Prof.
Dr. Werner Gitt
Ein
Auszug aus dem Buch: „Fragen, die immer wieder gestellt werden“
16.
Auflage
Vor dem Sündenfall gab es weder Tod noch Leid, weder Schmerz noch irgend etwas von dem, was uns heute so viel Mühe macht. Gott hatte alles so gestaltet, dass der Mensch unter idealen Bedingungen leben konnte. In freier Entscheidung ging der Mensch eigene Wege, die von Gott wegführten. Warum Gott uns einen so weiten Freiheitsradius zubilligt, können wir nicht erklären. Wir stellen aber fest: Wer von Gott weggeht, gelangt ins Elend. Diese bittere Erfahrung machen wir bis zum heutigen Tag. Manche Menschen sind dazu geneigt, Gott die Schuld zuzuschieben. Dabei sollten wir bedenken, dass nicht Gott, sondern der Mensch der Verursacher ist. Wenn wir des Nachts auf der Autobahn das Scheinwerferlicht ausschalten und es so zu einem Unfall kommt, dürfen wir nicht dem Autohersteller die Schuld geben. Er hat die konstruktiven Vorgaben für die Beleuchtung gegeben; wenn wir sie willentlich ab- schalten, ist das allein unsere Sache. „Gott ist Licht“ (1. Johannes 1, 5), und wenn wir uns in die Finsternis der Gottesferne begeben, dürfen wir uns nicht bei dem Schöpfer beklagen, der uns doch für seine Nähe geschaffen hat. Gott ist und bleibt ein Gott der Liebe, denn er hat Unvorstellbares getan: Er gab seinen eigenen Sohn dahin, um uns aus unserer selbstverschuldeten Situation freizukaufen. Jesus sagt von sich in Johannes 15, 13: „Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“ Gibt es eine größere Liebe? Nie ist etwas Größeres für den Menschen vollbracht worden als in der Tat auf Golgatha: Das Kreuz ist somit der Höhepunkt göttlicher Liebe. Wir leben alle – ob gläubig oder ungläubig – in der gefallenen Schöpfung, in der das Leid in all seinen uns wohlbekannten Ausprägungen genereller Bestandteil ist. Nicht deutbar bleibt für uns das individuelle Leid. Warum geht es dem einen gut, und der andere ist durch Not und schwere Krankheit hart geschlagen? Oft muss der Gläubige sogar mehr leiden als der Gottlose, wie es der Psalmist feststellt: „Denn es verdross mich der Ruhmredigen, da ich sah, dass es den Gottlosen so wohl ging. Denn sie sind in keiner Gefahr des Todes, sondern stehen fest wie ein Palast. Sie sind nicht im Unglück wie andere Leute und werden nicht wie andere Menschen geplagt“ (Psalm 73, 3-5). Er findet aber auch die rechte Einordnung seiner individuellen Not, die er nicht als Strafe für eigene Sünde ansieht. Er hadert nicht mit Gott, sondern klammert sich fest an ihn: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei deiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich endlich mit Ehren an… Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil“ (Psalm 73, 23-24+26).