefunden, der uns aus unserem Kummer herausgeholfen hätte. Solcher Vorrat von aufgehäuften Plänen ist arger Hausrat für die Seele. Sorgen wiederzukäuen ist garstige Arbeit. Kinder füllen sich den Mund mit Bitterkeit, wenn sie aus Widersetzlichkeit die Pille zerkauen, die sie gehorsam hätten schlucken sollen.
Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben?
Das ist wie Wermut mit Galle vermischt, den boshaften Feind frohlocken zu sehen, während die eigene Seele zu Boden gedrückt ist. Kaum etwas tut den Ohren eines bekümmerten Menschen so weh wie das Gelächter des Feindes. Macht der Teufel sich aus unserem Jammer ein Ergötzen, so ist dieses der letzte Tropfen, der das volle Gefäß zum Überlaufen bringt. Da will unsere Geduld zusammenbrechen. Darum mag dies uns ganz besonders zum Thron der Gnade treiben.
Der aufmerksame Leser wird also merken, dass die Frage „Wie lange“ in vierfacher Gestalt erscheint. Des Dichters Kummer wird dargestellt, wie er zu sein scheint, wie er ist, wie er nach innen auf ihn selbst und nach außen auf seine Feinde wirkt. Wir alle sind geneigt, auf der schlechtesten Saite am meisten zu spielen. Wir errichten Denksteine über den Gräbern unserer Freuden. Wer aber denkt daran, Denkmale der Lobpreisung für empfangene Gnaden zu erbauen? Wir schreiben fünf Bücher der Klagelieder (Anm.: Anspielung auf die fünf Kapitel der Klagelieder Jeremias) und nur ein Hoheslied und sind es weit mehr gewohnt, ein Misere als ein Te Deum anzustimmen.
4 Schaue doch und erhöre mich, Herr, mein Gott! Erleuchte meine Augen, dass ich nicht im Tode entschlafe, 5 dass nicht mein Feind rühme, er sei meiner mächtig geworden, und meine Widersacher sich nicht freuen, dass ich niederliege.
Nun aber erhebt das Gebet seine Stimme gleich dem Wächter, der des Tages Anbruch verkündet. Nun wird es eine Wendung geben. Bald wird der Weinende seine Augen trocknen können. Vom Gnadenthron strömt der Hoffnung neues Leben zu, und von dorther empfängt die Verzweiflung den Todesstoß. Der düstere Gedanke, dass Gott ihn verlassen habe, liegt noch auf der Seele des Psalmisten. Darum ruft er:
Schaue doch und erhöre mich.
Er denkt auf einmal wieder an die Wurzel all seines Elends und ruft laut, Gott möge sie entfernen. Die endgültige Gottesferne ist das Feuer Tophet, (Anm: Tophet ist die „Greuelstätte“ im Hinnomtal bei Jerusalem, wo in götzendienerischen Zeiten dem Moloch die Kinder verbrannt wurden. Dieser Brandort wurde das Bild des höllischen Feuers, daher Ge-enna, d. h., Hinnomtal, bei den späteren Juden der Name des Ortes der ewigen Pein [Matthäus 5, 22] wurde.) und seine zeitweilige Ferne bringt sein Volk bis in die Vorhöfe der Hölle.) Gott wird hier aufgefordert zu schauen, herzublicken, dass er den Jammer sehe und so zum Erbarmen und zu einer gnädigen Antwort bewogen werde. Was sollten wir tun, wenn wir keinen Gott hätten, zu dem wir in Stunden, wo wir unser tiefes Elend fühlten, unsere Zuflucht nehmen könnten? Man beachte den Glaubensruf:
Herr, mein Gott!
Ist es nicht eine überaus herrliche Tatsache, dass unser Anrecht auf Gott als unsern Gott durch alle unsere Anfechtungen und Sorgen nicht zerstört wird? Unser „Kürbis“ (Jona 4) mag wurmstichig werden und vom Ostwind verdorren, aber unser Gott bleibt. Unsere irdischen Erwartungen können enttäuscht werden, nicht aber unser Gottvertrauen. Unser Bürgerbrief für den Himmel ist nicht in den Sand geschrieben, sondern in unvergängliches Erz gegeben.
Erleuchte meine Augen!
Das heißt: Lass das Auge meines Geistes hell sein, dass ich meinen Gott auch im Dunklen sehen möge. Lass meine Augen in Wachsamkeit weit geöffnet sein, damit ich nicht in Fallstricke gerate. Lass das Auge meines Verständnisses erleuchtet werden, den rechten Weg zu sehen. Vielleicht haben wir hier auch eine Anspielung auf die Erheiterung des Gemüts, die so oft eine Erleuchtung der Augen genannt wird, weil sie das Angesicht strahlen und die Augen funkeln lässt. Wohl haben wir Grund zu der Bitte: Mache du, Herr, unsere Finsternis licht! – denn in vieler Hinsicht bedürfen wir der erleuchtenden Strahlen des Heiligen Geistes.
Damit ich nicht im Tode entschlafe. (Wörtlicher: damit ich nicht den Schlaf des Todes schlafe.)
Finsternis erzeugt Schlaf, und Mutlosigkeit macht bald die Augenlider schwer. Von dieser Augenschwäche und Blödsichtigkeit, welche die Verzweiflung wirkt, ist nur noch ein Schritt bis zu dem bleiernen Todesschlaf. David fürchtet, seine Trübsale würden seinem Leben ein Ende machen, und mit Recht beruft er sich im Gebet vor Gott auf diese Furcht; denn tiefe Traurigkeit hat in sich eine Art von Anspruch auf Mitleid, nicht einen Rechtsanspruch, aber ein Anrecht an die Gnade. Unter dem Druck des Herzenskummers sieht der Psalmist dem Todesschlaf nicht mit Hoffnung und Freude entgegen, wie solche, die ihres Glaubens gewiss sind, sondern er schaudert davor zurück. Wir sehen daraus, dass die Knechtschaft der Todesfurcht nichts Neues ist.
Noch ein Grund der Bitte wird in dem fünften Vers hervorgehoben, und er ist so kräftig, dass der Gläubige ihn, wenn er in seinen Anfechtungen auf den Knien liegt, wohl mag geltend machen. Wir machen dann auch einmal von unserem Erzfeind selber Gebrauch und zwingen ihn, gleich Simson, auf unserer Mühle zu mahlen, indem wir uns im Gebet auf seinen frechen Übermut berufen. Es ist nicht des Herrn Wille, dass der arge Feind unserer Seele Gottes Kinder überwältige. Das würde für den Höchsten eine Schmach sein und dem Bösen Ursache geben, sich zu brüsten. Es kommt uns wohl zustatten, dass unsere Rettung und Gottes Ehre so unzertrennlich verbunden sind, dass sie miteinander stehen und fallen. Unser Bundesgott wird die Niederlage aller unserer Feinde vollenden, und wenn wir auch für eine Weile ihr Spott und Spiel werden, so kommt doch der Tag, da die Rollen vertauscht sein werden und die Schmach und Verachtung sich über diejenigen ergießen wird, die sie verdienen.
6 Ich hoffe aber darauf, dass du so gnädig bist. Mein Herz freut sich, dass du so gerne hilfst.
Ich will dem Herrn singen, dass er so wohl an mir tut.
Welch ein Wechsel! Siehe, der Winter ist vergangen, der Lenz ist herbeigekommen (Hoheslied 2, 11-12).
Nachtigall und Lerche lassen sich wieder hören. Vom Gnadenstuhl her ist dem Tiefbetrübten, der dort seinen Kummer ausgeschüttet hat, solche Erquickung zugekommen, dass er nun mit heller Stimme einen Lobgesang anheben kann. Haben wir mit ihm getrauert, so wollen wir jetzt auch mit ihm frohlocken.
Davids Herz war häufiger verstimmt als seine Harfe. Er beginnt manche seiner Psalmen mit Seufzen und endet sie mit Singen, und andere hebt er mit Freuden an und endet sie mit Kummer, so dass man, wie Peter du Moulin (†1684) sagt, denken könnte, diese Psalmen hätten zwei Männer von entgegengesetzter Gemütsart zu Verfassern. Es ist beachtenswert, dass die Freude nur umso größer ist durch den Gegensatz zu dem vorhergegangenen Kummer, wie die Ruhe wohltuender wird durch die Erinnerung an den vorangegangenen Sturm. Vergangenes Leid erhöht die gegenwärtige Freude. Das Bekenntnis seiner Zuversicht ist dieses:
Ich aber traue auf deine Gnade. (Wörtl.)
Seit vielen Jahren war David gewohnt, den Herrn zu seiner Burg und zum Hort seiner Zuflucht zu machen, und auch jetzt schaut er mit trotzigem Lächeln von dem gleichen Bollwerk hinab. Er ist seines Glaubens gewiss, und sein Glaube macht ihn gewiss. Wäre er über die Echtheit seines Gottvertrauens nicht ganz außer Zweifel gewesen, so hätte er sicherlich eines der Fenster verhängt, durch die das Sonnenlicht vom Himmel hereinzuscheinen beliebt. Der Glaube ist nun in Übung. In solchen Zeiten lässt sich sein Vorhandensein leicht erkennen. Nie kommt ein Zweifel in unser Herz, ob wir Glauben haben, während derselbe sein Werk tut. Wenn der Hase oder das Rebhuhn sich stillhalten, sehen wir sie nicht. Sobald sie aber in Bewegung sind, werden wir sie gewahr. Alle Gewalten seiner Feinde hatten den Psalmisten nicht aus seiner Festung vertrieben. Wie der schiffbrüchige Seemann sich an den Mast klammert, so hielt sich David fest an seinen Glauben. Die Zuversicht auf den Herrn, seinen Gott, konnte und wollte er nicht aufgeben. Mögen wir aus seinem Beispiel Nutzen ziehen und uns an unseren Glauben halten, wie an unser Leben selbst!
Nun horch auf die lieblichen Töne, welche der Glaube in der Seele hervorbringt. Alle Glocken des Gemüts erklingen.
Mein Herz freut sich, dass du so gerne hilfst. (Wörtlich: Frohlocken soll mein Herz ob deines Heils.)
Hört ihr das Gesänge und den Reigen drinnen? Ein hochwillkommener Gast hat sich eingestellt, und das gemästete Kalb ist schon geschlachtet. Lieblich ist die Musik, die von den Saiten des Herzens ertönt; ja, noch mehr: Auch die Stimme fällt mit ein in die herrliche Weise, und die Zunge begleitet die Akkorde des Herzens, denn David ruft aus:
Ich will dem Herrn singen.
Der Schlussgedanke des Psalms nimmt den Vorwurf der Vergesslichkeit zurück, den David im ersten Vers geäußert hatte. Ich will dem Herrn singen,
dass er so wohl an mir tut [wörtlich: getan hat].
Viel Güte hat er mir erwiesen. So wird’s mit uns sein, wenn wir ein wenig harren. Die Klage, die wir in der Hast ausgestoßen haben, werden wir freudig zurücknehmen und bezeugen können, dass der Herr alles wohl gemacht hat.
Erläuterungen und Kernworte
Zum ganzen Psalm
Das dringende „Wie lange!“ des 13. Psalms, in welchem wir den Psalmisten nahezu erliegen und doch die göttliche Güte in gewisser Hoffnung ergreifen sehen, mag ebenso wie Psalm 7 und die beiden zusammengehörenden Lieder 3 u. 4 (u. andere), aus der Verfolgungszeit Davids stammen. Schon diese vier eben genannten Psalmen zeigen, wie reich und mannigfaltig das Seelenleben ist, das hier ins Wort aus-strömt. In Psalm 7 redet die kochende Empörung des unschuldig Bedrohten, während in Psalm 3 u. 4 das Herz in unangreifbarer Ruhe über allen menschlichen Anfechtungen schwebt, wogegen in Psalm 13 wieder die bange Sorge und Klage hervorbricht, weil die befreiende Wendung der Dinge sich immer noch nicht zeigen will. Diese Mannigfaltigkeit der Töne hat sehr wohl im selben Menschenherzen Raum, und dass sie alle im Psalter nebeneinander stehen, gerade das macht ihn unvergänglich wahr. Prof. Dr. A. Schlatter, 1894
V. 2 Herr, wie lange willst du meiner für immer vergessen? (Grundtext) Die komplizierte Frage: „Wie lange – auf immer“ (wie Psalm 74, 10 und Psalm 79, 5 und Psalm 89, 47) ist der Ausdruck eines komplizierten Seelenzustandes, wo, wie Luther ihn kurz und treffend beschreibt, im Angstgefühl des göttlichen Zornes „die Hoffnung selbst verzweifelt und die Verzweiflung dennoch hoffet“. Der Selbstwiderspruch der Frage ist aus dem inneren Widerstreit des Geistes und Fleisches zu erklären. Das verzagte Herz denkt: „Gott hat meiner ewiglich vergessen“, aber der diesen Gedanken abstoßende Geist verwandelt ihn in eine Frage, die ihn zum bloßen Schein stempelt: „Wie lange soll es scheinen, dass du meiner auf ewig vergisst?“ Es liegt in dem Wesen des göttlichen Zorns, dass dessen Empfindung immer vom Eindruck der Ewigkeit und also einem Vorschmack der Hölle begleitet ist. Der Glaube aber hält die Liebe hinter dem Zorn fest. Prof. Dr. Franz Delitzsch † 1890
Wenn sich Gott von wahren Gläubigen je und dann zurückzieht, so ist es nie für immer. Qualvoll mag es sein, aber es geht vorüber. Und hätte er uns ganz verlassen, so ist es doch außer Frage, dass er früher oder später wiederkehren wird, und die selige Freude über seine Wiederkehr wird uns für die Trauer der Verlassenheit reichlich entschädigen.
Jesaja 54, 7 spricht der Herr: „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.“
Hier ist nicht nur ein Sammeln nach dem Verlassen zugesagt, sondern auch große Barmherzigkeit, um für einen kleinen Augenblick Ersatz zu geben. Er, der sich verbürgt hat, für immer unser Gott zu sein, kann nicht für immer von uns gehen. Timothy Cruso, 1696
Wir pflegen in der Trübsal wirklich sehr rücksichtsvoll gegen uns selbst zu sein und denken gar bald, wir seien genug gedemütigt und versucht, und es sei nun doch an der Zeit, dass wir aus der Not herausgeführt würden. Aber unser weiser Herr sieht, dass wir noch mehr brauchen. George Hutcheson, 1657
Lasst uns erforschen, warum Gott sein Antlitz vor uns verbirgt. (Vergl. Hiob 10, 2. ) Er zürnt nur, wenn er guten Grund dazu hat, wenn wir ihn dazu zwingen. Wir sollten nicht ablassen, mit Eifer zu erforschen, was ihn veranlasst, so lange seine Hilfe zu verzögern, damit wir, wenn irgendetwas Böses bisher in unserer Seele unentdeckt geblieben ist, es rechtzeitig bereuen und Verzeihung dafür erlangen mögen. Es ist nicht Gottes gewöhnliche Weise, dass er seine Knechte mit so dichter Finsternis bedeckt. Timothy Rogers † 1729
Für Gott ist es nicht ein Geringes, einen David zu vergessen und sich um ihn nicht zu kümmern. Wendet sich sein Auge für einen noch so kurzen Augenblick von uns ab, so ist der böse Feind sofort zur Hand, sich auf uns zu stürzen, wie der Habicht auf das Kücklein, sobald die Glucke nicht sorgsam darauf achtet. – Wie ein Vater oft den Willen des Kindes durchkreuzt, um dessen Gehorsam, Geduld und Ausdauer zu erproben, so tritt Gott manchmal seinen Kindern entgegen und scheint sie zu vernachlässigen. Eben damit will er ihre Gesinnung auf die Probe stellen. Da muss sich zeigen, was in ihnen ist: ob sie Gott hintansetzen werden, weil Gott sie hintanzusetzen scheint; ob sie davon ablassen, ihm zu dienen, weil er ihrer zu vergessen scheint; ob sie aufhören, ihm zu vertrauen, weil er auf sie nicht zu achten, nicht für sie zu sorgen, sie nicht zu beschützen scheint (wie Jorams Bote zu Elisa sagte: Siehe, solch Übel kommt von dem Herrn; was soll ich mehr von dem Herrn erwarten? 2. Könige 6, 33), – oder ob sie standhaft an ihm hangen und mit Jesaja sprechen: Ich hoffe auf den Herrn, der sein Antlitz verborgen hat vor dem Hause Jakob; ich aber harre sein (Jesaja 8, 17). Thomas Gataker, 1637
Zeiten der Verlassenheit dünken mich der Brache des Ackers zu gleichen, während deren der magere Boden Kräfte sammelt für eine bessere Ernte. Wo Gold zu haben ist, kann man es auch beim Mondschein sammeln. Ach, könnte ich nur einen Fußbreit näher zu Jesus dringen in solcher Trübsalsnacht, wo er fern ist; dann würde ich selbst diese schreckliche Zeit für einen Segen achten. Wüsste ich, dass mein Erlöser nur, um mich zu prüfen und noch tiefer zu demütigen, von mir gegangen wäre, nicht aber, weil neue Kränkungen ihn von mir getrieben haben: Ich wollte über mein Alleinsein nicht klagen. Aber Verlassenheit, die ich durch meine Sünde selber verschuldet habe, ist wie zwei gleichzeitig offene Wunden auf beiden Seiten; auf welcher kann ich noch liegen? – Wie die Blumen beständigen Sonnenschein nicht ertragen würden, sondern auch der Nacht und des Schattens bedürfen, so kann es auch der Seele heilsam sein, wenn Christus sich eine Weile von uns fern hält. Und es liegt in dieser Trübsal eine nährende Kraft. Sie ist für die Demut der rechte Lebenssaft. Sie schärft den Hunger; sie gibt dem Glauben ein freies Feld, seine Kraft zu erproben und sich in der feinen Kunst zu üben, nach dem zu greifen, was man nicht sieht. Samuel Rutherford † 1661
O herrliches Verbergen, das meine Vollendung geworden ist! Mein Gott, du verbirgst deinen Schatz, mein Verlangen zu entzünden. Du verbirgst deine Perle, den Sucher dadurch anzuspornen. Du zögerst zu geben, damit du mich lehrst, desto kühner in dich zu dringen, scheinst nicht zu hören, damit ich mit Flehen anhalte. Anselm, Erzbischof von Canterbury, † 1109
V. 2.3 Wie lange!
Die Heftigkeit unserer Trübsal macht sie zu einer Versuchung für unsere Geistesstärke; aber erst durch ihre Dauer wird diese auf die schwerste Probe gestellt. Nicht in den schärfsten, sondern in den langwierigsten Prüfungen sind wir am meisten in der Gefahr, zu erliegen. Im ersteren Falle nimmt die Seele ihre ganze Kraft zusammen und erfleht inbrünstig die Hilfe von oben; im letzteren aber ermattet das Herz und versinkt in Mutlosigkeit. Als Hiob mit schlimmen Nachrichten in rascher Folge überschüttet wurde, trug er es mit bewundernswerter Geistesstärke; als er aber kein Ende seines Leidens sehen konnte, da brach er zusammen. Andrew Fuller, † 1815
V. 3 Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele?
Gar manche haben die Art, unverwandt auf die eigene Schuld und den eigenen Jammer zu blicken und dabei die höchsten Gnadenerweisungen zu übersehen. Wiewohl es um der Erkenntnis der Sünde willen gut ist, das eigene Herz zu erforschen, so werden wir uns doch, wenn wir von dieser Seite her Trost erwarten, kläglich enttäuscht finden. Dieses scheint eine Zeitlang bei David der Fall gewesen zu sein. Er war offenbar in großer Betrübnis, und wie in solchen Fällen gewöhnlich, richtete sich sein Blick nach innen, bei sich erwägend, was er tun solle und was das Ende von dem allem sein werde. Da er so mit sich selbst beschäftigt war, ängstigte er sich in seinem Herzen täglich. Als er aber zu Gott seine Zuflucht nahm, da fand er Erleichterung; ja, da konnte sein Herz frohlocken über Gottes Heil, V. 6. Viele Menschen ahmen, wenn sie in Trübsal sind, David in dem ersteren Teil seiner Erfahrung nach. Ich wollte, wir ahmten ihm auch in dem letzteren nach. Andrew Fuller, † 1815
Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben?
Es ist für den Elenden und Betrübten eine große Erleichterung, bei anderen Mitleid zu finden. Es ist schon eine Wohltat, wenn andere, ob sie wohl uns nicht helfen können, doch aufrichtig das Traurige unsrer Lage mit uns empfinden und durch freundliche Worte und Taten die Wunden ein wenig lindern, die sie nicht heilen können. Aber es ist nicht zu sagen, wie das Leid verbittert wird, wenn ein Mensch unter der Empfindung des göttlichen Missfallens gebeugt einhergeht und dann solchen begegnet, die seines Unglücks spotten, ihn schmähen oder rau anfahren. Dadurch wird die Wunde entzündet und verschlimmert, die zuvor schon schlimm genug war. Timothy Rogers, † 1729
V. 4 Dass ich nicht im Tode entschlafe
Alles ist seltsam verändert, alle Lieblichkeit, Schönheit und Herrlichkeit schwindet, wenn das Leben dahin ist. Leben ist es, was der Mensch begehrt. Das Leben ist süß und tröstlich. Aber der Tod mit seinem bleichen Gefolge erregt Schrecken und Schauder allerwege. Die Heiligen fürchten nichts mehr als die Entziehung der Huld Gottes und das Verbergen seines Angesichts; und wenn es sich verborgen hat, so kommt Ohnmacht, Erstarrung und Furcht über jedes Glied, und sie empfinden ein seltsames, tiefes Weh im Herzen, Angst und Schrecken, die alle Gelenke zum Erzittern bringen und für sie so bitter sind, wie der Todeskampf selbst. Timothy Rogers, † 1729
V. 5 Meine Widersacher freuen sich, dass ich niederliege.
Sie machen ein Lustspiel aus meinem Trauerspiel. John Trapp, † 1669
Ach, kannst du Schmach ertragen, giftige Zunge, der Schadenfreude höhnisches Gelächter, gottloser Rotte zuchtlos Spottgedicht, die für das gleiche Tun dir spenden würde verschwenderisches Lob, wär‘s mit Erfolg gekrönt? Dass kurz ich‘s fasse: Kannst du dulden hohnvolle Blicke, die boshafte Freude, wohl gar das stolze Mitleid deines Feindes, des Feinds, der triumphiert? Nach James Thomson, † 1748
V. 2-6
Das Gebet hilft zur Mehrung und zum Wachstum des Gnadenstandes, indem es die Kräfte übt. Wie kräftige Bewegung dem Körper wohltätig ist, so das Gebet der Seele. Die Gebetsübung hilft, jene trüben Stimmungen zu vertreiben, die das Geistesleben hemmen. Das Gebet ist der Heiligen Tummelplatz, da sie die Gnade in vollen Zügen einatmen. Wie der Wind die Luft reinigt und klärt, so das Gebet die Seele. Es ist für das Herz, was der Blasebalg für das Feuer, der die Kohlen von der Asche reinigt, die sie dämpft. Solange der Christ in dieser Welt ist, lebt er in einem ungesunden Klima. Einmal hemmen und lähmen die Freuden der Welt seine Liebe zu Christus; dann wieder dämpft die Sorge seinen Glauben all die Verheißung. Wie nun sollte der Christ aus dieser schlechten Luft herauskommen, könnte er nicht zu dem Gnadenthron seine Zuflucht nehmen, wo sich bald das Fieber der Unruhe bricht und er sanfter zu atmen beginnt? Wie oft finden wir den heiligen Sänger, wenn er zuerst zum Gebet niederkniet, voller Furcht und Zweifel, ehe er aber mit seinem Flehen zu Ende ist, in traulichem Verkehr mit seinem Gott und ruhig im Gemüt! Hier beginnt er (V. 2 u. 3) sein Gebet, als ob der Herr ihm nie wieder einen freundlichen Blick schenken würde. Doch während er fleht, legt sich seine Erregung; die Nebel zerstreuen sich, und sein Glaube bricht hervor wie die Sonne in ihrer Kraft (V. 6). William Gurnall, † 1679
Mit welch zäher Ausdauer warten oft die Kinder dieser Welt jahrzehntelang auf vergängliche Dinge, die doch nimmer das Herz befriedigen können. Und du solltest nicht eine Weile an Gottes Tür klopfen und pochen können, bis er dir auftut und dir himmlische Segnungen zuteilwerden lässt? O denke daran und nimm dir vor, nie stumm zu sein, wenn Gott taub ist, – nie vom Gebet zu lassen, bis Gott eine gnädige Antwort gibt. Und zu deinem Trost beherzige recht den köstlichen Schluss unseres Psalms. Nach George Swinnock, † 1673
V. 6 Doch ich, auf deine Gnade traue ich. Frohlocken soll mein Herz ob deinem Heil. (Wörtl.)
Der Glaube jubelt mitten in den Trübsalen und triumphiert noch vor dem Sieg. Der Kranke ist froh, wenn er fühlt, dass die Arznei zu wirken beginnt, auch wenn sie ihn für den Augenblick noch kränker macht; denn er hofft, sie werde ihm Heilung bringen. Wir freuen uns in den Leiden; nicht als ob sie für die Gegenwart erfreulich wären, aber weil sie zu unserem Heil dienen werden. Der Glaube triumphiert in der Zuversicht eines guten Ausgangs; denn er sieht nicht auf den äußeren Schein. Ob es auch scheinbar keine Hilfe mehr gibt, hält er doch den Blick auf Gott gerichtet und sieht ihn gegenwärtig zu unserem Beistand. John Ball, † 1640
Keiner lebt so sorgenfrei, so angenehm, als der seines Glaubens lebt. Matthew Henry, † 1714
Darum sage ich nochmals: Lebe deines Glaubens; ich sage es wieder und wieder: Lebe deines Glaubens; frohlocke gläubig in dem Herrn. Ich darf es kühn behaupten: Es liegt an dir und an der mangelnden Übung im Glauben, wenn du dir zuzeiten durch eigene trübe Stimmungen oder durch den Satan deine Freudigkeit und geistige Regsamkeit verkümmern und dich im Banne schwermütiger Gedanken festhalten lässt. Vielleicht hast du ein melancholisches Temperament, eine natürliche Anlage zum Trübsinn. Hat aber der Glaube nicht Macht, über die Natur den Sieg davonzutragen? Ist er nicht stärker als irgendein Belebungsmittel? Wird nicht ein erfahrener Geistlicher oder Arzt einem Quäntchen Glauben mit Recht den Vorzug geben vor allem, was die Apotheke für diesen Zweck enthält? Trägt er nicht eine unumschränkte Gewalt in sich, den Kopf von allen Sorgen, die Brust von allen Ängsten und Beschwerden, das Gemüt von all den trüben Gedanken und den Leidenschaften zu befreien, kurz, den ganzen Menschen aufzuheitern? Was aber kann es einem helfen, eine Herzstärkung bei sich zu haben, wenn man sie nicht gebraucht, ein Schwert an der Seite zu tragen, wenn man es bei einem Überfall nicht aus der Scheide zieht? Wenn dich Schwermut überfällt und du zu deiner Seele sprichst: „Was betrübst du dich? Wisse und bedenke, an wen du glaubst!“, würde sie nicht sogleich ihre Ruhe wieder gewinnen? Würde nicht der Meister Sturm und Wogen bedrohen und alsbald in deinem Gemüt eine große Stille werden? Ein jeder hat das eine oder andere Mittel, schwere Gedanken zu verscheuchen, den bösen Geist zu bannen, wie es David tat mit seiner Harfe. Der eine bedarf dazu froher Gesellschaft, der andere eines kräftigen Trunkes ... Ohne die geht‘s nicht. Wie arm, wie jämmerlich und töricht sind alle solche Hilfsmittel, verglichen mit einem einzigen frischen Trunk aus dem Lebensborn des Glaubens! Samuel Ward † 1653
Ich will dem Herrn singen, dass er an mir so wohlgetan hat.
Der Glaube hält die Seele aufrecht, dass sie auch unter schweren Anfechtungen nicht zusammenbricht, indem er dem bekümmerten Herzen die früheren Erfahrungen von Gottes Macht, Gnade und Treue in Erinnerung bringt. Das war es, was den Psalmisten in Trübsal tröstete. Gedenke, mahnt der Glaube, was Gott für beides, dein inneres und dein äußeres Leben, getan hat. Er hat nicht nur deinen Leib aus der Not befreit, sondern an deiner Seele Großes getan. Er hat dich aus einem Zustande der Verfinsterung an das Licht gebracht, mit dir einen Bund geschlossen, hat seine Güte lassen vor dir hergehen. Er hat dir Freudigkeit zum Gebet gegeben und deine Gebete und Tränen oft erhört. Hat er dich nicht einst aus der schrecklichen Grube hervorgezogen und aus dem grausigen Schlamm und dir ein neues Lied in den Mund gelegt und den Vorsatz in dir erweckt, nie wieder so kleingläubigen Gedanken und Sorgen Raum zu geben? Wie wenig geziemt es dir nun, in Trostlosigkeit zu versinken! John Willison † 1750
Ich will dem Herrn singen.
John Philpot (†1555) hatte schon eine Zeitlang im Kohlenkeller des Bischofs von London gefangen gelegen, als der Bischof ihn zu sich beschied und ihn unter anderem fragte, wie sie im Gefängnis so fröhlich sein könnten.
Philpot antwortete: „Gnädiger Herr, unsere Fröhlichkeit besteht nur darin, dass wir Psalmen singen, wie uns St. Paulus zu tun heißt, denn wir sind hier an einem finsteren und trostlosen Ort, und da erheitern wir uns auf diese Weise. Darüber werden, hoffe ich, Euer Gnaden nicht zürnen, da doch Jakobus sagt: Ist jemand gutes Muts, der singe Psalmen (Jakobus 5, 13), – und um zu beweisen, dass wir uns bei allem Elend in Gott freuen, darum erquicken wir uns all solchem Gesang.“
„Nach einigen andern Gesprächen wurde ich“, sagt er, „in den Kohlenkeller zurückgeführt, wo ich mich mit meinen sechs Mitgefangenen des Morgens, gottlob!, so fröhlich aus dem Stroh erhebe, wie andere aus ihren Daunenbetten.“
Und an einen Freund schreibt er: „Grüße Herrn Elsing und seine Gattin und danke ihnen, dass sie mir in meinem Gefängnis einige Erleichterung verschafft haben. Sage ihnen, dass meines gnädigen Herrn Kohlenkeller, wiewohl er sehr schwarz ist, dennoch für den Gläubigen begehrenswerter ist als der Palast der Königin. Die Welt wundert sich, wie wir in so tiefem Elend noch fröhlich sein können. Aber unser Gott ist allmächtig und wandelt Elend in Glückseligkeit. Glaube mir, die Welt kennt solche Freude nicht, wie Gottes Volk sie unter Christi Kreuz hat. Ich rede aus Erfahrung; darum glaube mir und fürchte nichts, was die Welt dir tun kann; denn wenn sie unseren Leib gefangen setzen, so geben sie unserer Seele Freiheit, mit Gott zu verkehren. Wenn sie uns niederwerfen, so richten sie uns auf. Wenn sie uns töten, so verhelfen sie uns in Wirklichkeit zum ewigen Leben. Was für größere Herrlichkeit kann es geben, als Christo, unserem Haupte, gleichförmig zu werden? Und dieses geschieht durch die Trübsal. O du gnadenreicher Gott, wer bin ich, dass du mir solche Huld erweisest? Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; lasst uns freuen und fröhlich darinnen sein (Psalm 118, 24). Dies ist der Weg, ob er wohl schmal sein mag, der des Friedens Gottes voll ist und zur ewigen Seligkeit führt. O wie mein Herz vor Freude hüpft, dass ich so nahe daran bin, sie zu schauen! Gott vergebe mir, dass ich so undankbar und dieser großen Herrlichkeit so unwürdig bin. Ich habe so viel Freude, dass ich, ob ich wohl all einem Ort der Finsternis und Trauer bin, doch nicht jammern kann. Vielmehr bin ich bei Tag und bei Nacht so voller Freude wie nie zuvor; des Herrn Name sei ewiglich dafür gepriesen! Unsere Feinde sind darüber ärgerlich und aufgebracht, dass sie mit den Zähnen knirschen. O betet inbrünstig, dass diese Freude nie von uns genommen werde; denn sie übertrifft alles, was die Welt an Glückseligkeit zu bieten hat. Dies ist der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft (Philipper 4, 7). Je mehr Gottes Auserwählte angefochten sind, desto mehr schmecken sie diesen Frieden, und darum kann weder Wasser noch Feuer sie schrecken.“ Samuel Clarke 1671
Nie habe ich so begriffen, was es sei, dass Gott allezeit und gegen alle Anfechtungen Satans mir beistehe, wie ich Ihn erfunden habe, seit ich hierhergekommen bin; denn siehe, so oft die Furcht sich zeigte, erschien auch Hilfe und Ermutigung. Ja, wenn ich voll Schrecken auch nur auf den eigenen Schatten hinstarrte, so hat Gott in seiner zarten Fürsorge es nicht gelitten, dass ich beschwert wurde, sondern hat mich immer wieder mit diesem oder jenem Schriftwort gestärkt; so sehr, dass ich oft gesagt habe: Wäre es erlaubt, so könnte ich um größere Trübsal beten, um des reicheren Trostes willen. (2. Korinther 1, 5) John Bunyan † 1688
Ich will dem Herrn singen. Wie anders endet doch dieser Psalm, als er begonnen hat! John Trapp † 1669
Homiletische Winke
V. 2 Die Langwierigkeit der Trübsal ist doch nur scheinbar. Ihr Gegensatz zu den Tagen der Freude, – zum ewigen Verderben und zur ewigen Freude. Das Leid erscheint langwieriger infolge unserer Ungeduld und anderer leidenschaftlicher Erregungen. Man verkürzt sich die Leidenszeit, wenn man sich nicht darauf einlässt, im Voraus zu sorgen oder sich nachher noch über das Leiden zu grämen.
V. 2 b Warum verbirgt Gott sein Angesicht? 1.) Warum überhaupt? 2.) Warum vor mir? 3.) Warum so lange?
V. 3 Der tägliche Kummer
1.) Seine Ursachen: der böse Feind, Unglaube, Sünde, Versuchung, Entbehrung der Gegenwart des Herrn, Mitleid mit andern, Schmerz über das menschliche Verderben.
2.) Seine Notwendigkeit: Er soll bessern, was nicht taugt, uns zu neuem Suchen der Gnade treiben und das Sehnen himmelwärts richten.
3.) Das Heilmittel dagegen: gute Speise von Gottes Tisch; der alte Wein der Verheißungen; Umgang mit Jesus; Übung in guten Werken; Vermeidung alles dessen, was
ungesund ist. Benjamin Davies 1866
V. 3 a Selbstpeinigung:
1.) ihre Ursache, 2.) ihre Unglückseligkeit,
3.) ihre Schuld, 4.) ihre Heilung
V. 3 b Anwendung des Textes auf den Feind des Gläubigen: 1.) Satans wahrer Charakter: Er ist der Feind.
2.) Der Ernst der Lage, wenn dieser Feind über uns triumphiert.
3.) Die bange Frage: Wie lange? Benjamin Davies l866
Der Ausblick auf die Zeit, da die Niederlage sich in Sieg verwandeln wird.
V. 4 b Erleuchte meine Augen! Das ist das rechte Gebet
1.) für jeden Sünder, der in Finsternis wandelt;
2.) für jeden, der das Heil sucht;
3.) für jeden, der in Jesu Schule lernen will;
4.) für jeden angefochtenen Gläubigen;
5.) für jeden sterbenden Heiligen. B. Davies 1866
V. 5 Dieser Vers zeigt das Wesen der Gottlosen nach zwei Richtungen: Je mehr sie die Oberhand haben, desto übermütiger sind sie; sie frohlocken gewaltig über die, so in Trübsal sind. Thomas Wilcocks 1586
V. 6 Der gütige Geber und der frohe Sänger
Der ganze Psalm eignet sich dazu, das stufenmäßige Auf-steigen von der Trauer zu jauchzender Freude zu schildern, wobei auf den Wendepunkt, das Gebet, der Nachdruck zu legen ist, also: Trauern, Beten, Frohlocken. Archibald G. Brown 1869
° Wer von der Vergangenheit nicht lernen will, kann dazu vorurteilt werden, sie wiederholen zu müssen.
° Sorgen nehmen dem Morgen niemals die Schmerzen, sie entziehen aber dem Heute seine Kraft.
° Alles hat seine Zeit, aber es hat nicht Zeit für alles.
° Zeit kannst du dir nicht sparen, du musst sie dir kaufen.
° Gott hilft nicht immer vorbei, aber hindurch.
° Neunzig Prozent aller Befürchtungen treffen nicht ein.
° Es gibt kein schlechtes Wetter, nur ungünstiges.
° Ich freue mich, wenn ungünstiges Wetter ist, denn wenn ich mich nicht freue, ist es dennoch ungünstiges Wetter.
° Es ist für mich nicht schwer, die ganze Welt zu lieben. Mein einziges wirkliches Problem ist mein Nächster.
– Man darf manchmal schmunzeln:
° Der Vorteil der Klugheit ist, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger.
° Ein Schlüsselbund ist eine Erfindung, die es möglich macht, mehrere Schlüssel gleichzeitig zu verlieren.
° Altern ist ein hochinteressanter Vorgang: Man denkt und denkt und denkt, plötzlich kann man sich an nichts erinnern.
° Schwäbische Einladung: „Kommen Sie am besten gleich nach dem Mittagessen, dann können Sie zum Kaffeetrinken wieder zu Hause sein.“
° Wenn Sie vollkommen erledigt sind, heben Sie fröhlich den Kopf und rufen Sie laut: „Ich bin vollkommen erledigt!“
23.- 26. 4.: Halle (1Pe 1; Johannes 1-3)
27. 4. - 1. 5.: Papenburg (GalBrf)
4./5. 5.: Zollikofen (Heb)
6. 5.: Wetzikon
20.- 29. 5.: Danes, Rumänien (Hl. Geist)
31. 5.- 3. 6.: Weinsberg (Johannes 1-12)
4.-10. 6.: Neuwied-Urbach
Wir danken für die Fürbitte in der Übersetzung des AT.
Herbert Jantzen spricht manchmal in einer Versammlung in Kelowna (Kanada). Er ist dankbar für die Fürbitte.
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In „Unterwegs notiert” geben wir (seit 1999) Gedanken weiter, die im geistlichen Gespräch oder im Dienst am Wort eine Hilfe sein können. Die Zustellung ist unentgeltlich. Frühere Nummern können bei www.sermon-online.de heruntergeladen werden. Hrsg. Th. Jettel ([email protected] Breitistr. 58, CH-8421 Dättlikon; +41 52 3010215). Mitarbeit von H. Jantzen (Kanada; +1 587 343 0017). Beiträge zum Inhalt bitte an den Herausgeber. Inhalte dürfen vervielfältigt werden. (Bankverbindung: Thomas Jettel, IBAN: DE73 684922000001462814) Zur Erleichterung des Versandes bitte E-Mail-Adressen dem Herausgeber bekannt geben. Wer das Blatt nicht mehr erhalten möchte, darf es ohne weiteres abbestellen.