Wilhelm Busch

Christus lebt!

Erlebnisse und Kurzgeschichten

 

Ringen um Tod und Leben

 

Langsam gehe ich durch den hellen Korridor des großen Krankenhauses, in dem ich die Seelsorge habe.

Als ich am Operationssaal vorbeikomme, öffnet sich die Tür. Ich sehe Schwestern und Ärzte, die sich über eine weißverhüllte Gestalt beugen.

Eben kommt der Professor heraus. Sein Gesicht ist wie verfallen. Selten habe ich einen Menschen so erschöpft gesehen. Mit einem flüchtigen Gruß geht er vorbei.

Hinter ihm geht eine Schwester. Sie erkennt mich und grüßt: „Eine schwere Operation gehabt?“, frage ich.

Sie nickt.

„Ist sie gelungen?“

Sie zuckt die Achseln: „Das schwerste scheint überwunden. Es ist ein Vater von fünf Kindern. Hoffentlich ringen wir ihn dem Tode ab.“

Das Wort klingt in mir noch nach, während ich weitergehe. Tod! Tod!

Ich ringe ja mit einem viel schrecklicheren Tode als der Professor. Gewiss, es ist schrecklich, wenn der Leib stirbt. Aber viel furchtbarer ist es, wenn die Seele erstorben ist, wenn sie nicht mehr auf Gottes Ruf reagiert, wenn sie keine Unruhe des Gewissens mehr spürt, wenn sie unfähig geworden ist zum Beten.

Da stehe ich vor einer weißen Tür.

Dahinter in dem großen Saal liegt so einer, um den ich ringe. Als ich zum ersten Mal an sein Bett trat, fing der alte Kerl an zu lachen. Und dann schimpfte er, man möge ihn doch mit dem „Quatsch“ in Ruhe lassen.

Ich ließ ihn ausreden. Dann aber sagte ich ihm das Wort: „Jesus Christus ist in die Welt gekommen, die Sünder zu erretten.“

Da lachte er wieder schallend und rief mir nach: „Sagen Sie Ihrem Jesus, er solle mir ein paar Zigaretten bringen!“

So ging es durch ein paar Wochen. Ich ließ ihn nicht los. Immer wieder stand ich vor diesem Bett. Immer wieder bekam ich dieselben blöden Reden zu hören. Und immer wieder sagte ich ihm ein Wort von Jesus, das er lachend von der Bettdecke wischte.

Aber vor ein paar Tagen war es auf einmal ganz anders. Da grüßte er freundlich. Ich zog mir einen Stuhl heran. Er sagte kein Wort. Langsam zog ich mein Testament heraus und las aus dem Buch:

„Kommet her zu Mir alle, die ihr mühselig und beladen seid …“

Weiter wagte ich noch nichts zu sagen. Er nickte schweigend – ich ging still weg, sah ihn aber lange an.

Nun stand ich wieder vor der Tür: „Hoffentlich ringen wir ihn dem Tod ab“, sagte ich leise und trat ein.

Das Bett war leer. „Gestern gestorben“, sagten die andern Patienten.