Irgendwo im Taunus war es,
auf einer einsamen Landstraße. Ein strahlender Vorfrühlingstag ging zu Ende.
Die Vögel sangen ihr Abendlied. Über die Wälder herüber klang eine Glocke. Über
den Wiesen und Feldern lag es wie frohe Erwartung: „Es muss doch Frühling
werden.“
Ich hatte mich auf einen
Stein gesetzt und genoss den Abendfrieden.
Da kommt ein ganz alter Mann
des Weges daher. Der Rücken ist gebeugt, grau sind Haar und Bart.
„Guten Abend!“ rufe ich ihm
fröhlich zu.
Keine Antwort.
Lauter rufe ich: „Guten
Abend!“
Da dreht er sich einen
Augenblick herum und knurrt: „Sie werden einen Schnupfen kriegen, wenn Sie noch
lange dasitzen!“
Ich muss lachen: „So ein
Grobian!“ Aber dann stehe ich auf und gehe ihm nach.
„Ein schöner Abend“, sage
ich.
„Kühl“, knurrt er.
„Jetzt wird's bald Frühling!“
meine ich.
„'s wird Zeit“, brummte er.
So geht das eine Weile. Ich
suche ihn fröhlich zu stimmen. Er brummt und schimpft nur. Da reißt mir die Geduld.
„Sagen Sie doch, lieber
Mann, haben Sie eigentlich gar nichts
zum Freuen?“
Da sieht er mich unsäglich
bitter und traurig an und antwortet hart: „Nein!“
Und dann ist's, als sei ein Damm weggerissen. Da ergießt sich ein Strom von
Anklagen gegen die Welt und gegen sein Dasein, gegen die bestehenden
Verhältnisse und gegen seine Kinder.
Der arme alte Mann! Er war
auch einmal jung, hatte sicherlich Freude gesucht, Schönes erhofft. Und nun ist
ihm am Rande des Grabes nichts geblieben als eine Enttäuschung und grenzenlose
Bitternis.
Wie Leid tut er mir!
Da wage ich eine letzte
Frage: „Haben Sie denn auch keine Hoffnung des zukünftigen Lebens?“
Energisch und zornig winkt
er ab: „Das ist ja alles Unsinn!!“ Und damit geht er auf einem Seitenweg davon.
Lange folge ich mit den
Augen der armen, gebeugten Gestalt. Sein letztes Wort hat mir das Geheimnis seines
Elends enthüllt: Er hat keinen Frieden mit
Gott.
Bei solch einem Leben steht
man am Ende bettelarm und verloren. Da hat man nichts mehr zum Freuen. Da ist
nur noch Grauen.
Während ich ihm nachsehe,
taucht in meiner Erinnerung ein anderes Bild auf:
Es ist noch gar nicht lange
her, da erlebte ich, wie ein starker Mann in den besten Jahren sich zum sterben
anschickte. Neben dem Bett saß seine Frau, und um ihn her stand ein Trüpplein weinender Kinder, die er unversorgt zurücklassen
musste.
Da bat der Sterbende: „Kinder,
singt mir noch ein Lied!“
„Was denn Vater?“
„Singt mir“, sagte er mit
schwacher Stimme, „singt mir den Vers: ,O dass ich
tausend Zungen hätte'.“
Und dann wurden alle Not und
das Grauen des Sterbens vertrieben von dem Lobe Gottes:
O
dass ich tausend Zungen hätte
Und
einen tausendfachen Mund
So
stimmt ich damit um die Wette
Vom
allertiefsten Herzensgrund
Ein
Loblied nach dem andern an
Von
dem, was Gott an mir getan.
Das war der Inhalt eines
Lebens, das durch Jesus Christus mit
Gott versöhnt war. Da gab's im Blick auf die Vergangenheit und im Blick auf
die Zukunft im Sterben nur das Lob Gottes.