Wilhelm Busch

Der Hohepriester

 

„Aaron aber und seine Söhne waren im Amt, anzuzünden auf dem Altar... und zu versöhnen mit Israel, wie Mose, der Knecht Gottes, geboten hatte."

1. Chronik 6, 34

 

Vor kurzem las ich in einer Kunstbetrachtung einer großen Tages­zeitung den Satz: „Wir leben in einem Zeitalter, das sich planmäßig vom Schöpfergott absetzt."

Alte Soldaten verstehen diesen Kriegsausdruck. Wenn man einem Gegner nicht mehr standhalten kann oder will, dann „setzt man sich ab", d. h. man legt einen großen Raum zwischen sich und den Feind.

Jawohl, so hat es unsere Zeit mit Gott gemacht; sie hat Ihn als Störenfried und Feind empfunden und sich planmäßig abgesetzt von Ihm.

Das ist nichts Neues. Es war schon so vor 3000 Jahren, als unser Textwort geschrieben wurde. Die Völker der Erde hatten sich vom lebendigen Gott abgesetzt.

Doch mitten in dieser Situation gab es ein Israel, ein Volk Gottes. Und von dem heißt es: Aaron aber war im Amt, zu versöhnen Israel." Dies Israel hatte sich nicht abgesetzt von Gott. Im Gegenteil, diese Leute waren mit Gott versöhnt und darum Kinder Gottes. Solch ein Volk Gottes gibt es auch heute. Es hat eine andere Lebens­richtung als die ganze Welt ringsum. Während die Welt immer mehr und immer planmäßiger von Gott weggeht, sucht dies Volk Gottes seinen Hohenpriester und in Ihm die Versöhnung mit Gott. Davon lasst uns reden!

 

 

Versöhnt mit Gott

 

1. Ohne Versöhnung ist kein Weg zu Gott

Seit die Menschen sich planmäßig von Gott abgesetzt haben, können sie auch ganz gemütlich und harmlos von Ihm reden. Genau so, wie am Ende des letzten Krieges die „Werwölfe", mit Spazierstöcken bewaffnet, den Feind nicht fürchteten — bis seine Panzer da waren. Da war der Mut verflogen.

So geht es auch mit Gott. Erst wenn ein moderner Mensch in die Nähe Gottes kommt, dann merkt er: „Unser Gott ist ein verzehren­des Feuer." Da wird es unheimlich.

Vor ein paar Tagen kam ich ins Gespräch mit einem Manne und sagte ihm dabei ein Wort Gottes. Aber darauf winkte er erschrocken ab und erwiderte: „Damit kann ich mich nicht befassen! Ich habe ein paar Evangelisationsversammlungen besucht, und davon bekam ich einen Nervenzusammenbruch. Nun hat mir der Arzt jeden religiösen Gedanken verboten." Der Mann war in die Nähe des „verzehrenden Feuers" geraten, wo die Nerven wohl erschüttert werden können. Noch ein anderes Beispiel: Mein Vater erzählte uns einst, wie er eine todkranke Frau besuchte. Kaum hatte er das Zimmer betreten, als die Frau erregt abwinkte. Auf die Frage meines Vaters nach dem Grunde erklärte sie: „Die Pfarrer jagen einen immer so rum!" Diese Frau hatte begriffen, dass Gott sehr beunruhigend ist. Da hat sich nun

mein Vater an ihr Bett gesetzt und hat ihr erzählt, dass es eine Ver­söhnung mit Gott gibt und dass man Frieden mit Gott finden kann. Und bei dieser Botschaft hat sie begierig aufgehorcht. Das ist es: Kein Mensch hält es ungeschützt aus bei dem lebendigen Gott, dem verzehrenden Feuer. Darum kann man schon verstehen, dass die Menschen sich von Ihm absetzen. Aber das ist Wahnsinn. Gott trifft uns ja doch eines Tages. Die Bibel zeigt den besseren Weg: Versöhnung mit Gott.

Also: Wer Gott wirklich will, der braucht Versöhnung! Das hebräische Wort, das in unserem Text steht, heißt „kafar". Das bedeutet zunächst „bedecken", dann „vergeben", und schließlich hat es die Bedeutung „versöhnen". Daraus wird uns klar, warum eine Versöhnung nötig ist: um unserer Schuld vor Gott willen. Betrügt doch eure Seelen nicht, dass ihr euch einredet, ihr hättet vor Gott keine Schuld. Diese Schuld muss „bedeckt" werden, wir müssen „Ver­gebung" der Sünden haben. Und so geschieht die „Versöhnung" mit Gott.

 

2. Der Hohepriester und das Opfer

Unser Textwort stammt aus einem Kapitel, in dem uns die Ge­meinde des Alten Testaments vor die Augen gestellt wird. Und da heißt es: „Aaron aber und seine Söhne hatten das Amt... zu ver­söhnen Israel, wie Mose, der Knecht Gottes, geboten hatte." O seliges Volk Gottes, das solch einen bevollmächtigten Hohenprie­ster hatte! Nun, wir haben einen noch besseren und mächtigeren Hohenpriester: Es ist der Sohn Gottes, der Herr Jesus selbst. dass wir doch nicht so verblendet wären wie die Leute, die am ersten Kar­freitag die Straße nach Golgatha umsäumten und ihren Hohenprie­ster nicht erkannten! Wie sie damals, so meinen heute noch viele fälschlich, Er sei ein Volksverführer. Andere sehen in Ihm einen religiösen Schwärmer, die Dritten einen armen Idealisten, der schei­terte, wie alle Idealisten seit Anfang der Welt.

Israel aber, die wahre Gemeinde, erkennt: Er ist der bevollmächtigte Hohepriester Gottes. Lasst uns mit Ihm gehen auf Seinem Opfergang! Jetzt steigt Er den Hügel Golgatha hinauf. Nun steht Er oben: „Aaron aber stand im Amt, zu versöhnen..." Ein Opfer braucht unser großer Hoherpriester, ein fehlloses, ewiggültiges Opfer. Wo ist das Lamm, das Ihm angemessen wäre? O seht, da legt Er sich selbst auf den Altar des Kreuzes, Er opfert sich selbst! „Siehe, da ist Gottes Lamm!" (Johannes 1, 29). Er ist Hohenpriester und Opfer zugleich. Welch eine herrliche Versöhnung!

Nun muss ich für denkende Leute noch etwas Wichtiges klarstellen. Man hat mir oft gesagt: Diese ganze Vorstellung von der Versöh­nung ist ja Gottes unwürdig; denn die Heiden stellen sich — so sagt man — die Götter wie böse Mächte vor, die durch Opfer freundlich gestimmt werden müssen. Aber es ist doch — so sagt man — ein un­möglicher Gedanke, dass Gott durch das Opfer Seines Sohnes freund­lich gestimmt werden soll!

Welches Missverständnis! Es zeigt sich da wieder: „Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes." Die Sache ist doch so: Das Opfer Jesu ist ja nicht unser Opfer, mit dem wir Gott besänf­tigen. Es ist vielmehr ein Gnadengeschenk Gottes. Gott opfert Seinen Sohn. Um Seiner Gerechtigkeit willen. Die Institution der Versöh­nung aber kommt aus Gottes Liebe. Seine Gerechtigkeit erfordert das Gericht über die Sünde. Seine Liebe aber kommt der Gerechtigkeit zuvor und opfert den Sohn als Bürgen. So ist es: Im Versöhnungs­opfer Jesu ist die Liebe Gottes gleichsam der Gerechtigkeit Gottes zu­vorgelaufen und hat eine Versöhnung geschaffen, ehe der Zorn Got­tes über uns kam. Durch die Versöhnung entgehe ich der Offen­barung Seines Zornes und werde aufgenommen in den Bund mit Gott.

 

3. Friede mit Gott durch Jesus allein

Einst hat ein katholischer Priester mein Buch über die Heimkehr des „verlorenen Sohnes" gelesen. Nachher sagte er mir: „Genauso wür­den wir in einer Volksmission auch reden. Nur da, wo Sie raten: Nun geh zu Jesus! — da sagen wir: Nun geh in den Beichtstuhl. " — Ich fragte: „Muss man denn nicht zu Jesus kommen?" Darauf er­widerte er: „Sicher! Aber — das werden doch nur die Auserwählten begreifen. Sie sind unbarmherzig mit der großen Masse, der doch auch in irgendeiner Weise geholfen werden muss." Was sollen wir dazu sagen? Gott gebe, dass wir alle zu den Auser­wählten gehören, die es begreifen: „Jesus ist unser großer Hoherpriester, der uns durch Sein Blut mit Gott versöhnt. Darum wollen wir zu Ihm gehen und Frieden mit Gott finden."

Es gibt keinen anderen, keinen schwierigeren und keinen bequeme­ren Weg, als dass man wirklich ernst macht mit Jesus und sich Ihm ausliefert.

Ihr werdet es nicht bereuen. Versöhnung! Frieden mit Gott für Zeit und Ewigkeit — im Leben und Sterben! Ich weiß nichts Größeres. Ein Missionar erzählte uns von einem reichen Hindu, der Frieden suchte. Er badete sich im heiligen Fluss, er machte mühselige Wall­fahrten — sein Herz blieb ohne Frieden. Bis ihm ein Missionar das

Kreuz zeigte. Da jubelte er: „Ich habe die Botschaft geschlürft wie Honig. Nun bin ich am Ziel aller Sehnsucht."