Seltsam, wie still nachts um
2 Uhr die Grosstadtstrassen sein können, die am Tage mit Lärm erfüllt sind!
Schwarz und schweigend stehen die Häuser. Trübe scheinen die Lampen durch den
dunklen Nebel.
Fröstelnd biege ich ein in
die Strasse, die zu dem Krankenhaus führt. Mitten in der Nacht hat mich das
Telefon geweckt: Ein Sterbender verlangt nach dem Pfarrer.
Aus einem Hause fällt Licht.
Zankende Stimmen stören die Ruhe der Nacht. Um welche Kleinigkeit man sich dort
wohl streitet? Und in dem Krankenhaus schickt sich eine Seele an, in die
Ewigkeit zu gehen.
Es ist so wunderlich: Ich
sollte das Sterben doch gewohnt sein! Wie viele habe ich dahingehen sehen – auf
Schlachtfeldern und auf Krankenbetten! Aber – es ist und bleibt eine
erschütternde Sache, wenn der lebendige Gott ruft: „Kommt wieder, Menschenkinder!“
Ich muss mich beeilen! Bald
stehe ich vor dem großen
Gebäude. Der Pförtner weiß schon Bescheid und weist mich auf die richtige
Station.
Und nun betrete ich das
Krankenzimmer. Im Bett ein noch junger Mann. Seine Frau sitzt erregt bei ihm.
Als sie mich sieht, springt sie auf: „Herr Pfarrer, geben Sie meinem Mann
schnell das Abendmahl!“
Ich schaue auf den
Patienten. Der Tod hat das Gesicht schon gezeichnet. Der Kranke nimmt keine
Notiz mehr von meinem Kommen.
Nein! Ich werde den Mann
nicht mehr mit einer Abendmahlsfeier quälen. Aber es ist meine Überzeugung,
dass die Sterbenden unser Wort noch hören, auch wenn der Leib keine Zeichen des
Verständnisses mehr gibt. Und darum will ich den Mann in die Ewigkeit begleiten
mit meinem Gebet und mit den Worten der Gnade.
Die Frau hält meine Hand
fest: „Herr Pfarrer, schnell! Geben Sie meinem Manne das Abendmahl!“
Ich schiebe sie beiseite.
Ihre Unruhe ist bedrückend. Dann beuge ich mich zu dem Kranken und sage ihm
ganz langsam das Bibelwort: „Das Blut Jesu Christi macht uns rein von aller
Sünde …“
Langsam schlägt er die Augen
auf und sieht mich an. Die Frau packt meinen Arm: „Schnell! Das Abendmahl!“
Wenn ich doch die Frau zur
Ruhe bringen könnte! Ich führe sie auf den Korridor hinaus und versuche ihr
klar zu machen, dass ihr Verlangen sinnlos sei. „Sehen Sie, Ihr Mann ist schon
viel zu elend. Das Abendmahl quält ihn jetzt nur.“
Sie schluchzt auf: „Aber er
soll doch selig werden!“
Was soll man da sagen? „Frau!“
erkläre ich ihr erregt, „meinen Sie denn, eine äußerliche Zeremonie könne vom
Gericht Gottes erretten? Wenn Ihr Mann den Herrn Jesus Christus kennt als
seinen Heiland und an Ihn glaubt, dann ist er errettet – auch wenn er jetzt
nicht das Abendmahl nimmt. Und ohne Jesus – ja, da hilft auch kein Abendmahl!“
Aber sie lässt nicht nach!
Sie erzählt, wie sehr ihr Mann nach dieser Feier begehre. Sie drängt …
Ach, ich war damals ein
junger Anfänger im Amt. Auf der Universität hatte mich kein Mensch auf solche
Fälle vorbereitet. Hilflos stand ich im Zweifel, was zu tun sei. Dann gab ich
nach.
Wir gingen in das Zimmer.
Schnell richtete ich die Geräte. Der Mann war durch die leise Unruhe aufgewacht.
Still und – wie mir schien – gesammelt, war er jetzt ganz bei der Sache.
„Dies ist der Kelch des
neuen Testaments in meinem Blute, das für euch und für viele vergossen wird zur
Vergebung der Sünden …“ In der unendlich stillen Nachtstunde standen diese
gewaltigen Worte wie Felsen der ewigen Errettung …
Betend wartet der
Krankenwärter im Hintergrund. Ich kannte ihn als einen von Herzen gläubigen
Christen.
Als die Feier zu Ende war,
sank der Mann befriedigt zurück in die Kissen. Ich verließ mit dem Wärter das
Zimmer. Nun sollten die beiden Eheleute allein sein, um Abschied zu nehmen.
Aber – ich kam noch nicht
fort. Der Wärter verwickelte mich in ein Gespräch. Und ich ließ es gern
geschehen. Mir war, als sei diese Sache noch nicht zu Ende.
Es verging eine halbe Stunde.
Alles war still.
„Wir wollen nach dem Kranken
sehen“, sagte ich und öffnete die Tür.
Da bot sich mir ein verblüffendes
Bild: aufrecht saß der Mann im Bette. Lachend rief er uns zu: „Ich bin über den
Berg. Es geht besser!“ Und lachend und weinend warf sich die Frau an seinen
Hals.
Es war erstaunlich. Aber warum
sollte das nicht stimmen? Es läuft mancher durch die Strassen, den die Ärzte
einmal aufgegeben hatten. Und die Freude der beiden steckte einfach an. Da musste
man sich mitfreuen.
Ich nahm die Hand des Kranken:
„Wie glücklich bin ich, dass ich das miterleben darf.“ Und nun ergriff mich
dieser Wechsel der Situation mächtig. Ich musste noch ein Wort sagen: „Lieber
Mann, als Sie an den Pforten der Ewigkeit standen, ist der Herr Jesus zu Ihnen gekommen
mit Seiner Gnade. Lassen Sie nun nicht mehr von diesem Heiland!“
Da ging auf einmal ein
abscheuliches Grinsen über das Gesicht des Mannes – es war wie ein Flammenschein
der Hölle. Spöttisch lächelnd sagte er: „Ach, das alles brauche ich doch nicht mehr. Ich lebe ja wieder!“
Erschüttert stand ich. Jedes
Wort blieb mir in der Kehle stecken. Und während ich noch so stand, griff der Patient
plötzlich nach seinem Herzen und – sank langsam zurück. Er war tot!
Da bin ich in die Nacht geflohen
…