Wilhelm Busch

Davids Raub

 

„Das ist Davids Raub.“

1. Samuel 30, 20

 

Dies ist ein Wort aus einer aufregenden Geschichte, die uns aus dem Leben Davids berichtet wird.

Damals war er noch nicht König, sondern ein armer Flüchtling, der sein Leben vor der Feindschaft des Königs Saul zu retten suchte. Weil David ein rechter Held war, hatte sich im Laufe der Zeit eine große Zahl Männer ihm angeschlossen. Alle diese Leute nun hatten mit Weibern und Kindern eine Heimat gefunden in der Stadt Ziklag. Eines Tages kam David von langer Ausfahrt mit seinen Mannen zurück. Welch ein Schrecken! Die Stadt war nur noch ein rauchender Trümmerhaufen. Die Amalekiter waren eingefallen, hatten allen Be­sitz geraubt, die Stadt zerstört und die Frauen, Kinder und alles Vieh weggetrieben.

„Da hob David und alles Volk, das bei ihm war, ihre Stimme auf und weinten, bis sie nicht mehr weinen konnten." Und plötzlich bricht bei Davids Männern eine Wut gegen ihren Anführer auf: „David war sehr geängstet, denn das Volk wollte ihn steinigen." Durch welch schreckliche Einsamkeit musste David da gehen! Aber in dieser Not heißt es von ihm: „Er stärkte sich in dem Herrn, sei­nem Gott." Und nun zieht er den Feinden nach. Ein Teil seines Heeres lässt ihn im Stich. Aber mit dem Rest gewinnt er den Kampf, jagt den Amalekitern nicht nur das Geraubte ab, sondern macht noch reiche Beute. Und als er zurückkommt, jubelt alles Heer ihm zu: „Das ist Davids Raub!"

Wie sehr ist David hier ein Vorbild auf unsern Herrn Jesus, der dem Fleische nach „aus dem Hause und Geschlechte Davids" ist. Von Ihm sagt Gott in Jesaja 53, 12: „Ich will ihm große Menge zur Beute geben, und er soll die Starken zum Raube haben."

 

 

Das ist des Heilandes Raub!

 

1. Ich will das Verlorene wieder suchen

Dies Wort des Herrn steht im Buch des Propheten Hesekiel. Es ist gewissermaßen das Programm, der Kriegsplan des Sohnes Gottes: „Ich will das Verlorene wieder suchen."

So hat wohl auch David gesagt, als der starke Held weinend den Jammer sah, den der Feind angerichtet hatte. Wie schön war die Stadt gewesen, als sie ausgezogen waren! Friedevoll hatte sie im Morgensonnenschein gelegen. Und nun: Verwüstung, Jammer und Tränen!

So ist das Ziklag ein Bild der Welt, die so herrlich aus der Schöpfer­hand Gottes hervorging. „Und siehe da, es war sehr gut", sagt die Schrift. Es war eine wahrhaft göttliche Welt.

Aber dann kam die Katastrophe. Die Bibel nennt sie den Sündenfall. Seitdem ist die Welt voll von Jammer, Schuld und Herzeleid. Und der Teufel schleppt seine Gefangenen davon. Ich meine, alles, was die Amalekiter tun konnten, ist ein Kinderspiel gegen die grausame Tyrannei Satans: Kein Mensch will Krieg — und die Welt ist voll Morden. Alle schreien nach Liebe — und wir quälen einander! Trübe Leidenschaften herrschen, Gottlosigkeit, Lüge, Hass. Mit Recht nennt die Bibel den Satan den „Gott dieser Welt".

Jetzt könnte ich eine Statistik bringen über Ehescheidungen, Jugend­kriminalität, Selbstmorde, Lustseuchen.

Aber lasst uns doch lieber in unser eigenes Leben sehen! Paulus hat einmal im Römerbrief erschütternd über diese Zerrüttung unseres Lebens gesprochen: „Das Gute, das ich will, tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich." Kennen wir diese Klage?!

David weinte, als er die Verwüstung sah. O wie kann man diese Tränen verstehen! — Noch viel mehr aber greift es uns an das Herz, wenn uns die Bibel Andeutungen gibt über Tränen Gottes, die Seiner verlorenen Welt gelten. — Aber dann ermannt sich David. Und nun ist es mir, als dürften wir hineinschauen in die ewige Welt, wo der Sohn vor den Vater tritt: „Ich will das Verlorene wieder suchen!" Der Aufbruch des Sohnes Gottes aus der anderen Welt ist die Schicksalswende dieser verlorenen Welt. Da geht die Verheißung in Erfül­lung: „Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir."

 

2. Der einsame Kämpfer

Sehen wir wieder auf David, diesen Vorläufer Jesu! Es ist seltsam, wie auch diese Geschichte mancherlei Züge der Leidensgeschichte Jesu trägt. Hier sind gleichsam Linien angedeutet, die in Jesu Passion aus­gezogen werden.

„David war sehr geängstet" — wie viel mehr noch bebte der Sohn Gottes in abgrundtiefer Angst, ehe Er in den Kampf zog! Da sehen wir Ihn ringen und beten im Garten Gethsemane

„...denn das Volk wollte ihn steinigen." In der Leidensgeschichte Jesu wollte das Volk das nicht nur, sondern sie führten es auch aus. Wie schrieen sie alle: „Kreuzige ihn!"

In unserer Geschichte heißt es: „David jagte den Feinden nach. Als sie aber an den Bach Besor kamen, blieb ein Teil des Heeres stehen, die zu müde waren." Als es galt, ließen viele David im Stich. — Unsern Heiland haben alle, alle im Stich gelassen. Ganz allein stand Er im Kampf gegen die Mächte der Finsternis.

Und nun lasst uns im Geiste unter Jesu Kreuz treten, wo Er Seinen Kampf ausfechten muss. Seht den Mann mit der Dornenkrone! Seht Ihn im schrecklichsten Kampfgewühl, als Er schreit: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen!" Und hört Seinen Siegesruf: „Es ist vollbracht!"

Man kann viel am Kreuze sehen: unsere Versöhnung, die Vergebung der Schuld, den Zorn Gottes und die Gerechtigkeit der Erlösten. Aber heute — anhand unserer Geschichte — geht es um eine ganz beson­dere Seite: David hat die Amalekiter besiegt und ihnen den Raub abgejagt. So hat Jesus am Kreuz die Finsternismächte, welche seit dem Sündenfall die Welt gefangen halten, überwunden. Er hat „der Schlange den Kopf zertreten", oder, um ein anderes biblisches Bild zu brauchen: Er ist in den Palast des Starken eingebrochen und hat ihm den Raub genommen.

Seht, die Weiber und Kinder vom Heere Davids konnten in dieser Sache gar nichts tun. Der Kampf um sie wurde ohne ihr Zutun zwischen David und den Amalekitern ausgefochten. Auch der Kampf um uns wurde ohne uns zwischen Jesus und dem Teufel ausgefoch­ten. Und Jesus siegte. Wir können kaum die Bedeutung von Gol­gatha ermessen!

 

3. Der Raub

Der Kampf war zu Ende, die Amalekiter waren zerstreut. Ich sehe im Geist, wie David mit dem bluttriefenden Schwerte unter die Ver­schleppten trat: „So, nun könnt ihr nach Hause in die Freiheit! Der Sieg ist erfochten!" Glaubt ihr, dass da nur eines von diesen Frauen, Kindern und Greisen sich besann? Glaubt ihr, sie hätten sich nach den Amalekitern umgesehen? Sicher nicht!

Aber — wir tun das! Unter uns tritt der Sohn Gottes, blutbefleckt von Seinem Kampf auf Golgatha. Und Er verkündet uns Seinen Sieg und Freiheit für uns. Wir dürfen nach Hause, zum Herzen des himm­lischen Vaters, wo Friede, Freude, Leben unser warten. Aber — was geschieht? Man glaubt die Botschaft nicht und lässt sich weiter von den geschlagenen Amalekitern knechten, man dient der Welt, seinen Leidenschaften und dem Satan. Oder — man sehnt sich nach Freiheit, aber sucht sie nicht bei dem Sohne Gottes und Davids, beim Herrn Jesus Christus. Fasset doch, was das heißt: „Jesus Christus ist uns von Gott gemacht zur Heiligung und zur Erlösung." Ich sehe David nach dem Kampfe nach Hause ziehen. Um ihn drängt sich die frohe Schar. So heißt es auch von Jesus in einem Lied: „Es jauchzt um ihn die frohe Schar, / die lang in schweren Fesseln war."

„Ich will ihm große Menge zur Beute geben", sagt der Vater. Da will ich auch dabei sein — es gehe, wie es will. Mag Amalek wüten — Jesus hat doch gesiegt!