Wilhelm Busch

Das Passah-Lamm

 

„Durch den Glauben hielt Mose Passah und das Blutgießen, auf dass, der die Erstgeburten würgte, sie nicht träfe."

Hebräer 11, 28

 

Bei meinen Besuchen im Krankenhaus gab ich kürzlich einem jungen Zechenbeamten ein Blatt, in dem das Kreuz Christi bezeugt wurde.

Als ich ihn am nächsten Tage wiedersah, sagte er: „Ich habe das Blatt gelesen. Aber es kommt mir so seltsam weltfremd vor." Da fiel mir das Wort eines modernen Dichters ein: „Die Welt des Christ­lichen ist uns ferner als die Ammoniten der Kreidezeit."

So ist es in der Tat: Die Welt und die Gemeinde Jesu haben sich auseinandergelebt. Was bedeutet schon der Welt das Leiden Jesu?! Den Christen aber ist es die höchste Freude, sich mit dem Kreuze Christi zu befassen.

Wir wollen es uns jetzt deuten und erläutern lassen von einem seiner alttestamentlichen Vorbilder.

 

 

Die Erlösung durch das Passah-Lamm

 

1. Das Passah-Lamm in der Geschichte

 Wir gehen zurück in graue Vorzeit. Es ist etwa um das Jahr ein-tausendvierhundert vor Christi Geburt. Wir befinden uns in Ägyp­ten, das damals durch seine hohe Kultur eine Weltmacht war. Wir gehen nun nicht in das Königsschloss. Wir lassen auch die großen Häuser der übermütigen Ägypter hinter uns und treten in eine arm­selige Hütte am Rande der Stadt.

Da wohnen arme Leute aus der Gemeinde des Herrn im Alten Bund, aus Israel. Man sieht ihnen an, dass sie schreckliche Jahre hinter sich haben: Die Ägypter haben Gottes Volk furchtbar bedrückt und sind dabei vor grauenvollen Morden nicht zurückgeschreckt.

Es ist Abend. Aber niemand hat sich in der Hütte zur Ruhe gelegt, sondern hier herrscht eine wunderliche Betriebsamkeit. Es ist, als wenn zwei ganz verschiedene Tätigkeiten durcheinander liefen: Die Hausmutter packt den notwendigsten Hausrat in Bündel zusammen; sie rüstet ihre Kinder zu einer großen Reise. Es sieht aus wie bei unsern Flüchtlingen, wenn sie sich auf die Reise machen mussten. Der Hausvater aber ist beschäftigt, ein Lamm zu schlachten. Er trifft alle Vorbereitungen zu einem Festmahl. Was ist da los?

Von Gott gesandt, hat Mose am Morgen das Volk des Herrn zusam­mengerufen. Er hat ihnen gesagt: „Heute nacht wird Gott an den Ägyptern ein schreckliches Zeichen tun. Er wird alle Erstgeburt schlagen. Dann werden sie uns ausziehen lassen. Und wir werden in das Land ziehen, das Gott uns gibt, in das Land, wo Milch und Honig fließt. Aber ehe ihr auszieht, soll jede Familie das Passah-Lamm schlachten und essen."

Nun, wir wissen, wie die Israeliten in jener Nacht auszogen. Und wie sie in das verheißene Land kamen. Und Jahr für Jahr wurde zur Erinnerung an diese Erlösung das Passah-Lamm geschlachtet — bis Jesus, der Sohn Gottes, kam und als das wahre Passah-Lamm starb.

Gott hat es recht deutlich gemacht, dass Sein Sohn das Passah-Lamm ist. Denn Jesus wurde gerade am Passah-Fest gekreuzigt. Vorher hatten die Ältesten gesagt: „Ja nicht auf das Fest, weil da so viele Leute beisammen sind! Da könnte es einen Aufruhr geben." Aber gegen ihren Willen kam es so heraus, dass Jesus als Passah-Lamm erwiesen wurde.

 

2. Die neutestamentliche Bedeutung des Passah-Lammes

Alle, die in jener Nacht in Ägypten das Lamm aßen, waren gegürtet zur Wanderung, waren Fremdlinge in Ägypten und waren bereit, nach Kanaan zu gehen.

Und wer es mit dem gekreuzigten Jesus zu schaffen hat, wer — wie Er selbst sagt — im Glauben „sein Fleisch isset und trinket sein Blut" (Johannes 6, 56), der ist ein Fremdling in dieser Welt. Er hat einen ande­ren Geist als die Welt. Sein Ziel ist das himmlische Kanaan. Allezeit ist er fertig zur Abreise dorthin.

Aber in einem tieferen Sinn noch ist Jesus das Passah-Lamm. Um das zu erklären, muss ich noch einmal auf jene Versammlung zurückkommen, in der Mose die Anweisungen gab. Da sagte er: „Wenn ihr das Lamm schlachtet, dann sollt ihr das Blut des Lammes oben an die Türschwelle der Haustüre streichen. Heute nacht wird Gottes Ge­richtsengel durch Ägypten gehen. Er wird alle Erstgeburt töten, im Königsschloss ebenso wie in der Sklavenhütte. Nur wo er das Blut des Lammes sehen wird, da wird er vorübergehen." Das wurde eine schauerliche Nacht. Ägypten erfuhr, was bis zu die­sem Tage jeder irgendeinmal erfährt: „Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten." Da hebt das Klagegeschrei der Heiden an im Königs­schloss. Von Haus zu Haus geht das Weinen und Schreien. Überall leuchtet Licht auf und zeigt an, wo der unsichtbare Gerichtsbote sein Werk tut.

Erschrocken sitzt Gottes Volk in seinen Hütten bei dem Mahl des Lammes. Erschrocken — und doch voll stolzer Ruhe. Das Blut ist ja über der Türschwelle, das rettende Blut.

Und nun höre ich den Apostel Paulus jubeln: „Wir haben auch ein Passah-Lamm. Das ist Christus, für uns geopfert" (1. Korinther 5, 7). Das versteht nur der, der etwas weiß vom Zorne Gottes über die Sünde, der diesen Zorn im Gewissen erfahren hat. Die blinde Welt verharmlost Gott. Wie wird sie erschrecken, wenn Er Gericht hält! Denn: „Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht." Das sagt Gottes Wort. Findet sich über der Tür unse­rer Wohnung — ist an der Schwelle unseres Herzens das Blut Christi? Haben wir uns schon im Glauben unter den Schutz und die Bedeckung des Blutes Jesu gestellt? Dann dürfen wir in stolzer Ruhe und in tiefem Frieden Gottes leben.

Als der Gerichtsengel Gottes damals durch Ägypten zog, fragte er nicht, ob die Leute, die unter dem Schütze des Blutes standen, gut oder böse waren. Es gehörten sicher böse Buben dazu, die ihren Eltern viel Herzeleid gemacht hatten. Aber nun standen sie unter dem Blut und waren gerettet. Das Blut Jesu ist auch für die größten Sünder geflossen und rettet die ärgsten Feinde Gottes im Gericht. Der Engel fragte auch nicht, ob der Glaube der Leute dort hinter der blutigen Schwelle groß oder klein war. So wird dich nur das eine im Gericht retten, ob du im Glauben Jesu Blut dir angeeignet hast.

 

3. Die notwendige Voraussetzung für die Passah-Feier

Das war ein seltsames Mahl, das Gottes Volk in jener Nacht ein­nahm. Man aß das Fleisch des Lammes, aber dazu auch Brot. Ein seltsames Brot, ein Brot, bei dem keinerlei Sauerteig verwendet werden

durfte.

Bis zu diesem Tage wird es in den streng-jüdischen Häusern so ge­halten, dass zu Beginn des Passah-Festes der Hausvater mit einem Licht durch das ganze Haus geht und sich überzeugt davon, dass kein Sauerteig im Hause ist. Und damit machen die Juden deutlich, dass — wie Paulus sagt — „eine Decke vor ihren Augen hängt"; dass sie Gottes Anweisung nur äußerlich und mechanisch verstehen.

In 1. Korinther 5, 8 deutet uns Paulus diese Sache geistlich. Er sagt: „Lasst uns Passah halten, nicht im alten Sauerteig (er meint das alte Wesen des unbekehrten Menschen), auch nicht im Sauerteig der Bosheit und Schalkheit, sondern in dem Süßteig der Lauterkeit und Wahrheit."

Seht, da war in der korinthischen Gemeinde ein böser Fall von Ehe­bruch vorgekommen. Das war schlimm. Aber wir sehen ja an David, dass der Heiland sogar solch einen Sünder annimmt und dass Sein Blut rein macht von aller Sünde. Aber furchtbar war es, dass man in Korinth sich mit der Sache abgefunden hatte. Man ließ sie in der Gemeinde stillschweigend weiter geschehen.

Sehr ernst straft Paulus die Korinther und sagt ihnen in Vollmacht: Das Blut Christi, das errettet, verträgt sich nicht damit, dass man den Sauerteig des alten Wesens duldet. Mit Jesu Blut, im Glauben er­griffen, beginnt ein Neues. Und wer den Schutz des Blutes haben will, der muss täglich das alte Wesen ausfegen. Der Herr schenke uns den Mut zu solch tapferem Tun!