Wilhelm Busch

Christus lebt!

Erlebnisse und Kurzgeschichten

 

Phrase oder Ewigkeitswort auf dem Friedhof

 

Der Friedhofswärter zuckt bedauernd die Schultern: „Sie müssen leider warten. Sie wollen doch das Kind von Familie X. beerdigen? Ja, da ist nun eine andre Feier, die noch nicht zu Ende ist.“

In diesem Augenblick höre ich die Klänge des Chopin'schen Trauermarsches. „Was ist denn da los?“

„Das ist eben diese andre Beerdigung“, sagt der Friedhofswärter. „Eine ganz große Sache!“ fährt er fort. „Da wird eine Frau begraben, die in der Partei eine große Rolle spielte. Und im Luftschutz! Natürlich ohne Pfarrer! Aber mit allem Drum und Dran: Luftschutz, Parteileute, Musik, Amtswalter. Weil die Halle zu klein war, sind sie im Freien.“

Also warten! Wenn die Männer der Partei erst einmal reden, geht es nicht so schnell. Es war zur Zeit des „Dritten Reiches“.

Ich ziehe mir meinen Talar an. Und dann? Ja, was soll ich nun machen? Wie wäre es, wenn ich mir diesen Aufmarsch ansähe?

Also gehe ich hinter die Halle auf den freien Platz. Das übliche Bild: Hakenkreuz-Fahnen, Blechmusik, Uniformen und ein schreiender Redner. Bescheiden stelle ich mich hinter die Letzten und höre zu. Aber der Redner hat mich erspäht. Irgendwie ist ihm die Anwesenheit eines Mannes im Talar unangenehm.

Ich zweifle nicht daran, dass er mich entdeckt hat, denn ich merke, wie er unruhig wird. In seiner Rede gibt er mir den Beweis dafür, als er nun einsetzt mit wilden Ausfällen gegen „die Pfaffen“. „Nicht diese Pfaffen sind die wahren Christen! Der Dienst in der Partei, den diese Tote getan hat, ist das wahre Christentum!“ In der Tonart geht es weiter.

Schließlich nimmt auch diese „gewaltige“ Rede ein Ende. Gegen den Sarg gewandt, ruft der Redner der Toten zu: „Gehe ein nach Walhall!“

Die Musik setzt ein, und der ganze Haufe zieht ab zum Grab, das weit draußen am Rande des Kirchhofes liegt.

Bald nachher ziehe ich mit den betrübten Eltern denselben Weg. Das kleine weiße Kindersärglein hat der Leichenträger einfach unter den Arm genommen.

Als wir an unserem Grabe ankommen, ist die andre Beerdigung eben zu Ende. Während der kleine Sarg in das Grab hinabgelassen wird, strömt die Menge vorbei. Als ich dann endlich anfangen will, entdecke ich, dass mein Parteiredner bei unserm Grab stehen geblieben ist. Ich überlege mir heute noch, warum er das tat: Wollte er einmal sehen, wie wir das machen? Oder wollte er nun über mich lächeln, wie ich über ihn gelächelt hatte? Ich weiß es nicht. Jedenfalls also stand er in seiner prunkenden Uniform etwas deplaziert hinter den unscheinbaren, weinenden Eltern.

Und dann ertönen die herrlichen, ewigen Worte der Bibel über diese Stätte des Todes: „Jesus sagt: Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Und: „Das Leben ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, welches war bei dem Vater und ist uns erschienen.“

Als alles zu Ende ist, ergibt es sich dann ganz von selbst, dass ich neben dem Amtswalter zurückgehe. Man muss schon jene Zeit miterlebt haben, um zu begreifen, wie seltsam das ist: der Mann in der braunen Uniform und der Pfarrer im Talar. Die Gärtner schauen uns erstaunt nach.

Er schweigt in allen Sprachen der Welt. So beginne ich das Gespräch: „Darf ich Ihnen eine Frage stellen?“

„Bitte!“

„Sie haben vorhin ihre Rede geschlossen mit dem Ruf: Gehe ein nach Walhall!“

„Ganz richtig!“

„Nun, ich will nicht davon reden, dass nach germanischer Mythologie nur die Männer nach Walhalla eingehen, nicht die Frauen. Wenn Sie diese Sprache schon sprechen, sollten Sie sie wenigstens richtig brauchen. Aber – wie gesagt – darauf will ich jetzt gar nicht eingehen.“

„Sie wollten mich etwas fragen!“

„Richtig! Sagen Sie: Gibt es Walhall?“

Schweigen. Dann fährt er auf: „Na hören Sie einmal! Der Führer selbst hat bei Hindenburgs Beerdigung …“

Ich unterbreche ihn: „Verzeihen Sie! Ich fragte: Glauben Sie an Walhall?“

Jetzt wird er ganz aufgeregt: „Passen Sie einmal auf! … Wenn man an … Ich meine, wir sollten …“

Wieder muss ich unterbrechen: „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir einfach mit Ja oder Nein antworten wollten. Gibt es Walhall?

Jetzt wedelt er ungeduldig mit der Hand: „Wie Sie nur so kindlich fragen können! Natürlich gibt es Walhalla nicht. Das sagt man nur so, um auszudrücken … ja, um auszudrücken …“

Mir genügt es. Und nun breche ich los: „Also Sie verkündigen an Gräbern Dinge, die Sie selber nicht glauben? Sehen Sie, das nenne ich pfäffisch. Das scheint mir das echte Kennzeichen eines Pfaffen zu sein, dass man Worte macht, die man selbst nicht ernst nimmt! Und das wagen Sie angesichts des Todes und der Ewigkeit! Das ist furchtbar! Wenn wir Jesum bezeugen und von der zukünftigen Welt reden und von der Auferstehung der Toten, dann meinen wir das so!“

„Heil!“ sagte er da mit schnarrender Stimme. Es klang wie eine Drohung. Dann bog er ab. Einen Augenblick lang wollte mich die Drohung beunruhigen. Aber dann überkam mich der Jammer um das arme, verführte Volk.