Wilhelm Busch

Christus lebt!

Erlebnisse und Kurzgeschichten

 

„Aber – – – Christus lebt!“

 

Der junge Bauer auf dem einsamen westfälischen Hof machte große Augen. „Sie wollen Ihre Räder bei mir abstellen? Natürlich können Sie das! Aber – sagen Sie mal! – was ist denn eigentlich los? In meiner Scheune stehen sicher schon etwa hundert Fahrräder. Und – sehen Sie! – dahinten kommt schon wieder ein Trupp!“

Er spähte auf die regennasse Landstrasse hinaus. Leise fieselte ein Sprühregen. Man konnte nicht weit sehen. Der Wind trug uns einzelne Töne des Fahrtenliedes zu, das die heranziehende Schar sang.

„Die kommen zu Fuß!“ sagte der Bauer. „Einen Wimpel haben sie auch. So geht das nun schon den ganzen Nachmittag. Und alles zieht hinauf zur Schwedenschanze …“ Er zeigte auf eine nebelverhangene Kuppe des Teutoburger Waldes.

„Kommen Sie doch mit!“ luden wir ihn ein, während wir die Räder in der Scheune abstellten. Er überlegte einen Augenblick, ging dann ins Haus und kam in einem Lodenmantel zurück.

„Jetzt kann's losgehen!“ lachte er. „Nun bin ich aber gespannt!“ Während wir auf steilen, kleinen Wegen in die Berge stiegen, erzählten wir ihm, die evangelische Jugend habe an alle jugendbewegten Kreise die Parole aufgegeben: „Wir treffen uns am Sonnabend vor Ostern auf der Schwedenschanze zu Aussprache und Osterfeuer!“ Diese Botschaft sei nur von Mund zu Mund durchgegeben worden. Und nun habe sich eben die Jugend aller Schattierungen aufgemacht.

„Ja, – aber – bei diesem Wetter?!“ meinte er etwas erstaunt. „Das habe ich doch gesehen, dass manche von weit her kommen.“

Wir lachten. Es war die Zeit nach dem ersten Weltkrieg, in der eine herrliche und seltsame Bewegung durch die Jugend ging. Man hatte bei Fahrt und Lager eine neue Welt gefunden. Und in dem entschlossenen Willen zur inneren Wahrhaftigkeit, in dem neuen Lebensstil und in der Ablehnung der verrotteten „alten Welt“ verstand man sich mit der Jugend anderer Färbung tausendmal besser als mit den „Alten“ des eigenen Lagers.

Über solchen Gesprächen hatten wir die kahle Kuppe der Schwedenschanze erreicht. Fröhliche Rufe empfingen uns. Der Regenwind peitschte die Wimpel von Pfadfindern, evangelischer Jugend, sozialistischen Gruppen, „Landsknechten“, Gilden – und was alles so aufbrach in jener stürmischen Zeit.

Und dann saßen wir unter ein paar alten Bäumen. Das Gespräch begann. Wir vergaßen Sturm, Regen, Nässe und Nebel über dem heißen Ringen.

Die neue Welt! Darum ging es! Und wir Christen sagten, da müsse man davon ausgehen, dass ja morgen der Tag der Auferstehung Jesu sei. In diesem Ereignis sei die neue Welt angebrochen. Ohne den lebendigen Herrn Jesus müsse alles, was wir ersehnten wieder im Alten untergehen. Wir bezeugten das aus unserem Wissen um Jesus, ohne zu ahnen, wie schrecklich die Zukunft uns Recht geben würde.

Ich weiß nicht mehr, was alles in jener hereinbrechenden Nacht vor Ostern gesagt wurde. Nur der Schluss unseres Gesprächs hat sich mir unvergesslich eingeprägt.

Fackeln waren angezündet worden. Und im flackernden Lichte stand ein erregter junger Mann und rief: „Schluss mit dem Christentum! Das hat 2000 Jahre Zeit gehabt, die Welt zu erneuern. Und was ist geschehen? In seinem Namen sind Menschen gemartert und getötet worden! In seinem Namen ist eine Welt von Heuchelei aufgebaut worden! Schluss damit! Ein Neues muss kommen! Das Christentum ist tot! Das Christentum ist tot!“

Plötzlich stand neben ihm ein blonder junger Westfale. Ich sehe ihn noch vor mir, wie der Wind an seinem Haarschopf zerrte. Mit einer entschlossenen Handbewegung gebot er dem anderen Schweigen. Und dann rief er – und es war ein unendlicher Jubel in seiner Stimme: „Gut! Mag sein! Es mag sein, dass das Christentum tot ist. Aber – Jesus Christus lebt!

Auf einmal war tiefes Schweigen über den Hunderten von jungen Menschen.

Und dann rief einer mit heller Stimme: „Nun das Osterfeuer!“

Wir liefen zu dem riesigen Holzstoss. Das Holz war nass, und das Feuer musste sich erst durchsetzen. Aber dann prasselte es hoch auf.

Und während der Sturm das Feuer peitschte, sangen wir jauchzend:

 

Du hast in dieser armen Welt

Ein Feuer angefacht,

Und deine heilge Rechte hält

Noch immer drüber Wacht.

So brennt's und lodert's da und dort

Trotz Wind und Wasser immerfort;

O schür die Glut, dass Funken sprühn

Lass auch in uns dein Feuer glühn,

Lass Funken sprühn, dass unsre Herzen glüh'n!

 

Heut zünden wir ein Feuer an

Und weihen dir die Nacht;

Wir freuen uns wie Kinder dran,

Dass du uns Licht gebracht.

Ein Licht aus unsres Vaters Welt

Bist du in unsre Nacht gestellt;

Dein Leben leucht' wie Sonnenschein

In unsre kalte Welt hinein;

Zieh uns hinein in deinen Sonnenschein.

A. Maurer

 

Es war lange nach Mitternacht, als wir mit dem jungen Bauern hinabstiegen. Der Regen hatte aufgehört. Über uns leuchteten die Sterne.

Kein Wort wurde mehr gesprochen. Nur ganz von ferne hörte man den Gesang einer Schar, die über den Kamm des Gebirges davonzog. Leise sangen wir mit: „Das Reich ist dein, Herr Jesu Christ, das Reich, um das wir fleh'n…“