Der junge Bauer auf dem
einsamen westfälischen Hof machte große Augen. „Sie wollen Ihre Räder bei mir
abstellen? Natürlich können Sie das! Aber – sagen Sie mal! – was ist denn
eigentlich los? In meiner Scheune stehen sicher schon etwa hundert Fahrräder.
Und – sehen Sie! – dahinten kommt schon wieder ein Trupp!“
Er spähte auf die regennasse
Landstrasse hinaus. Leise fieselte ein Sprühregen. Man konnte nicht weit sehen.
Der Wind trug uns einzelne Töne des Fahrtenliedes zu, das die heranziehende
Schar sang.
„Die kommen zu Fuß!“ sagte
der Bauer. „Einen Wimpel haben sie auch. So geht das nun schon den ganzen
Nachmittag. Und alles zieht hinauf zur Schwedenschanze …“ Er zeigte auf eine nebelverhangene Kuppe des Teutoburger Waldes.
„Kommen Sie doch mit!“ luden
wir ihn ein, während wir die Räder in der Scheune abstellten. Er überlegte
einen Augenblick, ging dann ins Haus und kam in einem Lodenmantel zurück.
„Jetzt kann's losgehen!“ lachte
er. „Nun bin ich aber gespannt!“ Während wir auf steilen, kleinen Wegen in die
Berge stiegen, erzählten wir ihm, die evangelische Jugend habe an alle jugendbewegten
Kreise die Parole aufgegeben: „Wir treffen uns am Sonnabend vor Ostern auf der
Schwedenschanze zu Aussprache und Osterfeuer!“ Diese Botschaft sei nur von Mund
zu Mund durchgegeben worden. Und nun habe sich eben die Jugend aller
Schattierungen aufgemacht.
„Ja, – aber – bei diesem Wetter?!“
meinte er etwas erstaunt. „Das habe ich doch gesehen, dass manche von weit her
kommen.“
Wir lachten. Es war die Zeit
nach dem ersten Weltkrieg, in der eine herrliche und seltsame Bewegung durch die
Jugend ging. Man hatte bei Fahrt und Lager eine neue Welt gefunden. Und in dem
entschlossenen Willen zur inneren Wahrhaftigkeit, in dem neuen Lebensstil und
in der Ablehnung der verrotteten „alten Welt“ verstand man sich mit der Jugend
anderer Färbung tausendmal besser als mit den „Alten“ des eigenen Lagers.
Über solchen Gesprächen hatten
wir die kahle Kuppe der Schwedenschanze erreicht. Fröhliche Rufe empfingen uns.
Der Regenwind peitschte die Wimpel von Pfadfindern, evangelischer Jugend,
sozialistischen Gruppen, „Landsknechten“, Gilden – und was alles so aufbrach in
jener stürmischen Zeit.
Und dann saßen wir unter ein
paar alten Bäumen. Das Gespräch begann. Wir vergaßen Sturm, Regen, Nässe und Nebel
über dem heißen Ringen.
Die neue Welt! Darum ging
es! Und wir Christen sagten, da müsse man davon ausgehen, dass ja morgen der
Tag der Auferstehung Jesu sei. In diesem Ereignis sei die neue Welt
angebrochen. Ohne den lebendigen Herrn Jesus müsse alles, was wir ersehnten wieder
im Alten untergehen. Wir bezeugten das aus unserem Wissen um Jesus, ohne zu ahnen,
wie schrecklich die Zukunft uns Recht geben würde.
Ich weiß nicht mehr, was
alles in jener hereinbrechenden Nacht vor Ostern gesagt wurde. Nur der Schluss
unseres Gesprächs hat sich mir unvergesslich eingeprägt.
Fackeln waren angezündet worden.
Und im flackernden Lichte stand ein erregter junger Mann und rief: „Schluss mit
dem Christentum! Das hat 2000 Jahre Zeit gehabt, die Welt zu erneuern. Und was ist
geschehen? In seinem Namen sind Menschen gemartert und getötet worden! In seinem
Namen ist eine Welt von Heuchelei aufgebaut worden! Schluss damit! Ein Neues muss
kommen! Das Christentum ist tot! Das Christentum ist tot!“
Plötzlich stand neben ihm
ein blonder junger Westfale. Ich sehe ihn noch vor mir, wie der Wind an seinem Haarschopf
zerrte. Mit einer entschlossenen Handbewegung gebot er dem anderen Schweigen. Und
dann rief er – und es war ein unendlicher Jubel in seiner Stimme: „Gut! Mag sein!
Es mag sein, dass das Christentum tot
ist. Aber – Jesus Christus lebt!“
Auf einmal war tiefes
Schweigen über den Hunderten von jungen Menschen.
Und dann rief einer mit heller
Stimme: „Nun das Osterfeuer!“
Wir liefen zu dem riesigen
Holzstoss. Das Holz war nass, und das Feuer musste sich erst durchsetzen. Aber dann
prasselte es hoch auf.
Und während der Sturm das Feuer
peitschte, sangen wir jauchzend:
Du
hast in dieser armen Welt
Ein
Feuer angefacht,
Und
deine heilge Rechte hält
Noch
immer drüber Wacht.
So
brennt's und lodert's da und dort
Trotz
Wind und Wasser immerfort;
O
schür die Glut, dass Funken sprühn
Lass
auch in uns dein Feuer glühn,
Lass
Funken sprühn, dass unsre Herzen glüh'n!
Heut
zünden wir ein Feuer an
Und
weihen dir die Nacht;
Wir
freuen uns wie Kinder dran,
Dass
du uns Licht gebracht.
Ein
Licht aus unsres Vaters Welt
Bist
du in unsre Nacht gestellt;
Dein
Leben leucht' wie Sonnenschein
In
unsre kalte Welt hinein;
Zieh
uns hinein in deinen Sonnenschein.
A.
Maurer
Es war lange nach Mitternacht,
als wir mit dem jungen Bauern hinabstiegen. Der Regen
hatte aufgehört. Über uns leuchteten die Sterne.
Kein Wort wurde mehr
gesprochen. Nur ganz von ferne hörte man den Gesang einer Schar, die über den
Kamm des Gebirges davonzog. Leise sangen wir mit: „Das Reich ist dein, Herr
Jesu Christ, das Reich, um das wir fleh'n…“