Es war eine jener trostlosen
Straßen, wie sie überall in großen Industriestädten zu finden sind: endlose
Reihen geschmackloser Mietskasernen, grau geworden vom Ruß, der aus unzähligen
Schloten quillt, – rasselnde und bimmelnde Straßenbahnen, – Lastautos, die
lärmend über das schlechte Pflaster holpern, – Kneipen, aus denen kreischend
Radiomusik ertönt – – und dazwischen Menschen! Menschen! Dichtgedrängt!
Die Not des Lebens steht ihnen im Gesicht geschrieben.
Und Kinder! Scharen von
Kindern! Sie spielen unbekümmert und bringen es fertig, in dieser traurigen
Umgebung dasselbe Jugendparadies zu finden wie andre „im schönsten Wiesengrunde“.
Ein paar Buben rennen mich
beinahe um. Sie kommen mir gerade recht. Ich bin erst seit kurzem in dieser
Stadt und kenne die Gegend noch nicht genau. Nun soll ich einen Kranken
besuchen, der „Auf der Soldatenwiese“ wohnt. Wo in aller Welt mag hier die Soldatenwiese
sein? So weit ich sehe: nirgends etwas Grünes!
So halte ich nun den Buben,
der beim eifrigen Spiel fest: „Weißt Du, wo die Soldatenwiese ist?“
„Ja, das ist doch das
Barackenlager hinter dem alten Friedhof.“ „Wo ist denn der alte Friedhof?
Kannst Du mir nicht den Weg dahin zeigen?“
Er schaute sich nach seinen
Freunden um. Die haben sich neugierig herzu gemacht. „Geht ihr mit?“ fragte er.
Und ich lerne hier wieder die Macht der „Horde“ kennen. Wenn die andern „Nein!“
sagen, wird er um nichts in der Welt zu bewegen sein, mir den Weg zu weisen.
Aber ich habe Glück: sie wollen alle mit. Und so ziehe ich weiter – nun mit
einem stattlichen Gefolge von 12 Buben.
Sie erwarten offenbar etwas
von mir. Gut! Ich werde sie nicht enttäuschen. „Wollt ihr eine Geschichte
hören?“
„Klar! Fangen Sie an!“
Und während wir uns durch
den Lärm und das Gedränge schieben, erzähle ich ihnen die biblische Geschichte,
wie die Jünger beim Sturm auf dem See Genezareth in große Not gerieten, wie
aber der Herr Jesus dann mit Seinem machtvollen Wort den Sturm stillte.
Buben hören gern von Jesus.
Und so gefiel ihnen diese Geschichte so gut, dass sie noch mehr verlangten. Ich
erzählte. Ärgerlich, erstaunt, lächelnd und auch wütend schauten uns die Leute
nach. Denn ich musste ja recht laut reden, damit ich bei dem Lärm verstanden
wurde. Und jedenfalls war der Name Jesus
auf solch einer Straße nicht gerade etwas Alltägliches.
Inzwischen hatten wir den
alten Friedhof erreicht. Hier bogen wir ab in einen ganz schmalen Weg, der am
Kirchhofgitter entlang führte.
Da hielt auf einmal einer der
Buben an und sagte erstaunt: „Wie still es hier ist!“ Ich musste lächeln:
solchen Großstadtjungen fällt es nicht auf, wenn es abscheulich laut ist,
sondern wenn es still wird.
Aber wir blieben nun alle
stehen und lauschten hinein in die Stille des alten Friedhofs. Man hörte nur
den Wind in den Bäumen rauschen. Und von fern den Lärm der Straße.
„Buben!“ sagte ich, „jetzt
ist es da drin im Friedhof ganz still. Aber es wird einmal ein Tag kommen, an
dem es hier ein großmächtiges Leben und Gedränge gibt.“
„Wenn der Friedhof abgeräumt
wird!“ erklärt einer, der Bescheid weiß.
„Nein! Das meine ich nicht.
Ich denke an den Tag, „wenn einst die Posaun' erklingt, die auch durch die
Gräber dringt.“ Und nun erzähle ich ihnen die unerhörte Botschaft der Bibel,
dass die Toten auferstehen werden; und dass der Herr Jesus als der Erstling
schon auferstanden ist.
Atemlos hören die Buben mir
zu.
„Und dann?“ fragt einer.
„Ja, seht, da war ein Jünger
des Herrn Jesus. Dem hat Gott in wunderbarer Weise gezeigt, was dann kommt. Ich
will es euch in den Worten dieses Johannes sagen: ,Und
ich sah einen großen weißen Stuhl und den, der darauf saß; vor des Angesicht
floh die Erde und der Himmel, und ihnen ward keine Stätte gefunden. Und ich sah
die Toten, beide, groß und klein, stehen vor Gott, und Bücher wurden aufgetan.
Und ein anderes Buch ward aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die
Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken. Und
so jemand nicht ward gefunden geschrieben in dem Buch des Lebens, der ward
geworfen in den feurigen Pfuhl'.“
Schweigend haben alle
zugehört. Aber es ist fast, als seien diese gewaltigen Worte der Offenbarung zu
groß für sie. Ich muss es ihnen in ihre Sprache übersetzen:
„Bub, wie heißest du?“ frage
ich einen.
„Ich? Ich heiße Eduard.“
„Also Eduard, pass einmal
auf. Da steht also eine unübersehbare Menge vor diesem weißen Thron. Einer nach
dem andern wird aufgerufen. Auf einmal ruft ein Engel mit starker Stimme: „Eduard!“
Und dann steht der Eduard ganz allein vor Gott. Und da sagt Gott zu dem starken
Engel Gabriel: ,Sieh doch nach, ob der Eduard im Buch
des Lebens steht.' Und der Engel blättert in dem großen Buch und sucht – – er
schlägt die nächste Seite um – nichts! – er sucht weiter – die übernächste
Seite – – wieder nichts – er blättert weiter – – und sucht – – –“
Die Buben halten vor
Spannung den Atem an.
Und ich erzähle weiter. Über
dem Erzählen wird es mir selbst von neuem ganz eindringlich groß, dass wirklich
unser ganzes Leben und alle Welt- und Menschengeschichte auf das große Gericht
Gottes zueilen, und wie ernst doch Gott uns nimmt, dass ein jeder sein Gericht
erleben und erleiden muss.
„Immer noch sucht der Engel
Gabriel. Eine gewaltige Stille liegt über der ungeheuren Versammlung. Auf
einmal ruft der Engel Gabriel laut: ,Da steht der
Eduard im Buch des Lebens!'“
„Ha, das wäre großartig!“
sagt aufatmend der Eduard.
„Ja, Eduard“, sage ich, „das
wäre herrlich, wenn dein Name einmal im Buche des Lebens stünde! Und ich will
dir auch sagen, wie das geschehen kann: Schenke du nur dein ganzes Herz dem
Herrn Jesus, von dem ich euch erzählt habe. Dann kann es dir nicht fehlen … Aber
da vorn sehe ich schon das Barackenlager. Das wird ja wohl die Soldatenwiese
sein. Da danke ich euch auch recht herzlich für die Begleitung!“
Und während die Buben laut
rufend davonziehen, geht mir der liebe alte Vers durch den Sinn:
„Schreib'
meinen Nam'n aufs Beste
Ins
Buch des Lebens ein,
Und
bind' mein Seel fein feste
Ins
schöne Bündelein
Der’r,
die im Himmel grünen
Und
vor dir leben frei:
So
will ich ewig rühmen,
Dass
dein Herz treue sei.“